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Band 4
Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung
Herausgegeben von Karl Wilbers
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen
im kaufmännischen Unterricht
Horst Pongratz, Tade Tramm, Karl Wilbers (Hrsg.)
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung
Band 4
Herausgeber des Band 4:
Dipl. Hdl. Horst Pongratz
Prof. Dr. Tade Tramm
Prof. Dr. Karl Wilbers
Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt bei den Autoren
Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung
Hrsg. von Prof. Dr. Karl Wilbers
Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Lange Gasse 20
D-90403 Nürnberg
www.wirtschaftspaedagogik.de
Information zu weiteren Bänden der Reihe:
www.wirtschaftspaedagogik.de/texte/
ISBN: 978-3-8322-8832-7
ISSN: 1867-1365
Layout und Satz:
Abele Katrin
E-Mail: [email protected]
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Inhaltsverzeichnis
3
Inhalt
Vorwort ....................................................................................................................................................5
Prozessorientierung und ERP-Systeme aus fachwissenschaftlicher Sicht
Geschäftsprozess und Prozessmanagement (Michael Gaitanides) ................................................... 11
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
(August-Wilhelm Scheer / Michael Hoffmann) ................................................................................30
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware (Peter Mertens)..............................................44
Curricular-didaktische Grundlagen
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
(Karl Wilbers)..................................................................................................................................... 61
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive (Tade Tramm) ...........................................77
Informations- und Kommunikationstechnologien didaktisch betrachtet –
Ein programmatischer Beitrag aus Schweizer Sicht (Franz Eberle) ............................................. 102
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt
der Schulentwicklung (Horst Pongratz) ..........................................................................................111
Good-practice-Beispiele aus beruflichen Schulen
SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess:
Erfahrungen am Friedrich-List-Berufskolleg (Birthe Tina Reich-Zies, Andreas Buder) .............. 151
ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg
(Bernd Schuller) .............................................................................................................................. 162
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule
(Eike Dörrer) .................................................................................................................................... 167
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe (Bernd Strahler) ...................................................................... 179
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
4
Unterstützungssysteme und -angebote für berufliche Schulen
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen
im kaufmännischen Unterricht (Gerd Häuber) .............................................................................. 195
Einsatz von ERP-Software im Unterricht (Edgar Sailer) ....................................................................205
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre
(Helmut Pscheidl-Schubert) .......................................................................................................... 210
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware
Ein Beitrag zum zentralen technischen Support? (Christoph Hölzlwimmer) ...............................223
Service
Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern
sowie deren Landesinstitute (Katrin Abele) ...................................................................................239
Glossar ................................................................................................................................................243
Vorwort
5
VorwortDurch den Einsatz komplexer ERP-Systeme zur Geschäftsprozesssteuerung haben sich kaufmän-
nische Arbeitsprozesse und mit ihnen zugleich die Qualifikationsanforderungen im kaufmännischen
Bereich in den vergangenen Jahren teilweise dramatisch verändert, ohne dass bisher die Praxis der
kaufmännischen Berufsbildung darauf angemessen Bezug nehmen würde. Die Fähigkeit, sich in
komplexen Prozessstrukturen orientieren zu können und hierin kompetent zu agieren, erweist sich
zunehmend als zentrale kaufmännische Qualifikation und zugleich als ein Engpass bei der Umset-
zung prozessorientierter Organisationsmodelle. Umgekehrt betrachtet bieten ERP-Systeme ein noch
weitgehend unerschlossenes didaktisches Potenzial zur Gestaltung arbeitsanaloger Lernumwelten.
Vor diesem Hintergrund stand die Fachtagung Wirtschaft und Verwaltung der Hochschultage Berufli-
che Bildung 2008 in Nürnberg unter dem Thema „Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz
von ERP-Systemen im Unterricht“. Mit der Tagung wurde in einem Wechselspiel von theoretischen
Impulsen und Praxisbeispielen versucht, dieses Potenzial zu spezifizieren, aus didaktischer Sicht
erfolgskritische und auch problematische Aspekte dieser Entwicklungen zu identifizieren, Möglich-
keiten für die Vernetzung dieser Entwicklungsarbeiten und die Schaffung von Unterstützungsstruk-
turen auszuloten und schließlich Felder und Ansatzpunkte für wissenschaftliche Innovationsbegleit-
forschung zu benennen.
Dieser Band greift die Beiträge und Diskussionen dieser Fachtagung auf, beschränkt sich aber nicht
auf die Dokumentation der damals gehaltenen Vorträge, sondern ergänzt diese um einige Beiträge zu
einschlägig grundlegenden Ansätzen in der Wirtschaftsinformatik und der Betriebswirtschaftslehre,
deren Relevanz sich gerade aus den seinerzeitigen Diskussionen ergeben hat. Er zeigt damit einer-
seits curriculare Konzepte und didaktische Ansätze auf und diskutiert praktische Problemlösungen
an innovativen Schulen; andererseits werden auch die grundlegenden wirtschaftspädagogischen,
wirtschaftsinformatorischen und betriebswirtschaftlichen Begründungszusammenhänge deutlich.
Der Band richtet sich an Lehrkräfte an beruflichen Schulen, an Personen aus der Lehreraus- und
-fortbildung, an Ausbilder und Personalverantwortliche aus den Unternehmen sowie an Vertreterin-
nen und Vertreter aus der Berufsbildungsforschung und Bildungspolitik sowie nicht zuletzt an Studie-
rende und Referendare, die sich nach unserer Einschätzung intensiv mit dieser Thematik auseinander
zu setzen haben werden.
Prozessorientierung und ERP-Systeme aus fachwissenschaftlicher Sicht
Zunächst werden die fachwissenschaftlichen Grundlagen für die weitere Auseinandersetzung gelegt.
Prof. Dr. Michael Gaitanides, ein exponierter Vertreter der Prozessorientierung in der Betriebswirt-
schaftslehre, führt in den grundlegenden Zusammenhang von Geschäftsprozess und Prozessma-
nagement ein. Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer und Michael Hoffmann stellen eines der grundle-
genden Modelle prozessorientierten Denkens vor: Die Architektur Integrierter Informationssysteme
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
6
(ARIS). Der renommierte Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Peter Mertens erörtert die Bedeutung der
Einstellung von Parametern von Standardsoftware.
Curricular-didaktische Grundlagen
Es folgt eine didaktische Auseinandersetzung um Prozessorientierung und den Einsatz von integ-
rierter Unternehmenssoftware. Prof. Dr. Karl Wilbers führt dazu in den Stand der didaktischen Dis-
kussion ein. Prof. Dr. Tade Tramm führt die didaktischen Überlegungen zur Prozessorientierung fort,
erörtert deren Zusammenhang mit einer betriebswirtschaftlichen Systemperspektive und legt eine
Strategie dar, die Prozesssicht auch auf das Lernen und den Kompetenzerwerb von Schülerinnen
und Schülern über die Arbeits- und Geschäftsprozesse hinweg auszuweiten. Prof. Dr. Franz Eberle
reflektiert die Informations- und Kommunikationstechnologien im curricularen Kontext aus einer spe-
zifisch Schweizer Perspektive. Den letzten Beitrag in diesem Themenblock bietet Horst Pongratz, der
die Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schul-
entwicklung darstellt.
Good-practice-Beispiele aus beruflichen Schulen
Die übergreifenden Erörterungen werden im dritten Teil des Buches durch umfangreiche Darstel-
lungen von praktischen Beispielen an beruflichen Schulen ergänzt. Andreas Buder und Birthe Tina
Reich-Zies vom Friedrich-List-Berufskolleg (FLB) in Herford reflektieren den Einsatz von SAP-Fall-
studien im Unterricht. Bernd Schuller vom Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverar-
beitung Würzburg zeigt auf, wie in einem Schulverbund von Berufsfachschulen und Berufsschulen,
SAP in Kombination von Theoriephasen im Klassenraum und Praxisphasen im EDV-Raum genutzt
wird. Eike Dörrer vom Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen in Berlin zeigt einen
didaktisch hoch anspruchsvollen, aber auch aufwändigen Weg zur Nutzung von SAP in einer Berufs-
fachschule. Bernd Strahler berichtet von der Multi-Media Berufsbildende Schule in Hannover, die die
beiden dominanten Systeme, MS Nav und SAP, parallel an der Schule einsetzen.
Unterstützungssysteme und -angebote für berufliche Schulen
Die Analyse der Beispiele an beruflichen Schulen zeigt, dass die Schulen bei der erfolgreichen Ein-
führung integrierter Unternehmenssoftware und der nachhaltigen Nutzung im Schulalltag auf externe
Unterstützung angewiesen sind. Unter diesem Gesichtspunkt stellt Gerd Häuber die Unterstützung
von beruflichen Schulen durch das Landesinstitut in Baden Württemberg, Edgar Sailer die Unter-
stützungsangebote des bayerischen Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung sowie
Helmut Pscheidl-Schubert ein einschlägiges Ausbildungs- und Zertifizierungskonzept in Österreich
vor. Außerdem stellt Christoph Hölzlwimmer eine neue Möglichkeit der Unterstützung beruflicher
Schulen dar.
Vorwort
7
Service
Katrin Abele liefert eine vergleichende Übersicht der Supportangebote, die Schulen in Deutschland
nutzen können Als zusätzlichen Service gerade auch für die Leser, die mit dieser Materie noch nicht
allzu vertraut sind, bieten wir abschließend ein Verzeichnis der wichtigsten Begriffe zum Thema
(Horst Pongratz).
Wir hoffen, dass dieser Band die Diskussion um die curricular notwendige und didaktisch sinnvol-
le Nutzung integrierter Unternehmenssoftware anregt und belebt. Nach unserer Überzeugung liegt
hier ein Gestaltungsfeld, dessen Relevanz derzeit noch weitgehend verkannt wird. Wir freuen uns auf
Ihre Rückmeldungen zu den Beiträgen dieses Bandes und auf Ihre Berichte aus der eigenen Praxis.
Nürnberg und Hamburg, November 2009
Horst Pongratz, Tade Tramm und Karl Wilbers
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
11
Geschäftsprozess und ProzessmanagementMichael Gaitanides
1 Das traditionelle Prozesskonzept: Ablauforganisation folgt Aufbauorganisation
Die Entwicklung der Organisationslehre war viele Jahrzehnte lang durch die Dualität von Aufbau- und
Ablauforganisation gekennzeichnet. Während die Aufbauorganisation die Aufgabenverteilung bein-
haltet, beschreibt die Ablauforganisation die Arbeitsverteilung. Der strukturelle Aspekt der Aufbauor-
ganisation beinhaltet Handlungsziele, der prozessuale Aspekt der Ablauforganisation Regeln für den
Handlungsvollzug. Die Ablauforganisation kann insoweit als der Vorläufer einer prozessorientierten
Organisationslehre gelten.
Unter dem Aspekt des Aufbaus und Ablaufs wird die Aufbauorganisation als die „strukturierende Ge-
staltung“ mit Bezug auf „institutionelle Probleme und Bestandsphänomene“ (Kosiol 1962, S. 32), die
Ablauforganisation als die „integrative“ oder „raumzeitliche Strukturierung der Arbeits- und Bewe-
gungsvorgänge, insbesondere um ihre Rhythmisierung und Terminisierung“ definiert. Dass zwischen
beiden Aspekten, dem Aufbau und dem Ablauf, ein enger Zusammenhang besteht, lässt sich u.a. aus
der gleichen Vorgehensweise bei der Behandlung der aufbau- und ablauforganisatorischen Gestal-
tungsprobleme erkennen. Bei beiden ist zunächst im Wege der Analyse eine detaillierte Übersicht zu
erlangen, um dann in der anschließenden Synthese die formale Organisation zu gestalten.
Die Aufgabe als Zielsetzung für zweckbezogenes, auf die Erfüllung der Marktaufgabe des Unterneh-
mens ausgerichtetes menschliches Handeln bildet den organisatorischen Zentralbegriff. Durch die
Analyse dieser Aufgabe gelangt man zu Teilaufgaben verschiedener Ordnung. Fünf verschiedene
Gliederungskriterien, deren wichtigste Verrichtung und Objekt sind, können mehrmals nacheinan-
der angewendet werden und führen zu den bereits erwähnten Teilaufgaben unterschiedlicher Ord-
nung. An die Aufgabenanalyse, die als eine vorgelagerte Tätigkeit für die eigentliche organisatori-
sche Gestaltung angesehen werden muss, schließt sich die Aufgabensynthese an. Hierbei handelt
es sich um das Problem der Vereinigung der analytisch generierten Teilaufgaben zu aufgaben- und
arbeitsteiligen Einheiten, d.h. zu Stellen und Abteilungen.
Die Arbeitsanalyse als Grundlage der Ablaufgestaltung gleicht in ihrer Vorgehensweise derjenigen
der Aufgabenanalyse. Die Basis bilden hier die Teilaufgaben niedrigster Ordnung, d.h. die der letzten
Gliederungsstufe der Aufgabenanalyse. Somit kann die Arbeitsanalyse als Fortsetzung der Aufga-
benanalyse angesehen werden (Kosiol 1962, S. 189). Auch die Arbeitsanalyse erfolgt nach den glei-
chen Kriterien – Verrichtung, Objekt, Rang, Phase und Zweckbestimmung – wie die Aufgabenana-
lyse. Gestaltungsobjekt der Ablauforganisation ist die Arbeit, die von einer Person auf einer Stelle
geleistet werden kann. Da sich ein solcher Tätigkeitskomplex aus mehreren Arbeitsteilen zusam-
mensetzt, handelt es sich hierbei um einen Arbeitsgang, den eine Person an einem Objekt vollzieht.
An die Arbeitsanalyse bzw. die Arbeitsganganalyse schließt sich die Arbeits synthese an, deren
Ausgangspunkt die synthetischen Teilaufgaben niedrigster Ordnung (Elementaraufgaben) bzw.
die analytischen Arbeitsteile letzter Ordnung sind. Die Arbeitssynthese erzeugt Arbeitsgänge für
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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Aufgabenträger mit dem Ziel, die Durchlaufzeit der Arbeitsobjekte über mehrere Stellen hinweg zu
minimieren.
Für die klassische Ablauforganisation ist als wesentliches Kennzeichen grundsätzlich festzuhalten,
dass sie an der Stellenaufgabe ihren Ausgang nimmt. Erst wenn die Aufgabe einer Stelle durch die
Aufgabensynthese definiert ist, kann mit der Ablauforganisation im Sinne von Arbeitsanalyse und
-synthese begonnen werden: Ablauforganisation folgt daher Aufbauorganisation.
2 Das Prozessmanagementkonzept: Struktur folgt Prozess
2.1 Konzeptionelle Grundlagen
Das wichtigste Fundament des Prozesskonzepts ist die Befreiung der Ablauforganisation von auf-
bauorganisatorischen Restriktionen. Ein Unternehmensprozess ist ein „Bündel von Aktivitäten, für
das ein oder mehrere unterschiedliche Inputs benötigt werden und das für den Kunden ein Ergebnis
von Wert erzeugt.“ (Hammer/Champy 1994, S. 52). Es beinhaltet die Ablö sung von funktionalen Or-(Hammer/Champy 1994, S. 52). Es beinhaltet die Ablö sung von funktionalen Or-Es beinhaltet die Ablö sung von funktionalen Or-
ganisationsprinzipien durch eine konsequente Konzentration auf bereichsübergreifende Arbeitsab-
läufe. Die prozessorientierte Unternehmensorganisation besteht in der Auflösung fragmentierter Ver-
antwortung und der Relativierung von unternehmensinternen und -externen Grenzen. Unternehmen
differenzieren sich durch ihre Prozessfähigkeiten. Organisatorisches Lernen und organisatorisches
Redesign müssen daher ebenfalls schon im Prozesskonzept angelegt sein.
Ein prozessorientiertes organisatorisches Design hat meist den Einsatz von Prozessteams zur Folge,
deren Mitglieder nicht Vertreter von Fachabteilungen sind, sondern diese ersetzen sollen. Sie füh-
ren einen vollständigen Unternehmensprozess durch. Schnittstellen zwischen Bearbeitungsschritten
sollen so ent fallen und Abstimmungsaufwand reduziert werden. Ziel ist es, zwischen Beschaffungs-
und Absatzmarkt möglichst durchgängige Prozesse ohne Schnittstelle zu schaffen. Grundidee ist
danach ein 90°-Shift der Organisation. Geschäftsprozesse, die in der funktionalen Organisation quer
zu den vertikal angelegten verrichtungsorientierten Abteilungen verlaufen, werden nun zum Gliede-
rungsprinzip, das den Fluss von Material, Informationen, Operationen oder Entscheidungen abbildet.
An Stelle der Gestaltungsfolge „process follows structure“ gilt nun „structure follows process“ bei
der Bildung von Stellenaufgaben oder Abteilungen.
Ein zweites wesentliches Element ist die Kundenorientierung. Interne wie externe Prozesse wer-
den an ihren Leistungen für Kunden beurteilt und ihre Wertschöpfung am Kundennutzen gemes sen.
Benchmarking und Outsourcingentscheidungen von Prozessen (Business Process Outsourcing) ori-
entieren sich an dem Kriterium „Kundennutzen“. Kunden nehmen nur die Produkte und Dienstleistun-
gen eines Unternehmens wahr, die Ergebnis von Prozessen sind, nicht jedoch Führungsphilosophien,
Organisationsstrukturen oder Controllingaktivitäten (Hammer 1997, S. 28). Prozessmanagement be-
deutet auch zwischen Kundenanforderungen und der Befriedigung von Kundenbedürfnissen einer-
seits und den damit verbundenen Prozesskosten andererseits abzuwägen.
Die „kundenorientierte“ (Osterloh/Frost 2006, S. 29) oder „vorgangsorientierte“ (Frese/v. Werder
1992, Sp. 387) Rundumbearbeitung erfolgt meist durch Teams. Prozess- oder Case-Teams sollen
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
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Vorgänge ganzheitlich und integrativ bearbeiten, um die Servicequalität des Prozes ses zu verbes-
sern und Durchlaufzeiten zu verringern. Entsprechend der Komplexität des Be arbei tungsvorganges
einzelner Objekte bzw. Objektgruppen lassen sich Prozesse nach Pro dukt-, Kunden-, Lieferanten-
gruppen segmentieren. Kernstück des Organisationskonzepts ist die Zusammenfassung der be-
treffenden Aktivitäten in einem Bereich, die sodann einem Mitarbeiter, dem Case Worker oder Case
Manager, verantwortlich übertragen werden (vgl. Abbildung 1). Der Case Manager ist für bereichs-
übergreifende Abstimmungsprozesse verantwortlich und verhindert auf diese Weise, dass Bereichs-
spezialisten eigene Abteilungsziele verfolgen (vgl. Theuvsen 1996, S. 71; Davenport/Nohria 1995,
S. 82f; Striening 1988, S. 164ff.). Da sich die Verantwortung der Case Worker auf den Gesamtprozess
erstreckt, müssen Vereinbarungen über Leistungsziele, Leistungsbeurteilungen und Anreize ent-
sprechend umfassend angelegt sein. Beispiele für integrierte Prozesse sind neben der Auftragsab-
wicklung das Kundenmanagement, die Produktentwicklung oder die Beschaffung.
Abb. 1: Kundenorientierte Rundumbearbeitung (Osterloh/Frost 2006, S. 34)
Kundenorientierung und integrierte Rundumbearbeitung setzen voraus, dass Mitarbeiter aus-
reichende Handlungsspielräume besitzen und befähigt werden, nutzenstiftende Initiativen zu entfal-
ten (Empowerment) (vgl. Champy 1995, S. 131). Die Übertragung eines Geschäftsprozesses auf die
Ebene der Case Worker und Case Teams setzt eine entsprechende Delegation von Entscheidungs-
kompetenzen und Abbau hierarchischer Kontrolle voraus. Horizontale Autonomie muss daher die
Reintegration von Arbeitsprozessen und die Beendigung der funktionalen Zersplitterung von Ge-
schäftsprozessen begleiten. Die vertikale Autonomie bedarf einer Ergänzung im Sinne einheitlicher
und unmittelbarer Verantwortung für den Geschäftsprozess (vgl. Theuvsen 1996, S. 69).
Die Idee des Empowerment ist um das Konzept einer prozessbezogener Anreize zu ergänzen. Der
Geschäftsprozess wird zum Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Belohnungen. Sie fördern
die Einsicht in den Kontext der eigenen Tätigkeit und erleichtern so die Abschätzung der Folgen des
eigenen Handelns im Gesamtzusammenhang. Das Prozessergebnis ist meist Grundlage der Ent-
lohnung: Im Prozess der Auftragsabwicklung wird sich die Vergütung danach richten, ob die Auf-
träge präzise, pünktlich und kostengünstig ausgeführt wurden, im Prozess der Produktentwicklung
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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danach, ob die neuen Produkte zeitgerecht eingeführt und vom Kunden angenommen werden, im
Serviceprozess danach, ob Kundenprobleme rasch und ohne Reklamation gelöst werden.
Vom Case Manager ist der Prozessverantwortliche, Prozessmanager oder Process Owner zu unter-
scheiden. Während der Case Manager die operative Verantwortung trägt, übernimmt der Prozesseig-
ner die Verantwortung für das Prozessdesign, Gestaltung und Aktualisierung, sowie für Wissensver-
mittlung und Schulung der Case Worker hinsichtlich Struktur, Ablauf und Kooperation (vgl. Hammer
1997, S. 97). Ebenso ist er für die Prozessdokumentation und „Messarchitektur“ zur Überprüfung der
Prozessleistung zuständig.
Ein weiterer gemeinsamer Baustein wird in der Informationstechnologie gesehen. Kun-
denorientierung und Rundumbearbeitung verlangen dezentralen Datenzugriff. Informati ons-
technologie wird daher als „Enabler“ begriffen. Die IT ermögliche es erst, integrierte Ge-
schäftsprozesse neu zu entwickeln und zu vollziehen. Als Träger des Reengineering-Prozesses kom-
me ihr daher besondere Bedeutung beim innovativen Entwurf und bei der effizienten technischen
Umsetzung von Geschäftsprozessen zu.
2.2 Was ist ein Geschäftsprozess?
Einigkeit herrscht darüber, dass ein Geschäftsprozess „funktionsübergreifend“ angelegt ist. Eine
erste Definition gibt Davenport (1993, S. 5). Ein Prozess ist eine zeitlich und räumlich spezifisch
strukturierte Menge von Aktivitäten mit einem Anfang und einem Ende sowie klar definierten Inputs
und Outputs. Zusammenfassend: „A structure for action“. Hammer (1997, S. 21) begreift Pro zesse
als Gruppen „verwandter Aufgaben, die zusammen für den Kunden ein Ergebnis von Wert ergeben“.
Kundennutzen entsteht nicht durch die einzelne Aktivitäten von Vorgängen oder Teilprozessen, son-
dern durch das Bündel von Teilleistungen, die nur in ihrer Ganzheit eine nutzenstiftende Funktion mit
identifizierbarem Wert für den Kunden enthalten. Prozesse sind Tätigkeitsfolgen, die Kundenwert
schaffen (Picot/Franck 1995, S. 14).
Je näher die Arbeiten dem Informations- und Datenverarbeitungsbereich stehen, desto mehr wird
auch die Binnenstrukturierung von Prozessen thematisiert. Der Prozessansatz geht der Frage nach,
wie Arbeit effizient verrichtet werden soll. Die Strukturiertheit der Arbeitsprozesse ist schon deshalb
ein Wesensmerkmal, um Prozesszeit und Prozesskosten messen zu können. In der DV-orientierten
Literatur konkretisiert sich das Prozessverständnis in Referenzmodellen. Vorgefertigte Referenz-
modelle sollen es erleichtern, in tegrierte Geschäftsprozesse zu definieren und zu beschreiben (vgl.
Meinhardt/Teufel 1995, S. 74).
2.3 Geschäftsprozesse als Routinen
Prozesse haben schließlich immer auch eine Wissenskomponente und können daher als in Routinen
geronnenes Wissen kollektiv agierender Prozessbeteiligter verstanden werden. Erst aus dem Zu-
sammenspiel von Prozess- und Wissensmanagement können Wettbewerbsvorteile entstehen. Von
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
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erfolgreichem Prozessmanagement kann daher erst dann gesprochen werden, wenn die Aktivitä-
ten der Prozessbeteiligten zu Geschäftsprozessen derart verknüpft sind, dass es ihnen ermöglicht
wird, neues Wissen zu generieren und zu transpor tieren. Für Osterloh/Wübker (1999) ist Wissen der
wichtigste Bestandteil von „Kernkompetenzen“ ist. Daran lässt sich ermessen, welche Bedeutung
dem Wissen unter dem Aspekt der Trägerschaft und der Wissensübertragung im Rahmen des Pro-
zessmanagements zukommt. Zwar sind die individuellen Fertigkeiten und Kenntnisse der einzelnen
Organisationsmitglieder das Fundament organisationalen Wissens. Es entfaltet seinen Wert erst in
der Bündelung und Verknüpfung, die durch die Prozessorganisation explizit vollzogen wird. Routine-
prozesse beruhen daher nicht nur in einer bloßen Addition individueller Fertigkeiten und Fähigkeiten,
sondern es bedarf einer prozessweiten Kollektivierung individuellen Wissens. Individuelles Wissen
muss anderen Prozessbeteiligten zugänglich sein, um kollektives Wissen entwickeln und neues ge-
nerieren zu können. Osterloh/Frost sprechen hier von „gemeinsam geteilten mentalen Modellen“
(Osterloh/Frost 2006, S. 204), die als kollektive Deutungsmuster den Prozessakteuren zur Verfügung
stehen und deren Interpretations- und Interaktionsprozesse steuern.
Organisatorisches Wissen ist nicht nur in mentalen Modellen, sondern vor allem in organisationalen
Routinen und Regeln gespeichert. Als allgemein akzeptierte Verhaltensmuster wirken diese insbe-
sondere für formale Prozessabläufe stabilisierend. In Routinen verdichtet sich die gesammelte Erfah-
rung der Akteure, die es ihnen ermöglicht, auch in komplexen Entscheidungssituationen unter unvoll-
ständiger Information zu handeln. Diese implizite Standardisierung macht integrierte Prozessorga-
nisation erst möglich. Der Wissensaspekt verdeutlicht eindrucksvoll, dass die Implementierung der
Prozessorganisation nur behutsam und unter Berücksichtigung des impliziten Wissens der Betroffe-
nen entworfen und implementiert werden dürfen, wenn die organisatorische Wissensbasis nicht zer-
stört, sondern erhalten und für innovative Strukturentwicklungen genutzt werden soll.
In der hierarchisch-funktionalen differenzierten Organisation findet dagegen ein traditioneller Rou-
tinebegriff Verwendung, der auf gleichförmige Handlungswiederholung abstellt, die von hoher Spe-
zialisierung und isolierender Arbeitsteilung gekennzeichnet ist. Repetitive und deterministische
Handlungsvollzüge erlauben im Unterschied zur integrierten Prozessarbeit eine exakte Prognosti-
zierbarkeit des qualitativen wie quantitativen Handlungsergebnisses. Geringe Variabilität der Vor-
gangsbearbeitung macht Koordination und Integration der Teilarbeiten nicht notwendig. Spezifisches
Wissen oder Expertise der beteiligten Akteure ist bei der Regelanwendung nicht vonnöten (vgl. Gei-
ger/Koch 2008, S. 694).
Das Verständnis von Geschäftsprozessen knüpft indessen an einem erweiterten Routinebegriff an.
Dieser erstreckt sich auf das Beherrschen außergewöhnlicher Tatbestände und wird mit dem Begriff
der „Könnerschaft“ (vgl. Geiger/Koch 2008, S. 696) belegt. Routinen, die auf Könnerschaft basieren,
werden im Handlungskontext nicht durch abstrakte Beschreibung, sondern allein durch Übung und
Imitation erworben. Außergewöhnliche Leistungen – ob im Sport, im Berufsleben oder sonstigen
Kontexten – beruhen auf spezifischen Fähigkeiten, über die nur Experten verfügen können. Diese
Könnerschaft lässt sich nicht allein und ausschließlich sprachlich vermitteln, sondern wird nur durch
Übung erlernt und perfektioniert. Kollektive Routinen konstituieren das „Zusammenspiel“ von Perso-
nenmehrheiten. Dies gilt für Spielzüge in Mannschaftsportarten wie Fußball ebenso wie für Budget-
oder Produktentwicklungsprozesse im Unternehmen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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Geschäftsprozesse zeichnen sich nicht durch individuelle, sondern durch kollektive Könnerschaft
aus. Kollektive Fähigkeiten entstehen hierbei durch kollektive Handlungsflüsse, die auch zu außerge-
wöhnlichen, d. h. nicht am Beschaffungsmarkt verfügbaren Leistungen „befähigt“ sind. Diese Rou-
tinen beruhen auf dem Erlernen integrativer Formen der Zusammenarbeit und dem damit verbunde-
nen Wissen über Kooperationsbedingungen. Nicht zuletzt unterstützen Routinen zur Veränderung
von Routinen eine Einheit von Handeln, Lernen und Innovation (vgl. Geiger/Koch 2008, S. 700). Das
Beherrschen von Routinen ist die Voraussetzung für kreatives und innovatives Improvisieren jenseits
der erwarteten Verhaltensmuster. Bei Geschäftsprozessen handelt es sich mithin um die Institutio-
nalisierung von Routinen, die eine wesentliche Grundlage dafür bilden, Außergewöhnliches zur Ent-
faltung zu bringen.
3 Identifikation von Geschäftsprozessen: Generischer versus
unternehmensspezifischer Entwurf
Generische Prozesse im Sinne von „Rahmenprozessen“ werden auf der Basis idealtypi scher Ge-
schäftsprozesse identifiziert, in Subprozesse differenziert und in ihrer Struktur der konkreten
Situation angepasst. Übliches Beispiel für dieses Vorgehen sind die Referenzmodelle der Soft-
warehersteller, die Angebote für die Prozessidentifizierung und Strukturierung machen. Ein Bei-
spiel dafür geben die sogenannten „allgemein differenzierbaren Leistungsprozesse“ von Som-
merlatte/Wedekind (2990, S.24 ff.) oder das Siemens Referenzhaus in Abbildung 2.
Die generischen Prozesse „Product Lifecycle Management-Prozess, Supply Chain Management-
Prozess und Customer Relations Management-Prozess werden schrittweise in Teil- bzw. Subpro-
zesse differenziert. Erst ab der vierten Ebene werden die allgemeinen Prozesse unternehmensspe-
zifisch ausgelegt.
Probleme entstehen bei dieser Vorgehensweise dann, wenn die Prozessarchitektur auf der Makroe-
bene verändert und an Umweltbedingungen angepasst werden muss. Änderungen im Design einzel-
ner Prozesse müssen top down vorgenommen und die Gesamtarchitektur einer Konsistenzprüfung
unterzogen werden. Da die konkrete Ausformung der „Rahmenprozesse“ branchen - oder unterneh-
mensspezifisch erfolgt (vgl. Striening 1988, S. 201), geht es hierbei weniger um die Identifikation als
um die Beschreibung von Geschäftspro zessen.
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
17
Level 0 BusinessManagement Support
PLM SCM CRM
Prozessgruppengenerische Standardprozesse
Level 1
Basisprozessegenerische Standardprozesse
Plan DeliverMakeSource Return Enable
Level 2
Prozesskategorien, -modelle, -variantengenerische Standardprozesse
Make toStock
Make toorder
Engeneerto order
Enablemake
Make to stock PUSH
Make to stock PULL
Level 3
Prozesskettengenerische Standardprozesse
Fertigungs-steuerung & Disposition
Fertigungs-versorgung
Fertigung & Prüfung
UE / FE verpacken
UE/FEbereitstellen
Freigabe des Produktesan Deliver
Level4 bis n
ProzessketteGeschäftsspezifische Standardprozesse
Make
Deliver
Plan Make
Fertigungsbedarf ermittelt
Fertigungsplanund M&C-Rahmen
verabschiedet
Bedarfs- &Mengen-planung
Auftrags-erfassung &
-durchführung
Produktions-aufträge
freigegeben
Fertigungs-versorgung
Abb. 2: Level-Systematik im Siemens Referenz-Prozesshaus
(Quelle: Feldmayer/Seidenschwarz 2005, S. 28)
Demgegenüber sieht die unternehmensspezifische, maßgeschneiderte Prozessidentifikation, die
an konkreten Leistungen zur Generierung von Kundennutzen ansetzt, den schrittweisen Aufbau von
Kernprozessen bzw. Supportprozessen vor (vgl. Gaitanides 2007, S. 139 f). Kernprozesse sind Pro-
zesse, die
- eine strategische Bedeutung haben,
- quer zu den traditionellen Abteilungen liegen,
- von Schnittstellen mit Lieferanten zu Schnittstellen zu Kunden reichen,
- wahrnehmbaren Kundennutzen stiften,
- unternehmensspezifisch, nicht imitierbar und nicht substituierbar sind.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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Supportprozesse erzeugen Leistungen für interne Kunden bzw. unterstützen andere Geschäftspro-
zesse. Sie umfassen alle Prozesse, die nicht unmittelbar Kundennutzen generieren. Dazu zählen Ser-
viceprozesse ebenso wie allgemeine Managementprozesse.
Die Entwurfslogik führt zu unternehmensspezifischen Geschäftsprozessen, da sie an den Wettbe-
werbsvorteile generierende Fähigkeiten (Kernkompetenzen) ansetzen. Kernprozesse erzeugen Kern-
leistungen, die einen seitens der Kunden akzeptierten Zusatznutzen stiften. Kernprozesse können
mithin als unternehmensspezifische Kunden-Lieferanten-Beziehun gen definiert werden.
Die Prozessarchitektur des Unternehmens besteht aus den kundenorientierten Kernleistungen und
den sie unterstützenden Sup portleistungen. Entsprechend den Fähigkeiten und Kompetenzen be-
stimmt eine oder mehrere wettbewerbskritische Kernleistungen, welche die Stärken bzw. Schwä-
chen des Unternehmens im Vergleich zu seinen Konkurrenten aufweist.
Zur Identifikation der Kernprozesse sind diejenigen Routinen zu isolieren, die einzigartige Fähigkeiten
des Unternehmens zu erzeugen in der Lage sind. Die Identifikation von Kernprozessen besteht dann
in der Bestimmung von Fähigkeitsclustern, die für das Entstehen von Kernprozessen verantwortlich
sind. Bei der Prozessidentifikation wird also danach gefragt, welches die im Rahmen der strategi-
schen Analyse festgehaltenen wettbewerbskritischen Fähigkeiten sind, und wie die betreffenden
Routinen in Geschäftsprozessen zu organisieren und zu beherrschen sind. Der Prozessentwurf er-
folgt insofern Bottom Up, als spezifisches Wissen, Routinen, Rechte oder Technologien als Prozesse
identifiziert und auf hierarchisch höherer Ebene zu Prozessstrukturen gruppiert werden.
Der unternehmensspezifische Ansatz der Prozessidentifikation ist der Gefahr ausgesetzt, die er-
folgskritischen Kernprozesse nicht vollständig zu erfassen. Die strategische Analyse muss daher die
entsprechenden Fähigkeitskomplexe nicht nur identifiziert haben, sondern auch deren dynamische
Entwicklung als Input für die Prozessidentifikation zur Verfügung stellen können. Die unternehmens-
spezifische Prozessidentifizierung liefert zusammenfassend eine Prozessarchitektur (vgl. Speck/
Schnetgöke 2000, S. 166), in der
- die wesentlichen Quellen für Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens in Kernprozessen abgebil-
det sind,
- alle Kern- und Supportprozesse eines Unternehmens und deren Leistungsbeziehungen aufgeführt
sind,
- grobe Prozessbeschreibungen den Ausgangspunkt für die weitere Modellierung bilden,
- eine erste Gruppierung der Kern- und Supportprozesse nach der Schnittstellenintensität vorge-
nommen wird, derart, dass die Prozessinterdependenzen zwischen den einzelnen Tätigkeitskom-
plexen möglichst gering sind.
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
19
4 Prozessmodellierung
Prozessmodellierung besteht im Entwurf des Prozessdesigns aller bereits identifizierten Kern- und
Supportprozesse. Ziel ist eine Prozessstrukturdarstellung, die unter Berücksichtigung der Prozess-
verknüpfungen die Prozessarchitektur eines Unternehmens dokumentiert. Bei diesen handelt es sich
jedoch nicht nur um Blaupausen („Blue Prints“). Sie gehen über eine reine Tätigkeitsdarstellung hi-
naus und sollen vor allem die wettbewerbskritischen Tätigkeiten in ihrem interdependenten Zusam-
menhang und in Bezug zur Kundenleistung verdeutlichen.
Folgende Ziele der Prozessmodellierung sind zu unterscheiden (vgl. Gaitanides 2007, S. 161ff.):
- Schaffung von Wertschöpfungstransparenz: Die Darstellung der logischen bzw. zeitlichen
Sequen zen erlaubt es, kritische Bereiche aufzuspüren und in die Prozessketten zur Eliminierung
von Schwachstellen gezielt einzugreifen.
- Bestimmung der Prozessverantwortlichkeiten: Die Zuordnung der einzelnen Arbeits schritte zu
den beteiligten Kernprozessen zeigt, wann bzw. welche der Tätigkeiten an der Lei stungserstellung
beteiligt sind. In Anlehnung an die Prozessarchitektur ist nun eine Verantwortungszuordnung nach
prozessualen Aspekten möglich, was eine Re duzierung des Koordinationsaufwandes zur Folge
hat. Es ist vorteilhaft, die Verantwort ung für jeweils komplette Geschäftsprozesse organisatorisch
in eine Hand zu legen, um die Identifikation mit der erstellten Leistung zu fördern. Künstliche orga-
nisatorische Tren nungen zwischen Aufbau- und Prozessorganisation sind so vermeidbar.
- Definition eines strukturierten Mess- und Steuerungssystems: Für die auf den Prozessebe-
nen dargestell ten Teilprozesse sind relevante Prozesskennzahlen ableitbar, mit denen die Pro-
zessleistung bezüglich Zeit, Qualität, Prozesskosten und Kundenzufriedenheit zu überprü fen ist.
Schwachstellen im Prozessablauf sind somit neben der Ablaufanalyse auch mittels Indikatoren
feststellbar.
- Ausarbeitung von Leistungsvereinbarungen: Auf der Basis visualisierter Abläufe lassen sich
Vereinbarungen mit externen und internen Lieferanten, z.B. über den Zeitpunkt der Leistungser-
bringung und über den Leistungsumfang festlegen.
- Schulung und Einarbeitung von Mitarbeitern: Anhand einer nach einheitlichen Krite rien aufge-
bauten transparenten Prozessarchitektur erhalten die Mitarbeiter einen Überblick über ihr Arbeits-
umfeld. Die Prozessvisualisierung ist damit gleichzeitig Grund lage für ein besseres Verständnis
des Unternehmensgeschehens und fördert die abtei lungsübergreifende Zusammenarbeit. Die An-
näherung impliziter Handlungsmodelle der Mitarbeiter mit den offiziellen „Prozess-Blue Prints“ soll
vereinfacht werden. Das Reden über Prozesse wird erleichtert.
- Erstellung von Richtlinien: Die häufig in Richtlinien geforderte Beschreibung von Pro zessabläufen
lässt sich auf der Grundlage einer transparenten Prozessdarstellung vereinfachen. Der Nachweis
eines Qualitätssicherungssystems nach DIN ISO 9000ff. ist mit Hilfe der Prozessdarstellung ohne
ein zusätzliches Verfassen von Verfahrens- und Arbeitsanweisungen zu erbringen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
20
Grundsätzlich ist die Darstellung von Prozessabläufen möglichst kurz und prägnant zu ge stalten.
Verbale Prozessbeschreibungen eignen sich nur bedingt dazu, logische oder zeitliche Sequenzen
übersicht lich abzubilden. Dazu dient die Nutzung softwaregestützter Ablaufdiagramme auf der Basis
standardisierter Notationen wie Business Process Modeling Notation (BPMN) oder Ereignisgesteu-
erte Prozessketten (EPK), die einzelne Arbeitsschritte, logische Verknüpfungen und Verzweigungen
sowie Schnittstellen zu internen und externen Lieferanten sowie zu Kunden aufzeigen.
Das Prozessdesign kann entweder in einem Analyseprozess top down oder in einem Konstruktions-
prozess bottom up entwickelt werden. Für beide Ansätze gelten jedoch nachfolgende Modellierungs-
grundsätze.
4.1 Prozessanalyse als Ausgangpunkt der Modellierung
Gliederungskriterien, wie z.B. Kunden, Produkte, Projekte oder spezifische Verrichtungen, nach de-
nen die Geschäftsprozesse zu strukturieren bzw. konstruieren sind, knüpfen an der Identifikation des
Geschäftsprozess an. Die oberste Gliederungsebene orientiert sich daher an dem Wettbewerbs-
vorteil, der durch den Prozess umgesetzt werden soll. Dabei ist die horizontale von der vertikalen
Prozessanalyse zu unterscheiden. Die horizontale Differenzierung führt zur Mengenteilung eines
Prozesses, durch die unterschiedliche Prozessvarianten generiert werden (z.B. das Triage-Konzept),
die vertikale Zerlegung zu der Artenteilung, durch die ein Prozess in Teilprozesse untergliedert wird.
Die Abbildung 3 zeigt beispielhaft die Prozessanalyse des Auftragsabwicklungsprozesses und seine
Interdependenzen zu vor- und nachgelagerten Prozessen.
Warever-
senden
Wareemp-
fangen
Auftrag abwickeln
Auftragseingangbearbeiten
Produktversorgungsichern
Warenverteilungdurchführen
Auftragschließen
Akquisi-tion
unter-stützen
Vertragfrei-.
geben
Auftragein-
geben
Auftragdispo-nieren
Liefer-ungenBedarfplanen
Bestandopti-
mieren
Warelagern/
Konfekt-ionieren
Inst./Ab-bauten
einbuchen
Rech-nung
gener-ieren
Bilanz-konten
ab-stimmen
Zahlungenbear-
beiten/zuordnen
Unterstützung für die Auftragsabwicklung
Unterstützung für Partner-Prozesse
Prozesse außerhalb der Auftragsentwicklung
Auftragsabwicklungsprozess
Produkt/Leistung
her-stellen
Produkt/Leistunginstall-ieren
Ebene
I
II
III
Abb. 3: Prozessanalyse der Auftragsabwicklung und Schnittstellen zu Lieferantenprozessen
(Quelle: Gaitanides u.a. 1994, S. 47f)
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
21
4.2 Vertikale Hierarchisierung und Strukturierung von Geschäftsprozessen
Die Modellierung der Prozessarchitektur wird davon bestimmt, ob und in welcher Tiefe ein Prozess
in Subprozesse verfeinert wird. Prozesse können auf mehreren Detaillierungsebenen analysiert und
betrachtet werden. Dabei entsteht das Modellierungsdilemma: Einerseits verringert sich mit zuneh-
mender vertikaler Gliederungstiefe die Transparenz und Übersichtlichkeit der Gesamtstruktur des
Geschäftsprozesses. Auf der obersten Gliederungsebene sind Aktivitäten nur implizit erfasst, die bei
hohem Detaillierungsgrad explizit ausdifferenziert werden müssen, was aus Komplexitäts- und Wirt-
schaftlichkeitsgründen oft unterlassen wird. Andererseits wird ein hoher Detaillierungsgrad benötigt,
wenn Entwurf und Umsetzung von Geschäftsprozessen mittels einschlägiger Modellierungs- und
Workflow-Software unterstützt werden sollen. Andernfalls können Geschäftsprozesse weder in Ih-
rer Auswirkung auf Zeiten, Kosten und Kapazitäten simuliert, noch Informationen für Steuerung und
Vollzug der Prozesse bereitgestellt werden. Der Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit, Detaillie-
rungsgrad und Vollständigkeit kann sich an folgenden Kriterien orientieren (Gaitanides 1983, S. 81ff.;
Speck/Schnetgöke 2000, S. 172f):
4.3 Schnittstellen mit Kunden- und Lieferantenprozessen
Koordinationsprobleme treten auf, wenn Input- und Outputinformationen eines Prozesses, die in ei-
nem anderen Prozess generiert bzw. verwendet werden, nicht den gleichen Detaillierungsgrad auf-
weisen. An den Schnittstellen der Prozesse sind daher die Prozesse auf der gleichen Hierarchieebe-
ne zu modellieren. Wird beispielsweise im Rahmen des Prozesses „Auftrag abrechnen“ die Teilakti-
vität „Buchung durchführen“ realisiert und wird der aus dieser Aktivität resultierende Buchungsbeleg
in einem anderen Prozess benötigt, dann ist die Aktivität „Buchung durchführen“ als Teilprozess des
Prozesses „Auftrag abrechnen“ zu modellieren. Service Level Agreements zwischen Lieferanten-
und Kundenprozessen lassen sich bei gleichem Detaillierungsgrad der zu verknüpfenden Prozesse
leichter formulieren und vor allem auch durchsetzen. Auch können dadurch Transaktionskosten ge-
senkt werden.
Folgende Differenzierungskriterien sind bei der Prozessstrukturierung zu berücksichtigen:
4.4 Software-Tools zur Unterstützung der Prozessmodellierung
Eine Vielzahl von Software-Tools unterstützt die Modellierung, Strukturierung, Optimierung und
Handling von Geschäftsprozessen. Zur Prozessunterstützung stehen folgende Arten von Tools zur
Verfügung:
- Analysetools
- Visualisierungstools
- Modellierungstools
- Simulationstools
- Workflow-Management-Systeme
- Dokumentenmanagement-Systeme.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
22
Die Prozesstools unterscheiden sich hinsichtlich der Schnittstellen zu anderen Datenbanken und
Prorammen, Architektur und Konfigurierbarkeit, Anwenderfreundlichkeit und Support (Fischermanns
2009, S. 450).
Die Tools unterscheiden sich vor allem durch Ihre Komplexität. Relativ einfache, wie z.B. das Pro-
metheus Organisationssystem von ibo mit den Modulen Process-Manager, Process-Designer und
Process-Analyser, erleichtert den Process-Ownern die Dokumentation der Prozesserfassung, die
Prozessmodellierung sowie die Auswertung nach Zeiten, Mengen, Kosten und Mitarbeiterkapazitä-
ten. Aufwendigere Systeme wie ADONIS verlangen einen entsprechend höheren Einarbeitungsauf-
wand. Auch hier dienen als Basis der Modellierung die identifizierten Objekte (Aktivitäten und Ent-
scheidungen), die aus einer groben Ablaufskizze entnommen mittels eines Modelleditors zu einem
Geschäftsprozess verknüpft werden. Sog. Konnektoren bilden die Ablauflogik ab, mit deren Hilfe die
„Beziehungen“ zwischen den Objekten beschrieben werden (z.B. „Nachfolger“). Ebenfalls model-
lierbar ist die Arbeitsumgebung eines Geschäftsprozesses. Sie weist die beteiligten Bearbeiter und
Abteilungen, d.h. die Aufbauorganisation zu, so dass deren Inanspruchnahme durch den Geschäfts-
prozess simuliert werden kann. Auf der einmal erstellten Geschäftsprozessmodellierung bauen wei-
tere Funktionalitäten wie Qualitätsmanagement, Prozesscontrolling (Prozesskostenrechnung) sowie
Personalmanagement (Personal- und Ressourcenplanung) auf.
Ein komplexeres, umfassenderes Tool ist ARIS (Architektur integrierter Informationssysteme). Seine
Komplexität entsteht durch die verschiedenen Sichten, die auf den Geschäftsprozess gerichtet sind.
Neben der Funktionssicht, die die Tätigkeiten und die zwischen ihnen bestehenden Anordnungsbe-
ziehungen beschreibt, erfasst die Datensicht Zustände (Stammdaten) und Ereignisse (Bewegungs-
daten) des Arbeitsumfeldes. Die Organisationssicht bildet den organisatorischen Aufbau hinsichtlich
der bestehenden Kommunikations- und Weisungsbeziehungen ab. Organisationseinheiten können
auch nach prozessorientierten Kriterien modelliert werden. Die Leistungssicht enthält das Ergebnis
von Prozessen. Produkte oder Dienstleistungen (auch Informationsdienstleistungen) veranlassen die
Prozessausführung und bilden daher die Kernfunktion der Prozessbeschreibung. Die Steuerungs-
sicht schließlich verbindet die getrennt modellierten Sichten (Funktion, Daten, Organisation und Leis-
tung). Sie werden zu einem Gesamtmodell des Geschäftsprozesses ganzheitlich zusammengefügt.
Es erfasst mithin, welche Tätigkeiten (Funktionen) von welchen Aufgabenträgern unter Verwendung
welcher Daten in welcher Reihenfolge ausgeführt werden (siehe auch Scheer (1997)und (2001)).
Die Anzahl der Anbieter von Prozesstools ist kaum übersehbar (vgl. Fischermanns 2009, S. 451).
Auswahlkriterien erstrecken sich auf die Datenbank-, Modellierungs-, Analyse-, Optimierungs- und
Workflowfähigkeit des Tools.
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
23
5 Prozesscontrolling: Prozessqualität, Prozesszeit und Prozesskosten
Das Controlling der Leistung eines Geschäftsprozesses erfolgt mittels Prozesskennzahlen, die je-
weils für die Indikatoren Prozessqualität, Durchlaufzeit und Prozesskosten zu entwickeln sind. Da
die Leistung eines Geschäftsprozesses immer an den Kundenbedürfnisse zu beurteilen ist, kann es
nicht um Minimierung oder Maximierung der Performancegrößen gehen, sondern immer nur um die
Übereinstimmung mit definierten Vorgaben, der sog. „conformance to customer requirements“ (vgl.
Gaitanides u.a. 1994, S. 58).
Traditionell wird die Prozessqualität als eine Eigenschaft des Prozessoutputs, also der Produktqua-
lität, gesehen. Dieser Ansatz gilt mittlerweile als überholt, da hohe Produktqualität systematisch nur
durch die Fehleranalyse und -beseitigung über die gesamte Prozesskette hinweg stabilisiert werden
kann (Prozesssicherheit). Aus diesem Grunde ist die Qualität nicht erst nach Fertigstellung des Pro-
duktes zu kontrollieren, sondern durch entsprechende Maßnahmen im Vollzug der Geschäftsprozes-
se proaktiv zu sichern.
Ob das Prozessergebnis den definierten Vorgaben entspricht, ist davon abhängig, wie viele Fehler
oder Abweichungen im Prozess toleriert werden. Die Verbindung von Kundenanforderungen hin-
sichtlich tolerierbare Fehler und Prozessqualität wird beispielsweise durch das Verfahren Six Sigma
(Schmelzer/Sesselmann 2008, S. 391 ff.) hergestellt.
Die Bedeutung der im Prozess selbst begründeten Qualität wird insbesondere im Verfahren der
Zertifizierung nach DIN 2000 ff. hervorgehoben. Die Norm ISO 9004:2000 hat sich im Qualitäts-
management Grundsatz 4 auf die Verbesserung der Unternehmensprozesse konzentriert. Ein „er-
wünschtes Ergebnis lässt sich effizienter erreichen, wenn die Tätigkeiten und die dazugehörigen
Ressourcen als Prozess geleitet und gelenkt werden“ (Grünewald/Pagenkemper 2004, S. 38). Auch
das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) stellt Anforde-
rungen an das Management der Prozessqualität. Prozessrisiken können sich auf die Produktqualität,
Kostenziele und Termineinhaltung auswirken und sind daher auch zum Gegenstand des Risikoma-
nagements zu machen.
Neben der Prozessqualität ist die Durchlaufzeit eines Prozesses von Bedeu tung. Gemessen wird
die Zeitspanne vom Prozessbeginn bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das geforderte Prozessergebnis
für externe/interne Kunden oder für nachfolgende Prozesse ver fügbar ist. Zum Prozessbeginn müs-
sen alle benötigten Informationen, Daten oder Materialien in der de finierten Form vorliegen, die ein
reibungsloser Ablauf erfordert. Bestandteil der Messung sind Bearbeitungszeiten, Liegezeiten und
Transferzeiten, die sich zu der gesamten Durchlaufzeit eines Prozesses addieren. Erst die Kenntnis
der so ermittelten Durchlaufzeit ermöglicht beispielsweise innerhalb der Auftragsabwicklung die An-
gabe von verbindlichen Lieferterminen.
Geschäftsprozesse bieten unterschiedliche Ansatzpunkte zur Beschleunigung der Durchlaufzeit (vgl.
Abbildung 4).
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
24
Unvollkommene Reihenfolge der Prozessschritte
Kapazitätsengpässe
Hohe Liegezeiten durch Holprinzip, wechselnde Kommunikationskanäle
Unnötige Prozessschritte
Unnötige sequentielle Anordnung der Prozessschritte
C B A D
A B C D
C A D
A B C D
C B A D
A B C D
C B A D
A B C D
C B A D
A B DC
Neuordnung der Reihenfolge der Prozessschritte
Harmonisierung der Kapazitätsquerschnitte
Konzeption des Informationsflusses
Eliminierung
Parallelisierung
Ansatzpunkte der Prozessoptimierung Maßnahmen
Abb. 4: Ansatzpunkte zur Optimierung der Bearbeitungszeit
Schließlich sind die Prozesskosten zu erheben. Betrachtet wird hier der gesamte Ressour-
ceneinsatz, der zur Erbringung der Prozessleistung erforderlich ist, wie z.B. Gebäudeko sten, Ge-
halts- und Gehaltsnebenkosten, Kosten für Datenverarbeitungssysteme etc. Die Zuordnung dieser
Kosten zu Prozessen und Teilprozessen erfasst die tatsächlichen Kosten einer Transaktion wie z.B.
die Kosten eines Fakturierungsvorganges in der Auftragsabwicklung. Der Prozesskostensatz enthält
alle Prozessleistungsmengenabhängigen und -unabhängigen Kosten bei einmaliger Durchführung
eines Geschäftsprozesses.
Erst die Berücksichtigung aller drei Leistungsparameter erlaubt eine ganzheitliche Bewer tung der
Prozessleistung. Sie sind daher von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung ei nes Prozesses,
und nicht nur, weil das Bereinigen von Fehlern Kosten und Zeitbedarf verursacht, sondern weil Pro-
zesskosten und die Durchlaufzeit sich ergänzende Erfolgsfaktoren im Wettbewerb mit anderen Un-
ternehmen darstellen.
Das Leistungsniveau eines Geschäftsprozesses wird also durch dessen Ausprägungen im Hinblick
auf Zeit, Qualität und Kosten bestimmt. Restrukturierungen eines Geschäftsprozesses, die sich aus-
schließlich auf einen der drei Leistungs parameter, z.B. Durchlaufzeit, konzentrieren, werden daher
die anderen beiden, d. h. die Prozesskosten oder das Qualitätsniveau, negativ beeinflussen. Erst
durch das Zusammenführen der drei Leistungsparameter ist eine im Sinne der Kundenanforderung
effektive Prozessorganisation realisierbar. Kundenzufriedenheit ist mithin Ergebnis einer integrierten
Bewertung des Geschäftsprozesses hinsichtlich der drei Leistungsparameter. Entsprechend den
Kundenanforderungen bzw. Kundenwünschen sind diese daher als Prozessziele zu formulieren und
bei der Modellierung vorzugeben.
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
25
6 Business Process Outsourcing (BPO)
Business Process Outsourcing (BPO) beinhaltet die Vergabe der Leistungserstellung an einen ex-
ternen Dienstleistungsanbieter. Dabei können auch Finanzierungskomponenten enthalten sein. Die
Prozessleistung wird an Hand von Leistungsmerkmalen (service level agreements) definiert. Der Ge-
schäftsprozess kann seitens des Dienstleisters nach eigenen Standards strukturiert werden, so dass
dieselbe Prozessstruktur für mehrere Kundenprozesse genutzt werden kann.
Outsourcing von Geschäftsprozessen konzentriert sich auf bestimmte Prozesstypen. Klassische
Outsourcing-Prozesse finden sich im Personalmanagement, Finanz- und Rechnungswesen sowie in
der Materialwirtschaft und Logistik. Darüber hinaus gibt es spezielle Teilprozesse, die sich besonders
für das Outsourcing eignen, wie Reisekostenmanagement und Spesenabrechnung, Kreditkartenab-
rechnung etc. (vgl. Dittrich/Braun 2004, S. 67ff.).
Im Bereich des Personalwesens ist vor allem die Lohn- und Gehaltsabrechnung für das Outsourcing
geeignet. Unternehmen, die sich durch einen hohen Grad an individueller Vertragsgestaltung aus-
zeichnen, die über komplexe Zeiterfassungssysteme verfügen oder sich ein differenziertes Provisi-
onssystem leisten, erschweren das Outsourcing dieser Prozesse. BPO verlangt bereits im Vorwege
ein hohes Maß an Standardisierung der Prozesse. Grundsätzlich gilt, dass die Outsourcingeignung
mit zunehmender Spezifität der Prozesse abnimmt.
Im Bereich des Finanz- und Rechnungswesens eignen sich besonders die Debitorenbuchhaltung
(„Order-To-Cash-Prozess“) und die Kreditorenbuchhaltung („Procedure-To-Pay-Prozess“) für das
BPO. Der Order-To-Cash-Prozess umfasst Teile des kaufmännischen bzw. buchhalterischen Auf-
tragsabwicklungsprozesses. Im Einzelnen handelt es sich um die Teilprozesse Bestelleingang, Ver-
sand, Bestandsführung, Fakturierung bis hin zur Kontrolle des Zahlungseingangs (vgl. Wullenkord/
Kiefer/Sure 2005, S. 83). Da hierbei einzelne datenverarbeitungsfähige, finanzwirtschaftliche Trans-
aktionen herausgelöst werden, wird der Geschäftsprozess Vertriebslogistik durch das Outsourcing
unterbrochen und Schnittstellen geschaffen, auch wenn die an einer Transaktion beteiligten Unter-
nehmen online auf den gleichen Datenbestand zugreifen können.
Die Eignung eines Geschäftsprozesses für Outsourcing-Maßnahmen lässt sich wie folgt beurteilen
(vgl. Wullenkord/Kiefer/Sure 2005, S. 92):
Hohe Standardisierbarkeit
- Prozess ist nahezu identisch bei allen Unternehmen unabhängig von Branche und Größe
- Breiter Anwendungsbereich
- Etabliertes Erfahrungswissen über das Handling des Teilprozesses
Eine hohe Standardisierbarkeit ist Voraussetzung dafür, Prozesse zu bündeln und sie einem externen
Dienstleister übertragen zu können. Zeichnen sich Prozesse durch unternehmensspezifische Beson-
derheiten aus, dann besteht die Gefahr, dass die Kosten des Schnittstellenmanagements die günsti-
gere Kostenstruktur des BPO-Dienstleisters überkompensieren.
BPO setzt eine Prozessstandardisierung voraus, die nicht unternehmensspezifischen, sondern den
Normen des BPO-Dienstleisters oder anderen allgemeinen Normen (wie z.B. DIN-Normen) folgt.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
26
Geschäftsprozesse unterschiedlicher Unternehmen ähneln sich allerdings durch den Einsatz be-
trieblicher Standardsoftware wie SAP R/3 oder Navison, so dass schon dadurch ein Standardisie-
rungseffekt eintritt. Unternehmensspezifische Standards betreffen den Prozessinput, die Modellie-
rung von Prozessstrukturen und -abläufen sowie die Prozessleistung bzw. die Service Levels, die
hinsichtlich Kosten-, Zeit und Qualitätskriterien vereinbart sind. Im Falle des BPO sind diese bzw. die
einzelnen Teilprozesse eines Geschäftsprozesses so zu standardisieren, dass alle auslagerungswilli-
gen Unternehmen, die Kunden des BPO-Dienstleisters sind, identische Formate besitzen.
Skaleneffekte
Das am meisten vorgetragene Argument für BPO beruft sich auf die Economies of Scale. BPO ver-
hilft dem Dienstleister zu höheren Prozessmengen, die ihn in die Lage versetzen, Transaktionen zu
niedrigeren Stückkosten durchzuführen und seinem Kunden preisgünstiger anzubieten, als dessen
Prozesskosten bei „Eigenfertigung“ betragen. Die Skaleneffekte gehen zum einen auf die Bündelung
der Aufträge zurück, was dem Dienstleister zu einer höheren kumulierten Ausbringungsmenge ver-
hilft und dadurch in die Lage versetzt, Fixkostendegression, Lern- und Erfahrungseffekte auszunut-
zen. Zum anderen hat er die Möglichkeit, spezialisierte Ressourcen mit günstigeren Kostenstruktu-
ren auszulasten. Dies betrifft insbesondere Branchen-, Prozess- und Technologiespezialisten. Hinzu
kommt, dass die höher aggregierten Volumina beim Dienstleister zu einer größeren Einkaufsmacht
führen, falls das Outsourcing mit Materialbeschaffung oder Investitionen verbunden ist. Gegebe-
nenfalls können Rahmenverträge abgeschlossen werden, die das working capital auch des Kunden
reduzieren helfen.
Spezialisierungseffekte
Spezialisierungseffekte knüpfen unmittelbar an den Skalenerträgen an. Die Supportprozesse ei-
nes Kunden sind in der Regel Kernprozesse des BPO-Dienstleisters. Seine Kernkompetenz liegt in
der Prozess- und Branchenerfahrung, über die das Kundenunternehmen nicht verfügen kann. Sein
Wettbewerbsvorteil liegt in der Fähigkeit, Anbieter von „best practices“ bei der Durchführung der
betreffenden Prozesse zu sein. Dazu benötigt er spezialisiertes Wissen, innovative Verfahren und
Technologien, die ihn als Dienstleister wettbewerbsfähig machen. Dieser Marktdruck des Dienstleis-
tungsanbieters, kontinuierliche Prozessverbesserungen zu realisieren, unterscheidet ihn wesentlich
von seinen Kunden, die solchen Wettbewerbsbedingungen in ihren Supportbereichen nicht ausge-
setzt sind. Der BPO-Dienstleister kann folgende Spezialisierungsvorteile anbieten (Dittrich/Braun
2004, S. 36):
- die Verfügbarkeit von Branchen-, Prozess- und Technologiespezialisten,
- ein auf die Dienstleitungserstellung fokussiertes Prozessmanagement, das hinsichtlich des betref-
fenden Prozesstyps „best practice“-Ambitionen verfolgt,
- ein Anreizsystem, das Mitarbeiter in einem innerbetrieblichen Wettbewerbsumfeld zu hoher Pro-
zessqualität anhält und ein Prozesscontrollingsystem, das die Wettbewerbsfähigkeit des BPO-
Dienstleisters laufend überwacht.
Geschäftsprozess und Prozessmanagement
27
Produktivitätsvorteile im Leistungsvollzug durch Outsourcing setzten bereits Spezialisierung und
Standardisierung auch bei den Kundenprozessen voraus, da ansonsten weder die Mengen- noch die
Spezialisierungsynergien beim BPO-Dienstleister gehoben werden können.
Scopeeffekte
Das BPO von Teilprozessen hat u. U. zusätzliche Schnittstellen zur Folge. Beispielsweise löst die
Ausgliederung des „Procedure-To-Pay-Prozesses“ diesen von anderen Teilprozessen des Beschaf-
fungs- bzw. Lieferantenmanagements. Das BPO muss daher Verbundeffekte berücksichtigen, wenn
es nicht zusätzliche Schnittstellen hervorrufen will. Die Einzelprozesse sind in einem homogenen
IT-System zu betreiben und Medienbrüche zu vermeiden. Ein wirtschaftliches Prozessmanagement
muss dem BPO-Dienstleister die Möglichkeit einräumen, den Gesamtprozess zu kontrollieren. Je
größer sein Einflussbereich, desto größer sind die positiven Verbundeffekte (Dittrich/Braun 2004,
S. 34). BPO sollte keine zusätzlichen Schnittstellen in einem Geschäftsprozess hervorrufen. Andern-
falls ist weder die Leistung des Dienstleisters noch die Effizienz des externalisierten Geschäftspro-
zesses überprüfbar.
Zu beachten ist allerdings, dass mit zunehmendem Prozessumfang (Scope) das Nutzungspotenti-
al von Skaleneffekten abnimmt. Die Geschäftsprozesse sind unternehmensspezifischer und diffe-
renzierter als einzelne ihrer Teilprozesse. Gegenläufige Kostenentwicklungen zwischen Scale- und
Scopeeffekten sind daher nicht auszuschließen.
Flexibilisierungsvorteile
Eines der wesentlichen Motive des BPO ist die Variabilisierung fixer Gemeinkosten. Durch Out-
sourcing fixer Prozesskosten sollen die noch im Unternehmen verbleibenden bzw. zu verrechneten
Prozesskosten mit der Prozessmenge variieren. Dadurch kann letzthin der Break-Even des Unter-
nehmens herabgesetzt werden. Allerdings gelingt es nur bedingt, Prozesskosten gleichsam wie
Materialkosten proportional zur Produktmenge zu kalkulieren. In der Praxis werden nicht transakti-
onsbasierte Preismodelle verhandelt, sondern Transaktionsvolumen festgelegt, für die eine entspre-
chende Gebührenstruktur festgelegt wird. So werden prozessmengenbezogene Abnahmevolumen
garantiert, die bezahlt werden müssen, auch wenn die Untergrenze der vertraglichen Leistungsab-
nahme unterschritten wird. Damit kann der Vorteil der Kostenvariabilität wesentlich eingeschränkt
sein (Dittrich/Braun 2004, S. 48f).
Zur Flexibilisierung trägt auch die Vermeidung von Kapitalbindung in nicht wettbewerbskritischen
Supportprozessen bei. Durch Outsourcing können prozessspezifische Investitionen in Hardware,
Software und vor allem in die Personalentwicklung zurückgeführt und damit das entsprechende be-
triebsnotwendige Kapital reduziert werden. Insbesondere wenn Ersatz- und Erweiterungsinvestitio-
nen anstehen, bietet sich die Alternative Outsourcing an.
Hoch spezifische Geschäftsprozesse und solche von hoher strategischer Bedeutung, also typische
Kernprozesse, eignen sich kaum für BPO, während die Leistung von Supportprozessen in aller Regel
auch über die Beschaffungsmärkte beziehbar ist. Eine hohe Standardisierbarkeit ist Voraussetzung
dafür, Prozesse bündeln und sie einem externen Dienstleister übertragen zu können. Zeichnen sich
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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Prozesse durch unternehmensspezifische Besonderheiten aus, dann besteht die Gefahr, dass die
Kosten des Schnittstellenmanagements die günstigere Kostenstruktur des BPO-Dienstleisters über-
kompensieren (Wullenkord/Kiefer/Sure 2005, S. 36f).
Outsourcing einzelner Geschäftsprozesse führt mitunter dazu, dass das gesamte Unternehmen ei-
ner Restrukturierung unterzogen werden muss. Mitunter eröffnet es nicht nur Spielräume, sondern
zwingt das Unternehmen, sein Geschäftsmodell grundlegend zu überarbeiten und neue Domänen
aufzubauen. Beispielsweise hatte das Outsourcing des gesamten Fertigungsprozesses bei Unter-
nehmen wie Adidas, Benetton, Nike, Levis oder Cisco eine Neuorientierung aller Unternehmens-
aktivitäten in den Entwicklungs-, Vertriebs- und Marketingprozessen zur Folge. Die Fähigkeit zur
Integration der Geschäftsprozesse mit den Outsourcing-Partnern wird zu einer wesentlichen Kern-
kompetenz.
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Autor
Gaitanides, Michael; Prof. Dr.; Inhaber des Lehrstuhls; Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisationstheorie; Helmut Schmidt Universität; Holstenhofweg 85; 22043 Hamburg
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
3030
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen AusbildungAugust-Wilhelm Scheer, Michael Hoffmann
1 Festlegung von Inhalten für die kaufmännische Ausbildung
1.1 Veränderungen in der Gesellschaft führen zur Anpassung von Lehrplänen
Seit der Entdeckung einer planvollen Ausbildung, beispielsweise zur Erreichung eines Schulab-
schlusses oder zur Erreichung einer handwerklichen Qualifikation wie Geselle oder Meister, beschäf-
tigt sich die Pädagogik mit der Erstellung von Lehrplänen. Im Fokus steht sowohl die Methodik zur
Beschreibung von Lehrinhalten als auch die Definition der Lehrinhalte selbst.
Wilhelm Busch, als Vertreter der eher populären Literatur, beschreibt Lehrinhalte der Volksschule fol-
gendermaßen (Busch 1917, 4. Streich):
Also lautet ein Beschluss,
dass der Mensch was lernen muss. -
Nicht allein das ABC
bringt den Menschen in die Höh‘.
Nicht allein in Schreiben, Lesen
übt sich ein vernünftig Wesen.
Nicht allein in Rechnungssachen
soll der Mensch sich Mühe machen,
sondern auch der Weisheit Lehren
muss man mit Vergnügen hören.
Erich Weniger, ein anerkannter Vertreter der Curriculumforschung, bezeichnet den Inhalt eines Lehr-
plans als geistigen Besitz einer Gesellschaft (Weniger 1964). Eine Gesellschaft unterliegt im Laufe der
Zeit jedoch Veränderungen. Diese Veränderungen sollten auch Anpassungen in den Lehrplänen zur
Folge haben. Josef Dolch beschreibt in seinem Werk „Der Lehrplan des Abendlandes“ die Geschich-
te des Lehrplans über zweieinhalb Jahrtausende hinweg und zeigt Veränderungen auf (Dolch 1982).
Bezogen auf die heutige Zeit lässt sich feststellen, dass die Durchdringung im wirtschaftlichen und
privaten Bereich mit Informationstechnologie (IT) über die Jahre hinweg mehr und mehr zugenom-
men hat.
Studien besagen, dass Unternehmen mit einem hohen Durchdringungsgrad bereits nach einem IT
Ausfall von mehr als 30 Minuten bedeutende wirtschaftliche Schäden erleiden, die im Extremfall bis
hin zum Verlust des Unternehmens führen (Patterson 2002).
31
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
31
1.2 Wirtschaftsinformatik als Mittler zwischen Betriebswirtschaftslehre und IT
Zwischen der Betriebswirtschaftslehre, als Synonym für den kaufmännischen Bereich, und der IT be-
steht eine wechselseitige Beziehung. Zum einen sollte die IT dahingehend untersucht werden, in wie
weit neue technische Verfahren neue betriebswirtschaftliche Anwendungsszenarien ermöglichen.
Zum anderen stellt die Betriebswirtschaftslehre neue Anforderungen an die IT, die zur Entwicklung
neuer IT-Konzepte führen (Scheer 1994). Beide Beeinflussungsrichtungen sind Betrachtungsgegen-
stand der Wirtschaftsinformatik.
Die Wirtschaftsinformatik als Disziplin, die Erkenntnis, dass viele Betriebe ohne konsequenten Ein-
satz von IT und betriebswirtschaftlichen Anwendungskonzepten nicht überlebensfähig bleiben sowie
die Forderung, dass Lehrinhalte an die Bedürfnisse der Gesellschaft angepasst werden sollten, be-
gründen die Aufnahme entsprechender Inhalte in den kaufmännischen Unterricht.
Kapitel 2 stellt nachfolgend die Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) als Rahmen-
konzept zur Definition von Geschäftsprozessen und der vollständigen Beschreibung von Informa-
tionssystemen dar. Kapitel 3 beschreibt die systemtechnische Umsetzung des ARIS Konzeptes in
dem gleichnamigen Produkt der IDS Scheer AG. Kapitel 4 zeigt beispielhaft ein Vorgehen für den
praktischen Einsatz von ARIS in Kombination mit Produkten der SAP AG auf. Kapitel 5 erläutert die
Integration von ARIS in die Lehre verschiedener Schulformen und gibt einen Ausblick in die Zukunft.
2 Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS)
Ende der achtziger Jahre existierte kein insgesamt zufriedenstellendes Konzept bezüglich Methoden
zur Beschreibung organisatorischer Abläufe. Das ARIS- Konzept, insbesondere das grafische ARIS-
Haus-Modell, sollte sowohl der Forderung nach Einfachheit für den Benutzer als auch der methodi-
schen Stringenz hinsichtlich der Übertragung der Prozessinhalte in die informationstechnischen Un-
terstützungssysteme gerecht werden.
Dies drückt sich zum einen in dem Konzept der Sichtenzerlegung und zum anderen in einem
Lifecycle-Konzept, das den Weg von der Unternehmensstrategie zur informationstechnischen Imple-
mentierung beschreibt, aus. Das 1991 in der ersten Auflage veröffentliche ARIS-Buch hat sich inter-
national durchgesetzt (Scheer 1998).
2.1 Die ARIS Sichten
Ein Geschäftsprozess stellt die Definition von Aufgaben oder auch Funktionen und ihrer Abfolge dar,
die zur Erreichung eines Unternehmensziels notwendig sind.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
3232
Neben der Aneinanderreihung und gegebenenfalls mit booleschen Operatoren verknüpfte Verzwei-
gungen von Funktionen sind zur vollständigen Beschreibung von Geschäftsprozessen bzw. deren
Umsetzung in Informationstechnologie weitere Inhalte erforderlich:
• Organisationseinheiten,
• Menschliche Arbeitsleistung,
• Maschinenressourcen,
• Computer-Hardware Ressourcen,
• Ereignisse,
• Umfelddaten,
• Ziele,
• Anwendungssoftware und
• Leistungen.
Diese Inhalte werden gemäß dem ARIS-Haus (Vgl. Abb. 1) zwecks Reduktion der Komplexität zer-
legt in die
• Funktionssicht,
• Organisationssicht,
• Datensicht,
• Leistungssicht und
• Steuerungssicht (Prozesssicht).
Organisation
Daten FunktionenProzesse
Produkte/Leistungen
Businessmanage-
ment
ProductionSales
Sales Employee
ProductionPlanner
Sales Data
Order Data
Customer Data
Order Data
Customer Order
Entered
Order Confirmation
Created
Order Confirmation
Customer Order
Confirmation
Sales Employee
Order Confir-mation
Sales Processing
Order Follow-up
Customer Placement of
Order
Sales Activities
Customer Order
Confirmation
Customer Order
Abb. 1: ARIS-Sichten
33
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
33
Die Funktionssicht beschreibt dabei die Vorgänge (Funktionen, Tätigkeiten), die Input-Leistungen zu
Output-Leistungen transformieren. Da Funktionen Ziele unterstützen und durch sie gesteuert wer-
den, werden Ziele ebenfalls der Funktionssicht zugeordnet. Dies gilt auch für computergestützte Be-
arbeitungsrege in einer Funktion.
In der Organisationssicht werden die Organisationseinheiten der Aufbauorganisation eines Unter-
nehmens als Träger von Aufgaben zusammengefasst. Sie beinhaltet ebenfalls die menschliche Ar-
beitsleistung, die maschinelle Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Computer-Hardware.
Die Datensicht beschreibt die Umfelddaten der Vorgangsbearbeitung bzw. die Nachrichten, die von
Funktionen erzeugt werden und andere Funktionen auslösen.
Die Leistungssicht enthält alle materiellen und immateriellen Input- und Output-Leistungen ein-
schließlich der Wertflüsse.
Die Steuerungs- oder Prozesssicht beinhaltet die durch die Sichtenzerlegung verloren gegangenen
Beziehungen zwischen den Elementen der Einzelsichten und eine vollständige Prozessbeschrei-
bung. Während Funktions-, Organisations-, Daten- und Leistungssicht die statische oder strukturelle
Sicht eines Informationssystems beschreiben, wird in der Prozesssicht durch die Ereignissteuerung
das dynamische Verhalten dokumentiert.
2.2 Das ARIS Phasenmodell
Bis hierhin wurden die Geschäftsprozesse mehr betriebswirtschaftlich, ohne engeren Bezug zur
Informationstechnik betrachtet. Daher wird ein Phasenmodell (Vgl. Abb. 2) eingeführt, das unter-
schiedliche Beschreibungsstufen zur Umsetzung betriebswirtschaftlicher Probleme in Computersys-
teme charakterisiert. Die erste Phase beschreibt die DV-orientierten strategischen Anwendungskon-
zepte. Die strategische Unternehmensplanung bestimmt die langfristigen Unternehmensziele und
wirkt somit auf die Gestaltung der Geschäftsprozesse, deren Ziele, die Allokation von Ressourcen
und die kritischen Erfolgsfaktoren ein. In der zweiten Phase (Fachkonzept oder Requirements Defi-
nition) werden die unterschiedlichen Sichten eines Informationssystems mit stärker formalisierten
Beschreibungssprachen dokumentiert, die als Ausgangspunkt für eine konsistente DV-technische
Umsetzung dienen können. So kann zur Beschreibung der Datensicht beispielsweise das Entity Re-
lationship Modell (ERM) (Chen 1976) oder auch die Klassendarstellung der UML (Unified Modeling
Language) (Oestereich 1997) herangezogen werden. Die dritte Phase wird als DV-Konzept (Design
Specification) bezeichnet. In dieser Phase werden die Modelle des Fachkonzeptes durch Anforde-
rungen der Schnittstellen von Implementierungswerkzeugen angepasst. So ließe sich beispielsweise
das auf der Datensicht definierte ERM in ein Relationenmodell (Codd 1970, S. 377 ff.) überführen.
Im Rahmen der vierten Phase, der technischen Implementierung (Implementation Description) wer-
den die Anforderungen schließlich in einer konkreten Hard- und Softwareumgebung implementiert.
Das im DV-Konzept beschriebene Relationenmodell kann beispielsweise mit Hilfe der Datenbank-
programmiersprache SQL in einem Datenbankmanagementsystem implementiert werden. Mit der
technischen Implementierung ist in der Systementwicklung die Build Time abgeschlossen. Mit der
Produktivsetzung geht das System in die Phase Betrieb und Wartung über.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
3434
Unter Anwendung des Phasenmodells auf jede einzelne Sicht des ARIS-Hauses ergibt sich ein Ord-
nungsrahmen, in den sich sowohl strukturierte als auch objektorientierte Modellierungsmethoden
einordnen lassen.
Abb. 2: Einführung des ARIS-Phasenmodells
3 Die ARIS „Platform“
Im Rahmen von Forschungsarbeiten am Institut für Wirtschaftsinformatik (IWi) an der Universität des
Saarlandes entstanden Prototypen zur IT-Unterstützung der Beschreibung und Optimierung von Ge-
schäftsprozessen nach dem ARIS-Modell. Auf Basis dieser Prototypen wurde 1991 die Entscheidung
getroffen, bei der IDS Scheer AG ein Softwareprodukt zur Modellierung von Geschäftsprozessen zu
entwickeln. Einige Mitarbeiter wechselten vom Institut für Wirtschaftsinformatik zur IDS Scheer AG
und es gelang innerhalb von kurzer Zeit auf Basis der gesammelten Erfahrungen ein komplett neues
Softwaresystem zu entwickeln, das bis heute viele Erweiterungen zur ARIS „Platform“ erfahren hat.
Die Analysten von Gartner positionieren die IDS Scheer AG mit ARIS seit 1997 rechts oben im ma-
gischen Quadranten für Geschäftsprozessanalyse. Ebenso sieht Forrester das Produkt in führender
Position. Das Produkt wird weltweit von über 7.500 Kunden eingesetzt.
ARIS startete als reines Modellierungswerkzeug, war aber von Anfang an durch das Lifecycle-Kon-
zept des ARIS-Hauses konzeptionell darauf vorbereitet, die Prozessmodelle mit der Implementie-
rungsebene zu verbinden. Durch die bereits bestehende Zusammenarbeit mit der SAP AG wurde
35
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
35
dann die Verbindung der Modellierung mit den Customizing-Funktionen des SAP R/3-Systems erar-
beitet (Keller, Teufel 1998).
Diese Verbindung ist zu einem erfolgreichen Konzept herangewachsen und findet seine enge Kopp-
lung zwischen ARIS und dem Enterprise Service Repository (ESR) sowie dem Solution Manager der
SAP AG.
Heute deckt die ARIS Plattform ein weites Anwendungsspektrum (Vgl. Abb. 3) ab.
Abb. 3: Produkte der ARIS Plattform
4 ARIS Value Engineering for SAP
Der ARIS Value Engineering Ansatz ist ein ganzheitlich modellbasierter Ansatz für SAP Implemen-
tierungsprojekte. Er unterstützt alle Phasen des Geschäftsprozessmanagements, die mit Strategie,
Design (Fachkonzept und DV-Konzept), Implementierung und Controlling einen Kreislauf im Sinne
der kontinuierlichen Prozessverbesserung bilden. Innerhalb der Phasen sind standardisierte Pakete
definiert, deren Bearbeitung durch die Produkte ARIS, SAP Solution Manager und der Schnittstelle
zwischen beiden unterstützt werden (Vgl. Abb. 4). Eine zentrale und konsistente Ablage der Informa-
tionen wird gewährleistet. Diese Informationen stehen somit nicht nur während der Erstimplementie-
rung zur Verfügung, sondern dienen danach als wertvolle Benutzerdokumentation, bilden die Basis
für nachträgliche Änderungen oder belegen Vorgehensweisen in Bezug auf die Einhaltung von ge-
setzlichen Regelungen gegenüber Wirtschaftsprüfern. Vor der Produktivsetzung des Systems bilden
sie die Grundlage für das Testmanagement.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
3636
SAP Implementierung – Roadmap
Strategie Design Implementierung Controlling Abbildung
detaillierter Ist-Geschäfts-prozesse
Überwachung und Analyse der Prozess-Performancce
Implementierung der System Infrastruktur
Identifikation der Unternehmens-umwelt
Analyse des KSF zur Herleitung der strat. Ziele
Erfassen der Unternehmens-Landkarte
Festlegung der End-to-End Szenarien
Definition des Projektumfangs und des -plans
Entwicklung des Soll-Konzepts & der Soll-Prozesse (System neutral)
Auswahl der SAP Komponenten
Design der Soll-Prozesse (SAP basierend)
Aufbau eines initialen Prototyps (Umsetzbarkeit)
Durchführung der Prozess-konfiguration
Implementierung der Prozess-integration
Durchführung von Tests und Validierung
Durchführung der Anwender-trainings
Überwachung der System-Performance
Überwachung und Analyse der Org.-Performance
Überwachung von Regularien
Identifikation und Management von Verbesserungen
Entwurf des Business Blueprints
Go-live Management
Abb. 4: ARIS Value Engineering for SAP
4.1 Strategie-Phase
Vor Beginn einer Softwareeinführung muss definiert werden, welche Ziele aus Sicht der Geschäfts-,
Prozess- und IT-Strategie damit erreicht werden sollen. Neben der Positionierung des Unternehmens
sollte klar sein, welchen Wert welche Prozesse für das Unternehmen haben. Nur so können beispiels-
weise Alleinstellungsmerkmale gegenüber Mitbewerbern konsequent herausgearbeitet werden. Es
erfolgt ebenfalls eine qualitative und quantitative Bewertung der jeweiligen Prozesse.
Basierend auf den definierten Anforderungen können nun die Soll-Prozesse neu gestaltet werden.
Dies geschieht zunächst unabhängig einer zu implementierenden SAP-Lösung, um den Fokus auf die
strategische Lösung zu erhalten. Einen ersten Überblick über die unterstützten Szenarien geben die
SAP Solution Maps, die über den Solution Composer zur Verfügung gestellt werden.
Ergebnisse der Strategiephase sind beispielsweise eine Geschäftsfeldmatrix, eine Prozesslandkarte,
Kennzahlensysteme für die Performance und die Zielerreichung oder auch ein durchkalkulierter Busi-
ness Case, der die finanziellen Aspekte repräsentiert.
37
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
37
4.2 Design-Phase
In der Design-Phase wird den in der Strategie-Phase festgelegten Anforderungen durch konkrete
Prozessmodelle Rechnung getragen. Hierbei kann auf SAP Referenzprozesse, die über die Schnitt-
stelle zum Solution Manager in ARIS gezogen werden, oder auch auf Branchenreferenzmodelle zu-
rückgegriffen werden. Im Sinne eines Best Practice Ansatzes muss „das Rad nicht jedes Mal neu
erfunden werden“.
Eine Synchronisation der Inhalte zwischen ARIS und dem Solution Manager findet auf unterschiedli-
chen Hierarchiestufen statt (vgl. Abb. 5).
Abb. 5: Synchronisationsebenen ARIS und SAP Solution Manager
Die von der SAP AG ausgelieferten Referenzprozesse sind dreistufig aufgebaut. Es wird unterschie-
den in Szenarien, Prozessen und Prozessschritten. Diese wurden sowohl aus Branchen-, Produkt-
und Komponentensicht zusammengestellt. Des Weiteren sind Stammdatenelemente als auch Sys-
temorganisationsstrukturen dokumentiert. Da die bereitgestellten Szenarien nicht immer den ge-
wünschten Abläufen im jeweiligen Unternehmen entsprechen oder der Projektfokus nicht in vollem
Umfang abgedeckt wird, können Unternehmen in ARIS eigene Szenarien zusammenstellen und neue
Objekte modellieren. Die Konformität und Datenkonsistenz wird dabei in ARIS durch Softwareassis-
tenten unterstützt. Nach einer Überführung der Inhalte in den SAP Solution Manager können zu den
Strukturelementen verfügbare Transaktionen ergänzt werden. Eine Resynchronisation mit ARIS ist
jederzeit möglich. Nach Ende der Design-Phase liegt der Blueprint vor. Dieser dient als Basis für die
Implementierung.
ARIS Solution Manager
Enterprise Map
ProcessArea
Main Process
Process
Activity
TA
Business ProcessHierarchy
SAP ProcessHierarchy
Scenario
Process
ProcessStep
TA
Scenario
Process
ProcessStep
TA
Synchron
ization
Level 0
Level 1
Level 2
Level 3
Level 4
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
3838
4.3 Implementierungs-Phase
In der Implementierungsphase hat der SAP-Solution Manager die führende Rolle. Um jedoch bei-
spielsweise die Konfiguration von einzelnen Prozessen vornehmen zu können, besteht die Möglich-
keit, direkt aus ARIS heraus von einem Strukturelement in die Konfigurationssicht des Solution Ma-
nagers hinein zu springen. Auf Basis der in ARIS definierten Szenarien können im Solution Manager
auch die Testszenarien angelegt werden. Des Weiteren werden sowohl die rollengerechte Schulung
von den späteren Systembenutzern als auch die Dokumentation des Systems aus ARIS heraus un-
terstützt.
Die eigentliche Anpassung des Systems erfolgt auf Basis der Funktionalitäten des Solution Mana-
gers in Bezug auf Projektmanagement und Customizing.
4.4 Controlling-Phase
Im Rahmen der Controlling-Phase werden die organisatorische Performanz, die Geschäftsperfor-
manz und die Systemperformanz beobachtet und anhand der in der Strategie-Phase festgelegten
Kennzahlen bewertet. Gleiches gilt für die Service Level Agreements, die vertraglich zugesicherten
Kenngrößen für den Systembetrieb (Verfügbarkeit, Antwortzeitverhalten etc.). Hierzu können andere
Produkte der ARIS-Plattform wie der ARIS Process Performance Manager oder auch der ARIS Risk
and Compliance Manager eingesetzt werden.
Die Ergebnisse der Controlling-Phase bilden den Input für weitere strategische Betrachtungen im
Rahmen einer kontinuierlichen Prozessverbesserung. Der Kreislauf des Geschäftsprozessmanage-
ments (Business Process Managements) wurde geschlossen. Im Rahmen des Change Request Ma-
nagements können neue oder geänderte Anforderungen auf die beschriebene Art und Weise umge-
setzt werden.
5 ARIS @ School und ARIS Hochschulprogramm
Die Analyse, Bewertung und Optimierung innerbetrieblicher Abläufe sollte heute ein wesentlicher
Bestandteil des Unterrichts bei der Ausbildung von IT- und kaufmännischen Berufen sein. Das Pro-
zesswissen betrifft nahezu jeden Arbeitsplatz. Somit ist es ein Thema für berufsbildende Schulen
(Jost 2005).
Die Geschäftsprozessmodellierung, -analyse und -optimierung hat bereits teilweise Eingang in die
Lehrpläne gefunden (Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft 2007), ist jedoch noch nicht
flächendeckend eingeführt.
Diese mitunter noch sehr abstrakte Unterrichtsthematik konnte bisher meist nur losgelöst von der be-
trieblichen Praxis, ohne konkrete Modellunternehmungen und -prozesse dargestellt werden.
Als Hilfsmittel für den Unterricht standen meist nur Tafel und Kreide, bestenfalls einfachste compu-
tergestützte Zeichenprogramme zur Verfügung.
39
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
39
Dieses birgt im Vergleich zu einer realitätsnahen Erarbeitung der Geschäftsprozesse mit Werkzeugen
aus der Praxis deutliche Nachteile hinsichtlich Transferleistung und kognitiver Verankerung bei den
Auszubildenden. Gerade im Bereich der Geschäftsprozessoptimierung hängt der Erfolg eines Pro-
jektes häufig wesentlich vom Computereinsatz und den Werkzeugen ab (Seidlmeier 2002).
Im Jahr 2001 startete die IDS Scheer mit dem Projekt „Aris@school“ eine Initiative, welche die stär-
kere Kooperation von Schule, Wissenschaft und Wirtschaft zum Ziel hat. Hierbei werden berufsbil-
dende Schulen mit einem kostenlosen Software-Paket ausgerüstet.
Mit der Software ARIS, erweiterten Schulungsunterlagen (Beispieldatenbanken, Musteraufgaben)
und einer Schulung der Lehrkräfte kann der Unterrichtsblock Geschäftsprozessmodellierung praxis-
nah gestaltet werden. Die Internetpräsenz http://www.aris-at-school.de wurde zur Bereitstellung von
Informationen und zum Wissensaustausch aufgebaut.
Mit mehreren Bundesländern (Niedersachsen, Saarland, Bremen, Berlin und Schleswig Holstein)
wurden bereits Rahmenverträge geschlossen und der Einsatz von ARIS in berufsbildenden Schulen
und die Fortbildung der Lehrkräfte ermöglicht. Die Rahmenverträge wurden durch Verhandlungen
mit den Kultusministerien, der IHK und weiteren Bildungsträgern (Verein n-21 in Niedersachsen) er-
möglicht. Auch aus vielen anderen Bundesländern nehmen schon Schulen an dem Projekt teil.
Die Rahmenverträge (individuell für jedes Bundesland) sehen (auszugsweise zur Orientierung) fol-
gendes vor:
Die IDS Scheer stellt dem Kultusministerium (oder Verein n-21 in Niedersachsen) kostenlos die Soft-
ware „ARIS 7.x“ für berufsbildende Schulen und Studienseminare für das Lehramt an berufsbilden-
den Schulen zur Verfügung. Dieses ARIS StartUp-Paket dient ausschließlich dem Zwecke der For-
schung und Lehre und darf nur an berufsbildende Schulen und Studienseminare für das Lehramt an
berufsbildenden Schulen verteilt werden. IDS Scheer gibt dem Kultusministerium die Berechtigung,
nach eigener Wahl 100 Schullizenzen an berufsbildende Schulen und Studienseminare für das Lehr-
amt an berufsbildenden Schulen zu verteilen. ARIS StartUp-Pakete bestehen aus:
1 ARIS 7.x Server für 61 Clients
1 ARIS 7.x Business Architect
60 ARIS 7.x Business Designer
60 ARIS 7.x UML Designer
Ob die Schulungen dezentral in den einzelnen Schulen oder zentral für alle Schulen organisiert wer-
den, hängt auch von den Rahmenverträgen ab. So finanzierte im Saarland das Kultusministerium die
Schulungen. Diese Schulungen wurden von der IDS Scheer und dem LPM (zuständig für die Lehrer-
ausbildung) zentral durchgeführt. In Niedersachsen wurden die Schulungen von einem Partner der
IDS Scheer AG durchgeführt, der in einem Pilotprojekt zusammen mit der teilnehmenden Schule BBS
Haarentor Schulungsunterlagen entwickelt hat. Hierbei handelt es sich nicht nur um Beispieldaten-
banken und Szenarien, sondern auch um explizite und didaktisch aufbereitete Publikationen. In Zu-
sammenarbeit mit der IDS Scheer AG entstand der „Workshop Geschäftsprozesse“. Dieses achtzig
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
4040
Seiten umfassende Arbeitsheft wurde speziell für den Einsatz in berufsbildenden Schulen und Gym-
nasien entwickelt. (Harms 2007). Auch aus dem Hochschulumfeld ist eine große Menge von Sekun-
därliteratur entstanden, die zum Unterrichtseinsatz geeignet ist. Beispielsweise beschreibt Seidlmei-
er (Seidlmeier 2002) Szenarien im Logistikumfeld.
Unter der Internet URL http://www.schulprozesse.de besteht die Möglichkeit, Unterrichtsmaterial
und Schulungsunterlagen zu bestellen.
Derzeit wird ARIS deutschlandweit an über 150 berufsbildenden Schulen eingesetzt. Die Initiative
ARIS@school wird fortgeführt. Weitere Rahmenvereinbarungen mit Bundesländern werden verhan-
delt, um kommenden Generation mit dem aktuellsten Wissen zum Geschäftsprozessmanagement
mit ARIS auszubilden.
Um Geschäftsprozessmanagement und ARIS auch in der globalen Hochschullandschaft zu etablie-
ren, hat die IDS Scheer AG ein eigenes Programm aufgesetzt. So wird ARIS weltweit bereits von mehr
als 200 Bildungs- und Forschungseinrichtungen in der Lehre eingesetzt.
Das „ARIS Education Program“ eröffnet führenden Universitäten und Hochschulen einen schnel-
len und einfach umsetzbaren Weg, die Methode und die Software ARIS für Ausbildungs- und For-
schungszwecke einzusetzen. Das Angebot steht vor allem Lehrstühlen und Fakultäten der Wirt-
schaftswissenschaften, Informatik sowie Wirtschaftsinformatik an Universitäten, polytechnischen
und Wirtschaftshochschulen offen und hat nachfolgend aufgelistete Schwerpunkte:
1. Eine erweiterte Partnerschaft für Geschäftsprozess Management, Process Design & Analysis
und/oder Process Intelligence & Performance Management
Das Design- und Analyse-Paket besteht aus der Software ARIS Business Architect und ARIS
Simulation zur Modellierung, Optimierung und Simulation von Geschäftsprozessen. Es wird ein
zentrales Repository für die formale modellbasierte Anforderungsanalyse einer automatisierten
Performance Management Lösung zur Verfügung gestellt. Die Anforderungen liegen als unter-
schiedliche Modelltypen vor und erlauben somit einen Überblick über das Design, der geplanten
Lösung vor der Einführung der Implementierung der Prozesse. Weiterhin ermöglicht dieses Paket
die Prüfung von Prozessverbesserungsmaßnahmen durch Simulationen.
Das ARIS Process Performance Management (PPM) Hochschulpaket bietet eine sofort einsetz-
bare gekapselte Installation, eine Beispieldatenbank mit Demo-Mandanten sowie ein Tutorial zum
selbstständigen Aufsetzen eines Mandanten. Es besteht aus dem ARIS PPM zur Messung von
Kennzahlen von durchgeführten Geschäftsprozessen und deren Analyse. Zur Visualisierung der
Prozesskennzahlen werden ARIS Performance Dashboards (Vgl. Abb. 6) eingesetzt. Weiterhin
sind Übungen inklusive Lösungen und eine vollständige technische Dokumentation sowie Benut-
zerhandbücher zur Analyse der Szenarien enthalten.
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Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
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Abb. 6: Visualisierung von Prozesskennzahlen
2. vergünstigter Bezug von ARIS Lizenzen für den nicht kommerziellen Einsatz in Forschung und
Lehre
3. ARIS Testlizenzen (1-3 Monate) für Universitätsangehörige und Studenten
In Europa ist das Programm bereits gestartet. Die Planungen für den Roll-Out in den asiatischen
und pazifischen Raum laufen derzeit. Im Rahmen des ARIS Education Program hat die IDS Scheer
AG mit http://www.ARISCampus.com eine BPM Community ins Leben gerufen (Vgl. Abb. 7). In
dieser Community bietet sie Hochschulen und Studenten die Möglichkeit, sich über ARIS auszu-
tauschen, Unterstützung zu erhalten, mit anderen ARIS Anwendern zu diskutieren, Informationen
und Forschungsergebnisse zu teilen oder auch Lizenzen zu beantragen. Weiterhin finden interes-
sierte Universitäten hier Informationen zum ARIS Education Program.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
4242
Abb. 7: ARIS Research & Education Community
Mit diesen Initiativen wird ARIS auch in die Ausbildung, Forschung und Lehre getragen und Auszubil-
dende, Studenten wie auch der wissenschaftliche Nachwuchs mit einer anerkannten und führenden
Methode sowie dem aktuellen und besten Werkzeugen aus der Praxis ausgestattet.
Mit den beschriebenen Initiativen hilft die IDS Scheer AG der Kritik, die bereits Seneca im ersten
Jahrhundert gegenüber dem Ausbildungssystem äußerte, der Mensch lerne für die Schule und nicht
für das Leben, entgegenzutreten (Seneca d. J., 1. Jahrhundert).
43
Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung
43
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Scheer, A.-W.: EDV-orientierte Betriebswirtschaftslehre – Grundlagen für ein effizientes Informationsmanagement, 4. Auflage, Berlin et al. 1990
Scheer, A.-W.: ARIS – Vom Geschäftsprozess zum Anwendungssystem, 3. Auflage, Berlin et al. 1998
Scheer, A.-W.: ARIS – Modellierungsmethoden, Metamodelle, Anwendungen, 3. Auflage, Berlin et al. 1998
Weniger, E.: Die Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans, 8. Auflage, Beltz 1964
Autoren
Scheer, August-Wilhelm; Prof. Dr. Dr. h.c. mult.; Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender; IDS Scheer AG; Executive; Altenkesseler Str. 17; D-66115 Saarbrücken; Mail: [email protected]
Hoffmann, Michael; Dipl.-Hdl.; Leader Global Solution Center Governance, Risk and Compliance; IDS Scheer AG; IDS Scheer Technologies; Altenkesseler Str. 17; D-66115 Saarbrücken; Mail [email protected]
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
4444
Die Einstellung der Parameter von StandardsoftwarePeter Mertens
1 Wesen
Unter einem Parameter soll eine Stellgröße verstanden werden, durch deren Veränderung der
Mensch das Verhalten des Informationsverarbeitungs-Systems (IV-Systems) beeinflussen kann. Bei-
spiele sind der Mindestabstand zweier Aufträge für das gleiche Teil im Rahmen der Materialbedarfs-
planung oder der Splittungsschlüssel, mit dem im Werkstattbereich festgelegt wird, ob und wie ein
Fertigungsauftrag auf mehreren Maschinen parallel bearbeitet werden soll. Parameter sind zu unter-
scheiden von solchen Daten, die ein Fixum ohne planerischen Spielraum darstellen, beispielsweise
eine Bearbeitungszeit an einer Maschine.
Die Parameter dienen dazu, die Standardsoftware an betriebliche Merkmale (unter anderem Wirt-
schaftszweig, Branche, Betriebstyp, Konjunkturlage) anzupassen. Sie mögen auch aus Feigheit der
Systementwickler heraus zu erklären sein, wie dem Autor von einem der Gründer und zugleich Pio-
nier-Entwickler des SAP-Systems gesagt wurde: Die Systemingenieure können sich nicht für eines
von vielen alternativen Verfahren (z. B. Methoden zur Reihenfolgeoptimierung in der Fertigung) ent-
scheiden und programmieren daher mehrere, aus denen der Kunde dann auswählen muss. Die Stell-
größen sollen es Unternehmen erleichtern, ihre Ziele (z. B. Maximierung der Rentabilität, Gewinnen
von Marktanteilen gegen einen Konkurrenten, Risikominimierung) durchzusetzen.
2 Die Problemlage
Standardsoftware enthält eine extreme Zahl von Parametern. Wenn z. B. 10 Stellgrößen (etwa Min-
destbestand oder Höchstbestand von Materialien, a-b-g-Faktoren zum exponentiellen Glätten bei
Trend- und Saisonschwankungen) zur maschinellen Disposition eines Teils gebraucht werden und
das Unternehmen nur 10.000 solcher Positionen hat, haben wir es mit 100.000 Parametern allein in
diesem Sektor der betrieblichen Informationsverarbeitung zu tun.
Abgesehen von der Mengenproblematik hat man mit einer Reihe anderer Schwierigkeiten zu ringen:
1. Zahlreiche Parameter stehen untereinander in komplizierten Wechselwirkungen. So wie in der Me-
dizin und in der Pharmazie gibt es nicht-lineare Wirkungsverläufe, sowie Nebenwirkungen (siehe
unten).
2. Oft verfügt man nicht über die Zeit zur Ein- und Nachregulierung. Charakteristisch ist die Aussage
eines Projektleiters, der die Einführung des Materialwirtschaftssystems von SAP für das Erlanger
Universitätsklinikum zu verantworten hatte. Sein persönliches Hauptziel war: „Am 01.01. darf der
Bildschirm nicht dunkel bleiben“. Die Parameter würde man schon irgendwoher bekommen, z. B.
vom Universitätsklinikum Freiburg, wo man SAP schon früher eingeführt hatte. Nun ist aber der
Bedarf an Materialien, vor allem Medikamenten, in einer Klinik mit Schwerpunkt Chirurgie ein ganz
45
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware
45
anderer als in einer solchen mit Hauptaufgabe „Innere Medizin“, und daher müssen auch die Stell-
größen anders reguliert werden.
3. Die komplizierten Zusammenhänge zwischen der Parametereinstellung und den mit der Infor-
mationsverarbeitung angestrebten Zielen können nur von einer betriebswirtschaftlich gut ausge-
bildeten Fachkraft einigermaßen sicher beurteilt werden. Das für die Fertigung zuständige Vor-
standsmitglied eines größeren Maschinenbauunternehmens erklärte dem Autor: „Wenn wir das
SAP-System eingeführt haben werden, müssen wir alle unsere Disponenten durch Diplom-Wirt-
schaftsingenieure ersetzen“.
Die Bedeutung der Funktion „Parametergrundeinstellung und -pflege“ wurde lange Zeit grob unter-
schätzt:
Entsprechend stellen sich früher oder später Enttäuschungen ein:
Hierfür steht zunächst die Aussage eines Praktikers: „Nach der SAP-Einführung lagen unsere Halb-
fabrikatebestände höher als vorher.“
Neuerdings scheint freilich das Bewusstsein für das Problem zu wachsen: Das belegt die Konradin-
ERP-Studie 2009 mit der Aussage. „Die Ausgaben für betriebsspezifische Anpassungen liegen nun
mit den Softwarelizenzen gleichauf.“ (vgl. Abbildung 1) (Huttenloher, 2009).
Hardware/Middleware
Softwarelizenzen
Implementierung/Customizing
Schulungen von IT-Abteilungen/-Anwendern
29,2 %
28,9 %
14,9 %27,0 %
Der Customizing-Aufwand steigtVerteilung der Gesamtinvestitionen in ERP (1500 deutsche Firmen)
Abb. 1: Aufwand für Anpassungen
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
4646
3 Schwierigkeiten
Grund der angedeuteten Schwierigkeiten sind die komplizierten, häufig nicht-linearen Haupt-, Ne-
ben- und Wechselwirkungen (vgl. Abbildung 2).
Analysiert man die Wirkung eines Parameters stets isoliert für eine bestimmte Zielgröße bzw. ein ein-
zelnes Problem, so ist der Effekt noch überschaubar, und die Vor- und Nachteile verschiedener Para-
meterausprägungen sind weitgehend unstrittig. So ist z. B. in Abb. 2/I die – wohl plausible – Annahme
getroffen, dass das Problem verspäteter Auslieferungen an einen Kunden linear abnimmt, wenn man
die externe Priorität erhöht. Abb. 2/II zeigt einen schon schwerer zu kontrollierenden nichtlinearen (u-
förmigen) Verlauf. Erhöht man über Losgrößenparameter die Auftragsmenge von einem kleinen Wert
aus, so sinkt zunächst die Durchlaufzeit (DLZ), denn es geht weniger Kapazität durch Umrüsten ver-
loren. Nach einem Minimum steigt die Kurve wieder, weil große Lose Staueffekte erzeugen.
Handelt es sich jedoch um konkurrierende Zielsetzungen, wie sie insbesondere aus der Kombination
von Markt- und Betriebszielen entstehen, so wird die Entscheidung über die Güte einer bestimmten
Einstellung deutlich schwieriger (vgl. die Beispiele in Abb. 2/III und IV).
Verspätete Auslieferung
Problem
ParameterwertExt. Priorität
Problem
ParameterwertLosgröße
DLZ
I II
Problem
ParameterwertLieferbereitschaft
III
Enttäuschte Kunden
Entgangene Aufträge
Lager-kosten
ba
Problem
ParameterwertLosgröße
IV
Lagerbestand
DLZ
Auslastung von Engpässen
Abb. 2: Unterschiedliche Wirkungsmöglichkeiten von Parametern auf eine Zielgröße
47
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware
47
4 Hauptaugenmerk: Unternehmensziele
Es sollte sich von selbst verstehen, dass die IV in den meisten Betrieben den Unternehmenszielen auf
den oberen Ebenen der Zielpyramide Rechnung tragen muss. In praxi steht dem leider die von vielen
betriebswirtschaftlich nicht genügend geschulten IV-Spezialisten verfolgte Prozessorientierung im
Weg (Mertens, 1999). Es gilt daran zu erinnern:
1) Ökonomie heißt, Ressourcen bestmöglich auszunutzen.
2) In der (kapitalistischen) Marktwirtschaft bedeutet das für die Unternehmung: Maximierung der
Rentabilität (Gewinn / Kapital).
3) Da sich der Punkt maximaler Wirtschaftlichkeit (definiert als Ertrag / Aufwand) nicht mit dem ma-
ximaler Rentabilität deckt, ist Wirtschaftlichkeitsmaximierung theoretisch nicht exakt.
4) Prozessziele (minimale Kosten, Termintreue, minimale Durchlaufzeiten) sind theoretisch nur halt-
bar, wenn zahlreiche Ceteris-paribus-Klauseln gelten.
a) Trivial ist z. B. die Feststellung, dass sich der Informationsmanager Kostenminimierung nur
dann als Ziel stecken darf, wenn der Ertrag und die Kapitalbindung konstant bleiben.
b) Man erinnere sich an Sachverhalte, die teilweise physikalisch bedingt sind: Beschleunigung ver-
langt einen Aufwand, der überproportional zur erreichten Geschwindigkeit steigt. Dafür gibt es
auch viele Beispiele aus der betriebswirtschaftlichen Praxis, etwa bei Verkehrsunternehmen.
5) Ein beachtlicher Teil der Prozessveränderungen führt zu geändertem Ressourcenverbrauch, z. B.
Kapitalbindung. Daher ist auch bei derartigen Maßnahmen Rentabilitätsmaximierung als Ziel zu
beachten.
a) Die veränderte Kapitalbindung kann sich als Kapitalfreisetzung (Beispiel: reduzierte Lagerbe-
stände, Verzicht auf Zahlungsziele), als erhöhte Kapitalbindung (Beispiel: Investition in auto-
matisierte Fertigungsprozesse) oder bei kombinierten Maßnahmen (Beispiel: stärker automa-
tisierte Fließfertigung mit minimalen Puffern) als Saldo von Investitionen in Betriebsmittel und
Desinvestitionen in Lagern manifestieren.
b) Oft sind die Wirkungen erst bei genauerer Analyse festzustellen. (Beispiel: Eine neue Arbeits-
teilung in der logistischen Kette führt dazu, dass Lager nicht beim Produzenten, sondern beim
Logistikdienstleister entstehen. Der Hersteller finanziert diese Lager über höhere Preise, die
der Logistikdienstleister nimmt.)
6) Die prozessökonomischen Ziele sind oft nur schwer auf die Rentabilität zu projizieren. Es bedarf
erheblicher theoretischer und empirischer Forschung, um Behauptungen der „Prozesslehre“ zu
verifizieren oder zu falsifizieren.
Welche gründlichen Betrachtungen der Ursache-Wirkungs-Beziehung, die von IV-Projekten verän-
dert werden, geboten sind, soll Abbildung 3 zeigen. Die Pfeile verfolgen in vereinfachter Weise Zu-
sammenhänge bei einer Aktion mit dem Ziel einer Durchlaufzeit-Minimierung (etwa nach Art des viel
beachteten und imitierten TOP-Programms der Siemens AG). Es bleibt nachzurechnen, ob die Um-
satzsteigerung zu einer Gewinnerhöhung führt, die die verstärkte Kapitalbindung mehr als kompen-
siert, oder ob der Saldo aus erhöhter und verminderter Kapitalbindung negativ (= günstig) ist.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
4848
Auftrags-
akquisition
Durchlaufzeit-
minimierung
Beseitigung
von Engpässen Zwischenlager
Kapitalbindung
Umsatz
Investition erhöht
reduziert steigert
fordert
fordert
erleichtert
verringert
Abb. 3: Beispielhafte Ursache-Wirkungs-Ketten
Abbildung 4 zeigt ein missglücktes Projekt in einem Werk der Motorenfertigung. Die Strukturen wur-
den strikt nach dem Prozess bei der Auftragserfüllung ausgerichtet.
Es ergab sich aber eine ungünstige Ressourcenökonomie, weil die Maschinen in der Blechbearbei-
tung ungenügend ausgelastet wurden. Sehr bald wurde „re-re-engineert“ und die Blechfertigung im
Interesse einer besseren Kapitalrentabilität zentralisiert und verselbstständigt.
Fertigungsfluss
Bahnmotoren
Blechfertigung … …
Werkzeugmaschinenmotoren
Blechfertigung … …
Energieversorgungsmotore
Blechfertigung … …
Abb. 4: Business Process Re-Engineering in einem Werk der Motorenfertigung
Abbildung 5 bringt das Beispiel einer Prozessgliederung, wie sie im Zuge der SAP-Einführung bei
einem Hersteller von Fernsehgeräten gewählt wurde. Der Prozess „Auftragsbearbeitung“ („Order to
Invoice“) wurde getrennt von dem Prozess „Reparaturabwicklung“ („Complaint to Invoice“) geführt.
In beiden Prozessen werden teure Komponenten (Bildschirmeinheiten) benötigt, aber von den „Pro-
cess Owners“ separat disponiert. Die Folge dieser unkoordinierten Beschaffung waren Einbußen bei
der Beschaffungslogistik gewesen.
49
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware
49
ProduktionsprozessBildschirm-montage
Ersatz defekter Bildschirme
Koordinations-defizitServiceprozess
Abb. 5: Prozessgliederung bei einem Fernsehgeräte-Hersteller
5 Ausgewählte Parameterwirkungen
5.1 Einstellungen zur Aufbauorganisation
Als Beispiele wählen wir die Entscheidungen, wie im SAP-System mehrere Standorte zu einem oder
mehreren „virtuellen Werken“ zusammengefasst werden (Abbildung 6) und wie entsprechend die
Lagerorganisation abzubilden ist (Abbildung 7). Beispielsweise sieht das System zwei physisch be-
nachbarte Lager als eines an und unterscheidet bei der Verfügbarkeitsprüfung (siehe unten) nicht, ob
eine Materialposition X in Lager I oder II vorrätig ist (Dittrich, 2009, S. 41-44).
Ebene: Implementierung
Profile zur Werksanzahl im Zusammenhang mit Standorten
1 Standort-
spezifisches
Werk
Ein einziger Standort, für den nur ein Werk definiert wird.
Verwendung: Diese Lösung empfiehlt sich, falls innerhalb des einzigen
Standorts keine unterschiedliche Produktionsplanung oder Disposition
durchgeführt werden muss.
2 Standort-
übergreifendes
Werk
Ein Werk für mehrere Standorte.
Zusammenfassung von mehreren Standorten in einem Werk für eine ein-
heitliche, standortübergreifende Produktionsplanung und Disposition.
Verwendung: Ein übergreifendes Werk ermöglicht eine hohe Integration
zwischen den Produktionsstandorten. Durch die Zusammenfassung in ei-
nem Werk können eine einheitliche, standortübergreifende Produktions-
planung und Disposition durchgeführt werden.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
5050
3 Ein Standort mit
Betriebsteilen
Mehrere Werke je Standort.
Es ist ein Standort vorhanden; dieser umfasst allerdings mehrere Betriebs-
teile, für die jeweils ein eigenes Werk eingerichtet werden soll.
Verwendung: Diese Art der Organisationsgestaltung in der Material-
wirtschaft ermöglicht es, innerhalb eines Standorts mehrere, voneinander
unabhängige Produktionsplanungen, Dispositionen und getrennte Be-
standsführungen abzubilden.
4 Standort-
spezifische
Werke
Für die vorhandenen Standorte soll jeweils ein eigenes Werk eingerichtet
werden.
Verwendung: Dies ist zu empfehlen, um bei mehreren Standorten unter-
schiedliche Verfahren zur Produktionsplanung und Disposition anzuwen-
den oder heterogenen Anforderungen an die Bestandsführung Rechnung
zu tragen. Bei gleichen Materialien können pro Werk auch andere Disposi-
tionsparameter im Material(werks)stamm gesetzt werden.
Abb. 6: Varianten der Abbildung von Werken im SAP-System
Ebene: Implementierung
Profile zu Werken und Lagerorten
1 Einfache Lager-
ortorganisation
Es ist ein Werk vorhanden, für das ein Lagerort eingerichtet werden soll.
Verwendung: Ein globaler Lagerort pro Werk ist ausreichend, wenn keine
besonderen Anforderungen an eine differenzierte Disposition, Bestands-
führung, physische Lokalisierung oder an die Verfolgung von Warenbewe-
gungen bestehen.
2 Differenzierte
Lagerort-
organisation
Ein Werk soll mit mehreren Lagerorten eingerichtet werden.
Verwendung: Es können beliebig viele Lagerorte zu einem Werk ange-
legt werden. Bestimmte Lagerortbestände für das gleiche Material lassen
sich getrennt disponieren (die Bedarfsplanung erfolgt normalerweise
auf Werksebene). So können z. B. Produktionslagerbestände abgebildet
werden, die automatisch von Zentrallagern aufgefüllt werden sollen.
Ein Lagerort kann nur einem Werk zugeordnet werden. Nur über das
Lagerverwaltungssystem darf ein Lagerort mehreren Werken zugeordnet
werden.
3 Dezentrale
Lagerort-
organisation
Für mehrere Werke soll jeweils ein Lagerort eingerichtet werden.
Verwendung: Wie Profil 1.
4 Komplexe
Lagerort
organisation
Für mehrere Werke sollen je ein oder jeweils mehrere Lagerorte eingerich-
tet werden.
Verwendung: Wie Profil 2.
Abb. 7: Varianten der Abbildung von realen Lagern im SAP-System
51
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware
51
5.2 Einstellungen zur Methodenwahl
Als Beispiel nehmen wir die Dispositionsart. Mit ihr kann der Betrieb ganz maßgeblich den Pla-
nungs- und Beschaffungsaufwand beeinflussen. Er entscheidet damit zum einen, ob die Bedarfe
aus den aktuell vorliegenden Plan- und Kundenprimärbedarfen und den ihnen zugrunde liegenden
Stücklisten generiert werden (deterministische bzw. plangesteuerte Disposition) oder ob sie sich aus
Vergangenheitsverbräuchen ableiten, aus denen Prognoseinformationen gewonnen werden (ver-
brauchsgesteuerte Disposition). Bei plangesteuerten Verfahren ist der personelle und maschinel-
le (Rechenzeit-)Aufwand vergleichsweise hoch, die Disposition ist jedoch im Allgemeinen genauer
als bei verbrauchsgesteuerten Verfahren, die mit einem geringeren Planungsaufwand auskommen.
Das SAP-System bietet unter anderem folgende Alternativen:
PD: Deterministische Planung mit der Möglichkeit, die ungeplanten Bedarfe über eine Prognose zu
ermitteln
VB: Verbrauchsgesteuerte Disposition nach dem Bestellpunktverfahren mit personeller Festlegung
des Meldebestands
VM: Verbrauchsgesteuerte Disposition nach dem Bestellpunktverfahren mit maschineller Ermittlung
des Melde- und Sicherheitsbestands
VV: Verbrauchsgesteuerte Disposition durch Prognose der künftigen Periodenbedarfe
Wegen des mit computerunterstützten Lagerdispositionsmodellen verbundenen Aufwands werden
oft die zu disponierenden Materialien mithilfe einer am wert- bzw. mengenmäßigen Umsatz oder am
Lagerwert orientierten ABC-Analyse in drei Klassen eingeteilt. Die Teile mit hohem Umsatzanteil
(A-Teile) disponiert das System dann mit genaueren Verfahren als die mit mittlerem Umsatz (B-Teile)
oder gar die mit kleinem Umsatzanteil (C-Teile). Beispielsweise nimmt man die Bruttobedarfsvorher-
sage bei A-Teilen monatlich, bei B-Teilen nur vierteljährlich und bei C-Teilen sogar nur jährlich vor. Zur
Vorbereitung der Entscheidung, inwieweit man ein Teil vollautomatisch, im Mensch-Maschine-Dialog
oder personell disponiert, lässt sich auch die XYZ-Analyse heranziehen. Bei X-Teilen handelt es sich
um solche, deren Verbrauch recht zuverlässig vorherzusehen ist, während Z-Teile in ihrem Bedarf
stark schwanken. Y-Teile liegen zwischen diesen beiden Extrem-Ausprägungen. Abbildung 8 bringt
in Form eines Struktogramms Empfehlungen zur Auswahl eines Dispositionsverfahrens für das SAP-
System. Zu Grunde liegt die Überlegung, dass die Disposition umso mehr dem Sachbearbeiter ob-
liegen soll, je diffiziler die Prognose ist. (Das Lieferrisiko beinhaltet, dass der Lieferant seine Zusage
nicht einhält; das Verbrauchsrisiko, dass, z. B. wegen Fehlchargen, der tatsächliche Verbrauch vom
geplanten abweicht.)
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
5252
AA BB CC
XX
YY
ZZ
PDPD
PDPD
PDPD
PD/VM/VBPD/VM/VB
PD/VM/VBPD/VM/VB
PDPD
VM/VV/VBVM/VV/VB
VM/VV/VBVM/VV/VB
VBVB
Fehlmengenfolgenhoch?
VBVBVBVB VMVM VVVV
VVVV
J N
Lieferrisikohoch?J N
hoch mittel gering
Verbrauchs-risiko
Fehlmengenfolgenhoch?
VBVBVBVB VMVM VVVV
VVVV
J N
Lieferrisikohoch?J N
hoch mittel gering
Verbrauchs-risiko
Abb. 8: Kombination einer ABC- und einer XYZ-Analyse (Dittrich, 2009)
5.3 Einstellungen zur Ablauforganisation
5.3.1 Terminierungsparameter
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gehören die Terminierungsparameter zu den am schwierigsten
einzustellenden Werten. Dies resultiert unter anderem daraus, dass zumindest die teile- und (einzel-)
auftragsunabhängigen Stellgrößen, wie Reduzierungsfaktoren (Um wie viel Prozent darf das System
bei Zeitnot automatisch die Übergangszeit reduzieren?), stets auf ein möglicherweise sehr komple-
xes Netz von Aufträgen wirken. Erschwerend kommt hinzu, dass wegen der zahlreichen Störungen
im täglichen Produktions- und Beschaffungsprozess in der Terminierung mit gemittelten Zeitdauern
gearbeitet werden muss. Diese sind nur dann aussagekräftig, wenn die Varianz klein bleibt. Die Mate-
rialverfügbarkeit wird sowohl durch Mengenpuffer, z.B. über den Sicherheits- und den Meldebestand
und die Losgrößenmodifikatoren (wie Auf- oder Abrundungen auf volle Container-Füllung), als auch
über Zeitpuffer beeinflusst. Letztere lassen sich nur dann betriebswirtschaftlich effizient einsetzen,
wenn während der Pufferzeit weitergearbeitet werden kann und keine Verzögerungen einzelner Pro-
duktionsschritte in Kauf zu nehmen sind, weil Teile fehlen. Aufgrund der Tatsache, dass Zeitpuffer
sich prinzipiell durch Mengenpuffer substituieren lassen, kann man zumindest bei den geringwerti-
geren B- und bei den C-Materialien teilweise auf ihre Einstellung verzichten.
Mithilfe der Parameter Vorgriffs- und Sicherheitszeit lassen sich im SAP-ERP-System die Auftrags-
puffer eingeben. Sie sind in Arbeitstagen definiert und bilden die zeitliche Differenz zwischen den
Eckterminen und den Produktionsterminen. Die Vorgriffszeit definiert einen Anfangspuffer. Bei Ka-
pazitätsengpässen dient sie z.B. dazu, Aufträge in Perioden mit freier Kapazität vorzuziehen. Dem-
gegenüber ist die Sicherheitszeit ein Puffer am Auftragsende, der ungeplante Störungen ausglei-
chen soll. Erhöhte Sicherheitszeiten wirken in zwei Richtungen. Einerseits sinken die Bestände und
damit die Kapitalbindung, weil die Planungsvorgaben auch unter Störungen realisierbar bleiben.
Verspätete Materialbereitstellungen, die z.T. hohe Wartezeiten derjenigen Teile nach sich ziehen,
mit denen sie gemeinsam in übergeordnete Aufträge eingehen, kommen dann seltener vor. Auf der
anderen Seite verlängern größere Zeitpuffer die geplanten Durchlaufzeiten, was sich bestandserhö-
hend auswirkt. Simulationsergebnisse zeigen, dass er erwartungsgemäß stark auf die Terminabwei-
chung wirkte. Durchsatzveränderungen ließen sich nur in sehr geringem Maße feststellen, wobei der
53
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware
53
Endproduktdurchsatz um bis zu drei Prozent variierte. Sehr viel sensibler reagierte die Kapitalbin-
dung. Parameteränderungen ließen das im Bestand gebundene Kapital um bis zu 30 % schwanken.
Experimente zeigten schwache positive Kapitalbindungseffekte im unteren Wertebereich des Para-
meters (vgl. Wertebereich (a) in Abbildung 9). Zu große Puffer verursachten erhebliche Wartezeiten
der Teile bzw. Komponenten und vergrößerten damit die Kapitalbindung (vgl. Wertebereich (b)).
01020
3040506070
8090100
Sicherheitszeit [Tage]
[%]
a b
Kap
italb
indu
ng
Abb. 9: Kapitalbindung bei steigender Sicherheitszeit
5.3.2 Verfügbarkeitsprüfung
Ziel der Materialverfügbarkeitsprüfung ist es, möglichst frühzeitig, am besten bereits bei der Kun-
denauftragserfassung, zu erkennen, ob ein Material zum Bedarfstermin verfügbar sein wird oder ob
zusätzliche planerische Aktivitäten notwendig sind.
So muss man diejenigen Bestandsarten auswählen, die für die Prüfung relevant sind. Ebenso kann
man die Wiederbeschaffungszeit berücksichtigen. Ist die Zeit bis zum Liefertermin länger als die Wie-
derbeschaffungszeit, so erübrigt sich eine Verfügbarkeitsprüfung.
5.3.3 Losgrößenmodifikatoren
Losgrößenmodifikatoren bewirken, dass die vom System errechneten optimalen Losgrößen auf-
oder abgerundet werden (etwa auf eine ganze Zahl voller Container oder Kartons).
Die Losgrößenmodifikatoren entfalten oft eine erstaunliche, um nicht zu sagen gefährliche Wirkung.
Abbildung 10 zeigt durch Simulation der Parameterwirkungen erkannte, nicht untypische Sprungstel-
len bei den in SAP ERP enthaltenen Losgrößenmodifikatoren. Durch Erhöhung der Rundungswerte
steigert man zunächst geringfügig den Endproduktdurchsatz. Ab einem kritischen Wert sinken diese
aber dramatisch um bis zu 84 %.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
5454
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Rundungswert [Teile]
Endp
rodu
k tdu
rchs
a tz
norm
. [%
]
Abb. 10: Endproduktdurchsatz bei steigendem Rundungswert
5.3.4 Verrechnungs-Parameter
Besonders „überraschungsträchtig“ sind die Verrechnungs-Parameter, die dem System anzeigen,
welche Ist-Aufträge als Realisation welcher Plan-Aufträge angenommen werden sollen („Forecast-/
Plan-Consumption“). Bei unglücklicher Parameterwahl nimmt das System zu früh an, dass zu weni-
ge Auftragseingänge geplant wären, erhöht die Planzahl und damit die Bevorratung der Enderzeug-
nisse. Über die Stücklisten-Auflösung kann sich das bis zu den Halbfabrikaten und Rohstoffen hin
fortpflanzen und zu einer die Rentabilität empfindlich senkenden zusätzlichen Kapitalbindung führen.
Der Parameter „Verrechnungshorizont“ bezeichnet, wie viele Tage die geplanten Aufträge von dem
Tag des tatsächlichen Auftragseingangs entfernt sein dürfen, damit der Auftragseingang als Realisa-
tion des Plans angenommen wird, das heißt, der Ist-Auftrag Plan-Aufträge „konsumiert“. Abbildung
11 bringt einige durch Simulation gewonnene Wirkungen dieser Stellgröße auf die Kapitalbindung. Es
ist ein typisches Beispiel dafür, wie man durch gute und schlechte IT den Return on Investment (ROI)
und damit letztlich den Unternehmenswert günstig oder ungünstig beeinflussen kann.
6 Ausgewählte Hilfsmittel zur Parametereinstellung
6.1 (Intelligente) Checkliste
Die (intelligente) Checkliste stellt ein interaktives Hilfsmittel dar, das anhand von Kriterien, die es teil-
weise vom Benutzer erfragt, eine passende Konfigurationsalternative auswählt. Als eine Art „roter
Faden“ steuert sie den Einstellungsprozess und gibt dabei auch die Reihenfolge für einzelne Konfi-
gurationsschritte vor. Dies hilft, die formale Korrektheit und Konsistenz der Systemkonfiguration zu
sichern. Gleichzeitig können auf diese Weise auch die Software-logischen Abhängigkeiten zwischen
55
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware
55
verschiedenen Stellgrößen berücksichtigt werden, indem das System automatisch notwendige Pa-
rameterfolgeeinstellungen durchführt.
Die Stärke des Checklistenansatzes liegt eindeutig bei der Prozess- und Funktionsauswahl sowie der
Funktionsparametrierung in der Einführungsphase. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lässt sich auf
diese Weise ein PPS-System schneller „customizen“ und damit der Personalaufwand reduzieren. Die
Einstellungsqualität kann dadurch gesteigert werden, dass die Checkliste eine bewährte Einstellrei-
henfolge vorgibt und auch Informationen über potenzielle Parameterwirkungen vorhält. Prognosen
über solche Wirkungen sind mit ihr jedoch ebenso wenig möglich wie die periodische Rekonfigurati-
on dispositionsrelevanter Parameter.
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Verrechnungshorizont [Tage]
Kapi
talb
indu
ng[%
]
Abb. 11: Kapitalbindung bei steigenden Verrechnungshorizonten
6.2 Anforderungsnavigator
Ein Anforderungsnavigator ist eine spezielle betriebswirtschaftliche intelligente Checkliste auf der
Grundlage eines interaktiven Analysewerkzeugs und einer strukturierten Wissensbasis (wissensba-
siertes System). Mithilfe verständlicher Fragen und Kriterien werden die Einsatzmöglichkeiten der
Standardsoftware (z. B. der SAP Business Suite) den Anforderungen eines Unternehmens in einem
Expertendialog mit den Führungs- und Fachkräften gegenübergestellt.
6.3 Referenzsystem
Ein Referenzsystem (vorkonfiguriertes System) besteht aus einem oder mehreren lauffähigen Soft-
ware-Mandanten mit Stamm- und Bewegungsdaten, enthält also fertig parametrierte Beispielunter-
nehmen unterschiedlicher Branchen und Betriebstypen mitsamt ihrer Organisationsstruktur. Als Bei-
spiel kann das Modellunternehmen IDES dienen, welches von der SAP AG für die SAP Business Suite
sowie deren Vorgänger entwickelt wurde. In unterschiedlichen Mandanten enthält die Software u. a.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
5656
einen Automobilzulieferer, der nach Just-in-Time-Prinzipien steuert, und einen Leuchtmittelhersteller,
der Massenfertigung betreibt. Zu jedem der dort abgebildeten Unternehmen sind Stammdaten, wie
z. B. Materialstämme oder Arbeitspläne, definiert.
6.4 Simulation
Simulationen können nicht unmittelbar zur Konfiguration von Standardsoftware herangezogen wer-
den. Mit ihrer Hilfe lassen sich jedoch die Konfigurationsalternativen bewerten und vergleichen. Das
auf diese Weise generierte Parameterwirkungswissen mag man dann direkt oder indirekt (z. B. über
ein regelbasiertes System) zur Einstellung der Software verwenden.
7 Schlussfolgerungen für die Ausbildung
Unsere Ausführungen zeigten, dass die Parametereinstellung eine „Kunst für sich“ ist. Gutes oder
schlechtes Gelingen beeinflusst das Ausmaß, in dem durch die Einführung eines Standardsoftware-
Systems die betrieblichen Ziele erreicht werden, empfindlich, namentlich auch die Rentabilität und
so unmittelbar den Unternehmenswert.
Die „ideale“ Fachperson für diese Aufgabe muss sehr solide Kenntnisse der in der Standardsoftware
implementierten Methoden, z. B. also Verfahren zur Lagerabgangsprognose, zur Versandsteuerung
oder zur Liquiditätsdisposition, mit einer fundierten betriebswirtschaftlichen Grundausbildung ver-
binden; Letztere muss es erlauben, die Beziehungen zwischen Zielen einschließlich ihrer gegensei-
tigen Verstärkungs- und Abschwächungseffekte und der Zielkonflikte (vgl. Abbildung 3) zu erkennen
und abzuschätzen. Bei all dem sind aber die Belastung der Rechenanlage und damit auch das Ant-
wortzeitverhalten im Dialog, z. B. in Abhängigkeit von der Frage, ob man Prognosen und Bevorra-
tungsentscheidungen auf Artikel-, Artikelgruppen- oder Artikelhauptgruppen durchführt, keine zu
vernachlässigende Größe.
Betriebswirtschaftliche Standardsoftware kann daher nur auf der Grundlage einer soliden BWL- und
Wirtschaftsinformatik-Ausbildung gemeistert werden. Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass die
vielen Wechselbeziehungen über Funktionsbereiche und Prozesse hinweg hochgradige Spezialisie-
rung (z. B. auf Finanzwirtschaft oder Auftragsabwicklung oder auch entsprechende Module eines
großen Standardsoftwaresystems) nur bedingt erlauben. Vielmehr ist fundiertes Wissen der Integ-
rierten Informationsverarbeitung, welche ein Zentralanliegen der Wirtschaftsinformatik darstellt, sehr
hilfreich.
Ein mit betriebswirtschaftlicher und informatischer Grundausbildung nicht abgestimmter „isolierter“
SAP-Kurs nach dem Muster „Wenn Sie xx eingeben und auf die Schaltfläche yy gehen, erhalten Sie
ein Menü, aus dem Sie zz wählen können“ ist nachgerade Scharlatanerie. Leider muss also bei der
Konzeption der Lehrpläne ebenso wie bei der Zusammenstellung des Lehrkörpers viel Sorgfalt und
Kapazität investiert werden.
57
Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware
57
Literatur
Dittrich, J., Mertens, P., Hau, M. und Hufgard, A., Dispositionsparameter in der Produktionsplanung mit SAP, 5. Aufl., Braunschweig-Wiesbaden 2009.
Huttenloher, R., Kunden betrachten Software as a Service skeptisch, Business Intelligence lenkt den Blick auf das Wesentliche, in: Computer Zeitung Nr. 17 vom 20.04.2009, S. 14.
Mertens, P., Operiert die Wirtschaftsinformatik mit den falschen Unternehmenszielen? – 15 Thesen, in: Becker, J., König, W. Schütte, R. u.a. (Hrsg.), Wirtschaftsinformatik und Wissenschaftstheorie, Wiesbaden 1999, S. 379-392.
Autor
Mertens, Peter; Prof. Dr. Dr. h. c. mult.; Universität Erlangen-Nürnberg, Wirtschaftsinformatik I, Lange Gasse 20; 90403 Nürnberg; Mail: [email protected]
61
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
Karl Wilbers
Der Beitrag liefert eine Orientierung über die Einbindung integrierter Unternehmenssoftware bzw. sy-
nonym von ERP-Systemen in den kaufmännischen Unterricht. Er klärt zunächst kurz die fachwissen-
schaftlichen Grundlagen, erörtert die didaktische Relevanz und gibt Hinweise zur Unterrichtsplanung
beim Einsatz integrierter Unternehmenssoftware in den kaufmännischen Unterricht.
Verständnis von Prozessorientierung und integrierter
Unternehmenssoftware (ERP-Systeme)
Integrierte Unternehmenssoftware bzw. ERP-Systeme beruhen auf der Prozessorientierung. Der Be-
griff des Prozesses entstammt der Betriebswirtschaftslehre und wird dort recht abstrakt erläutert.
Feldmayer und Seidenschwarz (2005) definieren einen Prozess als „Folge von Aktivitäten …, deren
Ergebnis eine Leistung für einen externen oder internen Kunden darstellt“ (S. 12). In der Literatur
finden sich viele ähnliche Begriffsbestimmungen. Ein Beispiel für einen Prozess nach diesem Ver-
ständnis ist der Prozess der Auftragsabwicklung, der mit dem Akquirieren von Aufträgen beginnt und
mit der Produktauslieferung endet (Laudon, Laudon & Schnoder, 2006, S. 97). Viele Prozesse über-
greifen die klassischen betriebswirtschaftlichen Funktionen, die heute vielfach den Aufbau akade-
mischer Lehrbücher oder die Organisation wirtschaftswissenschaftlicher Fachbereiche bestimmen.
So betrifft das Akquirieren von Aufträgen und die anschließende Bestellung den Vertrieb, die dann
folgende Bonitätsprüfung und die Bestätigung gehören zur Buchführung, während die folgende Pro-
duktfertigung die Fertigung und Produktion betrifft.
Die Prozesse eines Unternehmens werden in der Literatur meist in Managementprozesse, Ge-
schäftsprozesse sowie Supportprozesse eingeteilt (Feldmayer & Seidenschwarz, 2005). Manage-
mentprozesse bilden dabei „den Rahmen für die wertschöpfenden Prozesse des Unternehmens“
(Feldmayer & Seidenschwarz, 2005, S. 18). Zu den Managementprozessen gehören die strategische
und finanzielle Planung, das Controlling sowie die interne Revision. Die Geschäftsprozesse sind „die
eigentlichen wertschöpfenden Aktivitäten im Unternehmen“ (Feldmayer & Seidenschwarz, 2005,
S. 18). Die Geschäftsprozesse werden dann weiter unterteilt in Customer Relationsship Management
(CRM), Supply Chain Management (SCM) sowie Produkt Lifecycle Management (PLM). Die Support-
prozesse dienen der Unterstützung der anderen Prozesse und umfassen Qualitätsmanagement,
Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Wissensmanagement, Personalwesen, Finanzwesen, Beschaffung,
Prozess- und Informationsmanagement, Kommunikation sowie Immobilienmanagement (Feldmayer
& Seidenschwarz, 2005, S. 21).
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
62
Wie Gaitanides in diesem Band darstellt, werden die einzelnen Prozesse auf einzelnen Ebenen weiter
ausdifferenziert. Auf dem Level 1 wird die Prozessgruppe „Supply Chain Management“ beispielswei-
se weiter unterteilt in sechs Basisprozesse, nämlich Plan, Source, Make, Deliver, Return und Enable.
Jeder dieser Basisprozesse wird auf Level 2 weiter ausdifferenziert in Prozesskategorien, -modelle
und -varianten, beispielsweise das „Make“ von Level 1 in „Make to stock“ und „Make to order“ auf Le-
vel 2. Auf Level 3, 4 und folgenden werden dann Prozessketten ausdifferenziert. Ab der vierten Ebene
werden die Prozesse meist unternehmensspezifisch ausgelegt.
Die Darstellung von Prozessen wird schnell unübersichtlich. In der Wirtschaftsinformatik wurde da-
her eine Reihe von Methoden entwickelt, wie die Prozesse dargestellt werden können. Dazu gehören
insbesondere Ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK), Unified Modeling Language (Use-Cases, Ak-
tivitätsdiagramme), Petrinetze, Produktnetze, Datenflussdiagramme und weitere Verfahren (Boden-
dorf, 2007). Die folgende Abbildung zeigt eine EPK-Prozessmodellierung.
Kundenanfrageeingetroffen
Verkaufsaktionwird
durchgeführt
Angebot ist erstellt
Angebot istversandt
Kundenauftragtrifft ein
Kundenauftragtrifft nicht ein
Angeboterstellen
Angebotversenden
Angebotüberwachen
Auftrags-abwicklung
Rückfrage beimKunden
V
XOR
Abbildung: EPK zu Auftragsbearbeitung (Bodendorf, 2007)
63
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
Die Darstellung der Prozesse nach diesen Methoden kann im Prinzip mit Papier und Bleistift oder
einem handelsüblichen Graphikprogramm erfolgen. Für die professionelle Anwendung hat sich dies
nicht als sinnvoll erwiesen, sondern es wurde eine ganze Reihe von Software-Tools zur Modellierung,
Strukturierung, Optimierung und Handling von Geschäftsprozessen (Gaitanides, in diesem Band)
entwickelt. Die Spannweite reicht hier von einfachen Systemen bis hin zu komplexen Tools, insbe-
sondere die von Scheer und Hoffmann in diesem Band beschriebene ARIS-Plattform. Der Einsatz
dieser Methoden bzw. der entsprechenden Software ist nicht auf Unternehmen beschränkt, sondern
kann – wie im Projekt „ProReKo“ – auch für Prozesse in Schulen verwendet werden (Harms, 2009).
Prozesse und betriebliche Funktionen werden in Unternehmen durch Informationstechnik, also be-
triebliche Anwendungssysteme unterstützt (Laudon, Laudon & Schoder, 2006, S. 99). Traditionell
haben sich zur Unterstützung einzelner betrieblicher Funktionen betriebliche Anwendungssysteme
entwickelt.
Funktion Beispielhaftes Anwendungssystem
Forschung, Produkt- und Prozessentwicklung Computergestützte Konstruktion (Computer
Aided Design – CAD), Systeme zur Erstellung
von Arbeitsplänen und Steuerungsprogrammen
(Computer Aided Planning – CAP),
Vertrieb Anwendungssysteme zur Unterstützung von
Vertriebs- und Außendienstmitarbeitern (CAS –
Computer Aided Selling),
Beschaffungs- und Lagerhaltungssektor Systeme zur Unterstützung der Bestelldisposition
Produktionsbereich Produktionsplanung und -steuerung (PPS)
Versand- und Kundendienst Systeme zur Rückwärtsterminierung
Finanzwesen Systeme zur Liquiditätsdisposition
Rechnungswesen Buchführungsprogramme
Personalwesen Human-Resource-Management-System
(HRMS)
Anlagenmanagement Computer Aided Facility Management (CAFM)
Abbildung: Funktion und beispielhafte Anwendungssysteme nach Mertens (2009)
Traditionell sind diese Anwendungssysteme separiert und sie binden kaum Lieferanten und Kunden
ein. Außerdem bereitet die Integration dieser Softwarepakete Schwierigkeiten. Eine Integration ist je-
doch notwendig für die funktionsübergreifenden Prozesse sowie für moderne Formen der Unterneh-
mensorganisation, die zu einer stärkeren Integration von Kunden und Lieferanten führt. Vor diesem
Hintergrund hat sich integrierte Unternehmenssoftware entwickelt. Sie tragen mit „ERP-Systemen“
von „Enterprise Resource Planning“ einen eher in die Irre führenden Namen. Derartige ERP-Systeme
unterstützen die wichtigsten Prozesse eines Unternehmens, sind integriert und unterstützen die Auf-
lösung von Unternehmensgrenzen (Laudon, Laudon & Schoder, 2006, S. 99). Typische Beispiele für
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
64
ein ERP-System sind SAP R/3 von SAP sowie Microsoft Navision. ERP-Systeme arbeiten mit Daten-
beständen, die das Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt abbilden, beispielsweise die La-
gerbestände verschiedener Produkte zu einem spezifischen Zeitpunkt. Diese Datenbestände werden
in der Praxis auch „Mandanten“ genannt und spielen für die Verwendung im Unterricht eine große
Rolle. Für Unterrichtszwecke bietet SAP beispielsweise zu ihrem ERP-System den IDES-Mandanten
an (International Demonstration and Education System). Dieses Modellunternehmen ist vergleichs-
weise komplex und wird im hochschulischen Unterricht eingesetzt. Für den Einsatz an beruflichen
Schulen wurden vor allem vom Landesinstitut für Schulentwicklung in Stuttgart sowie vom Staats-
institut für Schulqualität und Bildungsforschung (IBS) in München verschiedene Mandanten für den
Unterricht im Industrie-, Einzelhandelsbereich und anderen Branchen entwickelt, die über das Inter-
net abgerufen werden können.
Prozesse sind kein Selbstzweck und schweben auch nicht im luftleeren Raum. Die Orientierung an
unternehmensübergreifenden (‚generischen‘) Unternehmensprozessen (Gaitanides, in diesem Band)
führt zu einer Gefahr, nämlich dass Prozesse unternehmensspezifisch eingebunden sind. Prozesse
sind eingebunden in den Kontext einer spezifischen Unternehmensstrategie, eines spezifischen nor-
mativen Managements (Hungenberg, 2008) sowie einer spezifischen ökonomischen, sozialen und
ökologischen Umwelt. Eine umfassendere Betrachtung der Prozesse muss daher schon aus einer
fachwissenschaftlichen Perspektive auch den normativen Horizont, den strategischen sowie den
ökologisch-sozialen Horizont aufarbeiten.
Unternehmens-verfassung
Vision, Missionund Ziele
Unternehmens-kultur
Strategien
Normatives Management
Strategisches Management
Soft-ware
Daten
IT-Infra-struktur
Umwelt
(ökon.,ökol.,sozial)
Anwendungs-systeme
Strukturen(Aufbau & Prozesse)
Operatives Management
Abbildung: Modell des Managements, erweitert nach Hungenberg (2008)
Während der Begriff der Geschäftsprozesse der Betriebswirtschaftslehre, der wichtigsten Bezugs-
disziplin der Wirtschaftspädagogik, entstammt, wurde in der Berufspädagogik der Begriff des Ar-
beitsprozesses und des Arbeitsprozesswissens geprägt. Die berufspädagogische Diskussion hebt
dabei auf die Situation eines Facharbeiters ab (Busian, 2006). Der Berufspädagoge Rauner (2004) er-
läutert Arbeitsprozesswissen als eine „Form des Wissens, das die praktische Arbeit anleitet“ (S. 12).
65
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
Arbeitsprozesswissen ließe sich als der „Zusammenhang von praktischem und theoretischem Wis-
sen charakterisieren“ (Rauner, 2004, S. 12). Praktisches Wissen sei kontextbezogen und implizit,
während theoretisches Wissen kontextfrei und wissenschaftsbezogen sei (Rauner, 2004). Der Be-
rufspädagoge Fischer (2003) versteht Arbeitsprozesswissen als „das Wissen um die Elemente des
betrieblichen Arbeitsprozesses und deren Zusammenwirken“ (Fischer, 2003, S. 5). Die Elemente des
betrieblichen Arbeitsprozesses sind dabei das Subjekt und das Objekt des Handelns (Arbeitsge-
genstand/Produkt), die technischen Artefakte, die zwischen Subjekt und Objekt vermitteln sowie die
Gemeinschaft, der das Subjekt angehört, einschließlich der dort anzutreffenden Regeln und Arbeits-
teilung (Fischer, 2003; Fischer, 2005).
In mehreren Workshops im Modellversuch CULIK (Curriculumentwicklungs- und Qualifizierungsnetz-
werk Lernfeldinnovation für Lehrkräfte in Berufsschulfachklassen für Industriekaufleute) wurden die
unterschiedlichen Begriffe und die daraus folgenden Konsequenzen aufgearbeitet (http://www.ibw.
uni-hamburg.de/forschung/projekte/culik/). Gemeinsam ist beiden Ansätzen, der Arbeits- und der
Geschäftsprozessorientierung, dass beide ein Gegenentwurf zu einem traditionellen, systematisch-
funktional orientierten Unterricht sind. Die Arbeitsprozessorientierung wurde vor dem Hintergrund
gewerblich-technischer Berufe, die Geschäftsprozessorientierung vor dem Hintergrund kaufmänni-
scher Berufe entworfen. Eine Übertragung der Arbeitsprozessorientierung steht in der Gefahr, sich
auf die operative Ebene kaufmännischer Sachbearbeitung zu beschränken. In dem hier skizzier-
ten Verständnis des Prozessbegriffes haben Prozesse eine hohe Ähnlichkeit zum Handlungsbegriff.
Schon unter dieser Perspektive haben Prozessorientierung und Lernfeldorientierung beide eine hohe
Gemeinsamkeit. Die Orientierung der curricularen Arbeit an Geschäftsprozessen bedeutet ebenso
wie die Orientierung an Arbeitsprozessen und an Handlungs- bzw. Lernfeldern ein Gegenmodell zu
einem traditionellen Unterricht.
Didaktische Relevanz integrierter Unternehmenssoftware
Bei der Erörterung der didaktischen Relevanz integrierter Unternehmenssoftware sollten nach mei-
ner Ansicht zunächst eine Reihe von Differenzierungen getroffen werden. Integrierte Unternehmens-
software bzw. im Folgenden allgemeiner Informationstechnik (IT) kann didaktisch als methodische
Frage („IT als Methode“) oder als inhaltliche Frage („IT als Inhalt“) erörtert werden (Eberle, in diesem
Band; Eberle, 1996).
Bei der methodischen Frage („IT als Methode“) kann Software eingesetzt werden, die eigens zu
Lehr- bzw. Lernzwecken entwickelt wurde („Lernsoftware“). Die damit verbundenen Herausforderun-
gen werden in der Literatur unter dem Stichwort „E-Learning“ angesprochen (Hohenstein & Wilbers,
2009). Andererseits kann von der Lehrkraft auch Software methodisch genutzt werden, die nicht zu
Lehr- und Lernzwecken entwickelt worden ist („Arbeitssoftware“). Auf diese Nutzung von integrierter
Unternehmenssoftware im Unterricht geht Häuber in diesem Band ein. Er geht dabei vor allem auf die
Möglichkeit der Darstellung, Bearbeitung und Analyse von Prozessen ein, die sich mit ERP-Systemen
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
66
im Unterricht gut machen ließe. Eine weitere Möglichkeit ist die Nutzung von Mandanten eines ERP-
Systems zur Konstruktion von Lernsituationen im lernfeldorientierten Unterricht. So würde beispiels-
weise ein realitätsnaher Mandant, d. h. ein realitätsnahes Modellunternehmen, auch für Teams von
Lehrkräften die Konstruktion realitätsnaher Materialien unterstützen, zum Beispiel zur Beschreibung
einer Ausgangssituation in einer Lernsituation. Hier muss allerdings betont werden, dass Mandan-
ten häufig nicht aus diesem Motiv heraus entwickelt werden. Vielmehr werden die Daten häufig aus
didaktischen Erwägungen konstruiert, zum Beispiel so, dass bei einer Bestellung der Meldebestand
erreicht wird, um genau dieses im Unterricht aufgreifen zu können. Im Gegensatz zu diesen ‚didak-
tischen Mandanten’ wären ‚realistische Mandanten‘ neu zu entwickeln. Dabei kann vor allem die
Zusammenarbeit mit Patenunternehmen hilfreich sein, wie es beispielsweise in der baden-württem-
bergischen Übungsfirmenarbeit eine Tradition hat. Außerdem können die Mandanten auf Basis von
Daten der Verbände, zum Beispiel aus Betriebsvergleichen, entwickelt werden.
Neben diesen methodischen Fragen steht die inhaltliche Frage („IT als Inhalt“). Hier kann unterschie-
den werden, ob der IT-Einsatz im Beruf oder im außerberuflichen Alltag thematisiert wird. Auch die
private Nutzung von IT der Lerner in beruflichen Schulen, beispielsweise der Umgang mit sozialen
Netzwerken wie SchülerVZ, dürfte heute auch zum Bildungsauftrag von beruflichen Schulen gehö-
ren. Diese Fragestellung kann unter dem Stichwort „IT-Literacy“ bzw. „IT-Literalität“ thematisiert
werden (Eberle, in diesem Band). Eine davon zu unterscheidende Frage ist die Verwendung von Infor-
mationstechnik im Beruf. Hier ist – in der Redeweise von Eberle (in diesem Band) – die „berufsinfor-
matische Kompetenz“ angesprochen. Informationstechnik kann jedoch einen sehr unterschiedlichen
Stellenwert in Berufen haben. Für IT-Experten, also beispielsweise Absolventen in den IT-Berufen, IT-
Assistenten-Bildungsgängen oder der Fachschule für Informatiktechnik, ist IT das zentrale Produkt
im beruflichen Alltag. Bei IT-Experten ist Prozessmanagement und der Umgang mit entsprechenden
Tools Gegenstand der Lehrpläne. Diese IT-Experten stellen jedoch für das berufliche Schulwesen
eine vergleichsweise kleine Gruppe dar.
Von diesem Fall sind die weiteren kaufmännischen Berufe zu unterscheiden. Hier ist insbesondere
auf den Einzelhandelsbereich, den Groß- und Außenhandelsbereich, den Industriebereich, den Wirt-
schaftsschulen bzw. Lernfirmen sowie affinen vollzeitschulischen Bildungsgängen hinzuweisen. In
diesen Berufen wird branchenübergreifende Software, wie zum Beispiel Office-Software, genutzt.
Curricular führt dies beispielsweise zur Diskussion um den European Computer Driving Licence
(ECDL). Daneben wird in diesen kaufmännischen Berufen auch branchenspezifische Software, bei-
spielsweise ERP-Systeme, eingesetzt. In diesen kaufmännischen Berufen wird der Einsatz von inte-
grierter Unternehmenssoftware im Fachunterricht zum Teil von den Lehrplänen in unterschiedlicher
Weise vorgesehen. In den Lehrplänen zum Einzelhandel ist beispielsweise die Nutzung „berufsbe-
zogener Software zur Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung“ (KMK, 2004, S. 6)
vorgesehen.
Integrierte Unternehmenssoftware wird gemäß dieser Unterscheidungen in drei Aspekten relevant:
Als methodisches Hilfsmittel im Unterricht, als Aspekt der Ausbildung von IT-Experten sowie als
Aspekt der Ausbildung in den anderen kaufmännischen Berufen. Alle drei Aspekte sollten in der
67
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
Diskussion sorgfältig unterschieden werden. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags gehe ich nur noch
auf den letzten Aspekt, den Einsatz in kaufmännischen Berufen außerhalb der IT-Experten, ein.
Dass ERP-Systeme für die gesamte Berufsausbildung didaktisch relevant sind, heißt noch lange
nicht, dass sie das auch tatsächlich für den Lernort Schule sind. Für den vollzeitschulischen Bereich
kann die Einbindung von ERP-Systemen eine Praxisersatzfunktion übernehmen. Lernfirmen haben
jedoch, auch unter Einsatz von ERP-Systemen (Ruf, 2006), ein Potential, das über die Praxisersatz-
funktion hinausgeht und können einen Lernort eigener Prägung darstellen (Tramm, 1996; Greimel,
1998).
Für den Unterricht in Teilzeitbildungsgängen hingegen könnte durchaus argumentiert werden, dass
die Befähigung der Auszubildenden im Umgang mit ERP-Systemen nicht Aufgabe der Berufsschule,
sondern der Unternehmen sei. Dem stehen jedoch mehrere praktische Erwägungen gegenüber, wie
auch Häuber (in diesem Band) zeigt. Nicht in allen Unternehmen, gerade in kleinen und mittleren Un-
ternehmen, beispielsweise im Handel, sind tatsächlich ERP-Systeme verfügbar. In vielen Unterneh-
men dürften die Auszubildenden weiterhin keinen Zugriff auf den kompletten Datenbestand im ERP-
System haben, beispielsweise keinen Zugriff auf sensible Daten im Personalwesen, zum Beispiel die
Lohndaten oder im Handel auf Daten wie Verkaufsstatistiken pro Kasse bzw. pro Verkäufer. Das Un-
ternehmen kann dadurch nicht vom Auszubildenden exploriert werden. Außerdem ist es regelmäßig
nicht möglich, Auswirkungen einer Handlung bzw. der Abbildung dieser Handlung im ERP-System
nachzuvollziehen. Ferner sind ERP-Systeme heute kritisch für den Unternehmenserfolg, d. h. Fehler
oder experimentelle Erkundungen des Auszubildenden ausgeschlossen. Schließlich dürften – das
ist eine Vermutung, kein gut gesicherter Fakt – viele Ausbildungsbetriebe die Unterweisung in das
System wenig systemisch einbetten, d. h. bei der Einweisung in das ERP-System werden vor- oder
nachgelagerte Prozessschritte, beispielsweise die Folgen des Einscannens eines Artikels, nicht re-
flektiert. Post (2006) formuliert treffend, dass die pädagogische Herausforderung darin bestehe, „die
im betrieblichen Alltag durchaus erwünschte Automatisierung und Beschleunigung der Geschäfts-
prozesse für die Schüler nachvollziehbar zu ‚entschleunigen‘“ (S. 536).
Eine einfache Anwendungsschulung von ERP-Systemen – eine sogenannte Klick-Schulung – ist vor
diesem Hintergrund kaum zu legitimieren. Werden die vorgebrachten Erwägungen akzeptiert, sind
damit gleichzeitig wichtige Eckdaten für den Einsatz von ERP-Systemen gesetzt, die weit über eine
Klick-Schulung hinausgehen: Der Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht muss
transparent erfolgen, muss Fehler und experimentelle Erkundungen der Lerner zulassen und die Ar-
beit mit dem ERP-System systemisch einbetten. Das kann unter den Ausbildungsbedingungen im
Unternehmen oft nur schwer realisiert werden. Insofern wundert es nicht, wenn beispielsweise, wie
auf der NiLS-Fachtagung im September 2009 präsentiert, die BBS 11 der Region Hannover von ihren
Ausbildungsbetrieben im Industriebereich bei einer Befragung erfährt, dass die Ausbildungsbetriebe
sich keine einfache Anwendungsschule als Aufgabe der Schule vorstellen. Vielmehr solle die Trans-
parenz, die Vernetzung und die Konsequenzen von Fehlern in der Schule aufarbeiten.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
68
Formen des Einsatzes integrierter Unternehmenssoftware im Unterricht
Um Fragen der Unterrichtsplanung bei einer Integration von Unternehmenssoftware zu vertiefen,
werden zunächst vier Formen des Einsatzes von ERP-Systemen im Unterricht unterschieden: Der il-
lustrative Einsatz von ERP-Systemen, der sequentielle Einsatz von ERP-Systemen, der ERP-Einsatz
in Lernfirmen sowie der ERP-Einsatz in Projekten, Fällen und Lernsituationen.
Bei einem illustrativen Einsatz von ERP-Software im Unterricht wird die Software selbst streng ge-
nommen gar nicht im Unterricht eingesetzt. Vielmehr werden Bildschirmfotos von der ERP-Software
in den Unterricht bzw. in die Unterrichtsmedien eingebunden. So verwendet beispielsweise das
Schulbuch „Kompetenz Industrie“ aus dem Europa Lehrmittelverlag von Müller u. a. bei der Einfüh-
rung des Konzepts der Debitoren im Lernfeld 3 „Werteströme und Werte erfassen und dokumentie-
ren“ Bildschirmfotos von MS Navision mit dem verbreiteten Cronos AG-Schulungsmandanten. Diese
Form der ERP-Einbindung in den kaufmännischen Unterricht ist vergleichsweise einfach. Sie passt
sich unkompliziert in den traditionellen Unterricht ein, lässt sich gut mit verschiedenen Medien, Ak-
tions- und Sozialformen sowie Aufgabenformen verbinden und ist technisch einfach zu realisieren.
Weiterhin kann diese Form der Einbindung von ERP-Systemen mittelfristig zu einer ersten Vertraut-
heit mit ERP-Systemen für Lehrkräfte führen, die diesen Dingen etwas skeptisch gegenüber stehen.
Andererseits bleibt der Einsatz letztlich in didaktischer Hinsicht symbolisch, er bleibt intransparent
und erlaubt kaum Fehlerhandeln oder den experimentellen Umgang mit ERP-Systemen. Als Erinne-
rungshilfe oder Verbindungshilfe spielt der illustrative Einsatz von ERP-Systemen auch in komplexe-
ren Einbindungsformen weiterhin eine Rolle. Für die Unterrichtsplanung der Lehrkräfte ergeben sich
kaum Besonderheiten. Lediglich der Medienbereich wird hier in besonderer Weise angesprochen.
Bei einem sequentiellen Einsatz von ERP-Systemen im Unterricht werden im ersten Schritt die rele-
vanten kaufmännischen Konzepte im ‚normalen‘ Klassenraum eingeführt. Im zweiten Schritt erfolgt
die Arbeit mit dem ERP-System im EDV-Raum der Schule oder zuhause. Dabei werden Aufgaben,
Geschäftsvorfälle oder Belege mit vergleichsweise geringer Komplexität verbucht bzw. geübt oder
es wird Step-by-Step (Eberle, 1996) in die Anwendung eingeführt. In einem dritten Schritt erfolgt die
Nachbereitung, in der Regel in einem normalen Klassenraum. Die Notwendigkeit solcher Nachberei-
tungs- bzw. Reflexionsphasen wird in der didaktischen Literatur zur Geschäftsorientierung betont
(Ruf, 2006). In didaktischer Hinsicht ist das Vorgehen meist atomistisch-kleinschrittig. Gerade beim
Step-by-Step besteht für die Lehrkraft die Gefahr, dass sie die Lerner hinter den Bildschirmen ver-
liert, beispielsweise durch Fehlbedienung. Typischerweise drängt dies die Lehrkraft dazu, die Lern-
inhalte in kleinste Schritte zu zerlegen und immer wieder zu hinterfragen, ob die Lerner auf dem von
der Planung vorgesehenen Stand sind. Diese Form des Step-by-Step führt zu einer straffen Führung
im Unterricht, d. h. einer hohen Fremdsteuerung, für die Fehler und explorierendes Handeln der Ler-
ner gefährlich für die Führung des Unterrichts sind. Entsprechend schwierig ist dieses Vorgehen bei
heterogenen Lernern, zum Beispiel bei Lernern mit unterschiedlichen IT-Kenntnissen oder unter-
schiedlichen Vorkenntnissen bezüglich ERP-Systemen. Eine Alternative zu einem derart lehrerdomi-
nierten Unterricht des Step-by-Step ist ein materialdominierter Unterricht. Dieser setzt umfangreiche
Arbeitsmaterialien für den Lerner ein. Diese können ähnlich wie im lernfeldorientierten Unterricht aus
69
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
dem Kontext einer größeren Fallaufgabe stammen und einen praktischen Trigger haben, beispiels-
weise eine Telefonnotiz, eine E-Mail oder einen Beleg. Derartige Materialien kombinieren häufig auch
kleinere kaufmännische Reflexionsübungen, zum Beispiel die Suche nach Gründen für eine unbefrie-
digende Gewinnsituation und Bedienungshinweise zum ERP-System. Der Einsatz solcher Materialien
ermöglicht im Vergleich zum Step-by-Step-Vorgehen die Individualisierung des Lerntempos, löst je-
doch andere der erwähnten didaktischen Probleme nicht. Der sequentielle Einsatz hat in beruflichen
Schulen zwei schwergewichtige Vorteile: Er passt gut zu den üblichen Raumkonzepten kaufmänni-
scher Schulen, die eine Trennung von normalen Klassenräumen und EDV-Räumen vorsehen. Häufig
sind nämlich nicht die gerade für den IT-Bereich geforderten integrierten Fachräume an der Schule
vorhanden. Weiterhin lässt sich der sequentielle Einsatz durch Lehrkräfte gut arbeitsteilig realisieren,
beispielsweise im Zusammenspiel eines kaufmännischen Experten und eines IT-Experten, d. h. nicht
alle Lehrkräfte müssen sich in gleicher Tiefe mit ERP-Systemen auseinandersetzen. Die Unterrichts-
planung kann sich in diesem Fall weitgehend an die übliche Unterrichtsplanung anlehnen, muss je-
doch insbesondere bei der Sequenzierung weiter Festlegungen treffen.
Seit längerem erfolgt ein ERP-Einsatz in Lernfirmen. Lernfirmen (Tramm, 1996) sind Lernbüros mit
fiktiven Produkt- und Geldströmen und fiktiven Außenkontakten, Übungsfirmen mit fiktiven Produkt-
und Geldströmen und realen Außenkontakten, die beispielsweise über den deutschen Übungsfir-
menring vermittelt werden, sowie Juniorenfirmen mit realen Produkt- und Geldströmen sowie rea-
len Außenkontakten. Lernfirmen sind in Süddeutschland vor allem in den Wirtschaftsschulen weit
verbreitet. Der IT-Einsatz in Lernfirmen hat eine lange Tradition. Die Lernfirmenarbeit setzt auf eine
spezifische Raumsituation, eine spezielle Verankerung im Stundenplan, eine eigenständige, meist in-
tegrierende didaktische Funktion, die alle im Unterricht außerhalb von Lernfirmen in der Regel nicht
gegeben sind (Dörrer, in diesem Band; Scholz, 2006; Ruf, 2006). Die Unterrichtsplanung in Lernfir-
men wird hier nicht weiter vertieft.
Weiterhin erfolgt ein ERP-Einsatz in Projekten, Fällen und Lernsituationen. Projekte oder Fälle können
dabei einen Unterricht ergänzen, der nicht in Lernsituationen stattfindet. Beim Unterricht in Projek-
ten und Fällen wird in der Praxis nicht selten auf adaptierte Schulungsmaterialien der ERP-Hersteller
zurückgegriffen. So verwendet das Friedrich-List-Berufskolleg in Herford, wie in diesem Band be-
schrieben, eine Fallstudie, die von SAP bereitgestellt wird und insbesondere für den Unterricht in
Hochschulen entworfen wurde sowie selbst entwickelte Fallstudien in der Fachschule und bei Indus-
triekaufleuten. In der Mittelstufe wird dabei ein zweitägiges Blockseminar mit circa 16 Unterrichts-
stunden angeboten. Von diesem Einsatz möchte ich den ERP-Einsatz in Lernsituationen unterschei-
den, für die ich die Unterrichtsplanung weiter vertiefen werde.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
70
Unterrichtsplanung bei ERP-Systeme integrierendem Unterricht
Bei der Unterrichtsplanung des lernfeldorientierten Unterrichts, der ERP-Systeme integriert, werden
zunächst im Rahmen der Grobplanung eine oder wenige Lernfelder bestimmt, in denen ERP einge-
setzt wird. Der ‚flächendeckende‘ Einsatz ist in der Regel für Schulen angesichts der damit verbunde-
nen Belastung und der erforderlichen räumlich-technischen Bedingungen nicht zu leisten. Ein Einsatz
in allen Lernfeldern, wie beispielsweise im Berufskolleg Dorsten (Hemmert, 2009), wird vorläufig eher
die Ausnahme sein. Ein flächendeckender Einsatz bietet aber unter anderem die auch in Dorsten ge-
nutzte Chance, dass sich die Lernsituationen mit einheitlichen, aufeinander aufbauenden Daten über
die Abfolge der Lernfelder bzw. der Geschäftsprozesse entwickeln. Wenn der Einsatz in einzelnen
Lernfeldern exemplarisch gestaltet wird, sollte ein flächendeckender Einsatz aus didaktischen Grün-
den auch nicht zwingend sein.
Die Einführung der lernfeldorientierten Rahmenlehrpläne ab 1996 hätte umfangreicher Unterstüt-
zungsmaßnahme erfordert, um den angestrebten Wandel in der täglichen Unterrichtsarbeit in beruf-
lichen Schulen zu erreichen. Da diese unterblieben sind, wundert es nicht, dass heute in beruflichen
Schulen nicht flächendeckend mit Lernsituationen gearbeitet wird, sondern in vielen Fällen, auch in
Schulbüchern, nur eine sprachliche Anpassung erfolgt ist. Was früher einmal „Übungsaufgabe“ war,
wird dann eben „Lernsituation“ genannt, und zwar ohne den didaktischen Charakter zu verändern.
Lernfeldorientierter Unterricht heißt heute nicht zwangsläufig, dass mit Lernsituationen gearbeitet
wird. Vielmehr werden Lernfelder in den Schulen auch in thematische Blöcke herunter gebrochen, die
dem vergleichsweise hohen didaktischen Anspruch von Lernsituationen nicht erfüllen. Die Kombina-
tion dieser thematischen Blöcke mit Lernsituationen, d. h. die Durchsetzung überwiegend traditionel-
len Unterrichts mit komplexen Lernsituationen erscheint mir im Vergleich zur flächendeckenden Arbeit
eine praxisnahe Alternative (ähnlich Dubs, 2000). Allerdings ist ein solcher Mix nicht im ursprünglichen
Sinne lernfeldorientierter Didaktik.
Lernsituationen, die ERP-Systeme integrieren, haben eine spezifische Struktur. Ausgangspunkt ist zu-
nächst die Struktur der Lernsituationen (siehe auch Beier-Reeken u. a. (2005), Dilger & Sloane (2007,
S. 27 ff.), Rickes, Tiemeyer & Giesenkirchen (2007, S. 129 ff.) sowie ISB (2009)). Diese wird ergänzt um
Spezifitäten des ERP-Einsatzes.
- Formaler Rahmen der Lernsituation: Jede Lernsituation sollte einen kurzen sprechenden Namen
und einen langformulierten Namen haben. Dies wäre zu ergänzen um eine Kurzbeschreibung der
Lernsituation sowie einer Zuordnung zu einem Lernfeld sowie einem Zeitrichtwert.
- Struktur des Lernhandelns: Die Lernsituation beinhaltet zunächst einen Handlungsraum, d. h. ein
Einstiegsszenario sowie die dazugehörigen Materialien. Weiterhin wird der Handlungsprozess
(vor-)strukturiert, wobei im Regelfall eine vollständige Handlung abzubilden ist. Außerdem wird
für die Lernsituation ein konkretes Handlungsprodukt angeführt, beispielsweise das Erstellen ei-
nes Konzepts, wie einer Werbeplanung oder einer Verkaufsraumgestaltung, das Verfassen eines
Schriftstücks, zum Beispiel einer Stellungnahme oder das Treffen von Entscheidungen, wie zum
Beispiel die Auswahl aus Angeboten, das Überprüfen von Sachverhalten, die Bewertung von Unter-
lagen oder das Meistern von Gesprächssituationen (ISB, 2009, S. 18 f.).
71
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
- Intention und Inhalte der Lernsituation: Für die Lernsituation werden die Kompetenzen in den ver-
schiedenen Kompetenzdimensionen, d. h. Fach-, Lern-, Selbst- und Sozialkompetenz, ausgewie-
sen. Sowohl fachliche als auch überfachliche Kompetenzen werden – über alle Lernfelder bzw.
Lernsituationen betrachtet – sowohl in einzelnen Lernsituationen als auch in mehreren Lernsitu-
ationen ausgewiesen. Beispielsweise wurde im Projekt „EvaNet-EH“ von Hamburger Einzelhan-
delsschulen eine Kompetenzmatrix entwickelt. Diese verteilt fachliche Kompetenzen, aber auch
überfachliche Kompetenzen auf die Lernfelder (Tramm, Hofmeister & Derner, 2009). Die Kompe-
tenzmatrix kann unter http://www.ibw.uni-hamburg.de/evaneteh/ abgerufen werden. Bei der Ver-
teilung sollte sowohl deklaratives Wissen als auch prozedurales Wissen berücksichtigt werden.
Deklaratives Wissen spricht das ‚know-that‘ an und reicht von einfachem Faktenwissen bis hin zum
Wissen über umfangreiche Theorien. Prozedurales Wissen hebt auf das ‚know-how‘ ab. Prozedura-
les Wissen umfasst das Wissen um inhaltlich spezifische kleinere Vorgehensweisen, zum Beispiel
Rechenvorschriften, das Wissen um inhaltsspezifische Techniken und Methoden, zum Beispiel
Recherchemethoden sowie das Wissen darum, wann welche dieser Vorgehensweisen, Techniken
und Methoden situationsgerecht sind (Anderson u. a., 2001). Dabei sollten sowohl die klassischen
kaufmännischen Konzepte als auch ERP-spezifische Konzepte verteilt werden. Die Unternehmen-
sprozesse sollten – idealerweise eingeordnet in übergeordnete Level der Prozesse – dargestellt
werden. Unter dem Stichwort „Assessment“ sollte eine ausgearbeitete Lernsituation Hinweise für
die Selbstbewertung der Handlungsprozesse und -produkte der Lerner, aber auch Hinweise für die
Fremdbewertung durch die Lehrkraft bieten. Unter dem Stichwort „ERP“ sollte die Beschreibung
der Lernsituation Angaben zur angestrebten Methodik sowie technischen Details, zum Beispiel der
verwendete Mandant bzw. Datenbestand, machen. Schließlich sollten die Beiträge anderer Fächer
zur Lernsituation erörtert werden. Nach den Erfahrungen im Paul-Spiegel-Berufskolleg Dorsten
kann dabei ein über die Lernfelder verteilter mehrstufiger Aufbau, ausgehend von betrieblichen
Stammdaten, einfachen Geschäftsprozessen, zum Beispiel den Beschaffungsprozessen, bis hin zu
integrierten Geschäftsprozessen sinnvoll sein (Hemmert, 2009).
Die folgende Übersicht fasst diese Elemente zusammen.
Formaler Rahmen - Name Lernsituation (kurz, lang) - Kurzbeschreibung - Zuordnung, Zeitrichtwert
Struktur Lernhandeln - Handlungsraum (Einstiegsszenario, Materialien)- Handlungsprozess- Handlungsprodukt
Intentionen & Inhalte - Kompetenzen (Fachliche und überfachliche Kompetenzen, lernfeldspezifisch und lernfeldübergreifend)
Inhalte - Inhalte (Kaufmännische Inhalte im engeren Sinne)- ERP-Konzepte, Prozesse
Assessment - Selbstbewertung/Fremdbewertung
ERP - Methodik des ERP-Einsatzes- Technische Angaben (z. B. Mandant)
Bezüge zu anderen Fächern
Abbildung: Struktur einer Lernsituation mit ERP-Einsatz
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
72
Ausgewählte Probleme und Gefahren des ERP-Einsatzes in beruflichen
Schulen
Der ERP-Einsatz steht in den beruflichen Schulen in der Gefahr, in mehrfacher Hinsicht zu eng ge-
führt zu werden.
- Intransparenz, mangelhafte Unterstützung explorierenden Handelns, mangelnde systemische Ein-
bettung und mangelnde Exemplarizität: Wie bereits oben erläutert, kann der Einsatz von ERP-Sys-
temen in beruflichen Schulen, insbesondere in Teilzeitschulen, nur unter spezifischen Bedingun-
gen legitimiert werden. Hierzu gehören ein transparenter, exemplarischer, systemisch eingebette-
ter Einsatz, der explorierendes Handeln der Lerner unterstützt. Der Anspruch des Exemplarischen
bezieht sich dabei sowohl auf die originär kaufmännischen als auch die ERP- bzw. die Bedie-
nungsanforderungen. Engelhard und Budde (2003) sagen, dass der Einsatz solcher Programme
zu „strukturiertem Wissen (kennt man ein ERM-Programm, kennt man quasi alle)“ (S. 12) führe.
- Zu niedrige taxonomische Qualität: Daneben besteht die Gefahr einer möglichen Engführung der
Lehr- bzw. Lernprozesse, insbesondere einer zu niedrigen taxonomischen Qualität. Die bereits er-
wähnte Klickschulung hat ein niedriges taxonomisches Niveau, das im Regelfall unangemessen
sein wird. In meinem Verständnis kann mit den herkömmlichen Taxonomien für Lernziele im kog-
nitiven Bereich gearbeitet werden, die in der aktuellen Fassung sowohl deklaratives als auch – das
hier sehr wichtige – prozedurales Wissen berücksichtigen (Anderson u. a., 2001).
- Horizontverengung: Eine weitere Gefahr der intentionalen Engführung des Lehrens und Lernens
besteht darin, den normativen Horizont, den strategischen sowie den ökologisch-sozialen Hori-
zont zu vernachlässigen. Auf diese Gefahr hat schon Tramm (2000) bei der Erörterung von Lern-
feldern hingewiesen: Eine solche Engführung „verfehlt in ihrer Beschränkung auf die Ebene der
operativen Sachbearbeitung systematisch den strategischen und normativen Horizont kaufmänni-
scher Tätigkeit und reproduziert damit ein Modell vertikaler Arbeitsteilung, das mit der Geschäfts-
prozessorientierung im Sinne der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie eigentlich gerade
überwunden werden soll“ (S. 21).
- Mangelhafte Reflexion des Modellrahmens: In seiner Habilitationsschrift hat Tramm bereits 1996
zwei Ebenen des Lernhandelns in der Übungsfirma unterschieden: Das Lernens im Modell (LiM)
und das Lernen am Modell (LaM). Bei LiM tauchen die Lerner in das Modell ein, sie arbeiten mit
Aufgabenstellungen in dem durch das Modellunternehmen vorgegebenen Kontext. Das Lernen am
Modell (LaM) bezieht sich hingegen auf das Modell(unternehmen) selbst. Hier geht es beispiels-
weise darum, eine Distanz zum Modell zu gewinnen und über Beschränkungen und Transferfähig-
keiten zu reflektieren. Tramm arbeitet dabei heraus, dass LiM und LaM in einem Abhängigkeitsver-
hältnis stehen. Obwohl sich Tramm (1996) explizit auf Übungsfirmen bezieht, geht es auch hier um
Arbeiten mit Modellen im Unterricht. Die Arbeit mit Prozessen und ERP-Systemen steht insbeson-
dere in der Gefahr das LaM zu vernachlässigen. Dies wird auch durch die starke Rolle generischer
Prozesse in der Literatur unterstützt und fördert so eine einseitige, fachlich nicht korrekte Sicht-
weise auf Unternehmensprozesse.
- Traditionelle Routinen statt Prozesse: In der schulischen Adaption der Prozessorientierung besteht
die Gefahr, Routinen und Prozesse zu verwechseln. Der Unterschied ist folgenreich und wird von
73
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
Gaitanides (in diesem Band) ausgearbeitet: Traditionelle Routinen stellen demgemäß auf gleich-
förmige Handlungswiederholung hohe Spezialisierung sowie isolierte Arbeitsteilung ab. Prozesse
heben sich davon deutlich ab. Sie werden in kollektive Erfahrungen verdichtet, d. h. sie haben ei-
nen direkten Bezug zum Wissensmanagement, sie sprechen – so wie Spielzüge in Mannschafts-
sportarten – kollektive Könnerschaft an. Die notwendige Kundenorientierung, die grundlegend für
prozessorientiertes Denken ist, setzt ausreichende Handlungsspielräume der Mitarbeiter voraus,
die in diesem Sinne dazu befähigt werden müssen, nutzenstiftende Initiativen zu ergreifen (Empo-
werment). Prozessorientierung ist in diesem Denken genau ein Gegenmodell zur hierarchischen
Kontrolle. Didaktisch besteht durch das Verwechseln von traditionellen Routinen und Prozessen
die Gefahr, den Aspekt der Selbstverantwortung, der Gestaltungsmöglichkeiten und –notwendig-
keiten und des Empowerments im Unterricht zu vernachlässigen.
Auswahl des passenden ERP-Systems für den schulischen Einsatz
Die Auswahl des in der Schule eingesetzten ERP-Systems ist zwar eine schwierige Frage, aber di-
daktisch ein nachgeordnetes Problem. Häuber (in diesem Band) formuliert dies sehr plastisch: „Auf
welchem Fabrikat bzw. auf welcher Marke von Fahrzeug der Fahrschüler das Autofahren in seiner
Fahrschule erlernt, ist völlig unwichtig“. In Diskussionen um den schulischen Einsatz von ERP-
Systemen wird die Gleichgültigkeit des Systems immer wieder betont, vor allem in Eingangsstate-
ments. Regelmäßig findet jedoch nach spätestens fünf Minuten eine erbittere Auseinandersetzung
um die Vor- und Nachteile einzelner Systeme statt. Dies hat oft den Eindruck von Glaubenskriegen.
In menschlicher Hinsicht ist das verständlich: Oft über das Normalmaß engagierte Lehrkräfte sind
mit ‚ihrem‘ System vertraut und brechen eine Lanze dafür. Vor diesem Hintergrund ist die mit Leiden-
schaft geführte Debatte ein gutes Zeichen, nämlich für Engagement in der Schule. Für die nüchterne
Abwägung von Alternativen sind solche Auseinandersetzungen jedoch hinderlich.
In der Diskussion für den Einsatz im kaufmännischen Unterricht stehen vor allem zwei Systeme: Mi-
crosoft NAV/Navision und SAP (vgl. vertiefend Pongratz in diesem Band). Microsoft Navision wird
seit 2007 als Microsoft Dynamics NAV vertrieben. NAV lässt sich im Internet, beispielsweise auf den
Seiten süddeutscher Landesinstitute, runterladen. NAV lässt sich lokal auf den Rechnern der Schule,
auf dem Server der Schule sowie auf USB-Sticks installieren. Letzteres ermöglicht auf einfache Wei-
se die Arbeit der Lerner im Unternehmen oder zuhause. Dies ist nicht nur technisch, sondern auch
lizenzrechtlich möglich. NAV wird mit einem Demo-Mandanten, der Cronus AG, ausgeliefert. Für den
Einsatz in verschiedenen Berufen haben die beiden süddeutschen Landesinstitute, das LS in Stutt-
gart (http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision/) sowie das ISB in München (http://www.erp-
software-bayern.de/) jedoch eigene Mandanten sowie Handreichungen für die Lerner und Lehrkräfte
entwickelt. Die Lizenzen werden in den Bundesländern unterschiedlich ausgegeben, häufig durch
die Landesinstitute. Diese sind zurzeit noch jährlich zu erneuern. Es gibt kostenlose Schulungen
für Lehrkräfte von Microsoft über Microsoft Business Solutions (MBS) Academic Alliance (MBS AA)
für Berufsschulen. NAV hat inzwischen eine gewisse Relevanz für Schulbücher erlangt (siehe auch
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
74
Engelhardt, 2008): Die Schulbuchverlage binden – gerade in den typischen Berufen wie Einzelhan-
del und Industrie – NAV ein, d. h. sie setzen es illustrativ ein, liefern Modellunternehmen und didakti-
sche Materialien aus. In dem Lehrbuch „Betriebswirtschaftliche Geschäftsprozesse – Industrie“ von
Speth u. a., das im Merkur Verlag erschienen ist, wird NAV illustrativ eingesetzt und es liegt eine CD
mit Übungsdaten bei.
Das zweite System, das in der Diskussion um ERP-Systeme in der Schule dominiert, stammt von
SAP. Im Einsatz an Schulen gibt es häufig noch SAP R/3, das inzwischen Teil der mySAP-Reihe ist.
Das Produkt wird nicht lokal installiert, sondern die Schulen schließen sich an die SAP University
Competence Centers (UCC) in Magdeburg und München an. Auf dem Schulrechner läuft im Regelfall
nur ein kleines Softwarepaket. SAP selbst bietet Fallstudien und den IDES-Mandanten zu Schulungs-
zwecken an. SAP bietet kostenlose Schulungen für Lehrkräfte im Rahmen des University Alliances
Programmes (UA) an. In den Schulbüchern kommt SAP kaum vor und die Landesinstitute bieten kei-
ne Unterstützung. Die Fallstudien im Kontext des IDES-Mandanten gelten vielen Praktikern als zu
anspruchsvoll für den Einsatz an beruflichen Schulen. Um diese Zugangshürden für berufliche Schu-
len zu verringern, wurde eine Initiative „ERP4school“ (www.erp4school.de/) angeschoben, die vom
Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen in Berlin getragen und von SAP unterstützt
wird (Dörrer, in diesem Band). Der Einsatzschwerpunkt von SAP scheint mir bei den IT-Berufen und
ähnlichen Berufen zu liegen.
Die Auswahl eines solchen Systems für die Schule ist eine komplizierte Angelegenheit, die hier nicht
weiter vertieft werden soll (Pongratz, in diesem Band).
Einführung von Prozessorientierung und Einbindung von ERP-Systemen
an Schulen
Mit der Auswahl des ERP-Systems ist die Einführung an der Schule keineswegs erledigt. Vielmehr
ist eine umfassende, aufeinander abgestimmte Personalentwicklung, Organisationsentwicklung,
Unterrichtsentwicklung und Technikentwicklung notwendig (Pongratz, in diesem Band). Dies führt
zwangsläufig zu einem umfangreichen, längerfristigen Schulentwicklungsprojekt. Eine Einführung
sollte die – vielfach durch andere Initiativen beanspruchte – Innovationskapazität der Schule nicht
überfordern, sondern eine Strategie der kleinen, aber kontinuierlichen Schritte gehen. So lässt sich
entlang der hier aufgezeigten Varianten ein langfristig verfolgter Innovationspfad aufbauen, der etwa
mit illustrativen Einsätzen und Fallstudien in recht kleinen fortgebildeten Teams beginnt, sich über
den Einsatz in einzelnen Lernfeldern fortsetzt und so kontinuierlich in die Fläche verbreitert. Die
Schulleitung und das Schulentwicklungsteam hätten dabei die Einbettung der (ERP-)Integration in
die gesamte Schulentwicklung zu gewährleisten.
75
Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht
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Autor
Wilbers, Karl; Prof. Dr.; Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen - Nürnberg; Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät; Fachbereich Wirtschaftswissenschaften; Lange Gasse 20; 90403 Nürnberg Mail: [email protected]
77
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Das Zusammenspiel von Prozessorientierung, systemischer Perspektive und prozessübergreifender Kompetenzentwicklung im lernfeldstrukturierten Berufsschulunterricht
Tade Tramm
1 Problemstellung
Die Frage der Integration von ERP-Programmen in kaufmännische Curricula ist eng mit dem Prob-
lemkreis verknüpft, wie berufliche Schulen auf die veränderten Qualifikationsanforderungen reagie-
ren sollen, die sich aus der zunehmenden Verbreitung von Unternehmenssteuerungssoftware in der
Arbeitswelt und den sich damit verbindenden Veränderungen der Qualifikationsanforderungen erge-
ben. Es ist heute unumstritten, dass es hierbei nicht einfach um neue Techniken geht, in die einzufüh-
ren und auf die vorzubereiten wäre. Die Einführung von ERP-Programmen steht vielmehr im Zusam-
menhang einer tiefgreifenden Veränderung der betrieblichen Organisationsstrukturen und zugleich
der theoretischen Perspektive, aus der heraus man betriebliche Abläufe zu verstehen und optimieren
versucht. Der Begriff der Prozessorientierung steht hierbei im Zentrum, er prägt seit 15 Jahren die
Reorganisation von Unternehmen und dominiert auch erkennbar die wissenschaftliche Forschung
und Lehre in der BWL. Die dynamische Verbreitung von ERP wäre ohne Business Process Reenge-
neering kaum möglich gewesen, wie umgekehrt aus den ERP-Programmen wesentliche Impulse und
Rahmenbedingungen für das moderne Prozessmanagement gesetzt wurden. Mit der Einführung von
integrierter Unternehmenssoftware wurde jedoch zugleich deutlicher als je zuvor, wie hochgradig
vernetzt und interdependent diese Unternehmensprozesse sind. ERP –Soft ware modelliert betriebs-
wirtschaftliche Interdependenzen im praktischen Unternehmenszusammenhang. Sie ist damit in je-
dem Einzelfall stets auch operationalisierte betriebswirtschaftliche Theorie.
Curricular betrachtet wirft dies die Fragen auf, wieweit sich zukünftige Kaufleute dieses integrierte
betriebswirtschaftliche Modell erschließen und damit zugleich auch die Möglichkeit erhalten sollten,
ihre eigene Tätigkeit im Unternehmen in den (horizontalen) Zusammenhang betrieblicher Leistungs-
prozesse und den vertikalen Kontext betrieblicher Entscheidungs- und Kontrollprozesse zu stellen.
Didaktisch öffnet dies den Blick für ein Verständnis von ERP-Programmen als eines „Fensters“ in be-
triebliche Prozess und Systemzusammenhänge, einer Chance also, Einblicke zu nehmen in betrieb-
liches Geschehen und dessen inneren, systemischen Zusammenhang. In ERP-Programmen model-
lierte Unternehmen, gleich ob reale oder fiktive, stellen somit komplexe Lerngegenstände – das also,
worüber etwas gelernt werden soll – und zugleich herausfordernde Lernumwelten dar, in denen sich
arbeitsanaloges Lernhandeln konkret vollzieht.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
78
Vor dem Hintergrund dieser, hier nur anzudeutenden Überlegungen bietet die Integration von ERP-
Software in kaufmännische Curricula die Chance, Prozessorientierung erfahrbar zu machen und
hierüber zugleich die Möglichkeit zu eröffnen, die Systemperspektive einer Unternehmung aus dem
Prozesszusammenhang zu erschließen.
Das Konzept der Prozessorientierung steht in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskussion
spätestens mit der Einführung des Lernfeldkonzepts Mitte der 1990er Jahre im Mittelpunkt des Inter-
esses. Bei genauerer Betrachtung erweist es sich als ein mehrdeutiges Konstrukt, das mit Bezug auf
berufliche Bildung zumindest drei Facetten erkennen lässt.
- Prozessorientierung lässt sich aus der Perspektive der Arbeitnehmer auf Arbeitsprozesse bezie-
hen und thematisiert mit dem Prozessaspekt die Ablaufstruktur, die Zielbezogenheit und auch die
Regulationsleistungen individueller Arbeitsprozesse;
- Prozessorientierung lässt sich aus der Perspektive der Unternehmung und im Kontext betriebs-
wirtschaftlichen Denkens auf Geschäftsprozesse beziehen, wobei hier, unabhängig von Aspek-
ten der Arbeitsteilung, Leistungsprozesse der Unternehmung als zweck- und zielgerichtete Vor-
gangsketten bzw. als Folgen betrieblicher Aktivitäten gefasst werden;
- Prozessorientierung lässt sich aber auch aus der Perspektive des lernenden Subjekts und im Kon-
text didaktischen Denkens auf Entwicklungs- und Lernprozesse beziehen, womit der Akzent auf
Sequenzen von Lernhandlungen und Lernerfahrungen und die damit intendierte Kompetenzent-
wicklung gesetzt wird.
In der verbreiteten Rede von der “Arbeits- und Geschäftsprozessorientierung“ als Leitidee des Lern-
feldansatzes wird die Differenz dieser beiden Konstrukte verwischt; oder schlimmer noch: Die Ge-
schäftsprozessperspektive wird auf die Perspektive operativer Arbeitsprozesse verkürzt. Dies wird
dann noch verstärkt, wenn etwa beim Arbeiten mit ERP-Pro grammen die Ablaufroutinen in den Vor-
dergrund gestellt und die dahinter liegenden Datenstrukturen und betriebswirtschaftlichen Sachver-
halte nicht erschlossen werden.
In der Fokussierung curricularer Planung auf einzelne (arbeits- oder geschäftsprozessorientierte)
Lernfelder („vom Lernfeld zur Lernsituation“) werden zwar die Situierung und Problemorientierung
beruflichen Lernens realisiert, darüber droht jedoch die Perspektive der Entwicklung beruflicher
Kompetenzen über die Lernfelder hinweg aus dem Blick zu geraten.
Hiermit sind Gegenstand und Zielsetzung meines Beitrages umrissen. Es geht mir um die wirt-
schaftspädagogisch zu begründende Notwendigkeit, über die (operative) Prozessperspektive hin-
ausgehend den Blick auf deren betriebswirtschaftliche Hintergründe auszuweiten: Es ist demnach
nicht primär die möglichst ganzheitliche Betrachtung von Vorgangsketten über Stellen und Abtei-
lungen hinweg, sondern vielmehr die Einbeziehung der diesen Prozessketten zugrundeliegenden
betriebswirtschaftlichen Probleme und Kalküle, die den Aufbau einer theoretisch fundierten, flexi-
blen Orientierungs- und Handlungskompetenz im Sinne des Lernfeldansatzes sichern könnte. Ein
zweiter Schwerpunkt dieses Beitrages wird darauf gelegt, die sich aus dem Lernfeldansatz erge-
benden Probleme der Segmentierung von Lern- und Entwicklungsprozessen zu diskutieren und eine
79
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
pragmatische Strategie vorzustellen, über die Verständigung auf lernfeldübergreifende Kompe-
tenzdimensionen den Kompetenzentwicklungsprozess der Lernenden in den Fokus zu nehmen.
Den Hintergrund dieser Ausführungen bilden Projekte zur kooperativen Lernfeldentwicklung
im Bereich der Ausbildung von Industriekaufleuten (Culik), von Medizinischen Fachangestellten
(Lerne*MFA) und von Einzelhandelskaufleuten (EvaNet*EH), die seit Ende der 1990er Jahre vom Insti-
tut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg begleitet worden sind (vgl. hierzu
Tramm/Steinemann/Gramlinger 2004; Marder 2008; Tramm/Derner/Hofmeister 2009).
2 Arbeits- und Geschäftsprozesse – von der horizontalen
zur vertikalen Integration
2.1 Arbeitsprozesse und Arbeitsprozesswissen
Lernfeldorientierte Curricula nehmen die Prozessstruktur des beruflichen Handlungs- und
Erfahrungs feldes als Ausgangs- und Bezugspunkt für die Strukturierung des Curriculum. Diese
Struktur ist allerdings keinesfalls naturgegeben, sondern selbst Ergebnis menschlicher Analyse- und
Strukturierungstätigkeit; m. a. W. wir finden Prozesse nicht etwa vor, sondern wir konstruieren sie auf
der Grundlage begrifflicher Schemata und theoretischer Modelle.
Grundsätzlich geht es bei solchen curricularen Konstruktions- und Strukturierungsfragen um das
Problem, wie innerhalb eines komplexen, auf das gesamte berufliche Handlungsfeld bezogenen the-
matischen Raumes über Prozesse der Abgrenzung und der Bildung von Einheiten erkennbare Ord-
nung gestiftet und Komplexität reduziert werden kann. Denn es ist unumstritten, dass auch die Pro-
grammatik komplexer Lehr-Lern-Arrangements die Notwendigkeit anerkennt, dass die Komplexität
des realen Erkenntnisgegenstandes für Lehr-Lern-Zusammen hänge zumindest kognitiv reduziert1
werden muss, damit sie von den Lernenden schritt- bzw. schichtenweise erschlossen werden kann
(vgl. z. B. Achtenhagen/Tramm/Preiss et al. 1996).
Traditionell orientierte sich Unterricht im kaufmännischen Bereich an einer funktionalen Systema-
tik betrieblichen Geschehens, wie sie sich auch in der funktionslogischen Aufbauorganisation von
Unternehmungen widerspiegelt (Aufgaben und Fragestellungen aus dem Aufgabenspektrum des
Absatzes, der Beschaffung, des Rechnungswesens etc.). Diese Vorgehensweise entsprach zudem
der fachwissenschaftlichen Gliederung in funktionsorientierte spezielle Betriebswirtschaftslehren
(Absatzlehre, Beschaffungswirtschaft etc.) und erleichterte so einen disziplinorientierten Fachunter-
richt. Ihr Nachteil war, dass sie zu einer fragmentierenden Sicht betrieblichen Geschehens führte, im
1 Die kognitive Reduktion unterscheidet sich von der realen oder phänomenalen Reduktion dadurch, dass der Phäno-
menbereich hier zwar umfassend im Unterricht repräsentiert wird, dass jedoch die kognitive Durchdringung dieses
Gegenstandes in der Weise erfolgt, dass probleminduziert nacheinander jeweils spezifische Aspekte und Zusam-
menhänge thematisiert werden.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
80
Extrem zu einer „Schreib- und Ladentischperspektive“ (Reetz/Witt 1974), und damit den Blick für die
systemischen Zusammenhänge der Unternehmung verstellte.
Diese didaktische Problematik korrespondierte interessanter Weise auch einem zunehmend virulen-
tem Problem auf der betrieblichen Organisationsebene, das dort Anstoß für Ansätze einer prozess-
orientierten Reorganisation betrieblicher Strukturen war. Gaitanides u. a. (1994, S. 11f.) bringen die
Kernidee knapp auf den Begriff:
„Die herkömmliche Strategie der Gestaltung organisationaler Strukturen ist die ‚funktionale Ex-
zellenz’. Jeder Bereich, jede Abteilung wird nach spezifisch funktionalen Zielsetzungen für sich
optimiert, bis eine ‚erstklassige Performance’ erreicht ist.... Der Trugschluss dieser Ansätze liegt
in der Annahme, dass die Summe einzeln optimierter Abteilungen auch zu einem ganzheitlichen
Optimum führt. Dass dies in der Regel nicht eintritt, liegt daran, dass unterschiedliche, abtei-
lungsbezogene Zielsetzungen zu suboptimalen Lösungen und mithin zu Abstimmungsverlusten
zwischen den Abteilungen führen. Zielsetzungen müssen, wenn sie auf eine unternehmensweite
Gestaltung ausgerichtet sein sollen, für die einzelnen Wertschöpfungsketten des Unternehmens
formuliert werden. Reorganisation muss aus diesem Grund crossfunktional und prozessorientiert
erfolgen...“.
Aus organisationstheoretischer Sicht wurde mithin deutlich, dass die Kostenvorteile tayloristischer
Arbeitszerlegung durch erheblich aufwendigere Steuerungs- und Koordinationsprozesse erkauft
werden mussten, die bei zunehmend komplexeren Produktionsabläufen immer mehr ins Gewicht fie-
len und die Schnittsstellenprobleme dennoch immer deutlicher zu Tage treten ließen (vgl. auch Ham-
mer/Champy 1993). Die eigentlich wertschöpfenden, auf Seiten der Kunden Nutzen stiftenden Pro-
zesse traten gegenüber den Sekundärprozessen in den Hintergrund, Prozesstransparenz war eine
Sache von Experten. Programm der prozessorganisatorischen Reorganisation war demgegenüber,
die betriebliche Organisation ausgehend von den wertschöpfenden Prozessen neu zu organisieren
und dabei zugleich Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass repetitive Teilarbeit zu Gunsten „vollstän-
diger Arbeitsprozesse …im Sinne der Zielsetzung, Planung, Durchführung, Bewertung der eigenen
Arbeit im Kontext betrieblicher Abläufe“ (Fischer 2000, S. 121) zurückgedrängt wird.
Eine solche Reorganisationsprogrammatik ist aus berufspädagogischer Sicht schon deshalb hoch
attraktiv, weil sie die kognitiven Orientierungs- und Regulationsleistungen der Arbeit aufwertet, weil
sie motivational die Arbeit des Einzelnen auch subjektiv erkennbar in den Gesamtleistungszusam-
menhang der Unternehmung stellt und weil sie damit insgesamt die Kompetenzbasis betrieblicher
Arbeit zu den Arbeitenden zurückverlagert und die Bedeutung beruflicher Kompetenzen und damit
auch der Berufsausbildung stärkt.
In diesem Sinne war es vor allem die Bremer Forschungsgruppe um Felix Rauner, die eine arbeitspro-
zessbezogene Reorganisation beruflicher Bildung propagierte, wie sie letztlich auch im Lernfeldkon-
zept ihren Ausdruck gefunden hat. Hierbei spielte das Konstrukt des „Arbeitsprozesswissens“ eine
wichtige Rolle, worunter das „Wissen um den Zusammenhang des Produktionsablaufs ..., das erfah-
renen Facharbeitern zu eigen ist“ verstanden wird. Dieses Wissen wird „im Arbeitsprozess unmit-
telbar benötigt, ... [es] wird meist im Arbeitsprozess selbst erworben, schließt aber die Verwendung
81
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
fachtheoretischer Kenntnisse nicht aus“ (Fischer 2000, S. 119ff.). Das Arbeitsprozesswissen bildet
damit den Kern beruflicher Kompetenz und wird deutlich gegenüber einer „Fachtheorie“ abgegrenzt,
als deren Ursprung die Fachwissenschaft angesehen wird.
In Abgrenzung vom bloßen Erfahrungswissen bindet Fischer den Begriff des Arbeitsprozesswissens
an einen Satz normativer Kriterien, die deshalb interessant sind, weil sie zugleich Postulate einer ar-
beitsprozessorientierten Ausbildung begründen. Fischer (ebenda, S. 119, vgl. auch S.176) führt aus,
dass mit dem
„Begriff ‚Arbeitsprozesswissen’ die mögliche Arbeitserfahrung im Hinblick auf drei Momente prä-
zisiert [wird]: Erstens ist Arbeitsprozesswissen das Resultat einer Verschmelzung von Arbeits-
erfahrung und Bildung /Qualifizierung. Zweitens enthält Arbeitsprozesswissen Kenntnisse um
Zweck und Ablauf des betrieblichen Gesamtar beitsprozesses. Drittens wird Arbeitsprozesswis-
sen in Problemsituationen akku mu liert, deren Bewältigung die Zielfindung, Planung, Durchfüh-
rung und Bewertung von Arbeitsprozessen einschließt.“
Die Konsequenzen der Orientierung am Arbeitsprozesswissen bei der Gestaltung beruflicher Bil-
dungsprozesse im Sinne einer arbeitsprozessorientierten Berufsbildungskonzeption lassen sich auf
drei Ebenen identifizieren:
- Auf intentionaler Ebene wird ein letztlich normatives Qualifikationskonzept verfolgt, das auf die
partizipative Gestaltung idealtypisch ganzheitlicher Arbeitsprozesse auf Facharbeiterebene ab-
zielt und dabei ein umfassendes Verständnis dieser Arbeitspro zesse in ihrer Mehrdimensionalität
voraus setzt (vgl. Fischer 2000, S. 296).
- Auf inhaltlicher Ebene steht das der Facharbeit inkorporierte Arbeits prozess wissen im Vorder-
grund, das primär im Arbeitsprozess selbst erworben wird. Dieser Arbeitsprozess wird als Ein-
heit der Zielbildung, Planung, Durchführung und Bewertung der Arbeit verstanden. Das Arbeits-
prozesswissen „bezieht sich auf den betrieblichen Gesamt arbeitsprozess, enthält also nicht nur
die Erfahrung repetitiver Teilarbeit, sondern auch Wissen um Zweck und Ablauf der Produktion“
(Fischer 2000, S. 176) Dieses Arbeitsprozess wissen, das explizite und implizite Teile umfasst, soll
empirisch erschlossen werden.
- Auf prozessualer Ebene geht es darum, dass das erforderliche Wissen über die Auseinanderset-
zung mit betrieblichen Arbeitsprozessen erworben werden soll. Lernen im Prozess der Arbeit ist
eine wesentliche Dimension dieses Qualifizierungsprozesses. Bezogen auf die Berufsschule wird
eine reflexive Auseinandersetzung mit betrieblichen Arbeits prozessen angestrebt, wobei ein be-
sonderes Potenzial in der Auseinandersetzung mit Störfällen, betrieblichen Problemen oder Ge-
staltungsaufgaben gesehen wird.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
82
Wichtig und weiterführend scheint uns an diesem Konzept, dass so Wissensbereiche in der Berufs-
schule Berücksichtigung finden, die als Handlungs- und Erfahrungswissen der Praxis in den korre-
spondierenden Fachwissenschaften nicht erfasst oder die durch disziplinäre Begrenzungen ausge-
blendet werden. Als problematisch erweist sich demgegenüber
- die sehr enge Perspektive auf das relevante Prozesswissen des aktuellen beruflichen Handlungs-
feldes;
- der eher punktuelle und fragmentarische Zugriff auf systematisches Wissen und schließlich
- die Vernachlässigung kognitiver Orientierungsbereiche, sowohl im Hinblick auf das systemische
Umfeld, in das die einzelnen Tätigkeitskomplexe eingebettet sind (die Baustelle, die Bauunterneh-
mung, die Bauwirtschaft, die Baukultur etc.) als auch im Hinblick auf die Struktur und Dynamik der
relevanten technologischen Wissensfelder (Werkstoffkunde, Bearbeitungstechniken).
Auf einer grundsätzlicheren Ebene scheint uns die mit diesem Zugang verbundene Dichotomisierung
und Segregierung von wissenschaftlich fundierter Fachtheorie und erfahrungsbezogenem Arbeits-
prozesswissen fatal, weil damit getrennt wird, was eigentlich im Qualifizierungsprozess aufeinander
bezogen werden sollte (vgl. Tramm 1994) und weil darin zugleich ein gesellschaftliches Modell hier-
archischer bzw. vertikaler Arbeitsteilung perpetuiert wird, das doch eigentlich gerade überwunden
werden sollte: Die Wissenschaft den Ingenieuren, das Arbeitsprozesswissen den Facharbeitern.
2.2 Von der Arbeitsprozessorientierung zur Geschäftsprozessorientierung
Die Rede von den „Arbeits- und Geschäftsprozessen“ führt zu einer semantischen Verknüpfung
zweier Konzepte, die aus ganz unterschiedlichen Kontexten heraus entstanden sind und deren pa-
radigmatische Kompatibilität keineswegs gesichert ist. Beiden gemeinsam ist ohne Zweifel der oben
geschilderte Anspruch einer horizontalen Integration betrieblicher Tätigkeiten oder Funktionen. In-
kompatibel scheinen sie jedoch in der Hinsicht, dass eine Fokussierung auf die operativen Tätigkei-
ten der Facharbeiter bzw. -angestellten und deren Wissensbasis, wie sie im Arbeitsprozesskonzept
Programm ist, zumindest mit dem wissenschaftlichen Konzept der Geschäftsprozessorientierung
nicht vereinbar ist. Im Folgenden soll ausgehend von der Idee der horizontalen Integration die Not-
wendigkeit einer vertikalen Integration kaufmännischer Berufstätigkeit in drei Schritten entfaltet
werden.
Für eine Adaptation des Prozessgedankens im kaufmännischen Bereich galt es zunächst einmal,
das Denken in Stellen und Abteilungen durch ein Denken in Vorgangsketten abzulösen, die die ganze
Unternehmung durchlaufen und an deren Anfang und Ende eine Interaktion mit dem Kunden steht:
Geschäftsprozesse sind in diesem Sinne mit Scheer „ereignisgesteuerte Vorgangsketten“, bei denen
im kaufmännischen Arbeitsbereich im Unterschied zum Fertigungsbereich keine Materialtransforma-
tionen, sondern Datentransformationen stattfinden (1997).
Eine solche Sicht, die noch in der Tradition der Arbeitsprozessbetrachtung steht, greift in mehrfa-
cher Weise zu kurz, weil sie die eigentümliche Mehrdimensionalität kaufmännischen Handelns im
83
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Hinblick auf deren Gegenstand, Zweck und Zielhorizont verfehlt. Die Hauptursache dafür dürfte die
Fokussierung auf die operativen Prozesse auf Sachbearbeiterebene sein und, damit verbunden, die
Vernachlässigung der dahinterliegenden, in den konkreten betrieblichen Regelungen geronnenen,
betriebswirtschaftlichen Entschei dungskalküle. In dieser Weise kann es zwar gelingen, aus der Ar-
beitsprozesssicht heraus eine horizontale Integration betrieblicher Arbeit zu modellieren, die vertika-
le Integration dieser Tätigkeiten in einen betriebswirtschaftlichen Sinnhorizont, wie sie mit Mertens in
der folgenden Abbildung visualisiert werden kann, wird damit jedoch verfehlt.
horizontal
vertikal
Planungs- und Entscheidungssysteme
Analyse- und Informationssysteme
Berichts- und Kontroll-systeme
WertorientierteAbrechnungssysteme
Mengenorientierte operative Systeme (Administrations-und Dispositionssysteme
Produktion Technik Beschaffung Vertrieb Personal
Integrierte Informationssysteme
Abb. 1: Horizontale und vertikale Integration betrieblicher Prozesssichten nach Mertens 1997, S.6
Einer Erschließung der horizontalen Perspektive aus einer Arbeitsprozesssicht heraus stehen drei
spezifische Reduktionismen entgegen, die in den folgenden Kapiteln dargelegt werden.
2.2.1 Ziel- und Zweckdimension kaufmännischen Handelns
Was unterscheidet die psychische Regulation der Arbeit eines kaufmännischen Angestellten von
der eines Tischlers? Aus dieser Fragestellung heraus hat Resch bereits 1988 im Anschluss an die
Handlungsregulationsmodelle von Volpert (1983) und Oesterreich (1981) ein Modell der Handlungs-
regulation geistiger Arbeit vorgelegt, das es erlaubt, die Spezifik kaufmännischer Tätigkeit präziser
zu erfassen. Im Zentrum des Modells steht die Differenzierung von „faktischem Handlungsfeld“ und
„Referenzhandlungsfeld“, womit sich die Annahme verbindet, dass die Tätigkeit von Kaufleuten sich
weitgehend in einem Bereich „symbolisierender Handlungen“ vollzieht, deren Bedeutung und auch
deren Wert sich erst dadurch ergibt, dass sie Handlungen in einem Referenzhandlungsfeld anbah-
nen, begleiten und/oder evaluieren. Eingriffe in dieses Referenzhandlungsfeld sind nur vermittelt über
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
84
Aktionen im faktischen Handlungsfeld möglich (s. Abb. 2). Kompetentes bzw. „nicht-partialisiertes“
(vgl. Volpert 1983) Handeln erweist sich darin, dass der Handelnde nicht allein aufgrund spezifischer
Handlungsregeln des faktischen Handlungsfeldes agiert, sondern die funktionale Anbindung solcher
Regeln an das Referenzhandlungsfeld durchschaut und damit aus der Funktionslogik des Referenz-
handlungsfeldes heraus verständig und flexibel agieren kann.
Inneres Modell
Faktisches Handlungsfeld� Objekte� Normen� Bedingungen
Handlungssubjekt
Referenzhand-lungsfeld� Objekte� Normen� Bedingungen
DirekteEingriffe
Indirekte Effekte
Abb. 2: Bezugsebenen kaufmännischen Handelns nach Resch 1988
Im Zentrum kaufmännischer Sachbearbeitertätigkeit im faktischen Handlungsfeld steht in der Regel
die Bearbeitung von Informationen, also die Datentransformation im Sinne Scheers. Diese Prozesse
isoliert vom Referenzhandlungsfeld zu thematisieren und zu optimieren mag Gegenstand einer Tech-
nologie bürokratischen Handelns oder, durchaus anspruchsvoller, auch der Wirtschaftsinformatik
sein, es verfehlt aber den Charakter einer kaufmännischen Tätigkeit, wie er mit Abbildung 3 zu illus-
trieren versucht wird.
Ebene der Informationsströme zur Anbahnung,Begleitung und Auswertung von Leistungsprozessen
Ebene der Real‐ und Nominalgüterströme, Leistungsprozessebene = Sachzielebene
Ebene der formalen und informellensozialen Transaktionen
Ebene der betrieblichen Wertschöpfung, monetär und nicht‐monetär, Formalzielebene
Abbildung 3: Dimensionen kaufmännischer Tätigkeit
85
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Informationsströme und Daten einer Unternehmung (auf der Ebene der Belegströme) dienen der An-
bahnung, begleitenden Kontrolle und Auswertung von Leistungsprozessen und/oder sozialen Trans-
aktionen (auf der Sachzielebene) und haben letztlich zu gewährleisten, dass diese Leistungsprozesse
und Transaktionen die Erreichung der wirtschaftlichen Formalziele ermöglichen, worunter wiederum
der Wertschöpfungsbeitrag bzw. das Gewinnziel eine herausragende Funktion einnimmt. Anders
akzentuiert: Der kaufmännische Fallbearbeiter muss in der Lage sein, einen konkreten Vorgang auf
allen drei Ebenen zu erfassen und abzubilden, er muss gedanklich zwischen diesen Ebenen hin und
her wechseln können. Die besondere Spezifik kaufmännischer gegenüber gewerblicher Tätigkeit liegt
darin, dass die Wertschöpfungsebene diejenige ist, auf der sich der Erfolg kaufmännischer Tätigkeit
letztlich erweist und auf die hin die Aktivitäten am Markt optimiert werden müssen. Demgegenüber
bildet der Wertschöpfungsbeitrag für gewerbliche Tätigkeiten i. d. R. allenfalls die Nebenbedingung
für sachzieldominierte Leistungen, deren Qualität sich mithin unmittelbar in der Güte der erbrachten
Produktions-, Reparatur- oder Dienstleistung erweist. Je stärker allerdings diese Perspektive über
den einzelnen Auftrag hinaus reflektiert wird, je mehr der Wertschöpfungsbeitrag auch hier thema-
tisiert wird (etwa über den Kostenaspekt), desto stärker geraten auch in solchen Arbeitszusammen-
hängen kaufmännische Kriterien in den Fokus.
2.2.2 Führungs- und Kontrollprozesse
Eine Prozessbetrachtung in Analogie zum Arbeitsprozesskonzept verfehlte in ihrer Beschränkung auf
die Ebene der operativen Sachbearbeitung systematisch den strategischen und normativen Horizont
kaufmännischer Tätigkeit und reproduzierte damit ein Modell vertikaler Arbeitsteilung, das mit der
Geschäftsprozessorientierung im Sinne der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie gerade
überwunden werden soll.
normatives Management
strategisches Management
operatives Management
operative Ausführungsebene
Unternehmenspolitik
Abstimmungsprozesse und Bereichspolitiken
Beschaffungs‐ Produktions‐ Planung und Absatzplanungplanung u. planung u. Kontrolle der und –kontrolle‐kontrolle ‐ kontrolle Informations‐
prozesse
B1 B2 B3 RW1 P1 P2 RW2 A1 A2 A3 RW3
Abbildung 4: Ausführungs-, Planungs- und Kontrollebenen betrieblichen Handelns nach Ulrich (1987)
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
86
Operatives Handeln in einer Unternehmung ist in ein hierarchisches System von Handlungsvorgaben
und Kontrollprozessen integriert, über die Zielvorgaben, Etats und Handlungsregeln definiert und mit
benachbarten Bereichen (oder Prozessen) abgestimmt werden (vgl. z. B. Ulrich 1987).
Für den Handelnden auf der operativen Ebene, der nicht mehr nur nach streng formalisierten büro-
kratischen Regeln stereotyp agiert, sondern innerhalb definierter Handlungsspielräume im Rahmen
des betrieblichen Ziel- und Strategiehorizontes flexibel am Markt operieren soll, ist das Verständnis
dieser operativen, strategischen und normativen Managemententscheidungen hoch relevant. Darü-
ber hinaus soll er sich mit seinen Handlungserfahrungen auch in den Prozess der Definition bzw. Re-
vision dieser Vorgaben mit einbringen.
Das System der Managemententscheidungen definiert somit das notwendige betriebliche Orientie-
rungsfeld des kompetenten Fallbearbeiters und zumindest teilweise auch seinen betrieblichen Mit-
wirkungsbereich. Entsprechend wird es aus curricularer Sicht erforderlich sein, einerseits Führungs-
und Kontrollprozesse der Unternehmung mit ihren spezifischen Problemstellungen und Handlungs-
strategien zu thematisieren und darüber hinaus auch solche betrieblichen Handlungsfelder, die nicht
unmittelbar auf die Erbringung von Marktleistungen gerichtet sind, zu berücksichtigen.
2.2.3 Supportleistungen als langfristige Basis betrieblicher Leistungsprozesse
Wenn im Sinne dieses komplexen Prozessverständnisses nicht Arbeitsprozesse auf Sachbear-
beiterebene, sondern Geschäftsprozesse als Dimensionen der betrieblichen Leistungserstellung
Bezugspunkt kaufmännischer Curricula sein sollen, stellt sich notwendig die Frage nach der Aus-
wahl bzw. treffender noch, nach der Modellierung exemplarisch relevanter Geschäftsprozesse. Ge-
schäftsprozesse sind keine empirischen Entitäten, sondern es sind Beschreibungen empi rischer
betrieblicher Abläufe auf der Grundlage einer vorgängigen theoretischen Modellie rung (vgl. dazu
Gaitanides/Ackermann 2004; Griese/Sieber 1999). In diesem Sinne erfolgt die Modellierung von Ge-
schäftsprozessen mit Bezug auf spezifische organisationstheoretische Konzepte, die seit Mitte der
90er Jahre unter Begriffen wie „Business Reengineering“ (Hammer/Champy 1993), „Wertkettenmo-
dell“ (Porter 1986), „Prozessmanagement“ oder „Geschäftsprozessmodellierung“ (Gaitanides et al.
1994) diskutiert werden. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie im Unterschied zu den Arbeitsprozess-
betrachtungen nicht aus der Perspektive des Facharbeiters bzw. Sachbearbeiters formuliert sind,
sondern die Gesamtheit der betrieblichen Leistungs erstellung in den Blick nehmen, also quasi den
„ideellen betrieblichen Gesamthandelnden“ (vgl. Tramm 1996).
Ein drittes tendenzielles Reduktionsfeld hängt mit dieser Modellierungsentscheidung und einer ver-
breiteten Betonung des Vorranges unmittelbar wertschöpfender Prozesse sowie einer Zurückdrän-
gung von Unterstützungsprozessen zusammen, denen häufig kein positiver Wertschöpfungsbeitrag
beigemessen wird. Dies kann im direkten Rückgriff auf organisationstheoretische Konzepte des Ge-
schäftsprozessmanagements konkretisiert werden. In Anlehnung an das Modell der „aggregierten,
differenzierungsfähigen Leistungsprozesse“ von Sommerlatte/Wedekind (1990) haben Gaitanides
87
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
et al. (1994) ein idealtypisches „kundenorientiertes Unternehmensmodell“ entwickelt, in dem sie sys-
tematisch zwischen den (unmittelbar kundenbezogenen) Kernleistungen und den Supportleistungen
bzw. -prozessen einer Unternehmung unterscheiden (vgl. Abb. 5). Letztere dienen dazu, die langfris-
tige Leistungsfähigkeit der Unternehmung zu gewährleisten und ihr damit zugleich die entscheiden-
den Wettbewerbsvorteile am Markt zu sichern.
Unternehmensprozesse
Supportleistung Kernleistung
Personal betreuen
Finanzielle Steuerung: Rentabilität und Liquiditätsicherstellen
Ressourcen bereitstellen
Informations‐versorgungsicherstellen
Leistungsangebot definieren
Leistung entwickeln
Leistung herstellen
Leistung vertreiben
Leistung erbringen
Auftrag abwickeln
Leistung
Design
Produkt
Angebot
Service
Auftrag
KUNDE
Abbildung 5: Idealtypisches Modell kundenorientierter Leistungsprozesse einer Unterneh mung nach
Gaitanides et al. (1994, S. 17)
Curricular verbindet sich damit die Frage nach dem Stellenwert der Supportprozesse in einem kauf-
männischen Lehrplan. Ein Blick auf den Rahmenlehrplan der Bankkaufleute aus dem Jahr 1997 zeigt
beispielsweise, dass sich dessen Lernfelder unter dem Leitbild des „verkaufsorientierten Bankange-
stellten“ ganz eindeutig auf die direkte Vermarktung von Bankdienstleistungen konzentrieren, wäh-
rend Supportbereiche wie Personalwirtschaft, Investition und Finanzierung, betriebliche Informatik
oder Organisation völlig fehlen. Damit werden aber genau solche Entscheidungs- und Handlungsfel-
der vernachlässigt, auf denen mittel- und langfristig die Grundlagen für ein erfolgreiches Agieren am
Markt und das Überleben der Unternehmung gelegt werden. Felder zudem, die aus der Arbeitneh-
merperspektive von höchster Relevanz sein dürften, man denke hier nur an die Rationalisierungswel-
le im Bankensektor oder die Folgen der internationalen Krise des Finanzmarktes.
Resümierend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass eine Prozessorientierung kaufmänni-
scher Curricula unter der Leitidee qualifizierter kaufmännischer Fallbearbeitung und zukunftsoffener
Kompetenzen sich nicht auf die Rekonstruktion von Arbeitsprozessen auf der operativen Ebene be-
schränken kann, sondern die Einbettung dieser Tätigkeiten in den Gesamtzusammenhang betriebli-
cher Zielorientierungen, Gestaltungs- und Strategieentscheidungen mit reflektieren muss. Vor dem
Hintergrund dieser letztlich normativ begründeten Entscheidung, löst sich auch der scheinbare Wi-
derspruch von Wissenschafts- und Situationsorientierung im curricularen Zielbereich weitgehend
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
88
auf. Folgt man nämlich dieser Qualifikationsidee und integriert Aspekte des operativen, strategischen
und normativen Managements in das Curriculum, so ist dies nur durch Einbeziehung von Fragestel-
lungen und Konzepten der wissenschaftlichen Betriebswirtschafts- bzw. Managementlehre zu leis-
ten. Würde man hierauf zugunsten einer am Arbeitsprozesswissen von Sachbearbeitern orientierten
Konzeption verzichten, so würde man nicht nur die Wissenschaftsorientiertheit des Curriculums
preisgeben, man würde vor allem den Anspruch einer fundierten beruflichen Orientierungs- und
Handlungskompetenz im kaufmännischen Bereich verfehlen.
3 Vom Geschäftsprozess zur systematischen Wissensbasis von Kompe-
tenzen
In dem hier entwickelten Argumentationszusammenhang werden Geschäftsprozesse primär als Me-
dium betriebswirtschaftlichen Lernens verstanden. Der Berufsschulunterricht zielt nicht allein und
bei genauer Betrachtung nicht einmal primär auf die Beherrschung der diesen Geschäftsprozes-
sen immanenten operativen Arbeitsprozesse ab, sondern vielmehr darauf, aus dem pragmatischen
Handlungs- und Problemzusammenhang dieser Geschäftsprozesse heraus
- einerseits ein umfassendes und differenziertes ökonomisch-betriebswirtschaft liches Systemver-
ständnis zu entwickeln. In diesem Sinne erlaubt die Prozessperspektive die sukzessive Erschlie-
ßung des komplexen Erfahrungs- und Lerngegenstandes Betrieb;
- andererseits einen Zugang zu systematischem Wissen und begrifflicher Erkenntnis zu eröffnen
und also aus dem praktischen Handlungs- und Problemzusammenhang heraus einen Weg zu den
wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen und Aussagesystemen zu finden.
Der entscheidende Unterschied zu einem herkömmlich wissenschaftsorientierten Unterricht liegt
aus unserer Sicht darin, dass die angestrebten begrifflich-systematischen Erkenntnisse mit Blick auf
berufliche Handlungs- und Orientierungskompetenz sowie ergänzend im Hin blick auf die Befähigung
zum lebenslangen Lernen in dieser Domäne zu begründen sind.
Unter curriculumstrategischem Aspekt scheint uns grundsätzlich eine Vorgehensweise sinnvoll,
durch die eine situationsorientierte Sicht mit einer wissenschaftsorientierten Perspektive über eine
Matrixbetrachtung verknüpft wird (vgl. Abbildung 6). Mit dieser Matrix werden zwei parallel laufende
Suchprozesse aufeinander bezogen: Einerseits sollte danach gefragt werden, für welche Geschäfts-
prozesse der Lernende qualifiziert werden soll bzw. in welchen Problemzusammenhängen er sich
orientieren können soll. Hierbei ist zu bedenken, dass das Ziel der beruflichen Handlungs- und Orien-
tierungsfähigkeit durchaus nicht auf den betrieblichen Handlungsrahmen begrenzt ist, sondern z. B.
auch die Orientierung in der Ausbildung zu Beginn oder in der Situation des Arbeitssuchenden am
Ende der Ausbildung mit einschließt. Andererseits ist danach zu fragen, welche prozessübergreifen-
den Erkenntnisse und Kompetenzen über die Auseinandersetzung mit solchen Prozessen in exemp-
larischer Weise erworben werden.
89
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Abbildung 6: Matrix zur Verknüpfung situations- und wissenschaftsbezogener Aspekte bei der
curricularen Umsetzung des Lernfeldansatzes (Tramm 2003)
Mit der Formulierung von Kompetenzen auf der Prozessebene werden zugleich implizite Annahmen
über die entsprechende Wissensbasis getroffen, die im Zuge der didaktischen Analyse zu erschlie-
ßen ist. Dies gilt zunächst für die operative Ebene, also die Ebene der regelgeleiteten Durchführung
von Tätigkeiten unter Einbeziehung taktischer Anpassungsleistungen an kurzfristig variierende Um-
weltbedingungen. Einen tieferen Zugang zu betriebswirtschaftlichen Fragestellungen eröffnen Pro-
bleme auf einer strategischen Ebene, die sich etwa durch die dauerhafte Veränderung von Umwelt-
bedingungen, durch die Variation unternehmerischer Zielsetzungen und Strategien, Abstimmungs-
probleme zwischen Teilbereichen oder durch spezifische Gestaltungsprobleme ergeben. Es wäre
über curriculare Analysen zu klären, welche Probleme dieser Art eine besondere praktische Relevanz
und/oder einen hervorgehobenen Stellenwert als Zugang zu grundlegenden fachwissenschaftlichen
Problemsichten, Konstrukten oder Begriffen besonderer Reichweite haben (vgl. dazu auch Bader/
Schäfer 1998, Bader 2000). Je stärker die Analyse auf Probleme und Inhalte oberhalb des operativen
Routinebereichs ausgeweitet wird, desto mehr stößt eine rein prozessbezogene Sicht an ihre Gren-
zen, wird eine orthogonal dazu liegende, prozessübergreifende Sicht erforderlich.
Diese Suchrichtung, die auf kategoriale Begriffe und Schlüsselprobleme im Sinne Klafkis (1963,
1996) hinausläuft, sollte in einem weiteren, eigenständigen Analyseschritt unabhängig von kon-
kreten Prozessvorstellungen durchgeführt werden. Welches sind übergreifende und grundlegende
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
90
Denkfiguren, disziplinbestimmende Grundprobleme, Kernbegriffe der Ökonomie, wie z. B. die Idee
der komparativen Kosten, der gerechte Preis, die Allokationsproblematik, die Grenzwertbetrach-
tung, die Idee der Kundenorientierung, der Geschäftsprozessansatz oder auch die Sinnhaftigkeit der
rechtlichen Normierung wirtschaftlichen Handelns.
4 Von der Geschäftsprozessperspektive zur Lernprozessperspektive
4.1 Das Problem der Segmentierung des Lern- und Entwicklungsprozesses in lernfeldstrukturierten Curricula
Diese soeben dargestellte curriculare Planungsrationale war Grundlage einer Reihe von Projekten
zur Umsetzung des Lernfeldansatzes, die seit Ende der 90er Jahre in Hamburg unter unserer wissen-
schaftlichen Begleitung durchgeführt wurden (CULIK, Lerne*MFA, EvaNet*EH). Grundidee hierbei
war es, dass die Umsetzung des Lernfeldansatzes wegen der damit verbundenen intensiven curricu-
laren Konkretisierungsbedarfe nur im Lehrerteam gelingen kann und dass es daher von entscheiden-
der Bedeutung sein würde, kooperative Formen der Planung und Umsetzung des Lernfeldunterrichts
an den einzelnen Schulen aber auch über Schulen hinweg zu organisieren.
Von entscheidender strategischer Bedeutung war dabei die Unterscheidung einer lernfeldbezogenen
(horizontalen) Planungsperspektive mit Blick auf den Prozess- und Problembezug beruflicher Curricu-
la von einer vertikalen Planungsperspektive, in der ein Kompetenzentwicklungsprozess lernfeldüber-
greifend auch unter Berücksichtigung fachsystematischer Aspekte zu thematisieren ist (vgl. Abb. 7).
Lernfelder
Entwicklung konkret-prozess-bezogener Fähigkeiten, Fertig-keiten und Kenntnisse
Entwicklung erkenntnisbezogener Kompetenzen, prozessübergreifenddefiniert im Hinblick auf systematische Kernbegriffe und Strukturwissen
Kompetenzen über alle Lernfelder
Entwicklung prozessübergreifenderFähigkeiten und Einstellungen
PerspektiveProzesse
PerspektiveSystematik
Abb. 7: Prozessbezogene und prozessübergreifende Kompetenzen im Lernfeldcurriculum
91
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Die Notwendigkeit einer solchen lernfeldübergreifenden Planungsperspektive ergab sich aus dem
Spannungsfeld einer idealtypisch spiralcurricular angelegten Struktur des Lernfeldunterrichts ei-
nerseits und der auf arbeitsteilige Planung und teilweise auch Unterrichtsdurchführung angelegten
realtypischen Praxis der Lernfeldarbeit andererseits. Dies führte zu der paradoxen Situation, dass
sich aus der Intention heraus, die Partialisierung des Lerngegenstandes durch eine prozessorien-
tierte Sicht betrieblicher Abläufe zu überwinden, eine Partialisierung der curricularen Planung
und damit auch des Lernprozesses zu ergeben drohte, weil die curriculare Planung in konsekutiv
aufeinander folgenden Lernfeldern erfolgte, ohne dass dabei die vorher durchlaufenen und später
folgenden Lernprozesse systematisch mit in den Blick genommen wurden. Hierin zeigte sich ein zen-
trales Desiderat des Lernfeldansatzes gegenüber einem zumindest der Möglichkeit nach integriert zu
entwickelnden kohärenten Fachlehrgang.
4.2 Die Lernfeld-Kompetenzdimensionen-Matrix im Bereich der Medizinischen Fachangestellten
Im Projekt Lernfeldinnovationsnetzwerk Medizinische Fachangestellte (Lerne*MFA) kooperieren seit
2003 berufliche Schulen aus sieben Bundesländern bei der Umsetzung des zum Schuljahr 2006/07
neugeordneten Ausbildungsberufes Medizinische Fachangestellte. Auch hier war nach der ersten
Phase arbeitsteiliger Entwicklungsarbeit sehr schnell deutlich geworden, dass die Lernfelder der KMK
keine Klarheit darüber vermitteln, auf welche Kompetenzen aus vorherigem Unterricht im jeweiligen Lernfeld aufgebaut werden kann, wie weit die Schüler in bestimmten Kompetenzbereichen in diesem
Lernfeld kommen sollen und was noch in zukünftigen Lernfeldern geleistet werden soll. Aus der Pers-
pektive der Planung einzelner Lernfelder geriet damit die individuelle Entwicklungsperspektive in den
Kompetenzbereichen aus dem Blick. Umgekehrt wurde deutlich, dass bestimmte Kompetenzbereiche
– seien es methodische oder kommunikative Fähigkeiten, seien es fachliche Grundlagen in der Ana-
tomie, der Biologie oder der Abrechnung – in verschiedenen Lernfeldern angesprochen werden. Des-
halb wurde beschlossen, parallel zur Erarbeitung der einzelnen Lernfelder Kompetenzdimensionen
zu definieren, die über die Lernfelder hinweg zu entwickeln waren (vgl. Abbildung 8).
Kompetenzdimension Medizinische Fachangestellte
BAP Berufsrolle, Berufsausbildung, Berufsperspektiven
KPB Kommunikation, Patientenbetreuung und -beratung
MBG Medizinisch-biologische Grundlagen
GUH Gesundheitsschutz und Hygiene
ADT Assistenz bei Diagnostik und Therapie und delegierbare medizinische Leistungen
VAD Verwaltung und Abrechnung, Information, Dokumentation, Datenschutz
BQM Betriebsorganisation und Qualitätsmanagement
Abb.:8: Kompetenzdimensionen Medizinischer Fachangestellter
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
92
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wurden in einer standortübergreifenden Koordinations-
gruppe Kompetenzdimensionen in folgender Weise pragmatisch konkretisiert:
1. Ausgehend von einer vorläufigen Definition möglicher Kompetenzdimensionen wurden die Kom-
petenzziele der einzelnen Lernfelder im KMK-Rahmenlehrplan den Kompetenzdi mensionen zuge-
ordnet.
2. Parallel dazu wurden die kompetenzbezogenen Aussagen der einzelnen Lernfeldteams ebenfalls
den Kompetenzdimensionen zugeordnet.
3. In einer ersten Inhaltsanalyse konnte das System der Kompetenzdimensionen konsolidiert wer-
den. Zugleich ergab sich aus der Analyse des Rahmenlehrplans und der schulischen Dokumente,
dass sich in den einzelnen Kompetenzdimensionen aus der Summe der Aussagen weder ein kla-
res Bild über die angestrebte Gesamtkompetenz ergab noch eine auch nur näherungsweise trenn-
scharfe Definition des Beitrages der einzelnen Lernfelder zur Entfaltung dieser Kompetenz.
4. Deshalb setzte sich die Koordinationsgruppe die Aufgabe, die Kompetenzdimensionen zu konkre-
tisieren, d. h. konkret
a) in den jeweiligen Dimensionen eine Gesamtkompetenz zu formulieren, die nach erfolgreicher
Ausbildung erreicht sein soll;
b) in den jeweiligen Kompetenzdimensionen einen idealtypischen Prozess der Kompetenzentwick-
lung zu modellieren, der sich nach unserer Einschätzung im Bereich eher kognitiv geprägter
Kompetenzdimensionen (z. B. medizinisch-biologische Grundlagen) anders darstellen dürfte als
etwa bei der Ausbildung beruflicher Identität oder kommunikativer Kompetenz;
c) auf dieser Grundlage zu klären, welche Lernfelder einen substanziellen Entwicklungs beitrag in
dieser Kompetenzdimension leisten können und diesen jeweils sprachlich eindeutig zu benen-
nen und über Angaben zur korrespondierenden Wissensbasis zu spezifizieren.
Der Koordinationsgruppe war dabei klar, dass sie ihre Aufgabe zunächst nur auf einem Niveau be-
gründeter Annahmen und pragmatischer Plausibilität würde leisten können. Im Grunde kennzeichnen
die Schritte 4a bis c ein komplexes wissenschaftliches Forschungs programm, auf dessen Ergeb-
nisse man angesichts des praktischen Handlungs- und Orientierungsdrucks jedoch nicht warten
konnte. Aus diesem Grunde versuchte man die Arbeitsergebnisse sehr schnell als pragmatische Vor-
schläge an die Gesamtgruppe zurückzukoppeln, um dann nach einer grundsätzlichen Verständigung
Rückmeldungen und konkrete Vorschläge an die Lernfeldgruppen geben zu können.
Hierbei spielte zunächst eine in Excel dargestellte Matrix eine zentrale Rolle, in deren Struktur die
Planungsrationale abgebildet war und in deren Zellen die Beiträge der einzelnen Lernfelder zum Er-
werb der jeweiligen Kompetenzdimensionen spezifiziert wurden. Diese Matrix wurde in einer Papier-
fassung, in der der Kompetenzentwicklungsbeitrag in den einzelnen Zellen ausformuliert war, allen
Standorten frühzeitig zur Verfügung gestellt. Diese Matrix hatte ein Format von ca. 3,80 m x 1,30 m,
war also gleichermaßen beeindruckend wie unhandlich.
93
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Mittlerweile, d. h. nachdem alle beteiligten Schulen sich auf diese Matrix verständigt haben, bildet
diese Matrix als zentrales Element einer Internetpräsenz die Steuerstelle eines komplexen curricula-
ren Planungsdokuments (s. Abb. 9), dass unter der Adresse www.lerne-mfa.de eingesehen werden
kann.
Im Planungsprozess können Kolleginnen einzelne Lernfelder – ihre zentrale Planungsebene – anwäh-
len und erhalten dort Informationen
- zur curricularen Analyse, insbesondere zur Funktion des Lernfeldes im curricularen Gesamtzu-
sammenhang und zu den anzustrebenden Kompetenzen;
- zur Strukturplanung, d. h. zur Gliederung des Lernfeldes in größere Einheiten;
- zur Makrosequenzierung, d. h. zur didaktischen Grobplanung auf der Ebene dieser curricularen
Einheiten bis hin zu konkreten Lernsituationen;
- zu konkreten Unterrichtsmaterialien.
Abb. 9: Screenshot: Lernfeld-Kompetenzdimensionen-Matrix aus der Internetpräsenz
www.lerne-mfa.de
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
94
Sie können aus den Lernfeldern heraus ersehen, welche Kompetenzdimensionen in diesen jeweils
angesprochen werden und sie können sich für einzelne Kompetenzdimensionen anzeigen lassen, in
welchen Lernfeldern hierauf bezogen welcher Beitrag geleistet wird (s. Abb. 10).
Abb.: 10: Screenshot: Kompetenzdimension „Berufliche Identität entwickeln“
Damit verbindet sich die Vorstellung, dass eine individuelle Entwicklung in den einzelnen Kompetenz-
dimensionen grundsätzlich über die Lernfelder hinweg und über den Gesamtzeitraum der Ausbildung
erfolgt, dass jedoch in den einzelnen Lernfeldern diese Kompetenzentwicklung in je spezifischer Wei-
se angeregt, gefördert und unterstützt wird. Dabei scheint charakteristisch, dass es Lernfelder mit
besonderen Affinitäten zu bestimmten Kompetenzdimensionen gibt, dass es andererseits Lernfelder
geben wird, in denen eine spezifische Kompetenzdimension keine besondere Beachtung findet und
dass es schließlich die Variante geben wird, dass es sinnvoll und möglich ist, in einem Lernfeld eine
Kompetenzdimension über eine Entwicklungs- oder Lernaufgabe anzusprechen, auch wenn diese
hierin nicht im Vordergrund steht. Diese Überlegungen illustriert Abbildung 11 mit Bezug auf die Kom-
petenzdimension „Berufsrolle, Berufsausbildung, Berufsperspektiven“.
95
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Berufsrolle, Ausbildung, Perspektiven
Kommunik., Betreuung, Beratung
Betriebsorga-nisation und
Qualitätsmana-gement
Abrechnung, Dokumentation,
Information
Gesundheits-schutz und
Hygiene
Assistenz bei Diagnostik und
Therapie
Im Beruf und Gesundheitswesen orientieren
Patienten empfangen und begleiten
Praxishygiene und Schutz vor Infektionskrankheiten
Diagnostik und Therapie Erkrankungen Bewegungsapparat
Zwischenfällen vorbeugen und in Notfallsituationen helfen
Waren beschaffen und verwalten
Praxisabläufe im Team organisieren
Diagnostik und Therapie Erkrankungen Urogenitalsystem
Diagnostik und Therapie Erkrankungen Verdauungssystem
Assistenz bei kleinen chirurgischen Behandlungen und Wundversorgung
Berufliche Perspektiven entwickeln
Patienten bei der Prävention begleiten
Thematischer Akzent auf Kompetenz-dimension
Mediz.-biolog.
Grundlagen
Abb.11: Entwicklungsschwerpunkte der Kompetenzdimension Berufsrolle, Berufsausbildung,
Berufsperspektiven im Curriculum MFA
4.3 Kompetenzdimensionen im kaufmännischen Bereich
Der Transfer dieser Überlegungen auf den kaufmännischen Bereich ist derzeit in einem Projekt am
weitesten gediehen, das der Evaluation eines Lernfeldentwicklungsnetzwerkes der vier Einzelhan-
delsberufsschulen in Hamburg gewidmet ist (EvaNet*EH). In einem heuristischen Prozess erfolgte
die Definition von Kompetenzdimensionen hier mit Blick auf das Handlungsebenenmodell von Resch
und auf der Grundlage einer systemtheoretischen Konzeption in Anlehnung an das St. Gallener Ma-
nagementkonzept von Hans Ulrich (vgl. Abb.12).
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
96
Informations- und Dokumentationsprozesse, Wissensmanagement
logistische Prozesse(Güterströme, Geldströme, Dienstleistungen)
Arbeitsprozesse
Ressourcenmanagementprozesse
organisatorische und personalwirtschaftliche Prozesse
InformationenMenschen Güter
Juris
tisch
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Marktlicher Handlungsrahmen (definiert Marktpotenziale)
Marketingprozesse
Wertschöpfungsprozesse
Werkzeuge, Medien und Arbeitsumwelt
Bedeutungs kontext
Referenzebenen kfm. Handelns
Abb. 12: Referenzebenen kaufmännischen Handelns
Hieraus wurden in einem diskursiven Entwicklungsprozess mit Vertretern der beteiligten Schulen die
in der folgenden Tabelle (Abb. 13) dargestellten Kompetenzdimensionen entwickelt. Hierbei handelt
es sich um eine im pragmatischen Kontext erarbeitete Verständigungsgrundlage für kooperative cur-
riculare Entwicklungsarbeit, die im weiteren curricularen Kon kretisierungsprozess fortgeschrieben
und ggf. auch revidiert werden muss.
Wie schon bei den medizinischen Fachangestellten werden neben den auf Aspekte der Sachkom-
petenz bezogenen Dimensionen auch solche ausgewiesen, die die Bereiche der Selbst- und Sozial-
kompetenz sensu Roth (1971) sowie einer auf Arbeiten und Lernen bezogenen Methodenkompetenz
betreffen. Der aktuelle Stand der Entwicklungsarbeit kann auf der Internetseite http://www.ibw.uni-
hamburg.de/evaneteh/ eingesehen werden.
97
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
Kürz. Kompetenzdimensionen Subdimensionen
BI Berufliche Identität
- Identität und Berufsrolle -Berufsethos- Gesundheitsförderung- Berufsbildung
SIKSoziale Interaktion und Kommunikation
LATProzessübergreifende Lern- und Arbeitstech-niken
- Informationen erschließen, erarbeiten und präsentieren- Arbeit organisieren, reflektieren und optimieren- Lernen organisieren
GWRGesamtwirtschaftlicher Rahmen
- Ordnungsrahmen- Marktmodelle- Wirtschaftspolitik - Nachhaltigkeit
SYST Systemverständnis
- Ziele und Zwecke- Strukturen und Prozesse- Umwelt und Interaktion- Systemdynamik und Lernen
NORM Rechtliche Normierung
- Vertragsrecht- Gesellschaftsrecht- Arbeitsrecht- Schutzrecht- Steuerrecht
WUCWertschöpfung und Con-trolling
- Liquiditätssicherung- kaufm. Rechnen- Kosten- und Leistungsrechnung- Finanzbuchhaltung
BWPBetriebswirtschaftliche Prozessdimensionen
- Logistik- Absatzmarkt und Kundenbeziehungen- Informationswirtschaft- Personalwirtschaft
Abb. 13: Kompetenzdimensionen im Einzelhandel
Unabhängig von diesem pragmatischen Status der Operationalisierung der Kompetenzdimensionen
sowie der Zuweisung des spezifischen Entwicklungsbeitrages zu einzelnen Lernfeldern sollten die
systematische Begründung der Kompetenzdimensionierung, die Formulierung der im Bildungsgang
angestrebten Kompetenzen, die intendierte Entwicklungssequenz und damit verbunden die Zuwei-
sung der spezifischen Entwicklungsbeiträge an die einzelnen Lernfelder Gegenstand curricularer
Forschung und eines wissenschaftlichen Diskurses sein (vgl. dazu Lesch 2007, Tramm/Derner/Hof-
meister 2009).
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
98
5 Fazit
Die Diskussion darüber, welche Konsequenzen aus der mittlerweile fast flächendeckenden Verbrei-
tung von ERP-Programmen in der kaufmännischen Praxis zu ziehen sind, ist spätestens mit der Fach-
tagung Wirtschaft und Verwaltung auf den Hochschultagen Berufliche Bildung 2008 in Nürnberg ins
Blickfeld der Fachöffentlichkeit gerückt. Ich will zum Abschluss dieses Beitrags versuchen, einige
Entwicklungsoptionen systematisch aufzufächern und die damit verbundenen Gefahren und Chan-
cen anzusprechen. Dabei beziehe ich mich auf meine bisherigen Ausführungen und werde nicht jede
Positionierung nochmals umfassend begründen.
Es ist offensichtlich, dass jeder, der sich aus einer berufs- und wirtschaftspädagogischen Perspek-
tive mit den Konsequenzen der Verbreitung von ERP-Programmen im kaufmännischen Bereich aus-
einandersetzt, diese in den Zusammenhang des Denkens in Geschäftsprozessen, der Qualifizierung
für Geschäftsprozesse und des Lernens in Geschäftsprozessen stellt. Hierbei steht jedoch, jenseits
der pauschalen Etikettierung, eine berufs- und wirtschaftspädagogisch bedeutsame paradigmati-
sche Grundsatzentscheidung im Raum, ob nämlich ERP-Einsatz und Prozessorientierung aus einer
eher technologischen und damit aus meiner Sicht zugleich reduktionistischen Perspektive verstan-
den und curricular-didaktisch umgesetzt werden, oder ob dieser Impuls genutzt wird, anstehende
Reformen beruflicher Bildung in Richtung auf eine Orientierungs- und Handlungskompetenz ent-
schlossen voranzutreiben, die auf theoretischer Durchdringung beruflicher und gesellschaftlicher
Praxis beruht.
Ich will diese Alternative mit Blick auf drei Dimensionen konkretisieren:
- ERP und Prozessorientierung sind Signaturen einer Veränderung der Organisation und der Inhalte
beruflicher Arbeit und damit auch der Qualifikationsanforderungen, auf die sich berufliche Bildung
zu beziehen hat. Eine aus meiner Sicht sehr vordergründige Antwort auf diese Herausforderung
läge darin, auf die Arbeit mit ERP-Programmen an eng definierten Schnittstellen vorzubereiten.
Entscheidend und durchaus nicht trivial scheint mir vielmehr die Frage, wie eine ERP-integrieren-
de Arbeit aussieht, auf die hin qualifiziert werden soll. Auch wenn Unternehmen mit integrierten
Datensystemen arbeiten, bedeutet dies keinesfalls, dass die Schneidung der einzelnen Stellen
nicht wieder eng an traditionellen Funktionen orientiert sein kann, dass der Entscheidungsspiel-
raum des Einzelnen und sein Einblick in die Prozessabläufe oder gar Datenstrukturen des Systems
Unternehmung nicht streng limitiert bleibt. Die Workflow-Archi tektur, nach der klar definierte Ar-
beitsimpulse aus dem ERP-System eindeutig definierte Aktivitäten abrufen, ist ein gutes Beispiel
solcher letztlich re-taylorisierender Strategien. An dieser Stelle sollte berufliche Bildung, gerade
auch unter den normativen Verpflichtungen die sich aus dem Bildungsauftrag der Berufsschule so-
wie den KMK-Rahmenvereinbarungen dazu ergeben, einer klare Orientierung auf ein normatives
Qualifikationsleitbild verfolgen. Es muss der Berufsschule um eine berufliche Handlungskompe-
tenz gehen, die auf verständiges, sach- und sozialeinsichtiges sowie moralisch verantwortliches
Handeln (Roth 1971) in komplexen betrieblichen Strukturen zielt. Funktional gesprochen würde
dies bedeuten, die besseren betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten, die in der Geschäftsprozes-
sorientierung und den dahinter liegenden integrierten Datensystemen liegen, dadurch besser als
99
Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive
bislang auszuschöpfen, dass nicht länger die kognitiven Verarbeitungsmöglichkeiten und/oder die
motivationalen Barrieren der Mitarbeiter als limitierender Faktor wirksam bleiben.
- Von diesem Qualifikationsleitbild hängt auch ab, in welcher Weise ERP und Prozessorientierung
als Lerngegenstand aufgefasst und thematisiert werden. Einerseits kann dies wieder technisch
geschehen, wobei der Fokus auf der spezifischen Fachterminologie, den Symbolsystemen und der
Bearbeitungslogik läge, die zu erschließen wären. Tiefer gehend und im Sinne des oben skizzierten
komplexen Leitbildes wäre damit jedoch nur die Oberflächenstruktur angesprochen, hinter der lie-
gend der eigentliche Lerngegenstand in den Leistungsprozessen, den korrespondierenden Wert-
schöpfungsprozessen und den hierauf bezogenen betriebswirtschaftlichen Problemen läge. Die
Frage ist also, ob über die Arbeitsprozesse und Bearbeitungsroutinen zu den dahinterliegenden
Problemen und Problemlösungen auf der integrierten Geschäftsprozessebene vorgestoßen wird.
Die Frage ist auch, ob für die Schüler jeweils nur (modular) einzelne Funktionsbereiche mit ihren
Abläufen als Teilprozesse thematisiert werden oder ob es gelingt, aus der jeweiligen Perspektive
heraus den Gesamtzusammenhang der betrieblichen und Unternehmensprozesse zu thematisie-
ren.
- Damit ist die Ebene der Lernprozessgestaltung angesprochen: Das Lernhandeln in (realen, simu-
lierten oder auch nur vorgestellten, imaginativen) Arbeits- und Geschäftsprozessen und, indem
dieses selbst auf einer reflexiven Ebene wieder zum Gegenstand unterrichtlicher Auseinanderset-
zung wird, das Lernen am Arbeits- und Geschäftsprozess. Zentral hierfür ist, wie diese Prozesse
im und für Unterricht repräsentiert werden, wie sie abgebildet werden und in welcher Weise sie
den Lernenden damit zugänglich sind. Dies hängt hochgradig mit der schon angesprochenen Ebe-
ne der Definition des Lerngegenstandes zusammen und also mit der Frage, welche Prozesse im
Unterricht abgebildet werden. Handelt es sich ausschließlich um operative Prozesse oder werden
die dahinter liegenden betriebswirtschaftlichen Probleme, Kalküle und Entscheidungen mit the-
matisiert? Handelt es sich ausschließlich um kundenbezogene Kernprozesse, oder werden auch
Supportprozesse und Managementprozesse mit in den Blick genommen? Werden nur funktionale
Teilprozesse (Beschaffungsprozesse, Absatzprozesse etc.) aus einer isolierten Perspektive nach
spezifischen (und begrenzten) Entscheidungskriterien thematisiert, oder wird aus der funktionalen
Perspektive auch die Verknüpfung mit den anderen Teilprozessen und Prozessebenen sichtbar.
Werden ggf. systemische Zusammenhänge allein auf der symbolischen Ebene der Finanzbuch-
haltung hergestellt, oder kann es aufgrund der Datenstruktur gelingen, die Finanzierungs- und
Wertschöpfungsebene mit den dahinter liegenden Leistungsprozessen in Beziehung zu setzen. All
dies hängt einerseits von der Definition des Lerngegenstandes ab, also der Entscheidung darüber,
worüber etwas gelernt werden soll. Andererseits hängt es mit der konkreten Modellierung zusam-
men, also der Breite und Tiefe der datenmäßigen Abbildung von betrieblichen und Unternehmens-
strukturen sowie den damit verbundenen Marktstrukturen.
Mit Blick auf diese drei Dimensionen lässt sich differenziert erfassen, welches Qualifizierungsleitbild
jeweils verfolgt wird und ob diesem die Definition und Modellierung von Arbeits- und Geschäfts-
prozessen jeweils adäquat ist. Letztere eröffnet und begrenzt den Raum der Probleme und Auf-
gabenstellungen, mit denen sich Lernende auseinandersetzen können, auf die bezogen sie Erfah-
rungen machen und Erkenntnisse gewinnen können. Prozessorientierung an sich ist mithin kein
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
100
Qualitätsmerkmal – es kommt entscheidend darauf an, um welche Prozesse es sich handelt und wie
diese modelliert sind.
Bei all diesen Überlegungen darf schließlich der für die Berufliche Bildung zentrale Prozess nicht aus
dem Auge gelassen werden, dem alle anderen Entscheidungen über die Definition, Modellierung und
didaktische Bearbeitung von Arbeits- und Geschäftsprozessen unterzuordnen sind: Der arbeits- und
geschäftsprozessübergreifende Erkenntnis- und Kompetenzentwicklungsprozess der Lernenden.
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Autor
Tramm, Tade; Prof. Dr.; Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik; Sektion Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen; Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft; Universität Hamburg; Sedanstraße 19; 20146 Hamburg
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
102
Informations- und Kommunikationstechnologien didaktisch betrachtet – Ein programmatischer Beitrag aus Schweizer SichtFranz Eberle
1 ICT und Bildung – grundsätzliche Aspekte und Potenziale
Seit dem Erscheinen der ersten Computer an den Schulen vor ungefähr 30 Jahren ist die Frage nach
der Art des Einbezugs der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) in den Unterricht
konstant in Diskussion geblieben. Die ersten Einsatzkonzepte an den Sekundarstufen orientierten
sich an der Informatik als einem Fach. Mit der revolutionären Entwicklung und schnellen Verbreitung
benutzerfreundlicher Anwendungen und des Internets hat sich eine Verschiebung hin zur Verwen-
dung von ICT in allen Fächern durchgesetzt. Damit war auch ein Einsatz an den Volksschulen und im
Kindergarten naheliegend. Gegenwärtig reicht die Thematisierung von Gebrauch und Auswirkungen
von ICT-Anwendungen bis hin zum Einbezug in die schon lange existente Medienpädagogik. Diese
unter didaktischen und curricularen Gesichtspunkten sehr unterschiedlichen Aspekte wurden und
werden leider sowohl in der Literatur wie auch in der bildungspolitischen Diskussion immer wieder
unzulässig vermischt, vereinfacht oder gar verwechselt. So wird zuweilen der Einsatz von Lernpro-
grammen in verschiedenen Fächern mit (integriertem) Informatikunterricht gleichgesetzt, der dann
nur schon deshalb eine Bildung in einem Fachbereich Informatik unnötig mache. Diese Verkürzung
ist etwa vergleichbar mit einer natürlich ebenso falschen Aussage, dass sich ein Fach Deutsch durch
die konsequente Verwendung der Schriftsprache im Unterricht der anderen Fächer erübrige. Die Ver-
mischung verschiedener ICT-Aspekte ist angesichts der Breite und Tiefe, in der die technischen Ver-
änderungen der Informationsverarbeitungs- und Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten
beinahe alle Bereiche des menschlichen Lebens durchdringen, auch nicht erstaunlich. In Abbildung 1
sollen deshalb die grundsätzlichen Berührungspunkte von ICT und Bildung, welche bereits an vielen
Orten ausführlich beschrieben sind, grob strukturiert werden.
Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet
103
Lerngegenstand „Informatik“ und
„Informatikumfeld“
alle schulischen
Fachbereiche
„ICT/Informatik“ im
weitesten Sinne als
Fachinhalte (Gegen-
stand von Unter-
richt, Lernen über
ICT)
Feld A: Fach-Informatik
- Grundlagen der Wissenschaft Informatik
- informations- und kommunikationstech-
nische Anwendungen, Erwerb von ICT-
Literacy
- weitere inhaltliche Aspekte (z.B. „Informa-
tik und Gesellschaft“)
Feld B: Inhalte anderer Fächer
- Inhalte und Anwendungen,
bei denen sich trans- und
interdisziplinäre Verknüpfun-
gen mit anderen Fachgebie-
ten ergeben
Feld C: Medienlehre
- ICT-Aspekte einer Medienpädagogik
ICT als Arbeitsmittel
(Arbeiten mit ICT)
Feld D: Anwendung von ICT-Literacy
- Einsatz von ICT-Mitteln in allen Fächern im Gleichschritt mit deren Ausdeh-
nung in (fast) alle Lebensbereiche
ICT als Lehr- und
Lernmittel (Lehren
und Lernen mit ICT)
Feld E: E-Learning mit Lernmehrwert
- alle didaktisch-methodischen Aspekte des Lehren und Lernens mit ICT,
welche der Verbesserung des Lernens bezüglich ausgewählter Kriterien
dienen (Lernprogramme aller Art, Präsentation, virtuelle Kommunikations-
plattformen, Wikis, Informationsbeschaffung im Internet usw., bis hin zu
einer eigentlichen Mediendidaktik)
Abb. 1: Grundsätzliche Aspekte von ICT und Bildung
Die Einteilung in die fünf Felder ist nur eine grobe, analytische Modellierung der Bildungswirklichkeit
im Zusammenhang mit ICT, und die gezogenen Grenzen sind unscharf. Trotzdem ist die Struktur ge-
eignet, eine naive Vermischung der Ebenen zu verhindern und als Ordnungsrahmen für entsprechen-
de Diskussionen und Massnahmen zu dienen.
Feld A umfasst alle Aspekte eines eigentlichen Informatik- und ICT-Unterrichts. Seine Inhalte müs-
sen sich an den grundsätzlichen Bildungszielen einer Schulstufe ausrichten (z.B. Hochschulreife
und Lösen anspruchsvoller Aufgaben in der Gesellschaft am Gymnasium, Berufsbefähigung an Be-
rufsfachschulen). Sie können grundsätzlich von der Gewinnung der Einsicht in die Grundstrukturen
und -methoden der Fachwissenschaft Informatik (eigentlicher Informatikunterricht: z.B. Begriffe und
Konzepte der Informatik wie Informationsdarstellung, Algorithmen, Programme, Compiler; Methoden
zum Entwurf von Algorithmen für die Lösung unterschiedlicher Probleme; Programmierkonzepte zur
Umsetzung von Algorithmen in geeignete Programmiersprachen; Datenstrukturen; usw.) sowie deren
typischen Anwendungen bis hin zur kompetenten Beherrschung dieser Methoden (ICT-Unterricht
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
104
insbesondere zum Erwerb einer ICT-Literacy) reichen. Wegen der umfassenden Ausstrahlung der ICT
in nahezu alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche kann er auch diese Aspekte umfassen. Seine
fachstrukturelle Einbettung (z.B. eigenes Fach oder vollständig integriert in andere Fächer) hat sich
an den Erkenntnissen über curriculare Strukturen der Organisation verschiedener Fächer in einem
Gesamtcurriculum zu orientieren. Für einen allgemeinbildenden Unterricht an Gymnasien und kauf-
männischen Berufsschulen haben wir diese Diskussion sehr ausführlich bereits vor mehr als zehn
Jahren geführt (Eberle, 1996).
Feld B meint die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Wirkungen der digitalen Revolution in ver-
schiedenen Lebens- und damit auch Fachbereichen, diesmal von den Fächern her thematisiert.
Z. B. ergibt sich für das Fach Betriebswirtschaftslehre in der kaufmännischen Berufsbildung die Not-
wendigkeit, die Abbildung und Bearbeitung von Geschäftsprozessen in ERP-Systemen zumindest
zu thematisieren, wenn nicht gar wesentliche Elemente des Curriculums daran zu orientieren. Oder
in der Volkswirtschaftslehre werden die Auswirkungen der informations- und kommunikationstech-
nologischen Entwicklung auf den volkswirtschaftlichen Strukturwandel zu einem wichtigen Thema.
Feld C umfasst eine eigentliche Medienlehre. Zentraler Inhalt ist der kritische Umgang mit den durch
die ICT weitgehend digitalisierten und in ihrer Breite und Tiefe massiv erweiterten Medien. Medien-
pädagogik als Disziplin ist dabei grundsätzlich nichts Neues.
Feld D bezeichnet das Phänomen, dass ICT überall dort eingesetzt werden, wo Informationen be-
schafft, weiterverarbeitet, gespeichert und verteilt werden und wo kommuniziert wird. Dies betrifft
nicht nur Wirtschaft, Forschung, Gesellschaft und private Lebenswelt, sondern grundsätzlich auch
die Schule als Ort der Informationsverarbeitung im weitesten Sinne. Auch hier gibt es eine alte Dis-
kussion, ob der Erwerb von Computerliteracy als Bildungsaufgabe in einem eigenen Fach (ev. im
Rahmen von Feld A) oder bereits integriert in andere Fächer erfolgen soll (siehe ebenfalls die ausführ-
liche Diskussion in Eberle, 1996). Unabhängig von der fachstrukturellen Art des Ersterwerbs drängt
sich von selbst die Förderung der ICT-Verwendung in allen Fächern unter diesem Aspekt auf. Die er-
worbene Computerliteracy wird genutzt und im Kontext verfeinert und perfektioniert.
Feld E schließlich beschreibt die lernfördernden Potentiale von ICT wie Multimedialität, Interaktivität
sowie Vernetzung, die unabhängig von der Frage nach den richtigen Lerninhalten einen eigentlichen
didaktischen (Lern-)Mehrwert schaffen. Solche didaktischen Potenziale sind z.B. (vgl. ausführlich bei
Eberle, 2000):- Optimalere Umsetzung der Erkenntnisse über das Lernen über verschiedene Sinneskanäle durch
verbesserte Gestaltung multimedialer Lernumgebungen bzw. Bereitstellung multicodaler Ange-
bote (Text, Sprache, Musik, Grafik, statisches und bewegtes Bild, Animation); es können auch
verschiedene Lerntypen angesprochen werden.
- Mediale Bereitstellung authentischer, komplexer Problemstellungen aus der Lebenswelt und da-
mit bessere Unterstützung problemorientierten Lehrens und Lernens sowie handlungs- und kom-
petenzorientierter Lernstandsdiagnostik.
- Kognitive Werkzeuge / Denkwerkzeuge zur Unterstützung kognitiver Lernprozesse während des
Lernens.
Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet
105
- Unterstützung des ko-konstruktiven und sozialen Lernens der Schüler und Schülerinnen durch
den Einsatz von Kooperations- und Kommunikationstools (Lernplattformen, Diskussionsforen,
Wikis, virtuelle Klassenzimmer etc.).
- Förderung des selbstgesteuerten Lernens, weil beim Lernen mit digitalen Medien die Lernenden
ihr Lerntempo, eventuell Zeit und Ort sowie zum Teil auch die zu bearbeitenden Lerninhalte selber
bestimmen können.
- Erhöhtes Potenzial für individualisierendes und adaptives Lernen sowie verbesserte Lernstands-
diagnosen durch adaptives Testen.
- Erweiterung der lernorientierten Recherche- und Suchmöglichkeiten durch weltweiten Zugriff auf
Wissensbestände und durch die Möglichkeit, strukturierte Lernwege mit Hilfe von Informations-
ressourcen des Internets in Form von WebQuests bereitzustellen.
Der Praxiseinsatz von ICT zeigt, dass die aufgeführten Potenziale für besseres Lernen (Feld E) nicht
automatisch realisiert werden. Auch der heutige Forschungsstand indiziert, dass ICT nicht per se
und automatisch besser und lernwirksamer sind als traditioneller Unterricht, wie das nicht selten als
neues Lehr-/Lern-Paradigma ausgegeben wird (siehe im Einzelnen bei Eberle, Kuster und Schmid,
2007, S. 330 ff.).
Im folgenden Abschnitt werden nur noch die Felder A und B weiter thematisiert.
2 ICT/Informatik als Fachinhalte
Im Wesentlichen geht es um die folgende Frage: Welche Inhalte sind unter welchen Zielsetzungen
auf welcher Schulstufe und in welcher fachlichen Organisation (eigenständig, integriert) zu vermitteln
bzw. welche Kompetenzen sind zu erwerben?
In der Schweiz hat sich die Informatik als Fach in den letzten 20 Jahren weitgehend in der Ausbildung
für Informatikberufe festgesetzt und wurde dort ausgebaut. An allgemeinbildenden Schulen hinge-
gen wurden die ersten Ansätze einer fachwissenschaftlich orientierten Informatik- und ICT-Bildung
durch die Verlagerung auf die anderen in Abbildung 1 aufgeführten Themen verdrängt. Die Frage,
wie weit ein Einblick in grundlegende Gesetzmässigkeiten des Faches – wie das für die Naturwis-
senschaften z.B. allgemein als selbstverständlich erachtet wird – zu einer zeitgemässen Allgemein-
bildung gehört, wurde zwar bildungstheoretisch schon vor mehr als 10 Jahren untersucht (vgl. z.B.
Eberle, 1996, oder Euler, 1994) und damals überwiegend bejaht, bildungspolitisch aber nie syste-
matisch und im Gesamtkontext aller allgemeinbildenden Fächer bearbeitet. Es ist höchste Zeit, in
einer fortgeschrittenen Informationsgesellschaft diese Diskussion wieder aufzunehmen. Die jüngst
erfolgte Einführung eines neuen Ergänzungsfaches Informatik an Schweizer Gymnasien ist ein erster
zaghafter Schritt dazu.
Aussagen zu Unterrichtsinhalten und -methoden beruhen letztlich bewusst oder unbewusst auf ei-
nem Normengefüge, dessen Grundlagen nicht objektiv richtig oder falsch, sondern nur begründbar
sind. Didaktik kann also weder wertneutral noch „objektiv“ sein. Um so wichtiger ist im Zusam-
menhang von Schule und Unterricht immer wieder die Darstellung, Begründung und Kritik, also
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
106
Offenlegung verschiedener Normengefüge. Zur Ermittlung von notwendigen Lerninhalten sind die-
se im Weiteren in einem Ableitungsmechanismus, der wissenschaftstheoretischen Ansprüchen zu
genügen hat, mit objektiven oder objektivierbaren Aussagen zu verknüpfen. Beides wurde in einer
umfassenden Arbeit vor mehr als 10 Jahren für eine ICT-Bildung vorgenommen (Eberle, 1996), kann
aber im Rahmen dieses Beitrages nicht dargestellt werden. In Berücksichtigung der seither erfolgten
Forschung und geführten Diskussion lässt sich feststellen, dass sich an den grundsätzlichen Aussa-
gen nichts verändert hat.
Eine mögliche Grobgliederung der Bildungsziele der Schulen der Sekundarstufe II (auch aufgrund der
gesetzlichen Bestimmungen) ist die Aufteilung in Allgemeinbildung und Berufsbildung. Dazu kommt
für die Gymnasien die Hochschulvorbereitung bzw. für die Berufsmaturitätsschulen die Fachhoch-
schulvorbereitung (v.a. Wissenschaftspropädeutik). Diese ist funktionell vergleichbar mit der Berufs-
vorbereitung, indem auf den „temporären Beruf“ Hochschulstudium vorbereitet wird. Eine ICT- und
Informatikbildung muss zu ihrer Berechtigung für diese Bildungsziele Relevanz aufweisen.
Für die Ableitung von Zielrichtungen aus den Ergebnissen der bildungstheoretischen Analyse lässt
sich analog in Bildung eines allgemeinen Informatik- und Informationstechnologieverständnisses,
hochschulvorbereitende Bildung (Studierkompetenz) und in berufliche Bildung (Berufskompetenz)
unterscheiden. Die berufliche Bildung wiederum lässt sich unterscheiden in Ausbildung zur Berufs-
fertigkeit und -fähigkeit. Die vollständige Gliederung ist in Abbildung 2 ersichtlich.
Abb. 2: Zielrichtungen einer Informatik- und ICT-Bildung
Zielrichtungen von Informatik-
und ICT-Bildung
allgemeine Informatik- und ICT-
Kompetenz
informatisches
Grundverständnis
Grundstrukturen der
Informatik und der ICT
ICT-Studierkompetenz
instrumentelle Fähigkeiten und
Fertigkeiten
Lebensweltbezug der
Informatik
informatische Berufskompetenz
Berufsfertigkeit Berufsfähigkeit
Kenntnisse und
Fähigkeiten als
Grundqualifikation
theoretische Fun-
dierung beruflicher
Tätigkeit
Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet
107
(1) Eine erste Zielrichtung ist die Bildung einer allgemeinen Informatik- und ICT-Kompetenz: Hier geht
es darum, „auf das Leben vorzubereiten“ oder zur „Alltagsbewältigung“ beizutragen. Dies gehört
zur Allgemeinbildung. Dieser Anspruch kann aus Sichtweisen von Allgemeinbildung positiv be-
gründet werden (z. B. Ideen der kategorialen Bildung, des transmodernen Bildungsprozesses,
des Konstruktivismus und der Schlüsselqualifikationen), und keine Sichtweisen (z. B. Idee der
formalen Bildung) stehen diesem Anspruch - auch in Gewichtung gegenüber anderen allgemein-
bildenden Fachbereichen - entgegen. Das Verständnis einer ICT-Kompetenz ist ein umfassendes
(also nicht nur automatisiertes und verständnisloses Mausklicken und Tastendrücken) und kann
grob wie folgt weiter aufgegliedert werden:
(1a) Informatisches Grundverständnis: Hier geht es um das Verständnis von Grundstrukturen und
-abläufen (deklaratives, prozedurales und konditionales Wissen) sowohl der Informatik und
der ICT selbst (z.B. Verständnis der universalen Maschine „Computer“), also von grundlegen-
den Konzepten, wie auch der Verknüpfungen zu allen relevanten Lebensbereichen (Lebens-
weltbezug, kritisches Technikverständnis).
(1b) Instrumentelle Fähigkeiten und Fertigkeiten: Hier geht es um den konkreten, bewussten, fle-
xiblen und sinnvollen persönlichen Einsatz der ICT. Dazu gehören sowohl psychomotorische
Fertigkeiten wie auch kognitive Fähigkeiten („Arbeit mit dem Computer“) und vor allem auch
transferhaltiges Wissen über den Einsatz der ICT.
(2) Eine zweite Zielrichtung ist die Bildung einer informations- und kommunikationstechnologischen
Studierkompetenz: Hier geht es darum, ICT-Mittel im Rahmen eines Studiums insbesondere an
Universitäten und Fachhochschulen, aber auch schon auf vor-, gleich- und nachgelagerten Bil-
dungsstufen sinnvoll einsetzen zu können. Die in der Schweiz durchgeführten Studien zur Schnitt-
stelle Gymnasium-Universität (Notter und Arnold, 2007, und insbesondere Eberle et al., 2008) ha-
ben diesen Bedarf auch empirisch nachgewiesen.
(3) Eine dritte Zielrichtung ist schließlich die Bildung einer informatischen Berufskompetenz: Dazu
gehören alle Bildungsmaßnahmen, welche die Lernenden zur Erfüllung jener beruflichen Aufga-
ben befähigen, die auch den Umgang mit den ICT beinhalten. Diese tragen heute zur breiten Vor-
bereitung aufs Berufsleben (differenziert abgeleitet für kaufmännische Berufe bereits vor mehr als
zehn Jahren in Eberle, 1996) bei. Damit ist nicht ein tayloristisches Verständnis von Bedienerfer-
tigkeiten gemeint, sondern ein kritischer und rationaler sowie rationeller Einsatz der ICT im Rah-
men übergeordneter betrieblicher Aufgaben. Diese Bildung kann auf mehrere Ziele ausgerichtet
werden:
(3a) Bildung zur Berufsfertigkeit: Die Lernenden werden befähigt, konkrete berufliche Aufgaben
mit Hilfe der ICT zu erfüllen. Es handelt sich um gut abgegrenzte Tätigkeiten i.d.R. mit stan-
dardisierter Software (nicht zu verwechseln mit Standardsoftware).
(3b) Bildung zur Berufsfähigkeit: Der Lernende wird befähigt, am Arbeitsplatz auch von der Schu-
lungssituation sich unterscheidende Aufgabenstellungen mit Hilfe der ICT zu lösen. Es kann
noch unterschieden werden in „Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, die nach einer
kurzen Einarbeitungszeit eine berufliche Tätigkeit ermöglichen“, und zwar mit Informations-
und Kommunikationstechnologien, und „theoretische Fundierung einer beruflichen Tätig-
keit“. Letzteres dient dem besseren Verständnis des eingesetzten Instrumentariums. Hiezu
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
108
gehört heute z. B. auch ein Verständnis von ERP in kaufmännischen Berufen. Beides muss
verknüpft werden mit dem wirtschaftlichen Verständnis der Unternehmung.
Die Zielrichtungen haben für verschiedene Schultypen unterschiedliche Bedeutsamkeiten. Die sich
aus diesen Zielrichtungen ergebenden konkreten curricuralen Inhalte überschneiden sich zudem
teilweise. Die genaue Bezeichnung der Bildungsinhalte bzw. Kompetenzen würde die Möglichkeiten
dieses Beitrages sprengen.
Im nächsten Abschnitt soll noch etwas näher auf die Berufsbildung eingegangen werden.
3 Informatik und ICT in Berufs- und Arbeitswelt im Besonderen
Die rasante Entwicklung der Informatik und vor allem der ICT beeinflusst und durchdringt die Be-
rufs- und Arbeitswelt in vielfacher Weise. Dazu gehört, dass einerseits in den letzten Jahren eine
Vielzahl von Informatikberufen entstanden ist, und andererseits Grundkompetenzen im Umgang mit
ICT zunehmend an allen Arbeitsplätzen und in allen Berufen vorausgesetzt werden. Auf diese beiden
Hauptaspekte wird im Folgenden für die Schweiz näher eingegangen.
(1) ICT sind in den meisten Branchen zu einem unentbehrlichen Arbeitsmittel geworden, und sie ha-
ben die Arbeitsorganisation grundlegend verändert. Insgesamt umfasst die Zahl der Informatik-
anwenderinnen und -anwender in der Schweiz heute über drei Viertel aller Arbeitskräfte, verteilt
auf beinahe alle Berufe und Branchen1. Mit Abstand die höchste Nutzungsintensität besteht im
Bereich der „modernen“ Dienstleistungen, wo bereits im Jahre 2002 84% aller Beschäftigten Zu-
gang zu einem PC hatten.
Ohne Grundkompetenzen im Umgang mit ICT wird es zunehmend schwierig, einen Arbeitsplatz
zu finden oder beruflich voranzukommen. In Büro- wie auch in vielen Werkstattberufen wird er-
wartet, dass neue Mitarbeitende die wichtigsten Standardanwendungen wie Textverarbeitung,
Tabellenkalkulation, einfache Graphik- und Datenverwaltungsprogramme sowie Präsentations-einfache Graphik- und Datenverwaltungsprogramme sowie Präsentations- sowie Präsentations-
programme verwenden sowie im Internet nach Informationen suchen und interagieren können.
Die Vermittlung dieser Kompetenzen ist somit eine wichtige allgemeine Aufgabe des im weitesten
Sinne berufsvorbereitenden Bildungswesens. Eine Grundausbildung für Informatikanwender fin-
det heute bereits in der Volksschule statt. In besonderem Masse ist die berufliche Bildung gefor-
dert, wenn es darum geht, auch den Kulturwandel, der in der Arbeitswelt durch die zunehmende
Digitalisierung stattfindet, in der Ausbildung sinnvoll abzubilden. Dies setzt nämlich mehr voraus
als die Entwicklung von technischen Kompetenzen im Umgang mit ICT-Technologien. Herzig und
Grafe (2006) umschreiben diese Herausforderung treffend wie folgt: „In besonderer Weise wird
auch die berufliche Alltagspraxis durch eine ‚digitale Kultur’ geprägt und stetig verändert. Für
die berufliche Bildung stellt sich insbesondere die Aufgabe, die Durchdringung der Arbeitssys-
teme durch ICT und den sich daraus ergebenden Wandel der Aufgaben zu analysieren und zu
reflektieren. Diese Durchdringung lässt zunehmend die Grenzen zwischen Arbeiten und Lernen
verschwinden. Der Fokus liegt nicht mehr auf der Beherrschung eines Arbeitssystems, sondern
auf der Entwicklung der Fähigkeit, mit Hilfe digitaler Technologien im Arbeitsprozess bestimmte
1 Informatik Schweiz, http://www.i-s.ch/index.php?id=is082/ (15.5.2009).
Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet
109
Probleme zu lösen. Entsprechend stellt sich für die berufliche Bildung die Aufgabe, arbeitspro-
zessbezogenes Lernen mit Hilfe digitaler Medien durch geeignete Lehr- und Lernarrangements
zu unterstützen, die auch einer an den spezifischen Belangen der Lebens- und Arbeitswelt ori-
entierten Lernkultur Rechnung tragen, also einen hohen Kontextbezug aufweisen.“ Damit kommt
der Geschäftsprozessorientierung und dem Einbezug von ERP-Systemen in die kaufmännische
Berufsbildung eine große, bis anhin vernachlässigte Bedeutung zu.
(2) Auch die Ausbildung für Informatikberufe hat an Bedeutung gewonnen. Die Indikatoren des BFS2
zeigen, dass im Verlauf der 1990er Jahre immer mehr junge Menschen über eine Lehre in die Welt
der ICT-Berufe einstiegen, wobei die größte Zunahme in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zu
verzeichnen war: 2003 wurden 25 Mal mehr Lehrlinge in ICT-Ausbildungen auf Stufe der Eidge-
nössischen Fähigkeitszeugnisse (EFZ) gezählt als 1995. Die Indikatoren weisen jedoch auch dar-
auf hin, dass sowohl auf der Stufe EFZ als auch auf der Stufe der Eidgenössischen Fachausweise
und Diplome die Zahl der Personen, die sich im Bereich ICT ausbilden, seit 2004 wieder rückläu-
fig ist. Eine ähnliche Entwicklung ist an den Fachhochschulen und universitären Hochschulen zu
beobachten. Diese zogen während der 1990er Jahre eine wachsende Zahl von Studierenden an.
Nach einer kontinuierlichen, wenn auch unregelmässigen Zunahme der Informatik- und ICT-Ab-
schlüsse zwischen 1990 und 2003, ist die Anzahl der Studierenden im Bereich ICT seit 2004 wie-
der stark zurückgegangen. Vorausgegangen war eine aus strukturellen und vor allem konjunktu-
rellen Gründen rückläufige Nachfrage nach Informatikern. In der Zwischenzeit übersteigt aber die
Nachfrage bereits wieder das Angebot. Zehnder (nach Wemans, 2006) weist zudem darauf hin,
dass „in der Schweiz etwa drei Viertel aller Informatiker Quereinsteiger ohne Informatik-Grund-
ausbildung sind und nur rund 20 Prozent irgendeinen Abschluss haben. Allein um einen stabilen
Zustand zu wahren, sollten in der Schweiz pro Jahr etwa 5000 bis 6000 Personen neu ausgebildet
werden. Damit wird heute knapp die Hälfte des Erneuerungsbedarfs ausgebildet“. Die Informatik-
verbände3 senden deshalb entsprechende Warnrufe aus.
Für die kaufmännischen Berufe gilt die unter Punkt 1 beschriebene Durchdringung mit ICT flächen-
deckend. An kaufmännischen Berufsmaturitätsschulen der Schweiz sind mit Ausnahme der Ausbil-
dung zur direkten Berufsfertigkeit alle in Abschnitt 2 beschriebenen Zielrichtungen bedeutsam. Bei
kaufmännischen Berufsschulen ohne Maturitätsabschluss fällt die Bildung einer informations- und
kommunikationstechnologischen Studierkompetenz weg.
Welche Inhalte im Einzelnen in ein Gesamtcurriculum der ICT gehören und welche im Rahmen eines
eigenständigen Faches (Feld A) oder integriert in die anderen Wirtschaftsfächer (Feld B) unterrichtet
werden sollen, muss im Rahmen diese Beitrages offen bleiben. ERP-Software z. B. könnte sowohl
unter informatischen Aspekten im Fach ICT oder Informatik wie auch im Hinblick auf Geschäftspro-
zesse im Fach Betriebwirtschaftslehre thematisiert werden. Weite Teile der Betriebswirtschaftslehre
liessen sich gar entlang des Geschäftsprozessansatzes handlungsorientiert gliedern.
2 BFS, Indikatoren zur Informationsgesellschaft, ICT-Ausbildung 1990-2005, www.bfs.admin.ch/ (15.5.2009).
3 ICTswitzerland, Dachorganisation der wichtigsten Verbände und Organisationen des schweizerischen Informatik- und
Telecomsektors, www.ictswitzerland.ch (15.5.2009).
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
110
Literaturverzeichnis
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Bundesamt für Statistik (2004): Schulen und Bildungswege der Sekundarstufe II in der Schweiz. Neuenburg.
Eberle, Franz (1996): Didaktik der Informatik bzw. einer informations- und kommunikationstechnologischen Bildung auf der Sekundarstufe II. Aarau: Sauerländer.
Eberle, Franz (2000). Informations- und Kommunikationstechnologien zur Unterstützung von Lernprozessen - Versprechungen, Potentiale, Grenzen. In Belz und Bieger (2000): 376-396.
Eberle, Franz/Kuster, Wilfrid/Schmid, Fortunat (2007): Die Zukunft von IKT und Bildung. In Hotz-Hart (2007): 319-353.
Eberle, Franz/Gehrer, Karin/Jaggi, Beat/Kottonau, Johannes/Oepke, Maren/Pflüger, Michael (2008): Evaluation der Maturitätsreform 1995 (EVAMAR). Schlussbericht zur Phase II. Bern: Staatssekretariat für Bildung und Forschung SBF.
Euler, Dieter (1994). Didaktik einer sozio-informationstechnischen Bildung. Köln: Botermann & Botermann.
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Notter, Philipp, und Arnold, Claudia (2007). Der Übergang ins Studium II. Bern: Staatssekretariat für Bildung und Forschung.
Wemans, Guido. (2006). Prof. Dr. Carl August Zehnder macht sich Sorgen über die Informatik-Ausbildung in der Schweiz. In: asut bulletin 1, S. 36-38.
Autor
Eberle, Franz; Prof. Dr.; Inhaber des Lehrstuhls für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik; Universität Zürich; Institut für Gymnasial- und Berufspädagogik; Beckenhofstrasse 35; CH-8006 Zürich; Mail: [email protected]
111
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
111
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der SchulentwicklungHorst Pongratz
Inhaltsverzeichnis
1 ERP-Systeme an beruflichen Schulen – eine Notwendigkeit!? .......................................... 113
2 ERP-Software von Microsoft und SAP im schulischen Einsatz ......................................... 114
2.1 Vorstellung der an den Schulen am häufigsten eingesetzten ERP-Systeme ....................114
2.1.1 Die Software SAP R/3 der SAP AG .............................................................................115
2.1.2 Die ERP-Software Dynamics von Microsoft Business Solutions ..............................115
2.2 Der Einsatz von ERP-Programmen an beruflichen Schulen ..............................................115
2.2.1 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrerinitiativen ......................................116
2.2.2 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrplanforderungen .............................116
2.2.3 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund wirtschaftsdidaktischer Erwägungen ..........117
2.3 Kooperationsansätze der ERP-Hersteller SAP und Microsoft ..........................................119
2.3.1 Der Herstelleransatz der SAP AG ...............................................................................119
2.3.1.1 Das University Alliance Programm der SAP AG (SAP-UA) ................................119
2.3.1.2 Die Online-Plattform ERP4SCHOOL ............................................................... 121
2.3.1.3 Die österreichische Lösung ERP4U.AT ............................................................. 122
2.3.2 Der Herstelleransatz der Microsoft Deutschland GmbH ......................................... 123
2.3.2.1 Die MBS Academic Alliance (MBSAA).............................................................. 123
2.3.2.2 Kooperation mit staatlichen Landesinstitute ................................................... 123
2.3.2.2.1 Das ISB in Bayern als Kooperationspartner der Firma Microsoft ........ 124
2.3.2.2.2 Das LS in Baden-Württemberg als Kooperationspartner
der Firma Microsoft............................................................................................... 124
3 Fallstudien: Implementierungsstrategien an beruflichen Schulen ................................... 125
3.1 Implementierungsstrategien an Vollzeitschulen ................................................................ 125
3.1.1 Oberstufenzentrum (OSZ) Berlin für Bürowirtschaft und Dienstleistung ................. 125
3.1.1.1 Allgemeines ........................................................................................................ 125
3.1.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht .............................................................. 125
3.1.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am OSZ Berlin ....................................... 126
3.1.2 DV-Schulen Würzburg ................................................................................................ 127
3.1.2.1 Allgemeines ........................................................................................................ 127
3.1.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht ............................................................. 128
3.1.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung an den DV-Schulen .............................. 129
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
112112
3.2 Implementierungsstrategien an Teilzeitschulen ................................................................ 130
3.2.1 Friedrich-List-Berufskolleg ........................................................................................ 130
3.2.1.1 Allgemeines ........................................................................................................ 130
3.2.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht ............................................................. 130
3.2.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am Friedrich-List-Berufskolleg ............ 131
3.2.2 Multimedia Berufsbildungszentrum Hannover ......................................................... 132
3.2.2.1 Allgemeines ....................................................................................................... 132
3.2.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht............................................................. 132
3.2.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung am den MMBS Hannover .................... 133
4 ERP-Systeme an beruflichen Schulen bedingen einen
umfassenden Schulentwicklungsansatz ............................................................................... 134
4.1 Durchführung einer ERP-Implementierung als Softwareprojekt ...................................... 134
4.1.1 Das Herstellerframework Microsoft Dynamics Sure Step ........................................ 134
4.1.2 Das Herstellerframework Accelerated SAP-Roadmap ............................................. 136
4.2 Eine schulische ERP-Implementierung als Schulentwicklungsprojekt ............................ 137
4.3 Reflektion des modifizierten Schulentwicklungsmodells ................................................. 140
4.3.1 Die Dimension der personalen Entwicklung ............................................................. 140
4.3.2 Die Dimension der Unterrichtsentwicklung ...............................................................141
4.3.3 Die Dimension der Organisationsentwicklung ..........................................................141
4.3.4 Die Dimension der technischen Entwicklung ........................................................... 142
5 Fazit und Ausblick ..................................................................................................................... 143
AbbildungsverzeichnisAbbildung 1 Möglicher Einsatz von ERP-Systemen im Unterricht .................................................119
Abbildung 2: Die Aufgaben der UCC Magdeburg und München .................................................. 120
Abbildung 4: Curriculares Gesamtkonzept OSZ Berlin ................................................................. 126
Abbildung 5: Organisationsstruktur einer prozess- und teamorientierten Schule ...................... 127
Abbildung 6: Steigende Komplexität im Ablauf der Ausbildung.................................................... 128
Abbildung 7: Supportkonzept am Friedrich-List-Berufskolleg ...................................................... 131
Abbildung 8: Chaos Report der Standish Group ........................................................................... 134
Abbildung 9: Microsoft Dynamics Sure Step Oberfläche .............................................................. 135
Abbildung 10: Die Phasen der Accelerated SAP – Roadmap ........................................................ 136
Abbildung 11: Detaillierte Ansicht der Phasen der Accelerated SAP – Roadmap ........................ 137
Abbildung 12: Die Phasen eines Schulentwicklungsprozesses .................................................... 138
Abbildung 13: Phasen eines Schulentwicklungsprozesses bei Integration der ASAP ................. 139
Abbildung 14: Modifizierter umfassender Schulentwicklungsprozess ......................................... 139
TabellenverzeichnisTabelle 1: ERP-Anbieter nach Lizenzen und Wartungsgebühren im Jahr 2006 .............................113
Tabelle 2: ERP-Anbieter nach Umsatz im Jahr 2006 ......................................................................114
Tabelle 3: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen ...................................................116
Tabelle 4: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen in Bayern ..................................117
Tabelle 5: Übersicht der an den Hochschultagen 2008 beteiligten Schulen ................................ 133
113
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
113
1 ERP-Systeme an beruflichen Schulen – eine Notwendigkeit!?
Die neu geordneten kaufmännischen Berufe fordern dezidiert den verstärkten Einsatz von Informa-
tionstechnologien im Unterricht an beruflichen Schulen. Die Tatsache, dass Computer, dass die In-
formationstechnologie Einzug in den Unterricht an beruflichen Schulen genommen hat, steht außer
Frage (Busian 2006, S. 102 ff). Der Verwendung von Standard-Office-Programmen ist unterrichtlicher
Alltag – die betriebliche Realität jedoch sieht anders aus. Beginnend bei den Großkonzernen haben
Warenwirtschaftssysteme nun auch die klein- und mittelständischen Unternehmen erreicht (Niemann
2007). Die Orientierung an Geschäftsprozessen ist betriebliche Realität und somit müssen diese Ge-
schäftsprozesse auch in die kaufmännische Ausbildung Einzug halten. Die prozessorientierte Sicht
führt in Unternehmen zu einer Verschiebung der Aufgaben in der kaufmännischen Sachbearbeitung.
Neben dem Einsatz von Tabellenkalkulationen und Textverarbeitungsprogrammen fordern die neu
geordneten Lehrpläne auch den Einsatz von Warenwirtschaftssystemen im Unterricht (Bayerisches
Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2002). Die Lehrpläne geben den Schulen jedoch keiner-
lei Hinweis, welches ERP-Programm zu verwenden ist und in welchem Umfang und in welcher Tiefe
ein solches Programm eingesetzt werden soll. Die Schulen waren und sind bei der Entscheidung für
ein ERP-System ziemlich frei (Sailer 2008; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus
2002). Manche Landesinstitute haben sich für eine Rahmenvereinbarung mit einem Hersteller ent-
schieden und geben den Schulen für die Produkte dieses Herstellers didaktischen Support (ISB
2009; LS 2009). Je nachdem, nach welchen Kriterien man den Markt der ERP-Systeme untersucht,
gibt es eine unterschiedliche Reihung hinter dem unangefochtenen Marktführer der Firma SAP aus
Walldorf. In der Abbildung 1 erfolgte die Ermittlung der Marktanteile analog der abgeschlossenen Li-
zenzen und der vereinnahmten Wartungsgebühren, die Abbildung 2 liefert einen Überblick über den
Umsatz der jeweiligen Hersteller.
ERP-Marktanteile nach Lizenzen und Wartungsgebühren
Hersteller Lizenzen und Wartungsgebühren1. SAP 56%
2. Microsoft Business Solutions 5%
3. Infor 4%
4. Sage (einschl. bäurer) 4%
5. Oracle (einschl. PeopleSoft u. J.D. Edwards) 3%
6. SoftM 2%
7. Abas 2%
8. Kleinere Anbieter, insgesamt 24%
Tabelle 1: ERP-Anbieter nach Lizenzen und Wartungsgebühren im Jahr 2006 (Experton, 2007)
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
114114
ERP-Marktanteile nach Umsatz
Hersteller Umsatz (Marktanteile in Prozent)1. SAP 54,8
2. Infor 5,5
3. Microsoft 3,8
4. Sage Software 2,9
5. Oracle 0,9
6. Exact Software 0,7
7. IFS 0,4
8. Lawson 0,4
9. Agresso 0,3
10. Hyperion 0,3
Tabelle 2: ERP-Anbieter nach Umsatz im Jahr 2006 (Niemann, 2007)
Betrachtet man die aktuelle Situation an den beruflichen Schulen, so stellt man eine Konzentration
auf die Hersteller SAP und Microsoft fest. Dies lässt sich damit erklären, dass die Schulen ein Wa-
renwirtschaftssystem benötigen, welches einerseits geeignet ist, die Forderungen der jeweiligen
Lehrpläne zu erfüllen und andererseits das Arbeiten mit dem jeweiligen Programm den Schülern
zusätzliche Qualifikationen vermittelt. Ausgehend von diesen Anforderungen ist es verständlich,
dass bei vielen Schulen der Marktführer SAP als geeigneter Partner für Warenwirtschaftssysteme
gesehen wird (Hölzlwimmer 2008; Pongratz 2007; Schuller 2008). Einen ähnlichen Leitungsumfang,
jedoch günstigere Konditionen, bietet der größte Konkurrent, die Firma Microsoft, mit den Waren-
wirtschaftssystemen der MBS Dynamics-Reihe. Da Warenwirtschaftssysteme im privaten Umfeld
verständlicherweise nicht im Einsatz sind, haben Lehrkräfte bis zur Einführung dieser Software an
Schulen wenige Berührungspunkte mit einer derart umfassenden Software gehabt. Manche Schulen
haben den Schritt zur Einführung eines ERP-Systems getan, einige mit Erfolg, wie die Praxisbeispiele
der Fachtagung 18 der Hochschultage 2008 zeigten, andere Schulen hatten größere Probleme und
eine Vielzahl von Schulen steht noch vor der Herausforderung, ein ERP-System an der Schule zu
implementieren und in den Unterricht zu integrieren. Im vorliegenden Text werden daher die beiden
Lösungen, sowohl von SAP als auch von Microsoft, ausgehend von den Praxisbeispielen der Hoch-
schultage 2008, miteinander verglichen.
2 ERP-Software von Microsoft und SAP im schulischen Einsatz
2.1 Vorstellung der an den Schulen am häufigsten eingesetzten ERP-Systeme
Die Wahl eines ERP-Systems obliegt den jeweiligen Schulen. Es gibt von Seiten der Landesinstitu-
te oder von Seiten der Ministerien keine verpflichtenden Vorgaben bezüglich des ERP-Herstellers.
Somit ist es den Schulen selbst überlassen, für welchen Hersteller sie sich entscheiden. Daher kön-
nen nicht alle an beruflichen Schulen eingesetzten Software-Lösungen im Rahmen dieses Beitrags
115
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
115
besprochen werden und die Einschränkung auf die ERP-Lösungen von SAP und Microsoft sind nur
der höheren Verbreitung an beruflichen Schulen geschuldet und treffen keine Aussage über die
Qualität und Geeignetheit anderer ERP-Lösungen im Unterricht.
2.1.1 Die Software SAP R/3 der SAP AG
Die Firma SAP in Walldorf ist mit ihren Produkten Marktführer. Nach eigener Aussage nutzen 60 %
der 2.000 weltgrößten Unternehmen Lösungen der Firma SAP (SAP AG, 2009). Diese herausragende
Stellung führt dazu, dass Arbeitnehmer mit SAP-Qualifikationen stark gesucht sind. Eine Online-Ab-
frage am 1. Juni 2009 nach Stellen mit notwendiger SAP-Qualifikation unter www.arbeitsagentur.de
führte im Bereich der Metropolregion Nürnberg zu über sechzig offenen Stellen. Die Bestrebungen
der Firma SAP zielen in den letzten Jahren mehr und mehr auf den Mittelstand ab. Durch die Schaf-
fung von individuellen Branchenlösungen will die SAP AG ihre Marktführerschaft bei Großunterneh-
men auch im Mittelstand erreichen. Das derzeit aktuellste Produkt der Firma SAP ist SAP ERP 6.0.
2.1.2 Die ERP-Software Dynamics von Microsoft Business Solutions
Die Firma Microsoft verfügte bis zum Jahr 2002 über keine eigenständige, konkurrenzfähige ERP-
Lösung. Erst mit der Übernahme der dänischen Firma Navision und der Integrierung des Programms
in das Angebot konnte Microsoft im Bereich Business Solutions vor allem im Bereich der klein- und
mittelständigen Unternehmen Kunden gewinnen. Derzeit setzen nahezu 300.000 Kunden weltweit,
zu großen Teilen mittelständische Unternehmen, die ERP-Lösung von Microsoft ein. Die aktuell ver-
triebene Version ist MBS Dynamics 2009. (Microsoft 2009)
2.2 Der Einsatz von ERP-Programmen an beruflichen Schulen
An beruflichen Schulen finden sich nicht nur die ERP-Lösungen der Firma SAP und der Firma Mi-
crosoft. Beispielsweise wird an den Wirtschaftsschulen des Freistaats Bayern Mesonic Winline flä-
chendeckend eingesetzt (Sailer 2008). An manchen Berufsschulen findet sich das ERP-Programm
SAGE KHK (Hölzlwimmer 2008; Sailer 2008). Die Konzentration auf die beiden Hersteller SAP und
Microsoft ergibt sich aus der Marktposition und der Verbreitung an Schulen. Bei beiden Program-
men handelt es sich um komplexe ERP-Systeme. Die Marktphilosophie der beiden Hersteller mag
sich unterscheiden, die Bedienung mag unterschiedlich sein, im tagtäglichen Einsatz bei Unterneh-
men beweisen beide Programme, dass sie den Anforderungen moderner Unternehmen genügen.
Beide Lösungen arbeiten vollständige betriebliche Prozesse ab und können somit auch für einen
prozessorientierten Unterricht eingesetzt werden. Die Unterschiede der beiden Lösungen zeigen
sich deutlich, wenn man eines der beiden ERP-Systeme an einer Schule einsetzen will. Beide Her-
steller weisen gänzlich unterschiedliche Ansätze auf, die im Kapitel 2.4 näher dargestellt werden.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
116116
2.2.1 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrerinitiativen
An einigen Schulen ging die Entscheidung für die Einbindung eines ERP-Systems in den Unter-
richt von den Lehrkräften aus (Schuller 2008, Reich-Zies et al. 2008; Pongratz 2007). In diesen Fäl-
len wurden die Initiativen von den Schulleitungen unterstützt und die notwendigen Ressourcen zur
Verfügung gestellt. Der Einsatz des ERP-Systems bleibt in diesem Fall anfangs auf die initiierenden
Lehrkräfte beschränkt, eine Ausweitung der Initiative auf die gesamte Schule ist jedoch möglich.
An den Schulen, die an den Hochschultagen 2008 beteiligt waren, wurden bereits von Lehrkräften
ERP-Systeme eingesetzt, bevor diese überhaupt in neu geordnete Lehrpläne aufgenommen wurden.
2.2.2 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrplanforderungen
Die einfachste Begründung zum Einsatz eines ERP-Systems im Unterricht an beruflichen Schulen lie-
fern die neu geordneten Lehrpläne. Der Lehrplan für Industriekaufleute in Bayern fordert den Einsatz
einer integrierten Unternehmenssoftware im Umfang von insgesamt 240 Unterrichtsstunden (Bayeri-
sches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2002, S. 12). Die Lehrpläne geben jedoch keinerlei
Hinweis, wie diese Forderung erfüllt werden sollte. Hierüber wurde bereits während des Modellver-
suchs CULIK intensiv diskutiert (Riesebieter, Budde et al. 2003; Riesebieter, Hahn 2003). Die Tabelle
3 gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Lehrplanforderungen nach EDV-Einsatz im Un-
terricht an beruflichen Schulen ausgehend von den gültigen Rahmenlehrplänen der KMK.
Kaufmann/-frau
im Einzelhandel
Industriekaufmann/-
frau
Kaufmann/-frau
im Großhandel
Forderungen im
Rahmenlehrplan80 Std. 80 Std. 80 Std.
„… integrieren auch
den Umgang mit ak-
tuellen Medien, mo-
derner Bürokommuni-
kation und berufsbe-
zogener Software zur
Informationsbeschaf-
fung und Informati-
onsverarbeitung. Hier-
für ist ein Gesamtum-
fang von mindestens
80 Unterrichtsstunden
im Rahmenlehrplan
berücksichtigt.“ (KMK
2004, S. 6)
„Die Informationsbe-
schaffung, -verarbei-
tung und –auswertung
erfolgt integrativ über
Medien und informati-
onstechnische Syste-
me in allen Lernfeldern.
Hierfür ist ein Gesamt-
umfang von mindes-
tens 80 Stunden im
Rahmenlehrplan be-
rücksichtigt.“ (KMK
2002, S. 7)
„Die Informationsbe-
schaffung, -verarbei-
tung und -auswertung
erfolgt integrativ über
Medien und informati-
onstechnische Syste-
me in allen Lernfeldern.
Hierfür ist ein Gesamt-
umfang von mindes-
tens 80 Stunden im
Rahmenlehrplan be-
rücksichtigt.“ (KMK
2006, S. 6)
Tabelle 3: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen (Rahmenlehrpläne)
117
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
117
Die Tabelle 4 lenkt nun den Blick auf die Vorgaben der bayerischen Lehrpläne. Nur im Bereich der
Großhandelskaufleute hat man die Vorgaben der KMK identisch übernommen. Man erkennt deut-
lich, dass die Vorgaben der KMK-Rahmenlehrpläne im Bereich der Einzelhandelskaufleute und der
Industriekaufleute um den Faktor 3 erhöht worden sind. Vor allem diese Abweichungen im zeitlichen
Umfang der bayerischen Lehrpläne von den Vorgaben der Rahmenlehrpläne sind beachtenswert.
Kaufmann/-frau
im Einzelhandel
Industriekaufmann/-
frau
Kaufmann/-frau
im Großhandel
Geforderte ERP-
Stunden im Lehr-
plan in Bayern
240 Std. 240 Std. 80 Std.
„Sie integrieren auch
den Umgang mit ak-
tuellen Medien, mo-
derner Bürokommuni-
kation und berufsbe-
zogener Software zur
Informationsbeschaf-
fung und Informations-
verarbeitung. Hierfür
ist ein Gesamtumfang
von mindestens 240
Unterrichtsstunden in
der Lehrplanrichtlinie
berücksichtigt.“ (Bay-
erisches Staatsminste-
rium für Unterricht und
Kultus 2004, S. 7)
„Die Informationsbe-
schaffung, -verarbei-
tung und -auswertung
erfolgt integrativ über
Medien und informati-
onstechnische Syste-
me in allen Lernfeldern.
Insbesondere soll eine
integrierte Unterneh-
menssoftware im Un-
terricht eingesetzt wer-
den. Hierfür ist ein Ge-
samtumfang von 240
Stunden in den Lehr-
planrichtlinien berück-
sichtigt.“ (Bayerisches
Staatsminsterium für
Unterricht und Kultus
2002, S. 12)
„Die Informationsbe-
schaffung, -verarbei-
tung und -auswertung
erfolgt integrativ über
Medien und informati-
onstechnische Syste-
me in allen Lernfeldern.
Hierfür ist ein Gesamt-
umfang von mindes-
tens 80 Stunden im
Rahmenlehrplan be-
rücksichtigt.“ (Bayeri-
sches Staatsminsteri-
um für Unterricht und
Kultus 2006, S. 8)
Tabelle 4: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen in Bayern
Um erfolgreich diese Lehrplanforderungen erfüllen zu können, erhalten die Lehrkräfte in Bayern zen-
trale Unterstützung durch das ISB (ISB 2009; Sailer 2008). In Baden-Württemberg unterstützt das LS
zentral die Lehrkräfte (LS 2009).
2.2.3 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund wirtschaftsdidaktischer Erwägungen
Es stellt sich nun schon die Frage, ob der Einsatz einer komplexen ERP-Software auch ohne direkten
Lehrplanbezug gefordert werden kann. Die Frage betrifft letztendlich alle noch nicht neu geordneten
kaufmännischen Berufsbilder. Bei konsequenter Anwendung der curricularen Prinzipien lässt sich der
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
118118
Einsatz von ERP-Systemen auch ohne explizite Erwähnung in den gültigen Lehrplänen argumentie-
ren. Beispielsweise nach dem Wissenschaftsprinzip. Eine Grundbedingung des Wissenschaftsprin-
zips lautet, dass nichts unterrichtet werden darf, was unter der Maßgabe des heutigen Standes der
Wissenschaft falsch ist (Blankertz 1982, S. 14). In der Bezugsdisziplin Betriebswirtschaftslehre nimmt
seit der Veröffentlichung von Gaitanides (1983) der Geschäftsprozess eine zentrale Rolle ein. Maß-
nahmen der Geschäftsprozessoptimierung setzen sich immer mehr durch (vgl. Gaitanides et al. 1994;
Hammer, Champy 1994; Davenport 1997; Schober 2002; Helbig 2003; Gaitanides 2007). Eine wichti-
ge Rolle spielt die Prozessorientierung auch in der Wirtschaftsinformatik. Neben der Beschäftigung
mit der Abwicklung von Geschäftsprozessen. Aus diesem Grund könnte ein prozessorientierter Un-
terricht nach Maßgabe des Wissenschaftsprinzips mit Nutzung einer ERP-Software sinnvoll sein. Un-
ter dem Aspekt des Situationsprinzips würde die aktuelle Lebenswirklichkeit, beziehungsweise die
gegenwärtigen oder zukünftigen Lebenssituationen in den Mittelpunkt gestellt (Reetz 1984, S. 99).
In den Betrieben werden die Schülerinnen und Schüler mit Anforderungen konfrontiert, auf die sie
vorbereitet werden müssen. Keine Firma kommt heutzutage mehr ohne den Einsatz von Informati-
onstechnologie aus, die grundlegenden kaufmännischen Tätigkeiten werden mehr und mehr auto-
matisiert. Es muss unter anderem dafür gesorgt werden, dass die „Black Box“ am Ausbildungsplatz
geöffnet wird und die Schülerinnen und Schüler die Chance bekommen, die grundlegenden betrieb-
lichen Prozesse im Berufsschulunterricht zu erfahren, da dies im Ausbildungsbetrieb nur noch selten
möglich ist (Böhme, Scholz 2007; S.61 f.). Aus dieser Argumentation lässt sich eine mögliche Rolle
eines ERP-Systems an beruflichen Schulen ableiten – es dient zur Visualisierung von Geschäftspro-
zessen und zur Verdeutlichung der Wirkzusammenhänge innerhalb eines Unternehmens. Der Einsatz
des ERP-Systems könnte somit, wie andere Software auch, zur Erhöhung der Anschaulichkeit die-
nen (Euler 1990, S. 184). Ähnlich sieht es auch Pfänder, der weiterführend feststellt, dass „durch eine
konkrete Auseinandersetzung mit dem Medium sich Anforderungen, Nutzungsmöglichkeiten und
Konsequenzen der Informationstechnologie im Unternehmen, als auch die Integration derselben re-
alitätsnah darstellen lassen.“ (2000, S. 87) Sieht man die Nutzung der ERP-Software nur aus diesem
Blickwinkel, so ist in allen kaufmännischen Berufen ohne Lehrplanforderung nach ERP-Einsatz zu-
mindest ein illustrativer Ansatz (Wilbers 2008) legitimierbar. Aber auch das Auswerten von Daten ist
kaufmännische Aufgabe und daher könnten auch Aufgaben geringer Komplexität, wie beispielsweise
die Belegerfassung oder die Nutzung des Systems im Rahmen der Finanzbuchhaltung (Jassmeier
2006) in allen kaufmännischen Berufen als Grundlegend gesehen werden. Somit könnte auch ein
sequentieller Einsatz (Wilbers 2008) von ERP-Systemen an beruflichen Schulen begründet werden.
Abbildung 1 zeigt mögliche Einsatzarten eines ERP.Systems an beruflichen Schulen auf
119
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
119
ERP-Einsatz im Unterricht
Illustrativer Einsatz
Sequentieller Einsatz von ERP
einfaches Step-by-Step
Aufgaben geringer
Komplexität
Einsatz im fall- oder projekt-
orientierten Unterricht
Komplexer Einsatz, z.
B. in Lernfirmen
Abbildung 1 Möglicher Einsatz von ERP-Systemen im Unterricht (vgl. Wilbers 2008)
2.3 Kooperationsansätze der ERP-Hersteller SAP und Microsoft
2.3.1 Der Herstelleransatz der SAP AG
2.3.1.1 Das University Alliance Programm der SAP AG (SAP-UA)
Die Firma SAP setzt in Deutschland auf die SAP University Alliance. Mit dem University Alliances
(UA) Programm fördert SAP eine praxisnahe und zukunftsorientierte Ausbildung, indem sie Lehren-
den und Studierenden weltweit Zugang zu neuesten SAP-Technologien ermöglicht. Das Programm
richtet sich an Hochschulen und berufliche Schulen, die SAP-Software aktiv in die Lehre integrieren
wollen. Die Firma SAP sorgt im Rahmen dieser UA für die Schulung der Lehrkräfte und für die Unter-
stützung der teilnehmenden Institutionen mit grundlegendem Unterrichtsmaterial. Die interessierten
Schulen erhalten jedoch keine eigenständige SAP-Installation vor Ort, stattdessen erfolgt die Arbeit
mit einem SAP-System auf den Zentralrechnern von zwei Universitäts-Kompetenz-Zentren (UCC).
Eines dieser Zentren befindet sich an der Universität Magdeburg, das andere an der Technischen
Universität München (SAP AG 2008). Der Zugriff auf den zentral gehosteten Mandanten erfolgt mit
Hilfe des SAP-GUI über die Internetverbindung der jeweiligen Schule. Für die erbrachten Dienstleis-
tungen erheben die UCCs einen Jahresbeitrag. Mit diesem Beitrag (ca. 3.500 EUR pro Jahr für einen
Mandanten) wird die notwendige Infrastruktur auf Seiten der UCCs finanziert. Beispielsweise werden
in einem UCC zentral die gewünschten Programme bereitgestellt und die Wartung der SAP-Instal-
lation vorgenommen. Der technische Aufwand an den Schulen vor Ort ist die lokale Einrichtung der
Rechner mit einem „SAP-GUI“, einer grafischen Oberfläche für den Zugriff auf die Zentralrechner des
jeweiligen UCCs. Die Hardwareanforderungen an die Schulrechner sind bei Nutzung der SAP-GUI
als gering zu bezeichnen. Unter Windows XP ist der GUI bereits bei Minimalkonfiguration lauffähig:
Notwendig ist eine Standard-Grafikkarte und maximal 600MB Festplattenspeicher. Ein Internetzu-
gang für den Zugriff auf die Server des jeweiligen UCC ist obligatorisch. Da das SAP-System zentral
auf den Servern des UCC läuft und dort auch alle Berechnungen durchgeführt werden, ist der Da-
tendurchsatz zwischen Schule und UCC sehr gering, so dass die Arbeit auf den SAP-Servern zum
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
120120
Beispiel bereits mit einem T-DSL1000 möglich ist. Daher ist jeder Standard-DSL-Anschluss in der
Lage, die notwendige Konnektivität zur Verfügung zu stellen. Somit bieten die UCCs einen umfas-
senden technischen Support für die angeschlossenen Bildungseinrichtungen (UCC 2009). Die Auf-
gaben eines UCC und die Stellung innerhalb der Partner und angeschlossenen Hochschulen werden
in Abbildung 3 deutlich.
Kooperation zwischen SAP, Hardwareherstellern,
Uni Magdeburg / Technische Uni München
und T-Systems CDS
Hochschule/Schule
Arbeitsmarkt Gesellschaft Hochschulen / Schulen
Job-angeboteInteresse
Lehrauftrag
Forschungs-motivation
Kostendruck
Qualität von und Lehre
Studierende Dozent
Forscher
Administrator
Support
Know-How
Hosting
SAP
T-Systems
HCC
HP/SUNNachfrage
Abbildung 2: Die Aufgaben der UCC Magdeburg und München (UCC 2009)
Neben der technischen Unterstützung bieten die UCCs auch vorgefertigte Fallstudien. Diese Fallstu-
dien sind vom Anforderungsniveau auf die Bedürfnisse von Hochschulen zugeschnitten. Auf Grund-
lage dieser Fallstudien werden auch die zukünftigen Dozenten und Lehrkräfte durch Mitarbeiter der
UCCs für das SAP-System geschult. Dies bedeutet, dass alle vorhandenen Fallstudien einmal durch-
gearbeitet und alle aufkommenden Fragen umfassend beantwortet werden. Eine Teilnahme an dieser
Schulung ist obligatorisch und stellt sicher, dass nur geschulte Dozenten oder Lehrkräfte mit dem
SAP im Unterricht arbeiten (UCC 2009). Ein direkter Einsatz der vorgefertigten Fallstudien im Unter-
richt an beruflichen Schulen ist aufgrund der Komplexität der Fallstudien nicht möglich. Für berufliche
Schulen können diese Fallstudien jedoch als Grundlage eigener Fallstudien dienen – die Erstellung
derselben ist jedoch mit hohem Zeitaufwand verbunden (Reich-Zies et al. 2008).
Wichtige Punkte:
- Technischer Support durch UCC sorgt für eine geringere Belastung der schulischen Systembe-
treuer
- Ansatzweise Didaktischer Support durch UCC
- Schulung der Lehrkräfte ist verpflichtend und sichert eine Grundqualifizierung
121
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
121
2.3.1.2 Die Online-Plattform ERP4SCHOOL
Da die Kosten eines Mandanten bei einem UCC vielen Schulen sehr hoch erscheinen, laufen aktuell
Bemühungen, den Zugriff auf ein vollwertiges SAP-System über das Internet zu realisieren. Federfüh-
rend ist hier das Oberstufenzentrum (OSZ) für Bürowirtschaft und Dienstleistung aus Berlin-Pankow.
Die langjährige Erfahrung im Umgang mit SAP im Unterricht führte zum Projekt ERP4SCHOOL, wel-
ches auf der Cebit 2008 offiziell vorgestellt wurde. Auf der Seite „www.erp4school.de“ finden inte-
ressierte Schulen vorgefertigte Fallstudien, welche mit Hilfe eines SAP-Systems bearbeitet werden
können. Bei Fragen und Problemen offeriert das OSZ Berlin technischen Support für die angeschlos-
senen Schulen. Das Projekt ist derzeit in der Versuchsphase und soll nach Evaluation der Versuchs-
ergebnisse ausgeweitet werden. Kosten entstehen im Kompetenzzentrum in Magdeburg. Das SAP-
System wird vom UCC in Magedeburg gehostet und mit hoher Performace zur Verfügung gestellt. Für
den hohen technischen Aufwand, den die Systemverwalter der Schulen nicht leisten können, fällt pro
Jahr und Mandant ein Betrag an von 950,00 EUR (Stand Juni 2009). Das Angebot von ERP4SCHOOL
zielt sowohl auf Vollzeitschulen als auch auf Berufsschulen mit dualen Ausbildungsberufen ab. Dies
führt dazu, dass es zwei Versionen gibt, eine „Vollversion“ für Schulen mit vollzeitschulischen Aus-
bildungsgängen und eine „einfache Version“ für Berufsschulen mit dualen Berufsausbildungen. Wei-
terhin sind berufsschulgerechte Fallstudien angekündigt sowie die Möglichkeit eines Customizing
(ERP4SCHOOL 2009). Einen ersten Überblick über die gedachten Einsatzbereiche der Szenarios
ERP4SCHOOL gibt Abbildung 2. Man plant das Anbieten von zwei Szenarien, die jeweils die Berei-
che „Eingabe“, „Erkundung“ und „prozessorientierte Navigation“ umfassen. Mit „Vollversion“ wird ein
umfassendes Paket bezeichnet, das für Vollzeitschulen gedacht ist. Man versucht die Integration aller
relevanten SAP-Module. Für Schulen, die in Fachklassen mit dualen Ausbildungsberufen ausbilden,
wird eine „einfache Version“ angeboten, die weniger umfangreich nur ausgewählte Teilbereiche um-
fasst. Hierbei konzentriert man sich insbesondere auf die Bereiche Einkauf und Vertrieb.
Eingabe
Vertrieb
Einkauf
Produktion
Finanz-buchhaltung
Controlling
Personal
Erkundung
Vertrieb
Einkauf
Produktion
Finanz-buchhaltung
Controlling
Störungen/ Probleme
Reporting
prozessorientierte Navigation
Prozess-analyse
Prozess-aufbau
Prozess-optimierung
ARIS-Integration
Vollversion und einfache Version
nur Vollversion
Abbildung 3: Szenarien von ERP4SCHOOL (eigene Darstellung in Anlehnung an ERP4SCHOOL, 2009)
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
122122
Wichtige Punkte:
- Internetbasierte Lösung
- Didaktischer Support durch Lehrkräfte des OSZ Berlin
- Customizing möglich
- Reduzierung der Kosten verglichen zu einem eigenen UCC-Mandanten
2.3.1.3 Die österreichische Lösung ERP4U.AT
Bei ERP4U handelt es sich um ein Angebot der Business Software Austria, einem Verein, der die ös-
terreichische Lösung einer zentralen Supporteinheit für SAP im beruflichen Schuleinsatz darstellt.
Als Gründungsjahr kann das Jahr 2000 gesehen werden, in welchem erste Lehrkräfte auf den Einsatz
von SAP vorbereitet wurden. Die Bereitstellung des SAP-Systems erfolgt, analog wie in Deutschland
zentral, in Österreich ECC (Educational Competence Center) genannt. Auch in Österreich gibt es zwei
ECCs. Das ECC an der TU Wien hat ausnahmslos Hochschulen als Kunden, das ECC der Business
Software Austria hat für sich als alleinigen Kundenkreis die Schulen in Österreich (Pscheidl-Schubert
2008).
Der Vorteil der ECC-Lösung über die Business Software Austria ist es, dass die angebotenen Man-
danten exakt auf die Bedürfnisse der Kunden, ausnahmslos berufliche Schulen, abgestimmt worden
sind. Möglich wurde dieser Ansatz durch eine konzentrierte Aktion der SAP Österreich GmbH, des
österreichischen Kultusministeriums und des Vereins Business Software Austria. Für die Schulen
fallen lediglich Kosten für den Betrieb im Education Competence Center an. Diese orientieren sich
an der Gruppenzahl der in der Schule unterrichteten Klassen auf Basis eines Zeitscheibenmodells,
welches das Schuljahr in 4 gleich große Zeitscheiben teilt. Berechnungsbasis ist die Gruppe (ca. 15
- 20 Schülerinnen und Schüler). Für jede Gruppe wird ein SAP ERP ADES-Mandant zur Verfügung
gestellt. Dieser Mandant kostet pro Gruppe und Zeitscheibe generell 654,-- € inkl. MwSt. Von die-
sem Grundpreis werden jedes Jahr etwaige Förderungen (meist durch das Kultusministerium oder
den betreibenden Verein Business Software Austria) in Abzug gebracht. Diese Gelder werden aus-
schließlich für den Betrieb der Serverlandschaft am Education Competence Center sowie für die
Hardwareausstattung und Aufrüstung benutzt. (SAP Österreich 2009; Pscheidl-Schubert 2008)
Im Schuljahr 2005/2006 wurde vom Vorstand der Business Software Austria beschlossen, dass man
auf eigene Rechnung einen neuen, eigenen Mandanten entwickeln sollte. Dieser Beschluss führ-
te zur Entwicklung des Mandanten ACME, der im Herbst 2006 erstmalig vorgestellt wurde und seit
2007 ebenfalls von den Schulen genutzt werden kann. Der Mandant ACME deckt ebenso wie der
ADES-Mandant alle Inhalte der SAP-Anwender-Zertifizierungen ab. Das SAP Foundation Certificate
kann von Schülerinnen und Schülern aller Schultypen erworben werden. Zusätzlich bietet SAP sechs
Spezialzertifikate an, welche die Bereiche Materialwirtschaft, Produktionsplanung, Verkauf und Fi-
nanzwirtschaft abdecken. Jeder Antritt zu einer Zertifikatsprüfung kostet 180,-- € inkl. MwSt. (SAP
Österreich 2009; Pscheidl-Schubert 2008).
123
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
123
Wichtige Punkte:
- Eigenes Schulungsmodell für Lehrkräfte
- Eigene Serverlandschaft für berufliche Schulen
- Eigene Schulungsunterlagen und Schulungsdaten
- Realisierung über ein Public-Private-Partnership-Modell
- Flexibles, an das Schuljahr angepasstes Preismodell
- Kundenspezifisches Customizing ist möglich
2.3.2 Der Herstelleransatz der Microsoft Deutschland GmbH
2.3.2.1 Die MBS Academic Alliance (MBSAA)
Im Rahmen der MBS Academic Alliance (MBSAA) unterstützt Microsoft Business Solutions Lehrein-
richtungen im Hochschul- und Berufsschulumfeld durch die kostenlose ERP-Software Navision für
den Einsatz in Forschung, Lehre und Unterricht (Microsoft 2009). Der Microsoft Business Solutions
Academic Alliance können auch einzelne Schulen beitreten, allerdings reduziert sich dann der Sup-
port von Microsoft auf die kostenlose Bereitstellung der Software und eine einmalige Schulung von
Multiplikatoren. Zusätzlich erhalten die Partnerschulen Linklisten und Unterstützung beim Networ-
king. Genaue Zahlen über die Anzahl der Partnerschulen im MBSAA- Programm sind Verschlusssa-
che der Firma Microsoft. Auf den Berufsschulseiten der MBSAA wird explizit auf die Landesinstitute
des Freistaats Bayern (ISB) und von Baden-Württemberg (LS) hingewiesen, so dass man vermuten
kann, dass außerhalb der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg die Verbreitung der Mi-
crosoft-Lösung eher gering ist. (Microsoft 2009).
Wichtige Punkte:
- Keine Kosten für interessierte Schulen
- Qualifizierung der Lehrkräfte durch Multiplikatorenschulungen
2.3.2.2 Kooperation mit staatlichen Landesinstitute
Die Firma Microsoft bietet über die MBSAA den jeweiligen Bildungsträgern die ERP-Lösung Dyna-
mics Nav kostenlos zur Nutzung an. Der Kontakt zwischen Schulen und Microsoft läuft in Bayern
und Baden-Württemberg über die staatlichen Landesinstitute, in Bayern über das ISB und in Baden-
Württemberg über das LS. Die Institute dienen hierbei als zentraler Dienstleister für die angeschlos-
senen Schulen. Durch diese Kooperation mit den staatlichen Landesinstituten gelang der Firma
Microsoft eine nahezu flächendeckende Verbreitung Ihrer ERP-Lösung Dynamics Nav (ehemals Na-
vision). Beide Landesinstitute dienen als direkter Supportgeber für die jeweiligen Schulen (LS 2009;
ISB 2009).
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
124124
2.3.2.2.1 Das ISB in Bayern als Kooperationspartner der Firma Microsoft
Der Support durch das ISB in Bayern sieht neben Schulungen am System vor allem didaktische
Handreichungen vor. Ausgehend von einem angepassten Mandanten und einer modifizierten Da-
tenbank werden komplette Aufgabenstellungen inklusive Lösungen angeboten. Jede Handreichung
enthält auch eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Durchführung der jeweils notwendigen Bedien-
schritte innerhalb des ERP-Programms. Im Bereich der Warenwirtschaft werden berufsfeldspezi-
fische Mandanten angeboten. Es gibt Mandanten für den Bereich der Industriekaufleute, der Groß-
handelskaufleute und für die Einzelhandelskaufleute. Speziell für die Einzelhandelskaufleute wird
ein Kassenmodul angeboten. Um die Lehrkräfte auf den Einsatz von MBS Navision vorzubereiten,
fanden zentrale Multiplikatorenschulungen statt. Diese ausgebildeten Multiplikatoren sollten in den
jeweiligen Regierungsbezirken des Freistaats Bayern interessierte Lehrkräfte schulen. Diese Schu-
lungen haben jedoch nach Aussage von Lehrkräften nur teilweise und nicht im nötigen Umfang
stattgefunden. Verantwortlich für die Unterstützung der Schulen im Bereich ERP ist Herr StD Edgar
Sailer. Er zeichnet verantwortlich für den Support von MBS Dynamics Nav, parallel für den Support
von Mesonic Winline. Weitere Ansprechpartner bezüglich ERP sind auf den Seiten des ISB nicht zu
erkennen. (ISB 2009)
2.3.2.2.2 Das LS in Baden-Württemberg als Kooperationspartner der Firma Microsoft
In Baden-Württemberg erfolgt der Support der Schulen ebenfalls über ein zentrales staatliches In-
stitut. Aktuell beschäftigen sich acht Lehrkräfte, die Tagesweise an das LS abgeordnet sind mit der
Erstellung aktueller Handreichungen und dem zur Verfügung stellen von technischem und didakti-
schem Support für die beruflichen Schulen in Baden-Württemberg. Die Bemühungen des LS wurden
im Juli 2008 durch Microsoft honoriert. Das Landesinstitut LS erhielt die Auszeichnung «Microsoft
IT Academy Program Member». Mit dieser Auszeichnung wird die beispielhafte Qualifizierungsarbeit
im Bereich der integrierten Unternehmenssoftware Microsoft Dynamics NAV® gewürdigt. (LS 2009)
Die besondere Leistung des Landesinstituts in Baden-Württemberg besteht darin, dass zielgruppen-
orientierte Mandanten zur Verfügung gestellt werden. Es wird durch die Lehrkräfte am LS umfang-
reiches Customizing der Dynamics Nav – Oberfläche vorgenommen. So stellt man beispielsweise
sicher, dass die Bezeichnungen der Formulare mit der Unterrichtssprache korrespondieren. Schu-
lungen für Lehrkräfte finden regelmäßig mehrmals im Jahr statt (LS 2009).
Wichtige Punkte:
- Rahmenverträge mit Landesinstituten führen zu flächendeckendem Einsatz
- Handreichungen liefern Grundlage, um das Programm im Unterricht einsetzen zu können.
- Handreichungen ermöglichen einen Illustrativen und sequentiellen Einsatz.
- Customizing der Mandanten vereinfacht den Einsatz im Unterricht
125
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
125
3 Fallstudien: Implementierungsstrategien an beruflichen Schulen
Da es keine Beschreibung einer Musterimplementierung eines ERP-Systems an beruflichen Schulen
gibt, ist es in einem ersten Schritt notwendig, sich aktuelle Lösungsstrategien verschiedener Schulen
anzusehen. Im folgenden Kapitel sollen verschiedene erfolgreiche Ansätze dargestellt und verglichen
werden. Hierbei stützen sich die Ausführungen nicht nur auf die Vorträge der an den Hochschultagen
2008 beteiligten Schulen. Zusätzlich werden Interviews mit Vertretern des OSZ Berlin und der DV-
Schulen Würzburg und Gespräche mit Vertretern der Landesinstitute mit eingebracht.
3.1 Implementierungsstrategien an Vollzeitschulen
Unter Vollzeitschulen fallen die Schulen, bei denen die Berufsausbildung rein schulisch, ohne dua-
len Partner erfolgt. Hierunter zählen die Berufsfachschulen mit zwei- oder dreijähriger Ausbildungs-
dauer, welche einen anerkannten Berufsabschluss verleihen können. Bei den Hochschultagen 2008
waren mit dem Oberstufenzentrum für Bürowirtschaft und Dienstleistungen aus Berlin und den DV-
Schulen Würzburg zwei Schulen dieser Kategorie mit zwei unterschiedlichen Ansätzen vertreten.
3.1.1 Oberstufenzentrum (OSZ) Berlin für Bürowirtschaft und Dienstleistung
3.1.1.1 Allgemeines
Das OSZ in Berlin wurde im Jahr 1998 gegründet um der immer höheren Zahl von Jugendlichen ohne
Ausbildungsplatz eine Möglichkeit zum Erlernen eines Berufes zu geben. In der Gründungsphase
wurde die vollzeitschulische Ausbildung zum/zur Bürokaufmann/-frau und zum/zur Kaufmann/-frau
für Bürokommunikation mit einem eigenen Unterrichtsmodell angeboten (OSZ Berlin 2008). Seit
dem Jahr 2005 sind die Prozessmanagementsoftware ARIS und das ERP-System der Firma SAP
fester Bestandteil des Unterrichts. Mit der Einführung eines neuen Berufsbildes ERP-Kaufmann/
ERP-Kauffrau und dem Start des deutschlandweiten Projekts ERP4SCHOOL ist das OSZ Berlin ein
bemerkenswertes Beispiel für die Möglichkeiten, die eine Implementierung von ERP-Systemen den
beruflichen Schulen bieten kann. (Pongratz 2007; OSZ Berlin 2008)
3.1.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht
Die Einbindung von SAP erfolgte im Rahmen des University Alliances (UA) Programms der Firma
SAP. Alle Lehrkräfte des Oberstufenzentrums, die mit der ERP-Software im Unterricht arbeiten, wur-
den durch Mitarbeiter des UCC Magdeburg geschult und somit in die Lage versetzt, das Programm
grundständig bedienen zu können. Der Unterricht am OSZ Berlin folgt den Prämissen des Lernens
im Modell (LiM) und des Lernens am Modell (LaM) (Tramm 1992, S.208 ff). Dies bedeutet, dass die
Einbindung des SAP-Programms im Bereich der Arbeit im Modellunternehmen erfolgt. In diesem Be-
reich geht es um das Erlernen von Arbeitsprozessen, der Erfassung von Belegen, dem einfachen Bu-
chen von Geschäftsvorfällen und dem damit verbundenen Erlernen der Bedienung des ERP-Systems
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
126126
der Firma SAP. Ergänzt werden diese praktischen Phasen durch das Modul Lernen am Modell. In
dieser Phase der Reflexion werden die theoretischen Grundlagen für das weitere Arbeiten gelegt und
es werden die Aktionen der vorherigen LiM-Phase besprochen. Da es die Unterrichtsfächer LiM und
LaM offiziell nicht gibt und sich das OSZ Berlin an die herrschenden Lehrpläne halten muss, kann
man sich das LaM als Synthese der Fächer Wirtschaftslehre, Wirtschaftsmathematik, Rechnungs-
wesen und Bürowirtschaft vorstellen. Im Bereich LiM geht vor allem das Fach Textverarbeitung auf.
(Dörrer 2008, Pongratz 2007).
Lernen im
Modell-unternehmen
LS 1
LS 2
Lernen am
Modell-unternehmen
Wirtschaft und
Gesellschaft
Sprache und
Kommunika-tion
Sport und
Kurse WP
LS 3
LS 4 LS 4
LS 5
BP/DV
TV
WL (Teile)
ReWe
Bürowirtsch.
WiMathe
SOZ
WL
D EN
Lehrer
Abbildung 4: Curriculares Gesamtkonzept OSZ Berlin (Dörrer 2008)
3.1.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am OSZ Berlin
Das ERP-Konzept am Oberstufenzentrum in Berlin zeigt beispielhaft, wie komplex man ERP-Systeme
in den Unterricht einer beruflichen Schule einbinden kann. Die Erfahrungen an der Schule zeigen aber
auch, dass eine Einbindung von ERP-Systemen in den Unterricht kein kurzfristiges Projekt sein kann.
Die große Anzahl von Lehrkräften, die sich der SAP-Schulung unterzogen hat, ist der deutlichste Be-
weis, dass die erfolgreiche Einbindung durch die hohe Akzeptanz im Kollegium gefördert wurde. Das
Starten der Initiative ERP4SCHOOL ist daher auch die logische Konsequenz um das über Jahre er-
worbene Spezialistenwissen an andere Schulen weiterzugeben. Zurzeit arbeitet man an der Entwick-
lung eines reduzierten Angebots, um auch in den dualen Berufsausbildungsgängen ERP-Systeme
zu implementieren. Aufgrund von zu knapp bemessener Unterrichtszeit ist die intensive Nutzung von
ERP-Systemen in den Teilzeitklassen noch nicht möglich (Dörrer 2008; Pongratz 2007).
Wie am Beispiel des curricularen Grundkonzepts erkennbar ist, hat man am OSZ Berlin für sich die
Erkenntnis gewonnen, dass der klassische Fächerkanon nur noch bedingt geeignet ist, um modernen
Unterricht zu ermöglichen. Daher wurde viel Zeit in die Entwicklung eines schulinternen Curriculums
127
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
127
gelegt. (Pongratz 2007) Um dieses interne Curriculum aber auch erfolgreich umsetzen zu können,
war es notwendig, die Organisation der Schule an die neuen Anforderungen anzupassen. Die Aus-
richtung an Geschäftsprozessen fordert eine intensive Zusammenarbeit unter den Lehrkräften. Aus
diesem Grund wurden Lehrerteams gebildet, die sich wöchentlich treffen und die jeweilige Arbeit
reflektieren und den Unterricht in der kommenden Woche vorbesprechen. Ergänzt werden diese
Teamtreffen um Jahrgangsstufentreffen, welche alle vier Wochen stattfinden und auf denen nach
Jahrgangsstufe getrennt ein Austausch aller unterrichtenden Teams stattfindet. Dieser intensive In-
formationsaustausch mündet in die Halbjahreskonferenzen, die den Austausch der Lehrerteams über
die Jahrgangsstufen hinaus gewährleistet. (Dörrer 2008, Pongratz 2007). Die auffälligste Änderung
ist der Teamgedanke, der an diesem Oberstufenzentrum das zentrale Element der Schulorganisation
ist. Die Entwicklung des schuleigenen Curriculums, die Ausarbeitung der Fallstudien für das ERP-
System, die zusätzliche zeitliche Belastung aufgrund der notwendigen Qualifizierung der Lehrkräf-
te – die erfolgreiche Schaffung der Rahmenbedingungen für die Einführung des SAP-Systems steht
im direkten Zusammenhang mit der neuen Sicht auf die eigene Schule, die von Schulleitung, Abtei-
lungsleitern, Fachleitern und Lehrkräften geteilt wird. Das Ergebnis dieser neuen Sichtweise ist eine
prozess- und teamorientierte Schule. Die entscheidende Neuerung ist, dass Schulleitung und Abtei-
lungsleitung in die jeweiligen Teams integriert sind und innerhalb des Teams als normale Teammit-
glieder agieren. (Pongratz 2007)
Abbildung 5: Organisationsstruktur einer prozess- und teamorientierten Schule
(Dörrer 2009 in diesem Band)
3.1.2 DV-Schulen Würzburg
3.1.2.1 Allgemeines
Die DV-Schulen Würzburg sind ein Verbund von fünf Vollzeitschulen mit unterschiedlichem Profil. Es
gibt eine Berufsfachschule für Büroberufe, eine Berufsfachschule für kaufmännische Assistenten,
eine Berufsfachschule für IT-Berufe, eine Fachschule für Datenverarbeitung und eine angeschlossene
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
128128
Wirtschaftsschule. Der Einsatz von ERP-Systemen an dieser Würzburger Schule reicht bis an das Ende
der 80er Jahre zurück. Das erste verwendete System Taylorix wurde bald von der Software Sage KHK
abgelöst, welches sich noch heute an der Berufsfachschule für kaufmännische Assistenten der Fach-
richtung Informationsverarbeitung im Einsatz befindet (vgl. Schuller in diesem Band). Im Jahr 2000
knüpfte man erste Kontakte zu SAP und arbeitete mit SAP Business One – es dauerte allerdings noch
bis ins Jahr 2004, bevor man in das University Alliance (UA) – Programm der Firma SAP aufgenommen
wurde. Bis zur umfassenden Nutzung von SAP im Unterricht dauerte es ein weiteres Jahr (Hölzlwim-
mer 2008).
3.1.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht
Die Würzburger Schule geht beim Einsatz von ERP-Systemen einen eigenen Weg. Zum einen hat
man erkannt, dass Kenntnisse in ERP-Systemen, insbesondere in SAP, bei der Berufssuche Vorteile
für die Schüler mit sich bringen. Daher hat man sich für eine intensive Beschäftigung mit ERP-Syste-
men im Unterricht entschieden1. Trotzdem schätzt man die Notwendigkeit einer fundierten theoreti-
schen Ausbildung. (Hölzlwimmer 2008; Schuller 2008)
Erst daran schließt sich in einer der folgenden Unterrichtsstunden die Umsetzung der Theorie in die
Softwarepraxis und somit die übende Anwendung in einem echten System an. Dieses versetzte Vor-
gehen hat zum einen einfache organisatorische Gründe. Um die begrenzte Zahl von EDV-Räumen an
der Schule optimal zu nutzen, bietet sich diese sequentielle Lösung an2. Zum anderen jedoch macht
die sequentielle Ausbildung den Anspruch der Schule deutlich, nicht nur Programmbediener auszu-
bilden. Das wichtigste Ziel des Unterrichts sei es, dass die Schüler verstehen, welche Prozesse ihnen
durch die Software abgenommen werden und wie dies geschieht (Schuller 2008).
Abbildung 6: Steigende Komplexität im Ablauf der Ausbildung (Pongratz 2008)
1 Die ERP-Lösung von SAP wird allerdings nicht in allen Teilschulen eingesetzt. Der Einsatz erfolgt in kaufmännischen
Berufsfeldern nur bei den Informatikkaufleuten. Alle anderen Berufe werden mit SAGE Classic Line ausgebildet.
2 Die EDV-Arbeitsplätze müssten bei einem parallelen Unterricht von Theorie und Praxis doppelt freigehalten wer-den,
was einer Halbierung der räumlichen Kapazitäten entspricht. Dies ist bei den aktuellen Klassenzahlen im Stundenplan
nicht realisierbar.
129
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
129
Um dies zu erreichen, so die Ansicht, ist es von fundamentaler Bedeutung, die Theoriekenntnisse
im Vorfeld der praktischen Anwendung herzustellen und auch einzuüben. Die Praxisarbeit mit SAP
erfolgt dabei anhand vielfältiger Fallstudien. Dies ermöglicht es, die Schüler schrittweise an die An-
wendung heranzuführen. Zunächst lernen die Schüler in einem Einführungsmodul „Navigation“, die
Benutzeroberfläche und den Aufbau, aber auch grundlegende Kenntnisse, wie die Anmeldung am
System, kennen. Im Folgenden werden erste Aufgaben gestellt, die vor allem darin bestehen, mit der
Navigation zurechtzukommen und Informationen aus dem System auszulesen. Dabei wird den Schü-
lern noch sehr streng vorgegeben, welche Schritte sie als nächstes durchzuführen haben. Nachdem
zu Beginn der Fokus vor allem auf der ordnungsgemäßen Bedienung von SAP R/3 liegt, wird darauf
folgend dazu übergegangen, in die betriebswirtschaftliche Nutzung der Software einzusteigen. Dies
geschieht zunächst mit einfachen Einführungen, wie beispielsweise der Verbuchung eines Waren-
einganges im Modul Logistik oder der Personalplanung im Modul HR (Hölzlwimmer 2008; Pongratz
2008). Diese Grundprozesse werden nachfolgend, entsprechend der Fortschritte im Theorieunter-
richt, immer wieder erweitert und ausgebaut. Am Ende des Schuljahres sind die Schüler dann in der
Lage, komplexe Fallstudien zu bearbeiten, die in den jeweiligen SAP Modulen die vollständige Pro-
zesskette eines Unternehmens, von der Auftragsannahme bis hin zur Verkaufsabwicklung des ferti-
gen Produktes, abbilden. (Hölzlwimmer 2008).
3.1.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung an den DV-Schulen
Die Einbindung des ERP-Systems in eine sequentielle Abfolge von Theorie und Praxisphasen eröff-
net eine zweite mögliche Umsetzung. Durch die Berücksichtigung von knappen Raumressourcen bei
der Einbindung des ERP-Systems im Schulzentrum kann das Würzburger Modell als Beispiel dienen,
wenn keine zusätzlichen umfassenden EDV-Kapazitäten aufgebaut werden sollen oder können. Die
Arbeit mit dem SAP-System ist in Würzburg schulintern nach freiwilliger Meldung auf ein Team von
acht Lehrkräften verteilt worden. In der Einführungsphase der Implementierung von SAP/R3 stand
die Entwicklung von passenden Unterrichtskonzepten. Es bildeten sich zwei Teams, wovon eines
sich verstärkt mit den Modulen Controlling und Personal befasste, während sich das andere Team
auf das Modul Logistik spezialisierte (Hölzlwimmer 2008). Die Gesamtdauer der Vorbereitungen lag
bei circa 2 Jahren mit mindestens einem Teamtreffen3 zur Erstellung und Überprüfung der einzelnen
Fallstudien. Interessant ist die Haltung zu weiteren ERP-Systemen im Unterrichtseinsatz. Die Team-
orientierung und die Freiwilligkeit waren bei der Implementierung des SAP-Systems ein kritischer
Faktor. Der Schulleiter bestätigt, dass das Schulprofil einer IT-Schule das Finden von interessierten
Freiwilligen erleichtert hat, er ist gleichzeitig jedoch der Überzeugung, dass der Komplexität des Sys-
tems nur in Teams begegnet werden kann.
Mit der Begründung, SAP wäre zu komplex, wird auf den Einsatz von SAP in den Fachklassen für
Bürokommunikation verzichtet. Das eingesetzte Produkt SAGE Classic Line erfüllt in diesen Berufs-
bildern ebenso die Forderung nach Prozessorientierung. Hier wird deutlich, dass nicht das ERP-Pro-
gramm im Mittelpunkt steht, sondern die betriebswirtschaftliche Theorie und das ERP-Programm
3 Für diese Teamtreffen wurde in der Stundenplangestaltung ein Nachmittag für die Teammitglieder von Unterricht
freigehalten, so dass sich das Team in der Zeit von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr treffen konnte und gemeinsam die
Fallstudien in den jeweiligen Bereichen erstellen konnten.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
130130
per se nur Mittel zum Zweck, ein Medium in der Gestaltung des Unterrichts ist. (Schuller 2008; Hölzl-
wimmer 2008)
3.2 Implementierungsstrategien an Teilzeitschulen
Unter Teilzeitschulen fallen die Schulen, bei denen die praktische Berufsausbildung im Ausbildungs-
betrieb und theoretische Berufsausbildung an der Berufsschule stattfindet. Der Unterricht an der
Berufsschule kann sowohl im Einzeltagesunterricht oder in geblockter Form stattfinden. Bei den
Hochschultagen 2008 waren mit dem Friedrich-List-Berufskolleg Bad Herford und den Multimedia-
berufsschulen Hannover zwei Schulen dieser Kategorie vertreten.
3.2.1 Friedrich-List-Berufskolleg
3.2.1.1 Allgemeines
Das Friedrich-List-Berufskolleg in Herford vereint unter seinem Dach eine Vielzahl unterschiedli-
cher Schularten. Diese lassen sich grob in drei Bildungsgänge einteilen. Im Bereich der Grund- und
Erstausbildung den vollzeitschulischen Bildungsgang, der Berufsfachschulen, Handelsschulen und
das Wirtschaftsgymnasium umfasst sowie einen teilzeitschulischen Bildungsgang mit der Berufs-
schule. Im Bereich der Weiterbildung rundet eine Fachschule für Wirtschaft das schulische Angebot
des Berufskollegs ab.
3.2.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht
Der Einsatz von integrierter Software am Friedrich-List-Berufskolleg reicht bis ins Jahr 1990 zurück.
Im Rahmen eines Modelversuchs wurde das Programm Micro PPS von Prof. Kern aus Reutlingen
von 1990 bis 1994 am Berufskolleg eingesetzt. Das Programm konnte sich nie durchsetzen und ver-
schwand daher schnell wieder. Im Jahr 1997 fand sich, wieder mit Unterstützung durch Prof. Kern,
eine Planungsgruppe, die sich auf Basis der Software PMS/A zusammenfand und über eine mögliche
Verwendung im Unterricht nachdachte. Die Bemühungen endeten ohne nachhaltiges Ergebnis im
Jahr 1999. In diesem Jahr nahm die Planungsgruppe „Enterprise-Management“ mit der Softwareba-
sis BaaN 4C4 die Arbeit auf. Nachdem auch dieser Versuch nicht zum gewünschten Ergebnis geführt
hat, entschied man sich im Jahr 2001 für die Nutzung der ERP-Lösung des Softwareherstellers SAP.
Auf Basis des Modellmandanten IDES erarbeitete seit August 2001 ein Team von fünf freiwilligen
Lehrkräften eine schuleigene Fallstudie zur Geschäftsprozessabwicklung. Die Entwicklungsarbeit
nahm das gesamte Schuljahr 2001/2002 in Anspruch. Mit der weiteren Erarbeitung einer Controlling-
Fallstudie und der notwendigen Testphasen dauerte es bis ins Schuljahr 2003/2004, bis die Fallstu-
dien im regulären Unterrichtsbetrieb eingesetzt werden konnten. Bis in den Sommer 2006 wurden
die oben genannten Fallstudien unverändert eingesetzt, um dann komplett überarbeitet zu werden.
Ein Jahr später, im Jahr 2007, fand sich ein neues Team von Lehrkräften zusammen, die das SAP-
Angebot weiterführen wollten, nachdem sich das Gründungsteam aufgrund neuer organisatorischer
131
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
131
Strukturen nicht mehr in der Lage sah, die Betreuung zu leisten. Die überarbeiteten neuen Fallstudien
werden seit dem Schuljahr 2006/2007 in allen drei Bildungsgängen des Berufskollegs eingesetzt. Im
vollzeitschulischen Bereich bei den kaufmännischen Assistenten der Fachrichtung Informationsver-
arbeitung, in der Berufsschule in allen Fachlassen für Industriekaufleute und an der Fachschule für
Wirtschaft im Schwerpunktbereich Wirtschaftsinformatik (Reich-Zies et al. 2008).
3.2.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am Friedrich-List-Berufskolleg
Die Einbindung am Friedrich-List-Berufskolleg zeigt, dass der Faktor Zeit bei dualen Ausbildungsbe-
rufen ein limitierender Faktor ist. Trotzdem ist es möglich, ein komplexes ERP-System in den Unter-
richt zu integrieren. Möglich wird dies durch eine gelebte duale Partnerschaft zwischen Schule und
den jeweiligen Ausbildungsbetrieben. Erst durch die Kooperation der Betriebe ist es möglich, die zu-
sätzliche Zeit für die Projekttage zu gewinnen und somit auch den Berufsschülern eine Chance zum
Arbeiten an einem ERP-System zu geben. Die Entwicklung am Friedrich-List-Berufskolleg in Herford
be stätigt, dass eine erfolgreiche Integration von ERP-Systemen in den Unterricht und die erfolgrei-
che Nutzung der Software von einem motivierten Lehrerteam abhängt, das sich von der notwendi-
gen Vorbereitungszeit und dem langen Vorlauf nicht abschrecken lässt (Pongratz 2008). Weiterhin
wurde in Herford eine mehrstufige technische Supportstruktur etabliert. Die von Lehrkräften des
Berufskollegs gewünschte komplette Entlastung von technischen Aufgaben konnte - vor allem aus
Kostengründen - nicht realisiert werden, aber die gefundene Lösung, insbesondere die Einbindung
eines externen Dienstleisters über einen Wartungsvertrag nimmt einige Zusatzbelastungen von den
Lehrkräften und ermöglicht somit die gewonnene Zeit in die Unterrichtsentwicklung zu investieren.
Die trotz allem immer noch notwendige Beteiligung und somit zeitliche Belastung von Lehrkräften im
Rahmen der technischen Betreuung am Berufskolleg wird durch aufgabengerechte Verteilung von
Anrechnungsstunden kompensiert (Reich-Zies et al. 2008).
IT-Koordinator/-in
lokales IT-/Medienteam
Zero-level-SupportRaumnutzer/-innen, Fachlehrer/-innen
1st-level-SupportRaumbetreuer/-innen
2nd-level-SupportIT-Service-Team BKs Kreis Herford
3rd-level-SupportExtreme Dienstleister
Abbildung 7: Supportkonzept am Friedrich-List-Berufskolleg. (Osterholz et al. 2006, S. 32)
Wie jedoch auf der obigen Abbildung zu sehen ist, hat man ein Konzept entwickelt, das die techni-
sche Verantwortung letztendlich auf das gesamte Kollegium verteilt. Es handelt sich nicht nur um eine
Einzellösung am Friedrich-List-Berufskolleg, sondern um ein integriertes Konzept aller fünf Berufs-
kollegs im Kreis Herford. So konnte durch den Sachaufwandsträger ein allen Schulen zur Verfügung
stehendes IT-Service Team zur Verfügung gestellt werden. Das Friedrich-List-Berufskolleg und die
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
132132
vier Partnerkollegs folgen damit einem im Jahr 2004 durch das Institut für Informationsmanagement
Bremen GmbH evaluierten Medienkonzept (Breiter 2004). Die Erfahrungen, die am Friedrich-List-Be-
rufskolleg seit der ersten Einführung von ERP-Software gesammelt wurden, bestätigen vor allem die
Freiwilligkeit und die Teamarbeit unter den Lehrkräften als kritische Erfolgsfaktoren. Weiterhin lassen
sich die Bündelung von Schulentwicklungsaktivitäten im Bereich der Unterrichtsentwicklung und die
Schaffung zentraler technischer Supportstrukturen als erfolgskritische Faktoren identifizieren.
3.2.2 Multimedia Berufsbildungszentrum Hannover
3.2.2.1 Allgemeines
Das Multi-Media Berufsbildungszentrum ist eine im Jahr 2001 neu gegründete Schule, die die bisher
an vier Hannoveraner berufsbildenden Schulen verstreut beschulten Bildungsgänge aus dem IT- und
Medienbereich an einem Standort zusammengeführt hat. Die Schule ist als Kompetenzzentrum für
IT-Berufe in Hannover auf dem ehemaligen EXPO-Gelände angesiedelt. Es werden sowohl duale
als auch vollzeitschulische Klassen geführt. Die Neugründung und die Zusammenfassung von IT-
Bildungsgängen führten zu einem kurzfristig hohen Bedarf an Lehrkräften. Da dieser nicht aus dem
bestehenden Personalbestand gedeckt werden konnte, wurden die offenen Stellen am Multimedia
Berufsbildungszentrum Hannover auch mit Quereinsteigern aus der Praxis besetzt, so dass das
Kollegium ein eher ungewöhnliches Mischungsverhältnis von ausgebildeten Berufsschullehrern und
Quereinsteigern aufweist (Multimedia Berufsbildende Schulen 2008).
3.2.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht
ERP-Systeme werden auf zweierlei Art im Unterricht eingesetzt. Zum einen als Kompaktblock im
Umfang von 48 Unterrichtsstunden zu Beginn des zweiten Ausbildungsjahres und ergänzend hierzu
als Wahlpflichtkurs vierstündig pro Woche im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr mit insgesamt 40
Unterrichtsstunden. Die eingesetzten ERP-Systeme befinden sich derzeit in einem Umbruch. Bisher
wurde im Rahmen des Kompaktblocks die ERP-Lösung MBS Navision der Firma Microsoft einge-
setzt. Im Rahmen des Wahlpflichtfaches setzt man auf SAP R/3. Beide Systeme werden als geeignet
für Zwecke des Unterrichts betrachtet, wobei deutliche Unterschiede beim Support der jeweiligen
Hersteller festgestellt werden. Die Unterrichtsmaterialien, die im Rahmen des Navision-Unterrichts
eingesetzt werden, stammen überwiegend vom LS aus Baden-Württemberg, eigene Materialien
wurden nicht erstellt. Eine explizite Unterstützung durch die Firma Microsoft hat es nicht gegeben,
nur das Programm wurde kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Unterrichtsmaterialien seien für ei-
nen prozessorientierten Unterricht allerdings weniger geeignet, da die Arbeitsaufträge allesamt an
Arbeitsprozessen und nicht an Geschäftsprozessen ausgerichtet wären (STRAHLER 2008). Im Be-
reich SAP R/3 ist die Schule an das UCC in Magdeburg angebunden. Die Fallstudien, die über das
Mitgliederportal des UCC bezogen werden können, sind geschäftsprozessorientiert, allerdings vom
Umfang her zu komplex, als dass diese effektiv in den vorgesehenen 40 Stunden bearbeitet werden
könnten (STRAHLER 2008). Da man jedoch vom ERP-Einsatz im Unterricht überzeugt ist, will man
sich dem Modell ERP4SCHOOL anschließen und mittelfristig eigene Mandanten erarbeiten. Man
133
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
133
erhofft sich durch dieses Modell die bereits etablierten technischen Supportstrukturen des UCC
in Magdeburg und gleichzeitig durch den Anbieter von ERP4SCHOOL einen ergänzenden, maßge-
schneiderten didaktischen Support zu erhalten (STRAHLER 2008).
3.2.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung am den MMBS Hannover
Die Situation des Multi-Media Berufsbildungszentrums ist eine Besondere und nur schwer auf andere
Schulen zu übertragen. Die Tatsache, dass man an einem Schulzentrum alle IT-Berufe gebündelt hat,
führte auch zu einer Kompetenzbündelung von IT-Lehrkräften. Dieses Herausstellungsmerkmals ist
man sich durchaus bewusst. Zu den Alleinstellungsmerkmalen der Schule zählen unter anderem ein
modernes auf hohem technischem Standard ausgerüstetes Schulgebäude in exponierter Lage und
ein Hochleistungsnetzwerk mit über 700 Computersystemen. Ergänzt wird die moderne Ausstattung
durch ein digitales Fernsehstudio, durch Netzwerklabore, eine Digitaldruckerei und einen Offset-
Drucksaal. Weiterhin ist es gelungen, den Status einer ProReKo–Modellschule zu erhalten. Dies be-
deutet im Falle des Multi-Media Berufsbildungszentrums volle personalrechtlichen Befugnisse und
einem Totalbudget von ca. 5 Mio Euro jährlich zur eigenen Bewirtschaftung. Weiterhin zeichnet das
Kollegium Aufgeschlossenheit für Medien und IT aus. Die Organisation an dieser Schule ist teamori-
entiert. Daraus resultiert eine intensive Zusammenarbeit mit der Schulleitung im Rahmen der Unter-
richtsentwicklung (Multi Media berufsbildende Schulen 2008). Bei der Gründung und beim Aufbau
der Schule konnten neue Wege beschritten werden. Der Aufbau ist von Grund auf teamorientiert, und
auch die Benennung eines geschäftsführenden Schulvorstands und einem um gewählte Abteilungs-
vertreter erweiterten Schulvorstand sowie die Benennung von Stabstellen machen die modernen An-
sätze, auch im Hinblick auf die Schulverwaltung deutlich. (Multi Media Berufsbildende Schulen 2009).
Übersicht über die Fallstudien
OSZ Berlin DV Würzburg Friedrich-List
Berufskolleg
MMBBS
Hannover
Anbieter/Mitgliedschaften
MSBAA ü
SAP UA ü ü ü ü
erp4school ü ü ü
Unterrichtsorganisation bei ERP Einsatz
Vollzeitbeschulung ü ü ü
Teilzeitbeschulung ü ü
Blockbeschulung ü
Art der ERP-Einbindung
Illustrativ
Sequentiell
Fall- oder Projektorientiert ü ü ü
Komplex ü ü
Tabelle 5: Übersicht der an den Hochschultagen 2008 beteiligten Schulen (eigene Darstellung)
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
134134
4 ERP-Systeme an beruflichen Schulen bedingen einen umfassenden
Schulentwicklungsansatz
4.1 Durchführung einer ERP-Implementierung als Softwareprojekt
Das Einbinden einer neuen Software in einer Organisation, die Schaffung des technischen Rahmens,
die Vorbereitung der Organisationsmitglieder auf die Arbeit mit dem System, dies alles trägt eindeu-
tige Züge eines Software-Projekts. Die Standish Group, ein Beratungsunternehmen spezialisiert auf
Risikomanagement und Consulting Aktivitäten bei bevorstehenden IT-Investitionen, hat einen Chaos
Report über den Erfolg von Software Projekten erstellt. Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Spra-
che: Nur 25 % der Software Projekte werden als Erfolg bewertet. Somit sind 75 % aller Software-
Projekte nicht erfolgreich. Die durchschnittliche Zeitüberschreitung betrug 202 %, die durchschnittli-
che Budgetüberschreitung lag bei 214 %. Der Anteil von ungeplanten Zusatzfunktionen lag bei 74 %.
3140
2823
141816
27 26 2834
29
53
33
46 49 51 53
0
20
40
60
1994 1996 1998 2000 2002 2004
Standish Group - Chaos Report
Failed
Succeeded
Challenged
Abbildung 8: Chaos Report der Standish Group (Standish Group 2006 in Schäfer 2009)
Diese Zahlen machen eines deutlich. Die Einführung von Software in einem Unternehmen ist eine
hochkomplexe, nicht-triviale Angelegenheit, die im Rahmen des Projektmanagements durchgeführt
wird und auf Grund der hohen Komplexität immer noch vom Scheitern bedroht ist. Um diese Gefahr
des Scheiterns bei der Implementierung von ERP-Systemen in Unternehmen so gering wie möglich
zu halten, haben die Hersteller von ERP-Systemen eigene Frameworks zur Implementierung heraus-
gebracht.
4.1.1 Das Herstellerframework Microsoft Dynamics Sure Step
Das Framework der Firma Microsoft umfasst nach Schäfer (2009) insgesamt sechs definierte Pro-
jektphasen.
Diagnostic:
Die Diagnose Phase beinhaltet eine High Level Gap Fit Analyse der Business Prozesse, Infrastruktur
Analyse und das Angebot
135
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
135
Analysis:
In der Analyse Phase wird eine detaillierte Gap Fit Analyse (inkl. Interfaces), das Key User Training,
die Planung der Datenmigration, sowie ein Anforderungsdokument erstellt.
Design:
Die Design Phase beinhaltet das Design der Microsoft Dynamics Lösungsintegration und das Design
von Kundenanforderungen, welche in der GAP Fit Analyse erarbeitet wurden, sowie das Erstellen von
Testcases und Testdokumenten.
Development:
Das Ziel der Entwicklungsphase ist, die Software gemäß den Designdokumenten zu konfigurieren
und zusätzliche Funktionalitäten zu entwickeln.
Deployment:
Die Inhalte der Deployment Phase sind insbesondere das Vorbereiten von Go Live Plänen, von Funk-
tions-Tests und von Trainings- Plänen. In dieser Phase wird auch die Installation des Produktionssys-
tems vorgenommen und ein Key-User Training durchgeführt.
Operation:
Übergabe des implementierten Systems an den Kunden Go-LiveÜbergabe an den Support.
Abbildung 9: Microsoft Dynamics Sure Step Oberfläche (Schäfer 2009)
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
136136
4.1.2 Das Herstellerframework Accelerated SAP-Roadmap
Ähnlich wie das Framework der Firma Microsoft bietet auch die Firma SAP eine mehrphasige
Roadmap an, die mit insgesamt 5 Phasen auskommt (Knöll 2001, S. 153 ff; Wenzel 2001, S. 249 ff.).
Abbildung 10: Die Phasen der Accelerated SAP – Roadmap (Knöll 2001, S. 153)
(1) Project Preperation (Projektvorbereitung)
Hier findet die erste Projektphase statt. Das Projektteam wird aufgestellt, es werden Standards fest-
gelegt und die technischen Voraussetzungen werden ermittelt sowie geplant. In dieser Phase fällt die
Entscheidung für das IT-Projekt.
(2) Business Blueprint (Konzeption)
Der Sollzustand des Systems wird festgelegt und die einzelnen Prozesse werden identifiziert. Die
Meilensteine des Projekts werden festgelegt und die Projektdauer wird festgesetzt. Es folgt das Auf-
setzen der Systemumgebung und die Definition der Geschäftsprozesse.
(3) Realization (Realisierung)
In dieser Phase wird das Projekt umgesetzt. Parallel zur technischen Umsetzung werden die Anfän-
ger geschult. Weiterhin werden auch Schulungen für Fortgeschrittene angeboten.
(4) Final Preparation (Vorbereitung der produktiven Phase)
Hier werden nochmals Fortgeschrittenenschulungen angeboten und durchgeführt. Jedes einzelne
System wird intensiv getestet und festgestellte Fehler werden abgestellt. So sollen kritische Fehler m
Produktivbetrieb vermieden werden.
(5) Go Live & Support (Übergang zur produktiven Phase)
Das Projektmanagement wird abgeschlossen. Das Produktivsystem wird eingespielt, geprüft und es
erfolgt nun die Freigabe des Systems. Weiterhin wird technischer Support gegeben und weiterfüh-
rende Schulungen werden angeboten. Je nach Vertrag erhält man weitergehenden Support oder das
Projekt endet an dieser Stelle.
137
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
137
Project Preparation
•Aufstellen eines Projektteams
•Entscheidung für das IT-Projekt
Business Blueprint
•Festlegen des Sollzustandes
•Prozessidentifikation•Festlegung der
Meilensteine•Festlegung der
Dauer
Realization
•Umsetzung des Projekts
•Technische Umsetzung
•Schulungen der Anfänger
•Schulungen der Fortgeschrittenen
Final Preparation
•Testläufe der einzelnen Systeme
•Schulungen für Fortgeschrittene
•Abstellen der festgestellten Fehler
Go Live & Support
•Start der Nutzungsphase
•Technischer Support•Weiterführende
Schulungen•Je nach Vertrag
weitergehender Support oder Ende des Projekts
Abbildung 11: Detaillierte Ansicht der Phasen der Accelerated SAP – Roadmap (Knöll 2001, S. 153ff;
Wenzel 2001, S. 249f.)
4.2 Eine schulische ERP-Implementierung als Schulentwicklungsprojekt
Schulentwicklung ist ein Prozess, der nicht irgendwann ein Ende hat, sondern prinzipiell eine Dau-
eraufgabe ist, auch wenn nicht dauernd daran gearbeitet werden kann. Wenn Schulentwicklung der
Weg und die gute Schule das Ziel ist, dann ist der Weg genauso wichtig wie das Ziel. Schulentwick-
lung ist kein Selbstzweck, sondern richtet sich auf den Kern von Schule, den Unterricht. Schulent-
wicklung ist eine Trias von personaler Entwicklung (PE), Unterrichtsentwicklung (UE) und Organisati-
onsentwicklung (OE).“ (Rolff et al. 1999, S. 14) Schulentwicklung findet nach Buhren (2008, S. 5) auf
drei Ebenen statt:
(1) Schulentwicklung ist die bewusste und systematische Weiterentwicklung von Einzelschulen (in-
tentionale Schulentwicklung oder Schulentwicklung 1.Ordnung).
(2) Schulentwicklung zielt darauf ab, lernende Schulen zu schaffen, die sich selbst organisieren, re-
flektieren und steuern. Dies wird von den neueren Schulgesetzen intendiert und von etlichen Schulen
angestrebt, zum Teil auch schon praktiziert (institutionelle Schulentwicklung oder Schulentwicklung
2. Ordnung).
(3) Die Entwicklung von Einzelschulen setzt eine Steuerung des Gesamtzusammenhangs voraus,
welche Rahmenbedingungen festlegt, die einzelne Schulen bei ihrer Entwicklung nachdrücklich er-
muntert und unterstützt, die Selbstkoordinierung anregt, ein Evaluationssystem aufbaut und (mögli-
cherweise im Nachhinein) auf Distanz steuert (komplexe Schulentwicklung oder Schulentwicklung 3.
Ordnung oder Schulentwicklung auf Systemebene).
Die aufgeführten Best-Practice-Beispiele zeigen, dass die unterrichtliche Nutzung von ERP-Syste-
men möglich ist. Sie zeigen allerdings auch, dass die Einbindung von ERP-Systemen an beruflichen
Schulen, unabhängig vom verwendeten System, keine triviale Angelegenheit ist, sondern ein lang-
fristiger Schulentwicklungsprozess. Die Einbindung von ERP-Systemen hat an allen beschriebenen
Schulen auf unterschiedlichsten Ebenen die jeweilige Schule geprägt:
Es wurden Lehrerteams gebildet, die sich ausschließlich aus Freiwilligen rekrutierten. In diesen
Teams wurde gemeinsam die Einbindung des ERP-Systems vorbereitet und durchgeführt. Diese
Teams hatten auch über die reine Implementierung des ERP-Systems hinaus Bestand und man wid-
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
138138
mete sich neben dem Unterrichten mit vorgegebenen Materialien auch der gemeinsamen Erstellung
von eigenen Unterrichtsmaterialien.
Die Initiative zur Einführung des ERP-Systems erfolgte aus dem Kollegium heraus. Diese Initiativen
wurden von den jeweiligen Schulleitungen unterstützt und das Team erhielt die Zeit, die notwendig
war, um eine erfolgreiche Einbindung des jeweiligen ERP-Systems in den Unterricht zu ermöglichen.
Zu den Tätigkeiten, die während der teilweise mehrjährigen Einbindungsphase stattfanden, gehörten
vor allem intensive begleitende Schulungen der jeweiligen betroffenen Lehrkräfte. Mit der Einbin-
dung, dem Verfügbar machen des Systems, begann ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung
der selbsterstellten und fremderstellten Materialien. An allen Schulen konnte bei den Lehrkräften, die
sich mit dem ERP-System beschäftigt haben, eine Erweiterung der ERP-Qualifikation der Lehrkräfte
festgestellt werden.
Die Gründung von Lehrerteams, die Ausweitung von Qualifikationen, das Einbinden von ERP-Syste-
men in den Unterricht, all dies spricht auf ganzer Bandbreite die Inhalte eines Schulentwicklungs-
prozesses an.
Die Durchführung einer ERP-Implementierung an beruflichen Schulen kann folglich im Rahmen eines
Schulentwicklungsprozesses geschehen. Für Aufgaben dieser Größenordnung eignen sich Maßnah-
men des Projektmanagements (Bartz 2004, S. 7 ff.; Jenny 2001, S. 202). Deutlich führt Bartz aus,
dass neben der Einhaltung der Phasen eines Projektmanagements (2004, S. 31) auch die Konzentra-
tion auf wenige, im optimalen Fall nur ein Projekt zum Erfolg desselben beiträgt (2004, S. 9, Schratz
2007, S. 153 f.). Jenny legt den Schwerpunkt auf „planmäßig angewandte, begründete Vorgehenswei-
sen zur Erreichung von festgelegten Zielen“ (2001, S. 202).
Berücksichtigt man nun die Erkenntnisse der beschriebenen Schulen, die Empfehlungen der ERP-
Hersteller und die Ergebnisse der Schulentwicklungsforschung, so lässt sich ein Schulentwicklungs-
prozess als mehrstufiger Prozess wie folgt darstellen:
Kontakt•Projektteambildung•Festlegen der
Aufgabenbereiche•Kick Off des
Projekts
Diagnose•IST-Analyse•Ansatzpunkte•Mögliche Ziele
Prognose•Ziele
definieren•Ziel-Prioritäten
setzen•Aufgaben
verteilen
Maßnahmen•Organisations-
entwicklung•Personal-
entwicklung•Unterrichts-
entwicklung
Evaluation•Zielerreichung•Feedback
Abbildung 12: Die Phasen eines Schulentwicklungsprozesses (Bartz 2004, S. 31; Rolff et al. 1999,
S. 49ff.; Jenny 2001, S. 202)
Vergleicht man Schulentwicklungsprozesse und die vorgestellten Frameworks, so ist es offensicht-
lich, dass die Implementierungsvorgaben der Hersteller detaillierter und bezüglich Softwareimple-
mentierung zielgerichteter sind als die definierten Prozesse zur Schulentwicklung. Trotzdem sind
einige Parallelen zu entdecken. Legt man beide Prozesse übereinander, so kann man die Inhalte der
Phasen auf die Anforderungen der Schulen umformulieren, wenn man den Schulentwicklungspro-
zess im Bereich der „Aktion“ um das Framework von SAP erweitert. Der modifizierte Schulentwick-
lungsprozess könnte dann wie folgt dargestellt werden.
139
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
139
Kontakt•Projektteam-bildung
•Festlegen der Aufgabenbereiche
•Kick Off des Projekts
Diagnose•IST-Analyse•Einbezieh-ung aller Beteiligter•Konkretisie-rung der Ziele
Planung•Ziele definieren•Ziel-Prioritäten setzen•Aufgaben verteilen
Aktion•Realization•Final Preparation•Go Live & Support
Evaluation•Ziel erreicht?•Feedback
Abbildung 13: Phasen eines Schulentwicklungsprozesses bei Integration der ASAP (eigene Darstel-
lung)
Im Schulentwicklungsprozess findet im Schritt „Aktion“ die Umsetzung der Schulentwicklungszie-
le in den Bereichen Unterrichtsentwicklung, personelle Entwicklung und Organisationsentwicklung
statt. Diese Einzeldimensionen eines Schulentwicklungsprozesses umfassen somit die Phase der
Umsetzung (Realization), die Phase abschließende Prüfung (Final Preparation) und die Phase Einsatz
und Support (Go Live & Support) Die Vielzahl notwendiger Maßnahmen bei der Umsetzung eines IT-
Projekts legt nahe, das modifizierte Modell der Schulentwicklung im Bereich der Maßnahmen analog
der Herstellerframeworks auszudifferenzieren. Die notwendige Bereitstellung von Informationstech-
nologie im Zuge einer ERP-Implementierung führt zu einer Erweiterung der Schulentwicklungsdi-
mensionen um die Dimension „Technische Entwicklung“ (TE). Daher ist es notwendig, auf der gesam-
ten Dauer des modifizierten Schulentwicklungsprozesses die vier Dimensionen eines Schulentwick-
lungsprozesses kontinuierlich zu berücksichtigen. In der Abbildung 16 wird die Kombination aus den
Inhalten der beschriebenen IT-Frameworks, einem gesamten Schulentwicklungsprozess und der drei
Dimensionen desselben dargestellt:
Kontakt•Projektteambildung•Festlegen der
Aufgabenbereiche•Kick Off des Projekts
Diagnose•IST-Analyse•Einbeziehung
aller Beteiligter•Konkretisie-
rung der Ziele
Planung•Ziele definieren•Ziel-Prioritäten
setzen•Aufgaben
verteilen
Maßnahmen•Umsetzung•Abschließende
Prüfung•Einsatz und
Support
Evaluation•Zielerreichung•Feedback
Umsetzung•Akzeptanz•Teambildung
•Technische Umsetzung
•Didaktische Umsetzung
•Grundlegende Schulungen
Abschließende Prüfung•Akzeptanz•Dokumentationen erstellen
•Testlauf des Systems
•Test von Handreichungen der Landesinstitute
•Test von vorgefertigtem Unterrichtsmaterial
•Test eigener Unterrichtsmaterialien
•Vertiefende Schulungen•Schulung von Tutoren
Einsatz und Support•Akzeptanz•didaktischer Support
• technischer Support
•Unterrichtseinsatz
•ERP-Team•Systembetreuung
OE
UE
PE
TE
Abbildung 14: Modifizierter umfassender Schulentwicklungsprozess (eigene Darstellung)
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
140140
4.3 Reflektion des modifizierten Schulentwicklungsmodells
4.3.1 Die Dimension der personalen Entwicklung
Die Lehrpersonen sind bei Schulentwicklungsprojekten der Dreh- und Angelpunkt. (Wenzel 2008,
S. 442). Die personale Entwicklung sieht die Lehrkräfte als Lernende in vier Bereichen (Rolff 1999,
S. 19):
(1) Personale Entwicklung wirkt sich auf das fachlich-didaktische Handlungsrepertoire aus. Unwi-
dersprochen gewinnen Lehrkräfte mit beruflicher Erfahrung an Sicherheit bei der Gestaltung des
eigenen Unterrichts (Rolff 1999, S. 18). Werden jedoch neue Methoden und Inhalte gefordert, dann
müssen die Lehrkräfte auf diese Anforderungen vorbereitet werden. In obigem Modell sind die Lehr-
kräfte an mehreren Punkten direkt angesprochen und eingebunden. Vor allem die der hohen Kom-
plexität von ERP-Systemen geschuldete notwendige Zeit für intensives Training ist berücksichtigt.
Somit kann einer Unsicherheit der Lehrkräfte bei der Nutzung der Software im Unterricht von Anfang
an positiv entgegengewirkt werden.
(2) Personale Entwicklung wirkt sich auf Forschung und Selbstbeurteilung aus. Hierbei sieht Rolff
vor allem die kontinuierliche Überprüfung der Ziele jeder Lehrkraft mit den Zielen der Schule und den
Zielen der Schülerschaft (1999, S. 18). Die Ziele der Schule werden zu Beginn des Prozesses definiert
und unter Einbezug aller Beteiligter konkretisiert. Bei obigem Vorgehen werden die Ziele von Schule
und Lehrkräften artikuliert und im Prozess berücksichtigt.
(3) Personale Entwicklung wirkt sich auf Reflexion und Feedback aus. Rolff sieht hier die Schaffung
eines Vertrauensklimas, um Schwächen und Misserfolge ansprechen zu können (1999, S. 19). Im
oben dargestellten Prozess sind Vertrauen und Kooperation notwendig, um ein derartiges Projekt
dauerhaft erfolgreich in den Unterricht an einer beruflichen Schule zu integrieren.
(4) Personale Entwicklung wirkt sich auf die Zusammenarbeit und die Arbeitsteilung aus. Einer der
kritischen Faktoren, das haben die Hochschultage 2008 gezeigt, ist Teamwork im Kollegium (Dörrer
2008; Reich-Zies 2008; Schuller 2008; Strahler 2008). Mit der Entscheidung, ein ERP-System an ei-
ner Schule zu implementieren, wird eine positive Veränderung der Kooperation zwischen Lehrkräften
angestoßen. Diese veränderte Kooperation kann sich beispielsweise in der Etablierung eines ERP-
Teams an Schulen nutzbar machen.
Betrachtet man sich alle aufgeführten Teilbereiche der personalen Entwicklung, dann kann ein ERP-
Projekt eindeutig der personalen Entwicklung zugerechnet werden. Besonders im Bereich der IT ist
der Weiterbildung der Lehrkräfte besondere Aufmerksamkeit zu schenken (Seitz 2007, S. 441), um
als Schule nicht in eine Technikfalle aus modernster Hard- und Software und mangelnder Fähigkeit
zur Nutzung auf Seiten der Lehrkräfte zu geraten (Seitz 2007; 510 ff.). Allerdings ist die Freiwilligkeit
bei der ersten Einführung eines ERP-Systems unabdingbar und auch die Schaffung schulinterner
Supportstrukturen während des Projekts und das Vorhandensein schulexterner Supportstrukturen
können bei der dauerhaften Integration in den Unterricht helfen.
141
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
141
4.3.2 Die Dimension der Unterrichtsentwicklung
Zum Bereich der Unterrichtsentwicklung kann das gesamte Projekt gezählt werden, da das Ziel einer
ERP-Implementierung der Unterricht an beruflichen Schulen ist. Unterrichtsentwicklung war und ist
Teil der Lehrerarbeit. Der Unterschied zwischen der individuellen Unterrichtsentwicklung und der Un-
terrichtsentwicklung im Rahmen der Schulentwicklung ist die Abkehr von Einzelinitiativen, die organi-
satorische Absicherung und die institutionelle und langfristige Integration der neuen Konzepte (Rolff
1999, S.20). Durch die Einführung eines ERP-Systems wird der Unterricht nachhaltig verändert und
da ein derartiges Projekt eine dauerhafte Implementierung des jeweiligen Systems an einer Schule
vorsieht, ist auch dieser Bereich der Unterrichtsentwicklung tangiert. Die didaktische Umsetzung
umfasst alle den Unterricht vorbereitende Tätigkeiten – bei kurzfristiger Perspektive die Sichtung
und Adaption von vorgefertigten Handreichungen oder Fallstudien, wie sie durch die Landesinstitute
vorgehalten werden. Bei einer langfristigen Perspektive können hier die Gestaltung eigener Unter-
richtssequenzen, beispielsweise durch Modifikation bestehender Fallstudien oder die Bereitstellung
eigener Mandanten und Datenbanken vorgenommen werden. Der didaktischen Umsetzung folgt eine
Phase der umfassenden Prüfung der verwendeten Unterrichtsmaterialien und der zugehörigen Man-
danten und Datenbanken, bevor die erstmalige Verwendung derselben im Unterricht erfolgen kann.
4.3.3 Die Dimension der Organisationsentwicklung
Ohne die Schule als Organisation wären personale Entwicklung und Unterrichtsentwicklung nicht
sinnvoll möglich. Soll also in einem Entwicklungsprozess das Auftreten plötzlicher Verwerfungen,
Widerstände und Verweigerungen möglichst gering gehalten werden, ist die Beteiligung aller Orga-
nisationsmitglieder im Sinne der Selbstorganisation eine notwendige Voraussetzung (Horster 1996,
S. 44). Rolff (1999, S. 24 f.). Unterscheidet in Anlehnung an Baumgartner et al. (1992) zehn Prinzipien
der Organisationsentwicklung, die in obigem Prozessmodell berücksichtigt werden. Daher ist die
Schaffung und Erhaltung von Akzeptanz gegenüber der neuen Technologie und den damit verbunde-
nen Änderungen in den Ort eine wichtige Aufgabe, die den gesamten Prozess begleitet.
(1) Die aktive Mitbeteiligung der Lehrkräfte wird gewährleistet. Auch wenn von Anfang an nicht alle
Lehrkräfte in das Projekt integriert sind, so wirkt sich die konsequente Umsetzung dieses Projekts
mittelbar auf alle Lehrkräfte aus.
(2) Eine Ausrichtung an Menschen und Organisationen findet statt. Im Fall der ERP-Integration in den
Unterricht ist als Interesse der Lehrkräfte ein sicherer Umgang mit dem Programm und folglich ein
guter und dem Lehrplan konformer Unterricht zu sehen. Dies sollte gleichzeitig auch Interesse der
Organisation sein.
(3) Die Komplexität und Diversität eines ERP-Systems sind bekannt und auch die erstmalige Einbin-
dung in eine berufliche Schule ist keine triviale Angelegenheit.
(4) Die nachhaltige Integration eines ERP-Systems in den Unterricht an beruflichen Schulen bietet ei-
nen klar definierten Ansatzpunkt für ein konkretes Problem. Zur Lösung dieses konkreten Problems
hilft ein klares, strukturiertes Vorgehen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
142142
(5) Das vorgeschlagene Modell eines modifizierten umfassenden Schulentwicklungsprozesses in-
tegriert auch das Lernen in Gruppen und die Teamentwicklung. Durch explizite, am Kenntnisstand
der Lehrkräfte orientierte Schulungen am jeweiligen ERP-System wird Gruppenlernen und Teament-
wicklung unterstützt. Mit der Bildung eines internen Supportteams oder ERP-Teams wird die Zusam-
menarbeit zwischen den Lehrkräften bei didaktischen Fragen und die Kooperation mit den jeweiligen
Systembetreuern bei technischen Fragen intensiviert und die Teambildung explizit gefördert.
(6) Dem Prinzip der Veränderung statt Erstarrung wird bereits mit der Entscheidung für einen ERP-
Implementierungsprozess entsprochen. Die Einbindung eines ERP-Systems wird starke Veränderun-
gen im Unterricht an der jeweiligen Schule hervorrufen, Bewährtes kann und wird jedoch weiterhin
Bestand haben.
(7) Organisationsentwicklung bietet verschiedene Wege, um ein Ziel zu erreichen. Diese Aussage
charakterisiert das Prinzip der Organisationsentwicklung, dass der Weg so wichtig ist wie das Ziel.
Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Ziele klar definiert und festgehalten sind. Die Tatsache,
dass es verschiedene Wege gibt, schließt jedoch eine Wegbeschreibung, vor allem bei komplexen
Zielen wie einer ERP-Integration, nicht aus. Die einzelnen Phasen lassen einer Schule noch genug
Freiraum, um erfolgreich eigene Wege zu gehen.
(8) Entwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess und die erfolgreiche Implementierung eines ERP-Sys-
tems in den Unterricht an beruflichen Schulen ist kurzfristig nicht zu realisieren. Von der Entschei-
dung für ein ERP-System bis zur erfolgreichen und selbstverständlichen Nutzung im Unterricht kön-
nen zwei oder mehr Schuljahre vergehen.
(9) Der Arbeitsplatz ist Ausgangspunkt für Organisationsentwicklung. Im Mittelpunkt stehen die Pro-
fession und die realen Probleme der Lehrkräfte innerhalb der Organisation. Im Rahmen der ERP-
Integration wird diesem intern durch Schulungen und dem Aufbau einer Supportstruktur Rechnung
getragen.
(10) Die Integration eines ERP-Systems in den Unterricht an beruflichen Schulen beeinflusst die Or-
ganisation auf unterschiedlichste Art und Weise. Die Nutzung der schulischen IT wird sich beispiels-
weise intensivieren, die Anforderungen an dieselbe werden steigen. Die veränderte Zusammenarbeit
zwischen den Lehrkräften wird die Organisation innerhalb der Abteilung beeinflussen. Das Prinzip
des systemischen Denkens, das besagt, dass jede Veränderung innerhalb einer Organisation weitere
Bereiche nachhaltig beeinflussen wird.
4.3.4 Die Dimension der technischen Entwicklung
Die Entscheidung für die Implementierung eines ERP-Systems bedingt den Auf- oder Ausbau einer
adäquaten IT-Infrastruktur an der jeweiligen Schule. Gleichzeitig muss die Funktionsfähigkeit der
Hardware und der Software gewährleistet werden. Man könnte dies auch als Bestandteil der Or-
ganisationsentwicklung verstehen, da jedoch in diesem speziellen Fall, der Implementierung eines
Warenwirtschaftssystems, die Technik eine zentrale Rolle einnimmt und das Vorhalten und Warten
derselben erfolgskritische Faktoren sind, ist die Betrachtung dieser Faktoren in einer eigenen Schul-
entwicklungsdimension angebracht. Die konkrete Umsetzung einer technischen Schulentwicklung
ist von Schule zu Schule individuell zu klären. Je nach vorhandener IT-Infrastruktur und vorhandener
143
Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung
143
IT-Supportstruktur kann die Intensität notwendiger Maßnahmen unterschiedlich ausfallen. Man
könnte an eine Trennung des technischen Supports in die Bereiche Hardware-Support und Soft-
ware-Support denken. Im Bereich der Hardware ist dieser beispielsweise durch externe Dienstleister
(IT-Dienstleister wie z. B. Systemhäuser) oder durch internen Support (EDV-Team/Systembetreuung)
realisierbar. Im Bereich der Software empfehlen sich die Herauslösung dieses Aufgabenbereichs aus
der Systembetreuung und das Übertragen der Aufgaben an ein eigenständiges ERP-Team.
5 Fazit und Ausblick
Die Beispiele der auf den Hochschultagen 2008 beteiligten Schulen zeigen, dass es für berufliche
Schulen möglich ist, komplexe ERP-Systeme im Unterricht einzusetzen. Erkennen kann man aber
deutlich, dass man auf Dauer nur dann eine erfolgreiche Einbindung in den Unterricht erreichen
kann, wenn man sich von Anfang an der Komplexität eines ERP-Systems bewusst ist und erkennt,
dass ein umfassender Einsatz nur dann möglich ist, wenn die Lehrkräfte die notwendige Sicherheit
im Umgang mit dem System besitzen. Die an der Fachtagung 18 der Hochschultage 2008 beteiligten
Schulen und Institutionen haben einen Eindruck erweckt, wie ERP-Systeme den Unterricht an beruf-
lichen Schulen nachhaltig verändern können. Die Notwendigkeit, die Realität ins Klassenzimmer zu
holen, ist an den Vollzeitschulen in Ermangelung eines dualen Bildungspartners natürlich ein wichti-
ger Punkt. Schulartübergreifend jedoch eröffnen ERP-Systeme im Unterricht eine neue Perspektive
auf Geschäftsprozesse.
Eine Kernfrage bezüglich des Einsatzes von ERP-Systemen ist noch nicht abschließend beantwortet:
Ist der Einsatz von ERP-Systemen
ein fachlicher Unterrichtsgegenstand, da dies im Lehrplan gefordert ist?
eine moderne Unterrichtsmethode?
eine Kombination aus fachlichem Inhalt und moderner Unterrichtsmethode?
Wären ERP-Systeme ein fachlicher Unterrichtsgegenstand, dann müsste man sich die Frage stellen,
ob man Anwendungskenntnisse über ERP-Systeme von Handelslehrern erwarten kann oder ob dies
ein Bereich ist, der von Handelslehrern mit Zweitfach Wirtschaftsinformatik zu leisten ist. Bereits
jetzt wird der Unterricht mit ERP-Systemen an vielen Schulen von Lehrkräften ohne Zweitfach unter-
richtet, trotzdem hat diese Unterscheidung weitreichende Folgen. Würde man ERP-Fachunterricht
dem Zweitfach Wirtschaftsinformatik zurechnen, dann wäre der derzeit vorherrschende Unterricht
als fachfremd einzustufen und diese Stunden folglich für die betroffenen Lehrkräfte nicht beurtei-
lungsrelevant.
Anders stellt sich die Situation dar, wenn man den Einsatz von ERP-Systemen als moderne Methode
im Unterricht ansieht. In diesem Fall kann man davon ausgehen, dass Lehrkräfte neue Methoden im
Unterricht einsetzen. Nur muss man dann die Lehrkräfte über den Einsatz der neuen Methode infor-
mieren und ihnen die Möglichkeit geben, sich intensiv mit dieser Methode vertraut zu machen. Zu
überdenken wäre dann eine Änderung der Inhalte in der ersten, zweiten und dritten Phase der Leh-
rerbildung.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
144144
Ausgehend von den Beispielen der auf den Hochschultagen vorgestellten Schulen mit umfassen-
dem ERP-Einsatz ist die dritte Annahme am wahrscheinlichsten. Durch die Dualität von Lerninhalt
und Methode sind alle Lehrkräfte an den beruflichen Schulen betroffen. Dies würde bedeuten, dass
in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften eine kritische Betrachtung der Ausbildungsinhalte er-
folgen muss.
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Autor
Pongratz, Horst; Dipl.-Hdl. Studienrat; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen - Nürnberg; Rechts- und Wirtschafts-wissenschaftliche Fakultät; Fachbereich Wirtschaftswissenschaften; Lange Gasse 20; 90403 Nürnberg; Mail: [email protected]
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SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess
151
SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess:
Erfahrungen am Friedrich-List-Berufskolleg
Birthe Tina Reich-Zies, Andreas Buder
1 Vorstellung der Schule und Historie der Kooperation
Das Friedrich-List-Berufskolleg (FLB) mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Verwaltung hat eine
mehr als 100-jährige Tradition in der kaufmännischen beruflichen Bildung. Es verfügt über langjäh-
rige Erfahrung und Kompetenz im Umgang mit EDV-gestützten Geschäftsprozessen, insbesondere
mit PPS-, Warenwirtschafts- und ERP-Systemen. In 14 Bildungsgängen werden von ca. 120 Lehr-
kräften ca. 800 Berufs-, 1000 Vollzeit- sowie 250 Fachschüler/-innen unterrichtet. Am Friedrich-
List-Berufskolleg werden immer wieder Innovationen nicht nur theoretisch erarbeitet, sondern auch
praktisch umgesetzt und sowohl Schulleitung als auch Kollegium haben ein hohes Interesse daran,
die Schulentwicklung nachhaltig voranzutreiben. Dieses Engagement zeigt sich u. a. darin, dass
sich das Friedrich-List-Berufskolleg seit Beginn der Qualitätsmanagementbemühungen der Berufs-
kollegs aktiv an Schulentwicklungsprojekten des Landes NRW wie z. B. an „Schule & Co.“ und dem
Folgeprojekt „Selbstständige Schule“ beteiligte. Großer Wert wird insbesondere durch die Erfahrun-
gen aus dem Projekt „Schule & Co.“ auf eine Kooperation zwischen Universitäten, Fachhochschulen
und Vertretern der Wirtschaft auf der einen Seite und dem Friedrich-List-Berufskolleg auf der ande-
ren Seite gelegt, damit eine erstklassige Theorie- und Praxisvernetzung für die pädagogische Arbeit
sichergestellt wird. Somit gibt es in vielfältigen Projekten in den unterschiedlichen Bildungsgängen
Kooperationen mit der Universität Bielefeld, der Fachhochschule der Wirtschaft in Gütersloh, der
Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld, um den Lernenden neben dem Berufbezug auch den
Übergang zum Studium oder zur berufsbegleitenden Weiterbildung nahezubringen und den Techno-
logietransfer sowie den Kompetenzaustausch in der Region sicherzustellen. Darüber hinaus konnten
am Friedrich-List-Berufskolleg bereits mit mehreren Betrieben, deren Auszubildende am FLB be-
schult werden, sog. Kooperationsverträge geschlossen werden. Bastian und Rolff (2002, S. 57) füh-
ren aus, dass diese Kooperationen dazu beitragen den Unterricht praxis- und berufsnäher zu gestal-
ten und damit besser zu machen. Die Kooperationsverträge präzisieren insbesondere Aspekte der
Zusammenarbeit, die über eine übliche Kooperation als Partner im Dualen System hinausgehen. So
werden von den Unternehmen Lehrerfortbildungen zu speziellen Themen angeboten, die den Lehr-
kräften beispielsweise Prozessabläufe in den jeweiligen Unternehmen praktisch näherbringen. Die in
diesen Fortbildungen erworbenen Praxiskenntnisse fließen wiederum in die Unterrichtsarbeit ein und
ermöglichen somit eine engere Verzahnung von Theorie und Praxis. Auf der anderen Seite werden im
Berufsschulunterricht zusätzlich zum Unterricht regelmäßig Projekte angeboten, die eine hohe prak-
tische Relevanz für die Auszubildenden haben wie beispielsweise die Fallstudienarbeit mit SAP. Eine
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
152152
Umfrage unter den Kooperationspartnern ergab, dass in fast in allen Unternehmen ERP-Systeme
zum Einsatz kommen. Neben einigen Branchenlösungen, z. B. für die Textilindustrie, wird überwie-
gend mit SAP gearbeitet. Auch diese Tatsache führte dazu, sich für den Einsatz von SAP-Fallstudien
am Friedrich-List-Berufskolleg zu entscheiden. Ermöglicht wurde der Einsatz von SAP im Unter-
richt erst durch die strategische Entscheidung des Softwareherstellers das University-Alliances-
Programm auf Berufskollegs auszuweiten. Die Umsetzung erfolgte zunächst durch den Aufbau von
Hochschulkompetenzzentren in Passau und in Magdeburg. So können die Mandanten (Hochschulen
und Berufskollegs) zentral administriert und gecustomized werden. Die Bereitstellung der SAP-Welt
über das Netz ermöglicht den pädagogischen Institutionen sofort mit der Software zu arbeiten, ohne
die eigene Performance personell und materiell zu überfordern. Neben der technischen Realisierung
durch die Hochschulkompetenzzentren wurde systematisch am Aufbau einer Community gearbeitet,
die in zahlreichen User-Group-Meetings gepflegt und gefördert wird. Daraus entstand neben dem
technologischen Netzwerk ein pädagogisches Netzwerk von Personen, die SAP in Forschung und
Lehre einsetzen.
Die Partnerschaft mit dem führenden deutschen Hersteller für ERP-Software sowie die Technolo-
giepartnerschaft mit dem Hochschulkompetenzzentrum der Universität Magdeburg (HCC), wird von
Anfang an von allen Beteiligten als durchweg positiv bewertet. Es ist als konstruktiv, von gegen-
seitiger Wertschätzung geprägt und als äußerst kollegial zu bezeichnen. Das erste Entwicklerteam
für die pädagogischen Lernsituationen unter Anwendung von SAP R/3 wurde direkt in Walldorf am
Stammhaus der SAP und im Schulungszentrum St. Leonrot mit dem R/3-System vertraut gemacht.
Im Rahmen der internen Lehrerfortbildung wurden dann die Erfahrungen des SAP-Teams an alle in-
teressierten Kolleginnen und Kollegen weiter gegeben. Somit kann auch die Personalentwicklung als
kollegialer Entwicklungsprozess mittels schulinterner Lehrerfortbildung am FLB aus eigener Kraft
und mit Impulsen der SAP generiert werden.
2 Entwicklungsprozess des Unterrichtseinsatzes von SAP
Die ersten Erfahrungen mit dem Einsatz einer pädagogischen Software, welche den Schülerinnen
und Schülern das Zusammenwirken einzelner modularer funktionsorientierter Betrachtungen zu ei-
ner prozesshaften bereichsübergreifenden Vernetzung der betrieblichen Abläufe näherbringen soll,
gehen am FLB auf das Jahr 1990 zurück. Mit dem Schulversuch ISI beteiligt sich das FLB an der Er-
arbeitung einer Fallstudie unter Nutzung der Software Micro-PPS von Prof. Dr. Kern (Fachhochschu-
le Reutlingen). Mit Hilfe dieser soll die Produktion eines Konferenztisches informationstechnologisch
begleitet werden und der Prozess von der Erfassung von Arbeitsplätzen über die Stücklistenauflö-
sung bis hin zur Realisierung und Steuerung konkreter Kundenaufträge durch die Lernenden bear-
beitet werden. Mit der Weiterentwicklung der Software Micro-PPS zum windowsbasierten PMS/S
im Jahre 1997 durch die Fachhochschule Reutlingen findet auch eine curriculare und pädagogische
Weiterentwicklung am Friedrich-List-Berufskolleg für den Bildungsgang „Industriekaufleute“ statt.
Die fakultativen Lernfelder „Angewandte Wirtschaftsinformatik I und II“ entstehen im Jahr 1999. In
153
SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess
153
diesen Wahlpflichtfächern werden zum einen eine modifizierte Fallstudie mit dem Kern´schen PPS-
System, zum anderen eine Rechnungswesenanwendung auf Softwarebasis SAGE KHK zur Anwen-
dung gebracht.
Ein kurzes Zwischenintermezzo in der Entwicklung von rechnergestützten Unterrichtsentwicklungen
findet in den Jahren 1999 bis 2001 statt. Eine berufskollegübergreifende Planungsgruppe „Enterpri-
se Management“ lässt sich durch Vertreterinnen und Vertreter der Firma BaaN für die Version 4C4
schulen. Es soll eine Vernetzung kaufmännischer und technischer Kommunikation auch kollegüber-
greifend stattfinden. Noch während des Aufbaus der hardwareseitigen Infrastruktur endet allerdings
dieser Schulversuch abrupt, da die wirtschaftlichen Probleme den Softwarehersteller BaaN dazu
zwingen, die Unterstützung der Schulen einzustellen .
Parallel dazu bemüht sich das FLB durch eigene persönliche Beziehungen zu Mitarbeitern von SAP,
das R/3-System für die berufliche Bildung nutzbar zu machen. Ein Vorstoß auf Bezirksebene war
bereits im Jahre 1997 gescheitert, da SAP diese Nutzung nicht genehmigen wollte. Man zweifelte
seinerzeit seitens SAP (sicherlich zu Recht) daran, dass Schulen sowohl hardwareseitig als auch von
der Personalkompetenz in der Lage sind, ein R/3-System selbstständig zu administrieren und für den
Unterrichtseinsatz lauffähig zu halten. Darüber hinaus gab es auch von Seite der Pädagogen Vorbe-
halte gegen diese Softwarenutzung, da es sich um ein offenes System handele und für den Unter-
richt vorbereitete Datenkränze nicht so einfach eingespielt werden können, wie es beispielsweise mit
PMS/A oder Sage KHK möglich ist.
Somit sind auch zu Beginn des neuen Jahrtausends die Hoffnungen auf einen Unterrichtseinsatz von
SAP zunächst nicht groß, werden aber dennoch nicht komplett begraben. Auf der Cebit 2000 werden
erste Kontakte zwischen der Schulleitung des FLB und dem University-Alliances-Management der
SAP AG hergestellt, dem viele Gespräche und Verhandlungen folgen sollten. Zunächst gestaltet sich
eine Zusammenarbeit als etwas schwierig, da bis zu diesem Zeitpunkt lediglich Hochschulen SAP in
der Lehre einsetzen. Dennoch ist das FLB seit dem Sommer 2001 die seinerzeit erste Partnerschule
von SAP in Nordrhein-Westfalen. Die Begründung für die Zusammenarbeit mit dem FLB ist laut Aus-
sage von SAP letztendlich das innovative Bildungsangebot der Schule in Verbindung mit der hohen
fachlichen Qualifikation der Lehrkräfte im IT-Bereich. Durch die Arbeit mit dem SAP-System sehen
sowohl die Vertreter der SAP als auch des Berufskollegs einen echten Qualitätssprung mit Blick auf
zukünftige Aufgaben und Arbeitschancen. Ein weiterer Vorteil ist, dass ein SAP orientiertes Curricu-
lum im Rahmen der didaktischen Jahresplanung konzipiert werden kann.
Das Team, welches sich im August 2001 gebildet hat und zunächst aus 5 Lehrkräften besteht, die
dann in Walldorf und St. Leon Roth durch SAP sowie in Magdeburg durch das HCC kontinuierlich
qualifiziert werden, hat im Rahmen der pädagogischen Schulentwicklung prozessorientierte Lernsi-
tuationen entwickelt und setzt diese seitdem regelmäßig im Bildungsgang Industrie1 und in der Fach-
1 Der Bildungsgang Industrie zählt zur Berufsschule und bildet in Block- und Teilzeitform Industriekaufleute aus. Blo-
ckunterricht bedeutet, dass die Auszubildenden während ihrer Ausbildung drei Mal für 12 Wochen zur Berufsschule
gehen. In der Teilzeitform werden die Auszubildenden in der Regel 3 Jahre an 2 Berufsschultagen beschult.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
154154
schule für Wirtschaft2 ein. Diese Fallstudien setzen sich zum Beispiel mit der modulübergreifenden
Bearbeitung von Geschäftsprozessen im Industrieunternehmen und dem Aufbau eines Kostenrech-
nungssystems auseinander.
Das daran für diese Zeit neue ist in erster Linie, dass keine tiefe Programmkenntnis innerhalb einzel-
ner Module des R/3-Systems Gegenstand der Schulungen sein sollte, so wie z. B. SAP diese Schu-
lungen für Ihre Praxisanwender konzipiert. Es soll vielmehr der bereichsübergreifende betriebliche
Datentransfer den Lernenden Erkenntnisse über die Vernetzung betrieblicher Prozessbereiche lie-
fern und damit das vernetzte und prozesshafte Denken in den Mittelpunkt der Kompetenzentwick-
lung stellen. Das kreative Team ist sich schnell darüber einig, dass eine reine „Klickveranstaltung“, in
welcher die vielen 1000 Masken des SAP-Sytems bis ins letzte Detail angeschaut werden, nicht Ziel
der beruflichen Bildung sein dürfe. Von daher wird der Entschluss gefasst, zunächst zwei Fallstudien
in Form von Lernsituationen zu generieren, in denen neben der Bearbeitung in SAP auch Fragestel-
lungen enthalten sind, durch deren Berarbeitung der Stoff der Fächer Geschäftsprozesse (vormals
Industriebetriebslehre) und Steuerung und Kontrolle (vormals Rechnungswesen) wiederholt wird.
Die Idee auf einer der ersten User-Group-Meetings im HCC Magdeburg diskutiert, stößt auch auf das
Interesse des leider zwischenzeitlich viel zu früh verstorbenen Prof. Dr. Claus Rautenstrauch. Er be-
wertet das Vorhaben als anspruchsvoll und ambitioniert, aber durchaus realisierbar und sichert eine
erstklassige Betreuung und Beratung seitens des Magdeburger HCC zu. Als Basis für das Vorhaben
soll das Modellunternehmen IDES dienen, angereichert um spezielle betriebswirtschaftliche und das
Rechnungswesen betreffende Inhalte. Somit wird die erste große erste Fallstudie „FunLabelBikes“
entwickelt, die den Prozess von der Anfrage über einen noch nicht im Produktionsprogramm be-
findlichen Motorradscheinwerfer bis hin zur Abarbeitung des ersten Kundenauftrages abbildet. Im
Frühjahr 2002 findet diese Fallstudie erstmals als Pilotprojekt in einer Klasse der Fachschule für Wirt-
schaft ihren Einsatz. Nachdem sie von den Studierenden evaluiert ist, wird sie vom Entwicklerteam in
einigen Details nochmals verbessert. Die Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen sowie der Eva-
luationsergebnisse der Lernenden sind auch nach wie vor für die Qualitätsentwicklung der Fallstudie
von großer Wichtigkeit. Daher werden diese Evaluationen nach jedem Einsatz erneut durchgeführt
und ausgewertet.
Nach Abschluss der Pilotphase in der Fachschule für Wirtschaft kann nun der in der Hauptsache
intendierte Einsatz im Bildungsgang Industrie erfolgen. Parallel dazu wird mit der Erarbeitung einer
Controlling-Fallstudie begonnen. Diese hat zum Inhalt, dass eine Hilfskostenstelle „Kantine“ in das
Kostenrechnungssystem des SAP-Systems von den Lernenden implementiert und die innerbetriebli-
che Leistungsverrechnung mit anderen Kostenstellen geplant, organisiert und umgesetzt wird. Wäh-
rend die erste Fallstudie mit ihrem betriebswirtschaftlichen Schwerpunkt in der Mittelstufe in einem
zweitägigen Blockseminar (ca. 16 Unterrichtsstunden) zum Einsatz kommt, ist die eintägige (ca. 8
2 Die Fachschule für Wirtschaft zählt zur Berufsfachschule. Dort werden Studentinnen und Studenten berufsbegleitend
in der Regel 3 Jahre zum „Staatl. gepr. Betriebswirt bzw. Betriebswirtin“ ausgebildet.
155
SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess
155
Unterrichtsstunden) Controlling-Fallstudie mit dem Rechnungswesenschwerpunkt in der Oberstufe
verortet.
Für den geplanten Einsatz im Unterricht wird es notwendig, weitere Lehrkräfte im Umgang mit SAP
zu schulen. Im Juni 2003 wird für interessierte Lehrkräfte eine Schulinterne Lehrerfortbildung (SchiLf)
angeboten, die von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bildungsgang wahrgenommen
wird. So kann sichergestellt werden, dass ab dem Schuljahr 2003/2004 ein Einsatz der Fallstudie
sowohl in der Fachschule für Wirtschaft als auch in den Blockklassen der Industrie eingesetzt wer-
den kann.
Im Sommer 2006 erfolgt durch ein zweiköpfiges Team - wiederum auf Basis der IDES-Modellunter-
nehmung - eine vollständige Überarbeitung der Fallstudie. Aus den Auswertungen der kontinuierli-
chen Evaluationen können zahlreiche wertvolle Hinweise für die Überarbeitung der Fallstudie gewon-
nen werden. Aus der Fun-Label-Bike-Fallstudie, die den Prozess der Auftragsbearbeitung anhand
eines neu zu produzierenden Motorradscheinwerfer darstellt entsteht die sich bis heute im Einsatz
befindliche For-Life-Bicycles-Fallstudie, in welcher hochwertige Fahrräder modular auftragsbezogen
konfiguriert werden können. Diese insbesonderes auch die BWL-Inhalte betreffend aktualisierte und
weiter professionalisierte Lernsituation wird im Rahmen einer weiteren SchiLf einem interessierten
Kollegenkreis vorgestellt. In dieser Zeit finden sich neue Mitglieder des SAP-Planungsteams am FLB,
die im Frühjahr durch das HCC in München geschult werden. Das vierköpfige Lehrkräfteteam soll das
ursprüngliche Kernteam unterstützen bzw. ergänzen. Dadurch wird es möglich, die Fallstudie nicht
nur in der Fachschule für Wirtschaft und den Blockklassen der Industrie einzusetzen, sondern nun
endlich auch die Teilzeitklassen der Industrie und die Lerngruppen der Kaufmännischen Assistent/-in
Informationsverarbeitung3 mit den SAP-Fallstudien zu beschulen.
Durch die jährliche Teilnahme am SAP-User-Group-Meeting können wertvolle Kontakte zu inzwi-
schen mehreren anderen Schulen aufgebaut werden, die ihrerseits Erfahrungen mit dem Einsatz von
SAP im Unterricht haben. So entscheidet man sich aufgrund der Kooperation mit dem Oberstufen-
zentrum Bürowirtschaft & Dienstleistungen aus Berlin dazu, ab dem Schuljahr 2008/2009 am Projekt
„ERP4School“ teilzunehmen.
3 Dieser Bildungsgang zählt zur höheren Berufsfachschule. Die Absolventinnen und Absolventen mit der Eingangs-
voraussetzung Fachoberschulreife erlangen in dieser 3-jährigen Vollzeitschulform sowohl den schulischen Teil der
Fachhochschulreife als auch den Berufsabschluss nach Landesrecht „ Kaufmännischer Assistent/-in Informations-
verarbeitung“
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
156156
3 Vorstellung einer der eingesetzten Fallstudien
Der Einsatz der For-Life-Bicycles-Fallstudie ist grundsätzlich in unterschiedlichen Bildungsgängen
möglich. Am Friedrich-List-Berufskolleg wird die Fallstudie in der kaufmännischen Berufsschule
im Bildungsgang Industrie, in der Fachschule für Wirtschaft im Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik
sowie im vollzeitschulischen Bildungsgang der kaufmännischen Assistent/ -in Informationsverar-
beitung eingesetzt. Da die Fallstudie schwerpunktmäßig für den Einsatz im Bildungsgang Industrie
entwickelt wurde, beziehen sich die nachstehenden Überlegungen auf den Ausbildungsberuf des
Industriekaufmanns/der Industriekauffrau.
Einordnung in den Rahmenlehrplan Industrie
Die wesentlichen Merkmale des seit Sommer 2002 geltenden neuen Rahmenlehrplans für den Aus-
bildungsberuf Industriekaufmann/Industriekauffrau sind die Gliederung des Lehrplans in Lernfelder,
eine verstärkte Kundenorientierung und die Orientierung an Geschäftsprozessen bzw. der Wert-
schöpfungskette eines Industriebetriebs (KMK, 2002, S. 6). Diese Veränderung im Lehrplan ist die
Folge gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen, denen Industrieunternehmungen Rechnung tragen: Die
Käufermärkte in Industrieländern besitzen das Merkmal, vom Kunden und seinen Wünschen determi-
niert zu sein. So erwartet die Nachfrageseite schnelle und flexible Reaktionen der Unternehmen. Die-
ses zu leisten ist einem Unternehmen nur mit einer geschäftsprozessorientierten Organisation mög-
lich. Geschäftsprozessketten können verschiedene betriebliche Kernfunktionsbereiche berühren,
wie z. B. Einkauf, Produktion und Vertrieb, überschreiten aber auch Schnittstellen zwischen Betrieb
und Umfeld, z. B. zum Absatz- und Beschaffungsmarkt. Prozessketten berühren aber auch so ge-
nannte betriebliche Querschnittsfunktionen wie Logistik, Qualitätssicherung oder Umweltschutz. In
immer stärker werdendem Maße überschreiten Prozesse nicht nur Abteilungsgrenzen, sondern auch
Unternehmens- und/oder Ländergrenzen, so z. B. die elektronische Anbindung der Zulieferer in der
Automobilindustrie (Internet-Marketplaces; E-Commerce). Vom jetzigen, aber auch vom zukünftigen
Mitarbeiter im Industriebetrieb erfordert diese Veränderung ein Überblickswissen über die gesamten
Geschäftsprozesse. Nur so kann er auf Kundenwünsche flexibel und schnell reagieren und langfris-
tig zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Dem Auszubildenden im dualen System muss demnach
eine zeitgemäße Ausbildung im Betrieb, vor allem aber auch in der Berufsschule ermöglicht werden,
die sich also an Geschäftsprozessen orientieren sollte, denn:
- Geschäftsprozesse bestimmen die wichtigsten betrieblichen Handlungsabläufe mit denen es der
Auszubildende am Lernort Betrieb zu tun hat (z. B. Kundenauftragsabwicklung, Beschaffung/La-
gerhaltung, Kundendienst, Produktionsplanung und -steuerung). Sie fördern das Denken in funk-
tionsbezogenen, funktionsübergreifenden und unternehmensübergreifenden Zusammenhängen
und geben den Auszubildenden die Möglichkeit der Orientierung in der schwer zu überschauba-
ren Fülle zu vermittelnder Inhalte.
- Geschäftsprozesse werden in der Regel durch Datenverarbeitungssysteme gesteuert, so z. B.
durch ERP-Systeme, zu denen auch die Software der SAP AG zählt. Die inhaltliche Einbindung
157
SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess
157
solcher Systeme auf prozessorientierter Ebene spiegelt betriebliche Handlungsabläufe optimal
wider. ERP-Systeme binden sämtliche betriebliche Funktionen bzw. Module mit ein. Folglich ist
der Einsatz von SAP-Software in der beruflichen Ausbildung hervorragend dazu geeignet, den
veränderten wirtschaftlichen Anforderungen zu entsprechen und den zukünftigen Mitarbeitern
berufliche Handlungskompetenz zu vermitteln.
Die For-Life-Bicycles-Fallstudie auf Grundlage der von Stefan Weidner vom HCC Magdeburg4 entwi-
ckelten Integrations-Fallstudien ist im Schwerpunkt eine Lernsituation zum Geschäftsprozess Kun-
denauftragsabwicklung und berührt die folgenden Lernfelder des Rahmenlehrplans für den Ausbil-
dungsberuf Industriekaufmann/Industriekauffrau (KMK, 2002, S.8):
Lernfeld 2: Marktorientierte Geschäftsprozesse eines Industriebetriebes erfassen
Lernfeld 3: Wertströme und Werte erfassen und dokumentieren
Lernfeld 4: Wertschöpfungsprozesse analysieren und beurteilen
Lernfeld 6: Beschaffungsprozesse planen, steuern und kontrollieren
Lernfeld 10: Absatzprozesse planen, steuern und kontrollieren
Didaktisch-methodische Leitlinie
Grundlage für die Entwicklung der am Friedrich-List-Berufskolleg eingesetzten Fallstudie bilden, wie
bereits eingangs erwähnt, die vom HCC Magdeburg entwickelten und für Schulungszwecke am SAP-
System eingesetzten Integerations-Fallstudien. Die Entwicklung einer eigenen Fallstudie erachtete
das SAP-Team des FLB für notwendig, da die vorhandenen Fallstudien jeweils nur einen Funktions-
bereich abdecken und schwerpunktmäßig die Anwendung von SAP fördern. Es wurde folglich eine
Fallstudie entwickelt, die prozessorientiert und damit funktionsübergreifend angelegt ist. Dabei stellt
die Fallstudie den Ablauf des Prozesses in den Vordergrund und zeigt die Umsetzung im ERP-Sys-
tem. Die Lernenden erwerben entsprechend Fachkompetenzen über den Ablauf des Geschäftspro-
zesses Kundenauftragsabwicklung. Eng mit den betriebswirtschaftlichen Inhalten verbunden werden
Fachkompetenzen vermittelt, die sich auf den Umgang mit einem ERP-System beziehen. Die Auszu-
bildenden lernen, welche Arbeitsschritte beim Anlegen von Kundenstammdaten, Materialstämmen
oder Stücklisten erforderlich sind. Dabei bearbeiten die Lernenden den Geschäftsprozess aus unter-
schiedlichen Perspektiven: aus Vertriebssicht, aus der Sicht des Einkaufs oder aus dem Blickwinkel
der Produktion. Auf diese Weise lernen sie die Erfordernisse unterschiedlicher Abteilungen in einem
Industriebetrieb kennen und verstehen. Methodisch ist die Fallstudie so angelegt, dass die Lernen-
den immer wieder gefordert sind, beispielsweise innerhalb einer Gruppe Entscheidungen zu treffen.
Auf diese Weise werden die Team- und Kommunikationsfähigkeit sowie die Konfliktfähigkeit trainiert.
Auch der im Lehrplan geforderten Kundenorientierung wird durch die Fallstudie Rechnung getragen,
da der Auslöser für sämtliche Geschäftsprozessschritte eine Kundenanfrage bzw. -bestellung ist.
Darüber hinaus wurde in die Fallstudie eine Änderung des Kundenwunsches hinsichtlich der Bestell-
menge eingearbeitet, auf die kundenorientiert reagiert werden muss.
4 Die Fallstudien stehen Kunden der HCCs Magdeburg bzw. München kostenlos zum Download auf
der jeweiligen Homepage zur Verfügung.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
158158
Ablauf der Fallstudie
Die Kundenanfrage, das darauf folgende Angebot der For-Life-Bicycles GmbH und die Bestellung
des Kunden, Make-or-buy-Entscheidung, Angebotsvergleich und Lieferantenauswahl, Eröffnung ei-
nes Fertigungsauftrags, Fertigung und Kommissionierung der Ware sind nur einige Schlagworte, die
den innerbetrieblichen Ablauf eines Kundenauftrags skizzieren sollen.
Da im Fokus der Fallstudie nicht die Arbeit mit dem SAP-System steht, erfolgt der Einstieg in die
Fallstudie nicht über das SAP-System, sondern durch eine klassische Ausgangssituation aus dem
praktischen Berufsalltag: die Anfrage eines Neukunden. Um diese bearbeiten zu können, machen
sich die Lernenden zunächst mit dem Unternehmen For-Life-Bicylces GmbH vertraut und erstellen
das Angebot an den Kunden. Zu diesem Zweck kalkulieren sie mit Hilfe der gegebenen Daten den
Angebotspreis. In diese erste Arbeitsphase integriert ist eine Make-or-Buy-Entscheidung. Durch den
in Aussicht stehenden zusätzlichen Kundenauftrag stellt sich im Unternehmen die Frage, die bislang
fremdbezogenen Fahrradrahmen selbst zu fertigen. Die Lernenden erstellen mit Hilfe des Office Pro-
gramms Excel eine Tabelle, mit der sie die kritische Menge bestimmen ab der sich eine Eigenferti-
gung lohnen würde. Diese stellen sie zusätzlich in Excel als Diagramm dar und präsentieren ihre Ent-
scheidung im Plenum. Im Rahmen der Präsentation sollen für eine begründete Empfehlung zusätzlich
zum rechnerischen Ergebnis Argumente für und gegen eine Eigenfertigung bzw. einen Fremdbezug
angeführt werden.
Anschließend bekommen die Lernenden die Aufgabe, in Gruppen mithilfe vorbereiteter Moderati-
onskarten die weitere Bearbeitung des Kundenauftrags, der zwischenzeitlich erfolgt ist, schrittweise
zu planen und zu dokumentieren. Gemeinsam im Plenum wird der Prozessablauf diskutiert und auf
einer Stellwand festgehalten. Dieser dient zum Abschluss der Fallstudie zur Reflektion des Ablaufs
des Geschäftsprozesses im SAP-System. Da die Lernenden im Regelfall einen anderen Ablauf des
Geschäftsprozesses planen als den, der dann tatsächlich im SAP-System abläuft, kann so nochmals
der gesamte Ablauf der Fallstudie und die Umsetzung im SAP-System nachvollzogen werden.
Erst jetzt folgt eine Einführung in das SAP-System. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die Ent-
wicklung der SAP AG und den betriebswirtschaftlichen Nutzen eines ERP-Systems gegeben. Nach
einer Vorstellung der Organisationseinheiten im SAP-Systems, wird die Benutzeroberfläche gezeigt
und eine Musternavigation von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt.
Die erste konkrete Aufgabe, die im Rahmen der Fallstudie im SAP-System durchgeführt wird, ist die
Erfassung des Kundenauftrages. An dieser Stelle werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer be-
wusst zu zwei Fehlermeldungen geführt, um dadurch noch mal die Systematik des ERP-Systems zu
verdeutlichen. Die erste Fehlermeldung tritt auf, da es sich um einen Neukunden handelt, der dem
System noch nicht bekannt ist und die zweite Fehlermeldung, da es sich um ein Produkt handelt, wel-
ches in dieser Form bislang noch nicht hergestellt wurde. Die Lernenden erfassen zunächst die Kun-
dendaten im System, dann erfolgt im Plenum eine Theoriesequenz zur Wiederholung des Aufbaus
von Stücklisten. Die sich anschließende Erfassung der Materialstämme im System erfolgt durch die
159
SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess
159
Lernenden unter Zuhilfenahme des ausgeteilten Begleitmaterials, das sie eigenständig durcharbei-
ten. Erst nach Erfassung der Stücklisten, Arbeitspläne sowie der Konditionensätze erfolgt ein Test-
lauf der Stammdaten bevor die Auftragserfassung beendet werden kann.
Bevor im SAP-System die notwendigen Bestellungen für die zur Produktion benötigten Materialien
generiert werden können, ist eine Lieferantenauswahl notwendig. Dazu erfolgt zunächst eine theore-
tische Wiederholung zur Nutzwertanalyse, bevor die Lernenden eine solche für drei vorliegende An-
gebote von verschiedenen Lieferanten durchführen. Die Angebote und Lieferantenbeschreibungen
sind so gestaltet, dass sich relativ eindeutig ein Lieferant als bester herauskristallisiert, allerdings
wäre es auch ohne weitere Probleme möglich, falls die Lernenden zu unterschiedlichen Ergebnis-
sen gelangen, dass sie mit diesen dann entsprechend weiterarbeiten. Nachdem im SAP-System die
entsprechenden Lieferantenstammdatensätze eingepflegt wurden, erhält die For-Life-Bicyles GmbH
vom Kunden die Mitteilung, dass die Auftragsmenge erhöht wird. Es folgt eine Diskussion im Plenum
darüber, welche Auswirkungen dies auf den Liefertermin hat, die schließlich in einer Theorieeinheit
über das Material-Resource-Planing (MRP-Lauf) mündet. Ab diesem Zeitpunkt arbeiten die Lernen-
den eigenständig mithilfe der Begleitmaterialien den Kundenauftrag bis zum Zahlungseingang ab,
indem sie einen Fertigungsauftrag generieren, die Bestellungen für das Material auslösen, den Wa-
reneingang der Bestellungen erfassen, die Fertigung durchführen, die Lieferung anlegen, den Kun-
denauftrag fakturieren und letztlich den Zahlungseingang buchen.
Nach erfolgreicher Abwicklung des Kundenauftrages im SAP-System erfolgt eine Reflektion des
Geschäftsprozesses, in dem der zu Beginn der Lernsituation von den Lernern mit den Moderations-
karten angefertigte Prozessverlauf mit der tatsächlichen Vorgehensweise im SAP-System verglichen
und diskutiert wird.
4 Bedeutung und Probleme des Einsatzes von SAP im Unterricht
Der Einsatz der Lernsituation fördert durch die Orientierung an einem konkreten Geschäftsprozess
den fächerübergreifenden und damit lernfeld-orientierten Unterricht. Durch die Arbeit mit realen Un-
ternehmensstrukturen wird das Verständnis dieser Strukturen gefördert. Zudem fördert die Verknüp-
fung theoretischer Inhalte mit der Abbildung in einem ERP-Programm den praxisorientierten Unter-
richt. Durch den Einsatz der SAP-Fallstudien werden die auch für die Abschlussprüfung in den jewei-
ligen Bildungsgängen relevanten betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge wiederholend eingeübt
und im Kontext der Prozessabläufe verstanden. Organisatorisch sind diese relativ leicht umzusetzen,
weil sie keine besonderen Anforderungen an die Hardwareausstattung stellen, allerdings idealer Wei-
se in Räumen mit PCs in Gruppentischen (nicht in Frontalform) stattfinden sollten. Ein weiterer Vorteil
liegt darin, dass insbesondere die umfangreiche Fallstudie dazu führt, dass sich die Schülerinnen
und Schüler außerhalb des normalen Unterrichts als Intensivseminar mit diesen informationstechno-
logisch unterstützten betriebswirtschaftlichen Problemfeldern auseinander setzen. Diese intensive
Auseinandersetzung mit dem in der Fallstudie hinterlegten Geschäftsprozess fördert das Verständnis
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
160160
für Abläufe im Unternehmen und deren informationstechnologische Vernetzung. Dennoch wäre es
wünschenswert und Aufgabe der Entwicklungsarbeit der nächsten Jahre, kürzere, in die einzelne
Unterrichtsstunde zu integrierende, Fallsituationen zu konzipieren, damit dem Integrationsziel von
EDV in den betriebswirtschaftlichen Unterricht weiter genüge getragen wird. Diese Umsetzung klei-
ner Lernsituationen ist mit SAP allerdings schwierig, da es sich um ein offenes System handelt und
vordefinierte Datenkränze nicht oder nur sehr aufwendig generiert werden können. Dennoch sollen
vor allem für den berufsbezogenen Bereich im Bildungsgang Industrie, also vornehmlich in den Fä-
chern Geschäftsprozesse und Kaufmännische Steuerung und Kontrolle kleine, in den normalen Un-
terrichtsverlauf integrierte Lernsituationen entwickelt und erprobt werden.
Nach jedem Einsatz der Fallstudie erfolgt eine schriftliche Evaluation mit offen formulierten Fragen.
Auf diese Weise können immer wieder Probleme der Schülerinnen und Schüler ermittelt werden, die
zusätzlich zu den von den Dozenten gemachten Erfahrungen zu einer kontinuierlichen Überarbeitung
der Fallstudie führen. Es hat sich in den zahlreichen Rückmeldungen und Erfahrungen der Dozentin-
nen und Dozenten gezeigt, dass immer wieder ähnliche Probleme auftreten:
- Angst vor dem komplexen System „SAP“
Schülerinnen und Schüler haben regelmäßig Schwierigkeiten, sich in dem komplexen SAP-Sys-
tem zurechtzufinden. Aus der praktischen Ausbildung kennen sie immer nur Ausschnitte des
Systems, nie aber das System als Ganzes. Außerdem sind sie oftmals überfordert die vielfältigen
Eingabemasken zu überblicken und dort die richtigen Eingaben zu machen. Dies führt zu einer
großen Verunsicherung seitens der Schülerinnen und Schüler, da sie vermeiden wollen, Eingabe-
fehler zu machen, die sich dann nachher nicht mehr beheben lassen.
- geringe Fehlertoleranz des Systems
Da in einem Echtzeitsystem gearbeitet wird, hinterlässt jede erfolgte Eingabe „Spuren“, die sich
nicht ohne weiteres berichtigen lassen. Problematisch ist zusätzlich, dass sich Fehler erst bei
späteren Arbeitsschritten bemerkbar machen. So ist eine fehlerhaft angelegte Stückliste zu-
nächst unproblematisch und der Fehler für die Lernenden auch kaum erkennbar, die Folgen zei-
gen sich dann beispielsweise erst bei der Erstellung von Fertigungsaufträgen und sind dann in der
Regel nur durch einen aufwendigen Korrekturprozess zu beheben. Diese Korrektur ist nur von den
Dozentinnen und Dozenten zu leisten, die aufgrund der unendlich hohen Anzahl möglicher Fehler,
nicht immer sofort Abhilfe leisten können.
- Inhomogene Lerngruppen
In der Arbeit am SAP-System zeigt sich regelmäßig, dass die Lerngruppen sehr inhomogen sind.
Einige Lerner überblicken sehr schnell die Systematik des Systems und sind dementsprechend
schnell mit Eingaben fertig, andere überblicken nicht die generelle Funktionsweise des Systems
und welche Eingaben wo gemacht werden müssen. Zudem führen nicht korrekt durchgeführte
Eingaben zu Fehlern, die sich nur unter erheblichem Aufwand korrigieren lassen. Diese Problema-
tik führt dazu, dass die Betreuung einer Lerngruppe nur mit mind. 2 Lehrkräften möglich ist, die
regelmäßig darauf angewiesen sind, dass stärkere Schülerinnen und Schüler die Schwächeren
unterstützen, damit möglichst alle die Fallstudie erfolgeich abschließen können.
161
SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess
161
Trotz aller Detailprobleme in der Umsetzung von Lernsituationen mit Hilfe von SAP R/3 sind alle
Beteiligten am Friedrich-List-Berufskolleg von dem Ergebnis und der Sinnhaftigkeit der Entwick-
lungsarbeit überzeugt. Auch wenn oder gerade weil die Lernenden bei jedem Durchgang weitere
Verbesserungsvorschläge unterbreiten, ist es eine Entwicklungsarbeit, die niemals endet, sondern
kontinuierlichen Anpassungen bedarf. Schülerinnen und Schüler, Ausbildungsbetriebe und Lehrerin-
nen und Lehrer halten dieses Projekt für einen großen Erfolg für das FLB und wollen an der Weiter-
entwicklung dieses Konzeptes mitarbeiten, indem wie dargelegt insbesondere kleinere, in den nor-
malen Unterrichtsverlauf zu integrierende Lernsituationen erarbeitet werden sollen, die das vernetz-
te der Lernenden nachhaltig fördern. Die sicherlich auch von der Kostenseite, was den Einsatz der
Software und der Lehrkräfte betrifft, aufwendige Projektarbeit ist für eine zukunftsfähige berufliche
Bildungskonzeption wichtig, insbesondere wenn die EDV einen im Leitbild verankerten Schwerpunkt
der pädagogischen Arbeit am Friedrich-List-Berufskolleg darstellt. Darüber ist eine Theorie- und
Praxisvernetzung schon allein durch die enge Zusammenarbeit im University-Alliances-Programm
der SAP AG gegeben und als äußerst positiv zu bewerten. Auf diese Weise kann von Ergebnissen
anderer Schulen und Hochschulen für den Unterricht profitiert werden und es entstehen durch die re-
gelmäßigen User-Group-Meetings wichtige Expertennetzwerke für die weitere pädagogische Arbeit.
Vor diesem Hintergrund wird das Friedrich-List-Berufskolleg als erste SAP-Partnerschule in NRW
sicherlich auch weiterhin an der Entwicklung von Lernsituationen, die den Einsatz des R/3-System
erfordern arbeiten.
Literatur
Bastian, Johannes; Rolff, Hans-Günter (2002): Abschlussevaluation des Projekte „Schule & Co.“. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung
KMK (2002): Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/ Industriekauffrau. http://www.kmk.org/bildung-schule/berufliche-bildung/rahmenlehrplaene-zu-ausbildungsberufen-nach-bbighwo/liste.html [09.05.2009]
Autoren:
Buder, Andreas; Dr. ; Oberstudienrat; Friedrich-List-Berufskolleg; Hermannstr. 7; D-32051 Herford; Mail: [email protected]
Reich-Zies, Birthe Tina; Dipl.-Hdl.; Studienrätin; Friedrich-List-Berufskolleg; Hermannstr. 7; D-32051 Herford; Mail: [email protected]
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
162
ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung WürzburgBernd Schuller
1 Das Berufliche Schulzentrum
Das Berufliche Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung ist eine der ältesten schulischen
Einrichtungen im beruflichen Schulbereich in Bayern. Im Jahr 2008 feierte man das 100jährige Be-
stehen. In den achtziger Jahren entwickelte sich aus der Berufsfachschule für Wirtschaft mit Berufs-
aufbauschule ein Zentrum mit fünf Schulen, in denen je nach Ausbildungsziel der Fokus stärker auf
der kaufmännischen oder auf der IT-Seite liegt, in allen Ausbildungsrichtungen wird aber auf ERP-
Lösungen im Unterricht zugegriffen. Die Möglichkeit, an einer Vollzeitschule einen IHK-Abschluss
zu erreichen, macht die Schule in Bayern zum Exoten. Es gibt nur ganz wenige Schulen, die ähnlich
ausgerichtet sind wie das Berufliche Schulzentrum und diese sind nicht in staatlicher Trägerschaft
1.1 Die Berufsfachschule für Büroberufe
Aus der ältesten Schule, der Berufsfachschule für Wirtschaft, hat sich mittlerweile die Berufsfach-
schule für Büroberufe entwickelt, in der junge Leute mit qualifizierendem Hauptschulabschluss in
drei Jahren den Abschluss als Kauffrau oder Kaufmann für Bürokommunikation erwerben können.
Um Praxiserfahrungen, die Auszubildende im dualen System erwerben, zu ermöglichen, durchlaufen
die Schülerinnen und Schüler drei Phasen: Im ersten Ausbildungsjahr ein Übungssekretariat, in dem
die Verknüpfung von word, Power Point und Outlook im Rahmen von Anforderungen im Sekretariat
realisiert wird. Das Erstellen von Serienbriefen, das Kuvertieren und Fertigmachen für den Versand
per Post oder durch ein Logistikunternehmen werden praxisnah z. B. für Einladungen für Veranstal-
tungen des Förderkreises der Schule durchgeführt.
Im zweiten Jahr der Ausbildung sind die Schülerinnen und Schüler Mitarbeiter in einer sog. Trai-
ningsfirma, der SÜWA GmbH, und lernen dort alle kaufmännischen Abteilungen eines Herstellers
von Diätschokolade kennen. Arbeitsvollzüge werden hier sowohl per Hand als auch mit dem ERP-
Programm SAGE Classic Line bearbeitet. So werden z. B. die Löhne und Gehälter zunächst mit Hil-
fe von Lohnsteuer- und Sozialversicherungstabellen von Hand abgerechnet. Anschließend werden
die Daten in das Personalmodul eingegeben und die Testabrechnung mit den Handabrechnungen
verglichen. Aus der Echtabrechnung wird der Buchungsbeleg für die Finanzbuchhaltung erzeugt.
Durch ausführliche Dokumentationen sollen die Schüler sich in eigenen Worten und mit Hilfe von
screenshots die verschiedenen Arbeitsschritte nochmals klarmachen. Analog werden Einkaufs- und
Verkaufsabläufe behandelt.
ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg
163
Im dritten Ausbildungsjahr absolvieren die Schülerinnen und Schüler ein insgesamt halbjähriges
Praktikum in Betrieben der Region. In den jeweils sechs- bis achtwöchigen Praktikumsblöcken sind
die angehenden Kaufleute für Bürokommunikation ihrer Ausbildung entsprechend in den Fachabtei-
lungen eingesetzt. Mit dem Abschluss als Kaufmann/Kauffrau für Bürokommunikation verbunden mit
einem Notendurchschnitt von 2,5 im Abschlusszeugnis der Berufsfachschule bekommen die Absol-
venten den mittleren Schulabschluss verliehen.
1.2 Die Berufsfachschule für Kaufmännische Assistenten - Fachrichtung Informationsverarbeitung
Diese zweijährige Berufsfachschule steht Schülerinnen und Schülern offen, die bereits den mittle-
ren Bildungsabschluss haben. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt einerseits im kaufmännischen
Bereich, wo vertiefte Kenntnisse in Rechnungswesen und Betriebswirtschaftslehre vermittelt, ande-
rerseits im IT-Bereich, wo Grundlagen von Computer- und Netzwerktechnik theoretisch und prak-
tisch geschult werden. Im Fach IT-Anwendungen werden vertiefte Kenntnisse in Textverarbeitung mit
Word, Tabellenkalkulation mit Excel, Präsentationen mit Powerpoint und Datenbankentwicklung mit
Access erworben. Im Bereich der kaufmännischen Standardsoftware folgt die Ausbildung stark dem
Konzept, das in der Berufsfachschule für Büroberufe praktiziert wird. Auch hier werden kaufmänni-
sche Prozesse mit SAGE CL umgesetzt. In der staatlichen Abschlussprüfung am Ende des zweiten
Ausbildungsjahres werden Word, Excel und Access abgeprüft, ebenso werden in einer fachprakti-
schen Prüfung mit Hilfe der kaufmännischen ERP-Software SAGE die Fähigkeiten und Kenntnisse
festgestellt.
1.3 Die Berufsfachschule für IT-Berufe
1984 wurde auf Initiative der Industrie- und Handelskammer die Berufsfachschule für Datenverarbei-
tungskaufleute gegründet. Damit reagierte man einerseits auf den wachsenden Bedarf an qualifizier-
ten Mitarbeitern in den EDV-Abteilungen, andererseits auf die mangelnde Ausbildungsbereitschaft
oder –fähigkeit der Betriebe. Mit der Neuordnung der Berufe in der sich stark entwickelnden IT-Bran-
che in Fachinformatiker – Systemintegration, Fachinformatiker-Anwendungsentwicklung, System-
kaufmann, Systemelektroniker und Informatikkaufmann entschied man sich, die Berufsfachschule
für Datenverarbeitungskaufleute umzubenennen in Berufsfachschule für IT-Berufe und künftig zwei
Ausbildungsberufe anzubieten, nämlich den Fachinformatiker-Anwendungsentwicklung und den In-
formatikkaufmann. Beide Berufe haben eine gemeinsame Basisqualifizierung. Diese umfasst neben
kaufmännischen Grundlagen Standardsoftwareschulung und Ausbildung in der ERP-Software SAP
ECC 6.00, Grundlagen der Programmierung in den Sprachen Ruby, VB, Scriptsprachen und Daten-
banken.
Die Schwerpunktausbildung bei den Fachinformatikern-Anwendungsentwicklung liegt in komplexen
Softwarelösungen mit Hilfe objektorientierter Sprachen, wie Java und C#. Informatikkaufleute sind
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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als DV-Organisatoren an der Schnittstelle von kaufmännischer Fachabteilung und IT tätig. Einsatzge-
biete sind die Planung von Hard- und Softwareeinsatz, Beratung , Schulung, Support Administration.
Mit der vertieften Schulung in SAP ECC 6.00, ergänzt durch die SAP-eigene Programmiersprache
ABAP, soll diesem Profil Rechnung getragen werden.
In beiden Berufen findet im dritten Ausbildungsjahr ein halbjähriges betriebliches Praktikum statt,
das von der Schule gelenkt wird. Im Rahmen dieses Praktikums bekommen die Schülerinnen und
Schüler eine Projektarbeit (Zeitumfang: 35 Wochenstunden bei Informatikkaufleuten, 70 Wochen-
stunden bei Fachinformatiker/innen) zugeteilt. Das Ergebnis wird im Rahmen der Abschlussprüfung
dem Prüfungsausschuss präsentiert.
1.4 Die Fachschule für Datenverarbeitung
In diese Einrichtung der beruflichen Fortbildung können Personen, die eine kaufmännische Berufs-
ausbildung und ein Jahr Berufspraxis haben. In zweijähriger Vollzeitausbildung wird Softwareent-
wicklung mit den Programmiersprachen Java, Ruby, VB und Scriptsprachen vermittelt, darüber
hinaus Datenbanken und theoretisches IT-Wissen. Im betriebswirtschaftlichen Bereich wird das
Schnittstellenwissen zu den ERP-Lösungen in Logistik, Controlling, Personal in Verbindung mit den
entsprechenden Softwaremodulen von SAP ECC 6.00 geschult.
2 Von „handgestrickten“ Softwarelösungen zu SAP ECC 6.00
Schon Mitte der achtziger Jahre wurden die Schülerinnen und Schüler mit z.T. selbst programmierten
Softwarelösungen geschult. Es folgten Schulungen für die damaligen DV-Kaufleute an der Siemens-
Software Siline und der Nixdorf-Software Comet. Diese kaufmännischen Standardsoftwareprodukte
liefen auf proprietären Rechnern mit angeschlossenen Terminals. Die erste Standardsoftwarelösung
für PC‘s war dann Taylorix, die nach wenigen Jahren von KHK abgelöst wurde. Die Mittelstandssoft-
ware KHK ist mittlerweile von SAGE übernommen worden. SAGE Classic Line wird aktuell in der Be-
rufsfachschule für Büroberufe und der Berufsfachschule für Kaufmännische Assistenten geschult.
Für die IT-Berufe versuchten wir SAP R/3 als Schulungsstandard zu realisieren. Vorweg sollten wir
allerdings zunächst die für kleinere und mittlere Unternehmen von SAP entwickelte ERP-Software
business one als Pilotschule erhalten und ein Curriculum erstellen. Zwei Kolleginnen wurden auch
bei SAP geschult und zertifiziert. Durch personelle Änderungen bei SAP kamen wir aber dann ohne
diesen Zwischenschritt in das University Alliances Programm. Jetzt waren schulinterne Probleme zu
lösen. Dazu gehörten Lehrerseinsatz, Einbindung in den Lehrplan, aber auch finanzielle Absicherung
der Kosten für das Hosting durch das HCC u.ä. Die Verhandlungen mit dem Schulträger, der Stadt
Würzburg, über die jährlich zu entrichtenden Hostinggebühren verliefen unbürokratisch schnell, so
dass wir uns vor allem über die internen Umsetzungskonzepte kümmern konnten.
ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg
165
2.1 Lehrereinsatz
Es war klar, dass die Schulung einer so mächtigen Software wie SAP eines erheblichen Aufwands
an Vorbereitung bedarf. In einer Konferenz aller Kollegen, die die kaufmännischen Fächer und bis-
her schon SAGE schulten, wurde das neue Konzept vorgestellt. Man wollte niemanden zur Mitarbeit
zwingen, sondern stellte auf Freiwilligkeit ab. Das funktionierte ausgezeichnet. Sieben Kolleginnen
und Kollegen waren bereit, SAP zu schulen. In zwei Teams unterzogen sie sich der einwöchigen Ein-
führungsschulung bei SAP in Ratingen bzw. Hamburg.
Intern bildeten sich zwei Teams, die zum einen den Bereich Logistik, der Einkaufs- und Verkaufs-
aktivitäten verbunden mit der Finanzbuchhaltung umfasst, bearbeiteten, zum anderen die Bereiche
Personal und Controlling.
Den Teams wurde zugesichert, dass sie die Module und die entsprechende Theorie auch im nächs-
ten Schuljahr unterrichten werden.
Zunächst wurde die betriebswirtschaftliche Theorie prozessorientiert geplant und auf Anforderungen
der Software ausgerichtet. Dann beschäftigten sich die Teams mit den Modulen und entwickelten
Schulungskonzepte. Dafür stand ein knappes Schuljahr als Vorlauf zur Verfügung. Während des ers-
ten Echtdurchlaufs mit den Klassen trafen sich die Teams weiterhin wöchentlich, um Erfahrungen zu
besprechen und in die Konzepte einzubauen sowie die Unterrichtsmodelle weiterzuentwickeln. Bei
besonderem Schulungsbedarf gingen einzelne Kollegen zu Schulungen nach Walldorf. Eine FiBu-
schulung erfolgte für alle Teammitglieder des Logistikteams im Hause.
2.2 Systemunterstützung durch das HCC
SAP stellt den Hochschulen und Schulen, die Im University Alliances Programm sind, die Softwarelizenz
kostenlos zur Verfügung. Gehostet wird diese Software durch die beiden Hochschulkompetenzzentren
(HCC) in Magdeburg und München. Für die Schule erfolgt der Zugriff auf die Software durch Remoteein-
wahl des Lehrers auf den entsprechenden Server des HCC. Mit seiner Kennung kann die Lehrkraft die
Software freischalten. Intern sind auf den Rechnern SAP-GUIs installiert, mit denen die Schüler dann
auf die Oberfläche der Software kommen. Dieses Verfahren ist hochstabil und Störungen sind höchst
selten. Über die zugewiesene Mandantennummer kann dann im IDES-Mandant gearbeitet werden.
2.3 Praxisbeispiel HCM (human capital management)
Die Schulung beginnt mit dem Organisationsmanagement. Zunächst machen sich die Schüler mit der
Aufbauorganisation vertraut, um dann vakante Stellen zu finden oder neue Stellen anzulegen. Dieser
Einstieg ist für den Prozess der Einstellung unabdingbar. Für eine vakante Stelle(zu besetzende Plan-
stelle) wird dann eine Stellenanzeige entworfen. Aufgrund der Anzeige (in der FAZ) bewerben sich drei
Kandidaten. Über das Bewerbermanagement werden sie erfasst . Die Entscheidung erfolgt für einen
Kandidaten; es erfolgt die Übernahme der Bewerberdaten in den Mitarbeiterstamm. Dabei geht es dann
um die Erfassung aller relevanten Daten und der Klärung, was im Personalbereich Maßnahmen sind.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
166
Schließlich werden, wenn alle abrechnungsrelevanten Daten erfasst worden sind, für den Mitarbeiter
seine Bezüge abgerechnet, der Entgeltnachweis erstellt und die Daten nach FI/CO übergeleitet. Im Rah-
men des Profilabgleichs werden Mitarbeiterentwicklung und Besetzung möglicher Stellen geprüft. Die
Theorie zu diesem Prozess liefert der BWL-Unterricht, in dem auch per Hand einige Gehaltsabrechnun-
gen erstellt werden, die dann mit den Ergebnissen der Software abgeglichen werden können.
3 ABAP
Programmieren in ABAP wird durch zwei Lehrkräfte im 2. Ausbildungsjahr bei den Informatikkaufleu-
ten mit 3 Wochenstunden unterrichtet. Ziel ist es, den Schülern tiefer gehende Kenntnisse über die
Funktion von SAP-Systemen zu vermitteln und sie zu befähigen, Anwendungsprogramme zu erstel-
len. Im Unterricht wird zunächst mit kleinen Programmen im klassischen ABAP begonnen, d.h. Ein-
gaben über Selektionsbildschirm und Ausgaben über den Listenprozessor (Write).
Durch die umständliche und aufwändige Codierung der Listenausgabe stellt sich zwangsläufig die
Frage nach moderneren Methoden und so kommen erstmals interne Tabellen und ABAP Objects
über das ALV-Objektmodell (SAP-List-Viewer) ins Spiel. Im weiteren Verlauf des Unterrichts wird
dann intensiver auf das Data Dictionary eingegangen. Neben dem Anlegen von Datenbanktabellen,
Domänen und Datenelementen geht es hierbei speziell auch darum, in ABAP aufgrund von Benutzer-
aktionen über Open SQL auf Datenbanktabellen zuzugreifen und einzelne Datensätze zu bearbeiten.
Dieser abgespeckte Dialog läuft noch über Selektionsbildschirme und ist deshalb noch mit viel Pro-
grammieraufwand verbunden. Dadurch stellt sich auch hier zwangsläufig die Frage nach effektiveren
Dialogmethoden und so erfolgt anschließend der Schritt zur echten GUI-Programmierung mit Dyn-
pros (dynamischen Programmen). Im weiteren Verlauf werden die Kenntnisse und Fertigkeiten ver-
tieft und verfestigt, z. B. durch Datenbankviews oder durch komplexe Dynpros.
4 Ausblick
Seit dem Schuljahr 2008/2009 verfügen wir über die ARIS-Lizenz. Diese Software von IDS Scheer
hilft, betriebswirtschaftliche Prozesse darzustellen und zu modellieren. Mit dem Business Architect
wird in Zukunft die Verknüpfung von Prozessen geschult.
Das Schulungskonzept wird ständig evaluiert. Durch Befragung der Schüler, Diskussion der unter-
richtenden Lehrkräfte, Tests werden Inhalte und Vorgehensweise überprüft. So legen wir vermehrt
Wert darauf, dass Prozesse, die im System stattfinden, transparent gemacht werden. Beispiel hierfür
ist die iterative Tarifermittlung. Weiterhin wird versucht, von relativ eng gesteuerten Fallstudien dahin
zu kommen, dass die Schüler ohne Pfadangabe komplexe Aufgabenstellungen lösen können.
Die Nachfrage nach unseren Absolventen, selbst in Zeiten der Krise, zeigt, dass das SAP-Umfeld
nach wie vor Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern hat und Perspektiven bietet.
Autor
Bernd Schuller, StD, stellvertretender Schulleiter des Beruflichen Schulzentrums für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg www.dv-schulen.de
167
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule
167
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen BerufsfachschuleEike Dörrer
Unternehmen legen heute sehr großen Wert auf exzellent ausgebildete Arbeitnehmer. Dabei sind
nicht nur fachspezifische und soziale Kompetenzen gefragt, sondern auch hervorragende Kenntnis-
se der komplexen betrieblichen Prozesse und der EDV-Systeme, mit denen diese abgewickelt wer-
den. Immer mehr kommen hierbei ERP-Systeme1 zum Einsatz. Einfache Bürotätigkeiten werden nicht
mehr von Personen ausgeführt, sondern sie sind in den ERP-Systemen integriert. Auf lange Sicht
verschwinden die Arbeitsplätze, die sich mit der einfachen Bedienung der EDV befassen. Auf der an-
deren Seite entstehen neue qualifizierte Arbeitsplätze im Prozessmanagement und im Controlling.
An die Mitarbeiter stellen sich so neue Anforderungen. ERP-Systeme arbeiten nicht funktional. Sie
erfassen die Geschäftsprozesse über Abteilungs- und Arbeitsplatzgrenzen hinweg. Deshalb müssen
Arbeitnehmer heute nicht mehr nur die EDV bedienen können, sondern sollen darüber hinaus ihre
Arbeitsprozesse analysieren und optimieren, denn die Unternehmen erzielen Wettbewerbsvorteile
durch effiziente Prozesse, die Kosten verringern und Durchlaufzeiten verkürzen, und nicht mehr
durch den reinen EDV-Einsatz. Diese tragen letztlich zu einer maximalen Zielerreichung bei. Damit
einhergehend ist eine Anpassung der Berufausbildung zwingend notwendig. Die funktionsorientierte
Ausbildung ist nicht mehr zukunftsfähig, denn in ihren Curricula sind die betrieblichen Prozesse
über die verschiedenen kaufmännischen Unterrichtsfächer z. B. Wirtschaftslehre, Rechnungswesen,
Bürowirtschaft sowie Betriebspraxis/Datenverarbeitung hinweg verteilt. Eine moderne Ausbildung
muss prozessorientiert und damit fächerübergreifend gestaltet sein.
Diese Diskrepanz haben wir an unserer Schule schon früh erkannt. Deshalb entschied sich unser
Kollegium vor acht Jahren mit großer Mehrheit dafür, ein prozessorientiertes Curriculum für die drei-
jährige vollzeitschulische Berufsfachschule2 zu entwickeln.
Für die Umsetzung mussten weitreichende Veränderungen an der Organisation der Schule und der
Unterrichtsgestaltung vorgenommen werden.
1 Enterprise Ressource Planning bezeichnet eine komplexe Unternehmenssoftware, die den Einsatz der in einem Un-
ternehmen vorhandenen Ressourcen (Kapital, Betriebsmittel oder Personal) möglichst effizient für den betrieblichen
Ablauf plant und zu deren Realisierung beiträgt.
2 Das Oberstufenzentrum vermittelte im Rahmen der dreijährigen vollzeitschulischen Berufsfachschule die Ausbil-
dungsberufe Bürokaufmann/-frau und Kaufmann/-frau für Bürokommunikation. Heute ist aufgrund der Spezialisie-
rung noch der Ausbildungsgang Assistent für Unternehmenssoftware (ERP) hinzugekommen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
168168
Zunächst wurde für die Erarbeitung des prozessorientierten Curriculums eine Curriculumsgruppe
aus Mitgliedern des Kollegiums und der Schulleitung gebildet. Die Gruppe nahm die betrieblichen
Prozesse auf und beschrieb sie in Lernsituationen. Die für das Verständnis der jeweiligen Geschäfts-
prozesse notwendigen fachlichen Inhalte wurden den Lernsituationen zugeordnet.
Das gesamte Kollegium als ein Team
Im zweiten Schritt wurden sämtliche im vollzeitschulischen Bereich tätigen Lehrkräfte zu Teams
mit zwei oder drei Lehrkräften zusammengestellt. Jedes Team war in der Lage die kaufmännischen
Kernfächer zur Abbildung der Prozesse durch Fakultas oder durch die Unterrichtserfahrungen der
Kollegen abzudecken. Termine für wöchentliche Teamsitzungen wurden fest im Stundenplan einge-
plant. So bestand die Möglichkeit, Absprachen zu tätigen und neue prozessorientierte Materialien
zu erstellen.
Alle Teams eines Ausbildungsjahrganges trafen sich zusätzlich anfangs wöchentlich, später im Ab-
stand von 14 Tagen. Sie tauschten sich über ihre Unterrichtserfahrung aus, besprachen das weite-
re Vorgehen und gaben wichtige Hinweise für die Curriculumsgruppe. In allen Teams wurden dabei
auch stets Unterrichtsmaterialien zur Umsetzung des Unterrichtes entwickelt und in die dafür eigens
geschaffene digitale Bibliothek gelegt, auf die alle Lehrer des Hauses Zugriff haben. So wurde eine
effiziente Arbeitsweise kreiert, die genügend Freiraum für die konstruktive Entwicklung von Unter-
richt ließ. Diese Treffen waren für alle Kollegen Pflicht.
Innerhalb eines Bildungsganges trafen sich darüber hinaus alle Kollegen jedes halbe Jahr in der Bil-
dungsgangkonferenz.
Abb. 1: Teambildung an unserer Schule
169
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule
169
Prozessorientierung, Fächerintegration und Modellunternehmen
Eine vollzeitschulische Ausbildung hat nicht nur die Aufgabe, die theoretischen Inhalte der Aus-
bildung zu vermitteln, sondern sie muss auch den betrieblichen Teil der Ausbildung in der Schule
abdecken. Dazu müssen die betrieblichen Prozesse in der Schule praktisch umgesetzt, theoretisch
reflektiert, ergänzt und vertieft werden. Dies kann im Rahmen der Simulation eines Modellunterneh-
mens effektiv geschehen. Die Prozessorientierung und die Vermittlung im Rahmen eines Modellun-
ternehmens führte zu der dritten wesentlichen Veränderung an unserer Schule, der Zusammenfas-
sung von Unterrichtsfächern zu curricularen Bereichen.
Das Zentrum der beruflichen Ausbildung bilden heute die beiden Bereiche „Lernen im Modellunter-
nehmen (LiM)“ und „Lernen am Modellunternehmen (LaM)“. Grundlage für das Vorgehen in LiM und
LaM bilden die Lernsituationen (Handlungssituationen).
Die Einheit LiM hat die Aufgabe, die betrieblichen Prozesse in der Schule praktisch umzusetzen. Sie
findet im Lernbüro statt. Alle Schüler arbeiten in einem Modellunternehmen. Die dort ablaufenden
Prozesse werden parallel im Bereich LaM betrachtet. Der Bereich LaM vermittelt die für das Ver-
ständnis notwendigen theoretischen Inhalte, die wiederum für das weitere Arbeiten im Bereich LiM
benötigt werden. Beide Bereiche sind somit untrennbar miteinander verbunden. Unterrichtsinhalte
werden auf diese Weise besser veranschaulicht und können von den Schülern kognitiv optimal ver-
ankert werden.
Über LiM und LaM hinaus gibt es Inhalte, die mit ihnen über die Lernsituationen und die darin be-
schriebenen Prozesse verbunden sind.
Die bei einer fächerorientierten Ausbildung durch die Schüler vorzunehmenden Transferleistungen
zwischen den einzelnen Unterrichtsfächern müssen bei einer prozessorientierten Vermittlung nicht
mehr erfolgen. Dies erleichtert erheblich den Lernprozess und verbessert damit die Lernerfolge. Das
gesamte Konzept zeigt die Abbildung 2.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
170170
Lernen im
Modell-unternehmen
LS 1
LS 2
Lernen am
Modell-unternehmen
Wirtschaft und
Gesellschaft
Sprache und
Kommunika-tion
Sport und
Kurse WP
LS 3
LS 4 LS 4
LS 5
BP/DV
TV
WL (Teile)
ReWe
Bürowirtsch.
WiMathe
SOZ
WL
D EN
Lehrer
Abb. 2: Das curriculare Grundkonzept: Bereichsübergreifende Lernsituationen (LS) verbinden die
curricularen Bereiche miteinander. Diese sind zuvor aus den ursprünglichen Fächern gebil-
det worden.
Spiraligkeit und Kompetenzen
Ein weiteres Problem bei der Vermittlung von betrieblichen Prozessen ist deren Komplexität und
Vielfältigkeit. Didaktisch müssen die Prozesse im Unterricht umgesetzt werden, ohne sich bei jedem
Prozessteilschritt in der Fachsystematik zu verlieren. Dies würde den Prozess als Ganzes für den
Schüler nicht mehr sichtbar und damit unverständlich machen. Deshalb wurden die in den Lernsitu-
ationen beschriebenen Prozesse spiralig angeordnet, die Lernsituationen in Schichten unterteilt, die
nacheinander im Unterricht vermittelt werden. So entwickeln sich die Prozesse und werden im Laufe
der Ausbildungszeit komplettiert.3 Gleichzeitig wiederholen sie sich und werden unter verschiedenen
inhaltlichen Aspekten sowie auf einem jeweils höheren Niveau betrachtet. Grundsätzlich werden die
Lernsituationen also nicht als in sich geschlossene Themenbereiche beschrieben. Hier unterscheidet
sich unser Curriculum von einer Lernfeldkonzeption.
3 Ein Beispiel hierzu zeigen die Abbildungen 3 und 4.
171
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule
171
Lernsituation 5 (Schicht 1) Wir lernen die zentralen Absatz- und Beschaffungsprozesse unter Berücksichtigung von Skonti und Rabatten planen, durchführen und kontrollieren Arbeitsprozess
Warenbeschaffung erforderlich
Zahlungsausg. Re.-Eing. Wareneingang Bestellung Angebot Anfrage Bestellanf.
Zahlungseing. Re.-Ausg. Warenausg. Kommission. Auftragsbest. Auftrag
Abb. 3: Die Schicht 1 der Lernsituation 5. Sie wird zu Beginn der Lernsituation behandelt. Dabei wird
lediglich auf die Bearbeitung des Kundenauftrages ohne Bestellung eingegangen.
Lernsituation 5 (Schicht 2)
Warenbeschaffung erforderlich
Zahlungsausg. Re.-Eing. Wareneingang Bestellung Angebot Anfrage Bestellanf.
Zahlungseing. Re.-Ausg. Warenausg. Kommission. Auftragsbest. Auftrag
Lernsituation 5 (Schicht 3)
Warenbeschaffung erforderlich
Zahlungsausg. Re.-Eing. Wareneingang Bestellung Angebot Anfrage Bestellanf.
Zahlungseing. Re.-Ausg. Warenausg. Kommission. Auftragsbest. Auftrag
Abb. 4: In den Schichten 2 und 3 der Lernsituation 5 werden nur die dunkel hervorgehobenen
Prozessschritte des gesamten Prozesses behandelt. Auch nach der Lernsituation sind noch
nicht alle Schritte betrachtet worden. Dies geschieht in folgenden Lernsituationen zu späte-
ren Zeitpunkten.
Vorgehen in der Ausbildung – Einsatz eines ERP-Systems
Nicht nur die Prozessorientierung selbst spielt heute für eine moderne Ausbildung eine Rolle, son-
dern auch die Instrumente, mit deren Hilfe die Prozesse und ihre Verarbeitung vermittelt werden. Wir
entschieden uns, im ersten Ausbildungsjahr zunächst die Absatz- und Beschaffungsprozesse mit
einfachen Materialien und unter Einsatz von Standardsoftware zu vermitteln. Die Schüler arbeiten in
arbeitsgleichen Filialen des Modellunternehmens, der Simulation eines Großhandelsunternehmens.
Die Rolle der Lieferanten, Kunden und Banken (Außenbeziehungen) übernehmen die unterrichtenden
Lehrer. Sie steuern die zu bearbeitenden Prozesse und rufen kontrolliert Störungen hervor, die die
Auszubildenden meistern müssen. Hierfür verwenden sie eine eigens dafür entwickelte Datenbank
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
172172
unserer Schule (Lehrersteuerung). Am Ende einer Arbeitsrunde müssen die Schüler eine Kurzfristi-
ge Erfolgsrechnung erstellen, diese im Plenum vorstellen und strategische Vorgehensweisen für ihre
weitere Tätigkeit erarbeiten.
Zu Beginn des zweiten Ausbildungsjahres wird auf die Gestaltung und Optimierung der Prozesse
und deren unternehmerische Bedeutung eingegangen. Mit Hilfe der GPM/GPO4-Software ARIS wer-
den Systembrüche, Doppelfunktionen und Anwenderbrüche festgestellt und Prozessoptimierungen
diskutiert.
Außerdem arbeiten die Schüler mit einem ERP-System. Die ERP-Prozesse der Funktionsbereiche
Beschaffung und Vertrieb, die zunächst vermittelt werden, werden mit den zuvor kennen gelern-
ten Prozessen des ersten Ausbildungsjahres verglichen. So werden Rationalisierungspotenziale der
ERP-Systeme aufgedeckt und die Entwicklung zukünftiger Bürotätigkeiten aufgezeigt. Im Laufe des
zweiten Jahres kommen die Personalprozesse hinzu. Das Modellunternehmen wird abteilungsge-
gliedert strukturiert. In allen Bereichen des Modellunternehmens wird jetzt mit einem ERP-System
gearbeitet.
Im dritten Ausbildungsjahr werden die Produktionsprozesse abgebildet und integriert. Das Modell-
unternehmen erhält einen zentralen Einkauf und wird in ein Goßhandels- und Industrieunternehmen
verwandelt. Auch diese Prozesse werden mit dem ERP-System bearbeitet.
Durch den spiraligen Aufbau des Modellunternehmens über die Ausbildungsjahre hinweg, werden
mit zeitlichen Abständen die Schüler immer wieder zur Analyse und Optimierung von Prozessen
angehalten. Sie werden für die Bedeutung dieser im betrieblichen Bereich sensibilisiert und lernen,
Prozesse und deren Schwachstellen zu erkennen und Optimierungsvorschläge zu erarbeiten. Diese
Fähigkeiten zählen heute zu den wesentlichen Kompetenzen, die eine berufliche Ausbildung hervor-
bringen sollte.
Bei der Wahl eines ERP-Systems wählten wir das ERP-System SAP® ERP der SAP® AG aus. Es bietet
gegenüber anderen den großen Vorteil, dass die mit ihm bearbeiteten Prozesse für den Anwender
vollständig sichtbar und damit nachvollziehbar bleiben. Außerdem handelt es sich um ein prozess-
und betriebswirtschaftlich orientiertes System, das nicht aus der Buchhaltung heraus entwickelt
worden ist. Dadurch ist es möglich, die kaufmännischen Inhalte unter Einsatz des ERP-Systems zu
vermitteln. Ziel ist es nicht, den Schülern die Handhabung des ERP-Systems zu lehren. Sie sollen
vielmehr die Verarbeitung der kaufmännischen Inhalte anhand eines solchen Systems kennen ler-
nen. Das ERP-System wird damit zu einem Unterrichtsinstrument, wie auch Arbeitsblätter eines sind.
4 Unter einer GPM/GPO-Software werden Programme verstanden, die betriebliche Prozesse digital abbilden und ana-
lysieren. Sie finden in der Praxis heute vor allem in Großunternehmen vermehrt Einsatz.
173
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule
173
ERP-Systeme Pro und Contra für den unterrichtlichen Einsatz
im Rahmen einer Berufsausbildung
ERP-Systeme werden für real existierende Unternehmen entwickelt. Sie bilden die wirklichen Pro-
zesse von Unternehmen ab, werden stetig weiter entwickelt und sind in Bezug auf die Praxis immer
auf einem aktuellen Stand. Durch den Einsatz im Unterricht wird damit die Aktualität und Relevanz
der vermittelten Inhalte für Unternehmen gewährleistet. Die Qualität der Ausbildung bleibt gleichblei-
bend hoch.
Um mit einem ERP-System arbeiten zu können, muss der Schüler ein Grundverständnis für die Struk-
tur eines solchen Systems entwickeln. Er muss z. B. erkennen, dass Stammdaten5 die Basis jeglicher
kaufmännischer Tätigkeit bilden. Diese wurden früher an verschiedenen Stellen wie z. B. Karteien,
Listen u. ä. erfasst. In einem ERP-System liegen sie zusammen gefasst an einem zentralen Ort, auf
den von jedem beliebigen Bereich innerhalb des Systems zugegriffen werden kann. Es kommt so zur
Vermeidung von Redundanzen und den daraus resultierenden Fehl- und Mehrfacherfassungen bei
Stammdaten.
Mit einem ERP-System können die Zusammenhänge von Organisations-, Stamm-, und Bewegungs-
daten und die Integration verschiedener Unternehmensbereiche für Schüler abgebildet werden.
So werden beim Anlegen eines Kundenauftrages automatisch auf die Materialstammdaten für den
vom Kunden bestellten Artikel und auf die Kundenstammdaten zugegriffen. Sie müssen nicht mehr
separat erfasst werden. Parallel wird der Kundenauftrag durch die organisatorische Zuordnung des
Kunden und des Materials in ihren Stammdaten automatisch dem entsprechenden Unternehmens-
bereich z. B. einem Tochterunternehmen zugeordnet. Damit wird die Steuerung und Analyse aller
unternehmerischen Bereiche entsprechend des realen Unternehmensaufbaus innerhalb kürzester
Zeiten möglich. Wird z. B. der Terminauftrag durch innerbetrieblichen Transport, Kommissionierung,
Warenausgang, Rechnungsausgang und Zahlungseingang bearbeitet, so kann die Integration der
betrieblichen Bereiche eines Unternehmens aufgezeigt werden. So ruft der Warenausgang nicht nur
eine Dokumentation im Logistik-Bereich des Lagers hervor, sondern es wird gleichzeitig vom System
automatisch eine Buchung sowohl im Bereich der Finanzbuchhaltung als auch im Bereich des Con-
trollings vorgenommen. Diese und andere betriebliche Integrationen können den Schülern mit den
herkömmlichen Unterrichtsmitteln und einem fachspezifischen Vorgehen nicht vermittelt werden.
Noch deutlicher werden die integrativen Geschäftsprozesse im Bereich Produktion. Wird z. B. ein
Kundenauftrag im Bereich Vertrieb angelegt, der sich auf ein Fertigerzeugnis bezieht, so wird auto-
matisch ein Bedarf erzeugt. Für den Fall, dass der aktuelle Lagerbestand des Artikels nicht ausreicht,
5 Stammdaten sind alle Daten, die ein Unternehmen zur Bearbeitung von betrieblichen Prozessen benötigt, die sich im
Zeitablauf nicht oder nur sehr langfristig ändern. Zu ihnen gehören z. B. Kunden- und Lieferantendaten wie Adresse
und Ansprechpartner, Artikeldaten wie Bezeichnung, Größe oder Lagerbedingungen sowie Personaldaten wie Mitar-
beiteradresse, Daten zu Ehepartner und Kinderanzahl.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
174174
um diesen zu bedienen, kann ein Fertigungsauftrag im Bereich Produktion angelegt werden.6 Zu die-
sem Auftrag kann jetzt geprüft werden, ob alle Materialien, die für die Herstellung benötigt werden,
vorhanden sind. Dazu greift das System auf das Stammdatum der Stückliste7 zurück. Die Stückliste
des Fertigerzeugnisses wurde automatisch beim Anlegen des Fertigungsauftrages diesem zuge-
ordnet. Nach Anstoß der Materialverfügbarkeit zeigt eine Fehlteileliste dem Mitarbeiter daraufhin
alle Materialien, die zu beschaffen sind. Nun kann der Bereich Einkauf diese bestellen. Vom Ferti-
gungsauftrag aus wird aber auch überprüft, ob alle notwendigen Kapazitäten für die Herstellung
vorhanden sind. Entnommen werden die Informationen dazu den Stammdaten „Arbeitsplan“ und
„Arbeitsplatz“. Es werden die Kapazitäten von Personal und Maschinen für die einzelnen Produk-
tionsvorgänge ermittelt und mit den für den Fertigungsauftrag notwendigen verglichen. So müssen
eventuell Entscheidungen zum Personaleinsatz für diese Produktion getroffen werden oder zum
Maschinenbestand. Und zu guter Letzt prüft das System auch, ob die Kosten, die durch den Ferti-
gungsauftrag verursacht werden, ermittelt werden können. Die Stammdaten hierfür liegen im Rech-
nungswesen Bereich Controlling. Sie haben einen Einfluss auf die Ermittlung des Ergebnisses des
Fertigungsauftrages und damit auf die Kalkulation des Verkaufspreises für den zugrunde liegenden
Kundenauftrag. Ein Fertigungsauftrag ist somit immer integrativ mit den wesentlichen Funktionsbe-
reichen eines Unternehmens verbunden und hat deshalb weit reichende Auswirkungen auf betrieb-
liche Entscheidungen.
Schüler können also mit Hilfe von ERP-Systemen nicht nur die Handhabung dieser erlernen. An-
hand der Abbildung von realen Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozessen können u. a. die
Bedeutung von Aufbau- und Ablauforganisation, die Zusammenhänge betrieblicher Bereiche, die
Steuerung der betrieblichen Prozesse und deren Auswirkungen auf betriebliche Bereiche und das
Betriebsergebnis vermittelt werden. Somit zeigen ERP-Systeme die wesentlichen kaufmännischen
Inhalte einer Ausbildung so auf, dass sie von den Schülern besser verstanden und somit besser er-
lernt werden können.
Ein großer Nachteil des Einsatzes von ERP-Systemen in der beruflichen Ausbildung ist deren Kom-
plexität. Hierdurch muss einerseits viel Unterrichtszeit für die Vermittlung investiert werden, ande-
rerseits müssen auch die Pädagogen sowohl didaktisch als auch inhaltlich an solchen Systemen
geschult werden. Weiterhin müssen passende Unterrichtsmaterialien entwickelt werden. Dies ist mit
Kosten und einem hohen Zeitaufwand für die Schule verbunden. Wir haben in den letzten Jahren 70
unserer Kollegen in Schulungen über mehrere Wochen hinweg am System ausgebildet, sodass es
uns gelungen ist, in alle vollzeitschulischen Bildungsgängen Schüler am System ausbilden zu kön-
nen.
6 Das Vorgehen mit einer automatischen Disposition soll hier nicht näher erläutert werden.
7 Bei einer Stückliste handelt es sich um eine Liste aller Materialien mit den dazugehörenden Mengen, die zur Herstel-
lung des Artikels notwendig sind. Eine Stückliste bezieht sich dabei immer auf eine bestimmte Herstellungsmenge
z. B. 1 Stück.
175
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule
175
Ein weiterer Faktor ist die Ausstattung der Schule mit genügend Rechnerkapazitäten und die An-
schaffung des ERP-Systems, die unter Verzicht auf andere Unterrichtsmittel aus dem Schulhaushalt
finanziert werden müssen.
Grundsätzlich muss sich eine Schule hierzu vor Beginn der Arbeit mit einem ERP-System Gedanken
machen und Entscheidungen zur Umsetzung treffen.
Die Lernplattform erp4school
Für die Vermittlung kaufmännischer Inhalte mit einem ERP-System ist es notwendig, neue didakti-
sche Modelle und dazugehörige Unterrichtsmaterialien zu kreieren. Wir haben für unseren eigenen
Unterricht die Lernplattform erp4school entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine Ansammlung von
Szenarien, die betriebliche Situationen aufgreifen und so beschreiben, dass ein Problem und dessen
Lösung unter Einsatz des ERP-Systems erarbeitet wird. Die Szenarien werden über das Internet bzw.
Intranet für den Unterricht bereitgestellt.
Inhaltlich orientiert sich die Plattform nicht an der Vermittlung des Umgangs mit dem ERP-System.
Die Schüler sollen die kaufmännischen Inhalte unter Einsatz der Software erlernen. Die Lernplattform
enthält Lernsituationen, die betriebliche Situationen eines Modellunternehmens beschreiben, dazu-
gehörige Steueraufgaben, die die Auszubildenden zur Lösung des Problems führen. So bewegen sie
sich dabei nicht ausschließlich im ausführenden Bereich, sondern sie analysieren betriebliche Zu-
stände wie Beschaffungs- und Absatzsituationen eines Modellunternehmens, führen dazugehörige
Planungen durch, setzen diese praktisch um und analysieren anschließend die Ergebnisse. Aufgrund
dieser treffen sie strategische Entscheidungen bezüglich der weiteren Vorgehensweise im Modell-
unternehmen. Damit bewegen sich die Auszubildenden in den Ebenen des operativen Managements
bis hin zum strategischen Management. Diese Ebenen sind bei der herkömmlichen Arbeitsweise der
Vermittlung von EDV im Unterricht bisher nicht erreicht worden. Die Lernplattform verfolgt also einen
systemisch ganzheitlichen Ansatz, der den Schülern den Sinn und die Folgen ihrer Tätigkeiten aufzei-
gen soll. Fehler sind dabei grundsätzlich erwünscht. Hier unterscheidet sich unser Vorgehen von dem
der Ausbildungsbetriebe, die stets Fehlervermeidung von den Schülern verlangen.
Die Szenarien unterteilen sich in Erkundungs- und Eingabeszenarien, die nach einzelnen betriebli-
chen Bereichen z. B. Einkauf, Verkauf, Produktion gegliedert sind. Die Prozesse werden anhand der
Events (Belege und Arbeitsschritte) des SAP-Systems abgebildet. Ziel der Erkundung, mit der im Un-
terricht begonnen wird, ist neben der Vermittlung kaufmännischer Grundlagen und deren Abbildung
im System das Kennenlernen des ERP-Systems. Bei der anschließenden Eingabe erlernen die Schü-
ler vor allem die kaufmännischen Konsequenzen ihres Handelns. Am Ende der Szenarien werden die
zuvor getrennten Bereiche wieder zusammen geführt und die Prozesse z. B. Einkauf – Produktion
– Verkauf - Controlling miteinander verbunden. Dadurch können die Schüler die Integration von Ge-
schäftsprozessen kennen lernen und Schlüsse zur Gestalt ihrer zukünftigen Arbeit ziehen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
176176
Das Projekt erp4school
Standardmäßig stellt die SAP AG für Schulungszwecke den IDES-Mandanten8 zur Verfügung. Dieser
ist sehr komplex und mit einer großen Datenmasse angefüllt. Damit ist er für Schulen nicht einsetzbar,
sondern genügt lediglich für Unternehmen oder für Universitäten und Fachhochschulen. Deshalb ha-
ben wir zur Plattform erp4school mit Unterstützung durch das SAP® University Alliances Programm
einen eigenen Standardmandanten entwickelt. Er enthält im Gegensatz zum IDES-Mandanten kei-
nerlei Daten und ist auf die für Schulen notwendigen Einstellungsmöglichkeiten beschränkt worden.
So können die Daten einer Klasse ausgewertet werden, ohne dass sie durch Daten anderer beein-
flusst werden. Außerdem kann der Mandant mit allen Customizingeinstellungen kopiert werden. Bei
einem Release-Wechsel der Software bleiben alle eingepflegten Daten erhalten. Dadurch wird sein
Pflegeaufwand auf ein für Schulen handhabbares Maß minimiert.
Diesen Mandanten inklusive der Lernplattform stellen wir bundesweit auch anderen Schulen zur Ver-
fügung. Sie erhalten dazu einen inhaltlichen Support durch unsere Schülerfirma supERP.
Entwicklungen und Aussichten
Das Arbeiten in Kollegenteams hat sich über alle Jahre hinweg bewährt und existiert auch heute noch
in seiner ursprünglichen Form. Die curriculare Arbeitsgruppe wurde nach der Fertigstellung des Cur-
riculums aufgelöst. Die Weiterentwicklung des Curriculums wurde an die Jahrgangsleiter übergeben.
Die Kollegen eines Jahrganges eines Bildungszweiges treffen sich heute noch in einem 4-wöchigem
Rhythmus. Hinzugekommen sind jahrgangsübergreifende Arbeitsgruppen, die die Weiterentwick-
lung der Lernsituationen vorantreiben. Sie treffen sich ebenfalls in einem 4-wöchigen Rhythmus. Je-
der Kollege aus den Jahrgängen und Bildungszweigen wurde einer jahrgangsübergreifenden Gruppe
zugeordnet. Ziel dieser Veränderung war die Vermeidung des Auseinanderdriftens der Jahrgänge.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppen geben die erarbeiteten Konzeptionen in den Treffen der Jahrgän-
ge an die Kollegen weiter. So wird die einheitliche Umsetzung des Curriculums über die Jahrgänge
hinweg gesichert. Ebenfalls erhalten geblieben sind die halbjährlichen Treffen zu einer Bildungsgang-
konferenz. Die heutige Struktur wird in der Abbildung 5 dargestellt.
8 Ein IDES-Mandant ist ein Mandant, der die Modellfirma „International Demonstration and Education System“ abbil-
det. Dabei handelt es sich um die Simulation eines Konzernunternehmens mit mehreren Tochterunternehmen. Die
SAP AG pflegt das Modellunternehmen, um einerseits beim Kunden die Funktionalitäten des Systems zeigen zu kön-
nen und andererseits Personen z. B. Mitarbeiter v. Kundenunternehmen, Studenten am System schulen zu können,
ohne im Echtsystem arbeiten zu müssen.
177
Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule
177
Abb. 5: Teambildung 2009
Obwohl die Curriculumsgruppe aufgelöst worden ist, muss das Curriculum noch in eine kompetenz-
orientierte Form gebracht werden. Bisher ist dies nur teilweise geschehen. Ohne Kompetenzen ist es
für den Einsatz im Unterricht nicht klar genug und nicht evaluierbar. Häufig wissen Kollegen nicht, wie
tief ein bestimmter Unterrichtsstoff behandelt werden soll. Hier wird in den folgenden Jahren noch
viel Arbeit auf uns zukommen.
Für die Findung von Kompetenzen greifen wir auf die Darlegungen von Prof. T. Tramm zurück.9 An-
statt im Curriculum inhaltliche Festlegungen durch Lernziele im Sinne von „die Schüler sollen kön-
nen“, stellen wir die Frage „Warum sollen die Schüler eine bestimmte Fähigkeit erlernen, Tätigkeiten
ausführen oder Inhalte darlegen können? Wofür benötigen die Schüler diese Kenntnisse?“ Damit
gelangen wir zu einer anderen Beschreibung der Unterrichtsziele und müssen das Vorgehen im Un-
terricht ändern. Um eine stetige Kompetenzsteigerung zu erreichen sowie kontrolliert und dauerhaft
im Unterricht zu verfolgen, werden die Kompetenzen Kompetenzdimensionen zugeordnet. Die Di-
mensionen beschreiben nach Ablauf der drei Ausbildungsjahre den zu erreichenden Bildungsstand
des Auszubildenden.
Damit wir diesen angestrebten Bildungsstand zum Ende der Ausbildung konstant auf einem dauer-
haft hohen Niveau erhalten können, führen wir nach wie vor Schulungen für unsere Kollegen durch.
Besonders für neue Kollegen ist unsere Vorgehensweise eine Umstellung. Nicht nur das fächerüber-
greifende Vorgehen ist häufig ungewohnt, sondern auch der Unterricht mit einem ERP-System. Die-
ser stellt aufgrund seiner Komplexität für viele Lehrer eine Herausforderung dar. Das Aufzeigen der
9 Die Umsetzung eines kompetenzorientierten Curriculums ist derzeit in Arbeit. Wir werden dabei vom Institut für Be-
rufs- und Wirtschaftspädagogik in Hamburg (Professor T. Tramm) unterstützt.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
178178
integrativen Geschäftsprozesse in Verbindung mit den kaufmännischen Inhalten erfordert nicht nur
Kenntnisse in mehreren Unterrichtsfächern, sondern auch Kenntnisse im Umgang mit der EDV. Die-
se Qualifikationen bringen heute nur wenige Kollegen in die Schule mit. Es ist daher für die Hinwen-
dung zu einer prozessorientierten Lehre notwendig, bereits an den Hochschulen und Universitäten
die Kollegen daraufhin auszubilden. Auch ist zu überlegen, ob die strikte funktionale Orientierung im
Studium für zukünftige Berufsschullehrer weiterhin sinnvoll ist. Eine weitere Möglichkeit für eine Vor-
bildung wäre die Integration der prozessorientierten und fächerübergreifenden Unterrichtsmethodik
und die Didaktik der ERP-Systeme in die Referendarsausbildung. Aber auch dafür muss die Referen-
darsausbildung vollständig auf den Prüfstand gestellt werden. In ihrer heutigen Form führt sie nicht
mehr zu Kollegen, die von Anfang an vollständig in der gewünschten Form eingesetzt werden kön-
nen. Derzeit müssen wir alle neuen Kollegen zu Beginn ihrer Arbeit schulen.
Beide Bereiche der Lehrerausbildung, Studium und Referendariat, müssen also vor dem Hintergrund
der dauerhaften Integration von Prozessen und dem Einsatz von ERP-Systemen in der Lehre neu
überdacht werden.
Insgesamt betrachtet, haben wir in unserer Schule bis heute schon viel bewegt und verändert, doch
wir haben immer noch nicht alles umsetzen können, was wir umsetzen wollen. Es bleibt noch eine
Menge zu tun.
Autor
Dörrer, Eike; StR; komm. Leiterin des Fachbereiches ERP; Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen; Abteilung I; Mandelstraße 6-8; D-10409 Berlin; Mail: [email protected]
179
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
179
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
Bernd Strahler
Als Mitte der 1990er Jahre die IT-Berufe eingerichtet wurden, die von Vielen noch heute als die „neu-
en“ IT-Berufe bezeichnet werden, wurde der curriculare Ansatz einer lernfeldorientierten Didaktik
gerade erst von der Kultusministerkonferenz (KMK) als Leitlinie verabschiedet. Die Berufsbilder der
IT-Berufe, also der IT-Systemelektronikerin/des IT-Systemelektronikers, der Fachinformatikerin/des
Fachinformatikers, der Informatikkauffrau/des Informatikkaufmanns und der IT-Systemkauffrau/des
IT-Systemkaufmanns, haben in den berufsbildenden Schulen zu völlig neuen Formen der Zusam-
menarbeit zwischen ehemals „gewerblichen“ und „kaufmännischen“ Lehrkräften geführt. Vielerorts
wurden die Berufe IT-Systemelektroniker und Fachinformatiker von gewerblich orientierten Schulen
zugeordnet, während an den kaufmännischen Schulen die „kaufmännischen“ IT-Berufe beschult
werden. Die Zusammenarbeit dieser berufsbildenden Schultypen gestaltete sich nicht immer ein-
fach, sind unterschiedliche, historisch-didaktische Grundlinien erkennbar. Als Beispiel kann die Dis-
kussion um die didaktische Gewichtung der Begriffe „Arbeitsprozess“ oder „Geschäftsprozess“ be-
trachtet werden (nach Tramm 2003 oder Rebmann/Schlömer 2009).
Die Multi-Media Berufsbildenden Schulen in Hannover
In Niedersachsen wurde im Jahr 2001 aus drei anderen Schulen eine neue Schule geschaffen, die die
Zusammenarbeit der gewerblichen und der kaufmännischen Lehrkräfte zum integralen Bestandteil
der curricularen Arbeit hatte und organisatorisch unter einem Dach alle IT-Berufe, Medienberufe und
einschlägiger Vollzeitschulen in der Region Hannover vereint hat. Diese Multi-Media Berufsbildende
Schulen (MMBBS) in Hannover haben aufgrund ihrer Größe und inhaltlichen Ausrichtung wie kaum
andere berufsbildenden Schulen die Chance und Aufgabe, neue Wege in der curricularen Umsetzung
der IT-Berufe zu gehen. Die Teilnahme am landesweiten Schulversuch „ProReKo“, in dem ein neues
Steuerungsmodell und die Etablierung eines Globalbudgets für die Schule umgesetzt worden ist, hat
diese Arbeit befördert und entscheidende Rahmenbedingungen gesetzt.
Die Rahmenlehrpläne der KMK sind über alle IT-Berufe nach der Bezeichnung identisch, unterschei-
den sich aber dennoch stark in der Gewichtung nach Unterrichtsstunden und in der inhaltlichen Aus-
richtung. Aus diesem Grund werden an der MMBBS überwiegend „sortenreine“ Klassen der jeweili-
gen IT-Berufe geführt.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
180180
Schulische Lernfelder
Für den Beruf IT-Systemkauffrau/-mann stellt sich die Verteilung der Lernfelder nach dem Rahmen-
lehrplan der KMK und den gültigen Stundentafeln des Landes Niedersachsen wie folgt dar:
Berufsbezogener BereichLern-
felderBezeichnung 1. AJ 2. AJ 3. AJ
Stun-
den
1 Der Betrieb und sein Umfeld 20 20
2 Geschäftsprozesse und betriebliche Organisation 80 80
3 Informationsquellen und Arbeitsmethoden 40 40
4 Einfache IT-Systeme 80 80
5 Fachliches Englisch 20 20 20 60
6 Entwickeln und Bereitstellen von Anwendungssystemen 80 80 80 240
7 Vernetzte lT-Systeme 60 40 100
8 Markt und Kundenorientierung 40 60 100
9 Öffentliche Netze, Dienste 40 40
10 Betreuung von lT-Systemen 40 40
11 Rechnungswesen und Controlling 40 40 80
Berufsspezifischer Unterricht 320 280 280 880
Deutsch 40 40 40 120
Politik 60 60 60 180
Kurssystem 100 80 80 260
200 180 180 560
1440
Tab. 1:
Die Lehrkräfte an der MMBBS haben gemeinsame Arbeitspläne erstellt, die die Beschulung der IT-
Berufe in einem Blocksystem umsetzen.
Didaktische Arbeitspläne für die IT-Berufe an der MMBBS
In jedem Ausbildungsjahr werden drei Module erarbeitet mit zunehmender Komplexität, ansteigen-
den Kompetenzanforderungen und wachsendem Kompetenzstand. Hier sei exemplarisch die Modul-
übersicht für den Beruf IT-Systemkauffrau/-mann dargestellt.
181
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
181
Aus
bildungs
jahr
Mo-
dulBezeichnung
Angesprochene
Lernfelder
1
1 In Ausbildung und Beruf orientieren1,2,4,
5 (integrativ)
2Geschäftsprozess: Ein Standard-IT-System im Kundenauf-
trag zusammenstellen und konfigurieren
1,2,
3 (integrativ)
4,
5 (integrativ),
6
3Geschäftsprozess: Die Fremdbeschaffung von Standard-IT-
Systemen planen, durchführen und kontrollieren
1,2,
3 (integrativ)
4,
5 (integrativ),
6
2
4
Geschäftsprozess: Werteströme und Werte erfassen und
dokumentieren: Anwendung einer praxisgerechten ERP-
Software
5 (integrativ),
6, 8
5 Geschäftsprozess: Kundengerecht IT-Systeme planen5 (integrativ),
6, 7, 8, 9
6
Geschäftsprozess:
Kundengerechte Erstellung und Übergabe von
IT-Systemen
5 (integrativ),
6, 7, 8, 9
3
7Geschäftsprozess: Entwicklung von Anwendungssystemen
planen, durchführen und übergeben
5 (integrativ),
6, 7, 10,11
8 Geschäftsprozess: Vermarktung von IT-Systemen managen5 (integrativ),
6, 8, 10,11
9Abschlussprojekt: E-Business-System im Kundenauftrag
planen, entwickeln und kontrollieren
5 (integrativ),
6, 7, 8, 10,11Tab. 2:
Bei der Gestaltung der Arbeitspläne ist eine Geschäftsprozessorientierung als didaktisches Pla-
nungsprinzip angestrebt worden. Die Lernfelder nach KMK werden dabei von übergreifenden Mo-
dulthemen organisatorisch und inhaltlich zusammengefasst.
Verbindung von Lernfeldern über Geschäftsprozesse
Geschäftsprozess 1
LF 10 LF 1 LF 2 LF 3 LF 4 … … LF 9 LF 11
Geschäftsprozess 2
Abb. 1: Lernfeldübergreifende Geschäftsprozesse
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
182182
Beispielsweise kann der „Geschäftsprozess: Die Fremdbeschaffung von Standard-IT-Systemen pla-
nen, durchführen und kontrollieren“ im Modul 3 folgende Lernfelder berühren:
Lernfeld Bezeichnung
1 Der Betrieb und sein Umfeld
2 Geschäftsprozesse und betriebliche Organisation
3 Informationsquellen und Arbeitsmethoden (integrativ erarbeitet)
4 Einfache IT-Systeme
5 Fachliches Englisch (integrativ erarbeitet)
6 Entwickeln und Bereitstellen von AnwendungssystemenTab. 3:
Jedes so an der Multi-Media BBS entworfene Modul umfasst ca. vier Unterrichtswochen oder ca.
100 Stunden berufsspezifischen Unterricht.
Als eine wichtige Konsequenz dieses modularen Aufbaues werden die lernfeldspezifischen Inhalte
von Lehrkräften abgeprüft, die in dem entsprechenden Lernfeld eingesetzt sind. Zusätzlich werden
ganzheitliche, am jeweiligen Geschäftsprozess ausgerichtete Prüfungsformen gemeinsam von den
Lehrkräften entwickelt. Damit soll einerseits das Zusammenhangswissen geprüft werden, und die
schulischen Prüfungsformen sollen sich in ihrer Struktur auch an Teilen der IHK Abschlussprüfung
(„Ganzheitliche Aufgabe 1“) orientieren, die zum Ende der Berufsausbildung zu absolvieren ist.
Konsequenz:
Ergänzung lernfeldspezifischer Prüfungsinhalte mit
lernfeldübergreifenden Prüfungsformen!
PP P P P P P P P
P!Geschäftsprozess 1
… …LF 1 LF 2 LF 3 LF 4 LF 9 LF 10 LF 11
P!Geschäftsprozess 2
Abb. 2: Lernfeldübergreifende Prüfungsformen
Dabei ist von Anfang an ein 2-Wochen-Blocksystem von den Betrieben favorisiert worden, Anfang
des Jahres 2009 ist eine Umfrage der Schule, die eine Umstellung auf das 4-Wochen-Blocksystem
183
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
183
zum Hintergrund hatte, zwar auf hohe Zustimmung getroffen. Signifikant viele IT-Unternehmen be-
vorzugten jedoch kürzere Blöcke, einige wenige, meist kleinere Unternehmen sogar die Tagesbe-
schulung. Als kleinster gemeinsamer Nenner wurde deshalb die 2-Wochen-Blockbeschulung bei-
behalten.
Das Kurssystem an der MMBBS
Die 2-Wochen-Blöcke werden ergänzt durch einen „Kurstag“ pro Woche, an dem klassen-, jahr-
gangs- und bildungsgangübergreifend Kursangebote für Deutsch und Politik, und leistungsdifferen-
ziert für Englisch vorgehalten werden. Außerdem werden so genannte Wahlpflichtkurse angeboten
zu aktuellen Themen der IT-Welt, Beispiele unserer Wahlpflichtkurse sind: Java: Vom Applet zur Java
Server Page; Digitale Bildbearbeitung und Layout-Gestaltung; Netzwerksicherheit.
Ergänzend finden sich am Nachmittag, teilweise auch am Abend, Kursangebote mit zertifizierbaren
Zusatzqualifikationen wie CISCO (CCNA Kursniveau 1 – 4) oder das Zusatzangebot zur Erlangung
der Fachhochschulreife.
Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag
Unterricht im
Klassenverband
nach Lernfeldern
Unterricht im
Klassenverband
nach Lernfeldern
Unterricht im
Klassenverband
nach Lernfeldern
Kurstag Deutsch,
Politik, Englisch
(A,B,C Niveau)
Unterricht im
Klassenverband
nach Lernfeldern
Zusatzqualifi-
ka-tionen (z.B.
Cisco)
(Zusatzangebot
Fachhochschul-
reife)
(Zusatzangebot
Fachhochschul-
reife)
Wahlpflicht-be-
reich IT
Tab. 4:
Ergänzend finden sich am Nachmittag, teilweise auch am Abend, Kursangebote mit zertifizierbaren
Zusatzqualifikationen wie CISCO (CCNA Kursniveau 1 – 4) oder dem Zusatzangebot zur Erlangung
der Fachhochschulreife.
Religion (ab Schuljahr 2007/08) und Sport (ab Sj 2009/10) und werden ebenfalls angeboten als jahr-
gangs- und klassenübergreifende Kompaktkurse einmal bzw. zweimal während der gesamten Aus-
bildungsdauer 20 bzw. 40 Unterrichtsstunden.
Diese Darstellung der curricularen und schulorganisatorischen Umsetzung ist m.E. notwendig, um
die konkrete Ausgestaltung der Arbeit mit ERP-Systemen an der MMBBS erkennbarer zu machen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
184184
ERP – Systeme als Gegenstand der IT-Ausbildung
Ein ERP-System kann auch in den IT-Berufen zum Gegenstand der unterrichtlichen Arbeit werden.
Klassisch wird dabei nur über die „kaufmännisch“ orientierten Lernfelder die Arbeit an einem ERP-
System abgebildet. Aufgrund der sehr geringen Stundenzahlen, die derartige Lernfelder haben in den
IT-Berufen, z.B. LF 11 „Rechungswesen und Controlling“ mit 80 Stunden bei IT-Systemkaufleuten
und nur 40 Wochenstunden bei den Fachinformatikern, Fachrichtung Anwendungsentwicklung, ist
ein Unterricht kontraproduktiv, der zunächst die Finanzbuchhaltung und sich traditionell an der so
genannten Bilanzmethode ausrichtet.
Stattdessen ist zu prüfen, in welchen Modulen ein ERP-Einsatz möglich und sinnvoll erscheint.
Zwingend notwendig dafür ist das Vorhandensein eines Modellunternehmens, das die wesentlichen
Rahmendaten (Finanzmittel, Mitarbeiterzahl, Sortiment bzw. Herstellungsprogramm oder Dienstleis-
tungsportfolio) realitätsnah und dennoch komplexitätsreduziert abbildet.
In den Unterrichtsmodulen der MMBBS ist in folgender Weise der Einsatz eines ERP-Systems mög-
lich:
AJMo-
dulBezeichnung ERP Einsatz möglich z.B. als
1 1 In Ausbildung und Beruf orien-
tieren
Erkundung des Modellunternehmens vornehmen,
wichtige Rahmendaten eines IT-(Modell-)Unterneh-
mens erkunden
2 Geschäftsprozess: Ein Stan-
dard-IT-System im Kunden-
auftrag zusammenstellen und
konfigurieren
Nach gemeinsam erarbeiteter Vorgabe die Bauteile
eines Computers aus der aktuellen Angebotslis-
te eines ausgewählten Komponenten-Lieferanten
zusamenstellen und qualitativ bewerten
3 Geschäftsprozess: Die Fremd-
beschaffung von Standard-IT-
Systemen planen, durchführen
und kontrollieren
Die Konfiguration eines netzwerkfähigen IT-Sys-
tems auf der Basis einer Kundenanforderung
erarbeiten, einen qualitativen und quantitativen
Angebotsvergleich mithilfe des ERP-Systems
durchführen, dabei rechtliche Grundlagen beschrei-
ben und Rechtsgeschäfte identifizieren
2 4 Werteströme und Werte erfas-
sen und dokumentieren: An-
wendung einer praxisgerechten
ERP-Software
Explizit:
Beschaffung mit Hilfe einer ERP-Software planen
und durchführen
- Angebot und Angebotsvergleich
- Bestellung
- Lagerhaltung
5 Geschäftsprozess: Kundenge-
rechte Planung von IT-Syste-
men
Marktforschung und Verkaufsförderung unter Ein-
satz enes ERP-Systems
- Marktbeobachung vornehmen und
Marktforschung kennen
- Kunden- und Konkurrenzanalyse vornehmen
- Käuferverhalten beschreiben
185
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
185
6 Geschäftsprozess:
Kundengerechte Erstellung und
Übergabe von IT-Systemen
Verträge und Mahnverfahren
- Vertragsarten
- Verkauf und Lieferung
- Störungen des Kauf- und
Werkvertrages erkennen und bearbeiten
- Mahnverfahren durchführen
3 7 Entwicklung von Anwendungs-
systemen
ERP-System als Informatiksystem, z.B. Datenbank-
struktur in Auszügen betrachten, Customizing ex-
emplarisch vornehmen
8 Vermarktung von IT-Systemen
managen
Komponenten einer Absatzpolitik erarbeiten
- Kundenberatung nach Fällen vornehmen, auch
telefonisch
- Preis- und Produktpolitik erabeiten
- Servicepolitik beschreiben
- Werbung, Verkaufsförderungs-maßnahmen und
Public Relations durchführen
Absatzprozesse durchführen und kontrollieren
- Distributionspolitik beschreiben
- Fakturierungsprozess vornehmen
- Finanzierungsformen beschreiben
- Serviceleistungen definieren
Wertschöpfungsprozesse analysieren und beur-
teilen
- Kostenträgerrechnung vornehmen
- Deckungsbeitragsrechnung durchführen
- Dokumentationen vornehmen und Informationen
auswerten
9 Abschlussprojekt: E-Business-
System im Kundenauftrag pla-
nen, entwickeln und kontrol-
lieren
E-Business-Schnittstelle betrachten, Sortiments-
liste im Webshop erstellen, präsentieren und ab-
gleichen
Tab. 5: ERP Einsatz in den Ausbildungsmodulen der MMBBS
Aufgrund der teils recht geringen Stundenumfänge, die für die Arbeit mit einem ERP-System zur Ver-
fügung stehen, sind Handlingfragen immer wieder relevant für Schülerinnen und Schüler. Seit Einfüh-
rung der ERP-Systeme an der MMBBS begleiten Wahlpflichtkurse mit einem Stundenanteil von 3-4
Wochenstunden die unterrichtliche Arbeit deshalb und unterstützen die Sicherheit im Umgang mit
dem eingesetzten System.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
186186
Wahlpflichtkurs SAP
Zielgruppe Gesamte IT Abteilung, alle Ausbildungsjahre
Vorkenntnisse Keine
Kompetenzziele • Die Möglichkeiten und Strukturen eines SAP Systems
erkennen • Die Handhabung des Systems trainieren
Inhalte • Einsatz von ERP (Enterprise Ressource Planning) Software • Navigieren in SAP • Stammdatenpflege • Erfassen von Geschäftsvorfällen • Bearbeiten von komplexeren betrieblichen Prozessen
anhand von Fallstudien • Neben vielfältigen Übungen am SAP System werden wir
uns immer wieder die in den Fallstudien auftauchende kaufmännische Theorie erarbeiten
Leistungsüberprüfung Erstellen einer eigenen Fallstudie in Gruppenarbeit
Notwendige Literatur Keine
Maximale Teilnehmer: 20
Unterrichtsstunden: Ca. 40 Unterrichtsstunden
Abb. 3: Wahlpflichtkurs ERP an der MMBBS
Beispielhafte Unterrichtsarbeit
Exemplarisch für den Umgang mit SAP im Unterricht wird der Angebotsvergleich (Inhalt LF 8) im Mo-
dul 2 dargestellt. Hier kann mit Hilfe des Systems ein komplexer Vorgang mit Berücksichtigung von
Skonto, Rabatt und Lieferkosten durchgeführt werden.
Im Anschluss wird bei dem günstigsten Lieferanten bestellt, geliefert, die Eingangsrechnung wird
erfasst und zur Zahlung freigegeben. Hierbei kann unter anderem immer wieder betrachtet werden,
welche Buchung (Inhalt LF 11) das System vornimmt.
In diesem Fall wird die Buchung beim Wareneingang betrachtet. Das SAP System arbeitet hier rea-
litätsnah, in den Lehrbüchern wird ein Wareneingang meist didaktisch reduziert immer erst mit Ein-
gang der Lieferantenrechnung verbucht (Handelswaren, Vorsteuer an Verbindlichkeiten). In einem in-
tegrierten System muss natürlich der Wareneingang unabhängig von der Eingangsrechnung erfasst
werden, und es wird ein Verrechnungskonto benutzt.
187
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
187
Abb. 4: Erfassungsmaske SAP
Dies ist eine praxisnahe Möglichkeit, die Systematik des Rechnungswesens kennen zu lernen, ohne
eine im traditionellen Sinne buchhalterisch grundlegende Ausbildung zu erhalten. Die genannten Be-
rufsbilder werden im Berufsleben wohl kaum als Finanzbuchhalter arbeiten, zumal deren Tätigkeit
immer mehr von den integrierten ERP-Systemen ersetzt wird, müssen aber Software-Anwendungen
im Rechnungswesen kennen, die im Berufsalltag auch der IT-Berufe noch am ehesten relevant sind.
Die Analyse zu führen, was und wie ein integriertes System z.B. bei der Beschaffung im Bereich der
Finanzbuchhaltung bucht, ist m.E. eine wesentliche Begründung dafür, warum einige Buchhaltungs-
inhalte noch eine Existenzberechtigung in den Curricula der genannten IT-Berufe haben.
Voraussetzung für diese Art von Unterricht ist, dass von der reinen Vermittlung fachsystematischer
Inhalte abgewichen wird und in einem geschäftsprozessorientiertem Unterricht im oben beschrieben
Sinn gearbeitet wird.
Erfahrungen mit dem Einsatz von ERP-Systemen an der MMBBS
Seit dem Jahr 2006 werden an der MMBBS regelmäßig in den IT-Teilzeitklassen ERP-Systeme in die
unterichtlichen Arbeit eingesetzt. Ein Team von Lehrkräften hat Erfahrungen sowohl im Einsatz von
Navision (Microsoft Business Solution) in der Version 4.0, als auch im Einsatz eines SAP-R/3 Systems
auf der Basis des IDES Mandanten gesammelt. Seit dem Schuljahresbeginn 2008/2009 wird auch mit
der Online-Umgebung ERP4School gearbeitet.
Im Rahmen der Arbeit mit Navision kamen vorwiegend die Materialien1 aus dem Landesinstitut für
Schulentwicklung aus Baden-Württemberg zum Einsatz, die freundlicherweise kostenlos zur Ver-
fügung gestellt worden sind. Zum IDES Mandanten kann die MMBBS auf umfangreiche Fallstudien
über das Hochschulkompetenzzentrum der Universität Magdeburg zugreifen.
1 siehe http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
188188
Dabei sind unterschiedliche Erfahrungen gesammelt worden:
Navision (Microsoft Business Solution) Erfahrungen nach drei Jahren
- Grundsätzlich gut geeignet zur unterrichtlichen Arbeit mit einem ERP-System
- Die Möglichkeit zur lokalen Installation des Programms hilft schwachen Schülern eine bestimmte
Lernsituation isoliert zu wiederholen, ein Ausgangsdatenstand kann wieder eingespielt werden.
Damit ist aber auch ein Verlust an Realitätsnähe verbunden.
- Die Möglichkeit zur lokalen Installation des Programms hilft Lehrkräften, die im Unterricht kontrol-
lorientiert agieren.
- Die Software steht Schülern und Lehrkräften auch am heimischen Arbeitsplatz zur Verfügung
- Die eingesetzten Materialien aus Schulbüchern etc. bilden eher kleinschrittig Arbeitsprozesse ab,
als entscheidungsorientiert Geschäftsprozesse aufzubereiten
- Die Stabilität der Materialien ist nicht sehr groß, da einmal vorhandene Handlungspfade bei Pro-
grammupgrades und zunehmender Integration in die Microsoft-Office-Produkte nicht immer er-
halten bleiben.
- Trotz guter Netzinfrastruktur gibt es Installations-bzw. Anwendungsschwächen, z.B. wird gele-
gentlich die falsche Datenbank eingesetzt
- Der Schulungsaufwand ist zunächst hoch wird aber mit zunehmender Handlingsicherheit für die
Lehrkräfte geringer
- Rückmeldungen von Schülerseite zeigen eine hohe Motivation im Umgang mit dem System
SAP R/3
- Grundsätzlich gut geeignet zur unterrichtlichen Arbeit mit einem ERP-System
- Das kostenpflichtige Hosting beim Hochschulkompetenzzentrum Magdeburg2 vermeidet lokale
Hard- bzw. Softwareprobleme, die Performanz des Systems ist jederzeit gegeben, ein dauerhaf-
ter Online-Zugang ist notwendig.
- Die Lehrkräfte müssen teilweise umdenken, aufgrund der Komplexität der Software werden Lö-
sungswege auch explorativ erarbeitet, einmal gemachte Fehler können nicht einfach gelöscht
werden, sie sind zu stornieren.
- Die Materialien aus HCC Community auf Basis von IDES (SAP Mandant) bilden eher Geschäfts-
prozesse ab, sind aber sehr komplex für die Berufsschule.
- Die Materialien aus der Umgebung ERP4School verringern diese Schwelle deutlich.
- Bisher ist im IDES Mandanten nur in Ausnahmefällen die Nutzung am heimischen Arbeitsplatz zu
Unterrichtszwecken möglich, die Umgebung ERP4School macht dieses nun möglich.
- Die Stabilität der Materialien ist sehr groß, da einmal vorhandene Handlungspfade via Matchcode
bei Programmupgrades erhalten bleiben.
- Der Schulungsaufwand ist zunächst sehr hoch wird aber mit zunehmender Handlingsicherheit für
die Lehrkräfte deutlich geringer
- Rückmeldungen von Schülerseite zeigen eine sehr hohe Motivation im Umgang mit dem System
2 siehe http://www.hcc.uni-magdeburg.de
189
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
189
Aufgrund der Erfahrungen mit diesen beiden ERP-Systemen, die gemeinsam über 80 Prozent des kom-
merziellen Marktes dominieren, lassen sich aus Sicht der MMBBS einige Konsequenzen beschreiben:
Curriculare Folgerungen
- Einsatz der Umgebung „ERP4SCHOOL“ des Oberstufenzentrums Bürowirtschaft und Dienstleis-
tungen aus Berlin im Bereich der IT-Berufe
- Möglichst Erarbeitung eines eigenen Mandanten für IT-Berufe unter ERP4SCHOOL (geplant) ggf.
auch unter Navision MBS (geplant)
- Beschreibung und Implementation grundlegender Geschäftsprozesse für IT-Berufe in diesen
Mandanten
- Ab dem Schuljahr 2009/2010 werden alle ersten Ausbildungsjahre der Berufsbilder IT-
Systemkauffrau/-mann und Informatikkauffrau/-mann an der MMBBS in SAP grundlegend ge-
schult. Dieses ist eine Voraussetzung SAP im 2. und 3. Ausbildungsjahr integrativ im Unterricht
einzusetzen.
Organisatorische Folgerungen
- Schaffung und Förderung der Rahmenbedingungen (Organisation, Räume, Ist-System-Struktur ...)
- feste Teambildung mit Geschäftsprozessspezialisierung (Arbeitsteilung)
- Teilautonomie der Teams hinsichtlich der curricularen Arbeitspläne und der Unterrichtsorganisation
- einheitliche Informations- und Kommunikationsplattform (Internet-gestützte Community
EDUPLAZA als Vorgehensmodellordner. Über die EDUPLAZA sind alle Lehrkräfte in Communi-
ties of Practice mit einander verbunden und können sich so unterstützen.
Abb. 5: MMBBS Kommunikationsplattform EDUPLAZA
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
190190
Nicht nur die MMBBS hat sich in Niedersachsen mit dem Thema ERP-Systeme beschäftigt, es sind
weitere Standorte beteiligt.
Innovationsvorhaben des niedersächsischen Kultusministeriums
Seit dem Schuljahr 2008/2009 wird im Auftrag des niedersächsischen Kultusministeriums an vier
berufsbildenden Schulen ein Innovationsvorhaben „ERP-Systeme in kaufmännisch geprägten Bil-
dungsgängen“ durchgeführt. Folgende Ziele werden angestrebt
1 Einsatz und Erprobung der ERP-Systeme NAVISION bzw. SAP, zunächst in der Teilzeitberufs-
schule in den Bildungsgängen Informatikkauffrau/-mann bzw. IT-Systemkauffrau/-mann und In-
dustriekauffrau-/mann und der einjährigen Berufsfachschule.
2 Exemplarische Erarbeitung unterrichtsgeeigneter Materialien bzw. Kompetenzbeschreibungen
für den Einsatz der Systeme im jeweiligen Bildungsgang.
3 Überschulische Zusammenarbeit und ggf. Vorbereitung/Unterstützung von Materialienkommissi-
onen oder Rahmenrichtlinienkommissionen.
4 Zusammenarbeit mit den lokalen Unternehmen, die in den Bildungsgängen ausbilden oder als
Praktikumsbetrieb zur Verfügung stehen.
5 Gemeinsame Arbeit der beteiligten Schulen in Qualitätszirkeln, also innerschulischer und über-
schulischer Arbeitsgruppen, die auch internetgestützt arbeiten.
Erste Ergebnisse im Frühjahr 2009 zeigen, dass das Thema ERP stark zunehmend an den berufsbilden-
den Schulen in Niedersachsen an Bedeutung gewinnt. Die teilnehmenden Standorte Hannover, Osna-
brück und Lohne erhalten vermehrt Anfragen zu Fortbildungen und zu den Lizenzbedingungen der ein-
gesetzten Systeme. Insgesamt haben im Frühjahr 2009 ca. 25 berufsbildende Schulen in Niedersachsen
eine Arbeit mit ERP-Systemen aufgenommen, die Mehrzahl mit Navision, eine geringere Zahl mit SAP.
Abb. 6: Schulübergreifende Plattform BBS-BSCW für Navision
191
ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe
191
Unterstützt wird diese Arbeit über das Groupwaresystem BBS-BSCW im Niedersächsischen Bil-
dungsserver NIBIS. Die teilnehmenden Schulen sehen jeweils nur ihre Schullizenzdateien und den
allgemeinen Arbeitsbereich zu Navision. Aktuell (Stand 04/2009) haben sich 54 Lehrkräfte aus 25
berufsbildenden Schulen und Studienseminaren für das Lehramt an berufsbildenden Schulen in
Niedersachsen in diesem Bereich angemeldet; sie arbeiten als Multiplikatoren an den Standorten.
Es ist geplant weitere Lehrkräfte in einen Bereich einzuladen, die sich mit Navision oder SAP an ihren
Schulen beschäftigen.
Literatur
Tramm, Tade (2003): „Prozess, System und Systematik als Schlüsselkategorien lernfeldorientierter Curriculumentwicklung“. In: Gramlinger, F./ Tramm, T. (Hrsg.): Lernfeldansatz zwischen Feiertagsdidaktik und Alltagstauglichkeit 2003 www.bwpat.de online Ausgabe Nr. 4
Rebmann, Karin; Schlömer, Tobias: Lernen im Prozess der Arbeit , 2009, www.bwpat.de/profil2
Links
http://www.mmbbs.de
http://www.proreko.de
http://bbs-bscw.nibis.de
http://www.eduplaza.de
http://www.nibis.de
Autor
Strahler, Bernd; Diplom-Handelslehrer; Studiendirektor; Fachberater berufliche Bildung (IT und Modellversuche) bei der Landesschulbehörde Niedersachsen und stellvertretender Schulleiter (kommissarisch) an den Multi-Media Berufsbildenden Schulen Hannover; Expo Plaza 3, D-30539 Hannover; Mail: [email protected]
195
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
195
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht Supportstrukturen für berufliche Schulen:
ERP-Unterstützung beruflicher Schulen in Baden Württemberg
Gerd Häuber
I Paradigmenwechsel in der Betriebswirtschaftslehre – Prozessorientierung vs. Funktions orientierung in unternehmerischen Organisationsstrukturen und deren Bedeutung für die Lehre im Bereich der Betriebswirtschaft und die Entwicklung einer „Prozessorientierten Wirtschaftsdidaktik“
Weder bei den im Titel des Sammelbandes angesprochenen „ERP-Systemen“, noch bei der vielfach
in berufspädagogischer Literatur zitierten „Prozessorientierung“ handelt es sich um originäre Erfin-
dungen von Erziehungswissenschaftlern bzw. von Wirtschaftspädagogen oder Lehrern aus der be-
ruflichen Schule. Der im Zuge des „Business Process Reengeneering“ der 90-ziger Jahre vollzogene
Paradigmenwechsel in der Betriebswirtschaftslehre und die damit verbundene Umstrukturierung der
betrieblichen Handlungsabläufe, weg von der funktionsorientierten Abteilungsorganisation, hin zur
geschäftsprozessorientierten Ablaufstrukturierung1, ging einher mit der Entwicklung und Einbindung
ereignisgesteuerter, integrierter Unternehmenssoftware2. Die bahnbrechende Neuerung bei dieser
Art von „ERP-Systemen“ scheint deren ereignisorientierte Programmstruktur zu sein, welche sich
vorrangig an den betrieblichen Prozessketten und den damit verbundenen Handlungsabläufen und
den einzelnen Tätigkeiten im der Unternehmenspraxis orientieren3. Aber sind es nicht auch genau
diese Prinzipien des prozessorientierten Ansatzes in der Betriebswirtschaftslehre und der prozess-
orientierten ERP-Systeme, welche diese Art integrierter Unternehmenssoftware für den Einsatz im
Unterricht der beruflichen Schulen, und die Entwicklung einer noch näher zu spezifizierenden „Pro-
zessorientierten Wirtschaftsdidaktik“ so interessant erscheinen lassen? Wo ist also der Grund dafür
zu suchen, dass die „Geschäftsprozessorientierung“ und der „ERP-Einsatz“ zwischenzeitlich in di-
verse Lehrpläne für die beruflichen Schulen Einzug gehalten hat?
1 Hammer, M., Champy, J., Reengineering the Coorporation - A Manifesto for Business Revolution, New York: Harper
Collins 1994.
2 Brenner, W., Keller, G. (Hrsg.), Business Reenginering mit Standardsoftware, Frankfurt/New York: Campus 1995 bzw.
Österle, H. (Hrsg.), Integrierte Standardsoftware: Entscheidungshilfen für den Einsatz von Softwarepaketen, Band
1: Managemententscheidungen, Band 2: Auswahl, Einführung, und Betrieb von Standardsoftware, Hallbergmoos:
sAIT 1990.
3 Enterprise-Resource-Planning-Systemen (ERP-System) – siehe Gronau, Norbert: Enterprise Ressource Planning und
Supply Chain Management: Architektur und Funktionen. München : Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2004.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
196196
II Funktion und Zielsetzung des Einsatzes von ERP-Systemen im
Unterricht der beruflichen Schulen – ERP-Systeme als Lehrinhalt
und/oder als didaktisch-methodisches Instrument
Der Blick in diverse Lehrpläne der beruflichen Schulen lässt den Begriff „ERP-Systeme“ sowohl bei
der Festschreibung der Lehrinhalte, als auch bei den Hinweisen zur didakatisch-methodischen Um-
setzung der Lehrpläne zur Erreichung der vorgegebenen Lernziele ausfindig machen. Es sind dem-
nach vornehmlich zwei Perspektiven, aus denen die Zielsetzung des Einsatzes von ERP-Systemen
im Unterricht der beruflichen Schulen zu betrachten sind:
Es geht zum einen darum, die Schülerinnen und Schüler mit dem Umgang mit einem ERP-System
an sich vertraut zu machen, da sie in ihrem zukünftigen Berufsleben mit hoher Wahrscheinlichkeit
auch ein derartiges System an Ihrem Arbeitsplatz vorfinden werden. Damit wären es die ERP-Sys-
teme selbst und deren betriebliche Anwendung, welche es im Zuge der Vermittlung von Beruflichen
Handlungskompetenzen zur Vorbereitung auf den späteren betrieblichen Arbeitsalltag als Lehrinhalt
zu unterrichten gilt. Zum anderen geht es um die Vermittlung von betrieblichen Gesamtzusammen-
hängen der Unternehmenspraxis im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre. Der entscheidende Vorteil
des Einsatzes der ERP-Systeme im betriebswirtschaftlichen Unterricht liegt in der Möglichkeit, mit
Hilfe der ERP-Software Strukturzusammenhänge der unternehmerischen Abläufe praxisnah im Un-
terricht modellhaft darzustellen und analysieren zu können, und auf diesem Wege den Auszubilden-
den einen Überblick über das Gesamtunternehmen und die wesentlichen Strukturzusammenhänge
und Wirkungsketten zu verschaffen. Die ERP-Systeme sind aus dieser Perspektive ein didaktisch-
methodisches Instrument, mit dessen Hilfe die klassischen betriebswirtschaftlichen Lehrinhalte ge-
schäftsprozessorientiert entlang modellhaft in der Unternehmenssoftware abgebildeter praktischer
Handlungsabläufe praxisnah unterrichtet werden können.
II.a Die „Anwendung von ERP-Systemen“ als Lernziel – Die Vermittlung beruflicher Handlungskompetenzen als Vorbereitung auf die betriebliche Anwendung integrierter Unternehmenssoftware im späteren Arbeitsalltag der Auszubildenden als Lehr- / Lerninhalt im Focus berufspädagogischer Bemühungen.
Die Absolventen der beruflichen Schulen werden bei Ihrem späteren Einstieg in das Berufsleben mit
sehr hoher Wahrscheinlichkeit an Ihrem späteren Arbeitsplatz ein ERP-System vorfinden. Aus die-
sem Blickwinkel ist es sicherlich sinnvoll, die Grundlagen des Umganges mit einem derartigen „ERP-
Werkzeug“ der späteren betrieblichen Arbeitspraxis im Unterricht der beruflichen Schule in einer Art
„Anwenderschulung“ zu vermitteln. Der ERP-Einsatz in der beruflichen Schule wäre damit, aus dieser
Perspektive der reinen Anwenderschulung, dem Unterricht im Bereich der anwendungsorientierten
Datenverarbeitung bzw. den IT-Fächern zuzuschreiben. Im Kern stünde bei dieser Art des unterricht-
lichen Softwareeinsatzes die simple Bedienung von Programmoberflächen und die Kenntnis von
197
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
197
Menüführungen4 ohne Beleuchtung der betriebswirtschaftlichen Hintergründe, was häufig, sowohl in
Lehrer- als auch in Schülerkreisen, mit dem sicherlich negativen besetzten Begriff „Click-Schulung“
belegt wird.
Die Aufgabe der Anwenderschulung an den ERP-Systemen könnte man aber durchaus auch den
Ausbildungsbetrieben im Rahmen der praktischen Tätigkeit der Auszubildenden im Betrieb zuschrei-
ben. Die Berufsschüler in einer Dualen Ausbildung könnten den Umgang mit dem ERP-System
auch im eigenen Ausbildungsbetrieb erlernen. An dieser Stelle bietet der Einsatz der ERP-Systeme
im Unterricht der beruflichen Schule jedoch einen entscheidenden Vorteil gegenüber der betriebli-
chen, rollenbasierten Anwendung der Software in der Unternehmenspraxis. Das ERP-System am
betrieblichen Arbeitsplatz wird einem Auszubildenden lediglich einen sehr begrenzten funktions-
bzw. anwenderorientierten Einblick in die Zusammenhänge im Gesamtunternehmen gewähren. In
den seltensten Fällen erhält ein Auszubildender Zugang zu mehreren Funktionsbereichen des Un-
ternehmens, geschweige denn auf die Informationen der Finanzbuchhaltung oder gar der Personal-
verwaltung. Eine derartige betriebliche oder auch schulische ERP-Anwenderschulung darf, aus der
Perspektive einer „Prozessorientierten Wirtschaftsdidaktik“, nicht in einer simplen „Click“-Schulung
und der reinen Bedienung von Programmoberflächen verharren. Vielmehr gilt es die „klassischen“
betriebswirtschaftlichen Lehrinhalte mit Hilfe des ERP-Einsatzes entlang von didaktisch reduzierten,
chronologisch angeordneten betrieblichen Tätigkeiten praxisnah zu vermitteln und die Unterneh-
merischen Strukturzusammenhänge aufzuzeigen. Im Betrieb erkennt ein Auszubildender nur sehr
schwer, welche Auswirkungen z.B. ein Verkaufs- und Liefervorgang auf die Logistik, die Beschaffung
oder die Finanzbuchhaltung hat. Dort sind ihm solche Funktions- und abteilungsübergreifende Ein-
blicke verwehrt. In der mit der ERP-Software simulierten Unternehmenssituation können diese be-
trieblichen Handlungsabläufe und Wirkungsketten im Unterricht prozessorientiert aufgezeigt und der
„Rote Faden“ durch die betriebliche Praxis didaktisch strukturiert nachverfolgt werden. Das vermag
man alleine mit der Tafel und einem Stück Kreide nur sehr begrenzt oder nur mit verhältnismäßig ho-
hem Aufwand und Zeitbedarf bewerkstelligen.
4 Eine Ausnahme bildet hier sicherlich der Einsatz der integrierten Unternehmenssoftware im Bereich der IT-Berufe
bzw. der Wirtschaftsinformatik, bei dem es u.a. um die Vermittlung von technischen Kenntnissen der ERP-Systeme
(Programm- / Datenbankstrukturen) geht...
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
198198
II.b Prozessorientierung als Prinzip der Wirtschaftsdidaktik – ERP-Systeme als didaktisch-methodisches Instrument zur Vermittlung unternehmerischer Strukturzusammenhänge im Unterricht der Betriebswirtschaftslehre
Wenn sich der Begriff „Wirtschaftsdidaktik“ innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin der Wirt-
schaftspädagogik als fachdidaktisches Konzept ökonomischer Bildung5 zur „Planung, Realisierung
und Kontrolle von auf Wirtschaft ausgerichteten Lehr-/ Lernprozessen“6 fassen lässt, so könnte
sich eine in diesem Sammelband thematisierte „prozessorientierte“ Wirtschaftsdidaktik dadurch
auszeichnen, dass diese sich bei der didaktischen Konzeption von Lehr- / Lernarrangements an
betrieblichen Prozessketten orientiert. Unter dem Begriff „Prozessorientierung“ lässt sich somit im
Kontext der Wirtschaftsdidaktik die praxisorientierte Aufarbeitung der betriebswirtschaftlichen Lehr-
/ Lerninhalte entlang chronologisch geordneter, betrieblicher Handlungsabläufe verstehen. Die Un-
ternehmenssoftware bzw. der Einsatz von ERP-Systemen dient aus dieser Perspektive betrachtet
als didaktisch-methodisches Hilfsmittel7 zur Darstellung, Bearbeitung und Analyse der betriebli-
chen Tätigkeiten und der einzelnen Arbeitsschritte und deren Strukturierung in Form von simulierten
Prozessabläufen der Unternehmenspraxis. Der ERP-Einsatz in der beruflichen Schule kann hier die
entsprechenden betriebswirtschaftlichen Strukturzusammenhänge des Unternehmens im betriebs-
wirtschaftlichen Unterricht gezielt im Gesamtüberblick über das Unternehmen aufzeigen. Die Funk-
tion, welche dem ERP-System an dieser Stelle im kaufmännischen Unterricht zukommt, ist die eines
didaktisch-methodisches Instrumentes, mit dessen Hilfe betriebliche Handlungsabläufe praxisnah in
modellhaften Prozessketten im schulischen Unterricht abgebildet und entsprechende betriebswirt-
schaftliche Wirkungszusammenhänge an realitätsnahen Fallbeispielen aufgezeigt werden können.
Der ERP-Einsatz obliegt damit nicht mehr alleinig den Fachkollegen der Datenverarbeitung, sondern
dient dabei im Unterricht der Betriebswirtschaftslehre als didaktisches „Werkzeug“ über dessen Ein-
satz die betriebliche Realität im didaktisch reduzierten Modell simuliert werden kann.
Das wesentliche Merkmal der Architektur der ERP-Systeme, die prozessorientierte Integration von
Aufgaben und Funktionen aller Unternehmensbereiche8, ermöglicht im unterrichtlichen Einsatz
wesentliche Strukturelemente der unternehmerischen Tätigkeit didaktisch gezielt in das Zentrum
der betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu rücken. Als „Roter Faden“ dienen den Schülern da-
bei standardisierte Prozessketten in Form von ganzheitlichen belegorientierten Fallstudien, wel-
che die betrieblichen Abläufe über die einzelnen betrieblichen Funktionsbereiche (z.B. Verkauf/Be-
schaffung/Lager/Warenwirtschaft & Logistik/Finanzbuchhaltung/Produktion/Personalverwaltung/
5 Siehe: Herwig Blankertz, Theorien und Modelle der Didaktik, Weinheim/München, 1986.
6 Vgl.: Reinhard Czycholl, Wirtschaftsdidaktik, Göttingen, 1974, S. 28f, siehe auch: Euler, Dieter/Hahn, Angela: Wirt-
schaftsdidaktik, Bern 2004.
7 Der ERP-Software kommt somit in begrifflicher Anlehnung an des Berliner Modell von die Rolle eines „Mediums“
innerhalb einer „prozessorientierten Unterrichtsmethode“ zu, mit dessen Hilfe die Betrieblichen Handlungsabläu-
fe im Unterricht praxisnah abgebildet und Strukturzusammenhänge im Unternehmen aufgezeigt werden können.
Zum Begriff Unterrichtsmedien bzw. Unterrichtsmethoden vgl.: Paul Heimann, Gunter Otto, Wolfgang Schulz: Unter-
richt: Analyse und Planung (Hrsg.: Blumenthal, Alfred, Ostermann, Wilhelm), Hannover: Schroedel Schulbuchverlag ,
10. Unveränderte Auflage, 1979.
8 Gronau, Norbert: Enterprise Ressource Planning und Supply Chain Management, 2004.
199
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
199
Anlagenwirtschaft etc.) aufgreifen und in den unternehmerischen Gesamtzusammenhang einordnen.
Auf diesem Wege erscheint es ebenfalls möglich die Verknüpfung und Integration der Inhalte der
Klassischen Inhalte des Rechnungswesenunterrichtes mit denen der Betriebswirtschaftslehre her-
zustellen. Die Entwicklung derartiger Fallstudien bzw. die Ausarbeitung prozessorientierter betrieb-
licher, didaktisch-reduzierter Handlungsmodelle mit den entsprechenden Datenmodellen in einer
ERP-Software für den unterrichtlichen Einsatz, ganz abgesehen von didaktisch begründeten An-
passungen der ERP-Software selbst, würde jeglichen Zeitrahmen einer einzelnen Lehrkraft in ihrer
Unterrichtsvorbereitung sprengen. Diese Unterstützung der Lehrkräfte leistet in Baden-Württemberg
eine Arbeitsgruppe am Landesinstitut in Stuttgart, deren Aufgaben, neben der Bereitstellung der Un-
terrichtsmaterialien (Handreichungen / Übungsaufgaben / Lösungen / Fallstudien / Anleitungen), die
Konzeption von lernzielfokusierten, themenspezifischen Unternehmensmodellen mit entsprechen-
den Datenmodellen für die ERP-Systeme (Mandanten) und die Anpassung und der Support einer
geeigneten integrierten Unternehmenssoftware.
III Kriterien zur Auswahl eines geeigneten ERP-Systemes
für den Einsatz in der Lehre
Im Prinzip ist es von untergeordneter Bedeutung, um welche Marke eines ERP-Systems bzw. um wel-
chen Hersteller der Software es sich für den Einsatz im Unterricht handelt. Vorrangig geht es die Ver-
mittlung der entsprechenden Handlungskompetenzen, welche die Systematik der ERP-Anwendung
und deren Einbindung in den betrieblichen Gesamtzusammenhang aufzeigt. Bildhaft ausgedrückt:
Auf welchem Fabrikat bzw. auf welcher Marke von Fahrzeug der Fahrschüler das Autofahren in seiner
Fahrschule erlernt ist völlig unwichtig. Wir haben uns am Landesinstitut Stuttgart für unsere „Fahr-
schulen“ für einen kostenlos zu beziehenden, schnittigen Mittel- bis Oberklassewagen entschieden,
der sehr komfortabel, flexibel und selbsterklärend alle Ausstattungen und Strukturen einer ERP-Soft-
ware bietet, und mit dem die Schüler problemlos im Unterricht und auch am Rechner zuhause ohne
Installation oder Internetzugang zurechtkommen. Wenn unsere Fahrschüler später in ein Auto eines
anderen Herstellers einsteigt und die „Systematik“ des Autofahrens begriffen hat, so wird er auch mit
einem anderen Fabrikat nach einer eventuellen anfänglichen Umstellungs- und Eingewöhnungspha-
se umgehen können und feststellen, dass dort das Gaspedal, das Lenkrad und die Bremse an der
selben Stelle sind und die selbe Funktion haben wie in ihrem Fahrschulauto. Es geht in der Schule
im Wesentlichen um die Vermittlung von Systemkenntnissen und Fertigkeiten – um die Systematik
von ERP-Systemen. Die Schülerinnen und Schüler müssen das Autofahren in seiner Systematik und
Struktur lernen, unabhängig von der Fahrzeugmarke.
Für welches Fabrikat von Fahrzeug bzw. um welche ERP-Software man sich letztlich für seine „Fahr-
schule“ entscheidet, hangt von ganz anderen Kriterien ab, welche im Folgenden durch einige Leitfra-
gen näher eingegrenzt werden sollten:
- Handelt es sich um eine integrierte Unternehmenssoftware mit zentraler Datenbank und Datenin-
tegration über alle Module bzw. Unternehmensbereiche (Beschaffung / Lager / Logistik / Verkauf
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
200200
/ Marketing / Finanzbuchhaltung / Personalwirtschaft / Mitarbeiterverwaltung inkl. Lohn- + Gehalt
/ POS-Kasse / Produktionswirtschaft / Anlagenverwaltung / Kostenrechnung / etc.), welche das
Aufzeigen von Systemzusammenhänge im Gesamtunternehmen ermöglicht?
- Welche ERP-Software kann ohne Installationsaufwand und ohne Internetanbindung auf jedem
beliebigen Rechner, auch auf den Rechnern der Lehrer und der Schüler zu Hause zur Bearbeitung
von Hausaufgaben bzw. zur Unterrichtsvorbereitung eingesetzt werden? (Stick-Lösung – Pro-
gramm lauft ohne Installation rechnerunabhängig auf einem Daten-Stick und bedarf keiner Inter-
netanbindung)
- Welche ERP-Software bietet die Möglichkeit in beliebiger Anzahl diaktisch-methodisch aufberei-
tete, auf die jeweiligen Ausbildungsschwerpunkte (z.B. Einzelhandel POS / Industrie Produktion,
Großhandel, Außenhandel, etc…) und auf die einzelnen Unterrichtseinheiten zugeschnittene Un-
ternehmensmodelle einzurichten bzw. als Datenstände bereitzustellen? (Abspeichern von Zwi-
schendatenständen, Datensicherung, Mandanteneinrichtung – Konzeption und Einrichtung eige-
ner, auf einzelne Lernfelder bzw. Lehrinhalte fokussierter Unternehmensmodelle)
- Welche ERP-Software bietet die Möglichkeit, aus pädagogischen Gesichtpunkten die Menüober-
flächen, Programmstrukturen bzw. die Datenbankobjekte zielgruppenspezifisch anzupassen bzw.
didaktisch adressatengerecht zu reduzieren? (Anpassung der Menüstrukturen und der Program-
moberfläche, spezifische Anpassungen auf Schüler, Schularten, Inhalte, Reduzierung von Kom-
plexität, didaktische Reduktion, Customizing, ObjektDesign, Anwenderorientierte, rollenbasierte
Menüsteuerung)
- Bietet die ERP-Software die Möglichkeit zum Betrieb als Einzelplatzzugriff mit lokaler Datenhal-
tung und ebenfalls die Möglichkeit zum Einsatz in einer Lernfirma mit zentraler Datenhaltung und
dem Mehrplatzzugriff mehrer Schüler gleichzeitig in einem Lernbüro? (Client – Database-Server)
- Wie nachhaltig ist die eingesetzte Unternehmenssoftware auf dem ERP-Softwaremarkt und in
welcher Art und Weise wird der Softwareeinsatz an den Schulen durch den Softwarehersteller
unterstützt? (Supportangebote, Fortbildungsangebote, Zertifizierungsmöglichkeiten für Schüler
und Lehrkräfte, Update)
- Welche ERP-Software ist sowohl für Schulen und die Lehrer, als auch für Schüler (kostenlose
Schullizenz und kostenlose Schülerlizenzen) kostenfrei?
VI Supportangebot des Landesinstitutes Stuttgart
- ERP-Unterstützung beruflicher Schulen in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg wir das ERP-System Microsoft Dynamics NAV (ehemals Navision Financials)
an rund 200 Beruflichen Schulen in den verschiedensten Schularten seit dem Schuljahr 1999 / 2000
eingesetzt und von Seiten einer Arbeitsgruppe am Landesinstitut Stuttgart flankierend in folgenden
Bereichen betreut und unterstützt:
201
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
201
- Entwicklung und Bereitstellung von Handreichungen, ausgearbeiteten Fallstudien, Unter-
nehmensmodellen und Unterrichtsmaterialien
Die Arbeitsgruppe am Landesinstitut Stuttgart erarbeitet zielgruppenorientierte und Schülerge-
rechte Unterrichtsmaterialien, welche spezifisch auf die einzelnen Lehr- / Lerninhalte, die Lernzie-
le, die Eingangsvoraussetzungen und Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler und deren
Umsetzbarkeit im Unterricht ausgerichtet sind. Im Zentrum dieser Unterrichtsmaterialien stehen
betriebswirtschaftliche Unterrichtsszenarien, welche in Unternehmensmodellen die betrieblichen
Prozessabläufe, Wirkungsketten und Strukturzusammenhänge an realitätsnahen Praxisbeispie-
len der unternehmerischen Tätigkeit handlungsorientiert darstellen.
Übersicht zu den Handreichungen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision/HR
- Konzeption von Mandanten (Modellunternehmen im ERP-System)
Für die Abbildung der einzelnen Unterrichtsszenarien und Fallstudien in der integrierten Un-
ternehmenssoftware sind geeignete Mandanten (Daten eines Unternehmens im ERP-System)
erforderlich. Um den verschiedenen Schularten, Ausbildungsberufen, Ausbildungsinhalten und
den heterogenen Abstraktions- und Anforderungsniveaus der Schülerinnen und Schüler gerecht
werden zu können, sind diese Mandanten spezifisch auf die einzelnen Zielgruppen und die ange-
strebten Lernziele zuzuschneiden (z.B. Kaufleute im Einzelhandel – Handelswaren / POS-Kasse,
Industriekaufleute – Fertigerzeugnisse / Produktionswirtschaft). Für die sequenzielle Bearbeitung
der Unterrichtseinheiten werden zudem chronologisch fortlaufende Datenstände (Mandanten-
sicherungen) zur Verfügung gestellt, welche es den Lehrkräften und den Schülern ermöglichen
den Prozessablauf an beliebiger Stelle des Handlungsszenarios durch einen Mandantenimport
wieder aufzugreifen.
Mandanten (Datenstände) zu den jeweiligen Handreichungen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/
material/kfm/navision/HR
- Customizing – Anpassung der Programmoberflächen und der Menüstrukturen
In der selben Art und Weise wie die Ausrichtung auf unterschiedliche Zielgruppen bzw. Lernin-
halte die Bereitstellung von verschiedenen Unterrichtsmaterialien und spezifischen Mandanten-
datennotwendig macht, erfordert dies auch die adressatenspezifische Anpassung der Program-
moberflächen und der Menüstrukturen des ERP-Systemes. Die Zuordnung der Menüoberflächen
erfolgt über die Benutzeranmeldung in der Datenbank (Datenbankanmeldung) bei Programm-
start.
Übersicht zu den verschiedenen Benutzeranmeldungen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/mate-
rial/kfm/navision/Datenbank
- Support für Lernfirmen, Server-Installation für Junioren- und Übungsfirmen
In den beruflichen Schulen in Baden-Württemberg sind neben einer Vielzahl von realwirtschaft-
lich tätigen Juniorenfirmen rund 220 Übungsfirmen im deutschen Übungsfirmenring tätig, welche
zur Abwicklung ihrer Geschäftstätigkeit die integrierte Unternehmenssoftware einsetzen. In den
Lernbüros dieser Lernfirmen ist, im Unterschied zum Einzelplatzbetrieb im Unterrichtsraum mit
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
202202
lokaler Datenbank, ein Mehrplatzzugriff auf eine zentrale Unternehmensdatenbank von mehreren
Arbeitsplätzen aus erforderlich (Client-Server-Umgebung). Zu diesem Zweck wird ein NAV-Data-
base-Server auf dem Server der Lernfirmen installiert. Die Datenbanken der Lernfirmen enthal-
ten u.a. stets die aktuellsten Lohn- und Gehaltsinformationen und werden aus diesem Grund von
Seiten des Landesinstitutes stets mit dem aktuellsten Service-Patsch versorgt. Zur Einrichtung
eines eigenen Übungsfirmenmandanten wird den Übungsfirmenleitern, angepasst auf die Erfor-
dernisse der einzelnen Schularten, ein Basismandant zur Verfügung gestellt. Auf der Grundlage
dieses vorstrukturierten Einrichtungsmandanten können die Übungsfirmen ihre eigenen Unter-
nehmensdaten anlegen und die ERP-Software praxiskonform im eigenen Übungsfirmenbetrieb
zur Abwicklung der Geschäftstätigkeiten im simulierten „Echtbetrieb“ einsetzen.
Übersicht zu den Supportangeboten für Übungsfirmen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/materi-
al/kfm/navision/Uebungsfirma
- Entwicklung und Bereitstellung einer ERP-Software-Stick-Lösung
Um den Umgang mit der Software sowohl für Schüler als auch für Lehrer so einfach wie möglich
zu machen, wurde von Seiten des Landesinstitutes Stuttgart ein Programmpaket entwickelt und
zum Download bereitgestellt, welche den Betrieb der integrierten Unternehmenssoftware ohne
jegliche Installation und ohne Internetzugang auf jedem beliebigen Rechner, im Prinzip auf jedem
beliebigen handelsüblichen Daten-Stick ermöglicht. Auf diesem Weg werden Schwierigkeiten bei
der Installation, fehlende Installationsrechte des Anwenders oder Einschränkungen durch einen
nicht vorhandenen Internetzugang im Vorfeld bereits ausgemerzt.
Download Programmpaket (Stick-Lösung): http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision
- Beratung und Direkthilfe: Mail-Support und Telefon-Hot-Line
Die Arbeitsgruppe des Landesinstitutes Stuttgart steht den Lehrkräften Dienstags und Mittwochs
per Telefon bzw. per E-Mail zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
- Fortbildungsangebot für Lehrkräfte zentral an der Landesakademie und regional an den
Schulen der vier Regierungsbezirke der jeweiligen Regierungspräsidien
Über eine Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen an der Landesakademie in Esslingen und den
Beruflichen Schulen des Landes Baden-Württemberg zum Einsatz der ERP-Systeme im Unter-
richt seit dem Schuljahr 1999/2000 wurde in der Zwischenzeit ein nicht zu verachtendes Kompe-
tenzpotenzial bei den Lehrkräften aufgebaut, welches durch weitere Qualifizierungsmaßnahmen
stetig weiterentwickelt wird.
- Ausblick: Projekt FINTUS des Kultusministeriums Baden-Württemberg
Im laufenden Schuljahr wurde von Seiten des Kultsministeriums Stuttgart das Projekt FINTUS
(Fortbildungskonzeption Integrierte Unternehmenssoftware) mit dem Ziel ins Leben gerufen, eine
externe Zertifizierungsprüfung, sowohl für Lehrkräfte, als auch für Absolventen der beruflichen
Bildungsgänge auf Anwenderniveau in enger Kooperation mit dem Softwarehersteller zu konzi-
pieren und die Fachkollegen entsprechend zu qualifizieren. Dabei sind folgende Module in Anleh-
nung an die bereits bestehenden Unterrichtsmaterialien und Handreichungen in Planung:
203
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
203
Das geplante Projekt soll es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, eine Zusatzprüfung neben
der Schulabschlussprüfung abzulegen, welche spezifisch die erworbenen Kenntnisse und Fertigkei-
ten im Umgang mit dem ERP-System und dessen Anwendung zur Lösung betriebswirtschaftlicher
Fälle überprüft, und durch ein gesondertes international anerkanntes Zertifikat attestiert. Ziel ist da-
bei eine schulfremde externe Zertifizierungsprüfung und deren Beurkundung von Seiten eines unab-
hängigen Test-Centers bzw. von Seiten des Softwareherstellers.
V ResuméeSollten sich die angesprochenen ERP-Systeme als geeignetes didaktisch-methodisches Instru-
ment zur Abbildung praxisnaher Unternehmensszenarien innerhalb einer Prozessorientierten Wirt-
schaftsdidaktik zur handlungsorientierten Vermittlung, Strukturierung und Verknüpfung klassischer
betriebswirtschaftlicher Bildungsinhalte erweisen, so werden sich diese in Zukunft noch stärker
als es bereits jetzt der Fall zu sein scheint, gegen alle Widerstände von Seiten allzu verknöcher-
ter berufspädagogischer Traditionalisten im Unterricht der Betriebswirtschaftslehre wiederfinden.
Kein anderes Unterrichtsmedium hat es bisher in solch hohem, und dennoch leicht verständlichem
Maße vermocht, eine derartige schülergerechte Aufarbeitung, praxisnahe Darstellung und struktu-
rierende Verknüpfung von Unterrichtsinhalten der Betriebswirtschaftslehre bzw. des Rechnungswe-
sens handlungsorientiert zu bewerkstelligen. Zu keinem Zeitpunkt war der Unterricht der beruflichen
Schulen mit dem Einsatz moderner betriebswirtschaftlicher IT-Technologien derart zeitnah an den
aktuellen Entwicklungen der Unternehmensrealität und dabei didaktisch-methodisch in der Lage,
Aufbau-Modul B1
Finanzbuchhaltung & Jahres-
Abschluss
Aufbau-Modul B2
Leistungs-Erstellung
durch Produktion
Aufbau-Modul B3
Logistik
Aufbau-Modul B4
Übungs-Junioren-
Firma
Aufbau-Modul B5
Einzel-Handel POS
Aufbau-Modul B6
Außen-Handel Ex-Im
Aufbau-Modul B7
Personal-Verwaltung
Lohn + Gehalt
Aufbau-Modul B8
Anlagen-Verwaltung
Aufbau-Modul B9
Controlling Kosten-/
Leistungs-Rechnung
Aufbau-Modul B10
Customizing
Zertifikat I (BASICS � Grundkenntnisse)
Basismodul AGrundlagen der Anwendung der ERP-Software, Client / Mandant / Datenbank / Menüführung
Absatz und Vertrieb / VerkaufsprozesseLagerhaltung / WarenwirtschaftBeschaffung / Einkaufsprozesse
Finanzwirtschaft / Grundlagen der Finanzbuchhaltung
Zertifikat II (ADVANCED � Spezialkenntnisse)
Fortbildungskonzeption integrierte Unternehmenssoftware(FINTUS)
FINTUS MINISTERIUM FÜR KULTUS, JUGEND UND SPORT
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
204204
die Handlungsabläufe und Wirkungsketten der Arbeitswelt der Auszubildenden im Unterrichtsver-
lauf praxisnah im komplexitätsreduzierenden Modell abzubilden, inhaltlich zu strukturieren und er-
kenntnisfördernd zu analysieren. Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen didaktisch ausgearbeiteter
Handlungsszenarien bzw. didaktisch reduzierter Unternehmensmodelle in der ERP-Software und
deren einfache Anwendung in der Unterrichtspraxis. Der Blick in die beruflichen Schulen anderer
Bundesländer bzw. in die Zugriffsstatistik der Internetseiten des Landesinstitutes Stuttgart zeigt,
dass dies ohne einen Support einer zentral organisierten Schulverwaltungseinrichtung bedauerlicher
Weise nur sehr begrenzt möglich erscheint.
Autor
Gerd Häuber, Studiendirektor, Landesinstitut für Schulentwicklung; Abteilung berufliche Schulen; Rotebühlstraße 131; 70197 Stuttgart; Mail: [email protected]
Einsatz von ERP-Software im Unterricht in Bayern
205
Einsatz von ERP-Software im Unterricht
Erfahrungen in Bayern mit Mesonic WINLine und Microsoft Dynamics NAV
Edgar Sailer
1 Softwareeinsatz in Bayern
Bereits seit 1989 gibt es in Bayern Initiativen zum Einsatz von Branchen- bzw. ERP-Software im Un-
terricht an beruflichen Schulen. Sie wurden an der ehemaligen Zentralstelle für Computer im Unter-
richt Augsburg begonnen und am Staatsinstitut für Schulqualität für Bildungsforschung (ISB) Mün-
chen kontinuierlich fortgeführt.
Am Anfang wurden nur einzelne Module, insbesondere Finanzbuchhaltungspro gramme und Pro-
duktplanungssysteme (PPS), eingesetzt. Die PPS-Software fand bei Industriekaufleuten an Berufs-
schulen und in der Ausbildungsrichtung Wirtschaft an Fachoberschulen Anwendung, während die
Einfüh rung des Finanzbuchhaltungsmoduls der Branchensoftware Mesonic WINLine zunächst an
Wirtschafts- sowie Fach- und Berufsoberschulen erfolgte.
Mit der Veröffentlichung neuer Lehrpläne, z. B. für die Fachklassen Industriekaufleute an Berufs-
schulen, tauchte verstärkt die Forderung nach dem Unterrichtseinsatz einer ERP1-Software mit den
Schwerpunkten Warenwirtschaft und Produktion auf. Neben der bereits erwähnten ERP-Software
WINLine wurde deshalb vor einigen Jahren zusätzlich Microsoft Dynamics NAV eingeführt.
Beide Pro gramme verfügen über etwa den gleichen Funktionsumfang und unterscheiden sich ledig-
lich in ihrer Grundausrichtung: Der Schwerpunk von WINLine liegt in der Finanzbuchführung und Wa-
renwirtschaft, Navision hat seine Wurzeln und Stärken im Produktionsbereich.
Obwohl in den bayerischen Lehrplänen die Notwendigkeit eines unterrichtlichen Softwareeinsatzes
ausdrücklich festgelegt ist, wird kein Programm namentlich genannt. Deshalb wurde traditionell von
der Zentralstelle für Computer im Unterricht und dem ISB immer Software empfohlen, die einerseits
den Lehrplanvorgaben entspricht und ande rerseits den Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt
werden kann.
2 Materialien für den Unterrichtseinsatz
Die im Rahmen von Arbeitskreisen erarbeiteten didaktisch-methodischen Materialien wurden gezielt
für Lehrer an Be rufsschulen, Fach- und Berufsoberschulen sowie Wirtschafts- und Realschulen kon-
zipiert. Sie konnten deshalb als Grundlage für zentrale und regionale Lehrerfortbildungen verwendet
werden.
1 Enterprise Resource Planning
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
206
Bei der Konzeption der Materialien wurde immer Wert auf eine effektive und problemlose Umsetzung
im Unterricht gelegt. Zusätzlich wurden deshalb entsprechende Schüleraufgaben- und Übungsblät-
ter angeboten. Dieser Service erscheint besonders wichtig, da Lehrkräfte bei der zeitaufwändigen
Planung und Vorbereitung eines Softwareeinsatzes im Unterricht entsprechende Unterstützung be-
nötigen.
2.1 Didaktisch-methodische Vorüberlegungen
Bei allen schriftlichen Materialien werden praxisgerecht gestaltete Belege ver wendet, da die früher
üblichen Beschreibungen von Geschäftsvorgängen keinerlei Praxisrelevanz besitzen. Im täglichen
Geschäftsleben wird eine Buchung immer durch einen Beleg ausgelöst. Grundsätzlich müssen die
Aufgaben so gestaltet werden, dass sie Raum für Schülerselbsttätigkeit bieten, was durch zielgenaue
Anpassung des Schwierigkeitsgrads auf die Schulart und das Alter der Schüler sowie durch den Ein-
bau von Übungsbeispielen geschieht. Die Aufgaben sollen die innere Differenzierung ermöglichen,
z. B. durch das Angebot von Zusatzaufgaben für die „schnelleren“ Schüler. Bewährt hat sich die
Übernahme von Tutorenfunktionen durch „bessere“ Schüler. Einerseits wird dadurch die Motivation
aller Schüler deutlich erhöht, andererseits die Lehrkraft entlastet.
Abb. 1: Logo Musterfirma
Die zur Verfügung gestellten Musterfirmen, die so genannten Mandanten, beinhalten vollständige
Kontenpläne mit Debitoren- und Kreditorenkonten. Auch wird mit einem festen Artikelsortiment ge-
arbeitet, so dass keine Stammdatenpflege erforderlich ist. Um zu vermeiden, dass die Materialien
jährlich, z. B. hinsichtlich der Feiertagstermine, angepasst werden müssen, wird grundsätzlich mit
einem Arbeitsdatum gearbei tet.
Diese Vorgaben erlauben es dem Anwender, sofort mit der Bearbeitung von Situationsaufgaben zu
beginnen. Im Rahmen der Stammdatenpflege können dann später Änderungen durchgeführt oder
neue Konten oder Artikel angelegt werden. Weiterhin gibt es zu jedem Kapitel Update-Mandanten,
z. B. für die Kostenrech nung insgesamt acht, was einen flexiblen Unterrichtseinsatz der ERP-Soft-
ware ermöglicht. Dieses Angebot versetzt die Lehrer und Schüler in die Lage, entsprechend den
Lehrplanvorgaben bei jedem Datenzwischenstand „ein-“ bzw. „auszusteigen“.
Einsatz von ERP-Software im Unterricht in Bayern
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2.2 Handreichungen
Obwohl beim Thema „Einsatz von ERP-Software im Unterricht“ die Geschäftsprozesse im Mittel-
punkt stehen, wird in Bay ern aufgrund von didaktisch-methodischen Überlegungen auch eine Hand-
reichung zur Finanzbuchhaltung angeboten. Diese dient der Einführung in die Thematik und zur Ge-
wöhnung an die Programmbedienung. Sie wird deshalb verstärkt in den unteren Klassen eingesetzt.
Bei der Warenwirtschaft stehen für die Branchen Einzel- und Großhandel sowie Industrie eigene
Handreichungen zur Verfügung, die den jeweiligen Schwer punkten entsprechen. Bei der Handrei-
chung Produktionswirtschaft geht es, wie der Titel bereits verrät, um Produktionsprozesse bei der
Fertigung von eigenen Erzeugnissen. Die Handreichung Kostenrechnung ist auf einen Industriebe-
trieb abgestimmt und basiert auch auf dem Industriekontenrahmen.
In den Fachklassen für Verkäuferinnen und Verkäufern an Berufsschulen wird vorwiegend das Modul
Kasse (Point of Sale) mit den entsprechenden Auswertungen eingesetzt, z. B. Renner- und Penner-
listen sowie durchschnittlicher Umsatz pro Kunde, Stunde und Mitarbeiter. Bei den Einzelhandels-
klassen kommt die Warenbeschaffung im Modul Einkauf hinzu, in den Fachklassen für Groß- und
Außenhandelskaufleute tritt anstelle der Barverkäufe die Fakturierung. Im industriellen Bereich hat
neben Beschaffung und Verkauf schwerpunktmäßig die Produktion eine herausragende Bedeutung.
Für die kauf männischen IT-Berufe wird derzeit eine Handreichung erarbeitet, die neben der Bear-
beitung von Serviceverträgen, z. B. für PCs, zusätzlich die Programmierung von Berichten und Ein-
gabemasken beinhaltet. Diese didaktisch wertvolle Erweiterung ist durch die Überlassung einer so
genannten Entwicklerlizenz möglich. Das Modul Kostenrechnung ist für den Einsatz an Fach- und
Berufsoberschulen konzipiert und kann im Rahmen eines Projektunterrichts auch an Berufsschulen
eingesetzt werden. An den Wirtschaftsschulen wird im Unterricht schwerpunktmäßig die Finanz-
buchhaltung behandelt, die den praktischen Teil der RW-Abschlussprüfung am PC bildet. Darüber
hinaus finden die Module Einkauf, Lager und Verkauf in den Übungsfirmen Anwendung.
Die Handreichung Finanzbuchhaltung bietet nach einer kurzen Einführung in die Programmbedie-
nung einen – nach Schwierigkeitsgrad gestaffelten – Einstieg in die Buchführung: Die Palette reicht
von den einfachen Buchungen ohne Umsatzsteuer über die Buchung auf Personenkonten bis hin zur
Durchführung des Jahresabschlusses. Bei Letzterem kann man sehr anschaulich die Auswirkungen
von Buchungen auf G+V und Bilanz darstellen und die Berechnung von Kennzahlen wie Eigenkapi-
tal- oder Umsatzrentabilität mit Hilfe des Programms durchführen. Die Vorteile einer elektronischen
Buchführung sieht man am Beispiel einer Kreditorenzahlung: Es liegt ein Kontoauszug mit einer
Überweisung an einen Lieferanten vor, unter Abzug von Skonto. Da Roh- und Hilfsstoffe eingekauft
wurden, muss der Skonto beim konventionellen Buchungssatz entsprechend aufgeteilt werden. Im
Programm dagegen wird nur eine Zeile eingegeben, da Skontobuchungen und Steuerkorrektur au-
tomatisch durchgeführt werden.
Die Handreichung Warenwirtschaft ist ebenfalls nach dem Prinzip „vom Einfachen zum Schwieri-
gen“ aufgebaut: Nachdem sich der Schüler mit Hilfe von Arbeitsaufträgen, z. B. Erkundung wichtiger
Firmendaten, mit dem Programm vertraut gemacht hat, werden zunächst einfache Beispiele zum
Beschaffungs- und Verkaufsprozess angeboten. Erst später werden komplizierte Geschäftsvorfälle
bearbeitet. Mit Hilfe der Lagerregulierung kann der Lehrer die Vorgänge im Hintergrund aufzeigen,
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
208
da hier je nach Lagerabgangsmethode die Artikel mit den entsprechenden Einkaufspreisen bewer-
tet werden.
Bei der Bearbeitung einer Kundenanfrage könnte die Darstellung der Prozesskette folgendermaßen
aussehen: Da wir nicht genügend Artikel auf Lager haben, muss der Hauptprozess Anfrage, Ange-
bot, Auftrag, Lieferung und Zahlung durch einen Unterprozess ergänzt werden, d. h. vor der Liefe-
rung wird zusätzlich ein Beschaffungsvorgang eingeschoben. Da nicht genügend Artikel auf Lager
sind, muss bei der Bearbeitung des Kundenauftrags das System eine Warnmeldung ausgeben und
vor der Bestätigung des Auftrags einen automatischen Bestellvorschlag generieren. Aufgrund des
vorgegebenen Sicherheitsbestands werden vom System nicht die benötigten 16, sondern beispiels-
weise 21 Stück bestellt. Anschließend wird eine Bestellung ausgedruckt, der Kundenauftrag kann
bestätigt werden.
Beim Einsatz des Moduls Kasse sieht der Schüler – wie in seinem Geschäft – nur die Kassierungs-
maske, in die er zunächst nur einfache Kassiervorgänge eingibt. Im zweiten Schritt werden alle Son-
derfälle bearbeitet wie Anzahlungen, Gutscheine und Reklamationen. Bei den Auswertungen erhält
der Schüler einen erweiterten Zugang zum Programm. Er kann hier die einzelnen Auswertungen, wie
Renner- und Pennerlisten, Verkauf je Mitarbeiter (zu den einzelnen Tageszeit) etc. abrufen.
Beim Einsatz des Programms in Einzelhandelsklassen werden zunächst die Kassierungsvorgänge
wiederholt. Erst dann kann der Geschäftsprozess Beschaffung bearbeitet werden. Bei den Auswer-
tungen werden neben der Ermittlung der Renner- und Pennerlisten und des Verkaufs je Mitarbeiter
zusätzlich die Lagerumschlagshäufigkeit, die durchschnittliche Lagerdauer und die Handelsspanne
usw. berechnet.
Bei der Handreichung Produktion erfolgt zunächst ein kurze Erklärung der wichtigsten Begriffe. An-
schließend wird die Grunddatenverwaltung angeboten. Alternativ die Möglichkeit besteht, sofort mit
den folgenden Geschäftsprozessen zu beginnen:
1. Situation: Lagerverkauf
2. Situation: Auftragsabwicklung mit Produktion ohne Teilebeschaffung
3. Situation: Auftragsabwicklung mit Produktion und Teilebeschaffung
Während beim Lagerverkauf kein Produktionsprozess notwendig ist, werden bei der Produktion ohne
Teilebeschaffung alle für die Herstellung des Endprodukts benötigten Einzelteile dem Lager entnom-
men. Es kann sofort ein Fertigungsauftrag erstellt und freigegeben werden. Bei der Auftragsabwick-
lung mit Produktion und Teilebeschaffung muss vor Produktionsbeginn vom Programm ein automa-
tischer Bestellvorgang für die fehlenden Einzelteile ausgelöst werden. Erst nach Wareneingang wird
mit der Erstellung des eigentlichen Fertigungsauftrags der Produktionsprozess gestartet.
Abb. 2: Handreichung Produktion
Die Handreichung Kostenrechnung gliedert sich, wiederum nach Schwierigkeitsgrad gestaffelt, in
vier Bereiche:
1. Stammdatenarbeit (exemplarisch)
2. Kostenstellenrechnung mit Hilfe des einfachen BAB
3. Kostenstellenrechnung mit Hilfe des mehrstufigen BAB
4. Kostenstellenrechnung mit Hilfe des mehrstufigen BAB unter Einbeziehung der
Finanzbuchführung
Einsatz von ERP-Software im Unterricht in Bayern
209
Alle hier beschriebenen Handreichungen, Arbeitsblätter, Kopiervorlagen und Mandanten werden auf
der Homepage des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung unter http://www.erp-
software-bayern.de zum Download angeboten.
2.3. Fortbildung
Nach Fertigstellung von neuen Materialien, z. B. aufgrund des neuen Lehrplans für Industriekaufleu-
te, erfolgt die Einführung immer im Rahmen von Multiplikatorenlehrgängen, an denen mindestens
zwei Lehrer je Regierungsbezirk teilnehmen. Die Fortbildungsmaßnahme dauert meist eine Woche
und wird grundsätzlich von Mitgliedern des ISB-Arbeitskreises durchgeführt. Die Multiplikatoren ge-
ben ihr neu erworbenes Wissen anschließend im Rahmen von regionalen Fortbildungsveranstaltun-
gen an die Kollegen weiter.
Darüber hinaus werden an der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen zum
Thema ERP-Software auch Fortbildungen außerhalb der Multiplikatorenlehrgänge durchgeführt, um
insbesondere jungen Kollegen die Möglichkeit einer qualifizierten Fortbildungsmaßnahme zu bieten.
3. Ausblick
Inzwischen wurde in Bayern bei den Schularten, in deren Lehrpläne ein Softwareeinsatz im Unter-
richt verankert ist, eine Verbreitung des Softwareeinsatzes von etwa 80 % erreicht. Der Schwerpunkt
der künftigen Arbeit liegt daher in einer kontinuierlichen Verbesserung und Erweiterung der bereits
vorhandenen Materialien. Insbesondere ist geplant, eine Anpassung an neue Programmversionen
durchzuführen.
Außerdem befindet sich derzeit der Einsatz einer ERP-Software an den Wirtschaftswissen-
schaftlichen Gymnasien in Bayern im Planungsstadium, da in dieser Schulart aufgrund von aktuellen
Lehrplanänderungen neue Unterrichtskonzepte erforderlich sind.
Autor
Sailer, Edgar; Studiendirektor; Stellvertretender Abteilungsleiter Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, Grundsatzabteilung, Schellingstraße 155, 80797 München; Mail: [email protected]
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
210210
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 JahreHelmut Pscheidl-Schubert
Ausgangssituation 1998
Der Erfolg der Angebotes von SAP-Ausbildungen an österreichischen Schulen ist ganz sicher nicht
in einem oder wenigen Faktoren begründet, das Zusammenspiel vieler verschiedener positiver Ein-
flüsse war dafür entscheidend.
In der Folge wird versucht diese Rahmenbedingungen dar zu stellen und die Zusammenhänge sicht-
bar zu machen.
Das System der berufsbildenden Schulen in Österreich
In Österreich besteht seit teilweise mehr als 150 Jahren eine inhaltlich weit gestreute Landschaft
von Schulen, die nicht klassische allgemeinbildende Fächer als Kerngebiete des Lehrplans kennt,
sondern in verschiedensten Bereichen Spezialausbildungen anbietet. Dem Bildungsministerium, in
der Folge bmu:kk, sind in diesem „berufsbildenden Schulwesen“ folgende Schulen untergeordnet:
- Höhere technische Lehranstalten (HTL)
- Kaufmännische Schulen (Handelsakademien, HAK, und Handelsschulen, HAS)
- Humanberufliche Schulen (HUM)
- Im Rahmen der dualen Ausbildung - die Berufsschulen
Zum Landwirtschaftsministerium gehören die Landwirtschaftsschulen, z. B. Weinbauschulen et al.
Diese sind für den Bereich eduSAP.at aber ohne Bedeutung.
Die HTL und HUM unterteilen sich in eine große Vielfalt weiter spezialisierter Fachrichtungen, wie
Maschinenbau, Wirtschaftsingenieurwesen, Bauwirtschaft, Tourismus, etc. Aus den Bezeichnungen
kann man erkennen, dass auch hier Fachrichtungen zu finden sind, in denen ein Einsatz von SAP in
der Lehre fachinhaltlich nicht sinnvoll erscheint. Trotzdem gibt es einzelne Schulen, die SAP als Zu-
satzqualifikation anbieten, obwohl vordergründig kein Zusammenhang besteht.
Zum Beispiel wird in einigen Tourismusschulen sehr wohl SAP unterrichtet, obwohl im Tourismus in
Österreich, meiner Kenntnis nach, SAP nicht im Einsatz ist. In diesen Fällen kommt man oft zu der
Erkenntnis, dass nicht alle Absolventen im angestammten Bereich tätig sind und somit auch hier ein
gewisses Angebot durchaus erwünscht ist.
211
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre
211
Die grundsätzliche Struktur der Ausbildung in Österreich ist in der folgenden Grafik dargestellt.
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Kindergarten (ISCED 0)
Volksschule (ISCED 1)
Allgemein bildende höhere Schule Unterstufe (ISCED 2)
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Allgemein bildende höhere Schule Oberstufe
(ISCED 3A)
Berufsbildende höhere Schule (ISCED 3A/4A)
Berufsbildende mittlere Schule
bis zu 4 Jahren (ISCED 3B)
Berufsschule (Lehrer) bis zu 4 Jahren (ISCED 3B)
Polytechnische Schule (ISCED 3C)
Reife- (und Diplomprüfung) [Matura] Studienberechtigungsprüfung, Berufsreifeprüfung
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MSc, MBA…
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Aufbau des österreichischen Bildungssystems
ISCED: International Standard Classification of Education (UNESCO) * Beginn Schuljahr 2008/09
Q: BMUKK/BMWF Stand: Schul-/Studienjahr 2007/08 * Beginn Schuljahr 2008/09 Abbildung 1
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
212212
Inhaltlich ist besonders bedeutend, dass fachtheoretische Inhalte bereits als vorhandenes Wissen
vorausgesetzt werden können. Konkret bedeutet das, z. B. für die kaufmännischen Schulen, dass der
Ablauf von Angebot über Auftrag zu Lieferung und danach Fakturierung nicht im Rahmen des SAP-
Unterrichtes vermittelt werden muss, sondern bereits als Vorwissen in verschiedenen Jahrgängen, in
Fächern wie „Betriebswirtschaft“ oder „Rechnungswesen“, erlangt wurde. Begriffe wie „Stückliste“
oder „Stückkosten“ tauchen im Rahmen der HTL-Ausbildung nicht erstmals im ERP-System auf, son-
dern werden allenfalls wiederholt oder im Rahmen des SAP-Unterrichts in einzelnen Fallbeispielen
verwendet und mit Leben gefüllt. Selbstverständlich gibt es Schulen, die aus eigenem didaktischem
Zugang, bereits in der Grundausbildung, als auch zu betriebswirtschaftlichen Inhalten, SAP zur Ver-
anschaulichung der Abläufe verwenden.
Der Einsatz betriebswirtschaftlicher Software im Jahr 1998
Das Projekt nahm seinen Anfang im Bereich der Handelsakademien (HAK). Hier war seit vielen Jah-
ren an den meisten Schulen das System „Winline©“ der Firma Mesonic© im Einsatz. Manche Schu-
len unterrichteten auf dem System BMD der gleichnamigen Firma. Durch meist persönlich geprägte
Gründe waren aber auch an einzelnen Standorten andere Systeme im Einsatz.
Alle angewandten Produkte adressierten Klein- und Mittelunternehmen. Einerseits findet sich die
Begründung in der Struktur der österreichischen Wirtschaft, die stark klein- und mittelbetrieblich ge-
prägt ist, andererseits darf die technische Umsetzung in der Schule nicht vergessen werden.
Jede Software, die am Standort im schuleigenen lokalen Netzwerk betrieben werden kann, wird
als einfacher, handhabbar und kostengünstiger empfunden. Die Arbeitszeit eines technisch Ver-
antwortlichen (der Fachbegriff in Österreich ist Kustode), wird nicht von der Schule selbst, sondern
vom Schulerhalter, also vom bmu:kk, vom Bundesland oder einem privaten Schulträger, z. B. der
katholischen Kirche, finanziert. Ohne moderne Kostenrechnung fallen diese Arbeitszeiten also nicht
ins Gewicht. Obendrein ist der Kustode im direkten Zugriff der Direktion bzw. der Lehrerinnen und
Lehrer, wodurch der Anschein der Beeinflussbarkeit und des erleichterten Zugangs zu Informationen
entsteht.
Daher wurden damals vor allem die Pakete Winline und BMD gut unterstützt. Die Schulbuchverlage
boten und bieten noch heute gute Unterrichtsmaterialien an. Im Bereich der Fortbildung wurden von
den Pädagogischen Instituten, heute Pädagogische Hochschulen, verschiedene Lehrerseminare in
diesen Bereichen angeboten.
Dadurch, dass nur diese Softwareinstallationen im Lehrplan verankert waren, entstand eine gewis-
se Betriebsblindheit gegenüber neuen Software-Paketen, welche bereits in der Unternehmerwelt
eingesetzt wurden. Kurz: SAP wurde ignoriert, da in der österreichischen Struktur keine, oder nur
verschwindend wenig, vorhandene Installationen, anderer ERP-Standardsoftwarepakete bei Groß-
firmen vorhanden waren.
213
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre
213
Konzeption des Projektes eduSAP.at
Der Stadtschulrat für Wien richtete 1998 ein kleines Kernteam ein, das sich dem Thema SAP anneh-
men sollte.
Im Rahmen einer ersten Machbarkeitsstudie im Jahr 1999 wurde das Ziel definiert, dass Schülerin-
nen und Schülern die Möglichkeit und dafür benötigten Mittel geboten werden, um die, damals in der
Entwwicklung befindlichen, SAP Anwenderzertifizierungen zu absolvieren.Ob eine Schülerin oder ein
Schüler dann auch wirklich zur Zertifizierung antritt sollte im eigenen Ermessen liegen.
Als wesentlich wurden in aller Kürze die folgenden Punkte identifiziert:
- Klärung der maßgeblichen Inhalte und Curricula im Bereich Lehrerfortbildung
- Schaffung einer Unterlagensammlung zur Unterrichtsunterstützung
- Realisierung eines zentralen Serviceproviders für den Betrieb der SAP-Systeme
Zertifizierung im Klassenverband oder in einer benachbarten Schule
Um die oben genannten Punkte umsetzen zu können, mussten selbstverständlich strategische Über-
legungen zur langfristigen Finanzierung von eduSAP.at angestellt werden.
Lehrerfortbildung im Bereich SAP
Bereits nach dem Besuch weniger hauseigener SAP-Seminare von SAP-Education musste festge-
stellt werden, dass die Kurskonzepte aus dem Hause SAP nicht mit den Anforderungen des Schul-
bereiches kompatibel erschienen.
Hierfür sind mehrere Punkte ausschlaggebend:
- Das Ziel der im Hause SAP angebotenen Seminare ist es nicht Trainerinnen und Trainer aus zu
bilden. Das bedeutet, dass die didaktische Umsetzung des erlernten Inhaltes nicht den Fokus der
Seminare bildet. Auch ein besonderer Schulbezug kann nicht geliefert werden.
- Die Seminare von SAP liefern letztlich eine sehr detailreiche Ausbildung mit einem großen inhaltli-
chen Tiefgang. Für den Unterricht an Schulen ist dieser Tiefgang nicht im gleichen Ausmaß erfor-
derlich. Dafür muss eine Lehrerin oder ein Lehrer relativ bald eine umfangreiche inhaltliche Breite
über verschiedene Module hinweg vermitteln können. Um diese Breite zu gewährleisten, müssten
aber viele verschiedene SAP-eigene Seminare besucht werden, wobei auch ein großer Anteil, für
den Unterricht, nicht benötigtes Wissen erworben wird.
- Im Sinne des Aufrechterhaltens des Unterrichtsbetriebes an der Schule, war für die Direktionen
ein Fernbleiben vom Unterricht in diesem Ausmaß nicht tolerierbar. Es musste hier eine zeitlich
kompaktere Form der Lehrerseminare an geboten werden.
Gleichzeitig war es erforderlich die SAP-eigenen Seminare für Lehrerinnen und Lehrer zu öffnen, um
die Ausbildung von besonders Interessierten im Einzelfall zu ermöglichen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
214214
Das seit 2001 mit regelmäßigen Adaptierungen gültige Ausbildungskonzept ist in seinen Grundzügen
wie folgt darstellbar:
SAP-Grundlagen II
SAP FI II
SAP-Financial Acounting I
SAP-ÜFA
SAP-CO II
SAP- Controlling I
SAP-MM II
SAP-SD II
SAP-Grundlagen I
SAP-Case Studies
Abbildung 2
Jeder Interessierte muss verpflichtend zu Beginn einen 2-wöchigen Grundlagenkurs besuchen. Ziel
dieser Veranstaltung ist es, einen Überblick über SAP zu erlangen. Bereits in der ersten Kurswoche
sind viele Arbeiten am System in verschiedenen SAP-Modulen eingeplant. Damit wird ermöglicht,
dass nach bereits zwei Wochen, mit entsprechender nachfolgender Vorbereitung im Selbststudium,
ein einstündiger SAP-Unterricht an der Schule gehalten werden kann, der ca. 30-35 gehaltenen Lehr-
einheiten entspricht. Nach einiger Erfahrung ist auch die Vorbereitung auf das Absolvieren des SAP
Foundation Level Zertifikats möglich.
Die weiterführenden Kurse sind in der Grafik nur exemplarisch dargestellt. Das konkrete Kursange-
bot wird einmal jährlich überarbeitet und an die Bedürfnisse bzw. an die konkrete Nachfrage ange-
passt. Der einzige fixe Bestandteil ist der 2-wöchige Grundkurs. Ohne Teilnahme an diesem besagten
Grundkurs darf der Lehrende weder die Inhalte an Lernende weitergeben, noch ihnen den Zugang
zum SAP System beschaffen.
Alle weiterführenden Ausbildungen sind nicht verpflichtend. Das hat dazu geführt, dass sich in vie-
len Schulen ein zweigeteiltes Ausbildungsniveau in der Lehrerschaft entwickelt hat. Einerseits unter-
richten Lehrerinnen und Lehrer, die „nur“ über die Grundausbildung verfügen, einführende Inhalte
in den unteren Klassen oder an Schulen, die sich SAP nur im Rahmen für Schnupperkursen nähern.
Andererseits gibt es Lehrerinnen und Lehrer, die viele verschiedene Ausbildungen absolvierten und
vielfältige Bereiche abdecken und den Kollegen an der Schule, oder teilweise auch schulübergreifend
in Arbeitsgemeinschaften, Vorschläge für Neuerungen machen oder sie bei der Umsetzung beraten.
215
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre
215
Erfolgreich ist das Fortbildungsmodell vor allem aus folgenden Gründen:
- Die Auswahl der SAP-Inhalte erfolgt angepasst an die danach zu unterrichtende Zielgruppe der
14- bis 19-Jährigen mit betriebswirtschaftlich-technischem Vorwissen (in den Lehrerseminaren
wird kein theoretischer Input im Bereich der Betriebswirtschaftslehre gegeben)
- Die Vortragenden in den Seminaren sind möglichst selbst Lehrerinnen und Lehrer, damit sie so-
fort auf schulbezogene Fragen, wie Stundenplangestaltung, für den SAP-Unterricht, Benotung
oder auch zur Umsetzung einzelner Beispiele in unterschiedlichen Jahrgängen eingehen können.
- Es bestehen keine Einschränkungen in der Anpassung der Kursinhalte an die verschiedenen Er-
fordernisse des Schulunterrichtes.
- Ausgewählte Lehrerinnen und Lehrer können nach dem Stand-by-Verfahren kostenfrei SAP-Kur-
se aus dem Standardangebot von SAP-Education in Wien besuchen. Damit wird auch die Ausbil-
dung einer schulischen SAP-Elite gefördert, die durchaus eine Katalysatorfunktion in der Weiter-
entwicklung übernehmen kann.
Unterrichtsmaterialien
Bereits zu Beginn von eduSAP.at war die Frage nach, für den Unterricht vorgesehenen, Unterlagen
und das Customizing (Einstellung) des SAP-Systems ein entscheidender Punkt. Es war für Lehre-
rinnen und Lehrer unzumutbar allein in Eigenproduktion ein vielfältiges Set von Unterlagen für den
SAP-Unterricht zu erstellen und vor allem immer einen neuen Mandanten zu customizen. Folgende
Anforderungen wurden, kurz gefasst, an das SAP-System gestellt:
- Abbildung der österreichischen Gesetzgebung (=Lokalisierung) z. B. österreichischer Einheits-
kontenrahmen; Umsatzsteuer-Sätze; u.v.a.m.
- Es müssen gepflegte Stammdaten für die Realisierung von Übungsbeispielen, vorhanden sein,
damit Schüler und Schülerinnen realitätsnah arbeiten können. Dies müssen die üblicherweise
kryptischen Nummernstrecken durch einfache logische Wege ersetzen.
- Die grundsätzliche Prämisse des Diktates der didaktischen Hochwertigkeit vor der softwaretech-
nischen Tiefe sollte verfolgt werden.
Diese Forderungen wurden insbesondere im ersten Jahr des SAP-Unterrichtes (2001) laut. Mit Ein-
verständnis von SAP-Österreich wurde 2001 die Standardschulungsumgebung IDES von SAP ver-
wendet. In diesem international ausgerichteten System wird auf die oben erwähnten zielgruppenab-
hängigen Anforderungen keine Rücksicht genommen. Dafür ist die funktionale Ebene deutlich aus-
geprägter, als sie für den Unterricht notwendig wäre.
Als Reaktion darauf hat das Bildungsministerium (bmu:kk) über Projektgelder die Schaffung eines ei-
genen SAP-Schulungsmandanten mit Unterlagen finanziert. In den Jahren 2001 bis 2003 wurden das
Customizing und die Daten für den Einsatz im österreichischen Schulwesen geschaffen. Parallel dazu
wurden Unterrichtsmaterialien erstellt, die auf diesen SAP-Mandanten referenzieren.
Ein System wie SAP ist permanenten Veränderungen unterzogen. Einmal ist ein Versionswechsel
notwendig, das nächste Mal sind Fehlerkorrekturen oder auch das Einpflegen neuer Beispiele nötig.
Da das bmu:kk nach 3-Jahren keine Möglichkeit gesehen hat, weitere Projektgelder für die Aktuali-
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
216216
sierung zur Verfügung zu stellen, war das damalige System mit dem Wechsel von der SAP Version 4.6
auf ECC 6.0, im Schulbereich, am Ende seines Lebenszyklus angekommen.
Im Rahmen der Kooperation zwischen dem Verein Business Software Austria und der Technischen
Universität Wien, die in Österreich SAP-Systeme für Universitäten und Fachhochschulen zur Verfü-
gung stellt, wurde die Schaffung eines neuen Schulungsmandanten (ACME) mit dazu passenden
Unterlagen beschlossen.
Der Betrieb des Altsystems wurde, bis auf den Bereich der Übungsfirmen, die mit SAP betrieben
werden, eingestellt. Seit Sommersemester 2008 können die Schulen zwischen dem System ACME
der Technischen Universität und dem System biz:ADES Enterprise des SAP-Education Partners
biz:Consult wählen. biz:ADES Enterprise wird an allen Einrichtungen der Erwachsenenbildung in Ös-
terreich, Kroatien und Ungarn benutzt.
Das Prinzip, einen SAP-Mandanten mit vorbereiteten Einstellungen und dazu passenden Unterla-
gen zu nutzen, ist bei beiden Systemen gleich. Die Unterschiede sind in der Unterlage selbst, vor
allem der didaktischen Form der Beispiele und theoretischen Erklärungen, sowie in den im SAP-
Mandanten ein gepflegten Beispieldaten ersichtlich. Weiterentwicklungen müssen von der TU selbst
getragen werden. biz:ADES Enterprise ist aus dem Business Modell der Privatwirtschaft langfristig
finanziert und damit einer permanenten Qualitätskontrolle und den entsprechenden Weiterentwick-
lungen unterzogen.
Eine detailliertere Darstellung würde aber den Anspruch an eine zusammenfassende Übersicht
sprengen. Der Verein Business Software Austria betrachtet den Bereich der Unterlagen- und Sys-
temabdeckung durch zwei konkurrenzierende Anbieter auf hohem Niveau als gelöst. Nach derzeiti-
gem Stand wählen im Schuljahr 2009/10 (also im ersten Jahr des Angebots beider Systeme), ca. 60%
das bereits bekannte System der TU und 40% das neu angebotene Systeme biz:ADES Enterprise der
Firma biz:Consult.
Serverbetrieb
Der Verein Business Software Austria ist eine vertragliche Bindung mit SAP-Österreich eingegangen.
Das bedeutet, dass Business Software Austria ein sogenanntes ECC (Education Competence Center) ist.
Kernaufgabe eines ECC ist die Versorgung von öffentlichen Bildungseinrichtungen, über ein hosting-
Modell, die keine Business Modelle (auch wenn sie nur langfristig keine Gewinne erwirtschaften dür-
fen) verfolgen (diese Definition wird sehr eng ausgelegt), mit SAP-Systemen. Das ECC ist zwar zur
Einhaltungen verschiedenster Qualitätskriterien verpflichtet und erhält weder Förderungen der öf-
fentlichen Hand noch von SAP, darf aber dafür nach einem Selbstfinanzierungsmodell SAP-Systeme
ohne Bezahlung von SAP-Lizenzentgelten nutzen.
Zu Beginn der SAP-Ausbildung in Schulen hat der Verein eine Anschubfinanzierung des bmu:kk er-
halten. Damit wurden die ersten Server angeschafft. Mittlerweile ist die zweite, aus Vereinsgeldern
selbst finanzierte, Server-Generation im Einsatz und wird von einem Beratungsunternehmen als Auf-
tragsarbeit gewartet.
Auf den Vereinsservern ist das ACME-System der TU installiert, die biz:ADES Enterprise-Systeme
werden von biz:Consult auf eigenen Servern gehostet. Beide Betreiber sind vertraglich verpflichtet
217
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre
217
den qualitativen Anforderungen des Vereins und von SAP zu genügen und die Verantwortlichkeiten
eines ECC um zu setzen.
Durch die oben beschriebenen Regelungen und die große Zahl an angeschlossenen Schulen ist es
möglich kostengünstig zu verrechnen. Für ca. 11 Kalenderwochen, deren Beginn frei gewählt werden
kann, werden derzeit inklusive Umsatzsteuern 555,90 € verrechnet. Mit diesem SAP-System können
ca. 20 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Die Anzahl der Unterrichtseinheiten ist nicht
vorgegeben, das bedeutet, dass manche Schulen diese „Zeitscheiben“, je nach Stundenplangestal-
tung, für bis zu 90 Unterrichtseinheiten nutzen können.
Statistisch gesehen, kauft eine, an eduSAP.at beteiligte, Schule mehr als 3 SAP-Mandanten im Schul-
jahr. Daraus folgt, dass das Preismodell tendenziell Schulen mit weniger Schülerinnen und Schüler
bevorzugt und damit den Zugang zu eduSAP.at deutlich erleichtert und von der Schulgröße unab-
hängig macht. Nichts desto trotz werden die Kosten von den Schulen als kritische Größe betrachtet.
Ein genauerer Blick auf die schulische Umsetzung
Darstellung in statistischen Größen
Die unten dargestellte Grafik zeigt die Entwicklung der Schülerzahlen seit Beginn des SAP-Unterrich-
tes an österreichischen Schulen.
0
1000
2000
3000
4000
5000
6000
7000
8000
2001/02 2002/03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07 2007/08 2008/09Students 600 2.100 3.500 5.000 5.800 6.000 6.200 6.500
600
2.100
3.500
5.000
5.8006.000
6.2006.500
Abbildung 3
Als Vergleich muss festgehalten werden, dass im berufsbildenden Schulwesen jährlich ca. 20.000
Schülerinnen und Schüler die Schulzeit erfolgreich absolvieren, d.h. ca. 30% aller Absolventinnen
und Absolventen im Bereich der berufsbildenden Schulen haben zumindest eine einführende SAP-
Ausbildung genossen. Die Meisten sind deutlich über eine Einführung hinaus ausgebildet, manche
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
218218
haben weiterführenden Zertifizierungen durchlaufen und sind damit durchaus als sehr gut ausgebil-
dete SAP-Anwender zu bezeichnen.
Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt hier bei technischen Lehranstalten und den Handelsakademi-
en. Lediglich ca. 1.500 Schülerinnen und Schüler werden in HUM oder auch im Rahmen der Berufs-
schule im dualen System ausgebildet.
Rahmenlehrpläne – vom SAP-Schnuppern bis zum Zertifikat
Das österreichische Schulwesen kennt das Konstrukt des Rahmenlehrplans. Vereinfacht dargestellt
gibt der Lehrplan inhaltlich eine klar definierte Richtlinie vor, die aber nicht stark ausdifferenziert ist,
sodass nicht ausreichend Freiraum zur Präzisierung und zur Auswahl von Inhalten bleibt. Vor allem
die angewandte Software wird meist nicht definiert, wodurch ein großer Spielraum zur Weiterent-
wicklung entsteht. Beispielhaft soll diese Logik am 2. Jahrgang HAK erläutert werden.
Exemplarischer Auszug aus dem Lehrplan 2. Jahrgang Handelsakademie, veröffentlicht im Bundes-
gesetzblatt. II Nr. 291, vom 19. Juli 2004
Anlage A1:
I I. Jahrgang:
- Anschaffung von Anlagegegenständen.
- Begriff und Ursachen der Anlagenabschreibung; Berechnung und Verbuchung inklu-
sive
- Anlagenbuchführung.
- Sonderfälle der Anlagenbewertung, z. B. Erhaltungs- und Herstellungsaufwand, Aus- z. B. Erhaltungs- und Herstellungsaufwand, Aus-
scheiden von Anlagen.
- Rechnungsabgrenzung.
- Rückstellungen.
- Forderungsbewertung.
- Abschluss von Einzelunternehmen (nach Möglichkeit computerunterstützt) mit Ver-
schränkung zu
- Rechtsformen der Unternehmung im Pflichtgegenstand „Betriebswirtschaft“.
- Um- und Nachbuchungen mit außerbücherlicher Erfolgsermittlung; Abschlusstabelle;
Bilanz
- einschließlich staffelförmiger Gewinn- und Verlustrechnung.
- Buchungsübungen
Anlagenbewertung:
Basislehrstoff:
Grundzüge der Bewertung:
- Allgemeine Bewertungsvorschriften
- Waren- und Materialbewertung (Abfassungsprinzipien)
219
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre
219
Neben allen inhaltlichen Festlegungen können folgende Punkte aus diesem exemplarischen Auszug
erkenntlich gemacht werden:
1. Die Software, die im Bereich des computerunterstützten Rechnungswesens verwendet wird, ist
nicht vorgegeben.
2. Die Verwendung einer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware ist verpflichtend, aber sehr un-
konkret in Bezug auf das Ausmaß, den Einfluss auf die laufende Beurteilung (Mitarbeit) und den
unterrichteten Inhalt formuliert.
3. Eine Schularbeit muss unter Einsatz der angewandten Software abgewickelt werden.
Dadurch ist es in einem speziellen Rahmen möglich, bis zu 2/3 des theoretischen Stoffgebietes un-
ter Verwendung von SAP zu unterrichten. Ebenso abgedeckt wäre natürlich nur ca. 20% mit Soft-
wareunterstützung zu unterrichten und exakt den Lehrstoff der entsprechenden Schularbeit mit einer
Software zu unterstützen.
Computerunterstütztes Rechnungswesen:
- Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit des computerunterstützten Rechnungswe-
sens;
- Organisation des Rechnungswesens bei Einsatz einer Datenverarbeitungsanlage.
- Verbuchung von laufenden Geschäftsfällen einschließlich Lager- und Anlagenbuch-
führung
- (Eröffnung, laufende Buchungen, Fakturierung und Verwaltung offener Posten) an-
hand einer
- Belegsammlung; einfache Abschlussbuchungen; Bilanz einschließlich staffelförmiger
Gewinn- und
- Verlustrechnung; laufende Datensicherung.
- Betriebswirtschaftliche Fallstudien.
Erweiterungslehrstoff:
- Verbuchung der Abschreibung nach der indirekten Methode. Vertiefende Abschluss-
buchungen.
IT-Bezug:
- Bearbeitung der Lehrstoffinhalte computerunterstützt.
- Betriebswirtschaftliche Standardsoftware.
Übungsfirmen-Konnex:
- Sämtliche Lehrplaninhalte bilden die Grundlage für die Übungsfirmenarbeit.
Schularbeiten:
- Drei einstündige Schularbeiten, eine davon im Teilbereich computerunterstütztes
Rechnungswesen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
220220
Diese Freiheiten sind selbstverständlich im Bereich Betriebswirtschaft und im Rahmen einer e-Busi-
ness Ausbildung gestaltet.
Die österreichischen Schulen wählen verschiedene schultypenunterschiedliche Lösungen, um den
SAP-Unterricht zu verankern. Typischerweise werden folgende Varianten gewählt, wobei die unter-
schiedlichsten Mischformen bestehen:
1. Einbau des SAP-Unterrichtes in den Regelunterricht durch Interpretation des Rahmenlehrplanes.
2. Schaffung eines eigenen SAP-Freifachs, als unverbindliche Lehrveranstaltung, gegen Ende der
Schulausbildung. Dazu genügt, ein in der Schule selbst verfasster, Lehrplan und ein Beschluss
des Schulgemeinschaftsausschusses (SGA=demokratisches Gremium mit Vertretern von Leh-
rern, Schülern und Eltern, das in ausgewählten Fällen über schulische Belange befragt werden
muss.)
3. Eine Mischung aus 1. und 2., wobei die SAP-Grundausbildung im Pflichtfachbereich verankert
wird und die Spezialisierung/Vorbereitung zur Zertifizierung erfolgt im Freifachbereich.
Ein wichtiges Element ist auch, dass damit verschiedene SAP Anwenderzertifizierungen für Schüle-
rinnen und Schüler erreichbar sind. Trotzdem nutzen nur verhältnismäßig wenige Schülerinnen und
Schüler die Möglichkeit zu diesen Zertifizierungen. Einerseits liegt das sicher am subjektiv als hoch
wahrgenommen Preis (160,- vergünstigt über den Verein Business Software Austria, der auch Zerti-
fizierungspartner ausschließlich für Schulen ist). Andererseits ist die Zertifizierung, vor allem in den
fachinhaltlich weiterführenden Bereichen, nicht leicht zu bestehen, daher wird nur den besten Schü-
lerinnen & Schülern der Antritt empfohlen. Letztlich führt das zu atemberaubenden Erfolgsquoten
von 90% und mehr erfolgreichen Antritten pro Prüfungstermin. Dieser Wert ist in der Erwachsenen-
bildung nur sehr selten erreichbar. Aus der folgenden Grafik kann die Entwicklung der Zertifikatsan-
tritte über die letzten Jahre ersehen werden:
0
50
100
150
200
250
300
2001/02 2002/03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07
2
118
165
263275
261
Abbildung 4
221
SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre
221
Ausblick
Allgemeine Bemerkungen
Seit langem ist eduSAP.at aus der Projektphase heraus getreten und zum fixen Bestandteil der öster-
reichischen Schullandschaft geworden. Im Rahmen der selbst finanzierten Abwicklung von Providing
und System-/Unterlagenentwicklung sind auch hier langfristig die Weichen gestellt.
Neuerungen sind durch die Integration neuer Schultypen, möglicherweise der ersten allgemeinbil-
denden Schulen denkbar. Die Eintrittsbarrieren sind in diesem Bereich allerdings bei Weitem höher,
da in diesem Schultyp keine direkt verwertbare wirtschaftliche Ausbildung im Standardlehrplan vor-
gesehen ist.
Lehrerfortbildung
Die Aus- und Weiterbildung von Lehrern in Österreich wird derzeit zu ca. 60% von SAP getragen,
40% trägt das bmu:kk. Damit wurde die Grundausbildung von ca. 600 Lehrerinnen und Lehrern fi-
nanziert. Derzeit, aufgrund einiger Budgetkürzungen, ist zumindest nicht von einem Wachstum der
zur Verfügung stehenden Mittel aus zu gehen.
Allerdings muss auch angemerkt werden, dass bis auf die oben erwähnten allgemeinbildenden
Schulen der Markt bis zu einem gewissen Grad bereits gesättigt ist. Grundlagenkurse werden re-
gelmäßig angeboten, weiterführenden Schulungen werden dem wechselnden Bedarf angepasst.
Trotzdem ist in diesem Bereich der Ansturm nicht mehr im gleichen Ausmaß zu erwarten wie in den
Anfangsjahren. Mit bis zu 60 Lehrerinnen und Lehrern auf Wartelisten bei ca. gleicher Anzahl an zur
Verfügung stehenden Seminarplätzen pro Jahr entsteht eine Wartezeit von ca. 1 Jahr auf eine Se-
minarteilnahme.
Neue Themen bei eduSAP.at
Eine Neuerung im laufenden Schuljahr ist das Angebot einer Prozessmanagementausbildung zur
Komplettierung der SAP-Ausbildungen im betriebswirtschaftlichen Kontext. Hier wird der Ver-
such unternommen in SAP abbildbare Prozesse basierend auf schulischen Beispielen z. B. aus der
Übungsfirma, zu analysieren, zu optimieren und danach mit SAP-Mitteln ab zu bilden. Übungsfirmen
sind virtuelle Unternehmen, die den Schülerinnen und Schülern die Arbeitswelt realitätsbezogen nä-
her bringen sollen. Die dazu nötige Methode wird mit einer Zertifizierung von der betriebswirtschaft-
lichen Gesellschaft (BEWIG) angeboten und wird ab nächstem Schuljahr an einer Wiener Handels-
akademie eingesetzt.
Die zweite Neuerung ist die Erweiterung der Inhalte um den Bereich Human Ressource (SAP HR).
Diese Möglichkeit ist durch das Angebot der Firma biz:Consult, biz:ADES Enterprise Systeme und
Unterlagen auch für Schulen zugänglich zu machen, erreicht. Das Schulungssystem ACME der TU
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
222222
Wien deckt das HR-Modul nicht ab, dadurch konnte gerade für die Handelsakademien ein weiterer
„weißer Fleck“ auf der SAP-Landkarte versorgt werden. In den Handelsakademien ist Personalver-
rechnung unter Softwareeinsatz verpflichtend im Lehrplan vorgesehen. Auch in der Übungsfirma ist
die Abrechnung der Gehälter mit einer Software verpflichtend. Hier war diese Neuerung besonders
drängend, da mehrere Schulen SAP in Übungsfirmen einsetzen und für die Personalverrechnung
Fremdprodukte einsetzen mussten.
Technische Neuerungen im Bereich des Systemproviding
Derzeit werden die ersten Versuche durchgeführt um im Schuljahr 20010/11 einen Zugriff auf die
SAP-Systeme von Business Software Austria über Remote Desktop Verbindungen zu ermöglichen.
Der wichtigste Punkt ist dabei der Schutz der im Einsatz befindlichen Software vor unrechtmäßigem
Zugriff beziehungsweise die strikte Vorgabe, welche eine SAP Installation auf privaten Rechnern ver-
bietet, da die Geräte von Schülern nicht in einer gesicherten Umgebung stehen und sich auch jedem
Zugriff durch Lehrer entziehen.
Weitere entscheidende Themen sind die Leistungsfähigkeit der Internetverbindungen des Vereins
und die Leistungsfähigkeit der Server selbst.
Autor
Pscheidl-Schubert, Helmut; MMag.; Obmann SAP-Koordinator i.A. des bmu:kk; Business Software Austria - Verein zur Förderung des Einsatzes betriebswirtschaftlicher Standardsoftware in Österreich; Donau City Straße 1; A-1220 Wien; Mail: [email protected]
223
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?
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Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMwareEin Beitrag zum zentralen technischen Support?Christoph Hölzlwimmer
Durch den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer modernen Informationsgesellschaft sind compu-
terbasierte Medien zu einem wichtigen Bestandteil der heutigen beruflichen Realität avanciert. Diese
Veränderungen berühren in besonderem Maße auch die Gestaltung des Unterrichts an beruflichen
Schulen. So stellen Natland und Kerres (2006, S. 422) fest, dass EDV nicht mehr nur im klassischen
Informatikunterricht, sondern auch fachbezogen und –übergreifend zum Einsatz kommt.
Die jährliche Survey über die IT-Ausstattung an Schulen quantifiziert diesen Bedeutungszuwachs be-
eindruckend. Demzufolge hat sich die Computeranzahl an beruflichen Schulen von 2003 bis 2006 auf
ca. 297.000 Stück mehr als verdoppelt (Krützer & Probst, 2006, S. 43).
Dieser Anstieg lässt sich sehr exakt durch diverse Förderprogramme zu Beginn des neuen Jahrtau-
sends begründen, die den geänderten Anforderungen an den schulischen IT-Einsatz Rechnung tra-
gen sollen. Allerdings wurden die erheblichen Investitionssummen meist nur für Neuanschaffungen
bereitgestellt. Es wurde dagegen meist nicht beachtet, dass EDV-Systeme nach der Anschaffung
hohe Folgekosten bedingen. So geht etwa Große (2005, S. 35) davon aus, dass jährlich mit zehn Pro-
zent der Investitionssumme für den technischen Support zu rechnen ist. Grepper und Döbeli (2001,
S. 13) stellen fest, dass die Laufzeit eines Schulrechners bei etwa fünf bis sechs Jahren liegt. Nach
dieser Zeit wird eine Ersatzbeschaffung von Nöten sein.
Aus der kurz geschilderten Problematik wird ersichtlich, dass in Zukunft, neben die generelle Aus-
stattung der Schulen mit moderner Hard- und Software, auch die Fragestellung treten muss, wie die
Schulbudgets im Bereich der laufenden Kosten entlastet werden können.
Virtualisierung
Eine Möglichkeit, Kosten zu senken, die sich in den vergangenen Jahren vor allem in Unternehmen
mehr und mehr durchgesetzt hat, ist die Virtualisierung. Die Informatik versteht unter diesem Begriff,
dass mit Hilfe von Hard- und Software physisch nicht existente Systeme erzeugt werden. In einer
einfachen Form dürfte dies vielen von ihrem PC-Betriebssystem bekannt sein, das bei zusätzlichem
Arbeitsspeicherbedarf eine virtuelle Auslagerungsdatei auf der Festplatte erstellt.
Wenn im Folgenden von Virtualisierung gesprochen wird, geschieht dies aber immer im Zusammen-
hang mit Virtuellen Maschinen, so genannten VMs. Eine VM stellt dabei einen künstlich erzeugten
Computer dar, der auf einem physisch vorhandenen Computer, dem Host-System, aufsetzt.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
224224
Virtualisierungsschicht
Gastbetriebssystem
Betriebssystem des Host
physikalischer Server (Host)
Anwendungen Anwendungen Anwendungen
Gastbetriebssystem Gastbetriebssystem
Virtuelle Maschine Virtuelle MaschineVirtuelle Maschine
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Virtualisierung von Rechner
Das Hauptargument, wieso überhaupt auf Virtualisierung zurückgegriffen wird, liegt in der Trennung
der tatsächlichen von den für den Benutzer sichtbaren Ressourcen. Kurz gesagt bedeutet dies, auf
einem einzigen real existierenden Computer können mehrere VMs gleichzeitig nebeneinander be-
trieben werden. Mit dieser Vorgehensweise sind laut Betzler (2007, S.106f.) unterschiedliche Vorteile
verbunden:
- Es kommt zu einer Kostendegression bei der Verwaltung der IT-Hardware. Administratoren müs-
sen hierbei weniger physisch vorhandene Hardware verwalten, da auf einem Hostsystem mehrere
Gastsysteme betrieben werden.
- Es kommt zu einer besseren Auslastung der tatsächlichen Ressourcen, so dass die Kosten für die
eingesetzte Hardware sinken. Dies spielt vor allem im Bereich teurer Serverprodukte eine erheb-
liche Rolle.
- Die Virtuellen Maschinen können schnell an neue Anforderungen angepasst werden. Flexibilität
muss nicht teuer durch die Beschaffung neuer Hardware erworben werden. Dies führt wiederum
zur Kostendegression.
- Die Hardware besticht durch eine hohe Verfügbarkeit. Sogar im Falle des Supergaus für jedes IT-
System, dem Ausfall eines physischen Servers, ist eine VM innerhalb weniger Minuten auf einem
anderen Server des IT-Pools wieder einsatzbereit.
- Letztendlich besteht eine hohe Skalierbarkeit der Ressourcen, die mit herkömmlichen Mitteln
nicht zu erreichen ist.
225
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?
225
Die Virtualisierung bringt also unübersehbare Vorteile in einer sich rasch weiterentwickelnden IT-Welt
mit sich. Das Marktforschungsinstitut Butler Group (2007, S. 7) geht in einer 2007 veröffentlichten
sogar Studie davon aus, dass die Virtualisierung bis Ende 2010 zur dominierenden Technologie in
Rechenzentren geworden ist, da durch sie Kosten reduziert und gleichzeitig die Flexibilität gesteigert
werden kann.
Bereitstellung von virtuellen Arbeitsplätzen
Im Rahmen einer Praxisfallstudie sollte ermittelt werden, ob sich die in Unternehmen eingesetzte Vir-
tualisierungstechnologie und Netzwerkarchitektur auch im schulischen Bereich bewährt.
Kernstück der Hardware für die Teststellung bildete ein Sun Bladeserver, der am Rechenzentrum
der Universität Erlangen-Nürnberg gehostet wurde. Dieser Server, ausgestattet mit zwei AMD Dual-
Core CPUs, die mit einer Taktfrequenz von 2,613 Ghz betrieben werden, und einem 32 GB großer
Arbeitsspeicher, beherbergt die Vitalisierungslösung VMware Infrastructure 3 des amerikanischen
Unternehmens VMware Inc. Dieses Produkt wird vor allem zur Virtualisierung und Konsolidierung
von Rechenzentren verwendet. Als Datenspeicher wurde mit Hilfe des iSCSI1-Protokolls ein Hewlett-
Packard DL320s Storage-Server angebunden. Dieser verfügte über eine Speicherkapazität von etwa
1,4 Terabyte.
Wichtigster Bestandteil des Infrastructure Pakets ist der VMware ESX-Server. Dieser basiert auf ei-
nem rudimentären Red Hat Linux Kernel und bringt so den Vorteil mit sich, kein Host-Betriebssystem
zu benötigen, auf dem die Virtualisierungsebene betrieben wird. Vielmehr stellt der ESX-Server das
Betriebssystem des physischen Servers selbst zur Verfügung (Abb. 1).
Für die Teststellung im Rahmen der Praxisfallstudie wurden im Folgenden auf dem ESX-Server drei
VMs erstellt. Die Konfiguration einer neuen VM muss dabei nicht vor Ort am physischen Server er-
folgen, sondern kann auf eine bequeme Art und Weise über das Internet geschehen. Einzige Voraus-
setzung dafür ist die Installation des Dienstprogramms VI-Client auf dem Computer. Der eigentliche
Konfigrationsprozess ähnelt sehr dem Zusammenstellen eines herkömmlichen PCs. Auch hier muss
für die Hauptkomponenten der VM, wie etwa die Anzahl der CPUs, die Größe der Festplatten oder
des Arbeitsspeichers, wie in Abbildung 2 dargestellt, eine Auswahl getroffen werden.
1 Internet Small Computer System Interface – Der große Vorteil von iSCSi besteht darin, dass Daten zwischen Anwen-Internet Small Computer System Interface – Der große Vorteil von iSCSi besteht darin, dass Daten zwischen Anwen-
dungs- und Storageserver über das TCP/IP-Protokoll versendet werden können.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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Abbildung 2: Auswahl der Arbeitsspeichergröße (VMware Inc.)
Dieser Konfigurationsprozess ist auch für Ungeübte schnell zu durchlaufen, so dass die eigentliche
Bereitstellung einer neuen VM durch den ESX-Server unter 15 Minuten zu bewerkstelligen ist.
Wie bereits erwähnt, wurden drei VMs auf dem ESX-Server erzeugt, auf denen jeweils das Microsoft
Betriebssystem Windows Server 2003 Enterprise Edition installiert wurde. Einzig die Rollen, die die
jeweiligen VMs übernahmen, unterschieden sich. So wurde auf der ersten VM, die mit vier virtuellen
CPUs, 8 GB Arbeitsspeicher und einer 40 GB großen Festplatte konfiguriert war, ein Windows 2003
Terminalserver installiert. Dieser stellte den zentralen Anwendungsserver für die spätere Testphase
dar. Die VM Nummer zwei wurde zum Windows 2003 Domänencontroller2 hochgestuft. Auf der drit-
ten VM, war ein Storage-Server beheimatet, der zentral alle Benutzerprofile und Daten der Domäne
erfasste. Sowohl die VM des Domänencontrollers als auch die des Storage-Server waren, im Ver-
gleich zum Terminalserver, mit deutlich weniger Rechenleistung ausgestattet.
Es war geplant, dass in der späteren Testphase an einer beruflichen Schule die Schüler auf den Com-
putern vor Ort eine Remote Desktop Verbindung3 auf den virtuellen Terminalserver herstellen und
dort in einer gewohnten Windows-Umgebung arbeiten.
2 Ein Windows 2003 Domänencontroller arbeitet zusammen mit dem Verzeichnisdienst Active Directory in etwa wie
ein „Telefonbuch“. Es werden Netzwerkressourcen (Drucker, Benutzer, usw.) mit Informationen verbunden (Knecht-
Thurmann, 2003, S.23). Die Namensauflösung erfolgt über DNS, weshalb oft auch von DNS-Servern gesprochen wird
3 Mit einer Remote Desktop Verbindung wird über das zugehörige Remote Desktop Protokoll eine Verbindung zu einem
entfernten Computer aufgebaut. Der Desktop dieses entfernten Computers kann damit ferngesteuert werden.
227
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?
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Praxisfallstudie an der Ludwig-Erhard-Berufsschule Fürth
Mit der Ludwig-Erhard-Berufsschule in Fürth wurde eine Schule gewonnen, die sich bereit erklärte,
das Projekt mit durchzuführen.
Die Schule verfügt über insgesamt 106 Arbeitsplätze, aufgeteilt auf sechs EDV-Säle, deren techni-
sche Ausstattung ein Alter zwischen einem und fünf Jahren aufweist und somit exakt die Laufzeit
von Schulrechnern abbildet. Weitere PCs befinden sich in einigen Klassenräumen der Schule. Alle
Rechner sind über ein 100 M/Bit Netzwerk miteinander verbunden und werden mit Hilfe eines Win-
dows Server 2003 Domänencontrollers verwaltet. Diese einfache Client-Server-Architektur bringt der
Schule zwei große Vorteile. Durch servergespeicherte Benutzerprofile können die Schüler von jedem
beliebigen Computer immer an ihren eigenen Daten arbeiten. Andererseits kann mit Hilfe der Rech-
teverwaltung des Domänencontrollers sehr exakt definiert werden, wer auf den Computern welche
Anwendungen, Speicherdateien oder Dienste ausführen darf.
Besonders wichtig für die Durchführung der Praxisfallstudie war es auch, dass auf jedem Rechner
der Schule eine Internetverbindung besteht. Dies ist an der Ludwig-Erhard-Berufsschule gewähr-
leistet, da in verschiedenen Ausbildungsberufen die Recherche im Internet einen zentralen Bestand-
teil des EDV-Einsatzes darstellt. Die Internetanbindung erfolgt über einen DSL-Anschluss mit einer
Bandbereite im Downloadbereich von sechs Megabits pro Sekunde und einem maximalen Upstream
von 576 Kilobit pro Sekunde. Zur Absicherung des Schulnetzes wird ein linuxbasierter Proxyserver
eingesetzt, der neben der Filterung von Websiten auch die Einbindung von Positiv- oder Negativlis-
ten ermöglicht. Zusätzlich verfügt die Schule auch über einzelne Lehrer-PCs in Klassenräumen, die
bereits mit einem Netzwerkanschluss ausgestattet sind.
Im Bereich der Software kommen neben den Standard-Officeanwendungen wie Microsoft Word, Ex-
cel oder Access vor allem Entwicklungsumgebungen zum Einsatz, wie etwa Microsoft Visual Studio
oder der Borland C++ Builder. Gleichzeitig wird auf jedem Rechner ein lokaler Apache HTML-Server
und ein mySQL Datenbankserver betrieben. Im Bereich moderner ERP-Software wird zurzeit keine
Software „flächendeckend“ im Unterricht eingesetzt.
Betrachtet man die IST-Situation in der Schule näher, so fällt zunächst sehr deutlich auf, dass zwei
der vorhandenen EDV-Räume mit PCs ausgestattet sind, die nicht mehr den Anforderungen der
Schule gerecht werden können. Dies wird besonders deutlich daran sichtbar, dass in diesen Räumen
nur noch die Standard-Officeanwendungen geschult werden. Für moderne Entwicklungsumgebun-
gen oder gar Grafikbearbeitung reicht die Ausstattung der PCs nicht mehr aus. Im Umkehrschluss
bedeutet dies für die Ludwig-Erhard-Berufsschule, dass nicht ganz die Hälfte der Rechner in naher
Zukunft im Rahmen einer Ersatzbeschaffung ausgetauscht werden müssen.
Als zweite Schwachstelle sticht ins Auge, dass die Schule zwar über sechs EDV-Räume verfügt,
diese allerdings meist durchgehend ausgebucht sind. Die vorhandenen Kapazitätsengpässe führen
dazu, dass der IT-Einsatz nicht in dem Umfang sichergestellt werden kann, in dem er beispielsweise
durch die Lehrpläne gefordert und auch von den einzelnen Lehrkräften gewünscht wäre. Daher plant
die Schule bald möglichst weitere Räumlichkeiten und Rechnerarbeitsplätze zu schaffen, um diesem
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
228228
Engpass entgegen zu steuern. Dies hat allerdings wieder zur Folge, dass die Unterhaltskosten für die
EDV nochmals ansteigen werden.
Auch im Bereich der Netzwerktechnik wird in den kommenden Jahren ein nicht unerheblicher In-
vestitionsbedarf auftreten. So ist es auch hier geplant, die restlichen noch nicht vernetzten Teile des
Schulgebäudes anzubinden und die vorhandene Netzwerkhardware zu erneuern.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in den nächsten Jahren zusätzliche Investitionen
in die Hardware nötig werden. Der Kernpunkt liegt allerdings darin, dass mit dem gros dieser Gelder
nicht neue, zusätzliche Hardware beschafft werden kann, sondern nur der Status Quo erhalten wird.
Im folgenden Schritt musste der virtuelle Terminalserver an die Anforderungen der Schule angepasst
werden. Dazu wurden einerseits die Benutzerprofile der beteiligten Schüler auf den Server umgezo-
gen, virtuelle Speicherlaufwerke für die jeweiligen Klassen eingerichtet und zuletzt die benötigten
Softwarepakete auf dem Server installiert.
Auf Seiten der Schule musste zunächst der Zugriff auf die IP-Adresse des virtuellen Terminalservers
freigegeben werden. Daneben wurde auf den PCs der Schule das Windows Dienstprogramm Remo-
tedesktopverbindung so konfiguriert, dass dort die IP-Adresse des Servers, die Serverdomäne und
die Mitnahme von lokalen Ressourcen, wie etwa Drucker oder lokale Laufwerke gespeichert wurden.
Testphase
Während der Testphase sollte festgestellt werden, ob ein virtueller Terminalserver den Anforderun-
gen an IT-basiertem Unterricht überhaupt genügen kann. Dazu wurde die virtuelle Terminalserverlö-
sung der Ludwig-Erhard-Schule für drei Monate zur Verfügung gestellt. Der Systembetreuer erhielt
vollen administrativen Zugriff auf den Server, um so mögliche Änderungen und Anpassungen unkom-
pliziert vornehmen zu können.
Neben dem Einsatz im Unterricht wurden die Schüler gebeten, die Lösung auch von ihrem Rechner
zu Hause zu nutzen. Dadurch sollte die volle Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten eines Terminalser-
vers demonstriert und getestet werden.
Während der Testphase traten folgende Probleme auf, die alle zeitnah gelöst werden konnten:
- Es wurde festgestellt, dass den Schülern innerhalb der Anwendung Visual Studio keine Rechte
für die Kompilierung zugewiesen wurden. Dieses Problem wurde dadurch behoben, dass die ent-
sprechenden Benutzer in die Gruppe der Debugger-User aufgenommen wurden.
- Während der Testphase war der Terminalserver nur ein Mal nicht erreichbar. Nachdem die VM neu
gestartet wurde, war der Server wieder einsatzbereit.
- Zur Mitte der Testphase wurde festgestellt, dass der Verbindungsaufbau zum Terminalserver
außergewöhnlich viel Zeit in Anspruch nahm. Gleichzeitig war keine Internetkonnektivität mehr
gegeben. Ein Neustart der drei VMs behob das Performanceproblem. Die Internetkonnektivität
könnte dadurch wieder hergestellt werden, dass auf dem Terminalserver der Proxyserver der Uni-
versität Erlangen-Nürnberg eingestellt wurde.
229
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?
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- Schwerwiegendstes Problem stellte der Ausfall des DSL-Modems der Schule dar. Durch diesen
Schaden konnte die Schule für drei Tage keine Internetverbindung herstellen. Zwar beeinflusste
dieses Problem den Testlauf nur indirekt, allerdings ist eine bestehende Internetverbindung ein
zentraler Bestandteil des vorliegenden Konzepts. Im realen Einsatz müsste sichergestellt sein,
dass jederzeit eine Rückfallebene besteht und Ersatzgeräte vorgehalten werden.
Dennoch bleibt trotz der aufgetretenen Fehler als äußerst positiv festzuhalten, dass von einer hohen
Verfügbarkeit des virtuellen Systems ausgegangen werden kann.
Besonders erfreulich war auch der Blick auf die Leistungsdaten des Servers. Im Rahmen einer
1,5-stündigen Unterrichtseinheit wurde ein Leistungstest der virtuellen Hardware durchgeführt. Im
Speziellen wurden die Leistungsindikatoren CPU-, Memory- und Netzwerkauslastung überprüft.
Während des Leistungstests waren insgesamt 21 Benutzer am Terminalserver angemeldet und ar-
beiteten mit den unterschiedlichsten Anwendungen (Internet Explorer, Visual Studio 2005, Excel und
Word 2007).
Die maximale CPU-Auslastung betrug dabei 54 Prozent, wobei sich der Durchschnitt bei etwa 20
Prozent bewegte. Die Auslastung des virtuellen Arbeitsspeichers lag mit einem Spitzenwert von 21
Prozent und einer durchschnittlichen Auslastung von nur 8 Prozent nochmals deutlich darunter. Im
Bereich der Netzwerkauslastung wurde ein Spitzenbedarf an Bandbreite von 363 Kbit pro Sekunde
ermittelt. Der Mittelwert lag im Bereich von 120 Kbit pro Sekunde.
Als Fazit des Testes kann festgehalten werden, dass der virtuelle Terminalserver den schulischen
Anforderungen völlig genügt. Es könnte sogar die Meinung vertreten werden, dass die für den Ser-
ver bereitgestellten Ressourcen als zu hoch definiert wurden und noch nach unten korrigiert werden
müssen. Dem steht allerdings der große Vorteil der Virtualisierung als Argument gegenüber. Die Res-
sourcenverteilung der VMs wird durch den VMware ESX-Server gesteuert. Dies bedeutet z. B., dass
ungenutzte Kapazitäten nicht innerhalb der VM verloren gehen, sondern allen anderen VMs auf dem
Server zur Verfügung stehen.
Um die Zufriedenheit der Schule mit der technischen Umsetzung des virtuellen Terminalservers be-
urteilen zu können, wurde ein Interview mit dem Systembetreuer geführt. Es wurde klar, dass die
gesamte Umsetzung, sowie auch die Erreichbarkeit des Servers als überaus positiv empfunden wur-
den. Die Geschwindigkeit des neuen Systems lag dabei nicht merklich unter der bisherigen Lösung.
In Bezug auf die Entwicklung des administrativen Aufwands wurde hervorgehoben, dass durch den
Terminalserver nur noch ein zentraler Computer auf dem neuesten anwendungstechnischen Stand
zu halten sei.
Das Interview zeigte auch, dass mit der getesteten Lösung zahlreiche Kostenvorteile für die Schu-
le verbunden sind. Durch den Einsatz des virtuellen Terminalservers kann eine Verlängerung der
Nutzungsdauer der vorhandenen Hardware erreicht werden. Vor dem Hintergrund der Alterung und
ständig zunehmenden Ausstattung mit technischen Geräten stellt dieser Punkt einen Hauptvorteil
der virtuellen Lösung dar.
Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass mit einer erheblichen Kosteneinsparung gerechnet
werden kann. Frei werdendes Budget könnte dann bspw. dazu verwendet werden, Klassenräume mit
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
230230
festen Schülercomputern auszustatten. So könnte dem IT-Entwicklungsziel der Schule, mehr Rech-
nerkapazitäten für die Internetrecherche zur Verfügung zu stellen, entsprochen werden.
Als besonders interessant und sinnvoll wird auch die Möglichkeit gesehen, dass die Schüler ihre Ar-
beit von zu Hause aus an ihrem Schulaccount eins zu eins fortsetzen können. Dadurch würde leidi-
ges Abgleichen von Daten zwischen Schul- und Schülercomputern der Vergangenheit angehören.
Eine Gefahr wurde darin gesehen, dass der Server nicht mehr vor Ort steht und so eine Abhängigkeit
von Dritten entstehen könnte.
Daneben wurde auch eine Befragung der Schüler als Hauptnutzer des Systems durchgeführt.
Hier ist zunächst festzuhalten, dass die getestete Lösung generell sehr gut bewertet wurde. Die
Hälfte der befragten Schüler fand die neue IT-Lösung über einen virtuellen TS besser als das bisher
vorhandene Client-Server-Computing. Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, dass alle Befrag-
ten den virtuellen Terminalserver als mindestens gleichwertig mit den lokal vorhandenen Computern
empfanden. Diese generelle Bewertung der Schüler ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass
50 Prozent der Schüler die Geschwindigkeit des Testsystems als etwas schlechter beurteilt haben.
Dies spiegelt auch die Erfahrungen aus dem Interview mit dem Systembetreuer wider.
Die Beurteilung der Softwareperformance des neuen Systems gestaltete sich im Vergleich zum bis-
herigen System sehr ausgeglichen. So sahen 58 Prozent der befragten Schüler keinen gravierenden
Unterschied zwischen dem bisherigen und dem neuen System.
Sehr aufschlussreich waren die Anmerkungen bezüglich des Anmeldeprozesses am Server. Etliche
Schüler fanden diesen zu umständlich und zu langwierig, da zunächst eine lokale Anmeldung am
Computer nötig ist, um über die RDP-Verbindung eine Verbindung zum Server herstellen zu kön-
nen. Dieser erfordert dann wiederum eine Authentifizierung mittels Benutzername und Kennwort.
Neben der sehr umständlichen Anmeldung über diesen Weg steht vor allem der zeitliche Aspekt im
Vordergrund. Je nach Rechenleistung des Clients kann diese mehrere Minuten der Unterrichtszeit in
Anspruch nehmen. Daher muss hier nach einer Möglichkeit gesucht werden, die es erlaubt, direkt in
die RDP-Sitzung hinein zu booten, um so einen einfachen und schnellen Login am TS zu erreichen.
Möglichkeiten der Umsetzbarkeit in die Praxis
Um herauszufinden, welche Möglichkeiten bestehen, die getestete Lösung in die alltägliche Praxis
umzusetzen, war es zunächst erforderlich, einen Kostenvergleich zwischen dem Client-Server-Kon-
zept, wie es an der Ludwig-Erhard-Berufsschule aktuell eingesetzt wird, und der Bereitstellung eines
virtuellen SbCs4 zu ziehen. Beim getesteten Terminalserver wurde nochmals unterschieden, ob mit
neuen Thin Clients5 gearbeitet wird oder ob bereits vorhandene alte Computer als Clients eingesetzt
werden.
4 Als Sever-based Computing (SbC) wird die Anwendungsbereitstellung über einen leistungsfähigen Server, hier über
den Terminalserver, bezeichnet
5 Thin Clients sind Computer, die selbst keine Rechenaufgaben mehr wahrnehmen, sondern nur dazu eingesetzt wer- Thin Clients sind Computer, die selbst keine Rechenaufgaben mehr wahrnehmen, sondern nur dazu eingesetzt wer-
den, über eine RDP-Verbindung entfernte Desktops darzustellen
231
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?
231
Im nachfolgenden Kostenvergleich wurden, um zu einer allgemeingültigen Aussage zu kommen,
nur quantitative Kostenaspekte in die Darstellung miteinbezogen. Es wurde davon ausgegangen,
dass an der Ludwig-Erhard-Berufsschule in naher Zukunft die ältesten zwei Computerräume durch
Ersatzbeschaffung der Rechner erneuert werden müssen. Dabei handelt es sich um insgesamt 36
Arbeitsplätze. Des Weiteren mussten dem Modell bestimmte Annahmen zu Grunde gelegt werden,
um eine einheitliche Datenbasis sicherzustellen. Dabei orientierte sich der Kostenvergleich am TCO-
Modell des Fraunhofer Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (2008), wobei folgende
Annahmen getätigt wurden:
- Es wurden keine Infrastrukturkosten, wie etwa Netzwerk-, Stromverkabelung, Drucker, Beamer
usw. berücksichtigt.
- Es wurden keine Gemeinkosten, wie etwa Versicherungen, Verwaltungskosten, Kosten für den
Internetanschluss usw. berücksichtigt.
- Es wurde ein Lebenszyklus von 5 Jahren unterstellt.
- Es wurde im Bereich der lokalen Computer mit einer Hardwareaufrüstung nach drei Jahren ge-
rechnet.
- Es wurde im Bereich der Software davon ausgegangen, dass die Schule über eine MSDN AA Li-
zenz verfügt, die Microsoftprodukte für Forschung und Lehre zur Verfügung stellt.
- Es wurden nur Durchschnittswerte zugrundegelegt.
- Für den Systembetreuer wurden Kosten in Höhe von 50 000 Euro pro Jahr angesetzt, für den Di-
rektor als Entscheidungsträger wurde mit 72 000 Euro pro Jahr an Kosten gerechnet. Als Zeitba-
sis wurde mit jeweils 165 Arbeitsstunden pro Monat kalkuliert.
Im Rahmen der Beschaffung ist zunächst der Bestellprozess durchzuführen. Für die Genehmigung
der Beschaffung eines Systems durch die Schulleitung wurde mit einem Zeitbedarf von fünf Minuten
gerechnet. Danach werden durch den Systembetreuer entsprechende Angebote eingeholt. Hierfür
wurden pro System 15 Minuten veranschlagt.
Bei lokalen Computern fällt dieser Zeitaufwand doppelt so hoch aus, da nach drei Jahren eine Auf-
rüstung durchgeführt wird. Bei der Verwendung von Thin Clients entfällt die Hardwareaufrüstung, bei
alten Rechnern als Clients entfällt daneben auch noch die Erstbeschaffung.
Im Bereich der Erstinstallation der Systeme wurde davon ausgegangen, dass für alle Systeme ein
Standardimage besteht. Dadurch kann eine schnelle und kostengünstige Installation auf allen drei
beschriebenen Systemen durchgeführt werden. Für die Erstinstallation und Bereitstellung wird daher
bei allen Systemen ein Wert von 30 Minuten angenommen.
Danach erfolgt die Bereitstellung der Geräte in den entsprechenden Räumen
Für Antransport des neuen und Abtransport des alten Geräts werden insgesamt zehn Minuten fällig.
Der Abbau des bisherigen Systems wurde ebenfalls, wie auch der Aufbau des neuen Systems, mit
zehn Minuten veranschlagt. Diese Zeiten entfallen bei der Verwendung alter PCs als Terminal-Clients.
Abschließend waren im Bereich der Beschaffung noch die Kosten für die Hard- und Software zu be-
rechnen. Wie aus aktuellen Marktpreisen zu ersehen war, lagen die Kosten für einen, den Anforde-
rungen entsprechenden PC bei etwa 500 Euro. Für die einmalige Aufrüstung des PCs wird mit Kos-
ten von 50 Euro gerechnet. Bei einer Verwendung der bisherigen Rechner als Terminalserver-Clients
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
232232
fallen auch im Bereich der Hardware keine Kosten an. Neue Thin Clients wurden mit 300 Euro ver-
anschlagt.
Auf Seiten der Software sind auf PCs, die im Client-Server-Konzept eingesetzt werden, zunächst
die Kosten für das Windows Betriebssystem zu berücksichtigen. Sowohl die alten Rechner, die als
Clients verwendet werden, als auch die Thin Clients operieren meist mit einer kostenfreien Linuxva-
riante, die eine RDP-Sitzung ermöglicht. Da allerdings mit den Clients auf einen Windows TS-Server
zugegriffen wird, muss für jeden Client eine Microsoft Windows Server Geräte CAL erworben werden.
Auf die Darstellung der Kosten für die Anwendungssoftware wurde verzichtet, da bei allen Alternati-
ven identische Kosten entstehen.
Nachdem sich alle bisher dargestellten Kosten auf die Clientsysteme bezogen haben, sollten im Fol-
genden die Kosten der Beschaffung eines Serversystems bewertet werden. Auch hier erfolgte zu-
nächst wieder ein Zeitansatz für die Genehmigung der Beschaffung, die Einholung und den Vergleich
der Angebote. Aufgrund der höheren Komplexität wurde mit zehn Minuten bei der Schulleitung und
60 Minuten bei der Systembetreuung kalkuliert.
Auch die Erstinstallation eines Servers erfordert einen deutlich höheren Aufwand. Das Fraunhofer
Institut (2008, S. 91) geht davon aus, dass der Systembetreuer etwa 1.350 Minuten für Montage, In-
stallation der Software und deren Konfiguration aufwenden muss. Es wird vereinfachend angenom-
men, dass diese Zeit sowohl auf dem ESX-Server als auch auf der VM fällig wird. Wird der Server
im Rahmen des Client-Server Konzepts genutzt, so ist die Anwendungssoftware auf den einzelnen
Clients installiert. Daher wird in diesem Fall nur mit einem Zeitaufwand von 900 Minuten kalkuliert. Im
Rahmen der Software werden für die virtuellen Server zunächst Lizenzkosten in Höhe von 1.455 Euro
für VMware Infrastructure angesetzt. Weitere Kosten verursacht die Lizenz für Microsoft Windows
Server 2003 Enterprise Edition. Diese schlägt aktuell mit etwa 1.500 Euro zu Buche. Im Rahmen des
Client-Server Konzepts kann auch nur mit der Standard Edition des Windows Server Betriebssys-
tems gearbeitet werden. Diese reicht für den Betrieb eines DC und eines Datei-Servers vollkommen
aus. Als Kosten sind hierfür etwa 475 Euro anzusetzen. Für weitere serverspezifische Software wird
ein Kostensatz von 300 Euro veranschlagt.
Im Bereich der Anschaffungskosten der Serverhardware werden für den zur Virtualisierung verwen-
deten Sun X2200 Server 3.900 Euro berechnet. Da innerhalb des Client-Server Konzepts keine so
hohe Rechenleistung wie bei einem TS benötigt wird, wird hier mit einem leistungsschwächeren Mo-
dell zu 2.000 Euro kalkuliert.
Nachdem die Phase der Beschaffung abgeschlossen wurde, kann dazu übergegangen werden, die
Betriebskosten zu ermitteln. Dabei werden in Anlehnung an das Fraunhofer Modell die Bereiche In-
stallation von Servicepacks/Patches, Software und Hardware, aber auch die Energiekosten unter-
schieden.
Im Hinblick auf die Installation von Patches ist davon auszugehen, dass mit Hilfe eines modernen, au-
tomatisierten Patch-Managements kein nennenswerter Unterschied im Aufwand für die unterschied-
lichen Lösungen entsteht.
233
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?
233
Im Gegensatz zur Patchinstallation ist die Softwareinstallation nicht völlig zu automatisieren. So geht
das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (2008, S.38) von insgesamt
sechs zu installierenden „Softwarepaketen […] während der gesamten Nutzungsdauer“ aus, die ei-
nen Zeitaufwand des Systembetreuers von zusammen 72 Minuten pro PC ausmachen. Beim Einsatz
eines TS wird lokal auf den Clients keine Software installiert. Es entfallen daher auch diese Zeiten.
Wie in den Annahmen dargestellt, wird jeder lokale PC innerhalb der Nutzungsdauer einmal aufge-
rüstet. Für diese Tätigkeit wird pro PC ein Zeitbedarf von 20 Minuten angesetzt. Auf Seiten der alten
PCs, die als Clients benutzt werden, wird keine Systemaufrüstung vorgenommen, da dies durch den
TS-Einsatz nicht nötig ist. Auch Thin Clients müssen bzw. können bauartbedingt nicht aufgerüstet
werden.
Abschließend müssen noch die jeweiligen Energiekosten miteinander verglichen werden. Dabei wird
im Folgenden angenommen, dass kein Unterschied im Stromverbrauch zwischen klassischen PCs,
die im Client-Server-Konzept zum Einsatz kommen, und alten PCs besteht, die als Clients eines Ter-
minalservers eingesetzt werden. Für PCs wurde ein Stromverbrauch von 124 Watt im Betrieb und 2,5
Watt im ausgeschalteten Zustand angenommen Moderne Thin Client-Systeme kommen mit einer
Leistungsaufnahme von nur 15 Watt im Betrieb und einem Watt im ausgeschalteten Zustand aus. Um
die Energiekosten berechnen zu können, wird für das Jahr 2008 von 190 Schultagen ausgegangen.
Es wird angenommen, dass ein Computer während der Schultage täglich 6 Stunden eingesetzt wird.
Daraus ergibt sich eine jährliche Betriebszeit von 1.140 Stunden, 7.620 Stunden jährlich ist der Com-
puter nicht in Betrieb. Die Kilowattstunde wurde mir 19 Cent veranschlagt.
Nach der Betrachtung der Clients wird nun versucht, die Betriebskosten der Serverhardware abzu-
bilden. Dazu wird zunächst der benötigte Support des Servers ermittelt. Das Fraunhofer Institut für
Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (17.12.2008, S. 51) geht davon aus, dass für die „Sicher-
stellung, Überwachung oder Wiederherstellung der vollen Funktionalität“ mit einem wöchentlichen
Arbeitsaufwand von 30 Minuten zu rechnen ist. Wird mit 38 Schulwochen jährlich kalkuliert, so ergibt
sich über die Nutzungsdauer ein Zeitaufwand von 5.700 Minuten. Daneben fällt für die virtuellen TS
noch der Aufwand des ESX-Server-Supports an. Dieser wird ebenso mit 30 Minuten wöchentlich ver-
anschlagt. Damit ergeben sich über die Nutzungsdauer 7 800 Minuten an Zeitaufwand.
Um das Serversystem ständig auf dem neuesten sicherheits- und anwendungstechnischen Stand zu
halten, ist die Installation von Servicepacks und Updates unerlässlich. Für die Installation, einschließ-
lich Vor- und Nachbereitung, wird ein Wert von 40 Minuten angesetzt. Da Microsoft jeden Monat ei-
nen sog. „Patchday“ durchführt, kann angenommen werden, dass innerhalb der Nutzungsdauer 60
Updatesitzungen von Nöten sind. Daraus ergibt sich insgesamt ein Zeitbedarf von 2.600 Minuten
über die Nutzungsdauer.
Die Installation von neuer Software fällt nur bei den Servern an, die als TS betrieben werden. Um die
Vergleichbarkeit sicherzustellen, wird auch hier wiederum davon ausgegangen, dass während der
Nutzungsdauer sechs Softwarepakete installiert werden. Um zu gewährleisten, dass die Software
auf einem TS auch lauffähig ist, wird angenommen, dass die neue Software zunächst in einer Test-
umgebung erprobt werden muss, bevor sie freigegeben wird. Für den gesamten Installationsprozess
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
234234
wird pro Software ein Aufwand von 120 Minuten angesetzt, so dass über die Nutzungsdauer ein Ge-
samtaufwand von 720 Minuten entsteht.
Abschließend wird der Blick auf die serverseitigen Energiekosten gerichtet. Ausgangspunkt stellen
zwei unterschiedliche Szenarien dar. Einerseits wird angenommen, dass der Server bei einer loka-
len Client-Server-Lösung nur in den Schulwochen betrieben wird. Die Laufzeit der virtuellen Lösung
wird hingegen mit vollen 52 Wochen veranschlagt. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die
Server während der Laufzeit ständig in Betrieb sind (24hx7d). Da in Servern, im Vergleich zu gewöhn-
lichen PCs, deutlich leistungsstärkere Komponenten zum Einsatz kommen, muss auch ein höherer
Stromverbrauch angesetzt werden. Daher wird angenommen, dass ein Server mit 248 Watt doppelt
soviel Leistung benötigt, wie im Rahmen dieses Kostenvergleichs für einen PC veranschlagt wurde.
Gleichzeitig muss auch noch die benötigte „Leistung für die Kühlung über die Klimaanlage“ berück-
sichtigt werden. Das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (2008, S. 55)
nimmt dabei an, dass die Kühlung die gleiche Leistung erfordert, wie sie für den Betrieb des Servers
benötigt wird.
Letztendlich muss das System nach der 5-jährigen Laufzeit ordnungsgemäß entsorgt werden. Zwar
wäre es vor allem im Bereich der Server und der Thin Clients denkbar, dass diese weiter benutzt
werden könnten. Allerdings wird zur besseren Vergleichbarkeit der Lösungen angenommen, dass
alle Systeme entsorgt werden. Im Fraunhofer Modell (2008) wird für die Außerbetriebnahme eines
Servers von einem Zeitaufwand des Systembetreuers von 120 Minuten und einer gewichtsbasierten
Entsorgungspauschale des Elektroschrotts von 90 Euro ausgegangen.
Im Bereich der Clients werden für die PC-Entsorgung 55 Minuten Zeitaufwand und 25 Euro Entsor-
gungskosten veranschlagt. Im Bereich der Thin Clients fallen 30 Minuten Arbeitszeit und pauschale
Entsorgungskosten von zehn Euro an. Die deutlich verschiedenen Zeitansätze lassen sich dadurch
erklären, dass die Hauptarbeit in der Datensicherung der auf den Systemen vorhandenen Dateien
besteht.
Um die Kosten für das virtuelle SbC darstellen zu können, sei nochmals darauf verwiesen, dass ein
Vorteil der Virtualisierung darin besteht, dass sich mehrere VMs einen physischen Server teilen. Dies
bedeutet, dass die Kosten für einen virtuell bereitgestellten TS von den jeweils auf dem physischen
Server betriebenen VMs abhängen. Um die Gesamtkosten zu ermitteln, muss deshalb unterschieden
werden, ob es sich um Kosten handelt, die durch den ESX-Server oder eine einzelne VM verursacht
werden. Im Bereich des SbCs sind die Kostenbestandteile, die dem ESX-Server zugerechnet wer-
den können, als variable Kosten aufgeführt. Aufwendungen, die durch eine einzelne VM verursacht
werden, sind unter den fixen Kostenbestandteilen zusammengefasst. Es ergeben sich somit über
eine Nutzungsdauer von fünf Jahren Gesamtkosten für einen lokalen Server von 9.833,78 Euro. Ein
virtueller TS weist fixe Kosten von 6.152,13 Euro und einen variablen Kostenanteil von 13.475,37 Euro
auf. Um die exakten Kosten für die im Beispiel der Ludwig-Erhard-Schule zu ersetzenden 36 PCs zu
ermitteln sind die Kosten des lokalen Servers anteilsmäßig auf die zu ersetzenden Rechner umzule-
gen. Dies bedeutet es werden mit 3.339,77 nur 36/106 der Kosten des lokalen Servers veranschlagt.
Im Bereich des virtuellen Server-based Computings wird angenommen, dass auf dem ESX-Ser-
ver insgesamt fünf virtuelle Terminalserver betrieben werden. Dies bedeutet, dass der variable
235
Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?
235
Kostenanteil nur mit 20 Prozent in die Berechnung eingeht. Es ergeben sich also Gesamtkosten von
8.847,20 Euro (20 % x 13.475,37 € + 6.152,13 €).
Im Bereich der Clients fallen für einen lokalen PC wie er aktuell an der Schule betrieben wird 973,27
Euro, verteilt auf die Nutzungsdauer, an. Werden bereits vorhandene PCs als Terminalserverclients
verwendet, so entstehen Kosten in Höhe von 253,18 Euro. Thin Clients werden mit 420,75 Euro ver-
anschlagt.
Somit ergeben sich folgende Gesamtkosten für die jeweiligen Alternativen. Kommt ein lokaler Server
als Domänencontroller und Fileserver zum Einsatz, entstehen über die 5-jährige Nutzungsdauer der
36 PCs insgesamt Kosten von 38.377,49 Euro.
Wird anstatt des Client-Server-Konzepts auf eine Virtualisierung eines Terminalservers gesetzt, so
belaufen sich, bei einer Anbindung über Thin Clients, die Gesamtkosten auf eine Höhe von 23.994,20
Euro. Bei einem Verzicht auf die Anschaffung von Thin Clients und der Weiternutzung der bisherigen
36 PCs als Terminalserver-Clients entsteht hingegen ein Aufwand von nur 17.961,68 Euro. Dies be-
deutet, dass durch die TS-Lösung in Verbindung mit neuen Thin Clients 14.383,29 Euro eingespart
werden können. Bei der Nutzung der vorhandenen PCs als Clients könnte sogar eine Einsparung von
20.415,81 Euro über die Nutzungsdauer realisiert werden.
Die Einsparungen auf Seiten der Thin Clients könnten durchaus noch höher angesetzt werden, da
davon auszugehen ist, dass für diese auch eine Nutzungsdauer von sieben oder mehr Jahren kalku-
liert werden kann.
Andererseits wäre serverseitig darauf zu achten, dass mit zunehmender Clientanzahl mehr Terminal-
server benötigt werden. Dazu müsste ein höherer Ansatz bezüglich der Kosten pro Terminalserver
erfolgen.
Abschließend kann daher festgehalten werden, dass das virtuelle Server-based Computing zwar si-
cherlich bei zunehmender Clientanzahl zu höheren Serverkosten führt, diese Kosten durch die Vertei-
lung auf dann mehr Clients allerdings nur zu einer marginalen Änderung des gesamten Bildes führen.
Aus dem Kostenvergleich wird deutlich, dass durch den Einsatz moderner IT-Technologie ein hohes
Einsparungspotential realisiert werden kann.
Für die praktische Umsetzung des Testlaufs lassen sich verschiedenste Formen andenken. So könn-
te der Schulträger oder auch die Sachaufwandsträger selbst ein Terminalserverkonzept aufbauen
und es den Schulen zentral zur Verfügung stellen. Allerdings stellt sich hier ebenso, wie schon auf
Ebene der Schulen, die Frage, ob die Bereitstellung von IT-Dienstleistungen zu den Hauptaufgaben
des Schulträgers zählt. Daher wäre eine Zusammenarbeit mit einem privaten Anbieter im Rahmen ei-
ner Public-Private-Partnership eher denkbar. Hier bestünde die Möglichkeit, dass ein oder mehrere
Sachaufwandsträger eine Kooperation mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen schließen, das
diesen einerseits moderne Servertechnologie hostet und sich andererseits auch um die Beschaffung
und EDV-Ausstattung in den Schulen annimmt (Stingl, 2006, S. 154).
Auch wäre denkbar, dass Universitäten, die bereits mit ihren Rechenzentren über leistungsstarke
IT-Dienstleister verfügen, als Application Service Provider (ASP) für Sachaufwandsträger oder ein-
zelne Schulen agieren. Diese Form der Bereitstellung von Anwendungen findet sich im Hochschulbe-
reich bereits bei den SAP-Hochschulkompetenzzentren, die für diverse Bildungseinrichtungen SAP-
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
236236
Produkte hosten. Mit Hilfe von ESX-Servern, die im Rechenzentrum der Universität untergebracht
werden, könnten virtuelle TS-Systeme nach Bedarf der jeweiligen Träger angeboten werden.
Neben der Bereitstellung von Serverkapazitäten könnte die Universität auch im Bereich der benötig-
ten Hard- und Software als Vermittler auftreten. Auch die Versorgung der Schulen mit Lehrmateriali-
en, z. B. bestimmte Fallstudien für einzelne Softwareprodukte, wäre ein denkbares Angebot.
Literatur
Betzler, B. (2007). Virtualisierung. In H. Kircher (Hrsg.), (S. 100-110). Heidelberg: Springer.
Butler Group. (2007). Infrastructure Virtualisation - Transforming the Way IT is Delivered. Hull: Butler Direct Limited.
Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. (Zugriff am 17.12.2008). PC vs. Thin Client - Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Onlinedokument. Oberhausen.
Grepper, Y. & Döbeli, B. (Zugriff am 10.10.2008). Empfehlungen zu Beschaffung und Betrieb von Informatikmitteln an allgemeinbildenden Schulen. Onlinedokument. Zürich.
Große, G. (2005). Kosten der schulischen Informationstechnik. In Schulen ans Netz e.V. (Hrsg.), (S. 18-37). Bonn: Schulen ans Netz e.V.
Knecht-Thurmann, S. (2004). Small Business Server 2003 - Das Integrationshandbuch für kleine und mittlere Unternehmen. München: Addison-Wesley.
Krützer, B. & Probst, H. (2006). IT-Ausstattung der allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen in Deutschland. Bonn/Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Stingl, C. (2006). Realisierung einer Server Based Computing-Lösung. Dissertation, Universität Passau
Autor
Hölzlwimmer, Christoph; Dipl. Hdl.; Diplomarbeit am Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung; Universität Erlangen-Nürnberg; Gopping 5, D-84385 Egglham; Mail: [email protected]
239
Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern sowie deren Landesinstitute
239
Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern sowie deren LandesinstituteKatrin Abele
Mittlerweile kann man das Internet als Informationsquelle Nummer eins bezeichnen. Daher sollte es
selbstverständliche sein, dass auch Informationen über Lehrerfortbildungen v. a. computerspezifi-
sche Fortbildungen durch einfache Internetrecherche gesammelt werden können.
Ziel der Online-Recherche war es, eine bundesländerspezifische Tabelle über die einzelnen Institute
für Lehrerbildung sowie zentrale Landesinstitute zu erstellen. Der Fokus lag dabei auf Fortbildungen
zu ERP-Systemen sowie Aussagen über Geschäftsprozesse und deren Modellierung.
Auffallend war, dass die Informationsfülle in den einzelnen Bundesländern sehr stark abweicht, zum
Beispiel findet man in dem einen Bundesland eine sehr gut aufbereitete Homepage mit Suchfunktion
über angebotene Fortbildungsmaßnahmen, im anderen Bundesland findet sich weder Informationen
über aktuelle Fortbildungen noch eine Suchfunktion.
In Berlin wird zum Beispiel viel mit ERP-Programmen an den Schulen gearbeitet, jedoch lassen sich
online sehr wenig Informationen über Fortbildungsangebote finden.
Umfassend betrachtet ist das Ergebnis dieser Online-Recherche ernüchternd, denn wenn Informati-
onen gefunden wurden, dann war dies oft mit sehr hohem Suchaufwand verbunden.
Die folgenden Tabellen sind nach Bundesland gegliedert und innerhalb der Tabellen befinden sich
die Kontaktdaten der Institute für Lehrerbildung und anschließend die Landesinstitute bzw. Kultus-
ministerien.
Baden Württemberg
Landesakademie für Fortbildung und
Personalentwicklung an Schulen
Steinbeißstraße 1
73730 Esslingen
http://lehrerfortbildung-bw.de
Kurs zum Aufbau einer Juniorenfirma (inkl. Geschäfts-
prozesse)
Im Rahmen eines Kurses über Import-, Export- und
Zollabwicklung werden Geschäftsprozesse mit Hilfe
von Microsoft Dynamics Naivison 4.0 dargestellt und
abgewickelt (Dauer: 2,5 Tage)
Landesinstitut für Schulentwicklung
www.ls-bw.de
Im Fach „Übungsfirma“ wird eine integrierte Unterneh-
menssoftware verwendet um den Schülern u.a. Ge-
schäftsprozesse zu zeigen
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
240240
Bayern
Akademie für Lehrerfortbildung und
Personalführung
Kardinal-von-Waldburgstr. 6-7
89407 Dillingen
www.alp.dillingen.de
Einige Fortbildungsmaßnahmen mit Lexware
Navision-Kurse verstärkt in den Jahren 2004-2007
SAP-Kurse
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus
www.km.bayern.de
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München
www.isb.bayern.de/
www.erp-software-bayern.de
Berlin
Senatsverwaltung für Bildung, Wissen-
schaft und Forschung
Beuthstraße 6-8
10117 Berlin
www.fortbildung-regional.de
Kurs „Einsatz von ERP-Software im kaufmännischen
Unterricht“
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg
www.lisum.berlin-brandenburg.de
Hessen:
Amt für Lehrerbildung
Stuttgarter Straße 18-24
60329 Frankfurt
http://lb.bildung.hessen.de
Lexware-Workshop
Warenwirtschaft, Buchhaltung und Anlagenverwaltung
mit Lexware
Hessisches Kultusministerium
www.kultusministerium.hessen.de/
Schleswig-Holstein
Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-HolsteinSchreberweg 524119 Kronshagen
www.secure-lernnetz.de/lehrerfortbildung
Umsetzung lernfeldorientierter Lehrpläne mit einem in-tegrierten ERP-Programm (Microsoft Attain Navision)Einführung in eine ausgewählte ERP-Software für den unterrichtlichen Einsatz in verschiedenen Fächern und LernfeldernImplementation und Installation der Geschäftsprozess-optimierungssoftware ARIS Toolset
Ministerium für Bildung und Frauen
http://schleswig-holstein.de/Bildung
241
Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern sowie deren Landesinstitute
241
Thüringen
Thüringer Lehrerfortbildung, Lehrplan-
entwicklung und Medien
Heinrich-Heine-Allee 2-4
99438 Bad Berka
www.thillm.de
Navision-Schulungen
Thüringer Kultusministerium
www.thueringen.de/de/tkm/
Weitere Institute werden nur mit Internetadresse angegeben, da bei diesen keine Online-Informatio-
nen zu angebotenen ERP-Kursen gefunden werden konnten.
Brandenburg
Fortbildungsnetz für Lehrkräfte des Landes Brandenburg
https://tisonline.brandenburg.de
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg
www.lisum.berlin-brandenburg.de
BremenLandesinstitut für Schule Bremen
www.lis.bremen.de
Hamburg
Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung
http://li-hamburg.de/abt.lif/index.html
Zentrum für Lehrerbildung:
www.zlh-hamburg.de
Behörde für Schule und Berufsbildung
www.hamburg.de/bsb
Mecklenburg-
Vorpommern
Landesinstitut für Schule und Ausbildung Mecklenburg-Vorpommern
www.bildungsserver-mv.de/lisa-inhalt/fortbildung-kombi.aspx
Ministerium für Bildung , Wissenschaft und Kultur des Landes M-V
www.regierung-mv.de/cms2/Regierungsportal_prod/Regierungsportal/
de/bm/
Niedersachsen
Niedersächsisches Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung
(NiLS)
http://nibis.ni.schule.de/nibis.phtml?menid=1175
Niedersächsisches Kultusministerium
www.mk.niedersachsen.de
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
242242
Nordrhein-Westfalen
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
im speziellen die Kompetenzteams
www.kompetenzteams.schulministerium.nrw.de
Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
www.schulministerium.nrw.de/BP/index.html
Rheinland-Pfalz
Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung:
http://ifb.bildung-rp.de/angebot.html
Institut für Lehrerfort- und Weiterbildung Mainz:
www.ilf-mainz.de
Onlineportal für Fort- und Weiterbildung:
https://tis.bildung-rp.de
Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur
http://berufsbildendeschule.bildung-rp.de
Bildungsserver Rheinland-Pfalz
http://bildung-rp.de
Saarland
Lehrerfortbildung:
www.saarland.de/3400.htm
Universität des Landeszentrum für Lehrerbildung:
http://archiv.uni-saarland.de/de/organisation/zentrale_einrichtungen/zfl
Landesinstitut für Pädagogik und Medien:
www.lpm.uni-sb.de
Bildungsserver Saarland
www.saarland.de/bildungsserver.htm
Sachsen
Lehrerfortbildung:
www.sachsen-macht-schule.de/schule/1710.htm
Sächsisches Bildungsinstitut:
www.sachsen-macht-schule.de/sbi/index.htm
Sachsen-Anhalt
Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichts-
forschung von Sachsen-Anhalt:
www.lisa.bildung-lsa.de
Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt
www.sachsen-anhalt.de/LPSA/index.php?id=3564
Die Daten wurden im Zeitraum Dezember 08 bis Januar 2009 gesammelt.
Abele, Katrin; B.A.; Studentische Hilfskraft; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Wirtschaftspädagogik; Mail: [email protected]
243
Glossar
GlossarBei Beschäftigung mit Informationstechnologie stößt man immer wieder auf Fachtermini, die für IT-
Einsteiger nur schwer verständlich sind. Wenn man sich dann noch in den Bereich der ERP-Systeme
vorwagt, dann kann man in der Flut von Fachbegriffen leicht der Überblick verlieren. Der Erläuterun-
gen im folgenden Glossar sind, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, aus dem Onlineangebot des
„Netzwerks Elektronischer Geschäftsverkehr (http://www.ec-net.de) und der „Online Enzyklopädie
der Wirtschaftsinformatik (http://www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de) entnommen. Die
Hersteller bezogenen Informationen stammen aus Druck- und Internetveröffentlichungen der jeweili-
gen Firma, insbesondere von den Seiten http://www.idsscheer.com, http://www.microsoft.com und
http://www.sap.com.
ACME
Abkürzung für „A Company Manufacturing Everything“. Ursprünglich in amerikanischen Zeichen-
trickserien als Firmenbezeichnung eingeführt, um nicht durch Namensrechtsverletzungen in juristi-
sche Probleme zu kommen. In Anlehnung an diese fiktive globale Firma wurde der für ERP4YOU.AT
eigens entwickelte SAP-Mandant genauso benannt.
ADES
Austria Demonstration and Education System – Modellfirma von SAP für den österreichischen Markt.
Applikation
Anwendungsprogramm zur Lösung bestimmter Aufgaben und zum Erstellen von Dokumenten, wie
z.B. Textverarbeitungs- oder Tabellenkalkulationsprogramme, als auch ein Java-Programm auf In-
ternet-Seiten.
ARIS-Haus
Das ARIS-Haus ist eine grafische Darstellung des 5-Sichten Modells von Scheer. Man erkennt auf
den ersten Blick die Organisationssicht, die Datensicht, die Steuerungssicht und die Funktionssicht.
Nicht ad hoc erkennbar ist die Leistungssicht, welche alle Dienst-, Sach- und finanziellen Leistungen
umfasst.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
244
Scheer, A.-W. (1996): ARIS-House of Business Engineering. Heft 133. (S.10)
ARIS-Konzept
Aris ist die Abkürzung für (Architektur integrierter Informationssysteme). Das Konzept wurde von
August-Wilhelm Scheer entwickelt. Das ARIS-Konzept bildet die Grundlage von verschiedenen Soft-
ware-Produkten, beispielsweise das ARIS Toolset der IDS Scheer AG. Ende 2004 fand ein Teil des
Konzepts seinen Niederschlag in der grafischen Prozessintegration der SAP Process Integration.
Bildlich lässt sich das Konzept am „ARIS-Haus“ erläutern.
ASP
Abkürzung für Application-Service-Provider bzw. Application-Service-Providing . Dies ist eine Be-Dies ist eine Be-
zeichnung für Anbieter von Programmen, die auf einem Server ablaufen. Der Anwender muss dafür
keine zusätzliche Software auf seinem PC installieren. Beispiele wären die UCCs bei denen die Soft-
ware zentral zur Nutztung zur Verfügung gestellt wird. Bei einem ASP erhält der Anwender / Kunde
das Recht die Software zu benutzen und nicht die Software selbst.
APS
Advanced Planning and Scheduling. Software für Anwender, die ihre Lieferkette vom Kunden über
die Produktion bis hin zum Lieferanten verfolgen.
Back-Office Systeme
Unternehmensinterne Verarbeitung aller Geschäftsprozesse. Schnittstelle zu Front-Office Systemen
wie zu ERP-Lösungen. => Workflow
245
Glossar
BI
Business Intelligence Ein Informations-System für die Überwachung und Auswertung von Geschäfts-
daten (Informationen, Kennzahlen) in einer Unternehmung.
BPM
Business Performance Management. Ein Managementmodell für die Informationsverarbeitung von Ge-
schäftsprozess- und Kundendaten. Generiert Informationen für Managemententscheidungen. Mit dem
Wissen können die Geschäftsprozesse überwacht und Veränderungen im Markt aufgezeichnet werden.
BW
SAP Business Information Warehouse. Sammlung, Aufbereitung, Selektierung und Verdichtung von
Informationen aus verschiedenen (unternehmensinternen und -externen) Quellen, die von einem Data
Warehouse zur Verfügung gestellt werden. Diese Informationen stehen direkt, aktuell und einheitlich
zur Verfügung und sollen schnelle und qualifizierte Entscheidungen auf allen Unternehmensebenen
ermöglichen. => BI, Data Warehouse.
Collaborative Commerce
Unter Collaborative Commerce versteht man die internetbasierte Zusammenarbeit zwischen Un-
ternehmen über die gesamte Wertschöpfungskette eines Produktes (Services) hinweg. Nicht nur
die Beschaffung ist Teil dieser partnerschaftlichen Vision: Auch in Bereichen wie Forschung und
Entwicklung, Customer Relationship Management (CRM) oder Marketing wird das Internet als uner-
lässliche Plattform für die Zusammenarbeit betrachtet. Ziel entsprechender Vernetzungsstrategien
ist die Effizienzsteigerung aller Herstellungs-, Vertriebs- und Serviceprozesse in und zwischen Un-
ternehmen.
Community
Im Internet versteht man darunter eine (virtuelle) Gemeinde, eine Gemeinschaft oder auch eine be-
stimmte Gruppe von Internetnutzern.Diese Communities haben ein gemeinsames Thema (Ideen- und
Erfahrungsaustausch) bzw. Ziel (“gemeinsam stärker”).
CRM
Customer Relationship Management. Das Management der Kundenbeziehungen zielt darauf ab, die
Kundenzufriedenheit zu erhöhen, neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden an das Unter-
nehmen zu binden. Wie bei ERP-Systemen üblich, besteht auch das CRM aus Modulen:
„Vertriebsautomation: Neben den Informationen und Kontakthistorien von Kunden beinhaltet dieser
Bereich auch die Steuerung des Vertriebes über Prioritäten und Potenziale (Opportunity-Manage-
ment) sowie ein Berichtswesen.
Marketingautomation: Sammelbegriff für Systeme, die das Marketing unterstützen, vom Kampagnenma-
nagement, über die Marketing-Enzyklopädie bis zu speziellen Planungs- und Analysetools (Data Mining).
Serviceautomation: System zur Servicesteuerung und Serviceunterstützung. Neben der Zuteilung
der Aufträge für den Kundendienst, meist auch ein Helpdesk zur Beantwortung der häufigsten Kun-
denprobleme.“
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
246
CULIK
Abkürzung der Modellversuchsbezeichnung: CUrriculumentwicklungs- und Qualifizierungsnetzwerk
Lernfeldinnovation für Lehrkräfte in Berufsschulfachklassen für IndustrieKaufleute.
Customizing
Unter dem Begriff Customizing fallen alle Notwendigen Maßnahmen zur Anpassung einer Standard-
software an die individuellen Anforderungen eines Nutzers. Beim Einsatz von ERP-Systemen im
Unterricht wären die Anpassung von Menüs oder das Ausblenden nicht unterrichtsrelevanter Erfas-
sungsmöglichkeiten in Formularen typische Maßnahmen des Customizing.
Data Mart
Eine Sammlung von Daten innerhalb eines Data Warehouses bezogen auf einen Geschäftsprozess.
Data MiningIterativer Prozess zur Extraktion von vorher unbekannten Informationen aus einer sehr großen Menge von Daten (z.B. aus einem Data Warehouse).
Data WarehouseEine große Sammlung von internen Daten (aus den operativen Systemen) und externen Daten (z. B. Marktinformationen) über mehrere Zeitperioden.
EAIEnterprise Application Integration. Als EAI bezeichnet man das strukturierte Verbinden mehrerer Soft-wareanwendungen – auch über Unternehmensgrenzen hinweg.
E-BusinessUnter E-Business versteht man alle Formen der elektronischen Geschäftsabwicklung. Es ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl möglicher Geschäftskontakte.
A2A Administration to Administration: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer staat-lichen Behörde zu einer anderen. Als Beispiel könnten Einwohnermeldeämter Änderungen des Wohnsitzes direkt an Finanzämter weitergeben.
A2B Administration to Busienss: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer staatlichen Behörde zu einem Unternehmen. Vorstellbar wären internetgestützte Ausschreibungen.
A2C Administration to Customer: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer staatli-chen Behörde zu einem Bürger. Hierunter fallen beispielsweise die online übermittelten Steuererklärungen.
B2B Business to Business: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer Unternehmung mit einer anderen Firma. Automatisierte Bestellungen bei Zulieferbetrieben wäre eine mögliche Umsetzung.
B2C Business to Consumer: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation mit dem Endabneh-mer. Das Betreiben eines Webshops oder einer Kontaktmöglichkeit via Webformular ge-hören in diese Kategorie.
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Glossar
B2E Business to Employee: Hier geht es hauptsächlich um die Kommunikation zwischen Un-ternehmen und Mitarbeiter. Vor allem für Außendienstmitarbeiter ist es wichtig, kontinuier-lich in Kontakt mit der Firma treten zu können. Vor allem die Möglichkeit des Mitarbeiters in Echtzeit für den Kunden Terminzusagen für Fertigung und Lieferung treffen zu können ist dieser Kategorie zugeordnet.
C2C Consumer to Consumer. Hierunter fallen Online-Tauschbörsen, bei denen nur nicht-kom-merzielle Anbieter zugelassen sind.
ECC
Die SAP richtet im Rahmen der einzelnen Bildungsinitiativen weltweit sogenannte Education Compe-
tence Center (ECC) ein. Ein ECC hat das Recht, für einen exakt definierten Benutzerkreis SAP-Sys-
teme zur Verfügung zu stellen, ohne SAP-Lizenzkosten verrechnen zu müssen. Den Betrieb des ECC
muss der Träger selbst finanzieren. Im Fall von Business Software Austria erfolgt diese Finanzierung
durch die Rückflüsse aus den Schulen. In Deutschland werden diese Zentran als UCC bezeichnet.
eCRM
Electronic-Customer-Relationship-Management. Entspricht dem CRM ergänzt um die intensive Nut-
zung des World Wide Web, der Festnetz- und Mobiltelefonie.
EDI
Electronic Data Interchange. Firmenübergreifender, elektronischer Datenaustausch (z.B. Handels-
dokumente) zwischen Geschäftspartnern im In- und Ausland, die unterschiedliche Hardware, Soft-
ware und Kommunikationsdienste im Einsatz haben können. Die Daten sind dazu nach festgelegten
Standards formatiert.
EMMS
Enterprise Marketing Management System. Softwaretools zur Unterstützung von komplexen Mar-
ketingkampagnen und -prozessen, wie etwa Produkt- und Promotionmanagement, Werbung und
Public Relations.
ERM
Enterprise Resource Management, Metabegriff für u.a. ERP.
ERP
Diese Abkürzung steht für Enterprise Ressource Planning (übersetzt: Unternehmensweite Ressour-
cen Planung). ERP-Systeme planen und optimieren unternehmensweite Ressourcen wie Beschaf-
fung, Materialwirtschaft, Produktion, Vertrieb, Finanzen und Personal. Zu den an beruflichen Schulen
eingesetzten Systemen zählen SAGE KHK, SAP R/3, MBS Dynamics Nav, jeweils in unterschiedlich
aktuellen Versionen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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Front-Office Systeme
Oberbegriff für Anwendungen, die für das Management und den unmittelbaren Kontakt zum Kunden,
aber auch für Analyse- und Planungsaufgaben eingesetzt werden. Abgrenzung zu den administrati-
ven Produkten im Back-Office wie Produktionsplanung, Finanzwesen und Warenwirtschaft.
GUI
Graphical User Interface. Eine grafische Oberfläche, mit deren Hilfe ein Anwender beispielsweise auf
ein SAP-System zugreifen kann.
IDS Scheer
IDS (Integrierte Datenverarbeitungs Systeme) Scheer ist der weltweite Marktführer für Software, Lö-
sungen und Dienstleistungen für das Geschäftsprozessmanagement (Business Process Manage-
ment, BPM) in Unternehmen und Behörden.
MBS
Kurzform für Microsoft Business Solutions. Ein Geschäftszweig der Firma Microsoft für Unterneh-
menssoftware.
MBSAA
Kurzform für MBS Academic Alliance. Eine Initiative von Microsoft Business Solutions ausgerichtet
auf die Förderung von Hochschulen und Berufsbildenden Schulen. Die MBS AA beinhaltet entspre-
chend Förderprogramme zur Unterstützung von Forschung & Lehre sowie praxisnahen Unterricht in
Hinblick auf ERP-Systeme sowie verwandter bzw. angrenzender Bereiche. Weiterführende Informa-
tionen finden Sie unter:
http://www.microsoft.com/germany/bildung/infopool/mbsaa.mspx
SAP
SAP steht für Systeme, Anwendungen, Produkte. Die deutsche SAP AG ist ein Unternehmen mit Sitz
in Walldorf, das weltweit Marktführer im Bereich ERP-Systeme ist.
SAP ERP (SAP ECC)
Der Nachfolger des bekannten SAP R/3. Hauptunterschied ist, dass SAP ERP auf SAP NetWeaver
aufbaut.
SAP NetWeaver
Eine Plattform für Geschäftsanwendungen der Firma SAP. Die Plattform fasst zahlreiche Komponen-
ten zusammen, die für Unternehmensanwendungen relevant sind, darunter beispielsweise Process
Integration, Business Intelligence, ein Portal, mehrere Application Server und weitere Funktionen zur
Unterstützung von Unternehmensanwendungen. Die Kernkomponenten von SAP ERP - auch SAP
ECC genannt, das frühere R/3 - laufen jedoch auch ohne NetWeaver. Die NetWeaver-Plattform ist of-
fen, um über eine Serviceorientierte Architektur (SOA) auch Fremdsysteme anzuschließen.
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Glossar
SAP R/3
Weltweit führendes Standardsoftware-System der deutschen SAP AG. SAP R/3 ist eine modular auf-
gebaute Software, die in der Lage ist die Geschäftsprozesse eines Unternehmens abzubilden. Alle
Module lassen sich kundenspezifisch zusammenschalten und anpassen:
FI FInancial Accounting (Finanzwesen)
HR Human Resources (Personalwesen)
MM Materials Management (Materialwirtschaft)
PM Plant Maintenance (Instandhaltung)
PP Production Planning (Produktionsplanung)
QM Quality Management (Qualitätssicherung)
SD Sales and Distribution (Verkauf/Versand/Fakturierung)
R/3 basiert auf Client/Server-Technik, läuft auf unterschiedlichen Plattformen (z.B. UNIX, Windows-
NT) und unterstützt verschiedene Datenbanken, Währungen und Sprachen. Mit der SAP-eigenen
Programmiersprache ABAP lassen sich Erweiterungen über den Standard hinaus erstellen. Nach
Ende der Standardwartung für SAP R/3 4.6C migrieren viele SAP-Kunden auf des aktuelle System
SAP ERP 6.0 und Netweaver.
SAP UA
Mit ihrem University Alliances (UA) Programm fördert SAP eine praxisnahe und zukunftsorientierte
Ausbildung, indem sie Lehrenden und Studierenden weltweit Zugang zu neuesten SAP-Technologien
ermöglicht. Das Programm richtet sich an Hochschulen sowie Berufliche Schulen, die SAP-Software
aktiv in die Lehre integrieren wollen.
Die Wartung, den Betrieb und technischen Support der SAP-Lösungen übernehmen University Com-
petence Center (UCC). Sie fungieren als Application-Service-Provider. Die Lehrenden können sich
somit auf die Vermittlung des Lehrstoffs und ihre jeweiligen Kernkompetenzen konzentrieren. Darü-
ber hinaus unterstützt SAP die Lehrkräfte durch das Angebot von Schulungen und das Bereitstellen
von Lehrmaterialien für die Nutzung in Lehrveranstaltungen. Weiterführende Informationen finden
Sie unter: http://www.hcc.uni-magdeburg.de/public/index.shtml und http://www.sap.com/germany/
about/citizenship/education/alliance.epx
SCM
Supply Chain Management. Supply ist die statistische Übersicht über das weltweite Angebot der
Waren einer Branche. Supply-Chain ist eine Funktion (Logistik), Supply-Chain-Management ein Pro-
zess. Der Kundenbedarf steuert die gesamte durchgängige Wertschöpfungskette im Netz.
SCO
Supply Chain Optimization. Optimierung einzelner oder mehrerer Glieder einer logistischen Kette, mit
dem Ziel, kurzfristig Verbesserungen des Kundenservices und möglichst hohe Einsparungen zu erzielen.
Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht
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SCP
Supply Chain Planning. Planungssoftware für die Lieferkette (Beschaffung, Herstellung, Lieferung).SCP
beschreibt den entscheidungsunterstützenden strategischen Aspekt des SCM, ohne jedoch die ope-
rativen Aufgaben wahrzunehmen.
SFA
Sales Force Automation, Fachbegriff für das Automatisieren von Marketing, Außendienst und Ver-
trieb.
Serviceorientierte Architektur (SOA)
Der Begriff wurde 1999 durch Gartner Research erstmalig verwendet. Man kann sich eine Serviceo-
rientierte Architektur als eine lose Koppelung unterschiedlicher Dienste vorstellen, die über eine de-
finierte Schnittstelle angesprochen werden können. Eine Anwendung besteht dann nicht mehr aus
einem einzigen großen Programmkern, sondern aus einer Vielzahl angebotener Dienste. (vgl. SAP
NetWeaver)
SRM
Supplier Relationship Management. SRM-Tools sind Programme, mit denen sich die Beziehungen
zu den Lieferanten steuern lassen (Verwaltung des Informationsflusses zwischen den beteiligten
Parteien).
UCC
Abkürzung für University Competence Center. Von diesen UCCs gibt es deutschlandweit zwei Stück.
Eines an der TU München und eines an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Zu den
Leistungen der UCCs zählen das Vorhalten der jeweiligen SAP-Mandanten und die Wartung des
Netzwerks, so dass mit nahezu 100%iger Verfügbarkeit der SAP-Mandanten gerechnet werden kann.
Es werden Fallstudien für den Unterricht zentral vorgehalten und es gibt eine Community, in der man
sich über aktuelle Fragen rund um SAP austauschen kann. Auch werden die Schulungen für Lehr-
kräfte und Dozenten durch die UCCs durchgeführt. Weiterführende Informationen finden Sie unter:
http://www.sap-hcc.de/
Virtualisierung
Für Virtualisierung findet man keine allgemein gültige prägnante Definition. Man kann sagen, dass
mit Virtualisierung die Ressourcen eines Computers gemeinsam von mehreren virtuellen Computern
genutzt werden. Beispiel Server: In vielen Unternehmen steigt die Anzahl der Server an. Brauchte
man vor einigen Jahren fast ausschließlich Server für Mail, gemeinsame Dateien und Drucker, so
gehören heute Web-Server sowie Unternehmens-Anwendungen (ERP, CRM) zum Standard. Statt
jeden Server auf einem eigenen Computer zu betreiben, können sich mehrere Server eine Hardware
teilen – dies wird durch den Einsatz von Virtualisierungstechnologien wie VMware Infrastructur er-
reicht. Die Virtualisierung birgt unschätzbare Vorteile in der sich rapide weiterentwickelnden Welt
der Informationstechnik (IT). Das britische Marktforschungsinstitut Butler Group (2007, S. 7) geht in
einer 2007 veröffentlichten Studie davon aus, dass die Virtualisierung bis ins Jahr 2010 zu der do-
minierenden Technologie in Rechenzentren wird. Durch sie können Unternehmen die „drei großen
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Glossar
Herausforderungen“ der Kostenreduzierung, der flexiblen Anpassung an Marktanforderungen und
der Verringerung der Energiekosten bewältigen und so im globalen Wettbewerb bestehen.
VMware Infrastructure
Eine fortschrittliche Technologie zur Virtualisierung von Servern und Betriebssystemender Firma
VMware. Der Einsatz von Virtualisierungslösungen birgt hohe Einsparpotentiale im Bereich der Hard-
ware.
http://www.vmware.de
Workflow
Ein Workflow ist eine Abfolge von Schritten, die entweder von Personen oder automatisiert vom Sys-
tem bearbeitet werden.