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Page 1: Protocadherine als Adhäsions- und Signalmoleküle

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BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang

MARCUS FRANK

MEDIZINISCHE BIOLOGIE UND ELEKTRONENMIKROSKOPISCHES ZENTRUM,

UNIVERSITÄTSMEDIZIN ROSTOCK

Differential cell adhesion is essential for the proper development of thenervous system and other complex tissues. Clustered protocadherins areprime candidates for these functions based on their genomic and molecu-lar diversity. Combinatorial adhesion and involvement in diverse signalingpathways highlight their functional contributions to cell surface identityin the nervous system and as novel tumor suppressor genes.

DOI: 10.1007/s12268-012-0172-1© Springer-Verlag 2012

Protocadherine und klassischeCadherineó Differenzielle Zelladhäsion ist ein Schlüs-selmechanismus der embryonalen Morpho-genese und bei der Entwicklung von Organenund Geweben. Kalzium-abhängige Adhä-sionsmoleküle der Cadherin-Superfamilie tra-gen entscheidend zu diesen Vorgängen bei.Funktionell am besten charakterisiert sind die„klassischen“ Typ-I-Cadherine, die starkehomophile Adhäsionskomplexe ausbilden undüber Catenine mit dem Zytoskelett verbundensind. Im Zuge der Genomsequenzierungenvon Mensch und Maus wurden mehr als 110Cadherin-ähnliche Transmembranproteine mitzwei oder mehr Cadherin-Domänen (EC, extra-cellular cadherin domains) identifiziert. Nebenden „klassischen“ Cadherinen, wie E-Cadhe-rin und N-Cadherin, gehören viele weitereFamilien dazu. In diesem Familienkreis sindProtocadherine (Pcdh) mit gut 60 Mitgliederndie weitaus größte Gruppe, erstaunlicherweiseaber ein evolutiv jüngerer Zweig [1].

Die molekulare Vielfalt und Anzahl der Pro-tocadherine steigt bei den Wirbeltieren gera-dezu explosionsartig an. Dazu tragen imWesentlichen drei große Protocadherin-Clus-ter bei, die alpha-, beta- und gamma-Proto-cadherine (Pcdhα, Pcdhβ, Pcdhγ), die erst-mals bei der Sequenzierung des Humange-noms auf dem Chromosom 5q31 entdecktwurden [2]. Weitere Protocadherine, die nichtzu diesen drei Clustern gehören, werden unterder Bezeichnung delta-Protocadherine zu sam -

mengefasst. Protocadherine weichen in ihremmolekularen Aufbau in wesentlichen Punk-ten von klassischen Cadherinen ab: Sie besit-zen sechs oder sieben anstatt fünf EC-Domä-nen, und in ihren insgesamt recht unter-schiedlichen zytoplasmatischen Bereichenfehlen die Catenin-Bindungsstellen. DieTranskription der Protocadherine im Pcdhα-und Pcdhγ-Cluster weist noch eine weitereBesonderheit auf: Große, „variable“ Exonscodieren jeweils für die Cadherin-Domänen,den Transmembranbereich und einen Teil derzytoplasmatischen Domäne. Der Rest dieserDomäne ist konstant und wird von drei amEnde des Clusters gelegenen „konstanten“Exons beigesteuert. Alternative Promotorwahl

entscheidet, welcher variable Bereich übercis-Spleißen an die clusterspezifischen kon-stanten Exons angehängt wird. Bei Menschund Maus entstehen dadurch 15 unter-schiedliche alpha- und 22 gamma-Protocad-herine. Dem Pcdhβ-Cluster fehlt ein solcherkonstanter Bereich, sodass die beta-Proto-cadherine alleine vom jeweiligen „variablen“Exon codiert werden (Abb. 1). Ein Vergleichder Protocadherin-Cluster bei verschiedenenWirbeltieren zeigt, dass diese bemerkens-werte genomische Anordnung durch Gendu-plikation, Konversion und Modifikation dervariablen Exons entstanden ist [1–3].

Protocadherin-Expression imNervensystemDie Expression vieler Cadherine ist häufig aufspezifische Neuronenpopulationen und funk-tionell verbundene Schaltkreise be schränkt.Geclusterte Protocadherine sind dagegen prak-tisch ubiquitär im Nervensystem verbreitet.Betrachtet man jedoch die Ebene einzelnerZellen, zeigen sie eine differenzielle, kombi-natorische, häufig sogar mono-allelischeExpression in individuellen Neuronen [3, 4].Die zeitliche Expression der geclusterten Pro-tocadherine korreliert sehr gut mit der embry-onalen und postnatalen Differenzierung vonNeuronen und mit der Synaptogenese bei der

Zelladhäsion

Protocadherine als Adhäsions- undSignalmoleküle

˚ Abb. 1: Schema der Protocadherin-Cluster auf Chromosom 5q31 des Menschen. Die Transkrip-tion aus variablen (blau) und konstanten Exons (gelb) und die entsprechenden Protocadherin-Pro-teine sind am Beispiel des Pcdhγ-Clusters dargestellt (siehe Text). TM: Transmembrandomäne.Modifiziert nach [2, 3, 6].

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Maus. Darüber hinaus sind Protocadherine inSynapsen von unterschiedlichen Neuronen-typen lokalisiert (Abb. 2). Die Bedeutung derProtocadherine für die neuronale Differen-zierung und Synapsenbildung wurde durchfunktionelle Analysen von Knock-out-Maus-modellen bestätigt. Der Verlust von gamma-Protocadherinen ist neonatal letal und führtbereits in spätembryonalen Stadien zu einererhöhten Apoptose von Interneuronen imRückenmark sowie unabhängig davon zu einerReduktion der Synapsenzahl [5]. Knock-out-Mäuse für den Protocadherin-alpha-Clusterzeigen demgegenüber einen relativ mildenneuronalen Phänotyp [6].

Protocadherine alsAdhäsionsmoleküleCadherine bilden zunächst Dimere oder Mul-timere auf der Oberfläche einer Zelle. Diesecis-Bindungen bestimmen dann häufig die

Ausbildung von Cadherin-Adhäsionskomple-xen zwischen benachbarten Zellen, die alstrans-Interaktionen bezeichnet werden. DurchKombination unterschiedlicher Protocadhe-rine zu heterophilen Dimeren oder Multime-ren kann so eine sehr große Zahl adhäsiverBausteine erzeugt werden, die auch ausrei-chen würde, komplexe synaptische Verbin-dungen im Nervensystem zu definieren, bei-spielsweise im Sinne der Chemoaffinitätshy-pothese von Roger Sperry [6].

Tatsächlich führt die Expression von gam-ma-Protocadherinen in verschiedenen Zellli-nien zu homophiler Zelladhäsion. Durchquantitative Adhäsionsanalysen konnte dieArbeitsgruppe von Joshua Weiner in einerwegweisenden Untersuchung zeigen, dassgamma-Protocadherine als heterophile cis-tetramere Komplexe auf der Zelloberflächevorliegen [7]. Stabile Adhäsion zwischen Zel-len ist aber nur möglich, wenn gleichartig auf-

gebaute Protocadherin-Tetramere auf beidenPartnerzellen vorhanden sind, also homophiletrans-Interaktionen der Tetramere gebildetwerden können. Dadurch erzeugen alleinedie 22 gamma-Protocadherine theoretischmehr als 230.000 (224) adhäsive Oberflä-chenmuster. Bei dieser Zahl sind möglicheWechselwirkungen mit alpha- oder beta-Pro-tocadherinen noch nicht einmal berücksich-tigt. An der Ausbildung der Protocadherin-Adhäsionskomplexe sind hauptsächlich dieEC2- und EC3-Domänen beteiligt. Hingegenspielt der intrazelluläre Bereich und die fürdie Adhäsion der klassischen Cadherinebedeutende EC1-Domäne keine wesentlicheRolle für die Adhäsion [3, 6, 7].

Protocadherine als SignalmoleküleSchon die komplexen Phänotypen der Knock-out-Mausmodelle weisen auf zusätzliche Sig-nalfunktionen von alpha- und gamma-Proto-cadherinen hin. Die Funktion der gamma-Pro-tocadherine als Zelloberflächenrezeptoren ineinem nukleären Signalweg wurde imZusammenhang mit ihrer proteolytischen Pro-zessierung entdeckt, die Ähnlichkeiten zumNotch-Signalweg aufweist [8]. In einem erstenProzessierungsschritt werden zunächst dieEC-Domänen durch die MetalloproteaseADAM10 abgespalten [9]. Das verbleibendemembranständige C-terminale Fragment wirdnun zum Substrat des gamma-Sekretase-Kom-plexes. Die Presenilin-assoziierte proteolyti-sche Aktivität setzt intrazellulär ein Fragmentfrei, das aus dem variablen und konstantenzytoplasmatischen Anteil des Protocadherinsbesteht. Diese Fragmente sind durch rascheproteasomale Degradation gekennzeichnet,können aber auch in den Zellkern gelangen(Abb. 3). Über mögliche Zielgene ist nochwenig bekannt, es wurde jedoch ein autore-gulatorischer Einfluss auf die Transkriptiondes gamma-Clusters gezeigt [3, 8, 9].

Neben der Prozessierung wurden Interak-tionen der alpha- und gamma-Protocadheri-ne mit Tyrosinkinasen gezeigt, z. B. mit derCadherin-ähnlichen Tyrosinkinase Ret. Alpha-und gamma-Protocadherine können in Neu-ronen von Ret nach Aktivierung durch einenLiganden (GDNF, glial cell line-derived neuro-trophic factor) phosphoryliert werden, gleich-zeitig stabilisieren sie die Ret-Tyrosinkina-sekomplexe durch ihre Interaktionen [10].GDNF/Ret-Signale sind auch außerhalb desNervensystems für die Entwicklung undHomöostase vieler Gewebe wichtig und könn-ten dort ebenfalls mit Protocadherinen ver-knüpft sein.

˚ Abb. 2: Synaptische Lokalisation von PcdhγA3 nach Transfektion in hippocampalen Neuronen(links) (nach [4], © Elsevier). In situ-Hybridisierung mit einer Probe für den Pcdhγ-konstantenBereich im E15-Mausembryo in der Niere (rechts). Zum Vergleich die Signalstärke im Nervensys-tem in Spinalganglien (SG) und chromaffinen Zellen der Nebenniere (Nn). Maßstab 10 μm bzw.200 μm.

˚ Abb. 3: Starke Zell-Zell-Adhäsion wird nur durch gleichartige Protocadherin-Tetramere ver-mittelt (links). Zytoplasmatische Fragmente der proteolytischen Prozessierung von Protocadheri-nen unterliegen raschem Abbau, können aber auch in den Zellkern gelangen (rechts). Gamma-Pro-tocadherine (z. B. Pcdhγ) hemmen den Wnt/β-Catenin-Signalweg und bilden Komplexe mit derTyrosinkinase Ret (nach [7–11]). Weitere Erklärungen im Text.

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BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang

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Neue Aufgaben fürProtocadherineInsbesondere beta- und gamma-Proto-cadherine sind auch in nicht-neuralenGeweben, beispielsweise in der Lunge,Niere und im Darm exprimiert (Abb.2, [4, 11]). Über ihre Aufgaben dort weißman nur wenig, vor Kurzem wurdendie Protocadherin-Cluster jedoch mitTumorsuppressor-Eigenschaften in Ver-bindung gebracht: So zeigen die Proto-cadherin-Cluster charakteristische epi-genetische Veränderungen (long rangeepigentic silencing, LRES) in Tumor-biopsien. Charakteristische Hyperme-thylierungen in den Promotorbereichender Protocadherin-Cluster korrelierendabei stark mit einer Reduktion derProtocadherin-Expression bei Brust-krebs, Wilms-Tumor und beim Kolo-rektalkarzinom [11]. Darüber hinauszeigen Zellkulturexperimente einenhemmenden Einfluss der gamma-Pro-tocadherine auf den Wnt/β-Catenin-Sig-nalweg. Einzelne Mitglieder des Pcdhγ-Clusters können bei verschiedenenTumoren unterschiedlich reguliert sein.So ist beispielsweise PcdhγC3 imWilms-Tumor wenig verändert, aber inKolonkarzinomzellen stark herunter-reguliert. Umgekehrt kann die Über-expression von gamma-Protocadheri-nen das Wachstum von Tumorzellkolo-nien in vitro vermindern [11]. Damitrücken die Protocadherine auch alsmögliche Tumormarker ins Blickfeld.Ihr Verlust könnte zu einer verändertenZelloberflächenidentität führen, dietumorfördernde Signale freisetzt undGewebegrenzen verändert und so zurepithelialen-mesenchymalen Transitionund Tumorbildung beiträgt.

DanksagungMein Dank geht an alle Mitarbeiter derArbeitsgruppe und unsere Koopera-tionspartner, insbesondere Dr. Ingrid

Haas, für ihre Beiträge. Für die Unter-stützung meiner Gruppe in Freiburgdanke ich Prof. Rolf Kemler und Prof.Wolfgang Driever, sowie FRIAS (Frei-burg Institute for Advanced Studies) fürdie finanzielle Förderung im Rahmeneiner Professurvertretung. ó

Literatur[1] Hulpiau P, van Roy F (2011) New insights into theevolution of metazoan cadherins. Mol Biol Evol28:647–657[2] Wu Q, Maniatis T (1999) A striking organizationof a large family of human neural cadherin-like celladhesion genes. Cell 97:779–790[3] Yagi T (2008) Clustered protocadherin family.Develop Growth Diff 50:S131–S140[4] Frank M, Ebert M, Shan W et al. (2005)Differential expression of individual gamma-proto-cadherins during mouse brain development. Mol CellNeurosci 29:603–616[5] Weiner JA, Wang X, Tapia JC et al. (2005) Gammaprotocadherins are required for synaptic develop-ment in the spinal cord. Proc Natl Acad Sci USA102:8–14[6] Zipursky SL, Sanes JR (2010) Chemoaffinity revi-sited: Dscams, protocadherins and neural circuitassembly. Cell 143:343–353[7] Schreiner D, Weiner JA (2010) Combinatorialhomophilic interaction between γ-protocadherin mul-timers greatly expands the molecular diversity of celladhesion. Proc Natl Acad Sci USA 107:14893–14898[8] Haas IG, Frank M, Véron N et al. (2005)Presenilin-dependent processing and nuclear func-tions of γ-protocadherins. J Biol Chem 280:9313–9319[9] Reiss K, Maretzky T, Haas IG et al. (2006)Regulated ADAM10-dependent ectodomain sheddingof γ-protocadherin C3 modulates cell-cell adhesion. JBiol Chem 281:21735–21744[10] Schalm SS, Ballif BA, Buchanan SM et al. (2010)Phosphorylation of protocadherin proteins by thereceptor tyrosine kinase Ret. Proc Natl Acad Sci USA107:13894–13899[11] Dallosso AR, Oster B, Greenhough A et al. (2012)Long-range epigenetic silencing of chromosome 5q31protocadherins is involved in early and late steps ofcolorectal tumorigenesis through modulation of onco-genic pathways. Oncogene, doi: 10.1038/onc.2011.609

Korrespondenzadresse:PD Dr. Marcus FrankUniversitätsmedizin RostockMedizinische Biologie und Elektronenmi-kroskopisches Zentrum (EMZ)Strempelstraße 14D-18057 RostockTel.: 0381-494-5850Fax: [email protected]

AUTORMarcus Frank1986–1994 Studium der Biologie und Geschichte, Universität Tübingen.1999 Promotion am Institut für Hirnforschung an der ETH Zürich,Schweiz; anschließend Postdoc-Aufenthalt an der Mount-Sinai School ofMedicine, New York, USA. 2001–2006 Gruppenleiter in der Abteilung fürMolekulare Embryologie, Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Frei-burg. 2006–2011 Professurvertretungen in Zoologie und Entwicklungs-biologie an den Universitäten Marburg und Freiburg. Ab 2012 LeiterElektronenmikro skopisches Zentrum, Universitätsmedizin Rostock.