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Band 4 Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung Herausgegeben von Karl Wilbers Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht Horst Pongratz, Tade Tramm, Karl Wilbers (Hrsg.)

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Band 4

Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung

Herausgegeben von Karl Wilbers

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen

im kaufmännischen Unterricht

Horst Pongratz, Tade Tramm, Karl Wilbers (Hrsg.)

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung

Band 4

Herausgeber des Band 4:

Dipl. Hdl. Horst Pongratz

Prof. Dr. Tade Tramm

Prof. Dr. Karl Wilbers

Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt bei den Autoren

Texte zur Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung

Hrsg. von Prof. Dr. Karl Wilbers

Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung

Fachbereich Wirtschaftswissenschaften

Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Lange Gasse 20

D-90403 Nürnberg

www.wirtschaftspaedagogik.de

Information zu weiteren Bänden der Reihe:

www.wirtschaftspaedagogik.de/texte/

ISBN: 978-3-8322-8832-7

ISSN: 1867-1365

Layout und Satz:

Abele Katrin

E-Mail: [email protected]

Copyright Shaker Verlag 2009

Alle Rechte, auch das des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen oder vollständigen

Wiedergabe, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen und der Übersetzung vorbehalten.

Printed in Germany

Shaker Verlag GmbH | Postfach 101818 | 52018 Aachen

Telefon: 02407 / 95 96 - 0 | Telefax: 02407 / 95 96 - 9

Internet: www.shaker.de | E-Mail: [email protected]

Eine digitale Version dieses Werkes steht unter http://www.opus.ub.uni-erlangen.de/opus/

im Adobe Portable Dokument Format (PDF) zum kostenfreien Download bereit.

Inhaltsverzeichnis

3

Inhalt

Vorwort ....................................................................................................................................................5

Prozessorientierung und ERP-Systeme aus fachwissenschaftlicher Sicht

Geschäftsprozess und Prozessmanagement (Michael Gaitanides) ................................................... 11

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

(August-Wilhelm Scheer / Michael Hoffmann) ................................................................................30

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware (Peter Mertens)..............................................44

Curricular-didaktische Grundlagen

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

(Karl Wilbers)..................................................................................................................................... 61

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive (Tade Tramm) ...........................................77

Informations- und Kommunikationstechnologien didaktisch betrachtet –

Ein programmatischer Beitrag aus Schweizer Sicht (Franz Eberle) ............................................. 102

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt

der Schulentwicklung (Horst Pongratz) ..........................................................................................111

Good-practice-Beispiele aus beruflichen Schulen

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess:

Erfahrungen am Friedrich-List-Berufskolleg (Birthe Tina Reich-Zies, Andreas Buder) .............. 151

ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg

(Bernd Schuller) .............................................................................................................................. 162

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule

(Eike Dörrer) .................................................................................................................................... 167

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe (Bernd Strahler) ...................................................................... 179

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

4

Unterstützungssysteme und -angebote für berufliche Schulen

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen

im kaufmännischen Unterricht (Gerd Häuber) .............................................................................. 195

Einsatz von ERP-Software im Unterricht (Edgar Sailer) ....................................................................205

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre

(Helmut Pscheidl-Schubert) .......................................................................................................... 210

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware

Ein Beitrag zum zentralen technischen Support? (Christoph Hölzlwimmer) ...............................223

Service

Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern

sowie deren Landesinstitute (Katrin Abele) ...................................................................................239

Glossar ................................................................................................................................................243

Vorwort

5

VorwortDurch den Einsatz komplexer ERP-Systeme zur Geschäftsprozesssteuerung haben sich kaufmän-

nische Arbeitsprozesse und mit ihnen zugleich die Qualifikationsanforderungen im kaufmännischen

Bereich in den vergangenen Jahren teilweise dramatisch verändert, ohne dass bisher die Praxis der

kaufmännischen Berufsbildung darauf angemessen Bezug nehmen würde. Die Fähigkeit, sich in

komplexen Prozessstrukturen orientieren zu können und hierin kompetent zu agieren, erweist sich

zunehmend als zentrale kaufmännische Qualifikation und zugleich als ein Engpass bei der Umset-

zung prozessorientierter Organisationsmodelle. Umgekehrt betrachtet bieten ERP-Systeme ein noch

weitgehend unerschlossenes didaktisches Potenzial zur Gestaltung arbeitsanaloger Lernumwelten.

Vor diesem Hintergrund stand die Fachtagung Wirtschaft und Verwaltung der Hochschultage Berufli-

che Bildung 2008 in Nürnberg unter dem Thema „Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz

von ERP-Systemen im Unterricht“. Mit der Tagung wurde in einem Wechselspiel von theoretischen

Impulsen und Praxisbeispielen versucht, dieses Potenzial zu spezifizieren, aus didaktischer Sicht

erfolgskritische und auch problematische Aspekte dieser Entwicklungen zu identifizieren, Möglich-

keiten für die Vernetzung dieser Entwicklungsarbeiten und die Schaffung von Unterstützungsstruk-

turen auszuloten und schließlich Felder und Ansatzpunkte für wissenschaftliche Innovationsbegleit-

forschung zu benennen.

Dieser Band greift die Beiträge und Diskussionen dieser Fachtagung auf, beschränkt sich aber nicht

auf die Dokumentation der damals gehaltenen Vorträge, sondern ergänzt diese um einige Beiträge zu

einschlägig grundlegenden Ansätzen in der Wirtschaftsinformatik und der Betriebswirtschaftslehre,

deren Relevanz sich gerade aus den seinerzeitigen Diskussionen ergeben hat. Er zeigt damit einer-

seits curriculare Konzepte und didaktische Ansätze auf und diskutiert praktische Problemlösungen

an innovativen Schulen; andererseits werden auch die grundlegenden wirtschaftspädagogischen,

wirtschaftsinformatorischen und betriebswirtschaftlichen Begründungszusammenhänge deutlich.

Der Band richtet sich an Lehrkräfte an beruflichen Schulen, an Personen aus der Lehreraus- und

-fortbildung, an Ausbilder und Personalverantwortliche aus den Unternehmen sowie an Vertreterin-

nen und Vertreter aus der Berufsbildungsforschung und Bildungspolitik sowie nicht zuletzt an Studie-

rende und Referendare, die sich nach unserer Einschätzung intensiv mit dieser Thematik auseinander

zu setzen haben werden.

Prozessorientierung und ERP-Systeme aus fachwissenschaftlicher Sicht

Zunächst werden die fachwissenschaftlichen Grundlagen für die weitere Auseinandersetzung gelegt.

Prof. Dr. Michael Gaitanides, ein exponierter Vertreter der Prozessorientierung in der Betriebswirt-

schaftslehre, führt in den grundlegenden Zusammenhang von Geschäftsprozess und Prozessma-

nagement ein. Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer und Michael Hoffmann stellen eines der grundle-

genden Modelle prozessorientierten Denkens vor: Die Architektur Integrierter Informationssysteme

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

6

(ARIS). Der renommierte Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Peter Mertens erörtert die Bedeutung der

Einstellung von Parametern von Standardsoftware.

Curricular-didaktische Grundlagen

Es folgt eine didaktische Auseinandersetzung um Prozessorientierung und den Einsatz von integ-

rierter Unternehmenssoftware. Prof. Dr. Karl Wilbers führt dazu in den Stand der didaktischen Dis-

kussion ein. Prof. Dr. Tade Tramm führt die didaktischen Überlegungen zur Prozessorientierung fort,

erörtert deren Zusammenhang mit einer betriebswirtschaftlichen Systemperspektive und legt eine

Strategie dar, die Prozesssicht auch auf das Lernen und den Kompetenzerwerb von Schülerinnen

und Schülern über die Arbeits- und Geschäftsprozesse hinweg auszuweiten. Prof. Dr. Franz Eberle

reflektiert die Informations- und Kommunikationstechnologien im curricularen Kontext aus einer spe-

zifisch Schweizer Perspektive. Den letzten Beitrag in diesem Themenblock bietet Horst Pongratz, der

die Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schul-

entwicklung darstellt.

Good-practice-Beispiele aus beruflichen Schulen

Die übergreifenden Erörterungen werden im dritten Teil des Buches durch umfangreiche Darstel-

lungen von praktischen Beispielen an beruflichen Schulen ergänzt. Andreas Buder und Birthe Tina

Reich-Zies vom Friedrich-List-Berufskolleg (FLB) in Herford reflektieren den Einsatz von SAP-Fall-

studien im Unterricht. Bernd Schuller vom Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverar-

beitung Würzburg zeigt auf, wie in einem Schulverbund von Berufsfachschulen und Berufsschulen,

SAP in Kombination von Theoriephasen im Klassenraum und Praxisphasen im EDV-Raum genutzt

wird. Eike Dörrer vom Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen in Berlin zeigt einen

didaktisch hoch anspruchsvollen, aber auch aufwändigen Weg zur Nutzung von SAP in einer Berufs-

fachschule. Bernd Strahler berichtet von der Multi-Media Berufsbildende Schule in Hannover, die die

beiden dominanten Systeme, MS Nav und SAP, parallel an der Schule einsetzen.

Unterstützungssysteme und -angebote für berufliche Schulen

Die Analyse der Beispiele an beruflichen Schulen zeigt, dass die Schulen bei der erfolgreichen Ein-

führung integrierter Unternehmenssoftware und der nachhaltigen Nutzung im Schulalltag auf externe

Unterstützung angewiesen sind. Unter diesem Gesichtspunkt stellt Gerd Häuber die Unterstützung

von beruflichen Schulen durch das Landesinstitut in Baden Württemberg, Edgar Sailer die Unter-

stützungsangebote des bayerischen Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung sowie

Helmut Pscheidl-Schubert ein einschlägiges Ausbildungs- und Zertifizierungskonzept in Österreich

vor. Außerdem stellt Christoph Hölzlwimmer eine neue Möglichkeit der Unterstützung beruflicher

Schulen dar.

Vorwort

7

Service

Katrin Abele liefert eine vergleichende Übersicht der Supportangebote, die Schulen in Deutschland

nutzen können Als zusätzlichen Service gerade auch für die Leser, die mit dieser Materie noch nicht

allzu vertraut sind, bieten wir abschließend ein Verzeichnis der wichtigsten Begriffe zum Thema

(Horst Pongratz).

Wir hoffen, dass dieser Band die Diskussion um die curricular notwendige und didaktisch sinnvol-

le Nutzung integrierter Unternehmenssoftware anregt und belebt. Nach unserer Überzeugung liegt

hier ein Gestaltungsfeld, dessen Relevanz derzeit noch weitgehend verkannt wird. Wir freuen uns auf

Ihre Rückmeldungen zu den Beiträgen dieses Bandes und auf Ihre Berichte aus der eigenen Praxis.

Nürnberg und Hamburg, November 2009

Horst Pongratz, Tade Tramm und Karl Wilbers

8

9

Prozessorientierung und ERP-Systeme aus fachwissenschaftlicher Sicht

10

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

11

Geschäftsprozess und ProzessmanagementMichael Gaitanides

1 Das traditionelle Prozesskonzept: Ablauforganisation folgt Aufbauorganisation

Die Entwicklung der Organisationslehre war viele Jahrzehnte lang durch die Dualität von Aufbau- und

Ablauforganisation gekennzeichnet. Während die Aufbauorganisation die Aufgabenverteilung bein-

haltet, beschreibt die Ablauforganisation die Arbeitsverteilung. Der strukturelle Aspekt der Aufbauor-

ganisation beinhaltet Handlungsziele, der prozessuale Aspekt der Ablauforganisation Regeln für den

Handlungsvollzug. Die Ablauforganisation kann insoweit als der Vorläufer einer prozessorientierten

Organisationslehre gelten.

Unter dem Aspekt des Aufbaus und Ablaufs wird die Aufbauorganisation als die „strukturierende Ge-

staltung“ mit Bezug auf „institutionelle Probleme und Bestandsphänomene“ (Kosiol 1962, S. 32), die

Ablauforganisation als die „integrative“ oder „raumzeitliche Strukturierung der Arbeits- und Bewe-

gungsvorgänge, insbesondere um ihre Rhythmisierung und Terminisierung“ definiert. Dass zwischen

beiden Aspekten, dem Aufbau und dem Ablauf, ein enger Zusammenhang besteht, lässt sich u.a. aus

der gleichen Vorgehensweise bei der Behandlung der aufbau- und ablauforganisatorischen Gestal-

tungsprobleme erkennen. Bei beiden ist zunächst im Wege der Analyse eine detaillierte Übersicht zu

erlangen, um dann in der anschließenden Synthese die formale Organisation zu gestalten.

Die Aufgabe als Zielsetzung für zweckbezogenes, auf die Erfüllung der Marktaufgabe des Unterneh-

mens ausgerichtetes menschliches Handeln bildet den organisatorischen Zentralbegriff. Durch die

Analyse dieser Aufgabe gelangt man zu Teilaufgaben verschiedener Ordnung. Fünf verschiedene

Gliederungskriterien, deren wichtigste Verrichtung und Objekt sind, können mehrmals nacheinan-

der angewendet werden und führen zu den bereits erwähnten Teilaufgaben unterschiedlicher Ord-

nung. An die Aufgabenanalyse, die als eine vorgelagerte Tätigkeit für die eigentliche organisatori-

sche Gestaltung angesehen werden muss, schließt sich die Aufgabensynthese an. Hierbei handelt

es sich um das Problem der Vereinigung der analytisch generierten Teilaufgaben zu aufgaben- und

arbeitsteiligen Einheiten, d.h. zu Stellen und Abteilungen.

Die Arbeitsanalyse als Grundlage der Ablaufgestaltung gleicht in ihrer Vorgehensweise derjenigen

der Aufgabenanalyse. Die Basis bilden hier die Teilaufgaben niedrigster Ordnung, d.h. die der letzten

Gliederungsstufe der Aufgabenanalyse. Somit kann die Arbeitsanalyse als Fortsetzung der Aufga-

benanalyse angesehen werden (Kosiol 1962, S. 189). Auch die Arbeitsanalyse erfolgt nach den glei-

chen Kriterien – Verrichtung, Objekt, Rang, Phase und Zweckbestimmung – wie die Aufgabenana-

lyse. Gestaltungsobjekt der Ablauforganisation ist die Arbeit, die von einer Person auf einer Stelle

geleistet werden kann. Da sich ein solcher Tätigkeitskomplex aus mehreren Arbeitsteilen zusam-

mensetzt, handelt es sich hierbei um einen Arbeitsgang, den eine Person an einem Objekt vollzieht.

An die Arbeitsanalyse bzw. die Arbeitsganganalyse schließt sich die Arbeits synthese an, deren

Ausgangspunkt die synthetischen Teilaufgaben niedrigster Ordnung (Elementaraufgaben) bzw.

die analytischen Arbeitsteile letzter Ordnung sind. Die Arbeitssynthese erzeugt Arbeitsgänge für

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

12

Aufgabenträger mit dem Ziel, die Durchlaufzeit der Arbeitsobjekte über mehrere Stellen hinweg zu

minimieren.

Für die klassische Ablauforganisation ist als wesentliches Kennzeichen grundsätzlich festzuhalten,

dass sie an der Stellenaufgabe ihren Ausgang nimmt. Erst wenn die Aufgabe einer Stelle durch die

Aufgabensynthese definiert ist, kann mit der Ablauforganisation im Sinne von Arbeitsanalyse und

-synthese begonnen werden: Ablauforganisation folgt daher Aufbauorganisation.

2 Das Prozessmanagementkonzept: Struktur folgt Prozess

2.1 Konzeptionelle Grundlagen

Das wichtigste Fundament des Prozesskonzepts ist die Befreiung der Ablauforganisation von auf-

bauorganisatorischen Restriktionen. Ein Unternehmensprozess ist ein „Bündel von Aktivitäten, für

das ein oder mehrere unterschiedliche Inputs benötigt werden und das für den Kunden ein Ergebnis

von Wert erzeugt.“ (Hammer/Champy 1994, S. 52). Es beinhaltet die Ablö sung von funktionalen Or-(Hammer/Champy 1994, S. 52). Es beinhaltet die Ablö sung von funktionalen Or-Es beinhaltet die Ablö sung von funktionalen Or-

ganisationsprinzipien durch eine konsequente Konzentration auf bereichsübergreifende Arbeitsab-

läufe. Die prozessorientierte Unternehmensorganisation besteht in der Auflösung fragmentierter Ver-

antwortung und der Relativierung von unternehmensinternen und -externen Grenzen. Unternehmen

differenzieren sich durch ihre Prozessfähigkeiten. Organisatorisches Lernen und organisatorisches

Redesign müssen daher ebenfalls schon im Prozesskonzept angelegt sein.

Ein prozessorientiertes organisatorisches Design hat meist den Einsatz von Prozessteams zur Folge,

deren Mitglieder nicht Vertreter von Fachabteilungen sind, sondern diese ersetzen sollen. Sie füh-

ren einen vollständigen Unternehmensprozess durch. Schnittstellen zwischen Bearbeitungsschritten

sollen so ent fallen und Abstimmungsaufwand reduziert werden. Ziel ist es, zwischen Beschaffungs-

und Absatzmarkt möglichst durchgängige Prozesse ohne Schnittstelle zu schaffen. Grundidee ist

danach ein 90°-Shift der Organisation. Geschäftsprozesse, die in der funktionalen Organisation quer

zu den vertikal angelegten verrichtungsorientierten Abteilungen verlaufen, werden nun zum Gliede-

rungsprinzip, das den Fluss von Material, Informationen, Operationen oder Entscheidungen abbildet.

An Stelle der Gestaltungsfolge „process follows structure“ gilt nun „structure follows process“ bei

der Bildung von Stellenaufgaben oder Abteilungen.

Ein zweites wesentliches Element ist die Kundenorientierung. Interne wie externe Prozesse wer-

den an ihren Leistungen für Kunden beurteilt und ihre Wertschöpfung am Kundennutzen gemes sen.

Benchmarking und Outsourcingentscheidungen von Prozessen (Business Process Outsourcing) ori-

entieren sich an dem Kriterium „Kundennutzen“. Kunden nehmen nur die Produkte und Dienstleistun-

gen eines Unternehmens wahr, die Ergebnis von Prozessen sind, nicht jedoch Führungsphilosophien,

Organisationsstrukturen oder Controllingaktivitäten (Hammer 1997, S. 28). Prozessmanagement be-

deutet auch zwischen Kundenanforderungen und der Befriedigung von Kundenbedürfnissen einer-

seits und den damit verbundenen Prozesskosten andererseits abzuwägen.

Die „kundenorientierte“ (Osterloh/Frost 2006, S. 29) oder „vorgangsorientierte“ (Frese/v. Werder

1992, Sp. 387) Rundumbearbeitung erfolgt meist durch Teams. Prozess- oder Case-Teams sollen

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

13

Vorgänge ganzheitlich und integrativ bearbeiten, um die Servicequalität des Prozes ses zu verbes-

sern und Durchlaufzeiten zu verringern. Entsprechend der Komplexität des Be arbei tungsvorganges

einzelner Objekte bzw. Objektgruppen lassen sich Prozesse nach Pro dukt-, Kunden-, Lieferanten-

gruppen segmentieren. Kernstück des Organisationskonzepts ist die Zusammenfassung der be-

treffenden Aktivitäten in einem Bereich, die sodann einem Mitarbeiter, dem Case Worker oder Case

Manager, verantwortlich übertragen werden (vgl. Abbildung 1). Der Case Manager ist für bereichs-

übergreifende Abstimmungsprozesse verantwortlich und verhindert auf diese Weise, dass Bereichs-

spezialisten eigene Abteilungsziele verfolgen (vgl. Theuvsen 1996, S. 71; Davenport/Nohria 1995,

S. 82f; Striening 1988, S. 164ff.). Da sich die Verantwortung der Case Worker auf den Gesamtprozess

erstreckt, müssen Vereinbarungen über Leistungsziele, Leistungsbeurteilungen und Anreize ent-

sprechend umfassend angelegt sein. Beispiele für integrierte Prozesse sind neben der Auftragsab-

wicklung das Kundenmanagement, die Produktentwicklung oder die Beschaffung.

Abb. 1: Kundenorientierte Rundumbearbeitung (Osterloh/Frost 2006, S. 34)

Kundenorientierung und integrierte Rundumbearbeitung setzen voraus, dass Mitarbeiter aus-

reichende Handlungsspielräume besitzen und befähigt werden, nutzenstiftende Initiativen zu entfal-

ten (Empowerment) (vgl. Champy 1995, S. 131). Die Übertragung eines Geschäftsprozesses auf die

Ebene der Case Worker und Case Teams setzt eine entsprechende Delegation von Entscheidungs-

kompetenzen und Abbau hierarchischer Kontrolle voraus. Horizontale Autonomie muss daher die

Reintegration von Arbeitsprozessen und die Beendigung der funktionalen Zersplitterung von Ge-

schäftsprozessen begleiten. Die vertikale Autonomie bedarf einer Ergänzung im Sinne einheitlicher

und unmittelbarer Verantwortung für den Geschäftsprozess (vgl. Theuvsen 1996, S. 69).

Die Idee des Empowerment ist um das Konzept einer prozessbezogener Anreize zu ergänzen. Der

Geschäftsprozess wird zum Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Belohnungen. Sie fördern

die Einsicht in den Kontext der eigenen Tätigkeit und erleichtern so die Abschätzung der Folgen des

eigenen Handelns im Gesamtzusammenhang. Das Prozessergebnis ist meist Grundlage der Ent-

lohnung: Im Prozess der Auftragsabwicklung wird sich die Vergütung danach richten, ob die Auf-

träge präzise, pünktlich und kostengünstig ausgeführt wurden, im Prozess der Produktentwicklung

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

14

danach, ob die neuen Produkte zeitgerecht eingeführt und vom Kunden angenommen werden, im

Serviceprozess danach, ob Kundenprobleme rasch und ohne Reklamation gelöst werden.

Vom Case Manager ist der Prozessverantwortliche, Prozessmanager oder Process Owner zu unter-

scheiden. Während der Case Manager die operative Verantwortung trägt, übernimmt der Prozesseig-

ner die Verantwortung für das Prozessdesign, Gestaltung und Aktualisierung, sowie für Wissensver-

mittlung und Schulung der Case Worker hinsichtlich Struktur, Ablauf und Kooperation (vgl. Hammer

1997, S. 97). Ebenso ist er für die Prozessdokumentation und „Messarchitektur“ zur Überprüfung der

Prozessleistung zuständig.

Ein weiterer gemeinsamer Baustein wird in der Informationstechnologie gesehen. Kun-

denorientierung und Rundumbearbeitung verlangen dezentralen Datenzugriff. Informati ons-

technologie wird daher als „Enabler“ begriffen. Die IT ermögliche es erst, integrierte Ge-

schäftsprozesse neu zu entwickeln und zu vollziehen. Als Träger des Reengineering-Prozesses kom-

me ihr daher besondere Bedeutung beim innovativen Entwurf und bei der effizienten technischen

Umsetzung von Geschäftsprozessen zu.

2.2 Was ist ein Geschäftsprozess?

Einigkeit herrscht darüber, dass ein Geschäftsprozess „funktionsübergreifend“ angelegt ist. Eine

erste Definition gibt Davenport (1993, S. 5). Ein Prozess ist eine zeitlich und räumlich spezifisch

strukturierte Menge von Aktivitäten mit einem Anfang und einem Ende sowie klar definierten Inputs

und Outputs. Zusammenfassend: „A structure for action“. Hammer (1997, S. 21) begreift Pro zesse

als Gruppen „verwandter Aufgaben, die zusammen für den Kunden ein Ergebnis von Wert ergeben“.

Kundennutzen entsteht nicht durch die einzelne Aktivitäten von Vorgängen oder Teilprozessen, son-

dern durch das Bündel von Teilleistungen, die nur in ihrer Ganzheit eine nutzenstiftende Funktion mit

identifizierbarem Wert für den Kunden enthalten. Prozesse sind Tätigkeitsfolgen, die Kundenwert

schaffen (Picot/Franck 1995, S. 14).

Je näher die Arbeiten dem Informations- und Datenverarbeitungsbereich stehen, desto mehr wird

auch die Binnenstrukturierung von Prozessen thematisiert. Der Prozessansatz geht der Frage nach,

wie Arbeit effizient verrichtet werden soll. Die Strukturiertheit der Arbeitsprozesse ist schon deshalb

ein Wesensmerkmal, um Prozesszeit und Prozesskosten messen zu können. In der DV-orientierten

Literatur konkretisiert sich das Prozessverständnis in Referenzmodellen. Vorgefertigte Referenz-

modelle sollen es erleichtern, in tegrierte Geschäftsprozesse zu definieren und zu beschreiben (vgl.

Meinhardt/Teufel 1995, S. 74).

2.3 Geschäftsprozesse als Routinen

Prozesse haben schließlich immer auch eine Wissenskomponente und können daher als in Routinen

geronnenes Wissen kollektiv agierender Prozessbeteiligter verstanden werden. Erst aus dem Zu-

sammenspiel von Prozess- und Wissensmanagement können Wettbewerbsvorteile entstehen. Von

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

15

erfolgreichem Prozessmanagement kann daher erst dann gesprochen werden, wenn die Aktivitä-

ten der Prozessbeteiligten zu Geschäftsprozessen derart verknüpft sind, dass es ihnen ermöglicht

wird, neues Wissen zu generieren und zu transpor tieren. Für Osterloh/Wübker (1999) ist Wissen der

wichtigste Bestandteil von „Kernkompetenzen“ ist. Daran lässt sich ermessen, welche Bedeutung

dem Wissen unter dem Aspekt der Trägerschaft und der Wissensübertragung im Rahmen des Pro-

zessmanagements zukommt. Zwar sind die individuellen Fertigkeiten und Kenntnisse der einzelnen

Organisationsmitglieder das Fundament organisationalen Wissens. Es entfaltet seinen Wert erst in

der Bündelung und Verknüpfung, die durch die Prozessorganisation explizit vollzogen wird. Routine-

prozesse beruhen daher nicht nur in einer bloßen Addition individueller Fertigkeiten und Fähigkeiten,

sondern es bedarf einer prozessweiten Kollektivierung individuellen Wissens. Individuelles Wissen

muss anderen Prozessbeteiligten zugänglich sein, um kollektives Wissen entwickeln und neues ge-

nerieren zu können. Osterloh/Frost sprechen hier von „gemeinsam geteilten mentalen Modellen“

(Osterloh/Frost 2006, S. 204), die als kollektive Deutungsmuster den Prozessakteuren zur Verfügung

stehen und deren Interpretations- und Interaktionsprozesse steuern.

Organisatorisches Wissen ist nicht nur in mentalen Modellen, sondern vor allem in organisationalen

Routinen und Regeln gespeichert. Als allgemein akzeptierte Verhaltensmuster wirken diese insbe-

sondere für formale Prozessabläufe stabilisierend. In Routinen verdichtet sich die gesammelte Erfah-

rung der Akteure, die es ihnen ermöglicht, auch in komplexen Entscheidungssituationen unter unvoll-

ständiger Information zu handeln. Diese implizite Standardisierung macht integrierte Prozessorga-

nisation erst möglich. Der Wissensaspekt verdeutlicht eindrucksvoll, dass die Implementierung der

Prozessorganisation nur behutsam und unter Berücksichtigung des impliziten Wissens der Betroffe-

nen entworfen und implementiert werden dürfen, wenn die organisatorische Wissensbasis nicht zer-

stört, sondern erhalten und für innovative Strukturentwicklungen genutzt werden soll.

In der hierarchisch-funktionalen differenzierten Organisation findet dagegen ein traditioneller Rou-

tinebegriff Verwendung, der auf gleichförmige Handlungswiederholung abstellt, die von hoher Spe-

zialisierung und isolierender Arbeitsteilung gekennzeichnet ist. Repetitive und deterministische

Handlungsvollzüge erlauben im Unterschied zur integrierten Prozessarbeit eine exakte Prognosti-

zierbarkeit des qualitativen wie quantitativen Handlungsergebnisses. Geringe Variabilität der Vor-

gangsbearbeitung macht Koordination und Integration der Teilarbeiten nicht notwendig. Spezifisches

Wissen oder Expertise der beteiligten Akteure ist bei der Regelanwendung nicht vonnöten (vgl. Gei-

ger/Koch 2008, S. 694).

Das Verständnis von Geschäftsprozessen knüpft indessen an einem erweiterten Routinebegriff an.

Dieser erstreckt sich auf das Beherrschen außergewöhnlicher Tatbestände und wird mit dem Begriff

der „Könnerschaft“ (vgl. Geiger/Koch 2008, S. 696) belegt. Routinen, die auf Könnerschaft basieren,

werden im Handlungskontext nicht durch abstrakte Beschreibung, sondern allein durch Übung und

Imitation erworben. Außergewöhnliche Leistungen – ob im Sport, im Berufsleben oder sonstigen

Kontexten – beruhen auf spezifischen Fähigkeiten, über die nur Experten verfügen können. Diese

Könnerschaft lässt sich nicht allein und ausschließlich sprachlich vermitteln, sondern wird nur durch

Übung erlernt und perfektioniert. Kollektive Routinen konstituieren das „Zusammenspiel“ von Perso-

nenmehrheiten. Dies gilt für Spielzüge in Mannschaftsportarten wie Fußball ebenso wie für Budget-

oder Produktentwicklungsprozesse im Unternehmen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

16

Geschäftsprozesse zeichnen sich nicht durch individuelle, sondern durch kollektive Könnerschaft

aus. Kollektive Fähigkeiten entstehen hierbei durch kollektive Handlungsflüsse, die auch zu außerge-

wöhnlichen, d. h. nicht am Beschaffungsmarkt verfügbaren Leistungen „befähigt“ sind. Diese Rou-

tinen beruhen auf dem Erlernen integrativer Formen der Zusammenarbeit und dem damit verbunde-

nen Wissen über Kooperationsbedingungen. Nicht zuletzt unterstützen Routinen zur Veränderung

von Routinen eine Einheit von Handeln, Lernen und Innovation (vgl. Geiger/Koch 2008, S. 700). Das

Beherrschen von Routinen ist die Voraussetzung für kreatives und innovatives Improvisieren jenseits

der erwarteten Verhaltensmuster. Bei Geschäftsprozessen handelt es sich mithin um die Institutio-

nalisierung von Routinen, die eine wesentliche Grundlage dafür bilden, Außergewöhnliches zur Ent-

faltung zu bringen.

3 Identifikation von Geschäftsprozessen: Generischer versus

unternehmensspezifischer Entwurf

Generische Prozesse im Sinne von „Rahmenprozessen“ werden auf der Basis idealtypi scher Ge-

schäftsprozesse identifiziert, in Subprozesse differenziert und in ihrer Struktur der konkreten

Situation angepasst. Übliches Beispiel für dieses Vorgehen sind die Referenzmodelle der Soft-

warehersteller, die Angebote für die Prozessidentifizierung und Strukturierung machen. Ein Bei-

spiel dafür geben die sogenannten „allgemein differenzierbaren Leistungsprozesse“ von Som-

merlatte/Wedekind (2990, S.24 ff.) oder das Siemens Referenzhaus in Abbildung 2.

Die generischen Prozesse „Product Lifecycle Management-Prozess, Supply Chain Management-

Prozess und Customer Relations Management-Prozess werden schrittweise in Teil- bzw. Subpro-

zesse differenziert. Erst ab der vierten Ebene werden die allgemeinen Prozesse unternehmensspe-

zifisch ausgelegt.

Probleme entstehen bei dieser Vorgehensweise dann, wenn die Prozessarchitektur auf der Makroe-

bene verändert und an Umweltbedingungen angepasst werden muss. Änderungen im Design einzel-

ner Prozesse müssen top down vorgenommen und die Gesamtarchitektur einer Konsistenzprüfung

unterzogen werden. Da die konkrete Ausformung der „Rahmenprozesse“ branchen - oder unterneh-

mensspezifisch erfolgt (vgl. Striening 1988, S. 201), geht es hierbei weniger um die Identifikation als

um die Beschreibung von Geschäftspro zessen.

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

17

Level 0 BusinessManagement Support

PLM SCM CRM

Prozessgruppengenerische Standardprozesse

Level 1

Basisprozessegenerische Standardprozesse

Plan DeliverMakeSource Return Enable

Level 2

Prozesskategorien, -modelle, -variantengenerische Standardprozesse

Make toStock

Make toorder

Engeneerto order

Enablemake

Make to stock PUSH

Make to stock PULL

Level 3

Prozesskettengenerische Standardprozesse

Fertigungs-steuerung & Disposition

Fertigungs-versorgung

Fertigung & Prüfung

UE / FE verpacken

UE/FEbereitstellen

Freigabe des Produktesan Deliver

Level4 bis n

ProzessketteGeschäftsspezifische Standardprozesse

Make

Deliver

Plan Make

Fertigungsbedarf ermittelt

Fertigungsplanund M&C-Rahmen

verabschiedet

Bedarfs- &Mengen-planung

Auftrags-erfassung &

-durchführung

Produktions-aufträge

freigegeben

Fertigungs-versorgung

Abb. 2: Level-Systematik im Siemens Referenz-Prozesshaus

(Quelle: Feldmayer/Seidenschwarz 2005, S. 28)

Demgegenüber sieht die unternehmensspezifische, maßgeschneiderte Prozessidentifikation, die

an konkreten Leistungen zur Generierung von Kundennutzen ansetzt, den schrittweisen Aufbau von

Kernprozessen bzw. Supportprozessen vor (vgl. Gaitanides 2007, S. 139 f). Kernprozesse sind Pro-

zesse, die

- eine strategische Bedeutung haben,

- quer zu den traditionellen Abteilungen liegen,

- von Schnittstellen mit Lieferanten zu Schnittstellen zu Kunden reichen,

- wahrnehmbaren Kundennutzen stiften,

- unternehmensspezifisch, nicht imitierbar und nicht substituierbar sind.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

18

Supportprozesse erzeugen Leistungen für interne Kunden bzw. unterstützen andere Geschäftspro-

zesse. Sie umfassen alle Prozesse, die nicht unmittelbar Kundennutzen generieren. Dazu zählen Ser-

viceprozesse ebenso wie allgemeine Managementprozesse.

Die Entwurfslogik führt zu unternehmensspezifischen Geschäftsprozessen, da sie an den Wettbe-

werbsvorteile generierende Fähigkeiten (Kernkompetenzen) ansetzen. Kernprozesse erzeugen Kern-

leistungen, die einen seitens der Kunden akzeptierten Zusatznutzen stiften. Kernprozesse können

mithin als unternehmensspezifische Kunden-Lieferanten-Beziehun gen definiert werden.

Die Prozessarchitektur des Unternehmens besteht aus den kundenorientierten Kernleistungen und

den sie unterstützenden Sup portleistungen. Entsprechend den Fähigkeiten und Kompetenzen be-

stimmt eine oder mehrere wettbewerbskritische Kernleistungen, welche die Stärken bzw. Schwä-

chen des Unternehmens im Vergleich zu seinen Konkurrenten aufweist.

Zur Identifikation der Kernprozesse sind diejenigen Routinen zu isolieren, die einzigartige Fähigkeiten

des Unternehmens zu erzeugen in der Lage sind. Die Identifikation von Kernprozessen besteht dann

in der Bestimmung von Fähigkeitsclustern, die für das Entstehen von Kernprozessen verantwortlich

sind. Bei der Prozessidentifikation wird also danach gefragt, welches die im Rahmen der strategi-

schen Analyse festgehaltenen wettbewerbskritischen Fähigkeiten sind, und wie die betreffenden

Routinen in Geschäftsprozessen zu organisieren und zu beherrschen sind. Der Prozessentwurf er-

folgt insofern Bottom Up, als spezifisches Wissen, Routinen, Rechte oder Technologien als Prozesse

identifiziert und auf hierarchisch höherer Ebene zu Prozessstrukturen gruppiert werden.

Der unternehmensspezifische Ansatz der Prozessidentifikation ist der Gefahr ausgesetzt, die er-

folgskritischen Kernprozesse nicht vollständig zu erfassen. Die strategische Analyse muss daher die

entsprechenden Fähigkeitskomplexe nicht nur identifiziert haben, sondern auch deren dynamische

Entwicklung als Input für die Prozessidentifikation zur Verfügung stellen können. Die unternehmens-

spezifische Prozessidentifizierung liefert zusammenfassend eine Prozessarchitektur (vgl. Speck/

Schnetgöke 2000, S. 166), in der

- die wesentlichen Quellen für Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens in Kernprozessen abgebil-

det sind,

- alle Kern- und Supportprozesse eines Unternehmens und deren Leistungsbeziehungen aufgeführt

sind,

- grobe Prozessbeschreibungen den Ausgangspunkt für die weitere Modellierung bilden,

- eine erste Gruppierung der Kern- und Supportprozesse nach der Schnittstellenintensität vorge-

nommen wird, derart, dass die Prozessinterdependenzen zwischen den einzelnen Tätigkeitskom-

plexen möglichst gering sind.

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

19

4 Prozessmodellierung

Prozessmodellierung besteht im Entwurf des Prozessdesigns aller bereits identifizierten Kern- und

Supportprozesse. Ziel ist eine Prozessstrukturdarstellung, die unter Berücksichtigung der Prozess-

verknüpfungen die Prozessarchitektur eines Unternehmens dokumentiert. Bei diesen handelt es sich

jedoch nicht nur um Blaupausen („Blue Prints“). Sie gehen über eine reine Tätigkeitsdarstellung hi-

naus und sollen vor allem die wettbewerbskritischen Tätigkeiten in ihrem interdependenten Zusam-

menhang und in Bezug zur Kundenleistung verdeutlichen.

Folgende Ziele der Prozessmodellierung sind zu unterscheiden (vgl. Gaitanides 2007, S. 161ff.):

- Schaffung von Wertschöpfungstransparenz: Die Darstellung der logischen bzw. zeitlichen

Sequen zen erlaubt es, kritische Bereiche aufzuspüren und in die Prozessketten zur Eliminierung

von Schwachstellen gezielt einzugreifen.

- Bestimmung der Prozessverantwortlichkeiten: Die Zuordnung der einzelnen Arbeits schritte zu

den beteiligten Kernprozessen zeigt, wann bzw. welche der Tätigkeiten an der Lei stungserstellung

beteiligt sind. In Anlehnung an die Prozessarchitektur ist nun eine Verantwortungszuordnung nach

prozessualen Aspekten möglich, was eine Re duzierung des Koordinationsaufwandes zur Folge

hat. Es ist vorteilhaft, die Verantwort ung für jeweils komplette Geschäftsprozesse organisatorisch

in eine Hand zu legen, um die Identifikation mit der erstellten Leistung zu fördern. Künstliche orga-

nisatorische Tren nungen zwischen Aufbau- und Prozessorganisation sind so vermeidbar.

- Definition eines strukturierten Mess- und Steuerungssystems: Für die auf den Prozessebe-

nen dargestell ten Teilprozesse sind relevante Prozesskennzahlen ableitbar, mit denen die Pro-

zessleistung bezüglich Zeit, Qualität, Prozesskosten und Kundenzufriedenheit zu überprü fen ist.

Schwachstellen im Prozessablauf sind somit neben der Ablaufanalyse auch mittels Indikatoren

feststellbar.

- Ausarbeitung von Leistungsvereinbarungen: Auf der Basis visualisierter Abläufe lassen sich

Vereinbarungen mit externen und internen Lieferanten, z.B. über den Zeitpunkt der Leistungser-

bringung und über den Leistungsumfang festlegen.

- Schulung und Einarbeitung von Mitarbeitern: Anhand einer nach einheitlichen Krite rien aufge-

bauten transparenten Prozessarchitektur erhalten die Mitarbeiter einen Überblick über ihr Arbeits-

umfeld. Die Prozessvisualisierung ist damit gleichzeitig Grund lage für ein besseres Verständnis

des Unternehmensgeschehens und fördert die abtei lungsübergreifende Zusammenarbeit. Die An-

näherung impliziter Handlungsmodelle der Mitarbeiter mit den offiziellen „Prozess-Blue Prints“ soll

vereinfacht werden. Das Reden über Prozesse wird erleichtert.

- Erstellung von Richtlinien: Die häufig in Richtlinien geforderte Beschreibung von Pro zessabläufen

lässt sich auf der Grundlage einer transparenten Prozessdarstellung vereinfachen. Der Nachweis

eines Qualitätssicherungssystems nach DIN ISO 9000ff. ist mit Hilfe der Prozessdarstellung ohne

ein zusätzliches Verfassen von Verfahrens- und Arbeitsanweisungen zu erbringen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

20

Grundsätzlich ist die Darstellung von Prozessabläufen möglichst kurz und prägnant zu ge stalten.

Verbale Prozessbeschreibungen eignen sich nur bedingt dazu, logische oder zeitliche Sequenzen

übersicht lich abzubilden. Dazu dient die Nutzung softwaregestützter Ablaufdiagramme auf der Basis

standardisierter Notationen wie Business Process Modeling Notation (BPMN) oder Ereignisgesteu-

erte Prozessketten (EPK), die einzelne Arbeitsschritte, logische Verknüpfungen und Verzweigungen

sowie Schnittstellen zu internen und externen Lieferanten sowie zu Kunden aufzeigen.

Das Prozessdesign kann entweder in einem Analyseprozess top down oder in einem Konstruktions-

prozess bottom up entwickelt werden. Für beide Ansätze gelten jedoch nachfolgende Modellierungs-

grundsätze.

4.1 Prozessanalyse als Ausgangpunkt der Modellierung

Gliederungskriterien, wie z.B. Kunden, Produkte, Projekte oder spezifische Verrichtungen, nach de-

nen die Geschäftsprozesse zu strukturieren bzw. konstruieren sind, knüpfen an der Identifikation des

Geschäftsprozess an. Die oberste Gliederungsebene orientiert sich daher an dem Wettbewerbs-

vorteil, der durch den Prozess umgesetzt werden soll. Dabei ist die horizontale von der vertikalen

Prozessanalyse zu unterscheiden. Die horizontale Differenzierung führt zur Mengenteilung eines

Prozesses, durch die unterschiedliche Prozessvarianten generiert werden (z.B. das Triage-Konzept),

die vertikale Zerlegung zu der Artenteilung, durch die ein Prozess in Teilprozesse untergliedert wird.

Die Abbildung 3 zeigt beispielhaft die Prozessanalyse des Auftragsabwicklungsprozesses und seine

Interdependenzen zu vor- und nachgelagerten Prozessen.

Warever-

senden

Wareemp-

fangen

Auftrag abwickeln

Auftragseingangbearbeiten

Produktversorgungsichern

Warenverteilungdurchführen

Auftragschließen

Akquisi-tion

unter-stützen

Vertragfrei-.

geben

Auftragein-

geben

Auftragdispo-nieren

Liefer-ungenBedarfplanen

Bestandopti-

mieren

Warelagern/

Konfekt-ionieren

Inst./Ab-bauten

einbuchen

Rech-nung

gener-ieren

Bilanz-konten

ab-stimmen

Zahlungenbear-

beiten/zuordnen

Unterstützung für die Auftragsabwicklung

Unterstützung für Partner-Prozesse

Prozesse außerhalb der Auftragsentwicklung

Auftragsabwicklungsprozess

Produkt/Leistung

her-stellen

Produkt/Leistunginstall-ieren

Ebene

I

II

III

Abb. 3: Prozessanalyse der Auftragsabwicklung und Schnittstellen zu Lieferantenprozessen

(Quelle: Gaitanides u.a. 1994, S. 47f)

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

21

4.2 Vertikale Hierarchisierung und Strukturierung von Geschäftsprozessen

Die Modellierung der Prozessarchitektur wird davon bestimmt, ob und in welcher Tiefe ein Prozess

in Subprozesse verfeinert wird. Prozesse können auf mehreren Detaillierungsebenen analysiert und

betrachtet werden. Dabei entsteht das Modellierungsdilemma: Einerseits verringert sich mit zuneh-

mender vertikaler Gliederungstiefe die Transparenz und Übersichtlichkeit der Gesamtstruktur des

Geschäftsprozesses. Auf der obersten Gliederungsebene sind Aktivitäten nur implizit erfasst, die bei

hohem Detaillierungsgrad explizit ausdifferenziert werden müssen, was aus Komplexitäts- und Wirt-

schaftlichkeitsgründen oft unterlassen wird. Andererseits wird ein hoher Detaillierungsgrad benötigt,

wenn Entwurf und Umsetzung von Geschäftsprozessen mittels einschlägiger Modellierungs- und

Workflow-Software unterstützt werden sollen. Andernfalls können Geschäftsprozesse weder in Ih-

rer Auswirkung auf Zeiten, Kosten und Kapazitäten simuliert, noch Informationen für Steuerung und

Vollzug der Prozesse bereitgestellt werden. Der Kompromiss zwischen Wirtschaftlichkeit, Detaillie-

rungsgrad und Vollständigkeit kann sich an folgenden Kriterien orientieren (Gaitanides 1983, S. 81ff.;

Speck/Schnetgöke 2000, S. 172f):

4.3 Schnittstellen mit Kunden- und Lieferantenprozessen

Koordinationsprobleme treten auf, wenn Input- und Outputinformationen eines Prozesses, die in ei-

nem anderen Prozess generiert bzw. verwendet werden, nicht den gleichen Detaillierungsgrad auf-

weisen. An den Schnittstellen der Prozesse sind daher die Prozesse auf der gleichen Hierarchieebe-

ne zu modellieren. Wird beispielsweise im Rahmen des Prozesses „Auftrag abrechnen“ die Teilakti-

vität „Buchung durchführen“ realisiert und wird der aus dieser Aktivität resultierende Buchungsbeleg

in einem anderen Prozess benötigt, dann ist die Aktivität „Buchung durchführen“ als Teilprozess des

Prozesses „Auftrag abrechnen“ zu modellieren. Service Level Agreements zwischen Lieferanten-

und Kundenprozessen lassen sich bei gleichem Detaillierungsgrad der zu verknüpfenden Prozesse

leichter formulieren und vor allem auch durchsetzen. Auch können dadurch Transaktionskosten ge-

senkt werden.

Folgende Differenzierungskriterien sind bei der Prozessstrukturierung zu berücksichtigen:

4.4 Software-Tools zur Unterstützung der Prozessmodellierung

Eine Vielzahl von Software-Tools unterstützt die Modellierung, Strukturierung, Optimierung und

Handling von Geschäftsprozessen. Zur Prozessunterstützung stehen folgende Arten von Tools zur

Verfügung:

- Analysetools

- Visualisierungstools

- Modellierungstools

- Simulationstools

- Workflow-Management-Systeme

- Dokumentenmanagement-Systeme.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

22

Die Prozesstools unterscheiden sich hinsichtlich der Schnittstellen zu anderen Datenbanken und

Prorammen, Architektur und Konfigurierbarkeit, Anwenderfreundlichkeit und Support (Fischermanns

2009, S. 450).

Die Tools unterscheiden sich vor allem durch Ihre Komplexität. Relativ einfache, wie z.B. das Pro-

metheus Organisationssystem von ibo mit den Modulen Process-Manager, Process-Designer und

Process-Analyser, erleichtert den Process-Ownern die Dokumentation der Prozesserfassung, die

Prozessmodellierung sowie die Auswertung nach Zeiten, Mengen, Kosten und Mitarbeiterkapazitä-

ten. Aufwendigere Systeme wie ADONIS verlangen einen entsprechend höheren Einarbeitungsauf-

wand. Auch hier dienen als Basis der Modellierung die identifizierten Objekte (Aktivitäten und Ent-

scheidungen), die aus einer groben Ablaufskizze entnommen mittels eines Modelleditors zu einem

Geschäftsprozess verknüpft werden. Sog. Konnektoren bilden die Ablauflogik ab, mit deren Hilfe die

„Beziehungen“ zwischen den Objekten beschrieben werden (z.B. „Nachfolger“). Ebenfalls model-

lierbar ist die Arbeitsumgebung eines Geschäftsprozesses. Sie weist die beteiligten Bearbeiter und

Abteilungen, d.h. die Aufbauorganisation zu, so dass deren Inanspruchnahme durch den Geschäfts-

prozess simuliert werden kann. Auf der einmal erstellten Geschäftsprozessmodellierung bauen wei-

tere Funktionalitäten wie Qualitätsmanagement, Prozesscontrolling (Prozesskostenrechnung) sowie

Personalmanagement (Personal- und Ressourcenplanung) auf.

Ein komplexeres, umfassenderes Tool ist ARIS (Architektur integrierter Informationssysteme). Seine

Komplexität entsteht durch die verschiedenen Sichten, die auf den Geschäftsprozess gerichtet sind.

Neben der Funktionssicht, die die Tätigkeiten und die zwischen ihnen bestehenden Anordnungsbe-

ziehungen beschreibt, erfasst die Datensicht Zustände (Stammdaten) und Ereignisse (Bewegungs-

daten) des Arbeitsumfeldes. Die Organisationssicht bildet den organisatorischen Aufbau hinsichtlich

der bestehenden Kommunikations- und Weisungsbeziehungen ab. Organisationseinheiten können

auch nach prozessorientierten Kriterien modelliert werden. Die Leistungssicht enthält das Ergebnis

von Prozessen. Produkte oder Dienstleistungen (auch Informationsdienstleistungen) veranlassen die

Prozessausführung und bilden daher die Kernfunktion der Prozessbeschreibung. Die Steuerungs-

sicht schließlich verbindet die getrennt modellierten Sichten (Funktion, Daten, Organisation und Leis-

tung). Sie werden zu einem Gesamtmodell des Geschäftsprozesses ganzheitlich zusammengefügt.

Es erfasst mithin, welche Tätigkeiten (Funktionen) von welchen Aufgabenträgern unter Verwendung

welcher Daten in welcher Reihenfolge ausgeführt werden (siehe auch Scheer (1997)und (2001)).

Die Anzahl der Anbieter von Prozesstools ist kaum übersehbar (vgl. Fischermanns 2009, S. 451).

Auswahlkriterien erstrecken sich auf die Datenbank-, Modellierungs-, Analyse-, Optimierungs- und

Workflowfähigkeit des Tools.

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

23

5 Prozesscontrolling: Prozessqualität, Prozesszeit und Prozesskosten

Das Controlling der Leistung eines Geschäftsprozesses erfolgt mittels Prozesskennzahlen, die je-

weils für die Indikatoren Prozessqualität, Durchlaufzeit und Prozesskosten zu entwickeln sind. Da

die Leistung eines Geschäftsprozesses immer an den Kundenbedürfnisse zu beurteilen ist, kann es

nicht um Minimierung oder Maximierung der Performancegrößen gehen, sondern immer nur um die

Übereinstimmung mit definierten Vorgaben, der sog. „conformance to customer requirements“ (vgl.

Gaitanides u.a. 1994, S. 58).

Traditionell wird die Prozessqualität als eine Eigenschaft des Prozessoutputs, also der Produktqua-

lität, gesehen. Dieser Ansatz gilt mittlerweile als überholt, da hohe Produktqualität systematisch nur

durch die Fehleranalyse und -beseitigung über die gesamte Prozesskette hinweg stabilisiert werden

kann (Prozesssicherheit). Aus diesem Grunde ist die Qualität nicht erst nach Fertigstellung des Pro-

duktes zu kontrollieren, sondern durch entsprechende Maßnahmen im Vollzug der Geschäftsprozes-

se proaktiv zu sichern.

Ob das Prozessergebnis den definierten Vorgaben entspricht, ist davon abhängig, wie viele Fehler

oder Abweichungen im Prozess toleriert werden. Die Verbindung von Kundenanforderungen hin-

sichtlich tolerierbare Fehler und Prozessqualität wird beispielsweise durch das Verfahren Six Sigma

(Schmelzer/Sesselmann 2008, S. 391 ff.) hergestellt.

Die Bedeutung der im Prozess selbst begründeten Qualität wird insbesondere im Verfahren der

Zertifizierung nach DIN 2000 ff. hervorgehoben. Die Norm ISO 9004:2000 hat sich im Qualitäts-

management Grundsatz 4 auf die Verbesserung der Unternehmensprozesse konzentriert. Ein „er-

wünschtes Ergebnis lässt sich effizienter erreichen, wenn die Tätigkeiten und die dazugehörigen

Ressourcen als Prozess geleitet und gelenkt werden“ (Grünewald/Pagenkemper 2004, S. 38). Auch

das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) stellt Anforde-

rungen an das Management der Prozessqualität. Prozessrisiken können sich auf die Produktqualität,

Kostenziele und Termineinhaltung auswirken und sind daher auch zum Gegenstand des Risikoma-

nagements zu machen.

Neben der Prozessqualität ist die Durchlaufzeit eines Prozesses von Bedeu tung. Gemessen wird

die Zeitspanne vom Prozessbeginn bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das geforderte Prozessergebnis

für externe/interne Kunden oder für nachfolgende Prozesse ver fügbar ist. Zum Prozessbeginn müs-

sen alle benötigten Informationen, Daten oder Materialien in der de finierten Form vorliegen, die ein

reibungsloser Ablauf erfordert. Bestandteil der Messung sind Bearbeitungszeiten, Liegezeiten und

Transferzeiten, die sich zu der gesamten Durchlaufzeit eines Prozesses addieren. Erst die Kenntnis

der so ermittelten Durchlaufzeit ermöglicht beispielsweise innerhalb der Auftragsabwicklung die An-

gabe von verbindlichen Lieferterminen.

Geschäftsprozesse bieten unterschiedliche Ansatzpunkte zur Beschleunigung der Durchlaufzeit (vgl.

Abbildung 4).

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

24

Unvollkommene Reihenfolge der Prozessschritte

Kapazitätsengpässe

Hohe Liegezeiten durch Holprinzip, wechselnde Kommunikationskanäle

Unnötige Prozessschritte

Unnötige sequentielle Anordnung der Prozessschritte

C B A D

A B C D

C A D

A B C D

C B A D

A B C D

C B A D

A B C D

C B A D

A B DC

Neuordnung der Reihenfolge der Prozessschritte

Harmonisierung der Kapazitätsquerschnitte

Konzeption des Informationsflusses

Eliminierung

Parallelisierung

Ansatzpunkte der Prozessoptimierung Maßnahmen

Abb. 4: Ansatzpunkte zur Optimierung der Bearbeitungszeit

Schließlich sind die Prozesskosten zu erheben. Betrachtet wird hier der gesamte Ressour-

ceneinsatz, der zur Erbringung der Prozessleistung erforderlich ist, wie z.B. Gebäudeko sten, Ge-

halts- und Gehaltsnebenkosten, Kosten für Datenverarbeitungssysteme etc. Die Zuordnung dieser

Kosten zu Prozessen und Teilprozessen erfasst die tatsächlichen Kosten einer Transaktion wie z.B.

die Kosten eines Fakturierungsvorganges in der Auftragsabwicklung. Der Prozesskostensatz enthält

alle Prozessleistungsmengenabhängigen und -unabhängigen Kosten bei einmaliger Durchführung

eines Geschäftsprozesses.

Erst die Berücksichtigung aller drei Leistungsparameter erlaubt eine ganzheitliche Bewer tung der

Prozessleistung. Sie sind daher von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung ei nes Prozesses,

und nicht nur, weil das Bereinigen von Fehlern Kosten und Zeitbedarf verursacht, sondern weil Pro-

zesskosten und die Durchlaufzeit sich ergänzende Erfolgsfaktoren im Wettbewerb mit anderen Un-

ternehmen darstellen.

Das Leistungsniveau eines Geschäftsprozesses wird also durch dessen Ausprägungen im Hinblick

auf Zeit, Qualität und Kosten bestimmt. Restrukturierungen eines Geschäftsprozesses, die sich aus-

schließlich auf einen der drei Leistungs parameter, z.B. Durchlaufzeit, konzentrieren, werden daher

die anderen beiden, d. h. die Prozesskosten oder das Qualitätsniveau, negativ beeinflussen. Erst

durch das Zusammenführen der drei Leistungsparameter ist eine im Sinne der Kundenanforderung

effektive Prozessorganisation realisierbar. Kundenzufriedenheit ist mithin Ergebnis einer integrierten

Bewertung des Geschäftsprozesses hinsichtlich der drei Leistungsparameter. Entsprechend den

Kundenanforderungen bzw. Kundenwünschen sind diese daher als Prozessziele zu formulieren und

bei der Modellierung vorzugeben.

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

25

6 Business Process Outsourcing (BPO)

Business Process Outsourcing (BPO) beinhaltet die Vergabe der Leistungserstellung an einen ex-

ternen Dienstleistungsanbieter. Dabei können auch Finanzierungskomponenten enthalten sein. Die

Prozessleistung wird an Hand von Leistungsmerkmalen (service level agreements) definiert. Der Ge-

schäftsprozess kann seitens des Dienstleisters nach eigenen Standards strukturiert werden, so dass

dieselbe Prozessstruktur für mehrere Kundenprozesse genutzt werden kann.

Outsourcing von Geschäftsprozessen konzentriert sich auf bestimmte Prozesstypen. Klassische

Outsourcing-Prozesse finden sich im Personalmanagement, Finanz- und Rechnungswesen sowie in

der Materialwirtschaft und Logistik. Darüber hinaus gibt es spezielle Teilprozesse, die sich besonders

für das Outsourcing eignen, wie Reisekostenmanagement und Spesenabrechnung, Kreditkartenab-

rechnung etc. (vgl. Dittrich/Braun 2004, S. 67ff.).

Im Bereich des Personalwesens ist vor allem die Lohn- und Gehaltsabrechnung für das Outsourcing

geeignet. Unternehmen, die sich durch einen hohen Grad an individueller Vertragsgestaltung aus-

zeichnen, die über komplexe Zeiterfassungssysteme verfügen oder sich ein differenziertes Provisi-

onssystem leisten, erschweren das Outsourcing dieser Prozesse. BPO verlangt bereits im Vorwege

ein hohes Maß an Standardisierung der Prozesse. Grundsätzlich gilt, dass die Outsourcingeignung

mit zunehmender Spezifität der Prozesse abnimmt.

Im Bereich des Finanz- und Rechnungswesens eignen sich besonders die Debitorenbuchhaltung

(„Order-To-Cash-Prozess“) und die Kreditorenbuchhaltung („Procedure-To-Pay-Prozess“) für das

BPO. Der Order-To-Cash-Prozess umfasst Teile des kaufmännischen bzw. buchhalterischen Auf-

tragsabwicklungsprozesses. Im Einzelnen handelt es sich um die Teilprozesse Bestelleingang, Ver-

sand, Bestandsführung, Fakturierung bis hin zur Kontrolle des Zahlungseingangs (vgl. Wullenkord/

Kiefer/Sure 2005, S. 83). Da hierbei einzelne datenverarbeitungsfähige, finanzwirtschaftliche Trans-

aktionen herausgelöst werden, wird der Geschäftsprozess Vertriebslogistik durch das Outsourcing

unterbrochen und Schnittstellen geschaffen, auch wenn die an einer Transaktion beteiligten Unter-

nehmen online auf den gleichen Datenbestand zugreifen können.

Die Eignung eines Geschäftsprozesses für Outsourcing-Maßnahmen lässt sich wie folgt beurteilen

(vgl. Wullenkord/Kiefer/Sure 2005, S. 92):

Hohe Standardisierbarkeit

- Prozess ist nahezu identisch bei allen Unternehmen unabhängig von Branche und Größe

- Breiter Anwendungsbereich

- Etabliertes Erfahrungswissen über das Handling des Teilprozesses

Eine hohe Standardisierbarkeit ist Voraussetzung dafür, Prozesse zu bündeln und sie einem externen

Dienstleister übertragen zu können. Zeichnen sich Prozesse durch unternehmensspezifische Beson-

derheiten aus, dann besteht die Gefahr, dass die Kosten des Schnittstellenmanagements die günsti-

gere Kostenstruktur des BPO-Dienstleisters überkompensieren.

BPO setzt eine Prozessstandardisierung voraus, die nicht unternehmensspezifischen, sondern den

Normen des BPO-Dienstleisters oder anderen allgemeinen Normen (wie z.B. DIN-Normen) folgt.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

26

Geschäftsprozesse unterschiedlicher Unternehmen ähneln sich allerdings durch den Einsatz be-

trieblicher Standardsoftware wie SAP R/3 oder Navison, so dass schon dadurch ein Standardisie-

rungseffekt eintritt. Unternehmensspezifische Standards betreffen den Prozessinput, die Modellie-

rung von Prozessstrukturen und -abläufen sowie die Prozessleistung bzw. die Service Levels, die

hinsichtlich Kosten-, Zeit und Qualitätskriterien vereinbart sind. Im Falle des BPO sind diese bzw. die

einzelnen Teilprozesse eines Geschäftsprozesses so zu standardisieren, dass alle auslagerungswilli-

gen Unternehmen, die Kunden des BPO-Dienstleisters sind, identische Formate besitzen.

Skaleneffekte

Das am meisten vorgetragene Argument für BPO beruft sich auf die Economies of Scale. BPO ver-

hilft dem Dienstleister zu höheren Prozessmengen, die ihn in die Lage versetzen, Transaktionen zu

niedrigeren Stückkosten durchzuführen und seinem Kunden preisgünstiger anzubieten, als dessen

Prozesskosten bei „Eigenfertigung“ betragen. Die Skaleneffekte gehen zum einen auf die Bündelung

der Aufträge zurück, was dem Dienstleister zu einer höheren kumulierten Ausbringungsmenge ver-

hilft und dadurch in die Lage versetzt, Fixkostendegression, Lern- und Erfahrungseffekte auszunut-

zen. Zum anderen hat er die Möglichkeit, spezialisierte Ressourcen mit günstigeren Kostenstruktu-

ren auszulasten. Dies betrifft insbesondere Branchen-, Prozess- und Technologiespezialisten. Hinzu

kommt, dass die höher aggregierten Volumina beim Dienstleister zu einer größeren Einkaufsmacht

führen, falls das Outsourcing mit Materialbeschaffung oder Investitionen verbunden ist. Gegebe-

nenfalls können Rahmenverträge abgeschlossen werden, die das working capital auch des Kunden

reduzieren helfen.

Spezialisierungseffekte

Spezialisierungseffekte knüpfen unmittelbar an den Skalenerträgen an. Die Supportprozesse ei-

nes Kunden sind in der Regel Kernprozesse des BPO-Dienstleisters. Seine Kernkompetenz liegt in

der Prozess- und Branchenerfahrung, über die das Kundenunternehmen nicht verfügen kann. Sein

Wettbewerbsvorteil liegt in der Fähigkeit, Anbieter von „best practices“ bei der Durchführung der

betreffenden Prozesse zu sein. Dazu benötigt er spezialisiertes Wissen, innovative Verfahren und

Technologien, die ihn als Dienstleister wettbewerbsfähig machen. Dieser Marktdruck des Dienstleis-

tungsanbieters, kontinuierliche Prozessverbesserungen zu realisieren, unterscheidet ihn wesentlich

von seinen Kunden, die solchen Wettbewerbsbedingungen in ihren Supportbereichen nicht ausge-

setzt sind. Der BPO-Dienstleister kann folgende Spezialisierungsvorteile anbieten (Dittrich/Braun

2004, S. 36):

- die Verfügbarkeit von Branchen-, Prozess- und Technologiespezialisten,

- ein auf die Dienstleitungserstellung fokussiertes Prozessmanagement, das hinsichtlich des betref-

fenden Prozesstyps „best practice“-Ambitionen verfolgt,

- ein Anreizsystem, das Mitarbeiter in einem innerbetrieblichen Wettbewerbsumfeld zu hoher Pro-

zessqualität anhält und ein Prozesscontrollingsystem, das die Wettbewerbsfähigkeit des BPO-

Dienstleisters laufend überwacht.

Geschäftsprozess und Prozessmanagement

27

Produktivitätsvorteile im Leistungsvollzug durch Outsourcing setzten bereits Spezialisierung und

Standardisierung auch bei den Kundenprozessen voraus, da ansonsten weder die Mengen- noch die

Spezialisierungsynergien beim BPO-Dienstleister gehoben werden können.

Scopeeffekte

Das BPO von Teilprozessen hat u. U. zusätzliche Schnittstellen zur Folge. Beispielsweise löst die

Ausgliederung des „Procedure-To-Pay-Prozesses“ diesen von anderen Teilprozessen des Beschaf-

fungs- bzw. Lieferantenmanagements. Das BPO muss daher Verbundeffekte berücksichtigen, wenn

es nicht zusätzliche Schnittstellen hervorrufen will. Die Einzelprozesse sind in einem homogenen

IT-System zu betreiben und Medienbrüche zu vermeiden. Ein wirtschaftliches Prozessmanagement

muss dem BPO-Dienstleister die Möglichkeit einräumen, den Gesamtprozess zu kontrollieren. Je

größer sein Einflussbereich, desto größer sind die positiven Verbundeffekte (Dittrich/Braun 2004,

S. 34). BPO sollte keine zusätzlichen Schnittstellen in einem Geschäftsprozess hervorrufen. Andern-

falls ist weder die Leistung des Dienstleisters noch die Effizienz des externalisierten Geschäftspro-

zesses überprüfbar.

Zu beachten ist allerdings, dass mit zunehmendem Prozessumfang (Scope) das Nutzungspotenti-

al von Skaleneffekten abnimmt. Die Geschäftsprozesse sind unternehmensspezifischer und diffe-

renzierter als einzelne ihrer Teilprozesse. Gegenläufige Kostenentwicklungen zwischen Scale- und

Scopeeffekten sind daher nicht auszuschließen.

Flexibilisierungsvorteile

Eines der wesentlichen Motive des BPO ist die Variabilisierung fixer Gemeinkosten. Durch Out-

sourcing fixer Prozesskosten sollen die noch im Unternehmen verbleibenden bzw. zu verrechneten

Prozesskosten mit der Prozessmenge variieren. Dadurch kann letzthin der Break-Even des Unter-

nehmens herabgesetzt werden. Allerdings gelingt es nur bedingt, Prozesskosten gleichsam wie

Materialkosten proportional zur Produktmenge zu kalkulieren. In der Praxis werden nicht transakti-

onsbasierte Preismodelle verhandelt, sondern Transaktionsvolumen festgelegt, für die eine entspre-

chende Gebührenstruktur festgelegt wird. So werden prozessmengenbezogene Abnahmevolumen

garantiert, die bezahlt werden müssen, auch wenn die Untergrenze der vertraglichen Leistungsab-

nahme unterschritten wird. Damit kann der Vorteil der Kostenvariabilität wesentlich eingeschränkt

sein (Dittrich/Braun 2004, S. 48f).

Zur Flexibilisierung trägt auch die Vermeidung von Kapitalbindung in nicht wettbewerbskritischen

Supportprozessen bei. Durch Outsourcing können prozessspezifische Investitionen in Hardware,

Software und vor allem in die Personalentwicklung zurückgeführt und damit das entsprechende be-

triebsnotwendige Kapital reduziert werden. Insbesondere wenn Ersatz- und Erweiterungsinvestitio-

nen anstehen, bietet sich die Alternative Outsourcing an.

Hoch spezifische Geschäftsprozesse und solche von hoher strategischer Bedeutung, also typische

Kernprozesse, eignen sich kaum für BPO, während die Leistung von Supportprozessen in aller Regel

auch über die Beschaffungsmärkte beziehbar ist. Eine hohe Standardisierbarkeit ist Voraussetzung

dafür, Prozesse bündeln und sie einem externen Dienstleister übertragen zu können. Zeichnen sich

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

28

Prozesse durch unternehmensspezifische Besonderheiten aus, dann besteht die Gefahr, dass die

Kosten des Schnittstellenmanagements die günstigere Kostenstruktur des BPO-Dienstleisters über-

kompensieren (Wullenkord/Kiefer/Sure 2005, S. 36f).

Outsourcing einzelner Geschäftsprozesse führt mitunter dazu, dass das gesamte Unternehmen ei-

ner Restrukturierung unterzogen werden muss. Mitunter eröffnet es nicht nur Spielräume, sondern

zwingt das Unternehmen, sein Geschäftsmodell grundlegend zu überarbeiten und neue Domänen

aufzubauen. Beispielsweise hatte das Outsourcing des gesamten Fertigungsprozesses bei Unter-

nehmen wie Adidas, Benetton, Nike, Levis oder Cisco eine Neuorientierung aller Unternehmens-

aktivitäten in den Entwicklungs-, Vertriebs- und Marketingprozessen zur Folge. Die Fähigkeit zur

Integration der Geschäftsprozesse mit den Outsourcing-Partnern wird zu einer wesentlichen Kern-

kompetenz.

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Autor

Gaitanides, Michael; Prof. Dr.; Inhaber des Lehrstuhls; Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisationstheorie; Helmut Schmidt Universität; Holstenhofweg 85; 22043 Hamburg

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

3030

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen AusbildungAugust-Wilhelm Scheer, Michael Hoffmann

1 Festlegung von Inhalten für die kaufmännische Ausbildung

1.1 Veränderungen in der Gesellschaft führen zur Anpassung von Lehrplänen

Seit der Entdeckung einer planvollen Ausbildung, beispielsweise zur Erreichung eines Schulab-

schlusses oder zur Erreichung einer handwerklichen Qualifikation wie Geselle oder Meister, beschäf-

tigt sich die Pädagogik mit der Erstellung von Lehrplänen. Im Fokus steht sowohl die Methodik zur

Beschreibung von Lehrinhalten als auch die Definition der Lehrinhalte selbst.

Wilhelm Busch, als Vertreter der eher populären Literatur, beschreibt Lehrinhalte der Volksschule fol-

gendermaßen (Busch 1917, 4. Streich):

Also lautet ein Beschluss,

dass der Mensch was lernen muss. -

Nicht allein das ABC

bringt den Menschen in die Höh‘.

Nicht allein in Schreiben, Lesen

übt sich ein vernünftig Wesen.

Nicht allein in Rechnungssachen

soll der Mensch sich Mühe machen,

sondern auch der Weisheit Lehren

muss man mit Vergnügen hören.

Erich Weniger, ein anerkannter Vertreter der Curriculumforschung, bezeichnet den Inhalt eines Lehr-

plans als geistigen Besitz einer Gesellschaft (Weniger 1964). Eine Gesellschaft unterliegt im Laufe der

Zeit jedoch Veränderungen. Diese Veränderungen sollten auch Anpassungen in den Lehrplänen zur

Folge haben. Josef Dolch beschreibt in seinem Werk „Der Lehrplan des Abendlandes“ die Geschich-

te des Lehrplans über zweieinhalb Jahrtausende hinweg und zeigt Veränderungen auf (Dolch 1982).

Bezogen auf die heutige Zeit lässt sich feststellen, dass die Durchdringung im wirtschaftlichen und

privaten Bereich mit Informationstechnologie (IT) über die Jahre hinweg mehr und mehr zugenom-

men hat.

Studien besagen, dass Unternehmen mit einem hohen Durchdringungsgrad bereits nach einem IT

Ausfall von mehr als 30 Minuten bedeutende wirtschaftliche Schäden erleiden, die im Extremfall bis

hin zum Verlust des Unternehmens führen (Patterson 2002).

31

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

31

1.2 Wirtschaftsinformatik als Mittler zwischen Betriebswirtschaftslehre und IT

Zwischen der Betriebswirtschaftslehre, als Synonym für den kaufmännischen Bereich, und der IT be-

steht eine wechselseitige Beziehung. Zum einen sollte die IT dahingehend untersucht werden, in wie

weit neue technische Verfahren neue betriebswirtschaftliche Anwendungsszenarien ermöglichen.

Zum anderen stellt die Betriebswirtschaftslehre neue Anforderungen an die IT, die zur Entwicklung

neuer IT-Konzepte führen (Scheer 1994). Beide Beeinflussungsrichtungen sind Betrachtungsgegen-

stand der Wirtschaftsinformatik.

Die Wirtschaftsinformatik als Disziplin, die Erkenntnis, dass viele Betriebe ohne konsequenten Ein-

satz von IT und betriebswirtschaftlichen Anwendungskonzepten nicht überlebensfähig bleiben sowie

die Forderung, dass Lehrinhalte an die Bedürfnisse der Gesellschaft angepasst werden sollten, be-

gründen die Aufnahme entsprechender Inhalte in den kaufmännischen Unterricht.

Kapitel 2 stellt nachfolgend die Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) als Rahmen-

konzept zur Definition von Geschäftsprozessen und der vollständigen Beschreibung von Informa-

tionssystemen dar. Kapitel 3 beschreibt die systemtechnische Umsetzung des ARIS Konzeptes in

dem gleichnamigen Produkt der IDS Scheer AG. Kapitel 4 zeigt beispielhaft ein Vorgehen für den

praktischen Einsatz von ARIS in Kombination mit Produkten der SAP AG auf. Kapitel 5 erläutert die

Integration von ARIS in die Lehre verschiedener Schulformen und gibt einen Ausblick in die Zukunft.

2 Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS)

Ende der achtziger Jahre existierte kein insgesamt zufriedenstellendes Konzept bezüglich Methoden

zur Beschreibung organisatorischer Abläufe. Das ARIS- Konzept, insbesondere das grafische ARIS-

Haus-Modell, sollte sowohl der Forderung nach Einfachheit für den Benutzer als auch der methodi-

schen Stringenz hinsichtlich der Übertragung der Prozessinhalte in die informationstechnischen Un-

terstützungssysteme gerecht werden.

Dies drückt sich zum einen in dem Konzept der Sichtenzerlegung und zum anderen in einem

Lifecycle-Konzept, das den Weg von der Unternehmensstrategie zur informationstechnischen Imple-

mentierung beschreibt, aus. Das 1991 in der ersten Auflage veröffentliche ARIS-Buch hat sich inter-

national durchgesetzt (Scheer 1998).

2.1 Die ARIS Sichten

Ein Geschäftsprozess stellt die Definition von Aufgaben oder auch Funktionen und ihrer Abfolge dar,

die zur Erreichung eines Unternehmensziels notwendig sind.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

3232

Neben der Aneinanderreihung und gegebenenfalls mit booleschen Operatoren verknüpfte Verzwei-

gungen von Funktionen sind zur vollständigen Beschreibung von Geschäftsprozessen bzw. deren

Umsetzung in Informationstechnologie weitere Inhalte erforderlich:

• Organisationseinheiten,

• Menschliche Arbeitsleistung,

• Maschinenressourcen,

• Computer-Hardware Ressourcen,

• Ereignisse,

• Umfelddaten,

• Ziele,

• Anwendungssoftware und

• Leistungen.

Diese Inhalte werden gemäß dem ARIS-Haus (Vgl. Abb. 1) zwecks Reduktion der Komplexität zer-

legt in die

• Funktionssicht,

• Organisationssicht,

• Datensicht,

• Leistungssicht und

• Steuerungssicht (Prozesssicht).

Organisation

Daten FunktionenProzesse

Produkte/Leistungen

Businessmanage-

ment

ProductionSales

Sales Employee

ProductionPlanner

Sales Data

Order Data

Customer Data

Order Data

Customer Order

Entered

Order Confirmation

Created

Order Confirmation

Customer Order

Confirmation

Sales Employee

Order Confir-mation

Sales Processing

Order Follow-up

Customer Placement of

Order

Sales Activities

Customer Order

Confirmation

Customer Order

Abb. 1: ARIS-Sichten

33

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

33

Die Funktionssicht beschreibt dabei die Vorgänge (Funktionen, Tätigkeiten), die Input-Leistungen zu

Output-Leistungen transformieren. Da Funktionen Ziele unterstützen und durch sie gesteuert wer-

den, werden Ziele ebenfalls der Funktionssicht zugeordnet. Dies gilt auch für computergestützte Be-

arbeitungsrege in einer Funktion.

In der Organisationssicht werden die Organisationseinheiten der Aufbauorganisation eines Unter-

nehmens als Träger von Aufgaben zusammengefasst. Sie beinhaltet ebenfalls die menschliche Ar-

beitsleistung, die maschinelle Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Computer-Hardware.

Die Datensicht beschreibt die Umfelddaten der Vorgangsbearbeitung bzw. die Nachrichten, die von

Funktionen erzeugt werden und andere Funktionen auslösen.

Die Leistungssicht enthält alle materiellen und immateriellen Input- und Output-Leistungen ein-

schließlich der Wertflüsse.

Die Steuerungs- oder Prozesssicht beinhaltet die durch die Sichtenzerlegung verloren gegangenen

Beziehungen zwischen den Elementen der Einzelsichten und eine vollständige Prozessbeschrei-

bung. Während Funktions-, Organisations-, Daten- und Leistungssicht die statische oder strukturelle

Sicht eines Informationssystems beschreiben, wird in der Prozesssicht durch die Ereignissteuerung

das dynamische Verhalten dokumentiert.

2.2 Das ARIS Phasenmodell

Bis hierhin wurden die Geschäftsprozesse mehr betriebswirtschaftlich, ohne engeren Bezug zur

Informationstechnik betrachtet. Daher wird ein Phasenmodell (Vgl. Abb. 2) eingeführt, das unter-

schiedliche Beschreibungsstufen zur Umsetzung betriebswirtschaftlicher Probleme in Computersys-

teme charakterisiert. Die erste Phase beschreibt die DV-orientierten strategischen Anwendungskon-

zepte. Die strategische Unternehmensplanung bestimmt die langfristigen Unternehmensziele und

wirkt somit auf die Gestaltung der Geschäftsprozesse, deren Ziele, die Allokation von Ressourcen

und die kritischen Erfolgsfaktoren ein. In der zweiten Phase (Fachkonzept oder Requirements Defi-

nition) werden die unterschiedlichen Sichten eines Informationssystems mit stärker formalisierten

Beschreibungssprachen dokumentiert, die als Ausgangspunkt für eine konsistente DV-technische

Umsetzung dienen können. So kann zur Beschreibung der Datensicht beispielsweise das Entity Re-

lationship Modell (ERM) (Chen 1976) oder auch die Klassendarstellung der UML (Unified Modeling

Language) (Oestereich 1997) herangezogen werden. Die dritte Phase wird als DV-Konzept (Design

Specification) bezeichnet. In dieser Phase werden die Modelle des Fachkonzeptes durch Anforde-

rungen der Schnittstellen von Implementierungswerkzeugen angepasst. So ließe sich beispielsweise

das auf der Datensicht definierte ERM in ein Relationenmodell (Codd 1970, S. 377 ff.) überführen.

Im Rahmen der vierten Phase, der technischen Implementierung (Implementation Description) wer-

den die Anforderungen schließlich in einer konkreten Hard- und Softwareumgebung implementiert.

Das im DV-Konzept beschriebene Relationenmodell kann beispielsweise mit Hilfe der Datenbank-

programmiersprache SQL in einem Datenbankmanagementsystem implementiert werden. Mit der

technischen Implementierung ist in der Systementwicklung die Build Time abgeschlossen. Mit der

Produktivsetzung geht das System in die Phase Betrieb und Wartung über.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

3434

Unter Anwendung des Phasenmodells auf jede einzelne Sicht des ARIS-Hauses ergibt sich ein Ord-

nungsrahmen, in den sich sowohl strukturierte als auch objektorientierte Modellierungsmethoden

einordnen lassen.

Abb. 2: Einführung des ARIS-Phasenmodells

3 Die ARIS „Platform“

Im Rahmen von Forschungsarbeiten am Institut für Wirtschaftsinformatik (IWi) an der Universität des

Saarlandes entstanden Prototypen zur IT-Unterstützung der Beschreibung und Optimierung von Ge-

schäftsprozessen nach dem ARIS-Modell. Auf Basis dieser Prototypen wurde 1991 die Entscheidung

getroffen, bei der IDS Scheer AG ein Softwareprodukt zur Modellierung von Geschäftsprozessen zu

entwickeln. Einige Mitarbeiter wechselten vom Institut für Wirtschaftsinformatik zur IDS Scheer AG

und es gelang innerhalb von kurzer Zeit auf Basis der gesammelten Erfahrungen ein komplett neues

Softwaresystem zu entwickeln, das bis heute viele Erweiterungen zur ARIS „Platform“ erfahren hat.

Die Analysten von Gartner positionieren die IDS Scheer AG mit ARIS seit 1997 rechts oben im ma-

gischen Quadranten für Geschäftsprozessanalyse. Ebenso sieht Forrester das Produkt in führender

Position. Das Produkt wird weltweit von über 7.500 Kunden eingesetzt.

ARIS startete als reines Modellierungswerkzeug, war aber von Anfang an durch das Lifecycle-Kon-

zept des ARIS-Hauses konzeptionell darauf vorbereitet, die Prozessmodelle mit der Implementie-

rungsebene zu verbinden. Durch die bereits bestehende Zusammenarbeit mit der SAP AG wurde

35

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

35

dann die Verbindung der Modellierung mit den Customizing-Funktionen des SAP R/3-Systems erar-

beitet (Keller, Teufel 1998).

Diese Verbindung ist zu einem erfolgreichen Konzept herangewachsen und findet seine enge Kopp-

lung zwischen ARIS und dem Enterprise Service Repository (ESR) sowie dem Solution Manager der

SAP AG.

Heute deckt die ARIS Plattform ein weites Anwendungsspektrum (Vgl. Abb. 3) ab.

Abb. 3: Produkte der ARIS Plattform

4 ARIS Value Engineering for SAP

Der ARIS Value Engineering Ansatz ist ein ganzheitlich modellbasierter Ansatz für SAP Implemen-

tierungsprojekte. Er unterstützt alle Phasen des Geschäftsprozessmanagements, die mit Strategie,

Design (Fachkonzept und DV-Konzept), Implementierung und Controlling einen Kreislauf im Sinne

der kontinuierlichen Prozessverbesserung bilden. Innerhalb der Phasen sind standardisierte Pakete

definiert, deren Bearbeitung durch die Produkte ARIS, SAP Solution Manager und der Schnittstelle

zwischen beiden unterstützt werden (Vgl. Abb. 4). Eine zentrale und konsistente Ablage der Informa-

tionen wird gewährleistet. Diese Informationen stehen somit nicht nur während der Erstimplementie-

rung zur Verfügung, sondern dienen danach als wertvolle Benutzerdokumentation, bilden die Basis

für nachträgliche Änderungen oder belegen Vorgehensweisen in Bezug auf die Einhaltung von ge-

setzlichen Regelungen gegenüber Wirtschaftsprüfern. Vor der Produktivsetzung des Systems bilden

sie die Grundlage für das Testmanagement.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

3636

SAP Implementierung – Roadmap

Strategie Design Implementierung Controlling Abbildung

detaillierter Ist-Geschäfts-prozesse

Überwachung und Analyse der Prozess-Performancce

Implementierung der System Infrastruktur

Identifikation der Unternehmens-umwelt

Analyse des KSF zur Herleitung der strat. Ziele

Erfassen der Unternehmens-Landkarte

Festlegung der End-to-End Szenarien

Definition des Projektumfangs und des -plans

Entwicklung des Soll-Konzepts & der Soll-Prozesse (System neutral)

Auswahl der SAP Komponenten

Design der Soll-Prozesse (SAP basierend)

Aufbau eines initialen Prototyps (Umsetzbarkeit)

Durchführung der Prozess-konfiguration

Implementierung der Prozess-integration

Durchführung von Tests und Validierung

Durchführung der Anwender-trainings

Überwachung der System-Performance

Überwachung und Analyse der Org.-Performance

Überwachung von Regularien

Identifikation und Management von Verbesserungen

Entwurf des Business Blueprints

Go-live Management

Abb. 4: ARIS Value Engineering for SAP

4.1 Strategie-Phase

Vor Beginn einer Softwareeinführung muss definiert werden, welche Ziele aus Sicht der Geschäfts-,

Prozess- und IT-Strategie damit erreicht werden sollen. Neben der Positionierung des Unternehmens

sollte klar sein, welchen Wert welche Prozesse für das Unternehmen haben. Nur so können beispiels-

weise Alleinstellungsmerkmale gegenüber Mitbewerbern konsequent herausgearbeitet werden. Es

erfolgt ebenfalls eine qualitative und quantitative Bewertung der jeweiligen Prozesse.

Basierend auf den definierten Anforderungen können nun die Soll-Prozesse neu gestaltet werden.

Dies geschieht zunächst unabhängig einer zu implementierenden SAP-Lösung, um den Fokus auf die

strategische Lösung zu erhalten. Einen ersten Überblick über die unterstützten Szenarien geben die

SAP Solution Maps, die über den Solution Composer zur Verfügung gestellt werden.

Ergebnisse der Strategiephase sind beispielsweise eine Geschäftsfeldmatrix, eine Prozesslandkarte,

Kennzahlensysteme für die Performance und die Zielerreichung oder auch ein durchkalkulierter Busi-

ness Case, der die finanziellen Aspekte repräsentiert.

37

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

37

4.2 Design-Phase

In der Design-Phase wird den in der Strategie-Phase festgelegten Anforderungen durch konkrete

Prozessmodelle Rechnung getragen. Hierbei kann auf SAP Referenzprozesse, die über die Schnitt-

stelle zum Solution Manager in ARIS gezogen werden, oder auch auf Branchenreferenzmodelle zu-

rückgegriffen werden. Im Sinne eines Best Practice Ansatzes muss „das Rad nicht jedes Mal neu

erfunden werden“.

Eine Synchronisation der Inhalte zwischen ARIS und dem Solution Manager findet auf unterschiedli-

chen Hierarchiestufen statt (vgl. Abb. 5).

Abb. 5: Synchronisationsebenen ARIS und SAP Solution Manager

Die von der SAP AG ausgelieferten Referenzprozesse sind dreistufig aufgebaut. Es wird unterschie-

den in Szenarien, Prozessen und Prozessschritten. Diese wurden sowohl aus Branchen-, Produkt-

und Komponentensicht zusammengestellt. Des Weiteren sind Stammdatenelemente als auch Sys-

temorganisationsstrukturen dokumentiert. Da die bereitgestellten Szenarien nicht immer den ge-

wünschten Abläufen im jeweiligen Unternehmen entsprechen oder der Projektfokus nicht in vollem

Umfang abgedeckt wird, können Unternehmen in ARIS eigene Szenarien zusammenstellen und neue

Objekte modellieren. Die Konformität und Datenkonsistenz wird dabei in ARIS durch Softwareassis-

tenten unterstützt. Nach einer Überführung der Inhalte in den SAP Solution Manager können zu den

Strukturelementen verfügbare Transaktionen ergänzt werden. Eine Resynchronisation mit ARIS ist

jederzeit möglich. Nach Ende der Design-Phase liegt der Blueprint vor. Dieser dient als Basis für die

Implementierung.

ARIS Solution Manager

Enterprise Map

ProcessArea

Main Process

Process

Activity

TA

Business ProcessHierarchy

SAP ProcessHierarchy

Scenario

Process

ProcessStep

TA

Scenario

Process

ProcessStep

TA

Synchron

ization

Level 0

Level 1

Level 2

Level 3

Level 4

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

3838

4.3 Implementierungs-Phase

In der Implementierungsphase hat der SAP-Solution Manager die führende Rolle. Um jedoch bei-

spielsweise die Konfiguration von einzelnen Prozessen vornehmen zu können, besteht die Möglich-

keit, direkt aus ARIS heraus von einem Strukturelement in die Konfigurationssicht des Solution Ma-

nagers hinein zu springen. Auf Basis der in ARIS definierten Szenarien können im Solution Manager

auch die Testszenarien angelegt werden. Des Weiteren werden sowohl die rollengerechte Schulung

von den späteren Systembenutzern als auch die Dokumentation des Systems aus ARIS heraus un-

terstützt.

Die eigentliche Anpassung des Systems erfolgt auf Basis der Funktionalitäten des Solution Mana-

gers in Bezug auf Projektmanagement und Customizing.

4.4 Controlling-Phase

Im Rahmen der Controlling-Phase werden die organisatorische Performanz, die Geschäftsperfor-

manz und die Systemperformanz beobachtet und anhand der in der Strategie-Phase festgelegten

Kennzahlen bewertet. Gleiches gilt für die Service Level Agreements, die vertraglich zugesicherten

Kenngrößen für den Systembetrieb (Verfügbarkeit, Antwortzeitverhalten etc.). Hierzu können andere

Produkte der ARIS-Plattform wie der ARIS Process Performance Manager oder auch der ARIS Risk

and Compliance Manager eingesetzt werden.

Die Ergebnisse der Controlling-Phase bilden den Input für weitere strategische Betrachtungen im

Rahmen einer kontinuierlichen Prozessverbesserung. Der Kreislauf des Geschäftsprozessmanage-

ments (Business Process Managements) wurde geschlossen. Im Rahmen des Change Request Ma-

nagements können neue oder geänderte Anforderungen auf die beschriebene Art und Weise umge-

setzt werden.

5 ARIS @ School und ARIS Hochschulprogramm

Die Analyse, Bewertung und Optimierung innerbetrieblicher Abläufe sollte heute ein wesentlicher

Bestandteil des Unterrichts bei der Ausbildung von IT- und kaufmännischen Berufen sein. Das Pro-

zesswissen betrifft nahezu jeden Arbeitsplatz. Somit ist es ein Thema für berufsbildende Schulen

(Jost 2005).

Die Geschäftsprozessmodellierung, -analyse und -optimierung hat bereits teilweise Eingang in die

Lehrpläne gefunden (Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft 2007), ist jedoch noch nicht

flächendeckend eingeführt.

Diese mitunter noch sehr abstrakte Unterrichtsthematik konnte bisher meist nur losgelöst von der be-

trieblichen Praxis, ohne konkrete Modellunternehmungen und -prozesse dargestellt werden.

Als Hilfsmittel für den Unterricht standen meist nur Tafel und Kreide, bestenfalls einfachste compu-

tergestützte Zeichenprogramme zur Verfügung.

39

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

39

Dieses birgt im Vergleich zu einer realitätsnahen Erarbeitung der Geschäftsprozesse mit Werkzeugen

aus der Praxis deutliche Nachteile hinsichtlich Transferleistung und kognitiver Verankerung bei den

Auszubildenden. Gerade im Bereich der Geschäftsprozessoptimierung hängt der Erfolg eines Pro-

jektes häufig wesentlich vom Computereinsatz und den Werkzeugen ab (Seidlmeier 2002).

Im Jahr 2001 startete die IDS Scheer mit dem Projekt „Aris@school“ eine Initiative, welche die stär-

kere Kooperation von Schule, Wissenschaft und Wirtschaft zum Ziel hat. Hierbei werden berufsbil-

dende Schulen mit einem kostenlosen Software-Paket ausgerüstet.

Mit der Software ARIS, erweiterten Schulungsunterlagen (Beispieldatenbanken, Musteraufgaben)

und einer Schulung der Lehrkräfte kann der Unterrichtsblock Geschäftsprozessmodellierung praxis-

nah gestaltet werden. Die Internetpräsenz http://www.aris-at-school.de wurde zur Bereitstellung von

Informationen und zum Wissensaustausch aufgebaut.

Mit mehreren Bundesländern (Niedersachsen, Saarland, Bremen, Berlin und Schleswig Holstein)

wurden bereits Rahmenverträge geschlossen und der Einsatz von ARIS in berufsbildenden Schulen

und die Fortbildung der Lehrkräfte ermöglicht. Die Rahmenverträge wurden durch Verhandlungen

mit den Kultusministerien, der IHK und weiteren Bildungsträgern (Verein n-21 in Niedersachsen) er-

möglicht. Auch aus vielen anderen Bundesländern nehmen schon Schulen an dem Projekt teil.

Die Rahmenverträge (individuell für jedes Bundesland) sehen (auszugsweise zur Orientierung) fol-

gendes vor:

Die IDS Scheer stellt dem Kultusministerium (oder Verein n-21 in Niedersachsen) kostenlos die Soft-

ware „ARIS 7.x“ für berufsbildende Schulen und Studienseminare für das Lehramt an berufsbilden-

den Schulen zur Verfügung. Dieses ARIS StartUp-Paket dient ausschließlich dem Zwecke der For-

schung und Lehre und darf nur an berufsbildende Schulen und Studienseminare für das Lehramt an

berufsbildenden Schulen verteilt werden. IDS Scheer gibt dem Kultusministerium die Berechtigung,

nach eigener Wahl 100 Schullizenzen an berufsbildende Schulen und Studienseminare für das Lehr-

amt an berufsbildenden Schulen zu verteilen. ARIS StartUp-Pakete bestehen aus:

1 ARIS 7.x Server für 61 Clients

1 ARIS 7.x Business Architect

60 ARIS 7.x Business Designer

60 ARIS 7.x UML Designer

Ob die Schulungen dezentral in den einzelnen Schulen oder zentral für alle Schulen organisiert wer-

den, hängt auch von den Rahmenverträgen ab. So finanzierte im Saarland das Kultusministerium die

Schulungen. Diese Schulungen wurden von der IDS Scheer und dem LPM (zuständig für die Lehrer-

ausbildung) zentral durchgeführt. In Niedersachsen wurden die Schulungen von einem Partner der

IDS Scheer AG durchgeführt, der in einem Pilotprojekt zusammen mit der teilnehmenden Schule BBS

Haarentor Schulungsunterlagen entwickelt hat. Hierbei handelt es sich nicht nur um Beispieldaten-

banken und Szenarien, sondern auch um explizite und didaktisch aufbereitete Publikationen. In Zu-

sammenarbeit mit der IDS Scheer AG entstand der „Workshop Geschäftsprozesse“. Dieses achtzig

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

4040

Seiten umfassende Arbeitsheft wurde speziell für den Einsatz in berufsbildenden Schulen und Gym-

nasien entwickelt. (Harms 2007). Auch aus dem Hochschulumfeld ist eine große Menge von Sekun-

därliteratur entstanden, die zum Unterrichtseinsatz geeignet ist. Beispielsweise beschreibt Seidlmei-

er (Seidlmeier 2002) Szenarien im Logistikumfeld.

Unter der Internet URL http://www.schulprozesse.de besteht die Möglichkeit, Unterrichtsmaterial

und Schulungsunterlagen zu bestellen.

Derzeit wird ARIS deutschlandweit an über 150 berufsbildenden Schulen eingesetzt. Die Initiative

ARIS@school wird fortgeführt. Weitere Rahmenvereinbarungen mit Bundesländern werden verhan-

delt, um kommenden Generation mit dem aktuellsten Wissen zum Geschäftsprozessmanagement

mit ARIS auszubilden.

Um Geschäftsprozessmanagement und ARIS auch in der globalen Hochschullandschaft zu etablie-

ren, hat die IDS Scheer AG ein eigenes Programm aufgesetzt. So wird ARIS weltweit bereits von mehr

als 200 Bildungs- und Forschungseinrichtungen in der Lehre eingesetzt.

Das „ARIS Education Program“ eröffnet führenden Universitäten und Hochschulen einen schnel-

len und einfach umsetzbaren Weg, die Methode und die Software ARIS für Ausbildungs- und For-

schungszwecke einzusetzen. Das Angebot steht vor allem Lehrstühlen und Fakultäten der Wirt-

schaftswissenschaften, Informatik sowie Wirtschaftsinformatik an Universitäten, polytechnischen

und Wirtschaftshochschulen offen und hat nachfolgend aufgelistete Schwerpunkte:

1. Eine erweiterte Partnerschaft für Geschäftsprozess Management, Process Design & Analysis

und/oder Process Intelligence & Performance Management

Das Design- und Analyse-Paket besteht aus der Software ARIS Business Architect und ARIS

Simulation zur Modellierung, Optimierung und Simulation von Geschäftsprozessen. Es wird ein

zentrales Repository für die formale modellbasierte Anforderungsanalyse einer automatisierten

Performance Management Lösung zur Verfügung gestellt. Die Anforderungen liegen als unter-

schiedliche Modelltypen vor und erlauben somit einen Überblick über das Design, der geplanten

Lösung vor der Einführung der Implementierung der Prozesse. Weiterhin ermöglicht dieses Paket

die Prüfung von Prozessverbesserungsmaßnahmen durch Simulationen.

Das ARIS Process Performance Management (PPM) Hochschulpaket bietet eine sofort einsetz-

bare gekapselte Installation, eine Beispieldatenbank mit Demo-Mandanten sowie ein Tutorial zum

selbstständigen Aufsetzen eines Mandanten. Es besteht aus dem ARIS PPM zur Messung von

Kennzahlen von durchgeführten Geschäftsprozessen und deren Analyse. Zur Visualisierung der

Prozesskennzahlen werden ARIS Performance Dashboards (Vgl. Abb. 6) eingesetzt. Weiterhin

sind Übungen inklusive Lösungen und eine vollständige technische Dokumentation sowie Benut-

zerhandbücher zur Analyse der Szenarien enthalten.

41

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

41

Abb. 6: Visualisierung von Prozesskennzahlen

2. vergünstigter Bezug von ARIS Lizenzen für den nicht kommerziellen Einsatz in Forschung und

Lehre

3. ARIS Testlizenzen (1-3 Monate) für Universitätsangehörige und Studenten

In Europa ist das Programm bereits gestartet. Die Planungen für den Roll-Out in den asiatischen

und pazifischen Raum laufen derzeit. Im Rahmen des ARIS Education Program hat die IDS Scheer

AG mit http://www.ARISCampus.com eine BPM Community ins Leben gerufen (Vgl. Abb. 7). In

dieser Community bietet sie Hochschulen und Studenten die Möglichkeit, sich über ARIS auszu-

tauschen, Unterstützung zu erhalten, mit anderen ARIS Anwendern zu diskutieren, Informationen

und Forschungsergebnisse zu teilen oder auch Lizenzen zu beantragen. Weiterhin finden interes-

sierte Universitäten hier Informationen zum ARIS Education Program.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

4242

Abb. 7: ARIS Research & Education Community

Mit diesen Initiativen wird ARIS auch in die Ausbildung, Forschung und Lehre getragen und Auszubil-

dende, Studenten wie auch der wissenschaftliche Nachwuchs mit einer anerkannten und führenden

Methode sowie dem aktuellen und besten Werkzeugen aus der Praxis ausgestattet.

Mit den beschriebenen Initiativen hilft die IDS Scheer AG der Kritik, die bereits Seneca im ersten

Jahrhundert gegenüber dem Ausbildungssystem äußerte, der Mensch lerne für die Schule und nicht

für das Leben, entgegenzutreten (Seneca d. J., 1. Jahrhundert).

43

Die Architektur Integrierter Informationssysteme (ARIS) in der kaufmännischen Ausbildung

43

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Scheer, A.-W.: ARIS – Vom Geschäftsprozess zum Anwendungssystem, 3. Auflage, Berlin et al. 1998

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Weniger, E.: Die Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans, 8. Auflage, Beltz 1964

Autoren

Scheer, August-Wilhelm; Prof. Dr. Dr. h.c. mult.; Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender; IDS Scheer AG; Executive; Altenkesseler Str. 17; D-66115 Saarbrücken; Mail: [email protected]

Hoffmann, Michael; Dipl.-Hdl.; Leader Global Solution Center Governance, Risk and Compliance; IDS Scheer AG; IDS Scheer Technologies; Altenkesseler Str. 17; D-66115 Saarbrücken; Mail [email protected]

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

4444

Die Einstellung der Parameter von StandardsoftwarePeter Mertens

1 Wesen

Unter einem Parameter soll eine Stellgröße verstanden werden, durch deren Veränderung der

Mensch das Verhalten des Informationsverarbeitungs-Systems (IV-Systems) beeinflussen kann. Bei-

spiele sind der Mindestabstand zweier Aufträge für das gleiche Teil im Rahmen der Materialbedarfs-

planung oder der Splittungsschlüssel, mit dem im Werkstattbereich festgelegt wird, ob und wie ein

Fertigungsauftrag auf mehreren Maschinen parallel bearbeitet werden soll. Parameter sind zu unter-

scheiden von solchen Daten, die ein Fixum ohne planerischen Spielraum darstellen, beispielsweise

eine Bearbeitungszeit an einer Maschine.

Die Parameter dienen dazu, die Standardsoftware an betriebliche Merkmale (unter anderem Wirt-

schaftszweig, Branche, Betriebstyp, Konjunkturlage) anzupassen. Sie mögen auch aus Feigheit der

Systementwickler heraus zu erklären sein, wie dem Autor von einem der Gründer und zugleich Pio-

nier-Entwickler des SAP-Systems gesagt wurde: Die Systemingenieure können sich nicht für eines

von vielen alternativen Verfahren (z. B. Methoden zur Reihenfolgeoptimierung in der Fertigung) ent-

scheiden und programmieren daher mehrere, aus denen der Kunde dann auswählen muss. Die Stell-

größen sollen es Unternehmen erleichtern, ihre Ziele (z. B. Maximierung der Rentabilität, Gewinnen

von Marktanteilen gegen einen Konkurrenten, Risikominimierung) durchzusetzen.

2 Die Problemlage

Standardsoftware enthält eine extreme Zahl von Parametern. Wenn z. B. 10 Stellgrößen (etwa Min-

destbestand oder Höchstbestand von Materialien, a-b-g-Faktoren zum exponentiellen Glätten bei

Trend- und Saisonschwankungen) zur maschinellen Disposition eines Teils gebraucht werden und

das Unternehmen nur 10.000 solcher Positionen hat, haben wir es mit 100.000 Parametern allein in

diesem Sektor der betrieblichen Informationsverarbeitung zu tun.

Abgesehen von der Mengenproblematik hat man mit einer Reihe anderer Schwierigkeiten zu ringen:

1. Zahlreiche Parameter stehen untereinander in komplizierten Wechselwirkungen. So wie in der Me-

dizin und in der Pharmazie gibt es nicht-lineare Wirkungsverläufe, sowie Nebenwirkungen (siehe

unten).

2. Oft verfügt man nicht über die Zeit zur Ein- und Nachregulierung. Charakteristisch ist die Aussage

eines Projektleiters, der die Einführung des Materialwirtschaftssystems von SAP für das Erlanger

Universitätsklinikum zu verantworten hatte. Sein persönliches Hauptziel war: „Am 01.01. darf der

Bildschirm nicht dunkel bleiben“. Die Parameter würde man schon irgendwoher bekommen, z. B.

vom Universitätsklinikum Freiburg, wo man SAP schon früher eingeführt hatte. Nun ist aber der

Bedarf an Materialien, vor allem Medikamenten, in einer Klinik mit Schwerpunkt Chirurgie ein ganz

45

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware

45

anderer als in einer solchen mit Hauptaufgabe „Innere Medizin“, und daher müssen auch die Stell-

größen anders reguliert werden.

3. Die komplizierten Zusammenhänge zwischen der Parametereinstellung und den mit der Infor-

mationsverarbeitung angestrebten Zielen können nur von einer betriebswirtschaftlich gut ausge-

bildeten Fachkraft einigermaßen sicher beurteilt werden. Das für die Fertigung zuständige Vor-

standsmitglied eines größeren Maschinenbauunternehmens erklärte dem Autor: „Wenn wir das

SAP-System eingeführt haben werden, müssen wir alle unsere Disponenten durch Diplom-Wirt-

schaftsingenieure ersetzen“.

Die Bedeutung der Funktion „Parametergrundeinstellung und -pflege“ wurde lange Zeit grob unter-

schätzt:

Entsprechend stellen sich früher oder später Enttäuschungen ein:

Hierfür steht zunächst die Aussage eines Praktikers: „Nach der SAP-Einführung lagen unsere Halb-

fabrikatebestände höher als vorher.“

Neuerdings scheint freilich das Bewusstsein für das Problem zu wachsen: Das belegt die Konradin-

ERP-Studie 2009 mit der Aussage. „Die Ausgaben für betriebsspezifische Anpassungen liegen nun

mit den Softwarelizenzen gleichauf.“ (vgl. Abbildung 1) (Huttenloher, 2009).

Hardware/Middleware

Softwarelizenzen

Implementierung/Customizing

Schulungen von IT-Abteilungen/-Anwendern

29,2 %

28,9 %

14,9 %27,0 %

Der Customizing-Aufwand steigtVerteilung der Gesamtinvestitionen in ERP (1500 deutsche Firmen)

Abb. 1: Aufwand für Anpassungen

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

4646

3 Schwierigkeiten

Grund der angedeuteten Schwierigkeiten sind die komplizierten, häufig nicht-linearen Haupt-, Ne-

ben- und Wechselwirkungen (vgl. Abbildung 2).

Analysiert man die Wirkung eines Parameters stets isoliert für eine bestimmte Zielgröße bzw. ein ein-

zelnes Problem, so ist der Effekt noch überschaubar, und die Vor- und Nachteile verschiedener Para-

meterausprägungen sind weitgehend unstrittig. So ist z. B. in Abb. 2/I die – wohl plausible – Annahme

getroffen, dass das Problem verspäteter Auslieferungen an einen Kunden linear abnimmt, wenn man

die externe Priorität erhöht. Abb. 2/II zeigt einen schon schwerer zu kontrollierenden nichtlinearen (u-

förmigen) Verlauf. Erhöht man über Losgrößenparameter die Auftragsmenge von einem kleinen Wert

aus, so sinkt zunächst die Durchlaufzeit (DLZ), denn es geht weniger Kapazität durch Umrüsten ver-

loren. Nach einem Minimum steigt die Kurve wieder, weil große Lose Staueffekte erzeugen.

Handelt es sich jedoch um konkurrierende Zielsetzungen, wie sie insbesondere aus der Kombination

von Markt- und Betriebszielen entstehen, so wird die Entscheidung über die Güte einer bestimmten

Einstellung deutlich schwieriger (vgl. die Beispiele in Abb. 2/III und IV).

Verspätete Auslieferung

Problem

ParameterwertExt. Priorität

Problem

ParameterwertLosgröße

DLZ

I II

Problem

ParameterwertLieferbereitschaft

III

Enttäuschte Kunden

Entgangene Aufträge

Lager-kosten

ba

Problem

ParameterwertLosgröße

IV

Lagerbestand

DLZ

Auslastung von Engpässen

Abb. 2: Unterschiedliche Wirkungsmöglichkeiten von Parametern auf eine Zielgröße

47

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware

47

4 Hauptaugenmerk: Unternehmensziele

Es sollte sich von selbst verstehen, dass die IV in den meisten Betrieben den Unternehmenszielen auf

den oberen Ebenen der Zielpyramide Rechnung tragen muss. In praxi steht dem leider die von vielen

betriebswirtschaftlich nicht genügend geschulten IV-Spezialisten verfolgte Prozessorientierung im

Weg (Mertens, 1999). Es gilt daran zu erinnern:

1) Ökonomie heißt, Ressourcen bestmöglich auszunutzen.

2) In der (kapitalistischen) Marktwirtschaft bedeutet das für die Unternehmung: Maximierung der

Rentabilität (Gewinn / Kapital).

3) Da sich der Punkt maximaler Wirtschaftlichkeit (definiert als Ertrag / Aufwand) nicht mit dem ma-

ximaler Rentabilität deckt, ist Wirtschaftlichkeitsmaximierung theoretisch nicht exakt.

4) Prozessziele (minimale Kosten, Termintreue, minimale Durchlaufzeiten) sind theoretisch nur halt-

bar, wenn zahlreiche Ceteris-paribus-Klauseln gelten.

a) Trivial ist z. B. die Feststellung, dass sich der Informationsmanager Kostenminimierung nur

dann als Ziel stecken darf, wenn der Ertrag und die Kapitalbindung konstant bleiben.

b) Man erinnere sich an Sachverhalte, die teilweise physikalisch bedingt sind: Beschleunigung ver-

langt einen Aufwand, der überproportional zur erreichten Geschwindigkeit steigt. Dafür gibt es

auch viele Beispiele aus der betriebswirtschaftlichen Praxis, etwa bei Verkehrsunternehmen.

5) Ein beachtlicher Teil der Prozessveränderungen führt zu geändertem Ressourcenverbrauch, z. B.

Kapitalbindung. Daher ist auch bei derartigen Maßnahmen Rentabilitätsmaximierung als Ziel zu

beachten.

a) Die veränderte Kapitalbindung kann sich als Kapitalfreisetzung (Beispiel: reduzierte Lagerbe-

stände, Verzicht auf Zahlungsziele), als erhöhte Kapitalbindung (Beispiel: Investition in auto-

matisierte Fertigungsprozesse) oder bei kombinierten Maßnahmen (Beispiel: stärker automa-

tisierte Fließfertigung mit minimalen Puffern) als Saldo von Investitionen in Betriebsmittel und

Desinvestitionen in Lagern manifestieren.

b) Oft sind die Wirkungen erst bei genauerer Analyse festzustellen. (Beispiel: Eine neue Arbeits-

teilung in der logistischen Kette führt dazu, dass Lager nicht beim Produzenten, sondern beim

Logistikdienstleister entstehen. Der Hersteller finanziert diese Lager über höhere Preise, die

der Logistikdienstleister nimmt.)

6) Die prozessökonomischen Ziele sind oft nur schwer auf die Rentabilität zu projizieren. Es bedarf

erheblicher theoretischer und empirischer Forschung, um Behauptungen der „Prozesslehre“ zu

verifizieren oder zu falsifizieren.

Welche gründlichen Betrachtungen der Ursache-Wirkungs-Beziehung, die von IV-Projekten verän-

dert werden, geboten sind, soll Abbildung 3 zeigen. Die Pfeile verfolgen in vereinfachter Weise Zu-

sammenhänge bei einer Aktion mit dem Ziel einer Durchlaufzeit-Minimierung (etwa nach Art des viel

beachteten und imitierten TOP-Programms der Siemens AG). Es bleibt nachzurechnen, ob die Um-

satzsteigerung zu einer Gewinnerhöhung führt, die die verstärkte Kapitalbindung mehr als kompen-

siert, oder ob der Saldo aus erhöhter und verminderter Kapitalbindung negativ (= günstig) ist.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

4848

Auftrags-

akquisition

Durchlaufzeit-

minimierung

Beseitigung

von Engpässen Zwischenlager

Kapitalbindung

Umsatz

Investition erhöht

reduziert steigert

fordert

fordert

erleichtert

verringert

Abb. 3: Beispielhafte Ursache-Wirkungs-Ketten

Abbildung 4 zeigt ein missglücktes Projekt in einem Werk der Motorenfertigung. Die Strukturen wur-

den strikt nach dem Prozess bei der Auftragserfüllung ausgerichtet.

Es ergab sich aber eine ungünstige Ressourcenökonomie, weil die Maschinen in der Blechbearbei-

tung ungenügend ausgelastet wurden. Sehr bald wurde „re-re-engineert“ und die Blechfertigung im

Interesse einer besseren Kapitalrentabilität zentralisiert und verselbstständigt.

Fertigungsfluss

Bahnmotoren

Blechfertigung … …

Werkzeugmaschinenmotoren

Blechfertigung … …

Energieversorgungsmotore

Blechfertigung … …

Abb. 4: Business Process Re-Engineering in einem Werk der Motorenfertigung

Abbildung 5 bringt das Beispiel einer Prozessgliederung, wie sie im Zuge der SAP-Einführung bei

einem Hersteller von Fernsehgeräten gewählt wurde. Der Prozess „Auftragsbearbeitung“ („Order to

Invoice“) wurde getrennt von dem Prozess „Reparaturabwicklung“ („Complaint to Invoice“) geführt.

In beiden Prozessen werden teure Komponenten (Bildschirmeinheiten) benötigt, aber von den „Pro-

cess Owners“ separat disponiert. Die Folge dieser unkoordinierten Beschaffung waren Einbußen bei

der Beschaffungslogistik gewesen.

49

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware

49

ProduktionsprozessBildschirm-montage

Ersatz defekter Bildschirme

Koordinations-defizitServiceprozess

Abb. 5: Prozessgliederung bei einem Fernsehgeräte-Hersteller

5 Ausgewählte Parameterwirkungen

5.1 Einstellungen zur Aufbauorganisation

Als Beispiele wählen wir die Entscheidungen, wie im SAP-System mehrere Standorte zu einem oder

mehreren „virtuellen Werken“ zusammengefasst werden (Abbildung 6) und wie entsprechend die

Lagerorganisation abzubilden ist (Abbildung 7). Beispielsweise sieht das System zwei physisch be-

nachbarte Lager als eines an und unterscheidet bei der Verfügbarkeitsprüfung (siehe unten) nicht, ob

eine Materialposition X in Lager I oder II vorrätig ist (Dittrich, 2009, S. 41-44).

Ebene: Implementierung

Profile zur Werksanzahl im Zusammenhang mit Standorten

1 Standort-

spezifisches

Werk

Ein einziger Standort, für den nur ein Werk definiert wird.

Verwendung: Diese Lösung empfiehlt sich, falls innerhalb des einzigen

Standorts keine unterschiedliche Produktionsplanung oder Disposition

durchgeführt werden muss.

2 Standort-

übergreifendes

Werk

Ein Werk für mehrere Standorte.

Zusammenfassung von mehreren Standorten in einem Werk für eine ein-

heitliche, standortübergreifende Produktionsplanung und Disposition.

Verwendung: Ein übergreifendes Werk ermöglicht eine hohe Integration

zwischen den Produktionsstandorten. Durch die Zusammenfassung in ei-

nem Werk können eine einheitliche, standortübergreifende Produktions-

planung und Disposition durchgeführt werden.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

5050

3 Ein Standort mit

Betriebsteilen

Mehrere Werke je Standort.

Es ist ein Standort vorhanden; dieser umfasst allerdings mehrere Betriebs-

teile, für die jeweils ein eigenes Werk eingerichtet werden soll.

Verwendung: Diese Art der Organisationsgestaltung in der Material-

wirtschaft ermöglicht es, innerhalb eines Standorts mehrere, voneinander

unabhängige Produktionsplanungen, Dispositionen und getrennte Be-

standsführungen abzubilden.

4 Standort-

spezifische

Werke

Für die vorhandenen Standorte soll jeweils ein eigenes Werk eingerichtet

werden.

Verwendung: Dies ist zu empfehlen, um bei mehreren Standorten unter-

schiedliche Verfahren zur Produktionsplanung und Disposition anzuwen-

den oder heterogenen Anforderungen an die Bestandsführung Rechnung

zu tragen. Bei gleichen Materialien können pro Werk auch andere Disposi-

tionsparameter im Material(werks)stamm gesetzt werden.

Abb. 6: Varianten der Abbildung von Werken im SAP-System

Ebene: Implementierung

Profile zu Werken und Lagerorten

1 Einfache Lager-

ortorganisation

Es ist ein Werk vorhanden, für das ein Lagerort eingerichtet werden soll.

Verwendung: Ein globaler Lagerort pro Werk ist ausreichend, wenn keine

besonderen Anforderungen an eine differenzierte Disposition, Bestands-

führung, physische Lokalisierung oder an die Verfolgung von Warenbewe-

gungen bestehen.

2 Differenzierte

Lagerort-

organisation

Ein Werk soll mit mehreren Lagerorten eingerichtet werden.

Verwendung: Es können beliebig viele Lagerorte zu einem Werk ange-

legt werden. Bestimmte Lagerortbestände für das gleiche Material lassen

sich getrennt disponieren (die Bedarfsplanung erfolgt normalerweise

auf Werksebene). So können z. B. Produktionslagerbestände abgebildet

werden, die automatisch von Zentrallagern aufgefüllt werden sollen.

Ein Lagerort kann nur einem Werk zugeordnet werden. Nur über das

Lagerverwaltungssystem darf ein Lagerort mehreren Werken zugeordnet

werden.

3 Dezentrale

Lagerort-

organisation

Für mehrere Werke soll jeweils ein Lagerort eingerichtet werden.

Verwendung: Wie Profil 1.

4 Komplexe

Lagerort

organisation

Für mehrere Werke sollen je ein oder jeweils mehrere Lagerorte eingerich-

tet werden.

Verwendung: Wie Profil 2.

Abb. 7: Varianten der Abbildung von realen Lagern im SAP-System

51

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware

51

5.2 Einstellungen zur Methodenwahl

Als Beispiel nehmen wir die Dispositionsart. Mit ihr kann der Betrieb ganz maßgeblich den Pla-

nungs- und Beschaffungsaufwand beeinflussen. Er entscheidet damit zum einen, ob die Bedarfe

aus den aktuell vorliegenden Plan- und Kundenprimärbedarfen und den ihnen zugrunde liegenden

Stücklisten generiert werden (deterministische bzw. plangesteuerte Disposition) oder ob sie sich aus

Vergangenheitsverbräuchen ableiten, aus denen Prognoseinformationen gewonnen werden (ver-

brauchsgesteuerte Disposition). Bei plangesteuerten Verfahren ist der personelle und maschinel-

le (Rechenzeit-)Aufwand vergleichsweise hoch, die Disposition ist jedoch im Allgemeinen genauer

als bei verbrauchsgesteuerten Verfahren, die mit einem geringeren Planungsaufwand auskommen.

Das SAP-System bietet unter anderem folgende Alternativen:

PD: Deterministische Planung mit der Möglichkeit, die ungeplanten Bedarfe über eine Prognose zu

ermitteln

VB: Verbrauchsgesteuerte Disposition nach dem Bestellpunktverfahren mit personeller Festlegung

des Meldebestands

VM: Verbrauchsgesteuerte Disposition nach dem Bestellpunktverfahren mit maschineller Ermittlung

des Melde- und Sicherheitsbestands

VV: Verbrauchsgesteuerte Disposition durch Prognose der künftigen Periodenbedarfe

Wegen des mit computerunterstützten Lagerdispositionsmodellen verbundenen Aufwands werden

oft die zu disponierenden Materialien mithilfe einer am wert- bzw. mengenmäßigen Umsatz oder am

Lagerwert orientierten ABC-Analyse in drei Klassen eingeteilt. Die Teile mit hohem Umsatzanteil

(A-Teile) disponiert das System dann mit genaueren Verfahren als die mit mittlerem Umsatz (B-Teile)

oder gar die mit kleinem Umsatzanteil (C-Teile). Beispielsweise nimmt man die Bruttobedarfsvorher-

sage bei A-Teilen monatlich, bei B-Teilen nur vierteljährlich und bei C-Teilen sogar nur jährlich vor. Zur

Vorbereitung der Entscheidung, inwieweit man ein Teil vollautomatisch, im Mensch-Maschine-Dialog

oder personell disponiert, lässt sich auch die XYZ-Analyse heranziehen. Bei X-Teilen handelt es sich

um solche, deren Verbrauch recht zuverlässig vorherzusehen ist, während Z-Teile in ihrem Bedarf

stark schwanken. Y-Teile liegen zwischen diesen beiden Extrem-Ausprägungen. Abbildung 8 bringt

in Form eines Struktogramms Empfehlungen zur Auswahl eines Dispositionsverfahrens für das SAP-

System. Zu Grunde liegt die Überlegung, dass die Disposition umso mehr dem Sachbearbeiter ob-

liegen soll, je diffiziler die Prognose ist. (Das Lieferrisiko beinhaltet, dass der Lieferant seine Zusage

nicht einhält; das Verbrauchsrisiko, dass, z. B. wegen Fehlchargen, der tatsächliche Verbrauch vom

geplanten abweicht.)

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

5252

AA BB CC

XX

YY

ZZ

PDPD

PDPD

PDPD

PD/VM/VBPD/VM/VB

PD/VM/VBPD/VM/VB

PDPD

VM/VV/VBVM/VV/VB

VM/VV/VBVM/VV/VB

VBVB

Fehlmengenfolgenhoch?

VBVBVBVB VMVM VVVV

VVVV

J N

Lieferrisikohoch?J N

hoch mittel gering

Verbrauchs-risiko

Fehlmengenfolgenhoch?

VBVBVBVB VMVM VVVV

VVVV

J N

Lieferrisikohoch?J N

hoch mittel gering

Verbrauchs-risiko

Abb. 8: Kombination einer ABC- und einer XYZ-Analyse (Dittrich, 2009)

5.3 Einstellungen zur Ablauforganisation

5.3.1 Terminierungsparameter

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht gehören die Terminierungsparameter zu den am schwierigsten

einzustellenden Werten. Dies resultiert unter anderem daraus, dass zumindest die teile- und (einzel-)

auftragsunabhängigen Stellgrößen, wie Reduzierungsfaktoren (Um wie viel Prozent darf das System

bei Zeitnot automatisch die Übergangszeit reduzieren?), stets auf ein möglicherweise sehr komple-

xes Netz von Aufträgen wirken. Erschwerend kommt hinzu, dass wegen der zahlreichen Störungen

im täglichen Produktions- und Beschaffungsprozess in der Terminierung mit gemittelten Zeitdauern

gearbeitet werden muss. Diese sind nur dann aussagekräftig, wenn die Varianz klein bleibt. Die Mate-

rialverfügbarkeit wird sowohl durch Mengenpuffer, z.B. über den Sicherheits- und den Meldebestand

und die Losgrößenmodifikatoren (wie Auf- oder Abrundungen auf volle Container-Füllung), als auch

über Zeitpuffer beeinflusst. Letztere lassen sich nur dann betriebswirtschaftlich effizient einsetzen,

wenn während der Pufferzeit weitergearbeitet werden kann und keine Verzögerungen einzelner Pro-

duktionsschritte in Kauf zu nehmen sind, weil Teile fehlen. Aufgrund der Tatsache, dass Zeitpuffer

sich prinzipiell durch Mengenpuffer substituieren lassen, kann man zumindest bei den geringwerti-

geren B- und bei den C-Materialien teilweise auf ihre Einstellung verzichten.

Mithilfe der Parameter Vorgriffs- und Sicherheitszeit lassen sich im SAP-ERP-System die Auftrags-

puffer eingeben. Sie sind in Arbeitstagen definiert und bilden die zeitliche Differenz zwischen den

Eckterminen und den Produktionsterminen. Die Vorgriffszeit definiert einen Anfangspuffer. Bei Ka-

pazitätsengpässen dient sie z.B. dazu, Aufträge in Perioden mit freier Kapazität vorzuziehen. Dem-

gegenüber ist die Sicherheitszeit ein Puffer am Auftragsende, der ungeplante Störungen ausglei-

chen soll. Erhöhte Sicherheitszeiten wirken in zwei Richtungen. Einerseits sinken die Bestände und

damit die Kapitalbindung, weil die Planungsvorgaben auch unter Störungen realisierbar bleiben.

Verspätete Materialbereitstellungen, die z.T. hohe Wartezeiten derjenigen Teile nach sich ziehen,

mit denen sie gemeinsam in übergeordnete Aufträge eingehen, kommen dann seltener vor. Auf der

anderen Seite verlängern größere Zeitpuffer die geplanten Durchlaufzeiten, was sich bestandserhö-

hend auswirkt. Simulationsergebnisse zeigen, dass er erwartungsgemäß stark auf die Terminabwei-

chung wirkte. Durchsatzveränderungen ließen sich nur in sehr geringem Maße feststellen, wobei der

53

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware

53

Endproduktdurchsatz um bis zu drei Prozent variierte. Sehr viel sensibler reagierte die Kapitalbin-

dung. Parameteränderungen ließen das im Bestand gebundene Kapital um bis zu 30 % schwanken.

Experimente zeigten schwache positive Kapitalbindungseffekte im unteren Wertebereich des Para-

meters (vgl. Wertebereich (a) in Abbildung 9). Zu große Puffer verursachten erhebliche Wartezeiten

der Teile bzw. Komponenten und vergrößerten damit die Kapitalbindung (vgl. Wertebereich (b)).

01020

3040506070

8090100

Sicherheitszeit [Tage]

[%]

a b

Kap

italb

indu

ng

Abb. 9: Kapitalbindung bei steigender Sicherheitszeit

5.3.2 Verfügbarkeitsprüfung

Ziel der Materialverfügbarkeitsprüfung ist es, möglichst frühzeitig, am besten bereits bei der Kun-

denauftragserfassung, zu erkennen, ob ein Material zum Bedarfstermin verfügbar sein wird oder ob

zusätzliche planerische Aktivitäten notwendig sind.

So muss man diejenigen Bestandsarten auswählen, die für die Prüfung relevant sind. Ebenso kann

man die Wiederbeschaffungszeit berücksichtigen. Ist die Zeit bis zum Liefertermin länger als die Wie-

derbeschaffungszeit, so erübrigt sich eine Verfügbarkeitsprüfung.

5.3.3 Losgrößenmodifikatoren

Losgrößenmodifikatoren bewirken, dass die vom System errechneten optimalen Losgrößen auf-

oder abgerundet werden (etwa auf eine ganze Zahl voller Container oder Kartons).

Die Losgrößenmodifikatoren entfalten oft eine erstaunliche, um nicht zu sagen gefährliche Wirkung.

Abbildung 10 zeigt durch Simulation der Parameterwirkungen erkannte, nicht untypische Sprungstel-

len bei den in SAP ERP enthaltenen Losgrößenmodifikatoren. Durch Erhöhung der Rundungswerte

steigert man zunächst geringfügig den Endproduktdurchsatz. Ab einem kritischen Wert sinken diese

aber dramatisch um bis zu 84 %.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

5454

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Rundungswert [Teile]

Endp

rodu

k tdu

rchs

a tz

norm

. [%

]

Abb. 10: Endproduktdurchsatz bei steigendem Rundungswert

5.3.4 Verrechnungs-Parameter

Besonders „überraschungsträchtig“ sind die Verrechnungs-Parameter, die dem System anzeigen,

welche Ist-Aufträge als Realisation welcher Plan-Aufträge angenommen werden sollen („Forecast-/

Plan-Consumption“). Bei unglücklicher Parameterwahl nimmt das System zu früh an, dass zu weni-

ge Auftragseingänge geplant wären, erhöht die Planzahl und damit die Bevorratung der Enderzeug-

nisse. Über die Stücklisten-Auflösung kann sich das bis zu den Halbfabrikaten und Rohstoffen hin

fortpflanzen und zu einer die Rentabilität empfindlich senkenden zusätzlichen Kapitalbindung führen.

Der Parameter „Verrechnungshorizont“ bezeichnet, wie viele Tage die geplanten Aufträge von dem

Tag des tatsächlichen Auftragseingangs entfernt sein dürfen, damit der Auftragseingang als Realisa-

tion des Plans angenommen wird, das heißt, der Ist-Auftrag Plan-Aufträge „konsumiert“. Abbildung

11 bringt einige durch Simulation gewonnene Wirkungen dieser Stellgröße auf die Kapitalbindung. Es

ist ein typisches Beispiel dafür, wie man durch gute und schlechte IT den Return on Investment (ROI)

und damit letztlich den Unternehmenswert günstig oder ungünstig beeinflussen kann.

6 Ausgewählte Hilfsmittel zur Parametereinstellung

6.1 (Intelligente) Checkliste

Die (intelligente) Checkliste stellt ein interaktives Hilfsmittel dar, das anhand von Kriterien, die es teil-

weise vom Benutzer erfragt, eine passende Konfigurationsalternative auswählt. Als eine Art „roter

Faden“ steuert sie den Einstellungsprozess und gibt dabei auch die Reihenfolge für einzelne Konfi-

gurationsschritte vor. Dies hilft, die formale Korrektheit und Konsistenz der Systemkonfiguration zu

sichern. Gleichzeitig können auf diese Weise auch die Software-logischen Abhängigkeiten zwischen

55

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware

55

verschiedenen Stellgrößen berücksichtigt werden, indem das System automatisch notwendige Pa-

rameterfolgeeinstellungen durchführt.

Die Stärke des Checklistenansatzes liegt eindeutig bei der Prozess- und Funktionsauswahl sowie der

Funktionsparametrierung in der Einführungsphase. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lässt sich auf

diese Weise ein PPS-System schneller „customizen“ und damit der Personalaufwand reduzieren. Die

Einstellungsqualität kann dadurch gesteigert werden, dass die Checkliste eine bewährte Einstellrei-

henfolge vorgibt und auch Informationen über potenzielle Parameterwirkungen vorhält. Prognosen

über solche Wirkungen sind mit ihr jedoch ebenso wenig möglich wie die periodische Rekonfigurati-

on dispositionsrelevanter Parameter.

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Verrechnungshorizont [Tage]

Kapi

talb

indu

ng[%

]

Abb. 11: Kapitalbindung bei steigenden Verrechnungshorizonten

6.2 Anforderungsnavigator

Ein Anforderungsnavigator ist eine spezielle betriebswirtschaftliche intelligente Checkliste auf der

Grundlage eines interaktiven Analysewerkzeugs und einer strukturierten Wissensbasis (wissensba-

siertes System). Mithilfe verständlicher Fragen und Kriterien werden die Einsatzmöglichkeiten der

Standardsoftware (z. B. der SAP Business Suite) den Anforderungen eines Unternehmens in einem

Expertendialog mit den Führungs- und Fachkräften gegenübergestellt.

6.3 Referenzsystem

Ein Referenzsystem (vorkonfiguriertes System) besteht aus einem oder mehreren lauffähigen Soft-

ware-Mandanten mit Stamm- und Bewegungsdaten, enthält also fertig parametrierte Beispielunter-

nehmen unterschiedlicher Branchen und Betriebstypen mitsamt ihrer Organisationsstruktur. Als Bei-

spiel kann das Modellunternehmen IDES dienen, welches von der SAP AG für die SAP Business Suite

sowie deren Vorgänger entwickelt wurde. In unterschiedlichen Mandanten enthält die Software u. a.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

5656

einen Automobilzulieferer, der nach Just-in-Time-Prinzipien steuert, und einen Leuchtmittelhersteller,

der Massenfertigung betreibt. Zu jedem der dort abgebildeten Unternehmen sind Stammdaten, wie

z. B. Materialstämme oder Arbeitspläne, definiert.

6.4 Simulation

Simulationen können nicht unmittelbar zur Konfiguration von Standardsoftware herangezogen wer-

den. Mit ihrer Hilfe lassen sich jedoch die Konfigurationsalternativen bewerten und vergleichen. Das

auf diese Weise generierte Parameterwirkungswissen mag man dann direkt oder indirekt (z. B. über

ein regelbasiertes System) zur Einstellung der Software verwenden.

7 Schlussfolgerungen für die Ausbildung

Unsere Ausführungen zeigten, dass die Parametereinstellung eine „Kunst für sich“ ist. Gutes oder

schlechtes Gelingen beeinflusst das Ausmaß, in dem durch die Einführung eines Standardsoftware-

Systems die betrieblichen Ziele erreicht werden, empfindlich, namentlich auch die Rentabilität und

so unmittelbar den Unternehmenswert.

Die „ideale“ Fachperson für diese Aufgabe muss sehr solide Kenntnisse der in der Standardsoftware

implementierten Methoden, z. B. also Verfahren zur Lagerabgangsprognose, zur Versandsteuerung

oder zur Liquiditätsdisposition, mit einer fundierten betriebswirtschaftlichen Grundausbildung ver-

binden; Letztere muss es erlauben, die Beziehungen zwischen Zielen einschließlich ihrer gegensei-

tigen Verstärkungs- und Abschwächungseffekte und der Zielkonflikte (vgl. Abbildung 3) zu erkennen

und abzuschätzen. Bei all dem sind aber die Belastung der Rechenanlage und damit auch das Ant-

wortzeitverhalten im Dialog, z. B. in Abhängigkeit von der Frage, ob man Prognosen und Bevorra-

tungsentscheidungen auf Artikel-, Artikelgruppen- oder Artikelhauptgruppen durchführt, keine zu

vernachlässigende Größe.

Betriebswirtschaftliche Standardsoftware kann daher nur auf der Grundlage einer soliden BWL- und

Wirtschaftsinformatik-Ausbildung gemeistert werden. Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass die

vielen Wechselbeziehungen über Funktionsbereiche und Prozesse hinweg hochgradige Spezialisie-

rung (z. B. auf Finanzwirtschaft oder Auftragsabwicklung oder auch entsprechende Module eines

großen Standardsoftwaresystems) nur bedingt erlauben. Vielmehr ist fundiertes Wissen der Integ-

rierten Informationsverarbeitung, welche ein Zentralanliegen der Wirtschaftsinformatik darstellt, sehr

hilfreich.

Ein mit betriebswirtschaftlicher und informatischer Grundausbildung nicht abgestimmter „isolierter“

SAP-Kurs nach dem Muster „Wenn Sie xx eingeben und auf die Schaltfläche yy gehen, erhalten Sie

ein Menü, aus dem Sie zz wählen können“ ist nachgerade Scharlatanerie. Leider muss also bei der

Konzeption der Lehrpläne ebenso wie bei der Zusammenstellung des Lehrkörpers viel Sorgfalt und

Kapazität investiert werden.

57

Die Einstellung der Parameter von Standardsoftware

57

Literatur

Dittrich, J., Mertens, P., Hau, M. und Hufgard, A., Dispositionsparameter in der Produktionsplanung mit SAP, 5. Aufl., Braunschweig-Wiesbaden 2009.

Huttenloher, R., Kunden betrachten Software as a Service skeptisch, Business Intelligence lenkt den Blick auf das Wesentliche, in: Computer Zeitung Nr. 17 vom 20.04.2009, S. 14.

Mertens, P., Operiert die Wirtschaftsinformatik mit den falschen Unternehmenszielen? – 15 Thesen, in: Becker, J., König, W. Schütte, R. u.a. (Hrsg.), Wirtschaftsinformatik und Wissenschaftstheorie, Wiesbaden 1999, S. 379-392.

Autor

Mertens, Peter; Prof. Dr. Dr. h. c. mult.; Universität Erlangen-Nürnberg, Wirtschaftsinformatik I, Lange Gasse 20; 90403 Nürnberg; Mail: [email protected]

58

59

Curricular-didaktische Grundlagen

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61

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

Karl Wilbers

Der Beitrag liefert eine Orientierung über die Einbindung integrierter Unternehmenssoftware bzw. sy-

nonym von ERP-Systemen in den kaufmännischen Unterricht. Er klärt zunächst kurz die fachwissen-

schaftlichen Grundlagen, erörtert die didaktische Relevanz und gibt Hinweise zur Unterrichtsplanung

beim Einsatz integrierter Unternehmenssoftware in den kaufmännischen Unterricht.

Verständnis von Prozessorientierung und integrierter

Unternehmenssoftware (ERP-Systeme)

Integrierte Unternehmenssoftware bzw. ERP-Systeme beruhen auf der Prozessorientierung. Der Be-

griff des Prozesses entstammt der Betriebswirtschaftslehre und wird dort recht abstrakt erläutert.

Feldmayer und Seidenschwarz (2005) definieren einen Prozess als „Folge von Aktivitäten …, deren

Ergebnis eine Leistung für einen externen oder internen Kunden darstellt“ (S. 12). In der Literatur

finden sich viele ähnliche Begriffsbestimmungen. Ein Beispiel für einen Prozess nach diesem Ver-

ständnis ist der Prozess der Auftragsabwicklung, der mit dem Akquirieren von Aufträgen beginnt und

mit der Produktauslieferung endet (Laudon, Laudon & Schnoder, 2006, S. 97). Viele Prozesse über-

greifen die klassischen betriebswirtschaftlichen Funktionen, die heute vielfach den Aufbau akade-

mischer Lehrbücher oder die Organisation wirtschaftswissenschaftlicher Fachbereiche bestimmen.

So betrifft das Akquirieren von Aufträgen und die anschließende Bestellung den Vertrieb, die dann

folgende Bonitätsprüfung und die Bestätigung gehören zur Buchführung, während die folgende Pro-

duktfertigung die Fertigung und Produktion betrifft.

Die Prozesse eines Unternehmens werden in der Literatur meist in Managementprozesse, Ge-

schäftsprozesse sowie Supportprozesse eingeteilt (Feldmayer & Seidenschwarz, 2005). Manage-

mentprozesse bilden dabei „den Rahmen für die wertschöpfenden Prozesse des Unternehmens“

(Feldmayer & Seidenschwarz, 2005, S. 18). Zu den Managementprozessen gehören die strategische

und finanzielle Planung, das Controlling sowie die interne Revision. Die Geschäftsprozesse sind „die

eigentlichen wertschöpfenden Aktivitäten im Unternehmen“ (Feldmayer & Seidenschwarz, 2005,

S. 18). Die Geschäftsprozesse werden dann weiter unterteilt in Customer Relationsship Management

(CRM), Supply Chain Management (SCM) sowie Produkt Lifecycle Management (PLM). Die Support-

prozesse dienen der Unterstützung der anderen Prozesse und umfassen Qualitätsmanagement,

Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Wissensmanagement, Personalwesen, Finanzwesen, Beschaffung,

Prozess- und Informationsmanagement, Kommunikation sowie Immobilienmanagement (Feldmayer

& Seidenschwarz, 2005, S. 21).

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

62

Wie Gaitanides in diesem Band darstellt, werden die einzelnen Prozesse auf einzelnen Ebenen weiter

ausdifferenziert. Auf dem Level 1 wird die Prozessgruppe „Supply Chain Management“ beispielswei-

se weiter unterteilt in sechs Basisprozesse, nämlich Plan, Source, Make, Deliver, Return und Enable.

Jeder dieser Basisprozesse wird auf Level 2 weiter ausdifferenziert in Prozesskategorien, -modelle

und -varianten, beispielsweise das „Make“ von Level 1 in „Make to stock“ und „Make to order“ auf Le-

vel 2. Auf Level 3, 4 und folgenden werden dann Prozessketten ausdifferenziert. Ab der vierten Ebene

werden die Prozesse meist unternehmensspezifisch ausgelegt.

Die Darstellung von Prozessen wird schnell unübersichtlich. In der Wirtschaftsinformatik wurde da-

her eine Reihe von Methoden entwickelt, wie die Prozesse dargestellt werden können. Dazu gehören

insbesondere Ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK), Unified Modeling Language (Use-Cases, Ak-

tivitätsdiagramme), Petrinetze, Produktnetze, Datenflussdiagramme und weitere Verfahren (Boden-

dorf, 2007). Die folgende Abbildung zeigt eine EPK-Prozessmodellierung.

Kundenanfrageeingetroffen

Verkaufsaktionwird

durchgeführt

Angebot ist erstellt

Angebot istversandt

Kundenauftragtrifft ein

Kundenauftragtrifft nicht ein

Angeboterstellen

Angebotversenden

Angebotüberwachen

Auftrags-abwicklung

Rückfrage beimKunden

V

XOR

Abbildung: EPK zu Auftragsbearbeitung (Bodendorf, 2007)

63

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

Die Darstellung der Prozesse nach diesen Methoden kann im Prinzip mit Papier und Bleistift oder

einem handelsüblichen Graphikprogramm erfolgen. Für die professionelle Anwendung hat sich dies

nicht als sinnvoll erwiesen, sondern es wurde eine ganze Reihe von Software-Tools zur Modellierung,

Strukturierung, Optimierung und Handling von Geschäftsprozessen (Gaitanides, in diesem Band)

entwickelt. Die Spannweite reicht hier von einfachen Systemen bis hin zu komplexen Tools, insbe-

sondere die von Scheer und Hoffmann in diesem Band beschriebene ARIS-Plattform. Der Einsatz

dieser Methoden bzw. der entsprechenden Software ist nicht auf Unternehmen beschränkt, sondern

kann – wie im Projekt „ProReKo“ – auch für Prozesse in Schulen verwendet werden (Harms, 2009).

Prozesse und betriebliche Funktionen werden in Unternehmen durch Informationstechnik, also be-

triebliche Anwendungssysteme unterstützt (Laudon, Laudon & Schoder, 2006, S. 99). Traditionell

haben sich zur Unterstützung einzelner betrieblicher Funktionen betriebliche Anwendungssysteme

entwickelt.

Funktion Beispielhaftes Anwendungssystem

Forschung, Produkt- und Prozessentwicklung Computergestützte Konstruktion (Computer

Aided Design – CAD), Systeme zur Erstellung

von Arbeitsplänen und Steuerungsprogrammen

(Computer Aided Planning – CAP),

Vertrieb Anwendungssysteme zur Unterstützung von

Vertriebs- und Außendienstmitarbeitern (CAS –

Computer Aided Selling),

Beschaffungs- und Lagerhaltungssektor Systeme zur Unterstützung der Bestelldisposition

Produktionsbereich Produktionsplanung und -steuerung (PPS)

Versand- und Kundendienst Systeme zur Rückwärtsterminierung

Finanzwesen Systeme zur Liquiditätsdisposition

Rechnungswesen Buchführungsprogramme

Personalwesen Human-Resource-Management-System

(HRMS)

Anlagenmanagement Computer Aided Facility Management (CAFM)

Abbildung: Funktion und beispielhafte Anwendungssysteme nach Mertens (2009)

Traditionell sind diese Anwendungssysteme separiert und sie binden kaum Lieferanten und Kunden

ein. Außerdem bereitet die Integration dieser Softwarepakete Schwierigkeiten. Eine Integration ist je-

doch notwendig für die funktionsübergreifenden Prozesse sowie für moderne Formen der Unterneh-

mensorganisation, die zu einer stärkeren Integration von Kunden und Lieferanten führt. Vor diesem

Hintergrund hat sich integrierte Unternehmenssoftware entwickelt. Sie tragen mit „ERP-Systemen“

von „Enterprise Resource Planning“ einen eher in die Irre führenden Namen. Derartige ERP-Systeme

unterstützen die wichtigsten Prozesse eines Unternehmens, sind integriert und unterstützen die Auf-

lösung von Unternehmensgrenzen (Laudon, Laudon & Schoder, 2006, S. 99). Typische Beispiele für

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

64

ein ERP-System sind SAP R/3 von SAP sowie Microsoft Navision. ERP-Systeme arbeiten mit Daten-

beständen, die das Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt abbilden, beispielsweise die La-

gerbestände verschiedener Produkte zu einem spezifischen Zeitpunkt. Diese Datenbestände werden

in der Praxis auch „Mandanten“ genannt und spielen für die Verwendung im Unterricht eine große

Rolle. Für Unterrichtszwecke bietet SAP beispielsweise zu ihrem ERP-System den IDES-Mandanten

an (International Demonstration and Education System). Dieses Modellunternehmen ist vergleichs-

weise komplex und wird im hochschulischen Unterricht eingesetzt. Für den Einsatz an beruflichen

Schulen wurden vor allem vom Landesinstitut für Schulentwicklung in Stuttgart sowie vom Staats-

institut für Schulqualität und Bildungsforschung (IBS) in München verschiedene Mandanten für den

Unterricht im Industrie-, Einzelhandelsbereich und anderen Branchen entwickelt, die über das Inter-

net abgerufen werden können.

Prozesse sind kein Selbstzweck und schweben auch nicht im luftleeren Raum. Die Orientierung an

unternehmensübergreifenden (‚generischen‘) Unternehmensprozessen (Gaitanides, in diesem Band)

führt zu einer Gefahr, nämlich dass Prozesse unternehmensspezifisch eingebunden sind. Prozesse

sind eingebunden in den Kontext einer spezifischen Unternehmensstrategie, eines spezifischen nor-

mativen Managements (Hungenberg, 2008) sowie einer spezifischen ökonomischen, sozialen und

ökologischen Umwelt. Eine umfassendere Betrachtung der Prozesse muss daher schon aus einer

fachwissenschaftlichen Perspektive auch den normativen Horizont, den strategischen sowie den

ökologisch-sozialen Horizont aufarbeiten.

Unternehmens-verfassung

Vision, Missionund Ziele

Unternehmens-kultur

Strategien

Normatives Management

Strategisches Management

Soft-ware

Daten

IT-Infra-struktur

Umwelt

(ökon.,ökol.,sozial)

Anwendungs-systeme

Strukturen(Aufbau & Prozesse)

Operatives Management

Abbildung: Modell des Managements, erweitert nach Hungenberg (2008)

Während der Begriff der Geschäftsprozesse der Betriebswirtschaftslehre, der wichtigsten Bezugs-

disziplin der Wirtschaftspädagogik, entstammt, wurde in der Berufspädagogik der Begriff des Ar-

beitsprozesses und des Arbeitsprozesswissens geprägt. Die berufspädagogische Diskussion hebt

dabei auf die Situation eines Facharbeiters ab (Busian, 2006). Der Berufspädagoge Rauner (2004) er-

läutert Arbeitsprozesswissen als eine „Form des Wissens, das die praktische Arbeit anleitet“ (S. 12).

65

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

Arbeitsprozesswissen ließe sich als der „Zusammenhang von praktischem und theoretischem Wis-

sen charakterisieren“ (Rauner, 2004, S. 12). Praktisches Wissen sei kontextbezogen und implizit,

während theoretisches Wissen kontextfrei und wissenschaftsbezogen sei (Rauner, 2004). Der Be-

rufspädagoge Fischer (2003) versteht Arbeitsprozesswissen als „das Wissen um die Elemente des

betrieblichen Arbeitsprozesses und deren Zusammenwirken“ (Fischer, 2003, S. 5). Die Elemente des

betrieblichen Arbeitsprozesses sind dabei das Subjekt und das Objekt des Handelns (Arbeitsge-

genstand/Produkt), die technischen Artefakte, die zwischen Subjekt und Objekt vermitteln sowie die

Gemeinschaft, der das Subjekt angehört, einschließlich der dort anzutreffenden Regeln und Arbeits-

teilung (Fischer, 2003; Fischer, 2005).

In mehreren Workshops im Modellversuch CULIK (Curriculumentwicklungs- und Qualifizierungsnetz-

werk Lernfeldinnovation für Lehrkräfte in Berufsschulfachklassen für Industriekaufleute) wurden die

unterschiedlichen Begriffe und die daraus folgenden Konsequenzen aufgearbeitet (http://www.ibw.

uni-hamburg.de/forschung/projekte/culik/). Gemeinsam ist beiden Ansätzen, der Arbeits- und der

Geschäftsprozessorientierung, dass beide ein Gegenentwurf zu einem traditionellen, systematisch-

funktional orientierten Unterricht sind. Die Arbeitsprozessorientierung wurde vor dem Hintergrund

gewerblich-technischer Berufe, die Geschäftsprozessorientierung vor dem Hintergrund kaufmänni-

scher Berufe entworfen. Eine Übertragung der Arbeitsprozessorientierung steht in der Gefahr, sich

auf die operative Ebene kaufmännischer Sachbearbeitung zu beschränken. In dem hier skizzier-

ten Verständnis des Prozessbegriffes haben Prozesse eine hohe Ähnlichkeit zum Handlungsbegriff.

Schon unter dieser Perspektive haben Prozessorientierung und Lernfeldorientierung beide eine hohe

Gemeinsamkeit. Die Orientierung der curricularen Arbeit an Geschäftsprozessen bedeutet ebenso

wie die Orientierung an Arbeitsprozessen und an Handlungs- bzw. Lernfeldern ein Gegenmodell zu

einem traditionellen Unterricht.

Didaktische Relevanz integrierter Unternehmenssoftware

Bei der Erörterung der didaktischen Relevanz integrierter Unternehmenssoftware sollten nach mei-

ner Ansicht zunächst eine Reihe von Differenzierungen getroffen werden. Integrierte Unternehmens-

software bzw. im Folgenden allgemeiner Informationstechnik (IT) kann didaktisch als methodische

Frage („IT als Methode“) oder als inhaltliche Frage („IT als Inhalt“) erörtert werden (Eberle, in diesem

Band; Eberle, 1996).

Bei der methodischen Frage („IT als Methode“) kann Software eingesetzt werden, die eigens zu

Lehr- bzw. Lernzwecken entwickelt wurde („Lernsoftware“). Die damit verbundenen Herausforderun-

gen werden in der Literatur unter dem Stichwort „E-Learning“ angesprochen (Hohenstein & Wilbers,

2009). Andererseits kann von der Lehrkraft auch Software methodisch genutzt werden, die nicht zu

Lehr- und Lernzwecken entwickelt worden ist („Arbeitssoftware“). Auf diese Nutzung von integrierter

Unternehmenssoftware im Unterricht geht Häuber in diesem Band ein. Er geht dabei vor allem auf die

Möglichkeit der Darstellung, Bearbeitung und Analyse von Prozessen ein, die sich mit ERP-Systemen

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

66

im Unterricht gut machen ließe. Eine weitere Möglichkeit ist die Nutzung von Mandanten eines ERP-

Systems zur Konstruktion von Lernsituationen im lernfeldorientierten Unterricht. So würde beispiels-

weise ein realitätsnaher Mandant, d. h. ein realitätsnahes Modellunternehmen, auch für Teams von

Lehrkräften die Konstruktion realitätsnaher Materialien unterstützen, zum Beispiel zur Beschreibung

einer Ausgangssituation in einer Lernsituation. Hier muss allerdings betont werden, dass Mandan-

ten häufig nicht aus diesem Motiv heraus entwickelt werden. Vielmehr werden die Daten häufig aus

didaktischen Erwägungen konstruiert, zum Beispiel so, dass bei einer Bestellung der Meldebestand

erreicht wird, um genau dieses im Unterricht aufgreifen zu können. Im Gegensatz zu diesen ‚didak-

tischen Mandanten’ wären ‚realistische Mandanten‘ neu zu entwickeln. Dabei kann vor allem die

Zusammenarbeit mit Patenunternehmen hilfreich sein, wie es beispielsweise in der baden-württem-

bergischen Übungsfirmenarbeit eine Tradition hat. Außerdem können die Mandanten auf Basis von

Daten der Verbände, zum Beispiel aus Betriebsvergleichen, entwickelt werden.

Neben diesen methodischen Fragen steht die inhaltliche Frage („IT als Inhalt“). Hier kann unterschie-

den werden, ob der IT-Einsatz im Beruf oder im außerberuflichen Alltag thematisiert wird. Auch die

private Nutzung von IT der Lerner in beruflichen Schulen, beispielsweise der Umgang mit sozialen

Netzwerken wie SchülerVZ, dürfte heute auch zum Bildungsauftrag von beruflichen Schulen gehö-

ren. Diese Fragestellung kann unter dem Stichwort „IT-Literacy“ bzw. „IT-Literalität“ thematisiert

werden (Eberle, in diesem Band). Eine davon zu unterscheidende Frage ist die Verwendung von Infor-

mationstechnik im Beruf. Hier ist – in der Redeweise von Eberle (in diesem Band) – die „berufsinfor-

matische Kompetenz“ angesprochen. Informationstechnik kann jedoch einen sehr unterschiedlichen

Stellenwert in Berufen haben. Für IT-Experten, also beispielsweise Absolventen in den IT-Berufen, IT-

Assistenten-Bildungsgängen oder der Fachschule für Informatiktechnik, ist IT das zentrale Produkt

im beruflichen Alltag. Bei IT-Experten ist Prozessmanagement und der Umgang mit entsprechenden

Tools Gegenstand der Lehrpläne. Diese IT-Experten stellen jedoch für das berufliche Schulwesen

eine vergleichsweise kleine Gruppe dar.

Von diesem Fall sind die weiteren kaufmännischen Berufe zu unterscheiden. Hier ist insbesondere

auf den Einzelhandelsbereich, den Groß- und Außenhandelsbereich, den Industriebereich, den Wirt-

schaftsschulen bzw. Lernfirmen sowie affinen vollzeitschulischen Bildungsgängen hinzuweisen. In

diesen Berufen wird branchenübergreifende Software, wie zum Beispiel Office-Software, genutzt.

Curricular führt dies beispielsweise zur Diskussion um den European Computer Driving Licence

(ECDL). Daneben wird in diesen kaufmännischen Berufen auch branchenspezifische Software, bei-

spielsweise ERP-Systeme, eingesetzt. In diesen kaufmännischen Berufen wird der Einsatz von inte-

grierter Unternehmenssoftware im Fachunterricht zum Teil von den Lehrplänen in unterschiedlicher

Weise vorgesehen. In den Lehrplänen zum Einzelhandel ist beispielsweise die Nutzung „berufsbe-

zogener Software zur Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung“ (KMK, 2004, S. 6)

vorgesehen.

Integrierte Unternehmenssoftware wird gemäß dieser Unterscheidungen in drei Aspekten relevant:

Als methodisches Hilfsmittel im Unterricht, als Aspekt der Ausbildung von IT-Experten sowie als

Aspekt der Ausbildung in den anderen kaufmännischen Berufen. Alle drei Aspekte sollten in der

67

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

Diskussion sorgfältig unterschieden werden. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags gehe ich nur noch

auf den letzten Aspekt, den Einsatz in kaufmännischen Berufen außerhalb der IT-Experten, ein.

Dass ERP-Systeme für die gesamte Berufsausbildung didaktisch relevant sind, heißt noch lange

nicht, dass sie das auch tatsächlich für den Lernort Schule sind. Für den vollzeitschulischen Bereich

kann die Einbindung von ERP-Systemen eine Praxisersatzfunktion übernehmen. Lernfirmen haben

jedoch, auch unter Einsatz von ERP-Systemen (Ruf, 2006), ein Potential, das über die Praxisersatz-

funktion hinausgeht und können einen Lernort eigener Prägung darstellen (Tramm, 1996; Greimel,

1998).

Für den Unterricht in Teilzeitbildungsgängen hingegen könnte durchaus argumentiert werden, dass

die Befähigung der Auszubildenden im Umgang mit ERP-Systemen nicht Aufgabe der Berufsschule,

sondern der Unternehmen sei. Dem stehen jedoch mehrere praktische Erwägungen gegenüber, wie

auch Häuber (in diesem Band) zeigt. Nicht in allen Unternehmen, gerade in kleinen und mittleren Un-

ternehmen, beispielsweise im Handel, sind tatsächlich ERP-Systeme verfügbar. In vielen Unterneh-

men dürften die Auszubildenden weiterhin keinen Zugriff auf den kompletten Datenbestand im ERP-

System haben, beispielsweise keinen Zugriff auf sensible Daten im Personalwesen, zum Beispiel die

Lohndaten oder im Handel auf Daten wie Verkaufsstatistiken pro Kasse bzw. pro Verkäufer. Das Un-

ternehmen kann dadurch nicht vom Auszubildenden exploriert werden. Außerdem ist es regelmäßig

nicht möglich, Auswirkungen einer Handlung bzw. der Abbildung dieser Handlung im ERP-System

nachzuvollziehen. Ferner sind ERP-Systeme heute kritisch für den Unternehmenserfolg, d. h. Fehler

oder experimentelle Erkundungen des Auszubildenden ausgeschlossen. Schließlich dürften – das

ist eine Vermutung, kein gut gesicherter Fakt – viele Ausbildungsbetriebe die Unterweisung in das

System wenig systemisch einbetten, d. h. bei der Einweisung in das ERP-System werden vor- oder

nachgelagerte Prozessschritte, beispielsweise die Folgen des Einscannens eines Artikels, nicht re-

flektiert. Post (2006) formuliert treffend, dass die pädagogische Herausforderung darin bestehe, „die

im betrieblichen Alltag durchaus erwünschte Automatisierung und Beschleunigung der Geschäfts-

prozesse für die Schüler nachvollziehbar zu ‚entschleunigen‘“ (S. 536).

Eine einfache Anwendungsschulung von ERP-Systemen – eine sogenannte Klick-Schulung – ist vor

diesem Hintergrund kaum zu legitimieren. Werden die vorgebrachten Erwägungen akzeptiert, sind

damit gleichzeitig wichtige Eckdaten für den Einsatz von ERP-Systemen gesetzt, die weit über eine

Klick-Schulung hinausgehen: Der Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht muss

transparent erfolgen, muss Fehler und experimentelle Erkundungen der Lerner zulassen und die Ar-

beit mit dem ERP-System systemisch einbetten. Das kann unter den Ausbildungsbedingungen im

Unternehmen oft nur schwer realisiert werden. Insofern wundert es nicht, wenn beispielsweise, wie

auf der NiLS-Fachtagung im September 2009 präsentiert, die BBS 11 der Region Hannover von ihren

Ausbildungsbetrieben im Industriebereich bei einer Befragung erfährt, dass die Ausbildungsbetriebe

sich keine einfache Anwendungsschule als Aufgabe der Schule vorstellen. Vielmehr solle die Trans-

parenz, die Vernetzung und die Konsequenzen von Fehlern in der Schule aufarbeiten.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

68

Formen des Einsatzes integrierter Unternehmenssoftware im Unterricht

Um Fragen der Unterrichtsplanung bei einer Integration von Unternehmenssoftware zu vertiefen,

werden zunächst vier Formen des Einsatzes von ERP-Systemen im Unterricht unterschieden: Der il-

lustrative Einsatz von ERP-Systemen, der sequentielle Einsatz von ERP-Systemen, der ERP-Einsatz

in Lernfirmen sowie der ERP-Einsatz in Projekten, Fällen und Lernsituationen.

Bei einem illustrativen Einsatz von ERP-Software im Unterricht wird die Software selbst streng ge-

nommen gar nicht im Unterricht eingesetzt. Vielmehr werden Bildschirmfotos von der ERP-Software

in den Unterricht bzw. in die Unterrichtsmedien eingebunden. So verwendet beispielsweise das

Schulbuch „Kompetenz Industrie“ aus dem Europa Lehrmittelverlag von Müller u. a. bei der Einfüh-

rung des Konzepts der Debitoren im Lernfeld 3 „Werteströme und Werte erfassen und dokumentie-

ren“ Bildschirmfotos von MS Navision mit dem verbreiteten Cronos AG-Schulungsmandanten. Diese

Form der ERP-Einbindung in den kaufmännischen Unterricht ist vergleichsweise einfach. Sie passt

sich unkompliziert in den traditionellen Unterricht ein, lässt sich gut mit verschiedenen Medien, Ak-

tions- und Sozialformen sowie Aufgabenformen verbinden und ist technisch einfach zu realisieren.

Weiterhin kann diese Form der Einbindung von ERP-Systemen mittelfristig zu einer ersten Vertraut-

heit mit ERP-Systemen für Lehrkräfte führen, die diesen Dingen etwas skeptisch gegenüber stehen.

Andererseits bleibt der Einsatz letztlich in didaktischer Hinsicht symbolisch, er bleibt intransparent

und erlaubt kaum Fehlerhandeln oder den experimentellen Umgang mit ERP-Systemen. Als Erinne-

rungshilfe oder Verbindungshilfe spielt der illustrative Einsatz von ERP-Systemen auch in komplexe-

ren Einbindungsformen weiterhin eine Rolle. Für die Unterrichtsplanung der Lehrkräfte ergeben sich

kaum Besonderheiten. Lediglich der Medienbereich wird hier in besonderer Weise angesprochen.

Bei einem sequentiellen Einsatz von ERP-Systemen im Unterricht werden im ersten Schritt die rele-

vanten kaufmännischen Konzepte im ‚normalen‘ Klassenraum eingeführt. Im zweiten Schritt erfolgt

die Arbeit mit dem ERP-System im EDV-Raum der Schule oder zuhause. Dabei werden Aufgaben,

Geschäftsvorfälle oder Belege mit vergleichsweise geringer Komplexität verbucht bzw. geübt oder

es wird Step-by-Step (Eberle, 1996) in die Anwendung eingeführt. In einem dritten Schritt erfolgt die

Nachbereitung, in der Regel in einem normalen Klassenraum. Die Notwendigkeit solcher Nachberei-

tungs- bzw. Reflexionsphasen wird in der didaktischen Literatur zur Geschäftsorientierung betont

(Ruf, 2006). In didaktischer Hinsicht ist das Vorgehen meist atomistisch-kleinschrittig. Gerade beim

Step-by-Step besteht für die Lehrkraft die Gefahr, dass sie die Lerner hinter den Bildschirmen ver-

liert, beispielsweise durch Fehlbedienung. Typischerweise drängt dies die Lehrkraft dazu, die Lern-

inhalte in kleinste Schritte zu zerlegen und immer wieder zu hinterfragen, ob die Lerner auf dem von

der Planung vorgesehenen Stand sind. Diese Form des Step-by-Step führt zu einer straffen Führung

im Unterricht, d. h. einer hohen Fremdsteuerung, für die Fehler und explorierendes Handeln der Ler-

ner gefährlich für die Führung des Unterrichts sind. Entsprechend schwierig ist dieses Vorgehen bei

heterogenen Lernern, zum Beispiel bei Lernern mit unterschiedlichen IT-Kenntnissen oder unter-

schiedlichen Vorkenntnissen bezüglich ERP-Systemen. Eine Alternative zu einem derart lehrerdomi-

nierten Unterricht des Step-by-Step ist ein materialdominierter Unterricht. Dieser setzt umfangreiche

Arbeitsmaterialien für den Lerner ein. Diese können ähnlich wie im lernfeldorientierten Unterricht aus

69

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

dem Kontext einer größeren Fallaufgabe stammen und einen praktischen Trigger haben, beispiels-

weise eine Telefonnotiz, eine E-Mail oder einen Beleg. Derartige Materialien kombinieren häufig auch

kleinere kaufmännische Reflexionsübungen, zum Beispiel die Suche nach Gründen für eine unbefrie-

digende Gewinnsituation und Bedienungshinweise zum ERP-System. Der Einsatz solcher Materialien

ermöglicht im Vergleich zum Step-by-Step-Vorgehen die Individualisierung des Lerntempos, löst je-

doch andere der erwähnten didaktischen Probleme nicht. Der sequentielle Einsatz hat in beruflichen

Schulen zwei schwergewichtige Vorteile: Er passt gut zu den üblichen Raumkonzepten kaufmänni-

scher Schulen, die eine Trennung von normalen Klassenräumen und EDV-Räumen vorsehen. Häufig

sind nämlich nicht die gerade für den IT-Bereich geforderten integrierten Fachräume an der Schule

vorhanden. Weiterhin lässt sich der sequentielle Einsatz durch Lehrkräfte gut arbeitsteilig realisieren,

beispielsweise im Zusammenspiel eines kaufmännischen Experten und eines IT-Experten, d. h. nicht

alle Lehrkräfte müssen sich in gleicher Tiefe mit ERP-Systemen auseinandersetzen. Die Unterrichts-

planung kann sich in diesem Fall weitgehend an die übliche Unterrichtsplanung anlehnen, muss je-

doch insbesondere bei der Sequenzierung weiter Festlegungen treffen.

Seit längerem erfolgt ein ERP-Einsatz in Lernfirmen. Lernfirmen (Tramm, 1996) sind Lernbüros mit

fiktiven Produkt- und Geldströmen und fiktiven Außenkontakten, Übungsfirmen mit fiktiven Produkt-

und Geldströmen und realen Außenkontakten, die beispielsweise über den deutschen Übungsfir-

menring vermittelt werden, sowie Juniorenfirmen mit realen Produkt- und Geldströmen sowie rea-

len Außenkontakten. Lernfirmen sind in Süddeutschland vor allem in den Wirtschaftsschulen weit

verbreitet. Der IT-Einsatz in Lernfirmen hat eine lange Tradition. Die Lernfirmenarbeit setzt auf eine

spezifische Raumsituation, eine spezielle Verankerung im Stundenplan, eine eigenständige, meist in-

tegrierende didaktische Funktion, die alle im Unterricht außerhalb von Lernfirmen in der Regel nicht

gegeben sind (Dörrer, in diesem Band; Scholz, 2006; Ruf, 2006). Die Unterrichtsplanung in Lernfir-

men wird hier nicht weiter vertieft.

Weiterhin erfolgt ein ERP-Einsatz in Projekten, Fällen und Lernsituationen. Projekte oder Fälle können

dabei einen Unterricht ergänzen, der nicht in Lernsituationen stattfindet. Beim Unterricht in Projek-

ten und Fällen wird in der Praxis nicht selten auf adaptierte Schulungsmaterialien der ERP-Hersteller

zurückgegriffen. So verwendet das Friedrich-List-Berufskolleg in Herford, wie in diesem Band be-

schrieben, eine Fallstudie, die von SAP bereitgestellt wird und insbesondere für den Unterricht in

Hochschulen entworfen wurde sowie selbst entwickelte Fallstudien in der Fachschule und bei Indus-

triekaufleuten. In der Mittelstufe wird dabei ein zweitägiges Blockseminar mit circa 16 Unterrichts-

stunden angeboten. Von diesem Einsatz möchte ich den ERP-Einsatz in Lernsituationen unterschei-

den, für die ich die Unterrichtsplanung weiter vertiefen werde.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

70

Unterrichtsplanung bei ERP-Systeme integrierendem Unterricht

Bei der Unterrichtsplanung des lernfeldorientierten Unterrichts, der ERP-Systeme integriert, werden

zunächst im Rahmen der Grobplanung eine oder wenige Lernfelder bestimmt, in denen ERP einge-

setzt wird. Der ‚flächendeckende‘ Einsatz ist in der Regel für Schulen angesichts der damit verbunde-

nen Belastung und der erforderlichen räumlich-technischen Bedingungen nicht zu leisten. Ein Einsatz

in allen Lernfeldern, wie beispielsweise im Berufskolleg Dorsten (Hemmert, 2009), wird vorläufig eher

die Ausnahme sein. Ein flächendeckender Einsatz bietet aber unter anderem die auch in Dorsten ge-

nutzte Chance, dass sich die Lernsituationen mit einheitlichen, aufeinander aufbauenden Daten über

die Abfolge der Lernfelder bzw. der Geschäftsprozesse entwickeln. Wenn der Einsatz in einzelnen

Lernfeldern exemplarisch gestaltet wird, sollte ein flächendeckender Einsatz aus didaktischen Grün-

den auch nicht zwingend sein.

Die Einführung der lernfeldorientierten Rahmenlehrpläne ab 1996 hätte umfangreicher Unterstüt-

zungsmaßnahme erfordert, um den angestrebten Wandel in der täglichen Unterrichtsarbeit in beruf-

lichen Schulen zu erreichen. Da diese unterblieben sind, wundert es nicht, dass heute in beruflichen

Schulen nicht flächendeckend mit Lernsituationen gearbeitet wird, sondern in vielen Fällen, auch in

Schulbüchern, nur eine sprachliche Anpassung erfolgt ist. Was früher einmal „Übungsaufgabe“ war,

wird dann eben „Lernsituation“ genannt, und zwar ohne den didaktischen Charakter zu verändern.

Lernfeldorientierter Unterricht heißt heute nicht zwangsläufig, dass mit Lernsituationen gearbeitet

wird. Vielmehr werden Lernfelder in den Schulen auch in thematische Blöcke herunter gebrochen, die

dem vergleichsweise hohen didaktischen Anspruch von Lernsituationen nicht erfüllen. Die Kombina-

tion dieser thematischen Blöcke mit Lernsituationen, d. h. die Durchsetzung überwiegend traditionel-

len Unterrichts mit komplexen Lernsituationen erscheint mir im Vergleich zur flächendeckenden Arbeit

eine praxisnahe Alternative (ähnlich Dubs, 2000). Allerdings ist ein solcher Mix nicht im ursprünglichen

Sinne lernfeldorientierter Didaktik.

Lernsituationen, die ERP-Systeme integrieren, haben eine spezifische Struktur. Ausgangspunkt ist zu-

nächst die Struktur der Lernsituationen (siehe auch Beier-Reeken u. a. (2005), Dilger & Sloane (2007,

S. 27 ff.), Rickes, Tiemeyer & Giesenkirchen (2007, S. 129 ff.) sowie ISB (2009)). Diese wird ergänzt um

Spezifitäten des ERP-Einsatzes.

- Formaler Rahmen der Lernsituation: Jede Lernsituation sollte einen kurzen sprechenden Namen

und einen langformulierten Namen haben. Dies wäre zu ergänzen um eine Kurzbeschreibung der

Lernsituation sowie einer Zuordnung zu einem Lernfeld sowie einem Zeitrichtwert.

- Struktur des Lernhandelns: Die Lernsituation beinhaltet zunächst einen Handlungsraum, d. h. ein

Einstiegsszenario sowie die dazugehörigen Materialien. Weiterhin wird der Handlungsprozess

(vor-)strukturiert, wobei im Regelfall eine vollständige Handlung abzubilden ist. Außerdem wird

für die Lernsituation ein konkretes Handlungsprodukt angeführt, beispielsweise das Erstellen ei-

nes Konzepts, wie einer Werbeplanung oder einer Verkaufsraumgestaltung, das Verfassen eines

Schriftstücks, zum Beispiel einer Stellungnahme oder das Treffen von Entscheidungen, wie zum

Beispiel die Auswahl aus Angeboten, das Überprüfen von Sachverhalten, die Bewertung von Unter-

lagen oder das Meistern von Gesprächssituationen (ISB, 2009, S. 18 f.).

71

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

- Intention und Inhalte der Lernsituation: Für die Lernsituation werden die Kompetenzen in den ver-

schiedenen Kompetenzdimensionen, d. h. Fach-, Lern-, Selbst- und Sozialkompetenz, ausgewie-

sen. Sowohl fachliche als auch überfachliche Kompetenzen werden – über alle Lernfelder bzw.

Lernsituationen betrachtet – sowohl in einzelnen Lernsituationen als auch in mehreren Lernsitu-

ationen ausgewiesen. Beispielsweise wurde im Projekt „EvaNet-EH“ von Hamburger Einzelhan-

delsschulen eine Kompetenzmatrix entwickelt. Diese verteilt fachliche Kompetenzen, aber auch

überfachliche Kompetenzen auf die Lernfelder (Tramm, Hofmeister & Derner, 2009). Die Kompe-

tenzmatrix kann unter http://www.ibw.uni-hamburg.de/evaneteh/ abgerufen werden. Bei der Ver-

teilung sollte sowohl deklaratives Wissen als auch prozedurales Wissen berücksichtigt werden.

Deklaratives Wissen spricht das ‚know-that‘ an und reicht von einfachem Faktenwissen bis hin zum

Wissen über umfangreiche Theorien. Prozedurales Wissen hebt auf das ‚know-how‘ ab. Prozedura-

les Wissen umfasst das Wissen um inhaltlich spezifische kleinere Vorgehensweisen, zum Beispiel

Rechenvorschriften, das Wissen um inhaltsspezifische Techniken und Methoden, zum Beispiel

Recherchemethoden sowie das Wissen darum, wann welche dieser Vorgehensweisen, Techniken

und Methoden situationsgerecht sind (Anderson u. a., 2001). Dabei sollten sowohl die klassischen

kaufmännischen Konzepte als auch ERP-spezifische Konzepte verteilt werden. Die Unternehmen-

sprozesse sollten – idealerweise eingeordnet in übergeordnete Level der Prozesse – dargestellt

werden. Unter dem Stichwort „Assessment“ sollte eine ausgearbeitete Lernsituation Hinweise für

die Selbstbewertung der Handlungsprozesse und -produkte der Lerner, aber auch Hinweise für die

Fremdbewertung durch die Lehrkraft bieten. Unter dem Stichwort „ERP“ sollte die Beschreibung

der Lernsituation Angaben zur angestrebten Methodik sowie technischen Details, zum Beispiel der

verwendete Mandant bzw. Datenbestand, machen. Schließlich sollten die Beiträge anderer Fächer

zur Lernsituation erörtert werden. Nach den Erfahrungen im Paul-Spiegel-Berufskolleg Dorsten

kann dabei ein über die Lernfelder verteilter mehrstufiger Aufbau, ausgehend von betrieblichen

Stammdaten, einfachen Geschäftsprozessen, zum Beispiel den Beschaffungsprozessen, bis hin zu

integrierten Geschäftsprozessen sinnvoll sein (Hemmert, 2009).

Die folgende Übersicht fasst diese Elemente zusammen.

Formaler Rahmen - Name Lernsituation (kurz, lang) - Kurzbeschreibung - Zuordnung, Zeitrichtwert

Struktur Lernhandeln - Handlungsraum (Einstiegsszenario, Materialien)- Handlungsprozess- Handlungsprodukt

Intentionen & Inhalte - Kompetenzen (Fachliche und überfachliche Kompetenzen, lernfeldspezifisch und lernfeldübergreifend)

Inhalte - Inhalte (Kaufmännische Inhalte im engeren Sinne)- ERP-Konzepte, Prozesse

Assessment - Selbstbewertung/Fremdbewertung

ERP - Methodik des ERP-Einsatzes- Technische Angaben (z. B. Mandant)

Bezüge zu anderen Fächern

Abbildung: Struktur einer Lernsituation mit ERP-Einsatz

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

72

Ausgewählte Probleme und Gefahren des ERP-Einsatzes in beruflichen

Schulen

Der ERP-Einsatz steht in den beruflichen Schulen in der Gefahr, in mehrfacher Hinsicht zu eng ge-

führt zu werden.

- Intransparenz, mangelhafte Unterstützung explorierenden Handelns, mangelnde systemische Ein-

bettung und mangelnde Exemplarizität: Wie bereits oben erläutert, kann der Einsatz von ERP-Sys-

temen in beruflichen Schulen, insbesondere in Teilzeitschulen, nur unter spezifischen Bedingun-

gen legitimiert werden. Hierzu gehören ein transparenter, exemplarischer, systemisch eingebette-

ter Einsatz, der explorierendes Handeln der Lerner unterstützt. Der Anspruch des Exemplarischen

bezieht sich dabei sowohl auf die originär kaufmännischen als auch die ERP- bzw. die Bedie-

nungsanforderungen. Engelhard und Budde (2003) sagen, dass der Einsatz solcher Programme

zu „strukturiertem Wissen (kennt man ein ERM-Programm, kennt man quasi alle)“ (S. 12) führe.

- Zu niedrige taxonomische Qualität: Daneben besteht die Gefahr einer möglichen Engführung der

Lehr- bzw. Lernprozesse, insbesondere einer zu niedrigen taxonomischen Qualität. Die bereits er-

wähnte Klickschulung hat ein niedriges taxonomisches Niveau, das im Regelfall unangemessen

sein wird. In meinem Verständnis kann mit den herkömmlichen Taxonomien für Lernziele im kog-

nitiven Bereich gearbeitet werden, die in der aktuellen Fassung sowohl deklaratives als auch – das

hier sehr wichtige – prozedurales Wissen berücksichtigen (Anderson u. a., 2001).

- Horizontverengung: Eine weitere Gefahr der intentionalen Engführung des Lehrens und Lernens

besteht darin, den normativen Horizont, den strategischen sowie den ökologisch-sozialen Hori-

zont zu vernachlässigen. Auf diese Gefahr hat schon Tramm (2000) bei der Erörterung von Lern-

feldern hingewiesen: Eine solche Engführung „verfehlt in ihrer Beschränkung auf die Ebene der

operativen Sachbearbeitung systematisch den strategischen und normativen Horizont kaufmänni-

scher Tätigkeit und reproduziert damit ein Modell vertikaler Arbeitsteilung, das mit der Geschäfts-

prozessorientierung im Sinne der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie eigentlich gerade

überwunden werden soll“ (S. 21).

- Mangelhafte Reflexion des Modellrahmens: In seiner Habilitationsschrift hat Tramm bereits 1996

zwei Ebenen des Lernhandelns in der Übungsfirma unterschieden: Das Lernens im Modell (LiM)

und das Lernen am Modell (LaM). Bei LiM tauchen die Lerner in das Modell ein, sie arbeiten mit

Aufgabenstellungen in dem durch das Modellunternehmen vorgegebenen Kontext. Das Lernen am

Modell (LaM) bezieht sich hingegen auf das Modell(unternehmen) selbst. Hier geht es beispiels-

weise darum, eine Distanz zum Modell zu gewinnen und über Beschränkungen und Transferfähig-

keiten zu reflektieren. Tramm arbeitet dabei heraus, dass LiM und LaM in einem Abhängigkeitsver-

hältnis stehen. Obwohl sich Tramm (1996) explizit auf Übungsfirmen bezieht, geht es auch hier um

Arbeiten mit Modellen im Unterricht. Die Arbeit mit Prozessen und ERP-Systemen steht insbeson-

dere in der Gefahr das LaM zu vernachlässigen. Dies wird auch durch die starke Rolle generischer

Prozesse in der Literatur unterstützt und fördert so eine einseitige, fachlich nicht korrekte Sicht-

weise auf Unternehmensprozesse.

- Traditionelle Routinen statt Prozesse: In der schulischen Adaption der Prozessorientierung besteht

die Gefahr, Routinen und Prozesse zu verwechseln. Der Unterschied ist folgenreich und wird von

73

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

Gaitanides (in diesem Band) ausgearbeitet: Traditionelle Routinen stellen demgemäß auf gleich-

förmige Handlungswiederholung hohe Spezialisierung sowie isolierte Arbeitsteilung ab. Prozesse

heben sich davon deutlich ab. Sie werden in kollektive Erfahrungen verdichtet, d. h. sie haben ei-

nen direkten Bezug zum Wissensmanagement, sie sprechen – so wie Spielzüge in Mannschafts-

sportarten – kollektive Könnerschaft an. Die notwendige Kundenorientierung, die grundlegend für

prozessorientiertes Denken ist, setzt ausreichende Handlungsspielräume der Mitarbeiter voraus,

die in diesem Sinne dazu befähigt werden müssen, nutzenstiftende Initiativen zu ergreifen (Empo-

werment). Prozessorientierung ist in diesem Denken genau ein Gegenmodell zur hierarchischen

Kontrolle. Didaktisch besteht durch das Verwechseln von traditionellen Routinen und Prozessen

die Gefahr, den Aspekt der Selbstverantwortung, der Gestaltungsmöglichkeiten und –notwendig-

keiten und des Empowerments im Unterricht zu vernachlässigen.

Auswahl des passenden ERP-Systems für den schulischen Einsatz

Die Auswahl des in der Schule eingesetzten ERP-Systems ist zwar eine schwierige Frage, aber di-

daktisch ein nachgeordnetes Problem. Häuber (in diesem Band) formuliert dies sehr plastisch: „Auf

welchem Fabrikat bzw. auf welcher Marke von Fahrzeug der Fahrschüler das Autofahren in seiner

Fahrschule erlernt, ist völlig unwichtig“. In Diskussionen um den schulischen Einsatz von ERP-

Systemen wird die Gleichgültigkeit des Systems immer wieder betont, vor allem in Eingangsstate-

ments. Regelmäßig findet jedoch nach spätestens fünf Minuten eine erbittere Auseinandersetzung

um die Vor- und Nachteile einzelner Systeme statt. Dies hat oft den Eindruck von Glaubenskriegen.

In menschlicher Hinsicht ist das verständlich: Oft über das Normalmaß engagierte Lehrkräfte sind

mit ‚ihrem‘ System vertraut und brechen eine Lanze dafür. Vor diesem Hintergrund ist die mit Leiden-

schaft geführte Debatte ein gutes Zeichen, nämlich für Engagement in der Schule. Für die nüchterne

Abwägung von Alternativen sind solche Auseinandersetzungen jedoch hinderlich.

In der Diskussion für den Einsatz im kaufmännischen Unterricht stehen vor allem zwei Systeme: Mi-

crosoft NAV/Navision und SAP (vgl. vertiefend Pongratz in diesem Band). Microsoft Navision wird

seit 2007 als Microsoft Dynamics NAV vertrieben. NAV lässt sich im Internet, beispielsweise auf den

Seiten süddeutscher Landesinstitute, runterladen. NAV lässt sich lokal auf den Rechnern der Schule,

auf dem Server der Schule sowie auf USB-Sticks installieren. Letzteres ermöglicht auf einfache Wei-

se die Arbeit der Lerner im Unternehmen oder zuhause. Dies ist nicht nur technisch, sondern auch

lizenzrechtlich möglich. NAV wird mit einem Demo-Mandanten, der Cronus AG, ausgeliefert. Für den

Einsatz in verschiedenen Berufen haben die beiden süddeutschen Landesinstitute, das LS in Stutt-

gart (http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision/) sowie das ISB in München (http://www.erp-

software-bayern.de/) jedoch eigene Mandanten sowie Handreichungen für die Lerner und Lehrkräfte

entwickelt. Die Lizenzen werden in den Bundesländern unterschiedlich ausgegeben, häufig durch

die Landesinstitute. Diese sind zurzeit noch jährlich zu erneuern. Es gibt kostenlose Schulungen

für Lehrkräfte von Microsoft über Microsoft Business Solutions (MBS) Academic Alliance (MBS AA)

für Berufsschulen. NAV hat inzwischen eine gewisse Relevanz für Schulbücher erlangt (siehe auch

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

74

Engelhardt, 2008): Die Schulbuchverlage binden – gerade in den typischen Berufen wie Einzelhan-

del und Industrie – NAV ein, d. h. sie setzen es illustrativ ein, liefern Modellunternehmen und didakti-

sche Materialien aus. In dem Lehrbuch „Betriebswirtschaftliche Geschäftsprozesse – Industrie“ von

Speth u. a., das im Merkur Verlag erschienen ist, wird NAV illustrativ eingesetzt und es liegt eine CD

mit Übungsdaten bei.

Das zweite System, das in der Diskussion um ERP-Systeme in der Schule dominiert, stammt von

SAP. Im Einsatz an Schulen gibt es häufig noch SAP R/3, das inzwischen Teil der mySAP-Reihe ist.

Das Produkt wird nicht lokal installiert, sondern die Schulen schließen sich an die SAP University

Competence Centers (UCC) in Magdeburg und München an. Auf dem Schulrechner läuft im Regelfall

nur ein kleines Softwarepaket. SAP selbst bietet Fallstudien und den IDES-Mandanten zu Schulungs-

zwecken an. SAP bietet kostenlose Schulungen für Lehrkräfte im Rahmen des University Alliances

Programmes (UA) an. In den Schulbüchern kommt SAP kaum vor und die Landesinstitute bieten kei-

ne Unterstützung. Die Fallstudien im Kontext des IDES-Mandanten gelten vielen Praktikern als zu

anspruchsvoll für den Einsatz an beruflichen Schulen. Um diese Zugangshürden für berufliche Schu-

len zu verringern, wurde eine Initiative „ERP4school“ (www.erp4school.de/) angeschoben, die vom

Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen in Berlin getragen und von SAP unterstützt

wird (Dörrer, in diesem Band). Der Einsatzschwerpunkt von SAP scheint mir bei den IT-Berufen und

ähnlichen Berufen zu liegen.

Die Auswahl eines solchen Systems für die Schule ist eine komplizierte Angelegenheit, die hier nicht

weiter vertieft werden soll (Pongratz, in diesem Band).

Einführung von Prozessorientierung und Einbindung von ERP-Systemen

an Schulen

Mit der Auswahl des ERP-Systems ist die Einführung an der Schule keineswegs erledigt. Vielmehr

ist eine umfassende, aufeinander abgestimmte Personalentwicklung, Organisationsentwicklung,

Unterrichtsentwicklung und Technikentwicklung notwendig (Pongratz, in diesem Band). Dies führt

zwangsläufig zu einem umfangreichen, längerfristigen Schulentwicklungsprojekt. Eine Einführung

sollte die – vielfach durch andere Initiativen beanspruchte – Innovationskapazität der Schule nicht

überfordern, sondern eine Strategie der kleinen, aber kontinuierlichen Schritte gehen. So lässt sich

entlang der hier aufgezeigten Varianten ein langfristig verfolgter Innovationspfad aufbauen, der etwa

mit illustrativen Einsätzen und Fallstudien in recht kleinen fortgebildeten Teams beginnt, sich über

den Einsatz in einzelnen Lernfeldern fortsetzt und so kontinuierlich in die Fläche verbreitert. Die

Schulleitung und das Schulentwicklungsteam hätten dabei die Einbettung der (ERP-)Integration in

die gesamte Schulentwicklung zu gewährleisten.

75

Integrierte Unternehmenssoftware (ERP-Systeme) im kaufmännischen Unterricht

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Autor

Wilbers, Karl; Prof. Dr.; Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen - Nürnberg; Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät; Fachbereich Wirtschaftswissenschaften; Lange Gasse 20; 90403 Nürnberg Mail: [email protected]

77

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Das Zusammenspiel von Prozessorientierung, systemischer Perspektive und prozessübergreifender Kompetenzentwicklung im lernfeldstrukturierten Berufsschulunterricht

Tade Tramm

1 Problemstellung

Die Frage der Integration von ERP-Programmen in kaufmännische Curricula ist eng mit dem Prob-

lemkreis verknüpft, wie berufliche Schulen auf die veränderten Qualifikationsanforderungen reagie-

ren sollen, die sich aus der zunehmenden Verbreitung von Unternehmenssteuerungssoftware in der

Arbeitswelt und den sich damit verbindenden Veränderungen der Qualifikationsanforderungen erge-

ben. Es ist heute unumstritten, dass es hierbei nicht einfach um neue Techniken geht, in die einzufüh-

ren und auf die vorzubereiten wäre. Die Einführung von ERP-Programmen steht vielmehr im Zusam-

menhang einer tiefgreifenden Veränderung der betrieblichen Organisationsstrukturen und zugleich

der theoretischen Perspektive, aus der heraus man betriebliche Abläufe zu verstehen und optimieren

versucht. Der Begriff der Prozessorientierung steht hierbei im Zentrum, er prägt seit 15 Jahren die

Reorganisation von Unternehmen und dominiert auch erkennbar die wissenschaftliche Forschung

und Lehre in der BWL. Die dynamische Verbreitung von ERP wäre ohne Business Process Reenge-

neering kaum möglich gewesen, wie umgekehrt aus den ERP-Programmen wesentliche Impulse und

Rahmenbedingungen für das moderne Prozessmanagement gesetzt wurden. Mit der Einführung von

integrierter Unternehmenssoftware wurde jedoch zugleich deutlicher als je zuvor, wie hochgradig

vernetzt und interdependent diese Unternehmensprozesse sind. ERP –Soft ware modelliert betriebs-

wirtschaftliche Interdependenzen im praktischen Unternehmenszusammenhang. Sie ist damit in je-

dem Einzelfall stets auch operationalisierte betriebswirtschaftliche Theorie.

Curricular betrachtet wirft dies die Fragen auf, wieweit sich zukünftige Kaufleute dieses integrierte

betriebswirtschaftliche Modell erschließen und damit zugleich auch die Möglichkeit erhalten sollten,

ihre eigene Tätigkeit im Unternehmen in den (horizontalen) Zusammenhang betrieblicher Leistungs-

prozesse und den vertikalen Kontext betrieblicher Entscheidungs- und Kontrollprozesse zu stellen.

Didaktisch öffnet dies den Blick für ein Verständnis von ERP-Programmen als eines „Fensters“ in be-

triebliche Prozess und Systemzusammenhänge, einer Chance also, Einblicke zu nehmen in betrieb-

liches Geschehen und dessen inneren, systemischen Zusammenhang. In ERP-Programmen model-

lierte Unternehmen, gleich ob reale oder fiktive, stellen somit komplexe Lerngegenstände – das also,

worüber etwas gelernt werden soll – und zugleich herausfordernde Lernumwelten dar, in denen sich

arbeitsanaloges Lernhandeln konkret vollzieht.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

78

Vor dem Hintergrund dieser, hier nur anzudeutenden Überlegungen bietet die Integration von ERP-

Software in kaufmännische Curricula die Chance, Prozessorientierung erfahrbar zu machen und

hierüber zugleich die Möglichkeit zu eröffnen, die Systemperspektive einer Unternehmung aus dem

Prozesszusammenhang zu erschließen.

Das Konzept der Prozessorientierung steht in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskussion

spätestens mit der Einführung des Lernfeldkonzepts Mitte der 1990er Jahre im Mittelpunkt des Inter-

esses. Bei genauerer Betrachtung erweist es sich als ein mehrdeutiges Konstrukt, das mit Bezug auf

berufliche Bildung zumindest drei Facetten erkennen lässt.

- Prozessorientierung lässt sich aus der Perspektive der Arbeitnehmer auf Arbeitsprozesse bezie-

hen und thematisiert mit dem Prozessaspekt die Ablaufstruktur, die Zielbezogenheit und auch die

Regulationsleistungen individueller Arbeitsprozesse;

- Prozessorientierung lässt sich aus der Perspektive der Unternehmung und im Kontext betriebs-

wirtschaftlichen Denkens auf Geschäftsprozesse beziehen, wobei hier, unabhängig von Aspek-

ten der Arbeitsteilung, Leistungsprozesse der Unternehmung als zweck- und zielgerichtete Vor-

gangsketten bzw. als Folgen betrieblicher Aktivitäten gefasst werden;

- Prozessorientierung lässt sich aber auch aus der Perspektive des lernenden Subjekts und im Kon-

text didaktischen Denkens auf Entwicklungs- und Lernprozesse beziehen, womit der Akzent auf

Sequenzen von Lernhandlungen und Lernerfahrungen und die damit intendierte Kompetenzent-

wicklung gesetzt wird.

In der verbreiteten Rede von der “Arbeits- und Geschäftsprozessorientierung“ als Leitidee des Lern-

feldansatzes wird die Differenz dieser beiden Konstrukte verwischt; oder schlimmer noch: Die Ge-

schäftsprozessperspektive wird auf die Perspektive operativer Arbeitsprozesse verkürzt. Dies wird

dann noch verstärkt, wenn etwa beim Arbeiten mit ERP-Pro grammen die Ablaufroutinen in den Vor-

dergrund gestellt und die dahinter liegenden Datenstrukturen und betriebswirtschaftlichen Sachver-

halte nicht erschlossen werden.

In der Fokussierung curricularer Planung auf einzelne (arbeits- oder geschäftsprozessorientierte)

Lernfelder („vom Lernfeld zur Lernsituation“) werden zwar die Situierung und Problemorientierung

beruflichen Lernens realisiert, darüber droht jedoch die Perspektive der Entwicklung beruflicher

Kompetenzen über die Lernfelder hinweg aus dem Blick zu geraten.

Hiermit sind Gegenstand und Zielsetzung meines Beitrages umrissen. Es geht mir um die wirt-

schaftspädagogisch zu begründende Notwendigkeit, über die (operative) Prozessperspektive hin-

ausgehend den Blick auf deren betriebswirtschaftliche Hintergründe auszuweiten: Es ist demnach

nicht primär die möglichst ganzheitliche Betrachtung von Vorgangsketten über Stellen und Abtei-

lungen hinweg, sondern vielmehr die Einbeziehung der diesen Prozessketten zugrundeliegenden

betriebswirtschaftlichen Probleme und Kalküle, die den Aufbau einer theoretisch fundierten, flexi-

blen Orientierungs- und Handlungskompetenz im Sinne des Lernfeldansatzes sichern könnte. Ein

zweiter Schwerpunkt dieses Beitrages wird darauf gelegt, die sich aus dem Lernfeldansatz erge-

benden Probleme der Segmentierung von Lern- und Entwicklungsprozessen zu diskutieren und eine

79

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

pragmatische Strategie vorzustellen, über die Verständigung auf lernfeldübergreifende Kompe-

tenzdimensionen den Kompetenzentwicklungsprozess der Lernenden in den Fokus zu nehmen.

Den Hintergrund dieser Ausführungen bilden Projekte zur kooperativen Lernfeldentwicklung

im Bereich der Ausbildung von Industriekaufleuten (Culik), von Medizinischen Fachangestellten

(Lerne*MFA) und von Einzelhandelskaufleuten (EvaNet*EH), die seit Ende der 1990er Jahre vom Insti-

tut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg begleitet worden sind (vgl. hierzu

Tramm/Steinemann/Gramlinger 2004; Marder 2008; Tramm/Derner/Hofmeister 2009).

2 Arbeits- und Geschäftsprozesse – von der horizontalen

zur vertikalen Integration

2.1 Arbeitsprozesse und Arbeitsprozesswissen

Lernfeldorientierte Curricula nehmen die Prozessstruktur des beruflichen Handlungs- und

Erfahrungs feldes als Ausgangs- und Bezugspunkt für die Strukturierung des Curriculum. Diese

Struktur ist allerdings keinesfalls naturgegeben, sondern selbst Ergebnis menschlicher Analyse- und

Strukturierungstätigkeit; m. a. W. wir finden Prozesse nicht etwa vor, sondern wir konstruieren sie auf

der Grundlage begrifflicher Schemata und theoretischer Modelle.

Grundsätzlich geht es bei solchen curricularen Konstruktions- und Strukturierungsfragen um das

Problem, wie innerhalb eines komplexen, auf das gesamte berufliche Handlungsfeld bezogenen the-

matischen Raumes über Prozesse der Abgrenzung und der Bildung von Einheiten erkennbare Ord-

nung gestiftet und Komplexität reduziert werden kann. Denn es ist unumstritten, dass auch die Pro-

grammatik komplexer Lehr-Lern-Arrangements die Notwendigkeit anerkennt, dass die Komplexität

des realen Erkenntnisgegenstandes für Lehr-Lern-Zusammen hänge zumindest kognitiv reduziert1

werden muss, damit sie von den Lernenden schritt- bzw. schichtenweise erschlossen werden kann

(vgl. z. B. Achtenhagen/Tramm/Preiss et al. 1996).

Traditionell orientierte sich Unterricht im kaufmännischen Bereich an einer funktionalen Systema-

tik betrieblichen Geschehens, wie sie sich auch in der funktionslogischen Aufbauorganisation von

Unternehmungen widerspiegelt (Aufgaben und Fragestellungen aus dem Aufgabenspektrum des

Absatzes, der Beschaffung, des Rechnungswesens etc.). Diese Vorgehensweise entsprach zudem

der fachwissenschaftlichen Gliederung in funktionsorientierte spezielle Betriebswirtschaftslehren

(Absatzlehre, Beschaffungswirtschaft etc.) und erleichterte so einen disziplinorientierten Fachunter-

richt. Ihr Nachteil war, dass sie zu einer fragmentierenden Sicht betrieblichen Geschehens führte, im

1 Die kognitive Reduktion unterscheidet sich von der realen oder phänomenalen Reduktion dadurch, dass der Phäno-

menbereich hier zwar umfassend im Unterricht repräsentiert wird, dass jedoch die kognitive Durchdringung dieses

Gegenstandes in der Weise erfolgt, dass probleminduziert nacheinander jeweils spezifische Aspekte und Zusam-

menhänge thematisiert werden.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

80

Extrem zu einer „Schreib- und Ladentischperspektive“ (Reetz/Witt 1974), und damit den Blick für die

systemischen Zusammenhänge der Unternehmung verstellte.

Diese didaktische Problematik korrespondierte interessanter Weise auch einem zunehmend virulen-

tem Problem auf der betrieblichen Organisationsebene, das dort Anstoß für Ansätze einer prozess-

orientierten Reorganisation betrieblicher Strukturen war. Gaitanides u. a. (1994, S. 11f.) bringen die

Kernidee knapp auf den Begriff:

„Die herkömmliche Strategie der Gestaltung organisationaler Strukturen ist die ‚funktionale Ex-

zellenz’. Jeder Bereich, jede Abteilung wird nach spezifisch funktionalen Zielsetzungen für sich

optimiert, bis eine ‚erstklassige Performance’ erreicht ist.... Der Trugschluss dieser Ansätze liegt

in der Annahme, dass die Summe einzeln optimierter Abteilungen auch zu einem ganzheitlichen

Optimum führt. Dass dies in der Regel nicht eintritt, liegt daran, dass unterschiedliche, abtei-

lungsbezogene Zielsetzungen zu suboptimalen Lösungen und mithin zu Abstimmungsverlusten

zwischen den Abteilungen führen. Zielsetzungen müssen, wenn sie auf eine unternehmensweite

Gestaltung ausgerichtet sein sollen, für die einzelnen Wertschöpfungsketten des Unternehmens

formuliert werden. Reorganisation muss aus diesem Grund crossfunktional und prozessorientiert

erfolgen...“.

Aus organisationstheoretischer Sicht wurde mithin deutlich, dass die Kostenvorteile tayloristischer

Arbeitszerlegung durch erheblich aufwendigere Steuerungs- und Koordinationsprozesse erkauft

werden mussten, die bei zunehmend komplexeren Produktionsabläufen immer mehr ins Gewicht fie-

len und die Schnittsstellenprobleme dennoch immer deutlicher zu Tage treten ließen (vgl. auch Ham-

mer/Champy 1993). Die eigentlich wertschöpfenden, auf Seiten der Kunden Nutzen stiftenden Pro-

zesse traten gegenüber den Sekundärprozessen in den Hintergrund, Prozesstransparenz war eine

Sache von Experten. Programm der prozessorganisatorischen Reorganisation war demgegenüber,

die betriebliche Organisation ausgehend von den wertschöpfenden Prozessen neu zu organisieren

und dabei zugleich Arbeitsprozesse so zu gestalten, dass repetitive Teilarbeit zu Gunsten „vollstän-

diger Arbeitsprozesse …im Sinne der Zielsetzung, Planung, Durchführung, Bewertung der eigenen

Arbeit im Kontext betrieblicher Abläufe“ (Fischer 2000, S. 121) zurückgedrängt wird.

Eine solche Reorganisationsprogrammatik ist aus berufspädagogischer Sicht schon deshalb hoch

attraktiv, weil sie die kognitiven Orientierungs- und Regulationsleistungen der Arbeit aufwertet, weil

sie motivational die Arbeit des Einzelnen auch subjektiv erkennbar in den Gesamtleistungszusam-

menhang der Unternehmung stellt und weil sie damit insgesamt die Kompetenzbasis betrieblicher

Arbeit zu den Arbeitenden zurückverlagert und die Bedeutung beruflicher Kompetenzen und damit

auch der Berufsausbildung stärkt.

In diesem Sinne war es vor allem die Bremer Forschungsgruppe um Felix Rauner, die eine arbeitspro-

zessbezogene Reorganisation beruflicher Bildung propagierte, wie sie letztlich auch im Lernfeldkon-

zept ihren Ausdruck gefunden hat. Hierbei spielte das Konstrukt des „Arbeitsprozesswissens“ eine

wichtige Rolle, worunter das „Wissen um den Zusammenhang des Produktionsablaufs ..., das erfah-

renen Facharbeitern zu eigen ist“ verstanden wird. Dieses Wissen wird „im Arbeitsprozess unmit-

telbar benötigt, ... [es] wird meist im Arbeitsprozess selbst erworben, schließt aber die Verwendung

81

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

fachtheoretischer Kenntnisse nicht aus“ (Fischer 2000, S. 119ff.). Das Arbeitsprozesswissen bildet

damit den Kern beruflicher Kompetenz und wird deutlich gegenüber einer „Fachtheorie“ abgegrenzt,

als deren Ursprung die Fachwissenschaft angesehen wird.

In Abgrenzung vom bloßen Erfahrungswissen bindet Fischer den Begriff des Arbeitsprozesswissens

an einen Satz normativer Kriterien, die deshalb interessant sind, weil sie zugleich Postulate einer ar-

beitsprozessorientierten Ausbildung begründen. Fischer (ebenda, S. 119, vgl. auch S.176) führt aus,

dass mit dem

„Begriff ‚Arbeitsprozesswissen’ die mögliche Arbeitserfahrung im Hinblick auf drei Momente prä-

zisiert [wird]: Erstens ist Arbeitsprozesswissen das Resultat einer Verschmelzung von Arbeits-

erfahrung und Bildung /Qualifizierung. Zweitens enthält Arbeitsprozesswissen Kenntnisse um

Zweck und Ablauf des betrieblichen Gesamtar beitsprozesses. Drittens wird Arbeitsprozesswis-

sen in Problemsituationen akku mu liert, deren Bewältigung die Zielfindung, Planung, Durchfüh-

rung und Bewertung von Arbeitsprozessen einschließt.“

Die Konsequenzen der Orientierung am Arbeitsprozesswissen bei der Gestaltung beruflicher Bil-

dungsprozesse im Sinne einer arbeitsprozessorientierten Berufsbildungskonzeption lassen sich auf

drei Ebenen identifizieren:

- Auf intentionaler Ebene wird ein letztlich normatives Qualifikationskonzept verfolgt, das auf die

partizipative Gestaltung idealtypisch ganzheitlicher Arbeitsprozesse auf Facharbeiterebene ab-

zielt und dabei ein umfassendes Verständnis dieser Arbeitspro zesse in ihrer Mehrdimensionalität

voraus setzt (vgl. Fischer 2000, S. 296).

- Auf inhaltlicher Ebene steht das der Facharbeit inkorporierte Arbeits prozess wissen im Vorder-

grund, das primär im Arbeitsprozess selbst erworben wird. Dieser Arbeitsprozess wird als Ein-

heit der Zielbildung, Planung, Durchführung und Bewertung der Arbeit verstanden. Das Arbeits-

prozesswissen „bezieht sich auf den betrieblichen Gesamt arbeitsprozess, enthält also nicht nur

die Erfahrung repetitiver Teilarbeit, sondern auch Wissen um Zweck und Ablauf der Produktion“

(Fischer 2000, S. 176) Dieses Arbeitsprozess wissen, das explizite und implizite Teile umfasst, soll

empirisch erschlossen werden.

- Auf prozessualer Ebene geht es darum, dass das erforderliche Wissen über die Auseinanderset-

zung mit betrieblichen Arbeitsprozessen erworben werden soll. Lernen im Prozess der Arbeit ist

eine wesentliche Dimension dieses Qualifizierungsprozesses. Bezogen auf die Berufsschule wird

eine reflexive Auseinandersetzung mit betrieblichen Arbeits prozessen angestrebt, wobei ein be-

sonderes Potenzial in der Auseinandersetzung mit Störfällen, betrieblichen Problemen oder Ge-

staltungsaufgaben gesehen wird.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

82

Wichtig und weiterführend scheint uns an diesem Konzept, dass so Wissensbereiche in der Berufs-

schule Berücksichtigung finden, die als Handlungs- und Erfahrungswissen der Praxis in den korre-

spondierenden Fachwissenschaften nicht erfasst oder die durch disziplinäre Begrenzungen ausge-

blendet werden. Als problematisch erweist sich demgegenüber

- die sehr enge Perspektive auf das relevante Prozesswissen des aktuellen beruflichen Handlungs-

feldes;

- der eher punktuelle und fragmentarische Zugriff auf systematisches Wissen und schließlich

- die Vernachlässigung kognitiver Orientierungsbereiche, sowohl im Hinblick auf das systemische

Umfeld, in das die einzelnen Tätigkeitskomplexe eingebettet sind (die Baustelle, die Bauunterneh-

mung, die Bauwirtschaft, die Baukultur etc.) als auch im Hinblick auf die Struktur und Dynamik der

relevanten technologischen Wissensfelder (Werkstoffkunde, Bearbeitungstechniken).

Auf einer grundsätzlicheren Ebene scheint uns die mit diesem Zugang verbundene Dichotomisierung

und Segregierung von wissenschaftlich fundierter Fachtheorie und erfahrungsbezogenem Arbeits-

prozesswissen fatal, weil damit getrennt wird, was eigentlich im Qualifizierungsprozess aufeinander

bezogen werden sollte (vgl. Tramm 1994) und weil darin zugleich ein gesellschaftliches Modell hier-

archischer bzw. vertikaler Arbeitsteilung perpetuiert wird, das doch eigentlich gerade überwunden

werden sollte: Die Wissenschaft den Ingenieuren, das Arbeitsprozesswissen den Facharbeitern.

2.2 Von der Arbeitsprozessorientierung zur Geschäftsprozessorientierung

Die Rede von den „Arbeits- und Geschäftsprozessen“ führt zu einer semantischen Verknüpfung

zweier Konzepte, die aus ganz unterschiedlichen Kontexten heraus entstanden sind und deren pa-

radigmatische Kompatibilität keineswegs gesichert ist. Beiden gemeinsam ist ohne Zweifel der oben

geschilderte Anspruch einer horizontalen Integration betrieblicher Tätigkeiten oder Funktionen. In-

kompatibel scheinen sie jedoch in der Hinsicht, dass eine Fokussierung auf die operativen Tätigkei-

ten der Facharbeiter bzw. -angestellten und deren Wissensbasis, wie sie im Arbeitsprozesskonzept

Programm ist, zumindest mit dem wissenschaftlichen Konzept der Geschäftsprozessorientierung

nicht vereinbar ist. Im Folgenden soll ausgehend von der Idee der horizontalen Integration die Not-

wendigkeit einer vertikalen Integration kaufmännischer Berufstätigkeit in drei Schritten entfaltet

werden.

Für eine Adaptation des Prozessgedankens im kaufmännischen Bereich galt es zunächst einmal,

das Denken in Stellen und Abteilungen durch ein Denken in Vorgangsketten abzulösen, die die ganze

Unternehmung durchlaufen und an deren Anfang und Ende eine Interaktion mit dem Kunden steht:

Geschäftsprozesse sind in diesem Sinne mit Scheer „ereignisgesteuerte Vorgangsketten“, bei denen

im kaufmännischen Arbeitsbereich im Unterschied zum Fertigungsbereich keine Materialtransforma-

tionen, sondern Datentransformationen stattfinden (1997).

Eine solche Sicht, die noch in der Tradition der Arbeitsprozessbetrachtung steht, greift in mehrfa-

cher Weise zu kurz, weil sie die eigentümliche Mehrdimensionalität kaufmännischen Handelns im

83

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Hinblick auf deren Gegenstand, Zweck und Zielhorizont verfehlt. Die Hauptursache dafür dürfte die

Fokussierung auf die operativen Prozesse auf Sachbearbeiterebene sein und, damit verbunden, die

Vernachlässigung der dahinterliegenden, in den konkreten betrieblichen Regelungen geronnenen,

betriebswirtschaftlichen Entschei dungskalküle. In dieser Weise kann es zwar gelingen, aus der Ar-

beitsprozesssicht heraus eine horizontale Integration betrieblicher Arbeit zu modellieren, die vertika-

le Integration dieser Tätigkeiten in einen betriebswirtschaftlichen Sinnhorizont, wie sie mit Mertens in

der folgenden Abbildung visualisiert werden kann, wird damit jedoch verfehlt.

horizontal

vertikal

Planungs- und Entscheidungssysteme

Analyse- und Informationssysteme

Berichts- und Kontroll-systeme

WertorientierteAbrechnungssysteme

Mengenorientierte operative Systeme (Administrations-und Dispositionssysteme

Produktion Technik Beschaffung Vertrieb Personal

Integrierte Informationssysteme

Abb. 1: Horizontale und vertikale Integration betrieblicher Prozesssichten nach Mertens 1997, S.6

Einer Erschließung der horizontalen Perspektive aus einer Arbeitsprozesssicht heraus stehen drei

spezifische Reduktionismen entgegen, die in den folgenden Kapiteln dargelegt werden.

2.2.1 Ziel- und Zweckdimension kaufmännischen Handelns

Was unterscheidet die psychische Regulation der Arbeit eines kaufmännischen Angestellten von

der eines Tischlers? Aus dieser Fragestellung heraus hat Resch bereits 1988 im Anschluss an die

Handlungsregulationsmodelle von Volpert (1983) und Oesterreich (1981) ein Modell der Handlungs-

regulation geistiger Arbeit vorgelegt, das es erlaubt, die Spezifik kaufmännischer Tätigkeit präziser

zu erfassen. Im Zentrum des Modells steht die Differenzierung von „faktischem Handlungsfeld“ und

„Referenzhandlungsfeld“, womit sich die Annahme verbindet, dass die Tätigkeit von Kaufleuten sich

weitgehend in einem Bereich „symbolisierender Handlungen“ vollzieht, deren Bedeutung und auch

deren Wert sich erst dadurch ergibt, dass sie Handlungen in einem Referenzhandlungsfeld anbah-

nen, begleiten und/oder evaluieren. Eingriffe in dieses Referenzhandlungsfeld sind nur vermittelt über

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

84

Aktionen im faktischen Handlungsfeld möglich (s. Abb. 2). Kompetentes bzw. „nicht-partialisiertes“

(vgl. Volpert 1983) Handeln erweist sich darin, dass der Handelnde nicht allein aufgrund spezifischer

Handlungsregeln des faktischen Handlungsfeldes agiert, sondern die funktionale Anbindung solcher

Regeln an das Referenzhandlungsfeld durchschaut und damit aus der Funktionslogik des Referenz-

handlungsfeldes heraus verständig und flexibel agieren kann.

Inneres Modell

Faktisches Handlungsfeld� Objekte� Normen� Bedingungen

Handlungssubjekt

Referenzhand-lungsfeld� Objekte� Normen� Bedingungen

DirekteEingriffe

Indirekte Effekte

Abb. 2: Bezugsebenen kaufmännischen Handelns nach Resch 1988

Im Zentrum kaufmännischer Sachbearbeitertätigkeit im faktischen Handlungsfeld steht in der Regel

die Bearbeitung von Informationen, also die Datentransformation im Sinne Scheers. Diese Prozesse

isoliert vom Referenzhandlungsfeld zu thematisieren und zu optimieren mag Gegenstand einer Tech-

nologie bürokratischen Handelns oder, durchaus anspruchsvoller, auch der Wirtschaftsinformatik

sein, es verfehlt aber den Charakter einer kaufmännischen Tätigkeit, wie er mit Abbildung 3 zu illus-

trieren versucht wird.

Ebene der Informationsströme zur Anbahnung,Begleitung und Auswertung von Leistungsprozessen

Ebene der Real‐ und Nominalgüterströme, Leistungsprozessebene = Sachzielebene

Ebene der formalen und informellensozialen Transaktionen

Ebene der betrieblichen Wertschöpfung, monetär und nicht‐monetär, Formalzielebene

Abbildung 3: Dimensionen kaufmännischer Tätigkeit

85

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Informationsströme und Daten einer Unternehmung (auf der Ebene der Belegströme) dienen der An-

bahnung, begleitenden Kontrolle und Auswertung von Leistungsprozessen und/oder sozialen Trans-

aktionen (auf der Sachzielebene) und haben letztlich zu gewährleisten, dass diese Leistungsprozesse

und Transaktionen die Erreichung der wirtschaftlichen Formalziele ermöglichen, worunter wiederum

der Wertschöpfungsbeitrag bzw. das Gewinnziel eine herausragende Funktion einnimmt. Anders

akzentuiert: Der kaufmännische Fallbearbeiter muss in der Lage sein, einen konkreten Vorgang auf

allen drei Ebenen zu erfassen und abzubilden, er muss gedanklich zwischen diesen Ebenen hin und

her wechseln können. Die besondere Spezifik kaufmännischer gegenüber gewerblicher Tätigkeit liegt

darin, dass die Wertschöpfungsebene diejenige ist, auf der sich der Erfolg kaufmännischer Tätigkeit

letztlich erweist und auf die hin die Aktivitäten am Markt optimiert werden müssen. Demgegenüber

bildet der Wertschöpfungsbeitrag für gewerbliche Tätigkeiten i. d. R. allenfalls die Nebenbedingung

für sachzieldominierte Leistungen, deren Qualität sich mithin unmittelbar in der Güte der erbrachten

Produktions-, Reparatur- oder Dienstleistung erweist. Je stärker allerdings diese Perspektive über

den einzelnen Auftrag hinaus reflektiert wird, je mehr der Wertschöpfungsbeitrag auch hier thema-

tisiert wird (etwa über den Kostenaspekt), desto stärker geraten auch in solchen Arbeitszusammen-

hängen kaufmännische Kriterien in den Fokus.

2.2.2 Führungs- und Kontrollprozesse

Eine Prozessbetrachtung in Analogie zum Arbeitsprozesskonzept verfehlte in ihrer Beschränkung auf

die Ebene der operativen Sachbearbeitung systematisch den strategischen und normativen Horizont

kaufmännischer Tätigkeit und reproduzierte damit ein Modell vertikaler Arbeitsteilung, das mit der

Geschäftsprozessorientierung im Sinne der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie gerade

überwunden werden soll.

normatives Management

strategisches Management

operatives Management

operative Ausführungsebene

Unternehmenspolitik

Abstimmungsprozesse und Bereichspolitiken

Beschaffungs‐ Produktions‐ Planung und Absatzplanungplanung u. planung u. Kontrolle der und –kontrolle‐kontrolle ‐ kontrolle Informations‐

prozesse

B1    B2    B3        RW1      P1      P2      RW2        A1        A2      A3        RW3

Abbildung 4: Ausführungs-, Planungs- und Kontrollebenen betrieblichen Handelns nach Ulrich (1987)

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

86

Operatives Handeln in einer Unternehmung ist in ein hierarchisches System von Handlungsvorgaben

und Kontrollprozessen integriert, über die Zielvorgaben, Etats und Handlungsregeln definiert und mit

benachbarten Bereichen (oder Prozessen) abgestimmt werden (vgl. z. B. Ulrich 1987).

Für den Handelnden auf der operativen Ebene, der nicht mehr nur nach streng formalisierten büro-

kratischen Regeln stereotyp agiert, sondern innerhalb definierter Handlungsspielräume im Rahmen

des betrieblichen Ziel- und Strategiehorizontes flexibel am Markt operieren soll, ist das Verständnis

dieser operativen, strategischen und normativen Managemententscheidungen hoch relevant. Darü-

ber hinaus soll er sich mit seinen Handlungserfahrungen auch in den Prozess der Definition bzw. Re-

vision dieser Vorgaben mit einbringen.

Das System der Managemententscheidungen definiert somit das notwendige betriebliche Orientie-

rungsfeld des kompetenten Fallbearbeiters und zumindest teilweise auch seinen betrieblichen Mit-

wirkungsbereich. Entsprechend wird es aus curricularer Sicht erforderlich sein, einerseits Führungs-

und Kontrollprozesse der Unternehmung mit ihren spezifischen Problemstellungen und Handlungs-

strategien zu thematisieren und darüber hinaus auch solche betrieblichen Handlungsfelder, die nicht

unmittelbar auf die Erbringung von Marktleistungen gerichtet sind, zu berücksichtigen.

2.2.3 Supportleistungen als langfristige Basis betrieblicher Leistungsprozesse

Wenn im Sinne dieses komplexen Prozessverständnisses nicht Arbeitsprozesse auf Sachbear-

beiterebene, sondern Geschäftsprozesse als Dimensionen der betrieblichen Leistungserstellung

Bezugspunkt kaufmännischer Curricula sein sollen, stellt sich notwendig die Frage nach der Aus-

wahl bzw. treffender noch, nach der Modellierung exemplarisch relevanter Geschäftsprozesse. Ge-

schäftsprozesse sind keine empirischen Entitäten, sondern es sind Beschreibungen empi rischer

betrieblicher Abläufe auf der Grundlage einer vorgängigen theoretischen Modellie rung (vgl. dazu

Gaitanides/Ackermann 2004; Griese/Sieber 1999). In diesem Sinne erfolgt die Modellierung von Ge-

schäftsprozessen mit Bezug auf spezifische organisationstheoretische Konzepte, die seit Mitte der

90er Jahre unter Begriffen wie „Business Reengineering“ (Hammer/Champy 1993), „Wertkettenmo-

dell“ (Porter 1986), „Prozessmanagement“ oder „Geschäftsprozessmodellierung“ (Gaitanides et al.

1994) diskutiert werden. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie im Unterschied zu den Arbeitsprozess-

betrachtungen nicht aus der Perspektive des Facharbeiters bzw. Sachbearbeiters formuliert sind,

sondern die Gesamtheit der betrieblichen Leistungs erstellung in den Blick nehmen, also quasi den

„ideellen betrieblichen Gesamthandelnden“ (vgl. Tramm 1996).

Ein drittes tendenzielles Reduktionsfeld hängt mit dieser Modellierungsentscheidung und einer ver-

breiteten Betonung des Vorranges unmittelbar wertschöpfender Prozesse sowie einer Zurückdrän-

gung von Unterstützungsprozessen zusammen, denen häufig kein positiver Wertschöpfungsbeitrag

beigemessen wird. Dies kann im direkten Rückgriff auf organisationstheoretische Konzepte des Ge-

schäftsprozessmanagements konkretisiert werden. In Anlehnung an das Modell der „aggregierten,

differenzierungsfähigen Leistungsprozesse“ von Sommerlatte/Wedekind (1990) haben Gaitanides

87

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

et al. (1994) ein idealtypisches „kundenorientiertes Unternehmensmodell“ entwickelt, in dem sie sys-

tematisch zwischen den (unmittelbar kundenbezogenen) Kernleistungen und den Supportleistungen

bzw. -prozessen einer Unternehmung unterscheiden (vgl. Abb. 5). Letztere dienen dazu, die langfris-

tige Leistungsfähigkeit der Unternehmung zu gewährleisten und ihr damit zugleich die entscheiden-

den Wettbewerbsvorteile am Markt zu sichern.

Unternehmensprozesse

Supportleistung Kernleistung

Personal betreuen

Finanzielle Steuerung: Rentabilität und Liquiditätsicherstellen

Ressourcen bereitstellen

Informations‐versorgungsicherstellen

Leistungsangebot definieren

Leistung entwickeln

Leistung herstellen

Leistung vertreiben

Leistung erbringen

Auftrag abwickeln

Leistung

Design

Produkt

Angebot

Service

Auftrag

KUNDE

Abbildung 5: Idealtypisches Modell kundenorientierter Leistungsprozesse einer Unterneh mung nach

Gaitanides et al. (1994, S. 17)

Curricular verbindet sich damit die Frage nach dem Stellenwert der Supportprozesse in einem kauf-

männischen Lehrplan. Ein Blick auf den Rahmenlehrplan der Bankkaufleute aus dem Jahr 1997 zeigt

beispielsweise, dass sich dessen Lernfelder unter dem Leitbild des „verkaufsorientierten Bankange-

stellten“ ganz eindeutig auf die direkte Vermarktung von Bankdienstleistungen konzentrieren, wäh-

rend Supportbereiche wie Personalwirtschaft, Investition und Finanzierung, betriebliche Informatik

oder Organisation völlig fehlen. Damit werden aber genau solche Entscheidungs- und Handlungsfel-

der vernachlässigt, auf denen mittel- und langfristig die Grundlagen für ein erfolgreiches Agieren am

Markt und das Überleben der Unternehmung gelegt werden. Felder zudem, die aus der Arbeitneh-

merperspektive von höchster Relevanz sein dürften, man denke hier nur an die Rationalisierungswel-

le im Bankensektor oder die Folgen der internationalen Krise des Finanzmarktes.

Resümierend kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass eine Prozessorientierung kaufmänni-

scher Curricula unter der Leitidee qualifizierter kaufmännischer Fallbearbeitung und zukunftsoffener

Kompetenzen sich nicht auf die Rekonstruktion von Arbeitsprozessen auf der operativen Ebene be-

schränken kann, sondern die Einbettung dieser Tätigkeiten in den Gesamtzusammenhang betriebli-

cher Zielorientierungen, Gestaltungs- und Strategieentscheidungen mit reflektieren muss. Vor dem

Hintergrund dieser letztlich normativ begründeten Entscheidung, löst sich auch der scheinbare Wi-

derspruch von Wissenschafts- und Situationsorientierung im curricularen Zielbereich weitgehend

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

88

auf. Folgt man nämlich dieser Qualifikationsidee und integriert Aspekte des operativen, strategischen

und normativen Managements in das Curriculum, so ist dies nur durch Einbeziehung von Fragestel-

lungen und Konzepten der wissenschaftlichen Betriebswirtschafts- bzw. Managementlehre zu leis-

ten. Würde man hierauf zugunsten einer am Arbeitsprozesswissen von Sachbearbeitern orientierten

Konzeption verzichten, so würde man nicht nur die Wissenschaftsorientiertheit des Curriculums

preisgeben, man würde vor allem den Anspruch einer fundierten beruflichen Orientierungs- und

Handlungskompetenz im kaufmännischen Bereich verfehlen.

3 Vom Geschäftsprozess zur systematischen Wissensbasis von Kompe-

tenzen

In dem hier entwickelten Argumentationszusammenhang werden Geschäftsprozesse primär als Me-

dium betriebswirtschaftlichen Lernens verstanden. Der Berufsschulunterricht zielt nicht allein und

bei genauer Betrachtung nicht einmal primär auf die Beherrschung der diesen Geschäftsprozes-

sen immanenten operativen Arbeitsprozesse ab, sondern vielmehr darauf, aus dem pragmatischen

Handlungs- und Problemzusammenhang dieser Geschäftsprozesse heraus

- einerseits ein umfassendes und differenziertes ökonomisch-betriebswirtschaft liches Systemver-

ständnis zu entwickeln. In diesem Sinne erlaubt die Prozessperspektive die sukzessive Erschlie-

ßung des komplexen Erfahrungs- und Lerngegenstandes Betrieb;

- andererseits einen Zugang zu systematischem Wissen und begrifflicher Erkenntnis zu eröffnen

und also aus dem praktischen Handlungs- und Problemzusammenhang heraus einen Weg zu den

wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen und Aussagesystemen zu finden.

Der entscheidende Unterschied zu einem herkömmlich wissenschaftsorientierten Unterricht liegt

aus unserer Sicht darin, dass die angestrebten begrifflich-systematischen Erkenntnisse mit Blick auf

berufliche Handlungs- und Orientierungskompetenz sowie ergänzend im Hin blick auf die Befähigung

zum lebenslangen Lernen in dieser Domäne zu begründen sind.

Unter curriculumstrategischem Aspekt scheint uns grundsätzlich eine Vorgehensweise sinnvoll,

durch die eine situationsorientierte Sicht mit einer wissenschaftsorientierten Perspektive über eine

Matrixbetrachtung verknüpft wird (vgl. Abbildung 6). Mit dieser Matrix werden zwei parallel laufende

Suchprozesse aufeinander bezogen: Einerseits sollte danach gefragt werden, für welche Geschäfts-

prozesse der Lernende qualifiziert werden soll bzw. in welchen Problemzusammenhängen er sich

orientieren können soll. Hierbei ist zu bedenken, dass das Ziel der beruflichen Handlungs- und Orien-

tierungsfähigkeit durchaus nicht auf den betrieblichen Handlungsrahmen begrenzt ist, sondern z. B.

auch die Orientierung in der Ausbildung zu Beginn oder in der Situation des Arbeitssuchenden am

Ende der Ausbildung mit einschließt. Andererseits ist danach zu fragen, welche prozessübergreifen-

den Erkenntnisse und Kompetenzen über die Auseinandersetzung mit solchen Prozessen in exemp-

larischer Weise erworben werden.

89

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Abbildung 6: Matrix zur Verknüpfung situations- und wissenschaftsbezogener Aspekte bei der

curricularen Umsetzung des Lernfeldansatzes (Tramm 2003)

Mit der Formulierung von Kompetenzen auf der Prozessebene werden zugleich implizite Annahmen

über die entsprechende Wissensbasis getroffen, die im Zuge der didaktischen Analyse zu erschlie-

ßen ist. Dies gilt zunächst für die operative Ebene, also die Ebene der regelgeleiteten Durchführung

von Tätigkeiten unter Einbeziehung taktischer Anpassungsleistungen an kurzfristig variierende Um-

weltbedingungen. Einen tieferen Zugang zu betriebswirtschaftlichen Fragestellungen eröffnen Pro-

bleme auf einer strategischen Ebene, die sich etwa durch die dauerhafte Veränderung von Umwelt-

bedingungen, durch die Variation unternehmerischer Zielsetzungen und Strategien, Abstimmungs-

probleme zwischen Teilbereichen oder durch spezifische Gestaltungsprobleme ergeben. Es wäre

über curriculare Analysen zu klären, welche Probleme dieser Art eine besondere praktische Relevanz

und/oder einen hervorgehobenen Stellenwert als Zugang zu grundlegenden fachwissenschaftlichen

Problemsichten, Konstrukten oder Begriffen besonderer Reichweite haben (vgl. dazu auch Bader/

Schäfer 1998, Bader 2000). Je stärker die Analyse auf Probleme und Inhalte oberhalb des operativen

Routinebereichs ausgeweitet wird, desto mehr stößt eine rein prozessbezogene Sicht an ihre Gren-

zen, wird eine orthogonal dazu liegende, prozessübergreifende Sicht erforderlich.

Diese Suchrichtung, die auf kategoriale Begriffe und Schlüsselprobleme im Sinne Klafkis (1963,

1996) hinausläuft, sollte in einem weiteren, eigenständigen Analyseschritt unabhängig von kon-

kreten Prozessvorstellungen durchgeführt werden. Welches sind übergreifende und grundlegende

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

90

Denkfiguren, disziplinbestimmende Grundprobleme, Kernbegriffe der Ökonomie, wie z. B. die Idee

der komparativen Kosten, der gerechte Preis, die Allokationsproblematik, die Grenzwertbetrach-

tung, die Idee der Kundenorientierung, der Geschäftsprozessansatz oder auch die Sinnhaftigkeit der

rechtlichen Normierung wirtschaftlichen Handelns.

4 Von der Geschäftsprozessperspektive zur Lernprozessperspektive

4.1 Das Problem der Segmentierung des Lern- und Entwicklungsprozesses in lernfeldstrukturierten Curricula

Diese soeben dargestellte curriculare Planungsrationale war Grundlage einer Reihe von Projekten

zur Umsetzung des Lernfeldansatzes, die seit Ende der 90er Jahre in Hamburg unter unserer wissen-

schaftlichen Begleitung durchgeführt wurden (CULIK, Lerne*MFA, EvaNet*EH). Grundidee hierbei

war es, dass die Umsetzung des Lernfeldansatzes wegen der damit verbundenen intensiven curricu-

laren Konkretisierungsbedarfe nur im Lehrerteam gelingen kann und dass es daher von entscheiden-

der Bedeutung sein würde, kooperative Formen der Planung und Umsetzung des Lernfeldunterrichts

an den einzelnen Schulen aber auch über Schulen hinweg zu organisieren.

Von entscheidender strategischer Bedeutung war dabei die Unterscheidung einer lernfeldbezogenen

(horizontalen) Planungsperspektive mit Blick auf den Prozess- und Problembezug beruflicher Curricu-

la von einer vertikalen Planungsperspektive, in der ein Kompetenzentwicklungsprozess lernfeldüber-

greifend auch unter Berücksichtigung fachsystematischer Aspekte zu thematisieren ist (vgl. Abb. 7).

Lernfelder

Entwicklung konkret-prozess-bezogener Fähigkeiten, Fertig-keiten und Kenntnisse

Entwicklung erkenntnisbezogener Kompetenzen, prozessübergreifenddefiniert im Hinblick auf systematische Kernbegriffe und Strukturwissen

Kompetenzen über alle Lernfelder

Entwicklung prozessübergreifenderFähigkeiten und Einstellungen

PerspektiveProzesse

PerspektiveSystematik

Abb. 7: Prozessbezogene und prozessübergreifende Kompetenzen im Lernfeldcurriculum

91

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Die Notwendigkeit einer solchen lernfeldübergreifenden Planungsperspektive ergab sich aus dem

Spannungsfeld einer idealtypisch spiralcurricular angelegten Struktur des Lernfeldunterrichts ei-

nerseits und der auf arbeitsteilige Planung und teilweise auch Unterrichtsdurchführung angelegten

realtypischen Praxis der Lernfeldarbeit andererseits. Dies führte zu der paradoxen Situation, dass

sich aus der Intention heraus, die Partialisierung des Lerngegenstandes durch eine prozessorien-

tierte Sicht betrieblicher Abläufe zu überwinden, eine Partialisierung der curricularen Planung

und damit auch des Lernprozesses zu ergeben drohte, weil die curriculare Planung in konsekutiv

aufeinander folgenden Lernfeldern erfolgte, ohne dass dabei die vorher durchlaufenen und später

folgenden Lernprozesse systematisch mit in den Blick genommen wurden. Hierin zeigte sich ein zen-

trales Desiderat des Lernfeldansatzes gegenüber einem zumindest der Möglichkeit nach integriert zu

entwickelnden kohärenten Fachlehrgang.

4.2 Die Lernfeld-Kompetenzdimensionen-Matrix im Bereich der Medizinischen Fachangestellten

Im Projekt Lernfeldinnovationsnetzwerk Medizinische Fachangestellte (Lerne*MFA) kooperieren seit

2003 berufliche Schulen aus sieben Bundesländern bei der Umsetzung des zum Schuljahr 2006/07

neugeordneten Ausbildungsberufes Medizinische Fachangestellte. Auch hier war nach der ersten

Phase arbeitsteiliger Entwicklungsarbeit sehr schnell deutlich geworden, dass die Lernfelder der KMK

keine Klarheit darüber vermitteln, auf welche Kompetenzen aus vorherigem Unterricht im jeweiligen Lernfeld aufgebaut werden kann, wie weit die Schüler in bestimmten Kompetenzbereichen in diesem

Lernfeld kommen sollen und was noch in zukünftigen Lernfeldern geleistet werden soll. Aus der Pers-

pektive der Planung einzelner Lernfelder geriet damit die individuelle Entwicklungsperspektive in den

Kompetenzbereichen aus dem Blick. Umgekehrt wurde deutlich, dass bestimmte Kompetenzbereiche

– seien es methodische oder kommunikative Fähigkeiten, seien es fachliche Grundlagen in der Ana-

tomie, der Biologie oder der Abrechnung – in verschiedenen Lernfeldern angesprochen werden. Des-

halb wurde beschlossen, parallel zur Erarbeitung der einzelnen Lernfelder Kompetenzdimensionen

zu definieren, die über die Lernfelder hinweg zu entwickeln waren (vgl. Abbildung 8).

Kompetenzdimension Medizinische Fachangestellte

BAP Berufsrolle, Berufsausbildung, Berufsperspektiven

KPB Kommunikation, Patientenbetreuung und -beratung

MBG Medizinisch-biologische Grundlagen

GUH Gesundheitsschutz und Hygiene

ADT Assistenz bei Diagnostik und Therapie und delegierbare medizinische Leistungen

VAD Verwaltung und Abrechnung, Information, Dokumentation, Datenschutz

BQM Betriebsorganisation und Qualitätsmanagement

Abb.:8: Kompetenzdimensionen Medizinischer Fachangestellter

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

92

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wurden in einer standortübergreifenden Koordinations-

gruppe Kompetenzdimensionen in folgender Weise pragmatisch konkretisiert:

1. Ausgehend von einer vorläufigen Definition möglicher Kompetenzdimensionen wurden die Kom-

petenzziele der einzelnen Lernfelder im KMK-Rahmenlehrplan den Kompetenzdi mensionen zuge-

ordnet.

2. Parallel dazu wurden die kompetenzbezogenen Aussagen der einzelnen Lernfeldteams ebenfalls

den Kompetenzdimensionen zugeordnet.

3. In einer ersten Inhaltsanalyse konnte das System der Kompetenzdimensionen konsolidiert wer-

den. Zugleich ergab sich aus der Analyse des Rahmenlehrplans und der schulischen Dokumente,

dass sich in den einzelnen Kompetenzdimensionen aus der Summe der Aussagen weder ein kla-

res Bild über die angestrebte Gesamtkompetenz ergab noch eine auch nur näherungsweise trenn-

scharfe Definition des Beitrages der einzelnen Lernfelder zur Entfaltung dieser Kompetenz.

4. Deshalb setzte sich die Koordinationsgruppe die Aufgabe, die Kompetenzdimensionen zu konkre-

tisieren, d. h. konkret

a) in den jeweiligen Dimensionen eine Gesamtkompetenz zu formulieren, die nach erfolgreicher

Ausbildung erreicht sein soll;

b) in den jeweiligen Kompetenzdimensionen einen idealtypischen Prozess der Kompetenzentwick-

lung zu modellieren, der sich nach unserer Einschätzung im Bereich eher kognitiv geprägter

Kompetenzdimensionen (z. B. medizinisch-biologische Grundlagen) anders darstellen dürfte als

etwa bei der Ausbildung beruflicher Identität oder kommunikativer Kompetenz;

c) auf dieser Grundlage zu klären, welche Lernfelder einen substanziellen Entwicklungs beitrag in

dieser Kompetenzdimension leisten können und diesen jeweils sprachlich eindeutig zu benen-

nen und über Angaben zur korrespondierenden Wissensbasis zu spezifizieren.

Der Koordinationsgruppe war dabei klar, dass sie ihre Aufgabe zunächst nur auf einem Niveau be-

gründeter Annahmen und pragmatischer Plausibilität würde leisten können. Im Grunde kennzeichnen

die Schritte 4a bis c ein komplexes wissenschaftliches Forschungs programm, auf dessen Ergeb-

nisse man angesichts des praktischen Handlungs- und Orientierungsdrucks jedoch nicht warten

konnte. Aus diesem Grunde versuchte man die Arbeitsergebnisse sehr schnell als pragmatische Vor-

schläge an die Gesamtgruppe zurückzukoppeln, um dann nach einer grundsätzlichen Verständigung

Rückmeldungen und konkrete Vorschläge an die Lernfeldgruppen geben zu können.

Hierbei spielte zunächst eine in Excel dargestellte Matrix eine zentrale Rolle, in deren Struktur die

Planungsrationale abgebildet war und in deren Zellen die Beiträge der einzelnen Lernfelder zum Er-

werb der jeweiligen Kompetenzdimensionen spezifiziert wurden. Diese Matrix wurde in einer Papier-

fassung, in der der Kompetenzentwicklungsbeitrag in den einzelnen Zellen ausformuliert war, allen

Standorten frühzeitig zur Verfügung gestellt. Diese Matrix hatte ein Format von ca. 3,80 m x 1,30 m,

war also gleichermaßen beeindruckend wie unhandlich.

93

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Mittlerweile, d. h. nachdem alle beteiligten Schulen sich auf diese Matrix verständigt haben, bildet

diese Matrix als zentrales Element einer Internetpräsenz die Steuerstelle eines komplexen curricula-

ren Planungsdokuments (s. Abb. 9), dass unter der Adresse www.lerne-mfa.de eingesehen werden

kann.

Im Planungsprozess können Kolleginnen einzelne Lernfelder – ihre zentrale Planungsebene – anwäh-

len und erhalten dort Informationen

- zur curricularen Analyse, insbesondere zur Funktion des Lernfeldes im curricularen Gesamtzu-

sammenhang und zu den anzustrebenden Kompetenzen;

- zur Strukturplanung, d. h. zur Gliederung des Lernfeldes in größere Einheiten;

- zur Makrosequenzierung, d. h. zur didaktischen Grobplanung auf der Ebene dieser curricularen

Einheiten bis hin zu konkreten Lernsituationen;

- zu konkreten Unterrichtsmaterialien.

Abb. 9: Screenshot: Lernfeld-Kompetenzdimensionen-Matrix aus der Internetpräsenz

www.lerne-mfa.de

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

94

Sie können aus den Lernfeldern heraus ersehen, welche Kompetenzdimensionen in diesen jeweils

angesprochen werden und sie können sich für einzelne Kompetenzdimensionen anzeigen lassen, in

welchen Lernfeldern hierauf bezogen welcher Beitrag geleistet wird (s. Abb. 10).

Abb.: 10: Screenshot: Kompetenzdimension „Berufliche Identität entwickeln“

Damit verbindet sich die Vorstellung, dass eine individuelle Entwicklung in den einzelnen Kompetenz-

dimensionen grundsätzlich über die Lernfelder hinweg und über den Gesamtzeitraum der Ausbildung

erfolgt, dass jedoch in den einzelnen Lernfeldern diese Kompetenzentwicklung in je spezifischer Wei-

se angeregt, gefördert und unterstützt wird. Dabei scheint charakteristisch, dass es Lernfelder mit

besonderen Affinitäten zu bestimmten Kompetenzdimensionen gibt, dass es andererseits Lernfelder

geben wird, in denen eine spezifische Kompetenzdimension keine besondere Beachtung findet und

dass es schließlich die Variante geben wird, dass es sinnvoll und möglich ist, in einem Lernfeld eine

Kompetenzdimension über eine Entwicklungs- oder Lernaufgabe anzusprechen, auch wenn diese

hierin nicht im Vordergrund steht. Diese Überlegungen illustriert Abbildung 11 mit Bezug auf die Kom-

petenzdimension „Berufsrolle, Berufsausbildung, Berufsperspektiven“.

95

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Berufsrolle, Ausbildung, Perspektiven

Kommunik., Betreuung, Beratung

Betriebsorga-nisation und

Qualitätsmana-gement

Abrechnung, Dokumentation,

Information

Gesundheits-schutz und

Hygiene

Assistenz bei Diagnostik und

Therapie

Im Beruf und Gesundheitswesen orientieren

Patienten empfangen und begleiten

Praxishygiene und Schutz vor Infektionskrankheiten

Diagnostik und Therapie Erkrankungen Bewegungsapparat

Zwischenfällen vorbeugen und in Notfallsituationen helfen

Waren beschaffen und verwalten

Praxisabläufe im Team organisieren

Diagnostik und Therapie Erkrankungen Urogenitalsystem

Diagnostik und Therapie Erkrankungen Verdauungssystem

Assistenz bei kleinen chirurgischen Behandlungen und Wundversorgung

Berufliche Perspektiven entwickeln

Patienten bei der Prävention begleiten

Thematischer Akzent auf Kompetenz-dimension

Mediz.-biolog.

Grundlagen

Abb.11: Entwicklungsschwerpunkte der Kompetenzdimension Berufsrolle, Berufsausbildung,

Berufsperspektiven im Curriculum MFA

4.3 Kompetenzdimensionen im kaufmännischen Bereich

Der Transfer dieser Überlegungen auf den kaufmännischen Bereich ist derzeit in einem Projekt am

weitesten gediehen, das der Evaluation eines Lernfeldentwicklungsnetzwerkes der vier Einzelhan-

delsberufsschulen in Hamburg gewidmet ist (EvaNet*EH). In einem heuristischen Prozess erfolgte

die Definition von Kompetenzdimensionen hier mit Blick auf das Handlungsebenenmodell von Resch

und auf der Grundlage einer systemtheoretischen Konzeption in Anlehnung an das St. Gallener Ma-

nagementkonzept von Hans Ulrich (vgl. Abb.12).

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

96

Informations- und Dokumentationsprozesse, Wissensmanagement

logistische Prozesse(Güterströme, Geldströme, Dienstleistungen)

Arbeitsprozesse

Ressourcenmanagementprozesse

organisatorische und personalwirtschaftliche Prozesse

InformationenMenschen Güter

Juris

tisch

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Marktlicher Handlungsrahmen (definiert Marktpotenziale)

Marketingprozesse

Wertschöpfungsprozesse

Werkzeuge, Medien und Arbeitsumwelt

Bedeutungs kontext

Referenzebenen kfm. Handelns

Abb. 12: Referenzebenen kaufmännischen Handelns

Hieraus wurden in einem diskursiven Entwicklungsprozess mit Vertretern der beteiligten Schulen die

in der folgenden Tabelle (Abb. 13) dargestellten Kompetenzdimensionen entwickelt. Hierbei handelt

es sich um eine im pragmatischen Kontext erarbeitete Verständigungsgrundlage für kooperative cur-

riculare Entwicklungsarbeit, die im weiteren curricularen Kon kretisierungsprozess fortgeschrieben

und ggf. auch revidiert werden muss.

Wie schon bei den medizinischen Fachangestellten werden neben den auf Aspekte der Sachkom-

petenz bezogenen Dimensionen auch solche ausgewiesen, die die Bereiche der Selbst- und Sozial-

kompetenz sensu Roth (1971) sowie einer auf Arbeiten und Lernen bezogenen Methodenkompetenz

betreffen. Der aktuelle Stand der Entwicklungsarbeit kann auf der Internetseite http://www.ibw.uni-

hamburg.de/evaneteh/ eingesehen werden.

97

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

Kürz. Kompetenzdimensionen Subdimensionen

BI Berufliche Identität

- Identität und Berufsrolle -Berufsethos- Gesundheitsförderung- Berufsbildung

SIKSoziale Interaktion und Kommunikation

LATProzessübergreifende Lern- und Arbeitstech-niken

- Informationen erschließen, erarbeiten und präsentieren- Arbeit organisieren, reflektieren und optimieren- Lernen organisieren

GWRGesamtwirtschaftlicher Rahmen

- Ordnungsrahmen- Marktmodelle- Wirtschaftspolitik - Nachhaltigkeit

SYST Systemverständnis

- Ziele und Zwecke- Strukturen und Prozesse- Umwelt und Interaktion- Systemdynamik und Lernen

NORM Rechtliche Normierung

- Vertragsrecht- Gesellschaftsrecht- Arbeitsrecht- Schutzrecht- Steuerrecht

WUCWertschöpfung und Con-trolling

- Liquiditätssicherung- kaufm. Rechnen- Kosten- und Leistungsrechnung- Finanzbuchhaltung

BWPBetriebswirtschaftliche Prozessdimensionen

- Logistik- Absatzmarkt und Kundenbeziehungen- Informationswirtschaft- Personalwirtschaft

Abb. 13: Kompetenzdimensionen im Einzelhandel

Unabhängig von diesem pragmatischen Status der Operationalisierung der Kompetenzdimensionen

sowie der Zuweisung des spezifischen Entwicklungsbeitrages zu einzelnen Lernfeldern sollten die

systematische Begründung der Kompetenzdimensionierung, die Formulierung der im Bildungsgang

angestrebten Kompetenzen, die intendierte Entwicklungssequenz und damit verbunden die Zuwei-

sung der spezifischen Entwicklungsbeiträge an die einzelnen Lernfelder Gegenstand curricularer

Forschung und eines wissenschaftlichen Diskurses sein (vgl. dazu Lesch 2007, Tramm/Derner/Hof-

meister 2009).

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

98

5 Fazit

Die Diskussion darüber, welche Konsequenzen aus der mittlerweile fast flächendeckenden Verbrei-

tung von ERP-Programmen in der kaufmännischen Praxis zu ziehen sind, ist spätestens mit der Fach-

tagung Wirtschaft und Verwaltung auf den Hochschultagen Berufliche Bildung 2008 in Nürnberg ins

Blickfeld der Fachöffentlichkeit gerückt. Ich will zum Abschluss dieses Beitrags versuchen, einige

Entwicklungsoptionen systematisch aufzufächern und die damit verbundenen Gefahren und Chan-

cen anzusprechen. Dabei beziehe ich mich auf meine bisherigen Ausführungen und werde nicht jede

Positionierung nochmals umfassend begründen.

Es ist offensichtlich, dass jeder, der sich aus einer berufs- und wirtschaftspädagogischen Perspek-

tive mit den Konsequenzen der Verbreitung von ERP-Programmen im kaufmännischen Bereich aus-

einandersetzt, diese in den Zusammenhang des Denkens in Geschäftsprozessen, der Qualifizierung

für Geschäftsprozesse und des Lernens in Geschäftsprozessen stellt. Hierbei steht jedoch, jenseits

der pauschalen Etikettierung, eine berufs- und wirtschaftspädagogisch bedeutsame paradigmati-

sche Grundsatzentscheidung im Raum, ob nämlich ERP-Einsatz und Prozessorientierung aus einer

eher technologischen und damit aus meiner Sicht zugleich reduktionistischen Perspektive verstan-

den und curricular-didaktisch umgesetzt werden, oder ob dieser Impuls genutzt wird, anstehende

Reformen beruflicher Bildung in Richtung auf eine Orientierungs- und Handlungskompetenz ent-

schlossen voranzutreiben, die auf theoretischer Durchdringung beruflicher und gesellschaftlicher

Praxis beruht.

Ich will diese Alternative mit Blick auf drei Dimensionen konkretisieren:

- ERP und Prozessorientierung sind Signaturen einer Veränderung der Organisation und der Inhalte

beruflicher Arbeit und damit auch der Qualifikationsanforderungen, auf die sich berufliche Bildung

zu beziehen hat. Eine aus meiner Sicht sehr vordergründige Antwort auf diese Herausforderung

läge darin, auf die Arbeit mit ERP-Programmen an eng definierten Schnittstellen vorzubereiten.

Entscheidend und durchaus nicht trivial scheint mir vielmehr die Frage, wie eine ERP-integrieren-

de Arbeit aussieht, auf die hin qualifiziert werden soll. Auch wenn Unternehmen mit integrierten

Datensystemen arbeiten, bedeutet dies keinesfalls, dass die Schneidung der einzelnen Stellen

nicht wieder eng an traditionellen Funktionen orientiert sein kann, dass der Entscheidungsspiel-

raum des Einzelnen und sein Einblick in die Prozessabläufe oder gar Datenstrukturen des Systems

Unternehmung nicht streng limitiert bleibt. Die Workflow-Archi tektur, nach der klar definierte Ar-

beitsimpulse aus dem ERP-System eindeutig definierte Aktivitäten abrufen, ist ein gutes Beispiel

solcher letztlich re-taylorisierender Strategien. An dieser Stelle sollte berufliche Bildung, gerade

auch unter den normativen Verpflichtungen die sich aus dem Bildungsauftrag der Berufsschule so-

wie den KMK-Rahmenvereinbarungen dazu ergeben, einer klare Orientierung auf ein normatives

Qualifikationsleitbild verfolgen. Es muss der Berufsschule um eine berufliche Handlungskompe-

tenz gehen, die auf verständiges, sach- und sozialeinsichtiges sowie moralisch verantwortliches

Handeln (Roth 1971) in komplexen betrieblichen Strukturen zielt. Funktional gesprochen würde

dies bedeuten, die besseren betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten, die in der Geschäftsprozes-

sorientierung und den dahinter liegenden integrierten Datensystemen liegen, dadurch besser als

99

Von der Geschäftsprozess- zur Lernprozessperspektive

bislang auszuschöpfen, dass nicht länger die kognitiven Verarbeitungsmöglichkeiten und/oder die

motivationalen Barrieren der Mitarbeiter als limitierender Faktor wirksam bleiben.

- Von diesem Qualifikationsleitbild hängt auch ab, in welcher Weise ERP und Prozessorientierung

als Lerngegenstand aufgefasst und thematisiert werden. Einerseits kann dies wieder technisch

geschehen, wobei der Fokus auf der spezifischen Fachterminologie, den Symbolsystemen und der

Bearbeitungslogik läge, die zu erschließen wären. Tiefer gehend und im Sinne des oben skizzierten

komplexen Leitbildes wäre damit jedoch nur die Oberflächenstruktur angesprochen, hinter der lie-

gend der eigentliche Lerngegenstand in den Leistungsprozessen, den korrespondierenden Wert-

schöpfungsprozessen und den hierauf bezogenen betriebswirtschaftlichen Problemen läge. Die

Frage ist also, ob über die Arbeitsprozesse und Bearbeitungsroutinen zu den dahinterliegenden

Problemen und Problemlösungen auf der integrierten Geschäftsprozessebene vorgestoßen wird.

Die Frage ist auch, ob für die Schüler jeweils nur (modular) einzelne Funktionsbereiche mit ihren

Abläufen als Teilprozesse thematisiert werden oder ob es gelingt, aus der jeweiligen Perspektive

heraus den Gesamtzusammenhang der betrieblichen und Unternehmensprozesse zu thematisie-

ren.

- Damit ist die Ebene der Lernprozessgestaltung angesprochen: Das Lernhandeln in (realen, simu-

lierten oder auch nur vorgestellten, imaginativen) Arbeits- und Geschäftsprozessen und, indem

dieses selbst auf einer reflexiven Ebene wieder zum Gegenstand unterrichtlicher Auseinanderset-

zung wird, das Lernen am Arbeits- und Geschäftsprozess. Zentral hierfür ist, wie diese Prozesse

im und für Unterricht repräsentiert werden, wie sie abgebildet werden und in welcher Weise sie

den Lernenden damit zugänglich sind. Dies hängt hochgradig mit der schon angesprochenen Ebe-

ne der Definition des Lerngegenstandes zusammen und also mit der Frage, welche Prozesse im

Unterricht abgebildet werden. Handelt es sich ausschließlich um operative Prozesse oder werden

die dahinter liegenden betriebswirtschaftlichen Probleme, Kalküle und Entscheidungen mit the-

matisiert? Handelt es sich ausschließlich um kundenbezogene Kernprozesse, oder werden auch

Supportprozesse und Managementprozesse mit in den Blick genommen? Werden nur funktionale

Teilprozesse (Beschaffungsprozesse, Absatzprozesse etc.) aus einer isolierten Perspektive nach

spezifischen (und begrenzten) Entscheidungskriterien thematisiert, oder wird aus der funktionalen

Perspektive auch die Verknüpfung mit den anderen Teilprozessen und Prozessebenen sichtbar.

Werden ggf. systemische Zusammenhänge allein auf der symbolischen Ebene der Finanzbuch-

haltung hergestellt, oder kann es aufgrund der Datenstruktur gelingen, die Finanzierungs- und

Wertschöpfungsebene mit den dahinter liegenden Leistungsprozessen in Beziehung zu setzen. All

dies hängt einerseits von der Definition des Lerngegenstandes ab, also der Entscheidung darüber,

worüber etwas gelernt werden soll. Andererseits hängt es mit der konkreten Modellierung zusam-

men, also der Breite und Tiefe der datenmäßigen Abbildung von betrieblichen und Unternehmens-

strukturen sowie den damit verbundenen Marktstrukturen.

Mit Blick auf diese drei Dimensionen lässt sich differenziert erfassen, welches Qualifizierungsleitbild

jeweils verfolgt wird und ob diesem die Definition und Modellierung von Arbeits- und Geschäfts-

prozessen jeweils adäquat ist. Letztere eröffnet und begrenzt den Raum der Probleme und Auf-

gabenstellungen, mit denen sich Lernende auseinandersetzen können, auf die bezogen sie Erfah-

rungen machen und Erkenntnisse gewinnen können. Prozessorientierung an sich ist mithin kein

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

100

Qualitätsmerkmal – es kommt entscheidend darauf an, um welche Prozesse es sich handelt und wie

diese modelliert sind.

Bei all diesen Überlegungen darf schließlich der für die Berufliche Bildung zentrale Prozess nicht aus

dem Auge gelassen werden, dem alle anderen Entscheidungen über die Definition, Modellierung und

didaktische Bearbeitung von Arbeits- und Geschäftsprozessen unterzuordnen sind: Der arbeits- und

geschäftsprozessübergreifende Erkenntnis- und Kompetenzentwicklungsprozess der Lernenden.

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Autor

Tramm, Tade; Prof. Dr.; Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik; Sektion Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen; Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft; Universität Hamburg; Sedanstraße 19; 20146 Hamburg

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

102

Informations- und Kommunikationstechnologien didaktisch betrachtet – Ein programmatischer Beitrag aus Schweizer SichtFranz Eberle

1 ICT und Bildung – grundsätzliche Aspekte und Potenziale

Seit dem Erscheinen der ersten Computer an den Schulen vor ungefähr 30 Jahren ist die Frage nach

der Art des Einbezugs der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) in den Unterricht

konstant in Diskussion geblieben. Die ersten Einsatzkonzepte an den Sekundarstufen orientierten

sich an der Informatik als einem Fach. Mit der revolutionären Entwicklung und schnellen Verbreitung

benutzerfreundlicher Anwendungen und des Internets hat sich eine Verschiebung hin zur Verwen-

dung von ICT in allen Fächern durchgesetzt. Damit war auch ein Einsatz an den Volksschulen und im

Kindergarten naheliegend. Gegenwärtig reicht die Thematisierung von Gebrauch und Auswirkungen

von ICT-Anwendungen bis hin zum Einbezug in die schon lange existente Medienpädagogik. Diese

unter didaktischen und curricularen Gesichtspunkten sehr unterschiedlichen Aspekte wurden und

werden leider sowohl in der Literatur wie auch in der bildungspolitischen Diskussion immer wieder

unzulässig vermischt, vereinfacht oder gar verwechselt. So wird zuweilen der Einsatz von Lernpro-

grammen in verschiedenen Fächern mit (integriertem) Informatikunterricht gleichgesetzt, der dann

nur schon deshalb eine Bildung in einem Fachbereich Informatik unnötig mache. Diese Verkürzung

ist etwa vergleichbar mit einer natürlich ebenso falschen Aussage, dass sich ein Fach Deutsch durch

die konsequente Verwendung der Schriftsprache im Unterricht der anderen Fächer erübrige. Die Ver-

mischung verschiedener ICT-Aspekte ist angesichts der Breite und Tiefe, in der die technischen Ver-

änderungen der Informationsverarbeitungs- und Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten

beinahe alle Bereiche des menschlichen Lebens durchdringen, auch nicht erstaunlich. In Abbildung 1

sollen deshalb die grundsätzlichen Berührungspunkte von ICT und Bildung, welche bereits an vielen

Orten ausführlich beschrieben sind, grob strukturiert werden.

Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet

103

Lerngegenstand „Informatik“ und

„Informatikumfeld“

alle schulischen

Fachbereiche

„ICT/Informatik“ im

weitesten Sinne als

Fachinhalte (Gegen-

stand von Unter-

richt, Lernen über

ICT)

Feld A: Fach-Informatik

- Grundlagen der Wissenschaft Informatik

- informations- und kommunikationstech-

nische Anwendungen, Erwerb von ICT-

Literacy

- weitere inhaltliche Aspekte (z.B. „Informa-

tik und Gesellschaft“)

Feld B: Inhalte anderer Fächer

- Inhalte und Anwendungen,

bei denen sich trans- und

interdisziplinäre Verknüpfun-

gen mit anderen Fachgebie-

ten ergeben

Feld C: Medienlehre

- ICT-Aspekte einer Medienpädagogik

ICT als Arbeitsmittel

(Arbeiten mit ICT)

Feld D: Anwendung von ICT-Literacy

- Einsatz von ICT-Mitteln in allen Fächern im Gleichschritt mit deren Ausdeh-

nung in (fast) alle Lebensbereiche

ICT als Lehr- und

Lernmittel (Lehren

und Lernen mit ICT)

Feld E: E-Learning mit Lernmehrwert

- alle didaktisch-methodischen Aspekte des Lehren und Lernens mit ICT,

welche der Verbesserung des Lernens bezüglich ausgewählter Kriterien

dienen (Lernprogramme aller Art, Präsentation, virtuelle Kommunikations-

plattformen, Wikis, Informationsbeschaffung im Internet usw., bis hin zu

einer eigentlichen Mediendidaktik)

Abb. 1: Grundsätzliche Aspekte von ICT und Bildung

Die Einteilung in die fünf Felder ist nur eine grobe, analytische Modellierung der Bildungswirklichkeit

im Zusammenhang mit ICT, und die gezogenen Grenzen sind unscharf. Trotzdem ist die Struktur ge-

eignet, eine naive Vermischung der Ebenen zu verhindern und als Ordnungsrahmen für entsprechen-

de Diskussionen und Massnahmen zu dienen.

Feld A umfasst alle Aspekte eines eigentlichen Informatik- und ICT-Unterrichts. Seine Inhalte müs-

sen sich an den grundsätzlichen Bildungszielen einer Schulstufe ausrichten (z.B. Hochschulreife

und Lösen anspruchsvoller Aufgaben in der Gesellschaft am Gymnasium, Berufsbefähigung an Be-

rufsfachschulen). Sie können grundsätzlich von der Gewinnung der Einsicht in die Grundstrukturen

und -methoden der Fachwissenschaft Informatik (eigentlicher Informatikunterricht: z.B. Begriffe und

Konzepte der Informatik wie Informationsdarstellung, Algorithmen, Programme, Compiler; Methoden

zum Entwurf von Algorithmen für die Lösung unterschiedlicher Probleme; Programmierkonzepte zur

Umsetzung von Algorithmen in geeignete Programmiersprachen; Datenstrukturen; usw.) sowie deren

typischen Anwendungen bis hin zur kompetenten Beherrschung dieser Methoden (ICT-Unterricht

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

104

insbesondere zum Erwerb einer ICT-Literacy) reichen. Wegen der umfassenden Ausstrahlung der ICT

in nahezu alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche kann er auch diese Aspekte umfassen. Seine

fachstrukturelle Einbettung (z.B. eigenes Fach oder vollständig integriert in andere Fächer) hat sich

an den Erkenntnissen über curriculare Strukturen der Organisation verschiedener Fächer in einem

Gesamtcurriculum zu orientieren. Für einen allgemeinbildenden Unterricht an Gymnasien und kauf-

männischen Berufsschulen haben wir diese Diskussion sehr ausführlich bereits vor mehr als zehn

Jahren geführt (Eberle, 1996).

Feld B meint die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Wirkungen der digitalen Revolution in ver-

schiedenen Lebens- und damit auch Fachbereichen, diesmal von den Fächern her thematisiert.

Z. B. ergibt sich für das Fach Betriebswirtschaftslehre in der kaufmännischen Berufsbildung die Not-

wendigkeit, die Abbildung und Bearbeitung von Geschäftsprozessen in ERP-Systemen zumindest

zu thematisieren, wenn nicht gar wesentliche Elemente des Curriculums daran zu orientieren. Oder

in der Volkswirtschaftslehre werden die Auswirkungen der informations- und kommunikationstech-

nologischen Entwicklung auf den volkswirtschaftlichen Strukturwandel zu einem wichtigen Thema.

Feld C umfasst eine eigentliche Medienlehre. Zentraler Inhalt ist der kritische Umgang mit den durch

die ICT weitgehend digitalisierten und in ihrer Breite und Tiefe massiv erweiterten Medien. Medien-

pädagogik als Disziplin ist dabei grundsätzlich nichts Neues.

Feld D bezeichnet das Phänomen, dass ICT überall dort eingesetzt werden, wo Informationen be-

schafft, weiterverarbeitet, gespeichert und verteilt werden und wo kommuniziert wird. Dies betrifft

nicht nur Wirtschaft, Forschung, Gesellschaft und private Lebenswelt, sondern grundsätzlich auch

die Schule als Ort der Informationsverarbeitung im weitesten Sinne. Auch hier gibt es eine alte Dis-

kussion, ob der Erwerb von Computerliteracy als Bildungsaufgabe in einem eigenen Fach (ev. im

Rahmen von Feld A) oder bereits integriert in andere Fächer erfolgen soll (siehe ebenfalls die ausführ-

liche Diskussion in Eberle, 1996). Unabhängig von der fachstrukturellen Art des Ersterwerbs drängt

sich von selbst die Förderung der ICT-Verwendung in allen Fächern unter diesem Aspekt auf. Die er-

worbene Computerliteracy wird genutzt und im Kontext verfeinert und perfektioniert.

Feld E schließlich beschreibt die lernfördernden Potentiale von ICT wie Multimedialität, Interaktivität

sowie Vernetzung, die unabhängig von der Frage nach den richtigen Lerninhalten einen eigentlichen

didaktischen (Lern-)Mehrwert schaffen. Solche didaktischen Potenziale sind z.B. (vgl. ausführlich bei

Eberle, 2000):- Optimalere Umsetzung der Erkenntnisse über das Lernen über verschiedene Sinneskanäle durch

verbesserte Gestaltung multimedialer Lernumgebungen bzw. Bereitstellung multicodaler Ange-

bote (Text, Sprache, Musik, Grafik, statisches und bewegtes Bild, Animation); es können auch

verschiedene Lerntypen angesprochen werden.

- Mediale Bereitstellung authentischer, komplexer Problemstellungen aus der Lebenswelt und da-

mit bessere Unterstützung problemorientierten Lehrens und Lernens sowie handlungs- und kom-

petenzorientierter Lernstandsdiagnostik.

- Kognitive Werkzeuge / Denkwerkzeuge zur Unterstützung kognitiver Lernprozesse während des

Lernens.

Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet

105

- Unterstützung des ko-konstruktiven und sozialen Lernens der Schüler und Schülerinnen durch

den Einsatz von Kooperations- und Kommunikationstools (Lernplattformen, Diskussionsforen,

Wikis, virtuelle Klassenzimmer etc.).

- Förderung des selbstgesteuerten Lernens, weil beim Lernen mit digitalen Medien die Lernenden

ihr Lerntempo, eventuell Zeit und Ort sowie zum Teil auch die zu bearbeitenden Lerninhalte selber

bestimmen können.

- Erhöhtes Potenzial für individualisierendes und adaptives Lernen sowie verbesserte Lernstands-

diagnosen durch adaptives Testen.

- Erweiterung der lernorientierten Recherche- und Suchmöglichkeiten durch weltweiten Zugriff auf

Wissensbestände und durch die Möglichkeit, strukturierte Lernwege mit Hilfe von Informations-

ressourcen des Internets in Form von WebQuests bereitzustellen.

Der Praxiseinsatz von ICT zeigt, dass die aufgeführten Potenziale für besseres Lernen (Feld E) nicht

automatisch realisiert werden. Auch der heutige Forschungsstand indiziert, dass ICT nicht per se

und automatisch besser und lernwirksamer sind als traditioneller Unterricht, wie das nicht selten als

neues Lehr-/Lern-Paradigma ausgegeben wird (siehe im Einzelnen bei Eberle, Kuster und Schmid,

2007, S. 330 ff.).

Im folgenden Abschnitt werden nur noch die Felder A und B weiter thematisiert.

2 ICT/Informatik als Fachinhalte

Im Wesentlichen geht es um die folgende Frage: Welche Inhalte sind unter welchen Zielsetzungen

auf welcher Schulstufe und in welcher fachlichen Organisation (eigenständig, integriert) zu vermitteln

bzw. welche Kompetenzen sind zu erwerben?

In der Schweiz hat sich die Informatik als Fach in den letzten 20 Jahren weitgehend in der Ausbildung

für Informatikberufe festgesetzt und wurde dort ausgebaut. An allgemeinbildenden Schulen hinge-

gen wurden die ersten Ansätze einer fachwissenschaftlich orientierten Informatik- und ICT-Bildung

durch die Verlagerung auf die anderen in Abbildung 1 aufgeführten Themen verdrängt. Die Frage,

wie weit ein Einblick in grundlegende Gesetzmässigkeiten des Faches – wie das für die Naturwis-

senschaften z.B. allgemein als selbstverständlich erachtet wird – zu einer zeitgemässen Allgemein-

bildung gehört, wurde zwar bildungstheoretisch schon vor mehr als 10 Jahren untersucht (vgl. z.B.

Eberle, 1996, oder Euler, 1994) und damals überwiegend bejaht, bildungspolitisch aber nie syste-

matisch und im Gesamtkontext aller allgemeinbildenden Fächer bearbeitet. Es ist höchste Zeit, in

einer fortgeschrittenen Informationsgesellschaft diese Diskussion wieder aufzunehmen. Die jüngst

erfolgte Einführung eines neuen Ergänzungsfaches Informatik an Schweizer Gymnasien ist ein erster

zaghafter Schritt dazu.

Aussagen zu Unterrichtsinhalten und -methoden beruhen letztlich bewusst oder unbewusst auf ei-

nem Normengefüge, dessen Grundlagen nicht objektiv richtig oder falsch, sondern nur begründbar

sind. Didaktik kann also weder wertneutral noch „objektiv“ sein. Um so wichtiger ist im Zusam-

menhang von Schule und Unterricht immer wieder die Darstellung, Begründung und Kritik, also

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

106

Offenlegung verschiedener Normengefüge. Zur Ermittlung von notwendigen Lerninhalten sind die-

se im Weiteren in einem Ableitungsmechanismus, der wissenschaftstheoretischen Ansprüchen zu

genügen hat, mit objektiven oder objektivierbaren Aussagen zu verknüpfen. Beides wurde in einer

umfassenden Arbeit vor mehr als 10 Jahren für eine ICT-Bildung vorgenommen (Eberle, 1996), kann

aber im Rahmen dieses Beitrages nicht dargestellt werden. In Berücksichtigung der seither erfolgten

Forschung und geführten Diskussion lässt sich feststellen, dass sich an den grundsätzlichen Aussa-

gen nichts verändert hat.

Eine mögliche Grobgliederung der Bildungsziele der Schulen der Sekundarstufe II (auch aufgrund der

gesetzlichen Bestimmungen) ist die Aufteilung in Allgemeinbildung und Berufsbildung. Dazu kommt

für die Gymnasien die Hochschulvorbereitung bzw. für die Berufsmaturitätsschulen die Fachhoch-

schulvorbereitung (v.a. Wissenschaftspropädeutik). Diese ist funktionell vergleichbar mit der Berufs-

vorbereitung, indem auf den „temporären Beruf“ Hochschulstudium vorbereitet wird. Eine ICT- und

Informatikbildung muss zu ihrer Berechtigung für diese Bildungsziele Relevanz aufweisen.

Für die Ableitung von Zielrichtungen aus den Ergebnissen der bildungstheoretischen Analyse lässt

sich analog in Bildung eines allgemeinen Informatik- und Informationstechnologieverständnisses,

hochschulvorbereitende Bildung (Studierkompetenz) und in berufliche Bildung (Berufskompetenz)

unterscheiden. Die berufliche Bildung wiederum lässt sich unterscheiden in Ausbildung zur Berufs-

fertigkeit und -fähigkeit. Die vollständige Gliederung ist in Abbildung 2 ersichtlich.

Abb. 2: Zielrichtungen einer Informatik- und ICT-Bildung

Zielrichtungen von Informatik-

und ICT-Bildung

allgemeine Informatik- und ICT-

Kompetenz

informatisches

Grundverständnis

Grundstrukturen der

Informatik und der ICT

ICT-Studierkompetenz

instrumentelle Fähigkeiten und

Fertigkeiten

Lebensweltbezug der

Informatik

informatische Berufskompetenz

Berufsfertigkeit Berufsfähigkeit

Kenntnisse und

Fähigkeiten als

Grundqualifikation

theoretische Fun-

dierung beruflicher

Tätigkeit

Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet

107

(1) Eine erste Zielrichtung ist die Bildung einer allgemeinen Informatik- und ICT-Kompetenz: Hier geht

es darum, „auf das Leben vorzubereiten“ oder zur „Alltagsbewältigung“ beizutragen. Dies gehört

zur Allgemeinbildung. Dieser Anspruch kann aus Sichtweisen von Allgemeinbildung positiv be-

gründet werden (z. B. Ideen der kategorialen Bildung, des transmodernen Bildungsprozesses,

des Konstruktivismus und der Schlüsselqualifikationen), und keine Sichtweisen (z. B. Idee der

formalen Bildung) stehen diesem Anspruch - auch in Gewichtung gegenüber anderen allgemein-

bildenden Fachbereichen - entgegen. Das Verständnis einer ICT-Kompetenz ist ein umfassendes

(also nicht nur automatisiertes und verständnisloses Mausklicken und Tastendrücken) und kann

grob wie folgt weiter aufgegliedert werden:

(1a) Informatisches Grundverständnis: Hier geht es um das Verständnis von Grundstrukturen und

-abläufen (deklaratives, prozedurales und konditionales Wissen) sowohl der Informatik und

der ICT selbst (z.B. Verständnis der universalen Maschine „Computer“), also von grundlegen-

den Konzepten, wie auch der Verknüpfungen zu allen relevanten Lebensbereichen (Lebens-

weltbezug, kritisches Technikverständnis).

(1b) Instrumentelle Fähigkeiten und Fertigkeiten: Hier geht es um den konkreten, bewussten, fle-

xiblen und sinnvollen persönlichen Einsatz der ICT. Dazu gehören sowohl psychomotorische

Fertigkeiten wie auch kognitive Fähigkeiten („Arbeit mit dem Computer“) und vor allem auch

transferhaltiges Wissen über den Einsatz der ICT.

(2) Eine zweite Zielrichtung ist die Bildung einer informations- und kommunikationstechnologischen

Studierkompetenz: Hier geht es darum, ICT-Mittel im Rahmen eines Studiums insbesondere an

Universitäten und Fachhochschulen, aber auch schon auf vor-, gleich- und nachgelagerten Bil-

dungsstufen sinnvoll einsetzen zu können. Die in der Schweiz durchgeführten Studien zur Schnitt-

stelle Gymnasium-Universität (Notter und Arnold, 2007, und insbesondere Eberle et al., 2008) ha-

ben diesen Bedarf auch empirisch nachgewiesen.

(3) Eine dritte Zielrichtung ist schließlich die Bildung einer informatischen Berufskompetenz: Dazu

gehören alle Bildungsmaßnahmen, welche die Lernenden zur Erfüllung jener beruflichen Aufga-

ben befähigen, die auch den Umgang mit den ICT beinhalten. Diese tragen heute zur breiten Vor-

bereitung aufs Berufsleben (differenziert abgeleitet für kaufmännische Berufe bereits vor mehr als

zehn Jahren in Eberle, 1996) bei. Damit ist nicht ein tayloristisches Verständnis von Bedienerfer-

tigkeiten gemeint, sondern ein kritischer und rationaler sowie rationeller Einsatz der ICT im Rah-

men übergeordneter betrieblicher Aufgaben. Diese Bildung kann auf mehrere Ziele ausgerichtet

werden:

(3a) Bildung zur Berufsfertigkeit: Die Lernenden werden befähigt, konkrete berufliche Aufgaben

mit Hilfe der ICT zu erfüllen. Es handelt sich um gut abgegrenzte Tätigkeiten i.d.R. mit stan-

dardisierter Software (nicht zu verwechseln mit Standardsoftware).

(3b) Bildung zur Berufsfähigkeit: Der Lernende wird befähigt, am Arbeitsplatz auch von der Schu-

lungssituation sich unterscheidende Aufgabenstellungen mit Hilfe der ICT zu lösen. Es kann

noch unterschieden werden in „Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, die nach einer

kurzen Einarbeitungszeit eine berufliche Tätigkeit ermöglichen“, und zwar mit Informations-

und Kommunikationstechnologien, und „theoretische Fundierung einer beruflichen Tätig-

keit“. Letzteres dient dem besseren Verständnis des eingesetzten Instrumentariums. Hiezu

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

108

gehört heute z. B. auch ein Verständnis von ERP in kaufmännischen Berufen. Beides muss

verknüpft werden mit dem wirtschaftlichen Verständnis der Unternehmung.

Die Zielrichtungen haben für verschiedene Schultypen unterschiedliche Bedeutsamkeiten. Die sich

aus diesen Zielrichtungen ergebenden konkreten curricuralen Inhalte überschneiden sich zudem

teilweise. Die genaue Bezeichnung der Bildungsinhalte bzw. Kompetenzen würde die Möglichkeiten

dieses Beitrages sprengen.

Im nächsten Abschnitt soll noch etwas näher auf die Berufsbildung eingegangen werden.

3 Informatik und ICT in Berufs- und Arbeitswelt im Besonderen

Die rasante Entwicklung der Informatik und vor allem der ICT beeinflusst und durchdringt die Be-

rufs- und Arbeitswelt in vielfacher Weise. Dazu gehört, dass einerseits in den letzten Jahren eine

Vielzahl von Informatikberufen entstanden ist, und andererseits Grundkompetenzen im Umgang mit

ICT zunehmend an allen Arbeitsplätzen und in allen Berufen vorausgesetzt werden. Auf diese beiden

Hauptaspekte wird im Folgenden für die Schweiz näher eingegangen.

(1) ICT sind in den meisten Branchen zu einem unentbehrlichen Arbeitsmittel geworden, und sie ha-

ben die Arbeitsorganisation grundlegend verändert. Insgesamt umfasst die Zahl der Informatik-

anwenderinnen und -anwender in der Schweiz heute über drei Viertel aller Arbeitskräfte, verteilt

auf beinahe alle Berufe und Branchen1. Mit Abstand die höchste Nutzungsintensität besteht im

Bereich der „modernen“ Dienstleistungen, wo bereits im Jahre 2002 84% aller Beschäftigten Zu-

gang zu einem PC hatten.

Ohne Grundkompetenzen im Umgang mit ICT wird es zunehmend schwierig, einen Arbeitsplatz

zu finden oder beruflich voranzukommen. In Büro- wie auch in vielen Werkstattberufen wird er-

wartet, dass neue Mitarbeitende die wichtigsten Standardanwendungen wie Textverarbeitung,

Tabellenkalkulation, einfache Graphik- und Datenverwaltungsprogramme sowie Präsentations-einfache Graphik- und Datenverwaltungsprogramme sowie Präsentations- sowie Präsentations-

programme verwenden sowie im Internet nach Informationen suchen und interagieren können.

Die Vermittlung dieser Kompetenzen ist somit eine wichtige allgemeine Aufgabe des im weitesten

Sinne berufsvorbereitenden Bildungswesens. Eine Grundausbildung für Informatikanwender fin-

det heute bereits in der Volksschule statt. In besonderem Masse ist die berufliche Bildung gefor-

dert, wenn es darum geht, auch den Kulturwandel, der in der Arbeitswelt durch die zunehmende

Digitalisierung stattfindet, in der Ausbildung sinnvoll abzubilden. Dies setzt nämlich mehr voraus

als die Entwicklung von technischen Kompetenzen im Umgang mit ICT-Technologien. Herzig und

Grafe (2006) umschreiben diese Herausforderung treffend wie folgt: „In besonderer Weise wird

auch die berufliche Alltagspraxis durch eine ‚digitale Kultur’ geprägt und stetig verändert. Für

die berufliche Bildung stellt sich insbesondere die Aufgabe, die Durchdringung der Arbeitssys-

teme durch ICT und den sich daraus ergebenden Wandel der Aufgaben zu analysieren und zu

reflektieren. Diese Durchdringung lässt zunehmend die Grenzen zwischen Arbeiten und Lernen

verschwinden. Der Fokus liegt nicht mehr auf der Beherrschung eines Arbeitssystems, sondern

auf der Entwicklung der Fähigkeit, mit Hilfe digitaler Technologien im Arbeitsprozess bestimmte

1 Informatik Schweiz, http://www.i-s.ch/index.php?id=is082/ (15.5.2009).

Informatik/ICT: Didaktisch betrachtet

109

Probleme zu lösen. Entsprechend stellt sich für die berufliche Bildung die Aufgabe, arbeitspro-

zessbezogenes Lernen mit Hilfe digitaler Medien durch geeignete Lehr- und Lernarrangements

zu unterstützen, die auch einer an den spezifischen Belangen der Lebens- und Arbeitswelt ori-

entierten Lernkultur Rechnung tragen, also einen hohen Kontextbezug aufweisen.“ Damit kommt

der Geschäftsprozessorientierung und dem Einbezug von ERP-Systemen in die kaufmännische

Berufsbildung eine große, bis anhin vernachlässigte Bedeutung zu.

(2) Auch die Ausbildung für Informatikberufe hat an Bedeutung gewonnen. Die Indikatoren des BFS2

zeigen, dass im Verlauf der 1990er Jahre immer mehr junge Menschen über eine Lehre in die Welt

der ICT-Berufe einstiegen, wobei die größte Zunahme in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zu

verzeichnen war: 2003 wurden 25 Mal mehr Lehrlinge in ICT-Ausbildungen auf Stufe der Eidge-

nössischen Fähigkeitszeugnisse (EFZ) gezählt als 1995. Die Indikatoren weisen jedoch auch dar-

auf hin, dass sowohl auf der Stufe EFZ als auch auf der Stufe der Eidgenössischen Fachausweise

und Diplome die Zahl der Personen, die sich im Bereich ICT ausbilden, seit 2004 wieder rückläu-

fig ist. Eine ähnliche Entwicklung ist an den Fachhochschulen und universitären Hochschulen zu

beobachten. Diese zogen während der 1990er Jahre eine wachsende Zahl von Studierenden an.

Nach einer kontinuierlichen, wenn auch unregelmässigen Zunahme der Informatik- und ICT-Ab-

schlüsse zwischen 1990 und 2003, ist die Anzahl der Studierenden im Bereich ICT seit 2004 wie-

der stark zurückgegangen. Vorausgegangen war eine aus strukturellen und vor allem konjunktu-

rellen Gründen rückläufige Nachfrage nach Informatikern. In der Zwischenzeit übersteigt aber die

Nachfrage bereits wieder das Angebot. Zehnder (nach Wemans, 2006) weist zudem darauf hin,

dass „in der Schweiz etwa drei Viertel aller Informatiker Quereinsteiger ohne Informatik-Grund-

ausbildung sind und nur rund 20 Prozent irgendeinen Abschluss haben. Allein um einen stabilen

Zustand zu wahren, sollten in der Schweiz pro Jahr etwa 5000 bis 6000 Personen neu ausgebildet

werden. Damit wird heute knapp die Hälfte des Erneuerungsbedarfs ausgebildet“. Die Informatik-

verbände3 senden deshalb entsprechende Warnrufe aus.

Für die kaufmännischen Berufe gilt die unter Punkt 1 beschriebene Durchdringung mit ICT flächen-

deckend. An kaufmännischen Berufsmaturitätsschulen der Schweiz sind mit Ausnahme der Ausbil-

dung zur direkten Berufsfertigkeit alle in Abschnitt 2 beschriebenen Zielrichtungen bedeutsam. Bei

kaufmännischen Berufsschulen ohne Maturitätsabschluss fällt die Bildung einer informations- und

kommunikationstechnologischen Studierkompetenz weg.

Welche Inhalte im Einzelnen in ein Gesamtcurriculum der ICT gehören und welche im Rahmen eines

eigenständigen Faches (Feld A) oder integriert in die anderen Wirtschaftsfächer (Feld B) unterrichtet

werden sollen, muss im Rahmen diese Beitrages offen bleiben. ERP-Software z. B. könnte sowohl

unter informatischen Aspekten im Fach ICT oder Informatik wie auch im Hinblick auf Geschäftspro-

zesse im Fach Betriebwirtschaftslehre thematisiert werden. Weite Teile der Betriebswirtschaftslehre

liessen sich gar entlang des Geschäftsprozessansatzes handlungsorientiert gliedern.

2 BFS, Indikatoren zur Informationsgesellschaft, ICT-Ausbildung 1990-2005, www.bfs.admin.ch/ (15.5.2009).

3 ICTswitzerland, Dachorganisation der wichtigsten Verbände und Organisationen des schweizerischen Informatik- und

Telecomsektors, www.ictswitzerland.ch (15.5.2009).

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

110

Literaturverzeichnis

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Bundesamt für Statistik (2004): Schulen und Bildungswege der Sekundarstufe II in der Schweiz. Neuenburg.

Eberle, Franz (1996): Didaktik der Informatik bzw. einer informations- und kommunikationstechnologischen Bildung auf der Sekundarstufe II. Aarau: Sauerländer.

Eberle, Franz (2000). Informations- und Kommunikationstechnologien zur Unterstützung von Lernprozessen - Versprechungen, Potentiale, Grenzen. In Belz und Bieger (2000): 376-396.

Eberle, Franz/Kuster, Wilfrid/Schmid, Fortunat (2007): Die Zukunft von IKT und Bildung. In Hotz-Hart (2007): 319-353.

Eberle, Franz/Gehrer, Karin/Jaggi, Beat/Kottonau, Johannes/Oepke, Maren/Pflüger, Michael (2008): Evaluation der Maturitätsreform 1995 (EVAMAR). Schlussbericht zur Phase II. Bern: Staatssekretariat für Bildung und Forschung SBF.

Euler, Dieter (1994). Didaktik einer sozio-informationstechnischen Bildung. Köln: Botermann & Botermann.

Herzig, Bardo/Grafe, Silke (2006): Digitale Medien in der Schule – Standortbestimmung und Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Bonn: Deutsche Telekom AG.

Hotz-Hart, Beat (Hrsg.) (2007): ICT und Bildung: Hype oder Umbruch? Bern: hep.

Notter, Philipp, und Arnold, Claudia (2007). Der Übergang ins Studium II. Bern: Staatssekretariat für Bildung und Forschung.

Wemans, Guido. (2006). Prof. Dr. Carl August Zehnder macht sich Sorgen über die Informatik-Ausbildung in der Schweiz. In: asut bulletin 1, S. 36-38.

Autor

Eberle, Franz; Prof. Dr.; Inhaber des Lehrstuhls für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik; Universität Zürich; Institut für Gymnasial- und Berufspädagogik; Beckenhofstrasse 35; CH-8006 Zürich; Mail: [email protected]

111

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

111

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der SchulentwicklungHorst Pongratz

Inhaltsverzeichnis

1 ERP-Systeme an beruflichen Schulen – eine Notwendigkeit!? .......................................... 113

2 ERP-Software von Microsoft und SAP im schulischen Einsatz ......................................... 114

2.1 Vorstellung der an den Schulen am häufigsten eingesetzten ERP-Systeme ....................114

2.1.1 Die Software SAP R/3 der SAP AG .............................................................................115

2.1.2 Die ERP-Software Dynamics von Microsoft Business Solutions ..............................115

2.2 Der Einsatz von ERP-Programmen an beruflichen Schulen ..............................................115

2.2.1 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrerinitiativen ......................................116

2.2.2 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrplanforderungen .............................116

2.2.3 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund wirtschaftsdidaktischer Erwägungen ..........117

2.3 Kooperationsansätze der ERP-Hersteller SAP und Microsoft ..........................................119

2.3.1 Der Herstelleransatz der SAP AG ...............................................................................119

2.3.1.1 Das University Alliance Programm der SAP AG (SAP-UA) ................................119

2.3.1.2 Die Online-Plattform ERP4SCHOOL ............................................................... 121

2.3.1.3 Die österreichische Lösung ERP4U.AT ............................................................. 122

2.3.2 Der Herstelleransatz der Microsoft Deutschland GmbH ......................................... 123

2.3.2.1 Die MBS Academic Alliance (MBSAA).............................................................. 123

2.3.2.2 Kooperation mit staatlichen Landesinstitute ................................................... 123

2.3.2.2.1 Das ISB in Bayern als Kooperationspartner der Firma Microsoft ........ 124

2.3.2.2.2 Das LS in Baden-Württemberg als Kooperationspartner

der Firma Microsoft............................................................................................... 124

3 Fallstudien: Implementierungsstrategien an beruflichen Schulen ................................... 125

3.1 Implementierungsstrategien an Vollzeitschulen ................................................................ 125

3.1.1 Oberstufenzentrum (OSZ) Berlin für Bürowirtschaft und Dienstleistung ................. 125

3.1.1.1 Allgemeines ........................................................................................................ 125

3.1.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht .............................................................. 125

3.1.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am OSZ Berlin ....................................... 126

3.1.2 DV-Schulen Würzburg ................................................................................................ 127

3.1.2.1 Allgemeines ........................................................................................................ 127

3.1.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht ............................................................. 128

3.1.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung an den DV-Schulen .............................. 129

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

112112

3.2 Implementierungsstrategien an Teilzeitschulen ................................................................ 130

3.2.1 Friedrich-List-Berufskolleg ........................................................................................ 130

3.2.1.1 Allgemeines ........................................................................................................ 130

3.2.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht ............................................................. 130

3.2.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am Friedrich-List-Berufskolleg ............ 131

3.2.2 Multimedia Berufsbildungszentrum Hannover ......................................................... 132

3.2.2.1 Allgemeines ....................................................................................................... 132

3.2.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht............................................................. 132

3.2.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung am den MMBS Hannover .................... 133

4 ERP-Systeme an beruflichen Schulen bedingen einen

umfassenden Schulentwicklungsansatz ............................................................................... 134

4.1 Durchführung einer ERP-Implementierung als Softwareprojekt ...................................... 134

4.1.1 Das Herstellerframework Microsoft Dynamics Sure Step ........................................ 134

4.1.2 Das Herstellerframework Accelerated SAP-Roadmap ............................................. 136

4.2 Eine schulische ERP-Implementierung als Schulentwicklungsprojekt ............................ 137

4.3 Reflektion des modifizierten Schulentwicklungsmodells ................................................. 140

4.3.1 Die Dimension der personalen Entwicklung ............................................................. 140

4.3.2 Die Dimension der Unterrichtsentwicklung ...............................................................141

4.3.3 Die Dimension der Organisationsentwicklung ..........................................................141

4.3.4 Die Dimension der technischen Entwicklung ........................................................... 142

5 Fazit und Ausblick ..................................................................................................................... 143

AbbildungsverzeichnisAbbildung 1 Möglicher Einsatz von ERP-Systemen im Unterricht .................................................119

Abbildung 2: Die Aufgaben der UCC Magdeburg und München .................................................. 120

Abbildung 4: Curriculares Gesamtkonzept OSZ Berlin ................................................................. 126

Abbildung 5: Organisationsstruktur einer prozess- und teamorientierten Schule ...................... 127

Abbildung 6: Steigende Komplexität im Ablauf der Ausbildung.................................................... 128

Abbildung 7: Supportkonzept am Friedrich-List-Berufskolleg ...................................................... 131

Abbildung 8: Chaos Report der Standish Group ........................................................................... 134

Abbildung 9: Microsoft Dynamics Sure Step Oberfläche .............................................................. 135

Abbildung 10: Die Phasen der Accelerated SAP – Roadmap ........................................................ 136

Abbildung 11: Detaillierte Ansicht der Phasen der Accelerated SAP – Roadmap ........................ 137

Abbildung 12: Die Phasen eines Schulentwicklungsprozesses .................................................... 138

Abbildung 13: Phasen eines Schulentwicklungsprozesses bei Integration der ASAP ................. 139

Abbildung 14: Modifizierter umfassender Schulentwicklungsprozess ......................................... 139

TabellenverzeichnisTabelle 1: ERP-Anbieter nach Lizenzen und Wartungsgebühren im Jahr 2006 .............................113

Tabelle 2: ERP-Anbieter nach Umsatz im Jahr 2006 ......................................................................114

Tabelle 3: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen ...................................................116

Tabelle 4: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen in Bayern ..................................117

Tabelle 5: Übersicht der an den Hochschultagen 2008 beteiligten Schulen ................................ 133

113

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

113

1 ERP-Systeme an beruflichen Schulen – eine Notwendigkeit!?

Die neu geordneten kaufmännischen Berufe fordern dezidiert den verstärkten Einsatz von Informa-

tionstechnologien im Unterricht an beruflichen Schulen. Die Tatsache, dass Computer, dass die In-

formationstechnologie Einzug in den Unterricht an beruflichen Schulen genommen hat, steht außer

Frage (Busian 2006, S. 102 ff). Der Verwendung von Standard-Office-Programmen ist unterrichtlicher

Alltag – die betriebliche Realität jedoch sieht anders aus. Beginnend bei den Großkonzernen haben

Warenwirtschaftssysteme nun auch die klein- und mittelständischen Unternehmen erreicht (Niemann

2007). Die Orientierung an Geschäftsprozessen ist betriebliche Realität und somit müssen diese Ge-

schäftsprozesse auch in die kaufmännische Ausbildung Einzug halten. Die prozessorientierte Sicht

führt in Unternehmen zu einer Verschiebung der Aufgaben in der kaufmännischen Sachbearbeitung.

Neben dem Einsatz von Tabellenkalkulationen und Textverarbeitungsprogrammen fordern die neu

geordneten Lehrpläne auch den Einsatz von Warenwirtschaftssystemen im Unterricht (Bayerisches

Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2002). Die Lehrpläne geben den Schulen jedoch keiner-

lei Hinweis, welches ERP-Programm zu verwenden ist und in welchem Umfang und in welcher Tiefe

ein solches Programm eingesetzt werden soll. Die Schulen waren und sind bei der Entscheidung für

ein ERP-System ziemlich frei (Sailer 2008; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

2002). Manche Landesinstitute haben sich für eine Rahmenvereinbarung mit einem Hersteller ent-

schieden und geben den Schulen für die Produkte dieses Herstellers didaktischen Support (ISB

2009; LS 2009). Je nachdem, nach welchen Kriterien man den Markt der ERP-Systeme untersucht,

gibt es eine unterschiedliche Reihung hinter dem unangefochtenen Marktführer der Firma SAP aus

Walldorf. In der Abbildung 1 erfolgte die Ermittlung der Marktanteile analog der abgeschlossenen Li-

zenzen und der vereinnahmten Wartungsgebühren, die Abbildung 2 liefert einen Überblick über den

Umsatz der jeweiligen Hersteller.

ERP-Marktanteile nach Lizenzen und Wartungsgebühren

Hersteller Lizenzen und Wartungsgebühren1. SAP 56%

2. Microsoft Business Solutions 5%

3. Infor 4%

4. Sage (einschl. bäurer) 4%

5. Oracle (einschl. PeopleSoft u. J.D. Edwards) 3%

6. SoftM 2%

7. Abas 2%

8. Kleinere Anbieter, insgesamt 24%

Tabelle 1: ERP-Anbieter nach Lizenzen und Wartungsgebühren im Jahr 2006 (Experton, 2007)

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

114114

ERP-Marktanteile nach Umsatz

Hersteller Umsatz (Marktanteile in Prozent)1. SAP 54,8

2. Infor 5,5

3. Microsoft 3,8

4. Sage Software 2,9

5. Oracle 0,9

6. Exact Software 0,7

7. IFS 0,4

8. Lawson 0,4

9. Agresso 0,3

10. Hyperion 0,3

Tabelle 2: ERP-Anbieter nach Umsatz im Jahr 2006 (Niemann, 2007)

Betrachtet man die aktuelle Situation an den beruflichen Schulen, so stellt man eine Konzentration

auf die Hersteller SAP und Microsoft fest. Dies lässt sich damit erklären, dass die Schulen ein Wa-

renwirtschaftssystem benötigen, welches einerseits geeignet ist, die Forderungen der jeweiligen

Lehrpläne zu erfüllen und andererseits das Arbeiten mit dem jeweiligen Programm den Schülern

zusätzliche Qualifikationen vermittelt. Ausgehend von diesen Anforderungen ist es verständlich,

dass bei vielen Schulen der Marktführer SAP als geeigneter Partner für Warenwirtschaftssysteme

gesehen wird (Hölzlwimmer 2008; Pongratz 2007; Schuller 2008). Einen ähnlichen Leitungsumfang,

jedoch günstigere Konditionen, bietet der größte Konkurrent, die Firma Microsoft, mit den Waren-

wirtschaftssystemen der MBS Dynamics-Reihe. Da Warenwirtschaftssysteme im privaten Umfeld

verständlicherweise nicht im Einsatz sind, haben Lehrkräfte bis zur Einführung dieser Software an

Schulen wenige Berührungspunkte mit einer derart umfassenden Software gehabt. Manche Schulen

haben den Schritt zur Einführung eines ERP-Systems getan, einige mit Erfolg, wie die Praxisbeispiele

der Fachtagung 18 der Hochschultage 2008 zeigten, andere Schulen hatten größere Probleme und

eine Vielzahl von Schulen steht noch vor der Herausforderung, ein ERP-System an der Schule zu

implementieren und in den Unterricht zu integrieren. Im vorliegenden Text werden daher die beiden

Lösungen, sowohl von SAP als auch von Microsoft, ausgehend von den Praxisbeispielen der Hoch-

schultage 2008, miteinander verglichen.

2 ERP-Software von Microsoft und SAP im schulischen Einsatz

2.1 Vorstellung der an den Schulen am häufigsten eingesetzten ERP-Systeme

Die Wahl eines ERP-Systems obliegt den jeweiligen Schulen. Es gibt von Seiten der Landesinstitu-

te oder von Seiten der Ministerien keine verpflichtenden Vorgaben bezüglich des ERP-Herstellers.

Somit ist es den Schulen selbst überlassen, für welchen Hersteller sie sich entscheiden. Daher kön-

nen nicht alle an beruflichen Schulen eingesetzten Software-Lösungen im Rahmen dieses Beitrags

115

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

115

besprochen werden und die Einschränkung auf die ERP-Lösungen von SAP und Microsoft sind nur

der höheren Verbreitung an beruflichen Schulen geschuldet und treffen keine Aussage über die

Qualität und Geeignetheit anderer ERP-Lösungen im Unterricht.

2.1.1 Die Software SAP R/3 der SAP AG

Die Firma SAP in Walldorf ist mit ihren Produkten Marktführer. Nach eigener Aussage nutzen 60 %

der 2.000 weltgrößten Unternehmen Lösungen der Firma SAP (SAP AG, 2009). Diese herausragende

Stellung führt dazu, dass Arbeitnehmer mit SAP-Qualifikationen stark gesucht sind. Eine Online-Ab-

frage am 1. Juni 2009 nach Stellen mit notwendiger SAP-Qualifikation unter www.arbeitsagentur.de

führte im Bereich der Metropolregion Nürnberg zu über sechzig offenen Stellen. Die Bestrebungen

der Firma SAP zielen in den letzten Jahren mehr und mehr auf den Mittelstand ab. Durch die Schaf-

fung von individuellen Branchenlösungen will die SAP AG ihre Marktführerschaft bei Großunterneh-

men auch im Mittelstand erreichen. Das derzeit aktuellste Produkt der Firma SAP ist SAP ERP 6.0.

2.1.2 Die ERP-Software Dynamics von Microsoft Business Solutions

Die Firma Microsoft verfügte bis zum Jahr 2002 über keine eigenständige, konkurrenzfähige ERP-

Lösung. Erst mit der Übernahme der dänischen Firma Navision und der Integrierung des Programms

in das Angebot konnte Microsoft im Bereich Business Solutions vor allem im Bereich der klein- und

mittelständigen Unternehmen Kunden gewinnen. Derzeit setzen nahezu 300.000 Kunden weltweit,

zu großen Teilen mittelständische Unternehmen, die ERP-Lösung von Microsoft ein. Die aktuell ver-

triebene Version ist MBS Dynamics 2009. (Microsoft 2009)

2.2 Der Einsatz von ERP-Programmen an beruflichen Schulen

An beruflichen Schulen finden sich nicht nur die ERP-Lösungen der Firma SAP und der Firma Mi-

crosoft. Beispielsweise wird an den Wirtschaftsschulen des Freistaats Bayern Mesonic Winline flä-

chendeckend eingesetzt (Sailer 2008). An manchen Berufsschulen findet sich das ERP-Programm

SAGE KHK (Hölzlwimmer 2008; Sailer 2008). Die Konzentration auf die beiden Hersteller SAP und

Microsoft ergibt sich aus der Marktposition und der Verbreitung an Schulen. Bei beiden Program-

men handelt es sich um komplexe ERP-Systeme. Die Marktphilosophie der beiden Hersteller mag

sich unterscheiden, die Bedienung mag unterschiedlich sein, im tagtäglichen Einsatz bei Unterneh-

men beweisen beide Programme, dass sie den Anforderungen moderner Unternehmen genügen.

Beide Lösungen arbeiten vollständige betriebliche Prozesse ab und können somit auch für einen

prozessorientierten Unterricht eingesetzt werden. Die Unterschiede der beiden Lösungen zeigen

sich deutlich, wenn man eines der beiden ERP-Systeme an einer Schule einsetzen will. Beide Her-

steller weisen gänzlich unterschiedliche Ansätze auf, die im Kapitel 2.4 näher dargestellt werden.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

116116

2.2.1 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrerinitiativen

An einigen Schulen ging die Entscheidung für die Einbindung eines ERP-Systems in den Unter-

richt von den Lehrkräften aus (Schuller 2008, Reich-Zies et al. 2008; Pongratz 2007). In diesen Fäl-

len wurden die Initiativen von den Schulleitungen unterstützt und die notwendigen Ressourcen zur

Verfügung gestellt. Der Einsatz des ERP-Systems bleibt in diesem Fall anfangs auf die initiierenden

Lehrkräfte beschränkt, eine Ausweitung der Initiative auf die gesamte Schule ist jedoch möglich.

An den Schulen, die an den Hochschultagen 2008 beteiligt waren, wurden bereits von Lehrkräften

ERP-Systeme eingesetzt, bevor diese überhaupt in neu geordnete Lehrpläne aufgenommen wurden.

2.2.2 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund von Lehrplanforderungen

Die einfachste Begründung zum Einsatz eines ERP-Systems im Unterricht an beruflichen Schulen lie-

fern die neu geordneten Lehrpläne. Der Lehrplan für Industriekaufleute in Bayern fordert den Einsatz

einer integrierten Unternehmenssoftware im Umfang von insgesamt 240 Unterrichtsstunden (Bayeri-

sches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2002, S. 12). Die Lehrpläne geben jedoch keinerlei

Hinweis, wie diese Forderung erfüllt werden sollte. Hierüber wurde bereits während des Modellver-

suchs CULIK intensiv diskutiert (Riesebieter, Budde et al. 2003; Riesebieter, Hahn 2003). Die Tabelle

3 gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Lehrplanforderungen nach EDV-Einsatz im Un-

terricht an beruflichen Schulen ausgehend von den gültigen Rahmenlehrplänen der KMK.

Kaufmann/-frau

im Einzelhandel

Industriekaufmann/-

frau

Kaufmann/-frau

im Großhandel

Forderungen im

Rahmenlehrplan80 Std. 80 Std. 80 Std.

„… integrieren auch

den Umgang mit ak-

tuellen Medien, mo-

derner Bürokommuni-

kation und berufsbe-

zogener Software zur

Informationsbeschaf-

fung und Informati-

onsverarbeitung. Hier-

für ist ein Gesamtum-

fang von mindestens

80 Unterrichtsstunden

im Rahmenlehrplan

berücksichtigt.“ (KMK

2004, S. 6)

„Die Informationsbe-

schaffung, -verarbei-

tung und –auswertung

erfolgt integrativ über

Medien und informati-

onstechnische Syste-

me in allen Lernfeldern.

Hierfür ist ein Gesamt-

umfang von mindes-

tens 80 Stunden im

Rahmenlehrplan be-

rücksichtigt.“ (KMK

2002, S. 7)

„Die Informationsbe-

schaffung, -verarbei-

tung und -auswertung

erfolgt integrativ über

Medien und informati-

onstechnische Syste-

me in allen Lernfeldern.

Hierfür ist ein Gesamt-

umfang von mindes-

tens 80 Stunden im

Rahmenlehrplan be-

rücksichtigt.“ (KMK

2006, S. 6)

Tabelle 3: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen (Rahmenlehrpläne)

117

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

117

Die Tabelle 4 lenkt nun den Blick auf die Vorgaben der bayerischen Lehrpläne. Nur im Bereich der

Großhandelskaufleute hat man die Vorgaben der KMK identisch übernommen. Man erkennt deut-

lich, dass die Vorgaben der KMK-Rahmenlehrpläne im Bereich der Einzelhandelskaufleute und der

Industriekaufleute um den Faktor 3 erhöht worden sind. Vor allem diese Abweichungen im zeitlichen

Umfang der bayerischen Lehrpläne von den Vorgaben der Rahmenlehrpläne sind beachtenswert.

Kaufmann/-frau

im Einzelhandel

Industriekaufmann/-

frau

Kaufmann/-frau

im Großhandel

Geforderte ERP-

Stunden im Lehr-

plan in Bayern

240 Std. 240 Std. 80 Std.

„Sie integrieren auch

den Umgang mit ak-

tuellen Medien, mo-

derner Bürokommuni-

kation und berufsbe-

zogener Software zur

Informationsbeschaf-

fung und Informations-

verarbeitung. Hierfür

ist ein Gesamtumfang

von mindestens 240

Unterrichtsstunden in

der Lehrplanrichtlinie

berücksichtigt.“ (Bay-

erisches Staatsminste-

rium für Unterricht und

Kultus 2004, S. 7)

„Die Informationsbe-

schaffung, -verarbei-

tung und -auswertung

erfolgt integrativ über

Medien und informati-

onstechnische Syste-

me in allen Lernfeldern.

Insbesondere soll eine

integrierte Unterneh-

menssoftware im Un-

terricht eingesetzt wer-

den. Hierfür ist ein Ge-

samtumfang von 240

Stunden in den Lehr-

planrichtlinien berück-

sichtigt.“ (Bayerisches

Staatsminsterium für

Unterricht und Kultus

2002, S. 12)

„Die Informationsbe-

schaffung, -verarbei-

tung und -auswertung

erfolgt integrativ über

Medien und informati-

onstechnische Syste-

me in allen Lernfeldern.

Hierfür ist ein Gesamt-

umfang von mindes-

tens 80 Stunden im

Rahmenlehrplan be-

rücksichtigt.“ (Bayeri-

sches Staatsminsteri-

um für Unterricht und

Kultus 2006, S. 8)

Tabelle 4: Geforderter ERP-Einsatz in kfm. Ausbildungsberufen in Bayern

Um erfolgreich diese Lehrplanforderungen erfüllen zu können, erhalten die Lehrkräfte in Bayern zen-

trale Unterstützung durch das ISB (ISB 2009; Sailer 2008). In Baden-Württemberg unterstützt das LS

zentral die Lehrkräfte (LS 2009).

2.2.3 Einsatz von ERP-Systemen aufgrund wirtschaftsdidaktischer Erwägungen

Es stellt sich nun schon die Frage, ob der Einsatz einer komplexen ERP-Software auch ohne direkten

Lehrplanbezug gefordert werden kann. Die Frage betrifft letztendlich alle noch nicht neu geordneten

kaufmännischen Berufsbilder. Bei konsequenter Anwendung der curricularen Prinzipien lässt sich der

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

118118

Einsatz von ERP-Systemen auch ohne explizite Erwähnung in den gültigen Lehrplänen argumentie-

ren. Beispielsweise nach dem Wissenschaftsprinzip. Eine Grundbedingung des Wissenschaftsprin-

zips lautet, dass nichts unterrichtet werden darf, was unter der Maßgabe des heutigen Standes der

Wissenschaft falsch ist (Blankertz 1982, S. 14). In der Bezugsdisziplin Betriebswirtschaftslehre nimmt

seit der Veröffentlichung von Gaitanides (1983) der Geschäftsprozess eine zentrale Rolle ein. Maß-

nahmen der Geschäftsprozessoptimierung setzen sich immer mehr durch (vgl. Gaitanides et al. 1994;

Hammer, Champy 1994; Davenport 1997; Schober 2002; Helbig 2003; Gaitanides 2007). Eine wichti-

ge Rolle spielt die Prozessorientierung auch in der Wirtschaftsinformatik. Neben der Beschäftigung

mit der Abwicklung von Geschäftsprozessen. Aus diesem Grund könnte ein prozessorientierter Un-

terricht nach Maßgabe des Wissenschaftsprinzips mit Nutzung einer ERP-Software sinnvoll sein. Un-

ter dem Aspekt des Situationsprinzips würde die aktuelle Lebenswirklichkeit, beziehungsweise die

gegenwärtigen oder zukünftigen Lebenssituationen in den Mittelpunkt gestellt (Reetz 1984, S. 99).

In den Betrieben werden die Schülerinnen und Schüler mit Anforderungen konfrontiert, auf die sie

vorbereitet werden müssen. Keine Firma kommt heutzutage mehr ohne den Einsatz von Informati-

onstechnologie aus, die grundlegenden kaufmännischen Tätigkeiten werden mehr und mehr auto-

matisiert. Es muss unter anderem dafür gesorgt werden, dass die „Black Box“ am Ausbildungsplatz

geöffnet wird und die Schülerinnen und Schüler die Chance bekommen, die grundlegenden betrieb-

lichen Prozesse im Berufsschulunterricht zu erfahren, da dies im Ausbildungsbetrieb nur noch selten

möglich ist (Böhme, Scholz 2007; S.61 f.). Aus dieser Argumentation lässt sich eine mögliche Rolle

eines ERP-Systems an beruflichen Schulen ableiten – es dient zur Visualisierung von Geschäftspro-

zessen und zur Verdeutlichung der Wirkzusammenhänge innerhalb eines Unternehmens. Der Einsatz

des ERP-Systems könnte somit, wie andere Software auch, zur Erhöhung der Anschaulichkeit die-

nen (Euler 1990, S. 184). Ähnlich sieht es auch Pfänder, der weiterführend feststellt, dass „durch eine

konkrete Auseinandersetzung mit dem Medium sich Anforderungen, Nutzungsmöglichkeiten und

Konsequenzen der Informationstechnologie im Unternehmen, als auch die Integration derselben re-

alitätsnah darstellen lassen.“ (2000, S. 87) Sieht man die Nutzung der ERP-Software nur aus diesem

Blickwinkel, so ist in allen kaufmännischen Berufen ohne Lehrplanforderung nach ERP-Einsatz zu-

mindest ein illustrativer Ansatz (Wilbers 2008) legitimierbar. Aber auch das Auswerten von Daten ist

kaufmännische Aufgabe und daher könnten auch Aufgaben geringer Komplexität, wie beispielsweise

die Belegerfassung oder die Nutzung des Systems im Rahmen der Finanzbuchhaltung (Jassmeier

2006) in allen kaufmännischen Berufen als Grundlegend gesehen werden. Somit könnte auch ein

sequentieller Einsatz (Wilbers 2008) von ERP-Systemen an beruflichen Schulen begründet werden.

Abbildung 1 zeigt mögliche Einsatzarten eines ERP.Systems an beruflichen Schulen auf

119

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

119

ERP-Einsatz im Unterricht

Illustrativer Einsatz

Sequentieller Einsatz von ERP

einfaches Step-by-Step

Aufgaben geringer

Komplexität

Einsatz im fall- oder projekt-

orientierten Unterricht

Komplexer Einsatz, z.

B. in Lernfirmen

Abbildung 1 Möglicher Einsatz von ERP-Systemen im Unterricht (vgl. Wilbers 2008)

2.3 Kooperationsansätze der ERP-Hersteller SAP und Microsoft

2.3.1 Der Herstelleransatz der SAP AG

2.3.1.1 Das University Alliance Programm der SAP AG (SAP-UA)

Die Firma SAP setzt in Deutschland auf die SAP University Alliance. Mit dem University Alliances

(UA) Programm fördert SAP eine praxisnahe und zukunftsorientierte Ausbildung, indem sie Lehren-

den und Studierenden weltweit Zugang zu neuesten SAP-Technologien ermöglicht. Das Programm

richtet sich an Hochschulen und berufliche Schulen, die SAP-Software aktiv in die Lehre integrieren

wollen. Die Firma SAP sorgt im Rahmen dieser UA für die Schulung der Lehrkräfte und für die Unter-

stützung der teilnehmenden Institutionen mit grundlegendem Unterrichtsmaterial. Die interessierten

Schulen erhalten jedoch keine eigenständige SAP-Installation vor Ort, stattdessen erfolgt die Arbeit

mit einem SAP-System auf den Zentralrechnern von zwei Universitäts-Kompetenz-Zentren (UCC).

Eines dieser Zentren befindet sich an der Universität Magdeburg, das andere an der Technischen

Universität München (SAP AG 2008). Der Zugriff auf den zentral gehosteten Mandanten erfolgt mit

Hilfe des SAP-GUI über die Internetverbindung der jeweiligen Schule. Für die erbrachten Dienstleis-

tungen erheben die UCCs einen Jahresbeitrag. Mit diesem Beitrag (ca. 3.500 EUR pro Jahr für einen

Mandanten) wird die notwendige Infrastruktur auf Seiten der UCCs finanziert. Beispielsweise werden

in einem UCC zentral die gewünschten Programme bereitgestellt und die Wartung der SAP-Instal-

lation vorgenommen. Der technische Aufwand an den Schulen vor Ort ist die lokale Einrichtung der

Rechner mit einem „SAP-GUI“, einer grafischen Oberfläche für den Zugriff auf die Zentralrechner des

jeweiligen UCCs. Die Hardwareanforderungen an die Schulrechner sind bei Nutzung der SAP-GUI

als gering zu bezeichnen. Unter Windows XP ist der GUI bereits bei Minimalkonfiguration lauffähig:

Notwendig ist eine Standard-Grafikkarte und maximal 600MB Festplattenspeicher. Ein Internetzu-

gang für den Zugriff auf die Server des jeweiligen UCC ist obligatorisch. Da das SAP-System zentral

auf den Servern des UCC läuft und dort auch alle Berechnungen durchgeführt werden, ist der Da-

tendurchsatz zwischen Schule und UCC sehr gering, so dass die Arbeit auf den SAP-Servern zum

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

120120

Beispiel bereits mit einem T-DSL1000 möglich ist. Daher ist jeder Standard-DSL-Anschluss in der

Lage, die notwendige Konnektivität zur Verfügung zu stellen. Somit bieten die UCCs einen umfas-

senden technischen Support für die angeschlossenen Bildungseinrichtungen (UCC 2009). Die Auf-

gaben eines UCC und die Stellung innerhalb der Partner und angeschlossenen Hochschulen werden

in Abbildung 3 deutlich.

Kooperation zwischen SAP, Hardwareherstellern,

Uni Magdeburg / Technische Uni München

und T-Systems CDS

Hochschule/Schule

Arbeitsmarkt Gesellschaft Hochschulen / Schulen

Job-angeboteInteresse

Lehrauftrag

Forschungs-motivation

Kostendruck

Qualität von und Lehre

Studierende Dozent

Forscher

Administrator

Support

Know-How

Hosting

SAP

T-Systems

HCC

HP/SUNNachfrage

Abbildung 2: Die Aufgaben der UCC Magdeburg und München (UCC 2009)

Neben der technischen Unterstützung bieten die UCCs auch vorgefertigte Fallstudien. Diese Fallstu-

dien sind vom Anforderungsniveau auf die Bedürfnisse von Hochschulen zugeschnitten. Auf Grund-

lage dieser Fallstudien werden auch die zukünftigen Dozenten und Lehrkräfte durch Mitarbeiter der

UCCs für das SAP-System geschult. Dies bedeutet, dass alle vorhandenen Fallstudien einmal durch-

gearbeitet und alle aufkommenden Fragen umfassend beantwortet werden. Eine Teilnahme an dieser

Schulung ist obligatorisch und stellt sicher, dass nur geschulte Dozenten oder Lehrkräfte mit dem

SAP im Unterricht arbeiten (UCC 2009). Ein direkter Einsatz der vorgefertigten Fallstudien im Unter-

richt an beruflichen Schulen ist aufgrund der Komplexität der Fallstudien nicht möglich. Für berufliche

Schulen können diese Fallstudien jedoch als Grundlage eigener Fallstudien dienen – die Erstellung

derselben ist jedoch mit hohem Zeitaufwand verbunden (Reich-Zies et al. 2008).

Wichtige Punkte:

- Technischer Support durch UCC sorgt für eine geringere Belastung der schulischen Systembe-

treuer

- Ansatzweise Didaktischer Support durch UCC

- Schulung der Lehrkräfte ist verpflichtend und sichert eine Grundqualifizierung

121

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

121

2.3.1.2 Die Online-Plattform ERP4SCHOOL

Da die Kosten eines Mandanten bei einem UCC vielen Schulen sehr hoch erscheinen, laufen aktuell

Bemühungen, den Zugriff auf ein vollwertiges SAP-System über das Internet zu realisieren. Federfüh-

rend ist hier das Oberstufenzentrum (OSZ) für Bürowirtschaft und Dienstleistung aus Berlin-Pankow.

Die langjährige Erfahrung im Umgang mit SAP im Unterricht führte zum Projekt ERP4SCHOOL, wel-

ches auf der Cebit 2008 offiziell vorgestellt wurde. Auf der Seite „www.erp4school.de“ finden inte-

ressierte Schulen vorgefertigte Fallstudien, welche mit Hilfe eines SAP-Systems bearbeitet werden

können. Bei Fragen und Problemen offeriert das OSZ Berlin technischen Support für die angeschlos-

senen Schulen. Das Projekt ist derzeit in der Versuchsphase und soll nach Evaluation der Versuchs-

ergebnisse ausgeweitet werden. Kosten entstehen im Kompetenzzentrum in Magdeburg. Das SAP-

System wird vom UCC in Magedeburg gehostet und mit hoher Performace zur Verfügung gestellt. Für

den hohen technischen Aufwand, den die Systemverwalter der Schulen nicht leisten können, fällt pro

Jahr und Mandant ein Betrag an von 950,00 EUR (Stand Juni 2009). Das Angebot von ERP4SCHOOL

zielt sowohl auf Vollzeitschulen als auch auf Berufsschulen mit dualen Ausbildungsberufen ab. Dies

führt dazu, dass es zwei Versionen gibt, eine „Vollversion“ für Schulen mit vollzeitschulischen Aus-

bildungsgängen und eine „einfache Version“ für Berufsschulen mit dualen Berufsausbildungen. Wei-

terhin sind berufsschulgerechte Fallstudien angekündigt sowie die Möglichkeit eines Customizing

(ERP4SCHOOL 2009). Einen ersten Überblick über die gedachten Einsatzbereiche der Szenarios

ERP4SCHOOL gibt Abbildung 2. Man plant das Anbieten von zwei Szenarien, die jeweils die Berei-

che „Eingabe“, „Erkundung“ und „prozessorientierte Navigation“ umfassen. Mit „Vollversion“ wird ein

umfassendes Paket bezeichnet, das für Vollzeitschulen gedacht ist. Man versucht die Integration aller

relevanten SAP-Module. Für Schulen, die in Fachklassen mit dualen Ausbildungsberufen ausbilden,

wird eine „einfache Version“ angeboten, die weniger umfangreich nur ausgewählte Teilbereiche um-

fasst. Hierbei konzentriert man sich insbesondere auf die Bereiche Einkauf und Vertrieb.

Eingabe

Vertrieb

Einkauf

Produktion

Finanz-buchhaltung

Controlling

Personal

Erkundung

Vertrieb

Einkauf

Produktion

Finanz-buchhaltung

Controlling

Störungen/ Probleme

Reporting

prozessorientierte Navigation

Prozess-analyse

Prozess-aufbau

Prozess-optimierung

ARIS-Integration

Vollversion und einfache Version

nur Vollversion

Abbildung 3: Szenarien von ERP4SCHOOL (eigene Darstellung in Anlehnung an ERP4SCHOOL, 2009)

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

122122

Wichtige Punkte:

- Internetbasierte Lösung

- Didaktischer Support durch Lehrkräfte des OSZ Berlin

- Customizing möglich

- Reduzierung der Kosten verglichen zu einem eigenen UCC-Mandanten

2.3.1.3 Die österreichische Lösung ERP4U.AT

Bei ERP4U handelt es sich um ein Angebot der Business Software Austria, einem Verein, der die ös-

terreichische Lösung einer zentralen Supporteinheit für SAP im beruflichen Schuleinsatz darstellt.

Als Gründungsjahr kann das Jahr 2000 gesehen werden, in welchem erste Lehrkräfte auf den Einsatz

von SAP vorbereitet wurden. Die Bereitstellung des SAP-Systems erfolgt, analog wie in Deutschland

zentral, in Österreich ECC (Educational Competence Center) genannt. Auch in Österreich gibt es zwei

ECCs. Das ECC an der TU Wien hat ausnahmslos Hochschulen als Kunden, das ECC der Business

Software Austria hat für sich als alleinigen Kundenkreis die Schulen in Österreich (Pscheidl-Schubert

2008).

Der Vorteil der ECC-Lösung über die Business Software Austria ist es, dass die angebotenen Man-

danten exakt auf die Bedürfnisse der Kunden, ausnahmslos berufliche Schulen, abgestimmt worden

sind. Möglich wurde dieser Ansatz durch eine konzentrierte Aktion der SAP Österreich GmbH, des

österreichischen Kultusministeriums und des Vereins Business Software Austria. Für die Schulen

fallen lediglich Kosten für den Betrieb im Education Competence Center an. Diese orientieren sich

an der Gruppenzahl der in der Schule unterrichteten Klassen auf Basis eines Zeitscheibenmodells,

welches das Schuljahr in 4 gleich große Zeitscheiben teilt. Berechnungsbasis ist die Gruppe (ca. 15

- 20 Schülerinnen und Schüler). Für jede Gruppe wird ein SAP ERP ADES-Mandant zur Verfügung

gestellt. Dieser Mandant kostet pro Gruppe und Zeitscheibe generell 654,-- € inkl. MwSt. Von die-

sem Grundpreis werden jedes Jahr etwaige Förderungen (meist durch das Kultusministerium oder

den betreibenden Verein Business Software Austria) in Abzug gebracht. Diese Gelder werden aus-

schließlich für den Betrieb der Serverlandschaft am Education Competence Center sowie für die

Hardwareausstattung und Aufrüstung benutzt. (SAP Österreich 2009; Pscheidl-Schubert 2008)

Im Schuljahr 2005/2006 wurde vom Vorstand der Business Software Austria beschlossen, dass man

auf eigene Rechnung einen neuen, eigenen Mandanten entwickeln sollte. Dieser Beschluss führ-

te zur Entwicklung des Mandanten ACME, der im Herbst 2006 erstmalig vorgestellt wurde und seit

2007 ebenfalls von den Schulen genutzt werden kann. Der Mandant ACME deckt ebenso wie der

ADES-Mandant alle Inhalte der SAP-Anwender-Zertifizierungen ab. Das SAP Foundation Certificate

kann von Schülerinnen und Schülern aller Schultypen erworben werden. Zusätzlich bietet SAP sechs

Spezialzertifikate an, welche die Bereiche Materialwirtschaft, Produktionsplanung, Verkauf und Fi-

nanzwirtschaft abdecken. Jeder Antritt zu einer Zertifikatsprüfung kostet 180,-- € inkl. MwSt. (SAP

Österreich 2009; Pscheidl-Schubert 2008).

123

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

123

Wichtige Punkte:

- Eigenes Schulungsmodell für Lehrkräfte

- Eigene Serverlandschaft für berufliche Schulen

- Eigene Schulungsunterlagen und Schulungsdaten

- Realisierung über ein Public-Private-Partnership-Modell

- Flexibles, an das Schuljahr angepasstes Preismodell

- Kundenspezifisches Customizing ist möglich

2.3.2 Der Herstelleransatz der Microsoft Deutschland GmbH

2.3.2.1 Die MBS Academic Alliance (MBSAA)

Im Rahmen der MBS Academic Alliance (MBSAA) unterstützt Microsoft Business Solutions Lehrein-

richtungen im Hochschul- und Berufsschulumfeld durch die kostenlose ERP-Software Navision für

den Einsatz in Forschung, Lehre und Unterricht (Microsoft 2009). Der Microsoft Business Solutions

Academic Alliance können auch einzelne Schulen beitreten, allerdings reduziert sich dann der Sup-

port von Microsoft auf die kostenlose Bereitstellung der Software und eine einmalige Schulung von

Multiplikatoren. Zusätzlich erhalten die Partnerschulen Linklisten und Unterstützung beim Networ-

king. Genaue Zahlen über die Anzahl der Partnerschulen im MBSAA- Programm sind Verschlusssa-

che der Firma Microsoft. Auf den Berufsschulseiten der MBSAA wird explizit auf die Landesinstitute

des Freistaats Bayern (ISB) und von Baden-Württemberg (LS) hingewiesen, so dass man vermuten

kann, dass außerhalb der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg die Verbreitung der Mi-

crosoft-Lösung eher gering ist. (Microsoft 2009).

Wichtige Punkte:

- Keine Kosten für interessierte Schulen

- Qualifizierung der Lehrkräfte durch Multiplikatorenschulungen

2.3.2.2 Kooperation mit staatlichen Landesinstitute

Die Firma Microsoft bietet über die MBSAA den jeweiligen Bildungsträgern die ERP-Lösung Dyna-

mics Nav kostenlos zur Nutzung an. Der Kontakt zwischen Schulen und Microsoft läuft in Bayern

und Baden-Württemberg über die staatlichen Landesinstitute, in Bayern über das ISB und in Baden-

Württemberg über das LS. Die Institute dienen hierbei als zentraler Dienstleister für die angeschlos-

senen Schulen. Durch diese Kooperation mit den staatlichen Landesinstituten gelang der Firma

Microsoft eine nahezu flächendeckende Verbreitung Ihrer ERP-Lösung Dynamics Nav (ehemals Na-

vision). Beide Landesinstitute dienen als direkter Supportgeber für die jeweiligen Schulen (LS 2009;

ISB 2009).

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

124124

2.3.2.2.1 Das ISB in Bayern als Kooperationspartner der Firma Microsoft

Der Support durch das ISB in Bayern sieht neben Schulungen am System vor allem didaktische

Handreichungen vor. Ausgehend von einem angepassten Mandanten und einer modifizierten Da-

tenbank werden komplette Aufgabenstellungen inklusive Lösungen angeboten. Jede Handreichung

enthält auch eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Durchführung der jeweils notwendigen Bedien-

schritte innerhalb des ERP-Programms. Im Bereich der Warenwirtschaft werden berufsfeldspezi-

fische Mandanten angeboten. Es gibt Mandanten für den Bereich der Industriekaufleute, der Groß-

handelskaufleute und für die Einzelhandelskaufleute. Speziell für die Einzelhandelskaufleute wird

ein Kassenmodul angeboten. Um die Lehrkräfte auf den Einsatz von MBS Navision vorzubereiten,

fanden zentrale Multiplikatorenschulungen statt. Diese ausgebildeten Multiplikatoren sollten in den

jeweiligen Regierungsbezirken des Freistaats Bayern interessierte Lehrkräfte schulen. Diese Schu-

lungen haben jedoch nach Aussage von Lehrkräften nur teilweise und nicht im nötigen Umfang

stattgefunden. Verantwortlich für die Unterstützung der Schulen im Bereich ERP ist Herr StD Edgar

Sailer. Er zeichnet verantwortlich für den Support von MBS Dynamics Nav, parallel für den Support

von Mesonic Winline. Weitere Ansprechpartner bezüglich ERP sind auf den Seiten des ISB nicht zu

erkennen. (ISB 2009)

2.3.2.2.2 Das LS in Baden-Württemberg als Kooperationspartner der Firma Microsoft

In Baden-Württemberg erfolgt der Support der Schulen ebenfalls über ein zentrales staatliches In-

stitut. Aktuell beschäftigen sich acht Lehrkräfte, die Tagesweise an das LS abgeordnet sind mit der

Erstellung aktueller Handreichungen und dem zur Verfügung stellen von technischem und didakti-

schem Support für die beruflichen Schulen in Baden-Württemberg. Die Bemühungen des LS wurden

im Juli 2008 durch Microsoft honoriert. Das Landesinstitut LS erhielt die Auszeichnung «Microsoft

IT Academy Program Member». Mit dieser Auszeichnung wird die beispielhafte Qualifizierungsarbeit

im Bereich der integrierten Unternehmenssoftware Microsoft Dynamics NAV® gewürdigt. (LS 2009)

Die besondere Leistung des Landesinstituts in Baden-Württemberg besteht darin, dass zielgruppen-

orientierte Mandanten zur Verfügung gestellt werden. Es wird durch die Lehrkräfte am LS umfang-

reiches Customizing der Dynamics Nav – Oberfläche vorgenommen. So stellt man beispielsweise

sicher, dass die Bezeichnungen der Formulare mit der Unterrichtssprache korrespondieren. Schu-

lungen für Lehrkräfte finden regelmäßig mehrmals im Jahr statt (LS 2009).

Wichtige Punkte:

- Rahmenverträge mit Landesinstituten führen zu flächendeckendem Einsatz

- Handreichungen liefern Grundlage, um das Programm im Unterricht einsetzen zu können.

- Handreichungen ermöglichen einen Illustrativen und sequentiellen Einsatz.

- Customizing der Mandanten vereinfacht den Einsatz im Unterricht

125

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

125

3 Fallstudien: Implementierungsstrategien an beruflichen Schulen

Da es keine Beschreibung einer Musterimplementierung eines ERP-Systems an beruflichen Schulen

gibt, ist es in einem ersten Schritt notwendig, sich aktuelle Lösungsstrategien verschiedener Schulen

anzusehen. Im folgenden Kapitel sollen verschiedene erfolgreiche Ansätze dargestellt und verglichen

werden. Hierbei stützen sich die Ausführungen nicht nur auf die Vorträge der an den Hochschultagen

2008 beteiligten Schulen. Zusätzlich werden Interviews mit Vertretern des OSZ Berlin und der DV-

Schulen Würzburg und Gespräche mit Vertretern der Landesinstitute mit eingebracht.

3.1 Implementierungsstrategien an Vollzeitschulen

Unter Vollzeitschulen fallen die Schulen, bei denen die Berufsausbildung rein schulisch, ohne dua-

len Partner erfolgt. Hierunter zählen die Berufsfachschulen mit zwei- oder dreijähriger Ausbildungs-

dauer, welche einen anerkannten Berufsabschluss verleihen können. Bei den Hochschultagen 2008

waren mit dem Oberstufenzentrum für Bürowirtschaft und Dienstleistungen aus Berlin und den DV-

Schulen Würzburg zwei Schulen dieser Kategorie mit zwei unterschiedlichen Ansätzen vertreten.

3.1.1 Oberstufenzentrum (OSZ) Berlin für Bürowirtschaft und Dienstleistung

3.1.1.1 Allgemeines

Das OSZ in Berlin wurde im Jahr 1998 gegründet um der immer höheren Zahl von Jugendlichen ohne

Ausbildungsplatz eine Möglichkeit zum Erlernen eines Berufes zu geben. In der Gründungsphase

wurde die vollzeitschulische Ausbildung zum/zur Bürokaufmann/-frau und zum/zur Kaufmann/-frau

für Bürokommunikation mit einem eigenen Unterrichtsmodell angeboten (OSZ Berlin 2008). Seit

dem Jahr 2005 sind die Prozessmanagementsoftware ARIS und das ERP-System der Firma SAP

fester Bestandteil des Unterrichts. Mit der Einführung eines neuen Berufsbildes ERP-Kaufmann/

ERP-Kauffrau und dem Start des deutschlandweiten Projekts ERP4SCHOOL ist das OSZ Berlin ein

bemerkenswertes Beispiel für die Möglichkeiten, die eine Implementierung von ERP-Systemen den

beruflichen Schulen bieten kann. (Pongratz 2007; OSZ Berlin 2008)

3.1.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht

Die Einbindung von SAP erfolgte im Rahmen des University Alliances (UA) Programms der Firma

SAP. Alle Lehrkräfte des Oberstufenzentrums, die mit der ERP-Software im Unterricht arbeiten, wur-

den durch Mitarbeiter des UCC Magdeburg geschult und somit in die Lage versetzt, das Programm

grundständig bedienen zu können. Der Unterricht am OSZ Berlin folgt den Prämissen des Lernens

im Modell (LiM) und des Lernens am Modell (LaM) (Tramm 1992, S.208 ff). Dies bedeutet, dass die

Einbindung des SAP-Programms im Bereich der Arbeit im Modellunternehmen erfolgt. In diesem Be-

reich geht es um das Erlernen von Arbeitsprozessen, der Erfassung von Belegen, dem einfachen Bu-

chen von Geschäftsvorfällen und dem damit verbundenen Erlernen der Bedienung des ERP-Systems

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

126126

der Firma SAP. Ergänzt werden diese praktischen Phasen durch das Modul Lernen am Modell. In

dieser Phase der Reflexion werden die theoretischen Grundlagen für das weitere Arbeiten gelegt und

es werden die Aktionen der vorherigen LiM-Phase besprochen. Da es die Unterrichtsfächer LiM und

LaM offiziell nicht gibt und sich das OSZ Berlin an die herrschenden Lehrpläne halten muss, kann

man sich das LaM als Synthese der Fächer Wirtschaftslehre, Wirtschaftsmathematik, Rechnungs-

wesen und Bürowirtschaft vorstellen. Im Bereich LiM geht vor allem das Fach Textverarbeitung auf.

(Dörrer 2008, Pongratz 2007).

Lernen im

Modell-unternehmen

LS 1

LS 2

Lernen am

Modell-unternehmen

Wirtschaft und

Gesellschaft

Sprache und

Kommunika-tion

Sport und

Kurse WP

LS 3

LS 4 LS 4

LS 5

BP/DV

TV

WL (Teile)

ReWe

Bürowirtsch.

WiMathe

SOZ

WL

D EN

Lehrer

Abbildung 4: Curriculares Gesamtkonzept OSZ Berlin (Dörrer 2008)

3.1.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am OSZ Berlin

Das ERP-Konzept am Oberstufenzentrum in Berlin zeigt beispielhaft, wie komplex man ERP-Systeme

in den Unterricht einer beruflichen Schule einbinden kann. Die Erfahrungen an der Schule zeigen aber

auch, dass eine Einbindung von ERP-Systemen in den Unterricht kein kurzfristiges Projekt sein kann.

Die große Anzahl von Lehrkräften, die sich der SAP-Schulung unterzogen hat, ist der deutlichste Be-

weis, dass die erfolgreiche Einbindung durch die hohe Akzeptanz im Kollegium gefördert wurde. Das

Starten der Initiative ERP4SCHOOL ist daher auch die logische Konsequenz um das über Jahre er-

worbene Spezialistenwissen an andere Schulen weiterzugeben. Zurzeit arbeitet man an der Entwick-

lung eines reduzierten Angebots, um auch in den dualen Berufsausbildungsgängen ERP-Systeme

zu implementieren. Aufgrund von zu knapp bemessener Unterrichtszeit ist die intensive Nutzung von

ERP-Systemen in den Teilzeitklassen noch nicht möglich (Dörrer 2008; Pongratz 2007).

Wie am Beispiel des curricularen Grundkonzepts erkennbar ist, hat man am OSZ Berlin für sich die

Erkenntnis gewonnen, dass der klassische Fächerkanon nur noch bedingt geeignet ist, um modernen

Unterricht zu ermöglichen. Daher wurde viel Zeit in die Entwicklung eines schulinternen Curriculums

127

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

127

gelegt. (Pongratz 2007) Um dieses interne Curriculum aber auch erfolgreich umsetzen zu können,

war es notwendig, die Organisation der Schule an die neuen Anforderungen anzupassen. Die Aus-

richtung an Geschäftsprozessen fordert eine intensive Zusammenarbeit unter den Lehrkräften. Aus

diesem Grund wurden Lehrerteams gebildet, die sich wöchentlich treffen und die jeweilige Arbeit

reflektieren und den Unterricht in der kommenden Woche vorbesprechen. Ergänzt werden diese

Teamtreffen um Jahrgangsstufentreffen, welche alle vier Wochen stattfinden und auf denen nach

Jahrgangsstufe getrennt ein Austausch aller unterrichtenden Teams stattfindet. Dieser intensive In-

formationsaustausch mündet in die Halbjahreskonferenzen, die den Austausch der Lehrerteams über

die Jahrgangsstufen hinaus gewährleistet. (Dörrer 2008, Pongratz 2007). Die auffälligste Änderung

ist der Teamgedanke, der an diesem Oberstufenzentrum das zentrale Element der Schulorganisation

ist. Die Entwicklung des schuleigenen Curriculums, die Ausarbeitung der Fallstudien für das ERP-

System, die zusätzliche zeitliche Belastung aufgrund der notwendigen Qualifizierung der Lehrkräf-

te – die erfolgreiche Schaffung der Rahmenbedingungen für die Einführung des SAP-Systems steht

im direkten Zusammenhang mit der neuen Sicht auf die eigene Schule, die von Schulleitung, Abtei-

lungsleitern, Fachleitern und Lehrkräften geteilt wird. Das Ergebnis dieser neuen Sichtweise ist eine

prozess- und teamorientierte Schule. Die entscheidende Neuerung ist, dass Schulleitung und Abtei-

lungsleitung in die jeweiligen Teams integriert sind und innerhalb des Teams als normale Teammit-

glieder agieren. (Pongratz 2007)

Abbildung 5: Organisationsstruktur einer prozess- und teamorientierten Schule

(Dörrer 2009 in diesem Band)

3.1.2 DV-Schulen Würzburg

3.1.2.1 Allgemeines

Die DV-Schulen Würzburg sind ein Verbund von fünf Vollzeitschulen mit unterschiedlichem Profil. Es

gibt eine Berufsfachschule für Büroberufe, eine Berufsfachschule für kaufmännische Assistenten,

eine Berufsfachschule für IT-Berufe, eine Fachschule für Datenverarbeitung und eine angeschlossene

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

128128

Wirtschaftsschule. Der Einsatz von ERP-Systemen an dieser Würzburger Schule reicht bis an das Ende

der 80er Jahre zurück. Das erste verwendete System Taylorix wurde bald von der Software Sage KHK

abgelöst, welches sich noch heute an der Berufsfachschule für kaufmännische Assistenten der Fach-

richtung Informationsverarbeitung im Einsatz befindet (vgl. Schuller in diesem Band). Im Jahr 2000

knüpfte man erste Kontakte zu SAP und arbeitete mit SAP Business One – es dauerte allerdings noch

bis ins Jahr 2004, bevor man in das University Alliance (UA) – Programm der Firma SAP aufgenommen

wurde. Bis zur umfassenden Nutzung von SAP im Unterricht dauerte es ein weiteres Jahr (Hölzlwim-

mer 2008).

3.1.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht

Die Würzburger Schule geht beim Einsatz von ERP-Systemen einen eigenen Weg. Zum einen hat

man erkannt, dass Kenntnisse in ERP-Systemen, insbesondere in SAP, bei der Berufssuche Vorteile

für die Schüler mit sich bringen. Daher hat man sich für eine intensive Beschäftigung mit ERP-Syste-

men im Unterricht entschieden1. Trotzdem schätzt man die Notwendigkeit einer fundierten theoreti-

schen Ausbildung. (Hölzlwimmer 2008; Schuller 2008)

Erst daran schließt sich in einer der folgenden Unterrichtsstunden die Umsetzung der Theorie in die

Softwarepraxis und somit die übende Anwendung in einem echten System an. Dieses versetzte Vor-

gehen hat zum einen einfache organisatorische Gründe. Um die begrenzte Zahl von EDV-Räumen an

der Schule optimal zu nutzen, bietet sich diese sequentielle Lösung an2. Zum anderen jedoch macht

die sequentielle Ausbildung den Anspruch der Schule deutlich, nicht nur Programmbediener auszu-

bilden. Das wichtigste Ziel des Unterrichts sei es, dass die Schüler verstehen, welche Prozesse ihnen

durch die Software abgenommen werden und wie dies geschieht (Schuller 2008).

Abbildung 6: Steigende Komplexität im Ablauf der Ausbildung (Pongratz 2008)

1 Die ERP-Lösung von SAP wird allerdings nicht in allen Teilschulen eingesetzt. Der Einsatz erfolgt in kaufmännischen

Berufsfeldern nur bei den Informatikkaufleuten. Alle anderen Berufe werden mit SAGE Classic Line ausgebildet.

2 Die EDV-Arbeitsplätze müssten bei einem parallelen Unterricht von Theorie und Praxis doppelt freigehalten wer-den,

was einer Halbierung der räumlichen Kapazitäten entspricht. Dies ist bei den aktuellen Klassenzahlen im Stundenplan

nicht realisierbar.

129

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

129

Um dies zu erreichen, so die Ansicht, ist es von fundamentaler Bedeutung, die Theoriekenntnisse

im Vorfeld der praktischen Anwendung herzustellen und auch einzuüben. Die Praxisarbeit mit SAP

erfolgt dabei anhand vielfältiger Fallstudien. Dies ermöglicht es, die Schüler schrittweise an die An-

wendung heranzuführen. Zunächst lernen die Schüler in einem Einführungsmodul „Navigation“, die

Benutzeroberfläche und den Aufbau, aber auch grundlegende Kenntnisse, wie die Anmeldung am

System, kennen. Im Folgenden werden erste Aufgaben gestellt, die vor allem darin bestehen, mit der

Navigation zurechtzukommen und Informationen aus dem System auszulesen. Dabei wird den Schü-

lern noch sehr streng vorgegeben, welche Schritte sie als nächstes durchzuführen haben. Nachdem

zu Beginn der Fokus vor allem auf der ordnungsgemäßen Bedienung von SAP R/3 liegt, wird darauf

folgend dazu übergegangen, in die betriebswirtschaftliche Nutzung der Software einzusteigen. Dies

geschieht zunächst mit einfachen Einführungen, wie beispielsweise der Verbuchung eines Waren-

einganges im Modul Logistik oder der Personalplanung im Modul HR (Hölzlwimmer 2008; Pongratz

2008). Diese Grundprozesse werden nachfolgend, entsprechend der Fortschritte im Theorieunter-

richt, immer wieder erweitert und ausgebaut. Am Ende des Schuljahres sind die Schüler dann in der

Lage, komplexe Fallstudien zu bearbeiten, die in den jeweiligen SAP Modulen die vollständige Pro-

zesskette eines Unternehmens, von der Auftragsannahme bis hin zur Verkaufsabwicklung des ferti-

gen Produktes, abbilden. (Hölzlwimmer 2008).

3.1.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung an den DV-Schulen

Die Einbindung des ERP-Systems in eine sequentielle Abfolge von Theorie und Praxisphasen eröff-

net eine zweite mögliche Umsetzung. Durch die Berücksichtigung von knappen Raumressourcen bei

der Einbindung des ERP-Systems im Schulzentrum kann das Würzburger Modell als Beispiel dienen,

wenn keine zusätzlichen umfassenden EDV-Kapazitäten aufgebaut werden sollen oder können. Die

Arbeit mit dem SAP-System ist in Würzburg schulintern nach freiwilliger Meldung auf ein Team von

acht Lehrkräften verteilt worden. In der Einführungsphase der Implementierung von SAP/R3 stand

die Entwicklung von passenden Unterrichtskonzepten. Es bildeten sich zwei Teams, wovon eines

sich verstärkt mit den Modulen Controlling und Personal befasste, während sich das andere Team

auf das Modul Logistik spezialisierte (Hölzlwimmer 2008). Die Gesamtdauer der Vorbereitungen lag

bei circa 2 Jahren mit mindestens einem Teamtreffen3 zur Erstellung und Überprüfung der einzelnen

Fallstudien. Interessant ist die Haltung zu weiteren ERP-Systemen im Unterrichtseinsatz. Die Team-

orientierung und die Freiwilligkeit waren bei der Implementierung des SAP-Systems ein kritischer

Faktor. Der Schulleiter bestätigt, dass das Schulprofil einer IT-Schule das Finden von interessierten

Freiwilligen erleichtert hat, er ist gleichzeitig jedoch der Überzeugung, dass der Komplexität des Sys-

tems nur in Teams begegnet werden kann.

Mit der Begründung, SAP wäre zu komplex, wird auf den Einsatz von SAP in den Fachklassen für

Bürokommunikation verzichtet. Das eingesetzte Produkt SAGE Classic Line erfüllt in diesen Berufs-

bildern ebenso die Forderung nach Prozessorientierung. Hier wird deutlich, dass nicht das ERP-Pro-

gramm im Mittelpunkt steht, sondern die betriebswirtschaftliche Theorie und das ERP-Programm

3 Für diese Teamtreffen wurde in der Stundenplangestaltung ein Nachmittag für die Teammitglieder von Unterricht

freigehalten, so dass sich das Team in der Zeit von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr treffen konnte und gemeinsam die

Fallstudien in den jeweiligen Bereichen erstellen konnten.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

130130

per se nur Mittel zum Zweck, ein Medium in der Gestaltung des Unterrichts ist. (Schuller 2008; Hölzl-

wimmer 2008)

3.2 Implementierungsstrategien an Teilzeitschulen

Unter Teilzeitschulen fallen die Schulen, bei denen die praktische Berufsausbildung im Ausbildungs-

betrieb und theoretische Berufsausbildung an der Berufsschule stattfindet. Der Unterricht an der

Berufsschule kann sowohl im Einzeltagesunterricht oder in geblockter Form stattfinden. Bei den

Hochschultagen 2008 waren mit dem Friedrich-List-Berufskolleg Bad Herford und den Multimedia-

berufsschulen Hannover zwei Schulen dieser Kategorie vertreten.

3.2.1 Friedrich-List-Berufskolleg

3.2.1.1 Allgemeines

Das Friedrich-List-Berufskolleg in Herford vereint unter seinem Dach eine Vielzahl unterschiedli-

cher Schularten. Diese lassen sich grob in drei Bildungsgänge einteilen. Im Bereich der Grund- und

Erstausbildung den vollzeitschulischen Bildungsgang, der Berufsfachschulen, Handelsschulen und

das Wirtschaftsgymnasium umfasst sowie einen teilzeitschulischen Bildungsgang mit der Berufs-

schule. Im Bereich der Weiterbildung rundet eine Fachschule für Wirtschaft das schulische Angebot

des Berufskollegs ab.

3.2.1.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht

Der Einsatz von integrierter Software am Friedrich-List-Berufskolleg reicht bis ins Jahr 1990 zurück.

Im Rahmen eines Modelversuchs wurde das Programm Micro PPS von Prof. Kern aus Reutlingen

von 1990 bis 1994 am Berufskolleg eingesetzt. Das Programm konnte sich nie durchsetzen und ver-

schwand daher schnell wieder. Im Jahr 1997 fand sich, wieder mit Unterstützung durch Prof. Kern,

eine Planungsgruppe, die sich auf Basis der Software PMS/A zusammenfand und über eine mögliche

Verwendung im Unterricht nachdachte. Die Bemühungen endeten ohne nachhaltiges Ergebnis im

Jahr 1999. In diesem Jahr nahm die Planungsgruppe „Enterprise-Management“ mit der Softwareba-

sis BaaN 4C4 die Arbeit auf. Nachdem auch dieser Versuch nicht zum gewünschten Ergebnis geführt

hat, entschied man sich im Jahr 2001 für die Nutzung der ERP-Lösung des Softwareherstellers SAP.

Auf Basis des Modellmandanten IDES erarbeitete seit August 2001 ein Team von fünf freiwilligen

Lehrkräften eine schuleigene Fallstudie zur Geschäftsprozessabwicklung. Die Entwicklungsarbeit

nahm das gesamte Schuljahr 2001/2002 in Anspruch. Mit der weiteren Erarbeitung einer Controlling-

Fallstudie und der notwendigen Testphasen dauerte es bis ins Schuljahr 2003/2004, bis die Fallstu-

dien im regulären Unterrichtsbetrieb eingesetzt werden konnten. Bis in den Sommer 2006 wurden

die oben genannten Fallstudien unverändert eingesetzt, um dann komplett überarbeitet zu werden.

Ein Jahr später, im Jahr 2007, fand sich ein neues Team von Lehrkräften zusammen, die das SAP-

Angebot weiterführen wollten, nachdem sich das Gründungsteam aufgrund neuer organisatorischer

131

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

131

Strukturen nicht mehr in der Lage sah, die Betreuung zu leisten. Die überarbeiteten neuen Fallstudien

werden seit dem Schuljahr 2006/2007 in allen drei Bildungsgängen des Berufskollegs eingesetzt. Im

vollzeitschulischen Bereich bei den kaufmännischen Assistenten der Fachrichtung Informationsver-

arbeitung, in der Berufsschule in allen Fachlassen für Industriekaufleute und an der Fachschule für

Wirtschaft im Schwerpunktbereich Wirtschaftsinformatik (Reich-Zies et al. 2008).

3.2.1.3 Reflektion der ERP-Implementierung am Friedrich-List-Berufskolleg

Die Einbindung am Friedrich-List-Berufskolleg zeigt, dass der Faktor Zeit bei dualen Ausbildungsbe-

rufen ein limitierender Faktor ist. Trotzdem ist es möglich, ein komplexes ERP-System in den Unter-

richt zu integrieren. Möglich wird dies durch eine gelebte duale Partnerschaft zwischen Schule und

den jeweiligen Ausbildungsbetrieben. Erst durch die Kooperation der Betriebe ist es möglich, die zu-

sätzliche Zeit für die Projekttage zu gewinnen und somit auch den Berufsschülern eine Chance zum

Arbeiten an einem ERP-System zu geben. Die Entwicklung am Friedrich-List-Berufskolleg in Herford

be stätigt, dass eine erfolgreiche Integration von ERP-Systemen in den Unterricht und die erfolgrei-

che Nutzung der Software von einem motivierten Lehrerteam abhängt, das sich von der notwendi-

gen Vorbereitungszeit und dem langen Vorlauf nicht abschrecken lässt (Pongratz 2008). Weiterhin

wurde in Herford eine mehrstufige technische Supportstruktur etabliert. Die von Lehrkräften des

Berufskollegs gewünschte komplette Entlastung von technischen Aufgaben konnte - vor allem aus

Kostengründen - nicht realisiert werden, aber die gefundene Lösung, insbesondere die Einbindung

eines externen Dienstleisters über einen Wartungsvertrag nimmt einige Zusatzbelastungen von den

Lehrkräften und ermöglicht somit die gewonnene Zeit in die Unterrichtsentwicklung zu investieren.

Die trotz allem immer noch notwendige Beteiligung und somit zeitliche Belastung von Lehrkräften im

Rahmen der technischen Betreuung am Berufskolleg wird durch aufgabengerechte Verteilung von

Anrechnungsstunden kompensiert (Reich-Zies et al. 2008).

IT-Koordinator/-in

lokales IT-/Medienteam

Zero-level-SupportRaumnutzer/-innen, Fachlehrer/-innen

1st-level-SupportRaumbetreuer/-innen

2nd-level-SupportIT-Service-Team BKs Kreis Herford

3rd-level-SupportExtreme Dienstleister

Abbildung 7: Supportkonzept am Friedrich-List-Berufskolleg. (Osterholz et al. 2006, S. 32)

Wie jedoch auf der obigen Abbildung zu sehen ist, hat man ein Konzept entwickelt, das die techni-

sche Verantwortung letztendlich auf das gesamte Kollegium verteilt. Es handelt sich nicht nur um eine

Einzellösung am Friedrich-List-Berufskolleg, sondern um ein integriertes Konzept aller fünf Berufs-

kollegs im Kreis Herford. So konnte durch den Sachaufwandsträger ein allen Schulen zur Verfügung

stehendes IT-Service Team zur Verfügung gestellt werden. Das Friedrich-List-Berufskolleg und die

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

132132

vier Partnerkollegs folgen damit einem im Jahr 2004 durch das Institut für Informationsmanagement

Bremen GmbH evaluierten Medienkonzept (Breiter 2004). Die Erfahrungen, die am Friedrich-List-Be-

rufskolleg seit der ersten Einführung von ERP-Software gesammelt wurden, bestätigen vor allem die

Freiwilligkeit und die Teamarbeit unter den Lehrkräften als kritische Erfolgsfaktoren. Weiterhin lassen

sich die Bündelung von Schulentwicklungsaktivitäten im Bereich der Unterrichtsentwicklung und die

Schaffung zentraler technischer Supportstrukturen als erfolgskritische Faktoren identifizieren.

3.2.2 Multimedia Berufsbildungszentrum Hannover

3.2.2.1 Allgemeines

Das Multi-Media Berufsbildungszentrum ist eine im Jahr 2001 neu gegründete Schule, die die bisher

an vier Hannoveraner berufsbildenden Schulen verstreut beschulten Bildungsgänge aus dem IT- und

Medienbereich an einem Standort zusammengeführt hat. Die Schule ist als Kompetenzzentrum für

IT-Berufe in Hannover auf dem ehemaligen EXPO-Gelände angesiedelt. Es werden sowohl duale

als auch vollzeitschulische Klassen geführt. Die Neugründung und die Zusammenfassung von IT-

Bildungsgängen führten zu einem kurzfristig hohen Bedarf an Lehrkräften. Da dieser nicht aus dem

bestehenden Personalbestand gedeckt werden konnte, wurden die offenen Stellen am Multimedia

Berufsbildungszentrum Hannover auch mit Quereinsteigern aus der Praxis besetzt, so dass das

Kollegium ein eher ungewöhnliches Mischungsverhältnis von ausgebildeten Berufsschullehrern und

Quereinsteigern aufweist (Multimedia Berufsbildende Schulen 2008).

3.2.2.2 Die Einbindung von ERP im Unterricht

ERP-Systeme werden auf zweierlei Art im Unterricht eingesetzt. Zum einen als Kompaktblock im

Umfang von 48 Unterrichtsstunden zu Beginn des zweiten Ausbildungsjahres und ergänzend hierzu

als Wahlpflichtkurs vierstündig pro Woche im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr mit insgesamt 40

Unterrichtsstunden. Die eingesetzten ERP-Systeme befinden sich derzeit in einem Umbruch. Bisher

wurde im Rahmen des Kompaktblocks die ERP-Lösung MBS Navision der Firma Microsoft einge-

setzt. Im Rahmen des Wahlpflichtfaches setzt man auf SAP R/3. Beide Systeme werden als geeignet

für Zwecke des Unterrichts betrachtet, wobei deutliche Unterschiede beim Support der jeweiligen

Hersteller festgestellt werden. Die Unterrichtsmaterialien, die im Rahmen des Navision-Unterrichts

eingesetzt werden, stammen überwiegend vom LS aus Baden-Württemberg, eigene Materialien

wurden nicht erstellt. Eine explizite Unterstützung durch die Firma Microsoft hat es nicht gegeben,

nur das Programm wurde kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Unterrichtsmaterialien seien für ei-

nen prozessorientierten Unterricht allerdings weniger geeignet, da die Arbeitsaufträge allesamt an

Arbeitsprozessen und nicht an Geschäftsprozessen ausgerichtet wären (STRAHLER 2008). Im Be-

reich SAP R/3 ist die Schule an das UCC in Magdeburg angebunden. Die Fallstudien, die über das

Mitgliederportal des UCC bezogen werden können, sind geschäftsprozessorientiert, allerdings vom

Umfang her zu komplex, als dass diese effektiv in den vorgesehenen 40 Stunden bearbeitet werden

könnten (STRAHLER 2008). Da man jedoch vom ERP-Einsatz im Unterricht überzeugt ist, will man

sich dem Modell ERP4SCHOOL anschließen und mittelfristig eigene Mandanten erarbeiten. Man

133

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

133

erhofft sich durch dieses Modell die bereits etablierten technischen Supportstrukturen des UCC

in Magdeburg und gleichzeitig durch den Anbieter von ERP4SCHOOL einen ergänzenden, maßge-

schneiderten didaktischen Support zu erhalten (STRAHLER 2008).

3.2.2.3 Reflektion der ERP-Implementierung am den MMBS Hannover

Die Situation des Multi-Media Berufsbildungszentrums ist eine Besondere und nur schwer auf andere

Schulen zu übertragen. Die Tatsache, dass man an einem Schulzentrum alle IT-Berufe gebündelt hat,

führte auch zu einer Kompetenzbündelung von IT-Lehrkräften. Dieses Herausstellungsmerkmals ist

man sich durchaus bewusst. Zu den Alleinstellungsmerkmalen der Schule zählen unter anderem ein

modernes auf hohem technischem Standard ausgerüstetes Schulgebäude in exponierter Lage und

ein Hochleistungsnetzwerk mit über 700 Computersystemen. Ergänzt wird die moderne Ausstattung

durch ein digitales Fernsehstudio, durch Netzwerklabore, eine Digitaldruckerei und einen Offset-

Drucksaal. Weiterhin ist es gelungen, den Status einer ProReKo–Modellschule zu erhalten. Dies be-

deutet im Falle des Multi-Media Berufsbildungszentrums volle personalrechtlichen Befugnisse und

einem Totalbudget von ca. 5 Mio Euro jährlich zur eigenen Bewirtschaftung. Weiterhin zeichnet das

Kollegium Aufgeschlossenheit für Medien und IT aus. Die Organisation an dieser Schule ist teamori-

entiert. Daraus resultiert eine intensive Zusammenarbeit mit der Schulleitung im Rahmen der Unter-

richtsentwicklung (Multi Media berufsbildende Schulen 2008). Bei der Gründung und beim Aufbau

der Schule konnten neue Wege beschritten werden. Der Aufbau ist von Grund auf teamorientiert, und

auch die Benennung eines geschäftsführenden Schulvorstands und einem um gewählte Abteilungs-

vertreter erweiterten Schulvorstand sowie die Benennung von Stabstellen machen die modernen An-

sätze, auch im Hinblick auf die Schulverwaltung deutlich. (Multi Media Berufsbildende Schulen 2009).

Übersicht über die Fallstudien

OSZ Berlin DV Würzburg Friedrich-List

Berufskolleg

MMBBS

Hannover

Anbieter/Mitgliedschaften

MSBAA ü

SAP UA ü ü ü ü

erp4school ü ü ü

Unterrichtsorganisation bei ERP Einsatz

Vollzeitbeschulung ü ü ü

Teilzeitbeschulung ü ü

Blockbeschulung ü

Art der ERP-Einbindung

Illustrativ

Sequentiell

Fall- oder Projektorientiert ü ü ü

Komplex ü ü

Tabelle 5: Übersicht der an den Hochschultagen 2008 beteiligten Schulen (eigene Darstellung)

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

134134

4 ERP-Systeme an beruflichen Schulen bedingen einen umfassenden

Schulentwicklungsansatz

4.1 Durchführung einer ERP-Implementierung als Softwareprojekt

Das Einbinden einer neuen Software in einer Organisation, die Schaffung des technischen Rahmens,

die Vorbereitung der Organisationsmitglieder auf die Arbeit mit dem System, dies alles trägt eindeu-

tige Züge eines Software-Projekts. Die Standish Group, ein Beratungsunternehmen spezialisiert auf

Risikomanagement und Consulting Aktivitäten bei bevorstehenden IT-Investitionen, hat einen Chaos

Report über den Erfolg von Software Projekten erstellt. Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Spra-

che: Nur 25 % der Software Projekte werden als Erfolg bewertet. Somit sind 75 % aller Software-

Projekte nicht erfolgreich. Die durchschnittliche Zeitüberschreitung betrug 202 %, die durchschnittli-

che Budgetüberschreitung lag bei 214 %. Der Anteil von ungeplanten Zusatzfunktionen lag bei 74 %.

3140

2823

141816

27 26 2834

29

53

33

46 49 51 53

0

20

40

60

1994 1996 1998 2000 2002 2004

Standish Group - Chaos Report

Failed

Succeeded

Challenged

Abbildung 8: Chaos Report der Standish Group (Standish Group 2006 in Schäfer 2009)

Diese Zahlen machen eines deutlich. Die Einführung von Software in einem Unternehmen ist eine

hochkomplexe, nicht-triviale Angelegenheit, die im Rahmen des Projektmanagements durchgeführt

wird und auf Grund der hohen Komplexität immer noch vom Scheitern bedroht ist. Um diese Gefahr

des Scheiterns bei der Implementierung von ERP-Systemen in Unternehmen so gering wie möglich

zu halten, haben die Hersteller von ERP-Systemen eigene Frameworks zur Implementierung heraus-

gebracht.

4.1.1 Das Herstellerframework Microsoft Dynamics Sure Step

Das Framework der Firma Microsoft umfasst nach Schäfer (2009) insgesamt sechs definierte Pro-

jektphasen.

Diagnostic:

Die Diagnose Phase beinhaltet eine High Level Gap Fit Analyse der Business Prozesse, Infrastruktur

Analyse und das Angebot

135

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

135

Analysis:

In der Analyse Phase wird eine detaillierte Gap Fit Analyse (inkl. Interfaces), das Key User Training,

die Planung der Datenmigration, sowie ein Anforderungsdokument erstellt.

Design:

Die Design Phase beinhaltet das Design der Microsoft Dynamics Lösungsintegration und das Design

von Kundenanforderungen, welche in der GAP Fit Analyse erarbeitet wurden, sowie das Erstellen von

Testcases und Testdokumenten.

Development:

Das Ziel der Entwicklungsphase ist, die Software gemäß den Designdokumenten zu konfigurieren

und zusätzliche Funktionalitäten zu entwickeln.

Deployment:

Die Inhalte der Deployment Phase sind insbesondere das Vorbereiten von Go Live Plänen, von Funk-

tions-Tests und von Trainings- Plänen. In dieser Phase wird auch die Installation des Produktionssys-

tems vorgenommen und ein Key-User Training durchgeführt.

Operation:

Übergabe des implementierten Systems an den Kunden Go-LiveÜbergabe an den Support.

Abbildung 9: Microsoft Dynamics Sure Step Oberfläche (Schäfer 2009)

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

136136

4.1.2 Das Herstellerframework Accelerated SAP-Roadmap

Ähnlich wie das Framework der Firma Microsoft bietet auch die Firma SAP eine mehrphasige

Roadmap an, die mit insgesamt 5 Phasen auskommt (Knöll 2001, S. 153 ff; Wenzel 2001, S. 249 ff.).

Abbildung 10: Die Phasen der Accelerated SAP – Roadmap (Knöll 2001, S. 153)

(1) Project Preperation (Projektvorbereitung)

Hier findet die erste Projektphase statt. Das Projektteam wird aufgestellt, es werden Standards fest-

gelegt und die technischen Voraussetzungen werden ermittelt sowie geplant. In dieser Phase fällt die

Entscheidung für das IT-Projekt.

(2) Business Blueprint (Konzeption)

Der Sollzustand des Systems wird festgelegt und die einzelnen Prozesse werden identifiziert. Die

Meilensteine des Projekts werden festgelegt und die Projektdauer wird festgesetzt. Es folgt das Auf-

setzen der Systemumgebung und die Definition der Geschäftsprozesse.

(3) Realization (Realisierung)

In dieser Phase wird das Projekt umgesetzt. Parallel zur technischen Umsetzung werden die Anfän-

ger geschult. Weiterhin werden auch Schulungen für Fortgeschrittene angeboten.

(4) Final Preparation (Vorbereitung der produktiven Phase)

Hier werden nochmals Fortgeschrittenenschulungen angeboten und durchgeführt. Jedes einzelne

System wird intensiv getestet und festgestellte Fehler werden abgestellt. So sollen kritische Fehler m

Produktivbetrieb vermieden werden.

(5) Go Live & Support (Übergang zur produktiven Phase)

Das Projektmanagement wird abgeschlossen. Das Produktivsystem wird eingespielt, geprüft und es

erfolgt nun die Freigabe des Systems. Weiterhin wird technischer Support gegeben und weiterfüh-

rende Schulungen werden angeboten. Je nach Vertrag erhält man weitergehenden Support oder das

Projekt endet an dieser Stelle.

137

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

137

Project Preparation

•Aufstellen eines Projektteams

•Entscheidung für das IT-Projekt

Business Blueprint

•Festlegen des Sollzustandes

•Prozessidentifikation•Festlegung der

Meilensteine•Festlegung der

Dauer

Realization

•Umsetzung des Projekts

•Technische Umsetzung

•Schulungen der Anfänger

•Schulungen der Fortgeschrittenen

Final Preparation

•Testläufe der einzelnen Systeme

•Schulungen für Fortgeschrittene

•Abstellen der festgestellten Fehler

Go Live & Support

•Start der Nutzungsphase

•Technischer Support•Weiterführende

Schulungen•Je nach Vertrag

weitergehender Support oder Ende des Projekts

Abbildung 11: Detaillierte Ansicht der Phasen der Accelerated SAP – Roadmap (Knöll 2001, S. 153ff;

Wenzel 2001, S. 249f.)

4.2 Eine schulische ERP-Implementierung als Schulentwicklungsprojekt

Schulentwicklung ist ein Prozess, der nicht irgendwann ein Ende hat, sondern prinzipiell eine Dau-

eraufgabe ist, auch wenn nicht dauernd daran gearbeitet werden kann. Wenn Schulentwicklung der

Weg und die gute Schule das Ziel ist, dann ist der Weg genauso wichtig wie das Ziel. Schulentwick-

lung ist kein Selbstzweck, sondern richtet sich auf den Kern von Schule, den Unterricht. Schulent-

wicklung ist eine Trias von personaler Entwicklung (PE), Unterrichtsentwicklung (UE) und Organisati-

onsentwicklung (OE).“ (Rolff et al. 1999, S. 14) Schulentwicklung findet nach Buhren (2008, S. 5) auf

drei Ebenen statt:

(1) Schulentwicklung ist die bewusste und systematische Weiterentwicklung von Einzelschulen (in-

tentionale Schulentwicklung oder Schulentwicklung 1.Ordnung).

(2) Schulentwicklung zielt darauf ab, lernende Schulen zu schaffen, die sich selbst organisieren, re-

flektieren und steuern. Dies wird von den neueren Schulgesetzen intendiert und von etlichen Schulen

angestrebt, zum Teil auch schon praktiziert (institutionelle Schulentwicklung oder Schulentwicklung

2. Ordnung).

(3) Die Entwicklung von Einzelschulen setzt eine Steuerung des Gesamtzusammenhangs voraus,

welche Rahmenbedingungen festlegt, die einzelne Schulen bei ihrer Entwicklung nachdrücklich er-

muntert und unterstützt, die Selbstkoordinierung anregt, ein Evaluationssystem aufbaut und (mögli-

cherweise im Nachhinein) auf Distanz steuert (komplexe Schulentwicklung oder Schulentwicklung 3.

Ordnung oder Schulentwicklung auf Systemebene).

Die aufgeführten Best-Practice-Beispiele zeigen, dass die unterrichtliche Nutzung von ERP-Syste-

men möglich ist. Sie zeigen allerdings auch, dass die Einbindung von ERP-Systemen an beruflichen

Schulen, unabhängig vom verwendeten System, keine triviale Angelegenheit ist, sondern ein lang-

fristiger Schulentwicklungsprozess. Die Einbindung von ERP-Systemen hat an allen beschriebenen

Schulen auf unterschiedlichsten Ebenen die jeweilige Schule geprägt:

Es wurden Lehrerteams gebildet, die sich ausschließlich aus Freiwilligen rekrutierten. In diesen

Teams wurde gemeinsam die Einbindung des ERP-Systems vorbereitet und durchgeführt. Diese

Teams hatten auch über die reine Implementierung des ERP-Systems hinaus Bestand und man wid-

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

138138

mete sich neben dem Unterrichten mit vorgegebenen Materialien auch der gemeinsamen Erstellung

von eigenen Unterrichtsmaterialien.

Die Initiative zur Einführung des ERP-Systems erfolgte aus dem Kollegium heraus. Diese Initiativen

wurden von den jeweiligen Schulleitungen unterstützt und das Team erhielt die Zeit, die notwendig

war, um eine erfolgreiche Einbindung des jeweiligen ERP-Systems in den Unterricht zu ermöglichen.

Zu den Tätigkeiten, die während der teilweise mehrjährigen Einbindungsphase stattfanden, gehörten

vor allem intensive begleitende Schulungen der jeweiligen betroffenen Lehrkräfte. Mit der Einbin-

dung, dem Verfügbar machen des Systems, begann ein Prozess der kontinuierlichen Verbesserung

der selbsterstellten und fremderstellten Materialien. An allen Schulen konnte bei den Lehrkräften, die

sich mit dem ERP-System beschäftigt haben, eine Erweiterung der ERP-Qualifikation der Lehrkräfte

festgestellt werden.

Die Gründung von Lehrerteams, die Ausweitung von Qualifikationen, das Einbinden von ERP-Syste-

men in den Unterricht, all dies spricht auf ganzer Bandbreite die Inhalte eines Schulentwicklungs-

prozesses an.

Die Durchführung einer ERP-Implementierung an beruflichen Schulen kann folglich im Rahmen eines

Schulentwicklungsprozesses geschehen. Für Aufgaben dieser Größenordnung eignen sich Maßnah-

men des Projektmanagements (Bartz 2004, S. 7 ff.; Jenny 2001, S. 202). Deutlich führt Bartz aus,

dass neben der Einhaltung der Phasen eines Projektmanagements (2004, S. 31) auch die Konzentra-

tion auf wenige, im optimalen Fall nur ein Projekt zum Erfolg desselben beiträgt (2004, S. 9, Schratz

2007, S. 153 f.). Jenny legt den Schwerpunkt auf „planmäßig angewandte, begründete Vorgehenswei-

sen zur Erreichung von festgelegten Zielen“ (2001, S. 202).

Berücksichtigt man nun die Erkenntnisse der beschriebenen Schulen, die Empfehlungen der ERP-

Hersteller und die Ergebnisse der Schulentwicklungsforschung, so lässt sich ein Schulentwicklungs-

prozess als mehrstufiger Prozess wie folgt darstellen:

Kontakt•Projektteambildung•Festlegen der

Aufgabenbereiche•Kick Off des

Projekts

Diagnose•IST-Analyse•Ansatzpunkte•Mögliche Ziele

Prognose•Ziele

definieren•Ziel-Prioritäten

setzen•Aufgaben

verteilen

Maßnahmen•Organisations-

entwicklung•Personal-

entwicklung•Unterrichts-

entwicklung

Evaluation•Zielerreichung•Feedback

Abbildung 12: Die Phasen eines Schulentwicklungsprozesses (Bartz 2004, S. 31; Rolff et al. 1999,

S. 49ff.; Jenny 2001, S. 202)

Vergleicht man Schulentwicklungsprozesse und die vorgestellten Frameworks, so ist es offensicht-

lich, dass die Implementierungsvorgaben der Hersteller detaillierter und bezüglich Softwareimple-

mentierung zielgerichteter sind als die definierten Prozesse zur Schulentwicklung. Trotzdem sind

einige Parallelen zu entdecken. Legt man beide Prozesse übereinander, so kann man die Inhalte der

Phasen auf die Anforderungen der Schulen umformulieren, wenn man den Schulentwicklungspro-

zess im Bereich der „Aktion“ um das Framework von SAP erweitert. Der modifizierte Schulentwick-

lungsprozess könnte dann wie folgt dargestellt werden.

139

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

139

Kontakt•Projektteam-bildung

•Festlegen der Aufgabenbereiche

•Kick Off des Projekts

Diagnose•IST-Analyse•Einbezieh-ung aller Beteiligter•Konkretisie-rung der Ziele

Planung•Ziele definieren•Ziel-Prioritäten setzen•Aufgaben verteilen

Aktion•Realization•Final Preparation•Go Live & Support

Evaluation•Ziel erreicht?•Feedback

Abbildung 13: Phasen eines Schulentwicklungsprozesses bei Integration der ASAP (eigene Darstel-

lung)

Im Schulentwicklungsprozess findet im Schritt „Aktion“ die Umsetzung der Schulentwicklungszie-

le in den Bereichen Unterrichtsentwicklung, personelle Entwicklung und Organisationsentwicklung

statt. Diese Einzeldimensionen eines Schulentwicklungsprozesses umfassen somit die Phase der

Umsetzung (Realization), die Phase abschließende Prüfung (Final Preparation) und die Phase Einsatz

und Support (Go Live & Support) Die Vielzahl notwendiger Maßnahmen bei der Umsetzung eines IT-

Projekts legt nahe, das modifizierte Modell der Schulentwicklung im Bereich der Maßnahmen analog

der Herstellerframeworks auszudifferenzieren. Die notwendige Bereitstellung von Informationstech-

nologie im Zuge einer ERP-Implementierung führt zu einer Erweiterung der Schulentwicklungsdi-

mensionen um die Dimension „Technische Entwicklung“ (TE). Daher ist es notwendig, auf der gesam-

ten Dauer des modifizierten Schulentwicklungsprozesses die vier Dimensionen eines Schulentwick-

lungsprozesses kontinuierlich zu berücksichtigen. In der Abbildung 16 wird die Kombination aus den

Inhalten der beschriebenen IT-Frameworks, einem gesamten Schulentwicklungsprozess und der drei

Dimensionen desselben dargestellt:

Kontakt•Projektteambildung•Festlegen der

Aufgabenbereiche•Kick Off des Projekts

Diagnose•IST-Analyse•Einbeziehung

aller Beteiligter•Konkretisie-

rung der Ziele

Planung•Ziele definieren•Ziel-Prioritäten

setzen•Aufgaben

verteilen

Maßnahmen•Umsetzung•Abschließende

Prüfung•Einsatz und

Support

Evaluation•Zielerreichung•Feedback

Umsetzung•Akzeptanz•Teambildung

•Technische Umsetzung

•Didaktische Umsetzung

•Grundlegende Schulungen

Abschließende Prüfung•Akzeptanz•Dokumentationen erstellen

•Testlauf des Systems

•Test von Handreichungen der Landesinstitute

•Test von vorgefertigtem Unterrichtsmaterial

•Test eigener Unterrichtsmaterialien

•Vertiefende Schulungen•Schulung von Tutoren

Einsatz und Support•Akzeptanz•didaktischer Support

• technischer Support

•Unterrichtseinsatz

•ERP-Team•Systembetreuung

OE

UE

PE

TE

Abbildung 14: Modifizierter umfassender Schulentwicklungsprozess (eigene Darstellung)

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

140140

4.3 Reflektion des modifizierten Schulentwicklungsmodells

4.3.1 Die Dimension der personalen Entwicklung

Die Lehrpersonen sind bei Schulentwicklungsprojekten der Dreh- und Angelpunkt. (Wenzel 2008,

S. 442). Die personale Entwicklung sieht die Lehrkräfte als Lernende in vier Bereichen (Rolff 1999,

S. 19):

(1) Personale Entwicklung wirkt sich auf das fachlich-didaktische Handlungsrepertoire aus. Unwi-

dersprochen gewinnen Lehrkräfte mit beruflicher Erfahrung an Sicherheit bei der Gestaltung des

eigenen Unterrichts (Rolff 1999, S. 18). Werden jedoch neue Methoden und Inhalte gefordert, dann

müssen die Lehrkräfte auf diese Anforderungen vorbereitet werden. In obigem Modell sind die Lehr-

kräfte an mehreren Punkten direkt angesprochen und eingebunden. Vor allem die der hohen Kom-

plexität von ERP-Systemen geschuldete notwendige Zeit für intensives Training ist berücksichtigt.

Somit kann einer Unsicherheit der Lehrkräfte bei der Nutzung der Software im Unterricht von Anfang

an positiv entgegengewirkt werden.

(2) Personale Entwicklung wirkt sich auf Forschung und Selbstbeurteilung aus. Hierbei sieht Rolff

vor allem die kontinuierliche Überprüfung der Ziele jeder Lehrkraft mit den Zielen der Schule und den

Zielen der Schülerschaft (1999, S. 18). Die Ziele der Schule werden zu Beginn des Prozesses definiert

und unter Einbezug aller Beteiligter konkretisiert. Bei obigem Vorgehen werden die Ziele von Schule

und Lehrkräften artikuliert und im Prozess berücksichtigt.

(3) Personale Entwicklung wirkt sich auf Reflexion und Feedback aus. Rolff sieht hier die Schaffung

eines Vertrauensklimas, um Schwächen und Misserfolge ansprechen zu können (1999, S. 19). Im

oben dargestellten Prozess sind Vertrauen und Kooperation notwendig, um ein derartiges Projekt

dauerhaft erfolgreich in den Unterricht an einer beruflichen Schule zu integrieren.

(4) Personale Entwicklung wirkt sich auf die Zusammenarbeit und die Arbeitsteilung aus. Einer der

kritischen Faktoren, das haben die Hochschultage 2008 gezeigt, ist Teamwork im Kollegium (Dörrer

2008; Reich-Zies 2008; Schuller 2008; Strahler 2008). Mit der Entscheidung, ein ERP-System an ei-

ner Schule zu implementieren, wird eine positive Veränderung der Kooperation zwischen Lehrkräften

angestoßen. Diese veränderte Kooperation kann sich beispielsweise in der Etablierung eines ERP-

Teams an Schulen nutzbar machen.

Betrachtet man sich alle aufgeführten Teilbereiche der personalen Entwicklung, dann kann ein ERP-

Projekt eindeutig der personalen Entwicklung zugerechnet werden. Besonders im Bereich der IT ist

der Weiterbildung der Lehrkräfte besondere Aufmerksamkeit zu schenken (Seitz 2007, S. 441), um

als Schule nicht in eine Technikfalle aus modernster Hard- und Software und mangelnder Fähigkeit

zur Nutzung auf Seiten der Lehrkräfte zu geraten (Seitz 2007; 510 ff.). Allerdings ist die Freiwilligkeit

bei der ersten Einführung eines ERP-Systems unabdingbar und auch die Schaffung schulinterner

Supportstrukturen während des Projekts und das Vorhandensein schulexterner Supportstrukturen

können bei der dauerhaften Integration in den Unterricht helfen.

141

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

141

4.3.2 Die Dimension der Unterrichtsentwicklung

Zum Bereich der Unterrichtsentwicklung kann das gesamte Projekt gezählt werden, da das Ziel einer

ERP-Implementierung der Unterricht an beruflichen Schulen ist. Unterrichtsentwicklung war und ist

Teil der Lehrerarbeit. Der Unterschied zwischen der individuellen Unterrichtsentwicklung und der Un-

terrichtsentwicklung im Rahmen der Schulentwicklung ist die Abkehr von Einzelinitiativen, die organi-

satorische Absicherung und die institutionelle und langfristige Integration der neuen Konzepte (Rolff

1999, S.20). Durch die Einführung eines ERP-Systems wird der Unterricht nachhaltig verändert und

da ein derartiges Projekt eine dauerhafte Implementierung des jeweiligen Systems an einer Schule

vorsieht, ist auch dieser Bereich der Unterrichtsentwicklung tangiert. Die didaktische Umsetzung

umfasst alle den Unterricht vorbereitende Tätigkeiten – bei kurzfristiger Perspektive die Sichtung

und Adaption von vorgefertigten Handreichungen oder Fallstudien, wie sie durch die Landesinstitute

vorgehalten werden. Bei einer langfristigen Perspektive können hier die Gestaltung eigener Unter-

richtssequenzen, beispielsweise durch Modifikation bestehender Fallstudien oder die Bereitstellung

eigener Mandanten und Datenbanken vorgenommen werden. Der didaktischen Umsetzung folgt eine

Phase der umfassenden Prüfung der verwendeten Unterrichtsmaterialien und der zugehörigen Man-

danten und Datenbanken, bevor die erstmalige Verwendung derselben im Unterricht erfolgen kann.

4.3.3 Die Dimension der Organisationsentwicklung

Ohne die Schule als Organisation wären personale Entwicklung und Unterrichtsentwicklung nicht

sinnvoll möglich. Soll also in einem Entwicklungsprozess das Auftreten plötzlicher Verwerfungen,

Widerstände und Verweigerungen möglichst gering gehalten werden, ist die Beteiligung aller Orga-

nisationsmitglieder im Sinne der Selbstorganisation eine notwendige Voraussetzung (Horster 1996,

S. 44). Rolff (1999, S. 24 f.). Unterscheidet in Anlehnung an Baumgartner et al. (1992) zehn Prinzipien

der Organisationsentwicklung, die in obigem Prozessmodell berücksichtigt werden. Daher ist die

Schaffung und Erhaltung von Akzeptanz gegenüber der neuen Technologie und den damit verbunde-

nen Änderungen in den Ort eine wichtige Aufgabe, die den gesamten Prozess begleitet.

(1) Die aktive Mitbeteiligung der Lehrkräfte wird gewährleistet. Auch wenn von Anfang an nicht alle

Lehrkräfte in das Projekt integriert sind, so wirkt sich die konsequente Umsetzung dieses Projekts

mittelbar auf alle Lehrkräfte aus.

(2) Eine Ausrichtung an Menschen und Organisationen findet statt. Im Fall der ERP-Integration in den

Unterricht ist als Interesse der Lehrkräfte ein sicherer Umgang mit dem Programm und folglich ein

guter und dem Lehrplan konformer Unterricht zu sehen. Dies sollte gleichzeitig auch Interesse der

Organisation sein.

(3) Die Komplexität und Diversität eines ERP-Systems sind bekannt und auch die erstmalige Einbin-

dung in eine berufliche Schule ist keine triviale Angelegenheit.

(4) Die nachhaltige Integration eines ERP-Systems in den Unterricht an beruflichen Schulen bietet ei-

nen klar definierten Ansatzpunkt für ein konkretes Problem. Zur Lösung dieses konkreten Problems

hilft ein klares, strukturiertes Vorgehen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

142142

(5) Das vorgeschlagene Modell eines modifizierten umfassenden Schulentwicklungsprozesses in-

tegriert auch das Lernen in Gruppen und die Teamentwicklung. Durch explizite, am Kenntnisstand

der Lehrkräfte orientierte Schulungen am jeweiligen ERP-System wird Gruppenlernen und Teament-

wicklung unterstützt. Mit der Bildung eines internen Supportteams oder ERP-Teams wird die Zusam-

menarbeit zwischen den Lehrkräften bei didaktischen Fragen und die Kooperation mit den jeweiligen

Systembetreuern bei technischen Fragen intensiviert und die Teambildung explizit gefördert.

(6) Dem Prinzip der Veränderung statt Erstarrung wird bereits mit der Entscheidung für einen ERP-

Implementierungsprozess entsprochen. Die Einbindung eines ERP-Systems wird starke Veränderun-

gen im Unterricht an der jeweiligen Schule hervorrufen, Bewährtes kann und wird jedoch weiterhin

Bestand haben.

(7) Organisationsentwicklung bietet verschiedene Wege, um ein Ziel zu erreichen. Diese Aussage

charakterisiert das Prinzip der Organisationsentwicklung, dass der Weg so wichtig ist wie das Ziel.

Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Ziele klar definiert und festgehalten sind. Die Tatsache,

dass es verschiedene Wege gibt, schließt jedoch eine Wegbeschreibung, vor allem bei komplexen

Zielen wie einer ERP-Integration, nicht aus. Die einzelnen Phasen lassen einer Schule noch genug

Freiraum, um erfolgreich eigene Wege zu gehen.

(8) Entwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess und die erfolgreiche Implementierung eines ERP-Sys-

tems in den Unterricht an beruflichen Schulen ist kurzfristig nicht zu realisieren. Von der Entschei-

dung für ein ERP-System bis zur erfolgreichen und selbstverständlichen Nutzung im Unterricht kön-

nen zwei oder mehr Schuljahre vergehen.

(9) Der Arbeitsplatz ist Ausgangspunkt für Organisationsentwicklung. Im Mittelpunkt stehen die Pro-

fession und die realen Probleme der Lehrkräfte innerhalb der Organisation. Im Rahmen der ERP-

Integration wird diesem intern durch Schulungen und dem Aufbau einer Supportstruktur Rechnung

getragen.

(10) Die Integration eines ERP-Systems in den Unterricht an beruflichen Schulen beeinflusst die Or-

ganisation auf unterschiedlichste Art und Weise. Die Nutzung der schulischen IT wird sich beispiels-

weise intensivieren, die Anforderungen an dieselbe werden steigen. Die veränderte Zusammenarbeit

zwischen den Lehrkräften wird die Organisation innerhalb der Abteilung beeinflussen. Das Prinzip

des systemischen Denkens, das besagt, dass jede Veränderung innerhalb einer Organisation weitere

Bereiche nachhaltig beeinflussen wird.

4.3.4 Die Dimension der technischen Entwicklung

Die Entscheidung für die Implementierung eines ERP-Systems bedingt den Auf- oder Ausbau einer

adäquaten IT-Infrastruktur an der jeweiligen Schule. Gleichzeitig muss die Funktionsfähigkeit der

Hardware und der Software gewährleistet werden. Man könnte dies auch als Bestandteil der Or-

ganisationsentwicklung verstehen, da jedoch in diesem speziellen Fall, der Implementierung eines

Warenwirtschaftssystems, die Technik eine zentrale Rolle einnimmt und das Vorhalten und Warten

derselben erfolgskritische Faktoren sind, ist die Betrachtung dieser Faktoren in einer eigenen Schul-

entwicklungsdimension angebracht. Die konkrete Umsetzung einer technischen Schulentwicklung

ist von Schule zu Schule individuell zu klären. Je nach vorhandener IT-Infrastruktur und vorhandener

143

Integration von ERP-Systemen an beruflichen Schulen als ein umfassendes Projekt der Schulentwicklung

143

IT-Supportstruktur kann die Intensität notwendiger Maßnahmen unterschiedlich ausfallen. Man

könnte an eine Trennung des technischen Supports in die Bereiche Hardware-Support und Soft-

ware-Support denken. Im Bereich der Hardware ist dieser beispielsweise durch externe Dienstleister

(IT-Dienstleister wie z. B. Systemhäuser) oder durch internen Support (EDV-Team/Systembetreuung)

realisierbar. Im Bereich der Software empfehlen sich die Herauslösung dieses Aufgabenbereichs aus

der Systembetreuung und das Übertragen der Aufgaben an ein eigenständiges ERP-Team.

5 Fazit und Ausblick

Die Beispiele der auf den Hochschultagen 2008 beteiligten Schulen zeigen, dass es für berufliche

Schulen möglich ist, komplexe ERP-Systeme im Unterricht einzusetzen. Erkennen kann man aber

deutlich, dass man auf Dauer nur dann eine erfolgreiche Einbindung in den Unterricht erreichen

kann, wenn man sich von Anfang an der Komplexität eines ERP-Systems bewusst ist und erkennt,

dass ein umfassender Einsatz nur dann möglich ist, wenn die Lehrkräfte die notwendige Sicherheit

im Umgang mit dem System besitzen. Die an der Fachtagung 18 der Hochschultage 2008 beteiligten

Schulen und Institutionen haben einen Eindruck erweckt, wie ERP-Systeme den Unterricht an beruf-

lichen Schulen nachhaltig verändern können. Die Notwendigkeit, die Realität ins Klassenzimmer zu

holen, ist an den Vollzeitschulen in Ermangelung eines dualen Bildungspartners natürlich ein wichti-

ger Punkt. Schulartübergreifend jedoch eröffnen ERP-Systeme im Unterricht eine neue Perspektive

auf Geschäftsprozesse.

Eine Kernfrage bezüglich des Einsatzes von ERP-Systemen ist noch nicht abschließend beantwortet:

Ist der Einsatz von ERP-Systemen

ein fachlicher Unterrichtsgegenstand, da dies im Lehrplan gefordert ist?

eine moderne Unterrichtsmethode?

eine Kombination aus fachlichem Inhalt und moderner Unterrichtsmethode?

Wären ERP-Systeme ein fachlicher Unterrichtsgegenstand, dann müsste man sich die Frage stellen,

ob man Anwendungskenntnisse über ERP-Systeme von Handelslehrern erwarten kann oder ob dies

ein Bereich ist, der von Handelslehrern mit Zweitfach Wirtschaftsinformatik zu leisten ist. Bereits

jetzt wird der Unterricht mit ERP-Systemen an vielen Schulen von Lehrkräften ohne Zweitfach unter-

richtet, trotzdem hat diese Unterscheidung weitreichende Folgen. Würde man ERP-Fachunterricht

dem Zweitfach Wirtschaftsinformatik zurechnen, dann wäre der derzeit vorherrschende Unterricht

als fachfremd einzustufen und diese Stunden folglich für die betroffenen Lehrkräfte nicht beurtei-

lungsrelevant.

Anders stellt sich die Situation dar, wenn man den Einsatz von ERP-Systemen als moderne Methode

im Unterricht ansieht. In diesem Fall kann man davon ausgehen, dass Lehrkräfte neue Methoden im

Unterricht einsetzen. Nur muss man dann die Lehrkräfte über den Einsatz der neuen Methode infor-

mieren und ihnen die Möglichkeit geben, sich intensiv mit dieser Methode vertraut zu machen. Zu

überdenken wäre dann eine Änderung der Inhalte in der ersten, zweiten und dritten Phase der Leh-

rerbildung.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

144144

Ausgehend von den Beispielen der auf den Hochschultagen vorgestellten Schulen mit umfassen-

dem ERP-Einsatz ist die dritte Annahme am wahrscheinlichsten. Durch die Dualität von Lerninhalt

und Methode sind alle Lehrkräfte an den beruflichen Schulen betroffen. Dies würde bedeuten, dass

in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften eine kritische Betrachtung der Ausbildungsinhalte er-

folgen muss.

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Autor

Pongratz, Horst; Dipl.-Hdl. Studienrat; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen - Nürnberg; Rechts- und Wirtschafts-wissenschaftliche Fakultät; Fachbereich Wirtschaftswissenschaften; Lange Gasse 20; 90403 Nürnberg; Mail: [email protected]

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Good-Practice-Beispiele aus beruflichen Schulen

150

151

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess

151

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess:

Erfahrungen am Friedrich-List-Berufskolleg

Birthe Tina Reich-Zies, Andreas Buder

1 Vorstellung der Schule und Historie der Kooperation

Das Friedrich-List-Berufskolleg (FLB) mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Verwaltung hat eine

mehr als 100-jährige Tradition in der kaufmännischen beruflichen Bildung. Es verfügt über langjäh-

rige Erfahrung und Kompetenz im Umgang mit EDV-gestützten Geschäftsprozessen, insbesondere

mit PPS-, Warenwirtschafts- und ERP-Systemen. In 14 Bildungsgängen werden von ca. 120 Lehr-

kräften ca. 800 Berufs-, 1000 Vollzeit- sowie 250 Fachschüler/-innen unterrichtet. Am Friedrich-

List-Berufskolleg werden immer wieder Innovationen nicht nur theoretisch erarbeitet, sondern auch

praktisch umgesetzt und sowohl Schulleitung als auch Kollegium haben ein hohes Interesse daran,

die Schulentwicklung nachhaltig voranzutreiben. Dieses Engagement zeigt sich u. a. darin, dass

sich das Friedrich-List-Berufskolleg seit Beginn der Qualitätsmanagementbemühungen der Berufs-

kollegs aktiv an Schulentwicklungsprojekten des Landes NRW wie z. B. an „Schule & Co.“ und dem

Folgeprojekt „Selbstständige Schule“ beteiligte. Großer Wert wird insbesondere durch die Erfahrun-

gen aus dem Projekt „Schule & Co.“ auf eine Kooperation zwischen Universitäten, Fachhochschulen

und Vertretern der Wirtschaft auf der einen Seite und dem Friedrich-List-Berufskolleg auf der ande-

ren Seite gelegt, damit eine erstklassige Theorie- und Praxisvernetzung für die pädagogische Arbeit

sichergestellt wird. Somit gibt es in vielfältigen Projekten in den unterschiedlichen Bildungsgängen

Kooperationen mit der Universität Bielefeld, der Fachhochschule der Wirtschaft in Gütersloh, der

Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld, um den Lernenden neben dem Berufbezug auch den

Übergang zum Studium oder zur berufsbegleitenden Weiterbildung nahezubringen und den Techno-

logietransfer sowie den Kompetenzaustausch in der Region sicherzustellen. Darüber hinaus konnten

am Friedrich-List-Berufskolleg bereits mit mehreren Betrieben, deren Auszubildende am FLB be-

schult werden, sog. Kooperationsverträge geschlossen werden. Bastian und Rolff (2002, S. 57) füh-

ren aus, dass diese Kooperationen dazu beitragen den Unterricht praxis- und berufsnäher zu gestal-

ten und damit besser zu machen. Die Kooperationsverträge präzisieren insbesondere Aspekte der

Zusammenarbeit, die über eine übliche Kooperation als Partner im Dualen System hinausgehen. So

werden von den Unternehmen Lehrerfortbildungen zu speziellen Themen angeboten, die den Lehr-

kräften beispielsweise Prozessabläufe in den jeweiligen Unternehmen praktisch näherbringen. Die in

diesen Fortbildungen erworbenen Praxiskenntnisse fließen wiederum in die Unterrichtsarbeit ein und

ermöglichen somit eine engere Verzahnung von Theorie und Praxis. Auf der anderen Seite werden im

Berufsschulunterricht zusätzlich zum Unterricht regelmäßig Projekte angeboten, die eine hohe prak-

tische Relevanz für die Auszubildenden haben wie beispielsweise die Fallstudienarbeit mit SAP. Eine

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

152152

Umfrage unter den Kooperationspartnern ergab, dass in fast in allen Unternehmen ERP-Systeme

zum Einsatz kommen. Neben einigen Branchenlösungen, z. B. für die Textilindustrie, wird überwie-

gend mit SAP gearbeitet. Auch diese Tatsache führte dazu, sich für den Einsatz von SAP-Fallstudien

am Friedrich-List-Berufskolleg zu entscheiden. Ermöglicht wurde der Einsatz von SAP im Unter-

richt erst durch die strategische Entscheidung des Softwareherstellers das University-Alliances-

Programm auf Berufskollegs auszuweiten. Die Umsetzung erfolgte zunächst durch den Aufbau von

Hochschulkompetenzzentren in Passau und in Magdeburg. So können die Mandanten (Hochschulen

und Berufskollegs) zentral administriert und gecustomized werden. Die Bereitstellung der SAP-Welt

über das Netz ermöglicht den pädagogischen Institutionen sofort mit der Software zu arbeiten, ohne

die eigene Performance personell und materiell zu überfordern. Neben der technischen Realisierung

durch die Hochschulkompetenzzentren wurde systematisch am Aufbau einer Community gearbeitet,

die in zahlreichen User-Group-Meetings gepflegt und gefördert wird. Daraus entstand neben dem

technologischen Netzwerk ein pädagogisches Netzwerk von Personen, die SAP in Forschung und

Lehre einsetzen.

Die Partnerschaft mit dem führenden deutschen Hersteller für ERP-Software sowie die Technolo-

giepartnerschaft mit dem Hochschulkompetenzzentrum der Universität Magdeburg (HCC), wird von

Anfang an von allen Beteiligten als durchweg positiv bewertet. Es ist als konstruktiv, von gegen-

seitiger Wertschätzung geprägt und als äußerst kollegial zu bezeichnen. Das erste Entwicklerteam

für die pädagogischen Lernsituationen unter Anwendung von SAP R/3 wurde direkt in Walldorf am

Stammhaus der SAP und im Schulungszentrum St. Leonrot mit dem R/3-System vertraut gemacht.

Im Rahmen der internen Lehrerfortbildung wurden dann die Erfahrungen des SAP-Teams an alle in-

teressierten Kolleginnen und Kollegen weiter gegeben. Somit kann auch die Personalentwicklung als

kollegialer Entwicklungsprozess mittels schulinterner Lehrerfortbildung am FLB aus eigener Kraft

und mit Impulsen der SAP generiert werden.

2 Entwicklungsprozess des Unterrichtseinsatzes von SAP

Die ersten Erfahrungen mit dem Einsatz einer pädagogischen Software, welche den Schülerinnen

und Schülern das Zusammenwirken einzelner modularer funktionsorientierter Betrachtungen zu ei-

ner prozesshaften bereichsübergreifenden Vernetzung der betrieblichen Abläufe näherbringen soll,

gehen am FLB auf das Jahr 1990 zurück. Mit dem Schulversuch ISI beteiligt sich das FLB an der Er-

arbeitung einer Fallstudie unter Nutzung der Software Micro-PPS von Prof. Dr. Kern (Fachhochschu-

le Reutlingen). Mit Hilfe dieser soll die Produktion eines Konferenztisches informationstechnologisch

begleitet werden und der Prozess von der Erfassung von Arbeitsplätzen über die Stücklistenauflö-

sung bis hin zur Realisierung und Steuerung konkreter Kundenaufträge durch die Lernenden bear-

beitet werden. Mit der Weiterentwicklung der Software Micro-PPS zum windowsbasierten PMS/S

im Jahre 1997 durch die Fachhochschule Reutlingen findet auch eine curriculare und pädagogische

Weiterentwicklung am Friedrich-List-Berufskolleg für den Bildungsgang „Industriekaufleute“ statt.

Die fakultativen Lernfelder „Angewandte Wirtschaftsinformatik I und II“ entstehen im Jahr 1999. In

153

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess

153

diesen Wahlpflichtfächern werden zum einen eine modifizierte Fallstudie mit dem Kern´schen PPS-

System, zum anderen eine Rechnungswesenanwendung auf Softwarebasis SAGE KHK zur Anwen-

dung gebracht.

Ein kurzes Zwischenintermezzo in der Entwicklung von rechnergestützten Unterrichtsentwicklungen

findet in den Jahren 1999 bis 2001 statt. Eine berufskollegübergreifende Planungsgruppe „Enterpri-

se Management“ lässt sich durch Vertreterinnen und Vertreter der Firma BaaN für die Version 4C4

schulen. Es soll eine Vernetzung kaufmännischer und technischer Kommunikation auch kollegüber-

greifend stattfinden. Noch während des Aufbaus der hardwareseitigen Infrastruktur endet allerdings

dieser Schulversuch abrupt, da die wirtschaftlichen Probleme den Softwarehersteller BaaN dazu

zwingen, die Unterstützung der Schulen einzustellen .

Parallel dazu bemüht sich das FLB durch eigene persönliche Beziehungen zu Mitarbeitern von SAP,

das R/3-System für die berufliche Bildung nutzbar zu machen. Ein Vorstoß auf Bezirksebene war

bereits im Jahre 1997 gescheitert, da SAP diese Nutzung nicht genehmigen wollte. Man zweifelte

seinerzeit seitens SAP (sicherlich zu Recht) daran, dass Schulen sowohl hardwareseitig als auch von

der Personalkompetenz in der Lage sind, ein R/3-System selbstständig zu administrieren und für den

Unterrichtseinsatz lauffähig zu halten. Darüber hinaus gab es auch von Seite der Pädagogen Vorbe-

halte gegen diese Softwarenutzung, da es sich um ein offenes System handele und für den Unter-

richt vorbereitete Datenkränze nicht so einfach eingespielt werden können, wie es beispielsweise mit

PMS/A oder Sage KHK möglich ist.

Somit sind auch zu Beginn des neuen Jahrtausends die Hoffnungen auf einen Unterrichtseinsatz von

SAP zunächst nicht groß, werden aber dennoch nicht komplett begraben. Auf der Cebit 2000 werden

erste Kontakte zwischen der Schulleitung des FLB und dem University-Alliances-Management der

SAP AG hergestellt, dem viele Gespräche und Verhandlungen folgen sollten. Zunächst gestaltet sich

eine Zusammenarbeit als etwas schwierig, da bis zu diesem Zeitpunkt lediglich Hochschulen SAP in

der Lehre einsetzen. Dennoch ist das FLB seit dem Sommer 2001 die seinerzeit erste Partnerschule

von SAP in Nordrhein-Westfalen. Die Begründung für die Zusammenarbeit mit dem FLB ist laut Aus-

sage von SAP letztendlich das innovative Bildungsangebot der Schule in Verbindung mit der hohen

fachlichen Qualifikation der Lehrkräfte im IT-Bereich. Durch die Arbeit mit dem SAP-System sehen

sowohl die Vertreter der SAP als auch des Berufskollegs einen echten Qualitätssprung mit Blick auf

zukünftige Aufgaben und Arbeitschancen. Ein weiterer Vorteil ist, dass ein SAP orientiertes Curricu-

lum im Rahmen der didaktischen Jahresplanung konzipiert werden kann.

Das Team, welches sich im August 2001 gebildet hat und zunächst aus 5 Lehrkräften besteht, die

dann in Walldorf und St. Leon Roth durch SAP sowie in Magdeburg durch das HCC kontinuierlich

qualifiziert werden, hat im Rahmen der pädagogischen Schulentwicklung prozessorientierte Lernsi-

tuationen entwickelt und setzt diese seitdem regelmäßig im Bildungsgang Industrie1 und in der Fach-

1 Der Bildungsgang Industrie zählt zur Berufsschule und bildet in Block- und Teilzeitform Industriekaufleute aus. Blo-

ckunterricht bedeutet, dass die Auszubildenden während ihrer Ausbildung drei Mal für 12 Wochen zur Berufsschule

gehen. In der Teilzeitform werden die Auszubildenden in der Regel 3 Jahre an 2 Berufsschultagen beschult.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

154154

schule für Wirtschaft2 ein. Diese Fallstudien setzen sich zum Beispiel mit der modulübergreifenden

Bearbeitung von Geschäftsprozessen im Industrieunternehmen und dem Aufbau eines Kostenrech-

nungssystems auseinander.

Das daran für diese Zeit neue ist in erster Linie, dass keine tiefe Programmkenntnis innerhalb einzel-

ner Module des R/3-Systems Gegenstand der Schulungen sein sollte, so wie z. B. SAP diese Schu-

lungen für Ihre Praxisanwender konzipiert. Es soll vielmehr der bereichsübergreifende betriebliche

Datentransfer den Lernenden Erkenntnisse über die Vernetzung betrieblicher Prozessbereiche lie-

fern und damit das vernetzte und prozesshafte Denken in den Mittelpunkt der Kompetenzentwick-

lung stellen. Das kreative Team ist sich schnell darüber einig, dass eine reine „Klickveranstaltung“, in

welcher die vielen 1000 Masken des SAP-Sytems bis ins letzte Detail angeschaut werden, nicht Ziel

der beruflichen Bildung sein dürfe. Von daher wird der Entschluss gefasst, zunächst zwei Fallstudien

in Form von Lernsituationen zu generieren, in denen neben der Bearbeitung in SAP auch Fragestel-

lungen enthalten sind, durch deren Berarbeitung der Stoff der Fächer Geschäftsprozesse (vormals

Industriebetriebslehre) und Steuerung und Kontrolle (vormals Rechnungswesen) wiederholt wird.

Die Idee auf einer der ersten User-Group-Meetings im HCC Magdeburg diskutiert, stößt auch auf das

Interesse des leider zwischenzeitlich viel zu früh verstorbenen Prof. Dr. Claus Rautenstrauch. Er be-

wertet das Vorhaben als anspruchsvoll und ambitioniert, aber durchaus realisierbar und sichert eine

erstklassige Betreuung und Beratung seitens des Magdeburger HCC zu. Als Basis für das Vorhaben

soll das Modellunternehmen IDES dienen, angereichert um spezielle betriebswirtschaftliche und das

Rechnungswesen betreffende Inhalte. Somit wird die erste große erste Fallstudie „FunLabelBikes“

entwickelt, die den Prozess von der Anfrage über einen noch nicht im Produktionsprogramm be-

findlichen Motorradscheinwerfer bis hin zur Abarbeitung des ersten Kundenauftrages abbildet. Im

Frühjahr 2002 findet diese Fallstudie erstmals als Pilotprojekt in einer Klasse der Fachschule für Wirt-

schaft ihren Einsatz. Nachdem sie von den Studierenden evaluiert ist, wird sie vom Entwicklerteam in

einigen Details nochmals verbessert. Die Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen sowie der Eva-

luationsergebnisse der Lernenden sind auch nach wie vor für die Qualitätsentwicklung der Fallstudie

von großer Wichtigkeit. Daher werden diese Evaluationen nach jedem Einsatz erneut durchgeführt

und ausgewertet.

Nach Abschluss der Pilotphase in der Fachschule für Wirtschaft kann nun der in der Hauptsache

intendierte Einsatz im Bildungsgang Industrie erfolgen. Parallel dazu wird mit der Erarbeitung einer

Controlling-Fallstudie begonnen. Diese hat zum Inhalt, dass eine Hilfskostenstelle „Kantine“ in das

Kostenrechnungssystem des SAP-Systems von den Lernenden implementiert und die innerbetriebli-

che Leistungsverrechnung mit anderen Kostenstellen geplant, organisiert und umgesetzt wird. Wäh-

rend die erste Fallstudie mit ihrem betriebswirtschaftlichen Schwerpunkt in der Mittelstufe in einem

zweitägigen Blockseminar (ca. 16 Unterrichtsstunden) zum Einsatz kommt, ist die eintägige (ca. 8

2 Die Fachschule für Wirtschaft zählt zur Berufsfachschule. Dort werden Studentinnen und Studenten berufsbegleitend

in der Regel 3 Jahre zum „Staatl. gepr. Betriebswirt bzw. Betriebswirtin“ ausgebildet.

155

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess

155

Unterrichtsstunden) Controlling-Fallstudie mit dem Rechnungswesenschwerpunkt in der Oberstufe

verortet.

Für den geplanten Einsatz im Unterricht wird es notwendig, weitere Lehrkräfte im Umgang mit SAP

zu schulen. Im Juni 2003 wird für interessierte Lehrkräfte eine Schulinterne Lehrerfortbildung (SchiLf)

angeboten, die von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bildungsgang wahrgenommen

wird. So kann sichergestellt werden, dass ab dem Schuljahr 2003/2004 ein Einsatz der Fallstudie

sowohl in der Fachschule für Wirtschaft als auch in den Blockklassen der Industrie eingesetzt wer-

den kann.

Im Sommer 2006 erfolgt durch ein zweiköpfiges Team - wiederum auf Basis der IDES-Modellunter-

nehmung - eine vollständige Überarbeitung der Fallstudie. Aus den Auswertungen der kontinuierli-

chen Evaluationen können zahlreiche wertvolle Hinweise für die Überarbeitung der Fallstudie gewon-

nen werden. Aus der Fun-Label-Bike-Fallstudie, die den Prozess der Auftragsbearbeitung anhand

eines neu zu produzierenden Motorradscheinwerfer darstellt entsteht die sich bis heute im Einsatz

befindliche For-Life-Bicycles-Fallstudie, in welcher hochwertige Fahrräder modular auftragsbezogen

konfiguriert werden können. Diese insbesonderes auch die BWL-Inhalte betreffend aktualisierte und

weiter professionalisierte Lernsituation wird im Rahmen einer weiteren SchiLf einem interessierten

Kollegenkreis vorgestellt. In dieser Zeit finden sich neue Mitglieder des SAP-Planungsteams am FLB,

die im Frühjahr durch das HCC in München geschult werden. Das vierköpfige Lehrkräfteteam soll das

ursprüngliche Kernteam unterstützen bzw. ergänzen. Dadurch wird es möglich, die Fallstudie nicht

nur in der Fachschule für Wirtschaft und den Blockklassen der Industrie einzusetzen, sondern nun

endlich auch die Teilzeitklassen der Industrie und die Lerngruppen der Kaufmännischen Assistent/-in

Informationsverarbeitung3 mit den SAP-Fallstudien zu beschulen.

Durch die jährliche Teilnahme am SAP-User-Group-Meeting können wertvolle Kontakte zu inzwi-

schen mehreren anderen Schulen aufgebaut werden, die ihrerseits Erfahrungen mit dem Einsatz von

SAP im Unterricht haben. So entscheidet man sich aufgrund der Kooperation mit dem Oberstufen-

zentrum Bürowirtschaft & Dienstleistungen aus Berlin dazu, ab dem Schuljahr 2008/2009 am Projekt

„ERP4School“ teilzunehmen.

3 Dieser Bildungsgang zählt zur höheren Berufsfachschule. Die Absolventinnen und Absolventen mit der Eingangs-

voraussetzung Fachoberschulreife erlangen in dieser 3-jährigen Vollzeitschulform sowohl den schulischen Teil der

Fachhochschulreife als auch den Berufsabschluss nach Landesrecht „ Kaufmännischer Assistent/-in Informations-

verarbeitung“

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

156156

3 Vorstellung einer der eingesetzten Fallstudien

Der Einsatz der For-Life-Bicycles-Fallstudie ist grundsätzlich in unterschiedlichen Bildungsgängen

möglich. Am Friedrich-List-Berufskolleg wird die Fallstudie in der kaufmännischen Berufsschule

im Bildungsgang Industrie, in der Fachschule für Wirtschaft im Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik

sowie im vollzeitschulischen Bildungsgang der kaufmännischen Assistent/ -in Informationsverar-

beitung eingesetzt. Da die Fallstudie schwerpunktmäßig für den Einsatz im Bildungsgang Industrie

entwickelt wurde, beziehen sich die nachstehenden Überlegungen auf den Ausbildungsberuf des

Industriekaufmanns/der Industriekauffrau.

Einordnung in den Rahmenlehrplan Industrie

Die wesentlichen Merkmale des seit Sommer 2002 geltenden neuen Rahmenlehrplans für den Aus-

bildungsberuf Industriekaufmann/Industriekauffrau sind die Gliederung des Lehrplans in Lernfelder,

eine verstärkte Kundenorientierung und die Orientierung an Geschäftsprozessen bzw. der Wert-

schöpfungskette eines Industriebetriebs (KMK, 2002, S. 6). Diese Veränderung im Lehrplan ist die

Folge gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen, denen Industrieunternehmungen Rechnung tragen: Die

Käufermärkte in Industrieländern besitzen das Merkmal, vom Kunden und seinen Wünschen determi-

niert zu sein. So erwartet die Nachfrageseite schnelle und flexible Reaktionen der Unternehmen. Die-

ses zu leisten ist einem Unternehmen nur mit einer geschäftsprozessorientierten Organisation mög-

lich. Geschäftsprozessketten können verschiedene betriebliche Kernfunktionsbereiche berühren,

wie z. B. Einkauf, Produktion und Vertrieb, überschreiten aber auch Schnittstellen zwischen Betrieb

und Umfeld, z. B. zum Absatz- und Beschaffungsmarkt. Prozessketten berühren aber auch so ge-

nannte betriebliche Querschnittsfunktionen wie Logistik, Qualitätssicherung oder Umweltschutz. In

immer stärker werdendem Maße überschreiten Prozesse nicht nur Abteilungsgrenzen, sondern auch

Unternehmens- und/oder Ländergrenzen, so z. B. die elektronische Anbindung der Zulieferer in der

Automobilindustrie (Internet-Marketplaces; E-Commerce). Vom jetzigen, aber auch vom zukünftigen

Mitarbeiter im Industriebetrieb erfordert diese Veränderung ein Überblickswissen über die gesamten

Geschäftsprozesse. Nur so kann er auf Kundenwünsche flexibel und schnell reagieren und langfris-

tig zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Dem Auszubildenden im dualen System muss demnach

eine zeitgemäße Ausbildung im Betrieb, vor allem aber auch in der Berufsschule ermöglicht werden,

die sich also an Geschäftsprozessen orientieren sollte, denn:

- Geschäftsprozesse bestimmen die wichtigsten betrieblichen Handlungsabläufe mit denen es der

Auszubildende am Lernort Betrieb zu tun hat (z. B. Kundenauftragsabwicklung, Beschaffung/La-

gerhaltung, Kundendienst, Produktionsplanung und -steuerung). Sie fördern das Denken in funk-

tionsbezogenen, funktionsübergreifenden und unternehmensübergreifenden Zusammenhängen

und geben den Auszubildenden die Möglichkeit der Orientierung in der schwer zu überschauba-

ren Fülle zu vermittelnder Inhalte.

- Geschäftsprozesse werden in der Regel durch Datenverarbeitungssysteme gesteuert, so z. B.

durch ERP-Systeme, zu denen auch die Software der SAP AG zählt. Die inhaltliche Einbindung

157

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess

157

solcher Systeme auf prozessorientierter Ebene spiegelt betriebliche Handlungsabläufe optimal

wider. ERP-Systeme binden sämtliche betriebliche Funktionen bzw. Module mit ein. Folglich ist

der Einsatz von SAP-Software in der beruflichen Ausbildung hervorragend dazu geeignet, den

veränderten wirtschaftlichen Anforderungen zu entsprechen und den zukünftigen Mitarbeitern

berufliche Handlungskompetenz zu vermitteln.

Die For-Life-Bicycles-Fallstudie auf Grundlage der von Stefan Weidner vom HCC Magdeburg4 entwi-

ckelten Integrations-Fallstudien ist im Schwerpunkt eine Lernsituation zum Geschäftsprozess Kun-

denauftragsabwicklung und berührt die folgenden Lernfelder des Rahmenlehrplans für den Ausbil-

dungsberuf Industriekaufmann/Industriekauffrau (KMK, 2002, S.8):

Lernfeld 2: Marktorientierte Geschäftsprozesse eines Industriebetriebes erfassen

Lernfeld 3: Wertströme und Werte erfassen und dokumentieren

Lernfeld 4: Wertschöpfungsprozesse analysieren und beurteilen

Lernfeld 6: Beschaffungsprozesse planen, steuern und kontrollieren

Lernfeld 10: Absatzprozesse planen, steuern und kontrollieren

Didaktisch-methodische Leitlinie

Grundlage für die Entwicklung der am Friedrich-List-Berufskolleg eingesetzten Fallstudie bilden, wie

bereits eingangs erwähnt, die vom HCC Magdeburg entwickelten und für Schulungszwecke am SAP-

System eingesetzten Integerations-Fallstudien. Die Entwicklung einer eigenen Fallstudie erachtete

das SAP-Team des FLB für notwendig, da die vorhandenen Fallstudien jeweils nur einen Funktions-

bereich abdecken und schwerpunktmäßig die Anwendung von SAP fördern. Es wurde folglich eine

Fallstudie entwickelt, die prozessorientiert und damit funktionsübergreifend angelegt ist. Dabei stellt

die Fallstudie den Ablauf des Prozesses in den Vordergrund und zeigt die Umsetzung im ERP-Sys-

tem. Die Lernenden erwerben entsprechend Fachkompetenzen über den Ablauf des Geschäftspro-

zesses Kundenauftragsabwicklung. Eng mit den betriebswirtschaftlichen Inhalten verbunden werden

Fachkompetenzen vermittelt, die sich auf den Umgang mit einem ERP-System beziehen. Die Auszu-

bildenden lernen, welche Arbeitsschritte beim Anlegen von Kundenstammdaten, Materialstämmen

oder Stücklisten erforderlich sind. Dabei bearbeiten die Lernenden den Geschäftsprozess aus unter-

schiedlichen Perspektiven: aus Vertriebssicht, aus der Sicht des Einkaufs oder aus dem Blickwinkel

der Produktion. Auf diese Weise lernen sie die Erfordernisse unterschiedlicher Abteilungen in einem

Industriebetrieb kennen und verstehen. Methodisch ist die Fallstudie so angelegt, dass die Lernen-

den immer wieder gefordert sind, beispielsweise innerhalb einer Gruppe Entscheidungen zu treffen.

Auf diese Weise werden die Team- und Kommunikationsfähigkeit sowie die Konfliktfähigkeit trainiert.

Auch der im Lehrplan geforderten Kundenorientierung wird durch die Fallstudie Rechnung getragen,

da der Auslöser für sämtliche Geschäftsprozessschritte eine Kundenanfrage bzw. -bestellung ist.

Darüber hinaus wurde in die Fallstudie eine Änderung des Kundenwunsches hinsichtlich der Bestell-

menge eingearbeitet, auf die kundenorientiert reagiert werden muss.

4 Die Fallstudien stehen Kunden der HCCs Magdeburg bzw. München kostenlos zum Download auf

der jeweiligen Homepage zur Verfügung.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

158158

Ablauf der Fallstudie

Die Kundenanfrage, das darauf folgende Angebot der For-Life-Bicycles GmbH und die Bestellung

des Kunden, Make-or-buy-Entscheidung, Angebotsvergleich und Lieferantenauswahl, Eröffnung ei-

nes Fertigungsauftrags, Fertigung und Kommissionierung der Ware sind nur einige Schlagworte, die

den innerbetrieblichen Ablauf eines Kundenauftrags skizzieren sollen.

Da im Fokus der Fallstudie nicht die Arbeit mit dem SAP-System steht, erfolgt der Einstieg in die

Fallstudie nicht über das SAP-System, sondern durch eine klassische Ausgangssituation aus dem

praktischen Berufsalltag: die Anfrage eines Neukunden. Um diese bearbeiten zu können, machen

sich die Lernenden zunächst mit dem Unternehmen For-Life-Bicylces GmbH vertraut und erstellen

das Angebot an den Kunden. Zu diesem Zweck kalkulieren sie mit Hilfe der gegebenen Daten den

Angebotspreis. In diese erste Arbeitsphase integriert ist eine Make-or-Buy-Entscheidung. Durch den

in Aussicht stehenden zusätzlichen Kundenauftrag stellt sich im Unternehmen die Frage, die bislang

fremdbezogenen Fahrradrahmen selbst zu fertigen. Die Lernenden erstellen mit Hilfe des Office Pro-

gramms Excel eine Tabelle, mit der sie die kritische Menge bestimmen ab der sich eine Eigenferti-

gung lohnen würde. Diese stellen sie zusätzlich in Excel als Diagramm dar und präsentieren ihre Ent-

scheidung im Plenum. Im Rahmen der Präsentation sollen für eine begründete Empfehlung zusätzlich

zum rechnerischen Ergebnis Argumente für und gegen eine Eigenfertigung bzw. einen Fremdbezug

angeführt werden.

Anschließend bekommen die Lernenden die Aufgabe, in Gruppen mithilfe vorbereiteter Moderati-

onskarten die weitere Bearbeitung des Kundenauftrags, der zwischenzeitlich erfolgt ist, schrittweise

zu planen und zu dokumentieren. Gemeinsam im Plenum wird der Prozessablauf diskutiert und auf

einer Stellwand festgehalten. Dieser dient zum Abschluss der Fallstudie zur Reflektion des Ablaufs

des Geschäftsprozesses im SAP-System. Da die Lernenden im Regelfall einen anderen Ablauf des

Geschäftsprozesses planen als den, der dann tatsächlich im SAP-System abläuft, kann so nochmals

der gesamte Ablauf der Fallstudie und die Umsetzung im SAP-System nachvollzogen werden.

Erst jetzt folgt eine Einführung in das SAP-System. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die Ent-

wicklung der SAP AG und den betriebswirtschaftlichen Nutzen eines ERP-Systems gegeben. Nach

einer Vorstellung der Organisationseinheiten im SAP-Systems, wird die Benutzeroberfläche gezeigt

und eine Musternavigation von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt.

Die erste konkrete Aufgabe, die im Rahmen der Fallstudie im SAP-System durchgeführt wird, ist die

Erfassung des Kundenauftrages. An dieser Stelle werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer be-

wusst zu zwei Fehlermeldungen geführt, um dadurch noch mal die Systematik des ERP-Systems zu

verdeutlichen. Die erste Fehlermeldung tritt auf, da es sich um einen Neukunden handelt, der dem

System noch nicht bekannt ist und die zweite Fehlermeldung, da es sich um ein Produkt handelt, wel-

ches in dieser Form bislang noch nicht hergestellt wurde. Die Lernenden erfassen zunächst die Kun-

dendaten im System, dann erfolgt im Plenum eine Theoriesequenz zur Wiederholung des Aufbaus

von Stücklisten. Die sich anschließende Erfassung der Materialstämme im System erfolgt durch die

159

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess

159

Lernenden unter Zuhilfenahme des ausgeteilten Begleitmaterials, das sie eigenständig durcharbei-

ten. Erst nach Erfassung der Stücklisten, Arbeitspläne sowie der Konditionensätze erfolgt ein Test-

lauf der Stammdaten bevor die Auftragserfassung beendet werden kann.

Bevor im SAP-System die notwendigen Bestellungen für die zur Produktion benötigten Materialien

generiert werden können, ist eine Lieferantenauswahl notwendig. Dazu erfolgt zunächst eine theore-

tische Wiederholung zur Nutzwertanalyse, bevor die Lernenden eine solche für drei vorliegende An-

gebote von verschiedenen Lieferanten durchführen. Die Angebote und Lieferantenbeschreibungen

sind so gestaltet, dass sich relativ eindeutig ein Lieferant als bester herauskristallisiert, allerdings

wäre es auch ohne weitere Probleme möglich, falls die Lernenden zu unterschiedlichen Ergebnis-

sen gelangen, dass sie mit diesen dann entsprechend weiterarbeiten. Nachdem im SAP-System die

entsprechenden Lieferantenstammdatensätze eingepflegt wurden, erhält die For-Life-Bicyles GmbH

vom Kunden die Mitteilung, dass die Auftragsmenge erhöht wird. Es folgt eine Diskussion im Plenum

darüber, welche Auswirkungen dies auf den Liefertermin hat, die schließlich in einer Theorieeinheit

über das Material-Resource-Planing (MRP-Lauf) mündet. Ab diesem Zeitpunkt arbeiten die Lernen-

den eigenständig mithilfe der Begleitmaterialien den Kundenauftrag bis zum Zahlungseingang ab,

indem sie einen Fertigungsauftrag generieren, die Bestellungen für das Material auslösen, den Wa-

reneingang der Bestellungen erfassen, die Fertigung durchführen, die Lieferung anlegen, den Kun-

denauftrag fakturieren und letztlich den Zahlungseingang buchen.

Nach erfolgreicher Abwicklung des Kundenauftrages im SAP-System erfolgt eine Reflektion des

Geschäftsprozesses, in dem der zu Beginn der Lernsituation von den Lernern mit den Moderations-

karten angefertigte Prozessverlauf mit der tatsächlichen Vorgehensweise im SAP-System verglichen

und diskutiert wird.

4 Bedeutung und Probleme des Einsatzes von SAP im Unterricht

Der Einsatz der Lernsituation fördert durch die Orientierung an einem konkreten Geschäftsprozess

den fächerübergreifenden und damit lernfeld-orientierten Unterricht. Durch die Arbeit mit realen Un-

ternehmensstrukturen wird das Verständnis dieser Strukturen gefördert. Zudem fördert die Verknüp-

fung theoretischer Inhalte mit der Abbildung in einem ERP-Programm den praxisorientierten Unter-

richt. Durch den Einsatz der SAP-Fallstudien werden die auch für die Abschlussprüfung in den jewei-

ligen Bildungsgängen relevanten betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge wiederholend eingeübt

und im Kontext der Prozessabläufe verstanden. Organisatorisch sind diese relativ leicht umzusetzen,

weil sie keine besonderen Anforderungen an die Hardwareausstattung stellen, allerdings idealer Wei-

se in Räumen mit PCs in Gruppentischen (nicht in Frontalform) stattfinden sollten. Ein weiterer Vorteil

liegt darin, dass insbesondere die umfangreiche Fallstudie dazu führt, dass sich die Schülerinnen

und Schüler außerhalb des normalen Unterrichts als Intensivseminar mit diesen informationstechno-

logisch unterstützten betriebswirtschaftlichen Problemfeldern auseinander setzen. Diese intensive

Auseinandersetzung mit dem in der Fallstudie hinterlegten Geschäftsprozess fördert das Verständnis

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

160160

für Abläufe im Unternehmen und deren informationstechnologische Vernetzung. Dennoch wäre es

wünschenswert und Aufgabe der Entwicklungsarbeit der nächsten Jahre, kürzere, in die einzelne

Unterrichtsstunde zu integrierende, Fallsituationen zu konzipieren, damit dem Integrationsziel von

EDV in den betriebswirtschaftlichen Unterricht weiter genüge getragen wird. Diese Umsetzung klei-

ner Lernsituationen ist mit SAP allerdings schwierig, da es sich um ein offenes System handelt und

vordefinierte Datenkränze nicht oder nur sehr aufwendig generiert werden können. Dennoch sollen

vor allem für den berufsbezogenen Bereich im Bildungsgang Industrie, also vornehmlich in den Fä-

chern Geschäftsprozesse und Kaufmännische Steuerung und Kontrolle kleine, in den normalen Un-

terrichtsverlauf integrierte Lernsituationen entwickelt und erprobt werden.

Nach jedem Einsatz der Fallstudie erfolgt eine schriftliche Evaluation mit offen formulierten Fragen.

Auf diese Weise können immer wieder Probleme der Schülerinnen und Schüler ermittelt werden, die

zusätzlich zu den von den Dozenten gemachten Erfahrungen zu einer kontinuierlichen Überarbeitung

der Fallstudie führen. Es hat sich in den zahlreichen Rückmeldungen und Erfahrungen der Dozentin-

nen und Dozenten gezeigt, dass immer wieder ähnliche Probleme auftreten:

- Angst vor dem komplexen System „SAP“

Schülerinnen und Schüler haben regelmäßig Schwierigkeiten, sich in dem komplexen SAP-Sys-

tem zurechtzufinden. Aus der praktischen Ausbildung kennen sie immer nur Ausschnitte des

Systems, nie aber das System als Ganzes. Außerdem sind sie oftmals überfordert die vielfältigen

Eingabemasken zu überblicken und dort die richtigen Eingaben zu machen. Dies führt zu einer

großen Verunsicherung seitens der Schülerinnen und Schüler, da sie vermeiden wollen, Eingabe-

fehler zu machen, die sich dann nachher nicht mehr beheben lassen.

- geringe Fehlertoleranz des Systems

Da in einem Echtzeitsystem gearbeitet wird, hinterlässt jede erfolgte Eingabe „Spuren“, die sich

nicht ohne weiteres berichtigen lassen. Problematisch ist zusätzlich, dass sich Fehler erst bei

späteren Arbeitsschritten bemerkbar machen. So ist eine fehlerhaft angelegte Stückliste zu-

nächst unproblematisch und der Fehler für die Lernenden auch kaum erkennbar, die Folgen zei-

gen sich dann beispielsweise erst bei der Erstellung von Fertigungsaufträgen und sind dann in der

Regel nur durch einen aufwendigen Korrekturprozess zu beheben. Diese Korrektur ist nur von den

Dozentinnen und Dozenten zu leisten, die aufgrund der unendlich hohen Anzahl möglicher Fehler,

nicht immer sofort Abhilfe leisten können.

- Inhomogene Lerngruppen

In der Arbeit am SAP-System zeigt sich regelmäßig, dass die Lerngruppen sehr inhomogen sind.

Einige Lerner überblicken sehr schnell die Systematik des Systems und sind dementsprechend

schnell mit Eingaben fertig, andere überblicken nicht die generelle Funktionsweise des Systems

und welche Eingaben wo gemacht werden müssen. Zudem führen nicht korrekt durchgeführte

Eingaben zu Fehlern, die sich nur unter erheblichem Aufwand korrigieren lassen. Diese Problema-

tik führt dazu, dass die Betreuung einer Lerngruppe nur mit mind. 2 Lehrkräften möglich ist, die

regelmäßig darauf angewiesen sind, dass stärkere Schülerinnen und Schüler die Schwächeren

unterstützen, damit möglichst alle die Fallstudie erfolgeich abschließen können.

161

SAP-Einsatz als kollegialer Lern- und Entwicklungsprozess

161

Trotz aller Detailprobleme in der Umsetzung von Lernsituationen mit Hilfe von SAP R/3 sind alle

Beteiligten am Friedrich-List-Berufskolleg von dem Ergebnis und der Sinnhaftigkeit der Entwick-

lungsarbeit überzeugt. Auch wenn oder gerade weil die Lernenden bei jedem Durchgang weitere

Verbesserungsvorschläge unterbreiten, ist es eine Entwicklungsarbeit, die niemals endet, sondern

kontinuierlichen Anpassungen bedarf. Schülerinnen und Schüler, Ausbildungsbetriebe und Lehrerin-

nen und Lehrer halten dieses Projekt für einen großen Erfolg für das FLB und wollen an der Weiter-

entwicklung dieses Konzeptes mitarbeiten, indem wie dargelegt insbesondere kleinere, in den nor-

malen Unterrichtsverlauf zu integrierende Lernsituationen erarbeitet werden sollen, die das vernetz-

te der Lernenden nachhaltig fördern. Die sicherlich auch von der Kostenseite, was den Einsatz der

Software und der Lehrkräfte betrifft, aufwendige Projektarbeit ist für eine zukunftsfähige berufliche

Bildungskonzeption wichtig, insbesondere wenn die EDV einen im Leitbild verankerten Schwerpunkt

der pädagogischen Arbeit am Friedrich-List-Berufskolleg darstellt. Darüber ist eine Theorie- und

Praxisvernetzung schon allein durch die enge Zusammenarbeit im University-Alliances-Programm

der SAP AG gegeben und als äußerst positiv zu bewerten. Auf diese Weise kann von Ergebnissen

anderer Schulen und Hochschulen für den Unterricht profitiert werden und es entstehen durch die re-

gelmäßigen User-Group-Meetings wichtige Expertennetzwerke für die weitere pädagogische Arbeit.

Vor diesem Hintergrund wird das Friedrich-List-Berufskolleg als erste SAP-Partnerschule in NRW

sicherlich auch weiterhin an der Entwicklung von Lernsituationen, die den Einsatz des R/3-System

erfordern arbeiten.

Literatur

Bastian, Johannes; Rolff, Hans-Günter (2002): Abschlussevaluation des Projekte „Schule & Co.“. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung

KMK (2002): Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/ Industriekauffrau. http://www.kmk.org/bildung-schule/berufliche-bildung/rahmenlehrplaene-zu-ausbildungsberufen-nach-bbighwo/liste.html [09.05.2009]

Autoren:

Buder, Andreas; Dr. ; Oberstudienrat; Friedrich-List-Berufskolleg; Hermannstr. 7; D-32051 Herford; Mail: [email protected]

Reich-Zies, Birthe Tina; Dipl.-Hdl.; Studienrätin; Friedrich-List-Berufskolleg; Hermannstr. 7; D-32051 Herford; Mail: [email protected]

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

162

ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung WürzburgBernd Schuller

1 Das Berufliche Schulzentrum

Das Berufliche Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung ist eine der ältesten schulischen

Einrichtungen im beruflichen Schulbereich in Bayern. Im Jahr 2008 feierte man das 100jährige Be-

stehen. In den achtziger Jahren entwickelte sich aus der Berufsfachschule für Wirtschaft mit Berufs-

aufbauschule ein Zentrum mit fünf Schulen, in denen je nach Ausbildungsziel der Fokus stärker auf

der kaufmännischen oder auf der IT-Seite liegt, in allen Ausbildungsrichtungen wird aber auf ERP-

Lösungen im Unterricht zugegriffen. Die Möglichkeit, an einer Vollzeitschule einen IHK-Abschluss

zu erreichen, macht die Schule in Bayern zum Exoten. Es gibt nur ganz wenige Schulen, die ähnlich

ausgerichtet sind wie das Berufliche Schulzentrum und diese sind nicht in staatlicher Trägerschaft

1.1 Die Berufsfachschule für Büroberufe

Aus der ältesten Schule, der Berufsfachschule für Wirtschaft, hat sich mittlerweile die Berufsfach-

schule für Büroberufe entwickelt, in der junge Leute mit qualifizierendem Hauptschulabschluss in

drei Jahren den Abschluss als Kauffrau oder Kaufmann für Bürokommunikation erwerben können.

Um Praxiserfahrungen, die Auszubildende im dualen System erwerben, zu ermöglichen, durchlaufen

die Schülerinnen und Schüler drei Phasen: Im ersten Ausbildungsjahr ein Übungssekretariat, in dem

die Verknüpfung von word, Power Point und Outlook im Rahmen von Anforderungen im Sekretariat

realisiert wird. Das Erstellen von Serienbriefen, das Kuvertieren und Fertigmachen für den Versand

per Post oder durch ein Logistikunternehmen werden praxisnah z. B. für Einladungen für Veranstal-

tungen des Förderkreises der Schule durchgeführt.

Im zweiten Jahr der Ausbildung sind die Schülerinnen und Schüler Mitarbeiter in einer sog. Trai-

ningsfirma, der SÜWA GmbH, und lernen dort alle kaufmännischen Abteilungen eines Herstellers

von Diätschokolade kennen. Arbeitsvollzüge werden hier sowohl per Hand als auch mit dem ERP-

Programm SAGE Classic Line bearbeitet. So werden z. B. die Löhne und Gehälter zunächst mit Hil-

fe von Lohnsteuer- und Sozialversicherungstabellen von Hand abgerechnet. Anschließend werden

die Daten in das Personalmodul eingegeben und die Testabrechnung mit den Handabrechnungen

verglichen. Aus der Echtabrechnung wird der Buchungsbeleg für die Finanzbuchhaltung erzeugt.

Durch ausführliche Dokumentationen sollen die Schüler sich in eigenen Worten und mit Hilfe von

screenshots die verschiedenen Arbeitsschritte nochmals klarmachen. Analog werden Einkaufs- und

Verkaufsabläufe behandelt.

ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg

163

Im dritten Ausbildungsjahr absolvieren die Schülerinnen und Schüler ein insgesamt halbjähriges

Praktikum in Betrieben der Region. In den jeweils sechs- bis achtwöchigen Praktikumsblöcken sind

die angehenden Kaufleute für Bürokommunikation ihrer Ausbildung entsprechend in den Fachabtei-

lungen eingesetzt. Mit dem Abschluss als Kaufmann/Kauffrau für Bürokommunikation verbunden mit

einem Notendurchschnitt von 2,5 im Abschlusszeugnis der Berufsfachschule bekommen die Absol-

venten den mittleren Schulabschluss verliehen.

1.2 Die Berufsfachschule für Kaufmännische Assistenten - Fachrichtung Informationsverarbeitung

Diese zweijährige Berufsfachschule steht Schülerinnen und Schülern offen, die bereits den mittle-

ren Bildungsabschluss haben. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt einerseits im kaufmännischen

Bereich, wo vertiefte Kenntnisse in Rechnungswesen und Betriebswirtschaftslehre vermittelt, ande-

rerseits im IT-Bereich, wo Grundlagen von Computer- und Netzwerktechnik theoretisch und prak-

tisch geschult werden. Im Fach IT-Anwendungen werden vertiefte Kenntnisse in Textverarbeitung mit

Word, Tabellenkalkulation mit Excel, Präsentationen mit Powerpoint und Datenbankentwicklung mit

Access erworben. Im Bereich der kaufmännischen Standardsoftware folgt die Ausbildung stark dem

Konzept, das in der Berufsfachschule für Büroberufe praktiziert wird. Auch hier werden kaufmänni-

sche Prozesse mit SAGE CL umgesetzt. In der staatlichen Abschlussprüfung am Ende des zweiten

Ausbildungsjahres werden Word, Excel und Access abgeprüft, ebenso werden in einer fachprakti-

schen Prüfung mit Hilfe der kaufmännischen ERP-Software SAGE die Fähigkeiten und Kenntnisse

festgestellt.

1.3 Die Berufsfachschule für IT-Berufe

1984 wurde auf Initiative der Industrie- und Handelskammer die Berufsfachschule für Datenverarbei-

tungskaufleute gegründet. Damit reagierte man einerseits auf den wachsenden Bedarf an qualifizier-

ten Mitarbeitern in den EDV-Abteilungen, andererseits auf die mangelnde Ausbildungsbereitschaft

oder –fähigkeit der Betriebe. Mit der Neuordnung der Berufe in der sich stark entwickelnden IT-Bran-

che in Fachinformatiker – Systemintegration, Fachinformatiker-Anwendungsentwicklung, System-

kaufmann, Systemelektroniker und Informatikkaufmann entschied man sich, die Berufsfachschule

für Datenverarbeitungskaufleute umzubenennen in Berufsfachschule für IT-Berufe und künftig zwei

Ausbildungsberufe anzubieten, nämlich den Fachinformatiker-Anwendungsentwicklung und den In-

formatikkaufmann. Beide Berufe haben eine gemeinsame Basisqualifizierung. Diese umfasst neben

kaufmännischen Grundlagen Standardsoftwareschulung und Ausbildung in der ERP-Software SAP

ECC 6.00, Grundlagen der Programmierung in den Sprachen Ruby, VB, Scriptsprachen und Daten-

banken.

Die Schwerpunktausbildung bei den Fachinformatikern-Anwendungsentwicklung liegt in komplexen

Softwarelösungen mit Hilfe objektorientierter Sprachen, wie Java und C#. Informatikkaufleute sind

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

164

als DV-Organisatoren an der Schnittstelle von kaufmännischer Fachabteilung und IT tätig. Einsatzge-

biete sind die Planung von Hard- und Softwareeinsatz, Beratung , Schulung, Support Administration.

Mit der vertieften Schulung in SAP ECC 6.00, ergänzt durch die SAP-eigene Programmiersprache

ABAP, soll diesem Profil Rechnung getragen werden.

In beiden Berufen findet im dritten Ausbildungsjahr ein halbjähriges betriebliches Praktikum statt,

das von der Schule gelenkt wird. Im Rahmen dieses Praktikums bekommen die Schülerinnen und

Schüler eine Projektarbeit (Zeitumfang: 35 Wochenstunden bei Informatikkaufleuten, 70 Wochen-

stunden bei Fachinformatiker/innen) zugeteilt. Das Ergebnis wird im Rahmen der Abschlussprüfung

dem Prüfungsausschuss präsentiert.

1.4 Die Fachschule für Datenverarbeitung

In diese Einrichtung der beruflichen Fortbildung können Personen, die eine kaufmännische Berufs-

ausbildung und ein Jahr Berufspraxis haben. In zweijähriger Vollzeitausbildung wird Softwareent-

wicklung mit den Programmiersprachen Java, Ruby, VB und Scriptsprachen vermittelt, darüber

hinaus Datenbanken und theoretisches IT-Wissen. Im betriebswirtschaftlichen Bereich wird das

Schnittstellenwissen zu den ERP-Lösungen in Logistik, Controlling, Personal in Verbindung mit den

entsprechenden Softwaremodulen von SAP ECC 6.00 geschult.

2 Von „handgestrickten“ Softwarelösungen zu SAP ECC 6.00

Schon Mitte der achtziger Jahre wurden die Schülerinnen und Schüler mit z.T. selbst programmierten

Softwarelösungen geschult. Es folgten Schulungen für die damaligen DV-Kaufleute an der Siemens-

Software Siline und der Nixdorf-Software Comet. Diese kaufmännischen Standardsoftwareprodukte

liefen auf proprietären Rechnern mit angeschlossenen Terminals. Die erste Standardsoftwarelösung

für PC‘s war dann Taylorix, die nach wenigen Jahren von KHK abgelöst wurde. Die Mittelstandssoft-

ware KHK ist mittlerweile von SAGE übernommen worden. SAGE Classic Line wird aktuell in der Be-

rufsfachschule für Büroberufe und der Berufsfachschule für Kaufmännische Assistenten geschult.

Für die IT-Berufe versuchten wir SAP R/3 als Schulungsstandard zu realisieren. Vorweg sollten wir

allerdings zunächst die für kleinere und mittlere Unternehmen von SAP entwickelte ERP-Software

business one als Pilotschule erhalten und ein Curriculum erstellen. Zwei Kolleginnen wurden auch

bei SAP geschult und zertifiziert. Durch personelle Änderungen bei SAP kamen wir aber dann ohne

diesen Zwischenschritt in das University Alliances Programm. Jetzt waren schulinterne Probleme zu

lösen. Dazu gehörten Lehrerseinsatz, Einbindung in den Lehrplan, aber auch finanzielle Absicherung

der Kosten für das Hosting durch das HCC u.ä. Die Verhandlungen mit dem Schulträger, der Stadt

Würzburg, über die jährlich zu entrichtenden Hostinggebühren verliefen unbürokratisch schnell, so

dass wir uns vor allem über die internen Umsetzungskonzepte kümmern konnten.

ERP-Einsatz am Beruflichen Schulzentrum für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg

165

2.1 Lehrereinsatz

Es war klar, dass die Schulung einer so mächtigen Software wie SAP eines erheblichen Aufwands

an Vorbereitung bedarf. In einer Konferenz aller Kollegen, die die kaufmännischen Fächer und bis-

her schon SAGE schulten, wurde das neue Konzept vorgestellt. Man wollte niemanden zur Mitarbeit

zwingen, sondern stellte auf Freiwilligkeit ab. Das funktionierte ausgezeichnet. Sieben Kolleginnen

und Kollegen waren bereit, SAP zu schulen. In zwei Teams unterzogen sie sich der einwöchigen Ein-

führungsschulung bei SAP in Ratingen bzw. Hamburg.

Intern bildeten sich zwei Teams, die zum einen den Bereich Logistik, der Einkaufs- und Verkaufs-

aktivitäten verbunden mit der Finanzbuchhaltung umfasst, bearbeiteten, zum anderen die Bereiche

Personal und Controlling.

Den Teams wurde zugesichert, dass sie die Module und die entsprechende Theorie auch im nächs-

ten Schuljahr unterrichten werden.

Zunächst wurde die betriebswirtschaftliche Theorie prozessorientiert geplant und auf Anforderungen

der Software ausgerichtet. Dann beschäftigten sich die Teams mit den Modulen und entwickelten

Schulungskonzepte. Dafür stand ein knappes Schuljahr als Vorlauf zur Verfügung. Während des ers-

ten Echtdurchlaufs mit den Klassen trafen sich die Teams weiterhin wöchentlich, um Erfahrungen zu

besprechen und in die Konzepte einzubauen sowie die Unterrichtsmodelle weiterzuentwickeln. Bei

besonderem Schulungsbedarf gingen einzelne Kollegen zu Schulungen nach Walldorf. Eine FiBu-

schulung erfolgte für alle Teammitglieder des Logistikteams im Hause.

2.2 Systemunterstützung durch das HCC

SAP stellt den Hochschulen und Schulen, die Im University Alliances Programm sind, die Softwarelizenz

kostenlos zur Verfügung. Gehostet wird diese Software durch die beiden Hochschulkompetenzzentren

(HCC) in Magdeburg und München. Für die Schule erfolgt der Zugriff auf die Software durch Remoteein-

wahl des Lehrers auf den entsprechenden Server des HCC. Mit seiner Kennung kann die Lehrkraft die

Software freischalten. Intern sind auf den Rechnern SAP-GUIs installiert, mit denen die Schüler dann

auf die Oberfläche der Software kommen. Dieses Verfahren ist hochstabil und Störungen sind höchst

selten. Über die zugewiesene Mandantennummer kann dann im IDES-Mandant gearbeitet werden.

2.3 Praxisbeispiel HCM (human capital management)

Die Schulung beginnt mit dem Organisationsmanagement. Zunächst machen sich die Schüler mit der

Aufbauorganisation vertraut, um dann vakante Stellen zu finden oder neue Stellen anzulegen. Dieser

Einstieg ist für den Prozess der Einstellung unabdingbar. Für eine vakante Stelle(zu besetzende Plan-

stelle) wird dann eine Stellenanzeige entworfen. Aufgrund der Anzeige (in der FAZ) bewerben sich drei

Kandidaten. Über das Bewerbermanagement werden sie erfasst . Die Entscheidung erfolgt für einen

Kandidaten; es erfolgt die Übernahme der Bewerberdaten in den Mitarbeiterstamm. Dabei geht es dann

um die Erfassung aller relevanten Daten und der Klärung, was im Personalbereich Maßnahmen sind.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

166

Schließlich werden, wenn alle abrechnungsrelevanten Daten erfasst worden sind, für den Mitarbeiter

seine Bezüge abgerechnet, der Entgeltnachweis erstellt und die Daten nach FI/CO übergeleitet. Im Rah-

men des Profilabgleichs werden Mitarbeiterentwicklung und Besetzung möglicher Stellen geprüft. Die

Theorie zu diesem Prozess liefert der BWL-Unterricht, in dem auch per Hand einige Gehaltsabrechnun-

gen erstellt werden, die dann mit den Ergebnissen der Software abgeglichen werden können.

3 ABAP

Programmieren in ABAP wird durch zwei Lehrkräfte im 2. Ausbildungsjahr bei den Informatikkaufleu-

ten mit 3 Wochenstunden unterrichtet. Ziel ist es, den Schülern tiefer gehende Kenntnisse über die

Funktion von SAP-Systemen zu vermitteln und sie zu befähigen, Anwendungsprogramme zu erstel-

len. Im Unterricht wird zunächst mit kleinen Programmen im klassischen ABAP begonnen, d.h. Ein-

gaben über Selektionsbildschirm und Ausgaben über den Listenprozessor (Write).

Durch die umständliche und aufwändige Codierung der Listenausgabe stellt sich zwangsläufig die

Frage nach moderneren Methoden und so kommen erstmals interne Tabellen und ABAP Objects

über das ALV-Objektmodell (SAP-List-Viewer) ins Spiel. Im weiteren Verlauf des Unterrichts wird

dann intensiver auf das Data Dictionary eingegangen. Neben dem Anlegen von Datenbanktabellen,

Domänen und Datenelementen geht es hierbei speziell auch darum, in ABAP aufgrund von Benutzer-

aktionen über Open SQL auf Datenbanktabellen zuzugreifen und einzelne Datensätze zu bearbeiten.

Dieser abgespeckte Dialog läuft noch über Selektionsbildschirme und ist deshalb noch mit viel Pro-

grammieraufwand verbunden. Dadurch stellt sich auch hier zwangsläufig die Frage nach effektiveren

Dialogmethoden und so erfolgt anschließend der Schritt zur echten GUI-Programmierung mit Dyn-

pros (dynamischen Programmen). Im weiteren Verlauf werden die Kenntnisse und Fertigkeiten ver-

tieft und verfestigt, z. B. durch Datenbankviews oder durch komplexe Dynpros.

4 Ausblick

Seit dem Schuljahr 2008/2009 verfügen wir über die ARIS-Lizenz. Diese Software von IDS Scheer

hilft, betriebswirtschaftliche Prozesse darzustellen und zu modellieren. Mit dem Business Architect

wird in Zukunft die Verknüpfung von Prozessen geschult.

Das Schulungskonzept wird ständig evaluiert. Durch Befragung der Schüler, Diskussion der unter-

richtenden Lehrkräfte, Tests werden Inhalte und Vorgehensweise überprüft. So legen wir vermehrt

Wert darauf, dass Prozesse, die im System stattfinden, transparent gemacht werden. Beispiel hierfür

ist die iterative Tarifermittlung. Weiterhin wird versucht, von relativ eng gesteuerten Fallstudien dahin

zu kommen, dass die Schüler ohne Pfadangabe komplexe Aufgabenstellungen lösen können.

Die Nachfrage nach unseren Absolventen, selbst in Zeiten der Krise, zeigt, dass das SAP-Umfeld

nach wie vor Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern hat und Perspektiven bietet.

Autor

Bernd Schuller, StD, stellvertretender Schulleiter des Beruflichen Schulzentrums für Wirtschaft und Datenverarbeitung Würzburg www.dv-schulen.de

167

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule

167

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen BerufsfachschuleEike Dörrer

Unternehmen legen heute sehr großen Wert auf exzellent ausgebildete Arbeitnehmer. Dabei sind

nicht nur fachspezifische und soziale Kompetenzen gefragt, sondern auch hervorragende Kenntnis-

se der komplexen betrieblichen Prozesse und der EDV-Systeme, mit denen diese abgewickelt wer-

den. Immer mehr kommen hierbei ERP-Systeme1 zum Einsatz. Einfache Bürotätigkeiten werden nicht

mehr von Personen ausgeführt, sondern sie sind in den ERP-Systemen integriert. Auf lange Sicht

verschwinden die Arbeitsplätze, die sich mit der einfachen Bedienung der EDV befassen. Auf der an-

deren Seite entstehen neue qualifizierte Arbeitsplätze im Prozessmanagement und im Controlling.

An die Mitarbeiter stellen sich so neue Anforderungen. ERP-Systeme arbeiten nicht funktional. Sie

erfassen die Geschäftsprozesse über Abteilungs- und Arbeitsplatzgrenzen hinweg. Deshalb müssen

Arbeitnehmer heute nicht mehr nur die EDV bedienen können, sondern sollen darüber hinaus ihre

Arbeitsprozesse analysieren und optimieren, denn die Unternehmen erzielen Wettbewerbsvorteile

durch effiziente Prozesse, die Kosten verringern und Durchlaufzeiten verkürzen, und nicht mehr

durch den reinen EDV-Einsatz. Diese tragen letztlich zu einer maximalen Zielerreichung bei. Damit

einhergehend ist eine Anpassung der Berufausbildung zwingend notwendig. Die funktionsorientierte

Ausbildung ist nicht mehr zukunftsfähig, denn in ihren Curricula sind die betrieblichen Prozesse

über die verschiedenen kaufmännischen Unterrichtsfächer z. B. Wirtschaftslehre, Rechnungswesen,

Bürowirtschaft sowie Betriebspraxis/Datenverarbeitung hinweg verteilt. Eine moderne Ausbildung

muss prozessorientiert und damit fächerübergreifend gestaltet sein.

Diese Diskrepanz haben wir an unserer Schule schon früh erkannt. Deshalb entschied sich unser

Kollegium vor acht Jahren mit großer Mehrheit dafür, ein prozessorientiertes Curriculum für die drei-

jährige vollzeitschulische Berufsfachschule2 zu entwickeln.

Für die Umsetzung mussten weitreichende Veränderungen an der Organisation der Schule und der

Unterrichtsgestaltung vorgenommen werden.

1 Enterprise Ressource Planning bezeichnet eine komplexe Unternehmenssoftware, die den Einsatz der in einem Un-

ternehmen vorhandenen Ressourcen (Kapital, Betriebsmittel oder Personal) möglichst effizient für den betrieblichen

Ablauf plant und zu deren Realisierung beiträgt.

2 Das Oberstufenzentrum vermittelte im Rahmen der dreijährigen vollzeitschulischen Berufsfachschule die Ausbil-

dungsberufe Bürokaufmann/-frau und Kaufmann/-frau für Bürokommunikation. Heute ist aufgrund der Spezialisie-

rung noch der Ausbildungsgang Assistent für Unternehmenssoftware (ERP) hinzugekommen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

168168

Zunächst wurde für die Erarbeitung des prozessorientierten Curriculums eine Curriculumsgruppe

aus Mitgliedern des Kollegiums und der Schulleitung gebildet. Die Gruppe nahm die betrieblichen

Prozesse auf und beschrieb sie in Lernsituationen. Die für das Verständnis der jeweiligen Geschäfts-

prozesse notwendigen fachlichen Inhalte wurden den Lernsituationen zugeordnet.

Das gesamte Kollegium als ein Team

Im zweiten Schritt wurden sämtliche im vollzeitschulischen Bereich tätigen Lehrkräfte zu Teams

mit zwei oder drei Lehrkräften zusammengestellt. Jedes Team war in der Lage die kaufmännischen

Kernfächer zur Abbildung der Prozesse durch Fakultas oder durch die Unterrichtserfahrungen der

Kollegen abzudecken. Termine für wöchentliche Teamsitzungen wurden fest im Stundenplan einge-

plant. So bestand die Möglichkeit, Absprachen zu tätigen und neue prozessorientierte Materialien

zu erstellen.

Alle Teams eines Ausbildungsjahrganges trafen sich zusätzlich anfangs wöchentlich, später im Ab-

stand von 14 Tagen. Sie tauschten sich über ihre Unterrichtserfahrung aus, besprachen das weite-

re Vorgehen und gaben wichtige Hinweise für die Curriculumsgruppe. In allen Teams wurden dabei

auch stets Unterrichtsmaterialien zur Umsetzung des Unterrichtes entwickelt und in die dafür eigens

geschaffene digitale Bibliothek gelegt, auf die alle Lehrer des Hauses Zugriff haben. So wurde eine

effiziente Arbeitsweise kreiert, die genügend Freiraum für die konstruktive Entwicklung von Unter-

richt ließ. Diese Treffen waren für alle Kollegen Pflicht.

Innerhalb eines Bildungsganges trafen sich darüber hinaus alle Kollegen jedes halbe Jahr in der Bil-

dungsgangkonferenz.

Abb. 1: Teambildung an unserer Schule

169

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule

169

Prozessorientierung, Fächerintegration und Modellunternehmen

Eine vollzeitschulische Ausbildung hat nicht nur die Aufgabe, die theoretischen Inhalte der Aus-

bildung zu vermitteln, sondern sie muss auch den betrieblichen Teil der Ausbildung in der Schule

abdecken. Dazu müssen die betrieblichen Prozesse in der Schule praktisch umgesetzt, theoretisch

reflektiert, ergänzt und vertieft werden. Dies kann im Rahmen der Simulation eines Modellunterneh-

mens effektiv geschehen. Die Prozessorientierung und die Vermittlung im Rahmen eines Modellun-

ternehmens führte zu der dritten wesentlichen Veränderung an unserer Schule, der Zusammenfas-

sung von Unterrichtsfächern zu curricularen Bereichen.

Das Zentrum der beruflichen Ausbildung bilden heute die beiden Bereiche „Lernen im Modellunter-

nehmen (LiM)“ und „Lernen am Modellunternehmen (LaM)“. Grundlage für das Vorgehen in LiM und

LaM bilden die Lernsituationen (Handlungssituationen).

Die Einheit LiM hat die Aufgabe, die betrieblichen Prozesse in der Schule praktisch umzusetzen. Sie

findet im Lernbüro statt. Alle Schüler arbeiten in einem Modellunternehmen. Die dort ablaufenden

Prozesse werden parallel im Bereich LaM betrachtet. Der Bereich LaM vermittelt die für das Ver-

ständnis notwendigen theoretischen Inhalte, die wiederum für das weitere Arbeiten im Bereich LiM

benötigt werden. Beide Bereiche sind somit untrennbar miteinander verbunden. Unterrichtsinhalte

werden auf diese Weise besser veranschaulicht und können von den Schülern kognitiv optimal ver-

ankert werden.

Über LiM und LaM hinaus gibt es Inhalte, die mit ihnen über die Lernsituationen und die darin be-

schriebenen Prozesse verbunden sind.

Die bei einer fächerorientierten Ausbildung durch die Schüler vorzunehmenden Transferleistungen

zwischen den einzelnen Unterrichtsfächern müssen bei einer prozessorientierten Vermittlung nicht

mehr erfolgen. Dies erleichtert erheblich den Lernprozess und verbessert damit die Lernerfolge. Das

gesamte Konzept zeigt die Abbildung 2.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

170170

Lernen im

Modell-unternehmen

LS 1

LS 2

Lernen am

Modell-unternehmen

Wirtschaft und

Gesellschaft

Sprache und

Kommunika-tion

Sport und

Kurse WP

LS 3

LS 4 LS 4

LS 5

BP/DV

TV

WL (Teile)

ReWe

Bürowirtsch.

WiMathe

SOZ

WL

D EN

Lehrer

Abb. 2: Das curriculare Grundkonzept: Bereichsübergreifende Lernsituationen (LS) verbinden die

curricularen Bereiche miteinander. Diese sind zuvor aus den ursprünglichen Fächern gebil-

det worden.

Spiraligkeit und Kompetenzen

Ein weiteres Problem bei der Vermittlung von betrieblichen Prozessen ist deren Komplexität und

Vielfältigkeit. Didaktisch müssen die Prozesse im Unterricht umgesetzt werden, ohne sich bei jedem

Prozessteilschritt in der Fachsystematik zu verlieren. Dies würde den Prozess als Ganzes für den

Schüler nicht mehr sichtbar und damit unverständlich machen. Deshalb wurden die in den Lernsitu-

ationen beschriebenen Prozesse spiralig angeordnet, die Lernsituationen in Schichten unterteilt, die

nacheinander im Unterricht vermittelt werden. So entwickeln sich die Prozesse und werden im Laufe

der Ausbildungszeit komplettiert.3 Gleichzeitig wiederholen sie sich und werden unter verschiedenen

inhaltlichen Aspekten sowie auf einem jeweils höheren Niveau betrachtet. Grundsätzlich werden die

Lernsituationen also nicht als in sich geschlossene Themenbereiche beschrieben. Hier unterscheidet

sich unser Curriculum von einer Lernfeldkonzeption.

3 Ein Beispiel hierzu zeigen die Abbildungen 3 und 4.

171

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule

171

Lernsituation 5 (Schicht 1) Wir lernen die zentralen Absatz- und Beschaffungsprozesse unter Berücksichtigung von Skonti und Rabatten planen, durchführen und kontrollieren Arbeitsprozess

Warenbeschaffung erforderlich

Zahlungsausg. Re.-Eing. Wareneingang Bestellung Angebot Anfrage Bestellanf.

Zahlungseing. Re.-Ausg. Warenausg. Kommission. Auftragsbest. Auftrag

Abb. 3: Die Schicht 1 der Lernsituation 5. Sie wird zu Beginn der Lernsituation behandelt. Dabei wird

lediglich auf die Bearbeitung des Kundenauftrages ohne Bestellung eingegangen.

Lernsituation 5 (Schicht 2)

Warenbeschaffung erforderlich

Zahlungsausg. Re.-Eing. Wareneingang Bestellung Angebot Anfrage Bestellanf.

Zahlungseing. Re.-Ausg. Warenausg. Kommission. Auftragsbest. Auftrag

Lernsituation 5 (Schicht 3)

Warenbeschaffung erforderlich

Zahlungsausg. Re.-Eing. Wareneingang Bestellung Angebot Anfrage Bestellanf.

Zahlungseing. Re.-Ausg. Warenausg. Kommission. Auftragsbest. Auftrag

Abb. 4: In den Schichten 2 und 3 der Lernsituation 5 werden nur die dunkel hervorgehobenen

Prozessschritte des gesamten Prozesses behandelt. Auch nach der Lernsituation sind noch

nicht alle Schritte betrachtet worden. Dies geschieht in folgenden Lernsituationen zu späte-

ren Zeitpunkten.

Vorgehen in der Ausbildung – Einsatz eines ERP-Systems

Nicht nur die Prozessorientierung selbst spielt heute für eine moderne Ausbildung eine Rolle, son-

dern auch die Instrumente, mit deren Hilfe die Prozesse und ihre Verarbeitung vermittelt werden. Wir

entschieden uns, im ersten Ausbildungsjahr zunächst die Absatz- und Beschaffungsprozesse mit

einfachen Materialien und unter Einsatz von Standardsoftware zu vermitteln. Die Schüler arbeiten in

arbeitsgleichen Filialen des Modellunternehmens, der Simulation eines Großhandelsunternehmens.

Die Rolle der Lieferanten, Kunden und Banken (Außenbeziehungen) übernehmen die unterrichtenden

Lehrer. Sie steuern die zu bearbeitenden Prozesse und rufen kontrolliert Störungen hervor, die die

Auszubildenden meistern müssen. Hierfür verwenden sie eine eigens dafür entwickelte Datenbank

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

172172

unserer Schule (Lehrersteuerung). Am Ende einer Arbeitsrunde müssen die Schüler eine Kurzfristi-

ge Erfolgsrechnung erstellen, diese im Plenum vorstellen und strategische Vorgehensweisen für ihre

weitere Tätigkeit erarbeiten.

Zu Beginn des zweiten Ausbildungsjahres wird auf die Gestaltung und Optimierung der Prozesse

und deren unternehmerische Bedeutung eingegangen. Mit Hilfe der GPM/GPO4-Software ARIS wer-

den Systembrüche, Doppelfunktionen und Anwenderbrüche festgestellt und Prozessoptimierungen

diskutiert.

Außerdem arbeiten die Schüler mit einem ERP-System. Die ERP-Prozesse der Funktionsbereiche

Beschaffung und Vertrieb, die zunächst vermittelt werden, werden mit den zuvor kennen gelern-

ten Prozessen des ersten Ausbildungsjahres verglichen. So werden Rationalisierungspotenziale der

ERP-Systeme aufgedeckt und die Entwicklung zukünftiger Bürotätigkeiten aufgezeigt. Im Laufe des

zweiten Jahres kommen die Personalprozesse hinzu. Das Modellunternehmen wird abteilungsge-

gliedert strukturiert. In allen Bereichen des Modellunternehmens wird jetzt mit einem ERP-System

gearbeitet.

Im dritten Ausbildungsjahr werden die Produktionsprozesse abgebildet und integriert. Das Modell-

unternehmen erhält einen zentralen Einkauf und wird in ein Goßhandels- und Industrieunternehmen

verwandelt. Auch diese Prozesse werden mit dem ERP-System bearbeitet.

Durch den spiraligen Aufbau des Modellunternehmens über die Ausbildungsjahre hinweg, werden

mit zeitlichen Abständen die Schüler immer wieder zur Analyse und Optimierung von Prozessen

angehalten. Sie werden für die Bedeutung dieser im betrieblichen Bereich sensibilisiert und lernen,

Prozesse und deren Schwachstellen zu erkennen und Optimierungsvorschläge zu erarbeiten. Diese

Fähigkeiten zählen heute zu den wesentlichen Kompetenzen, die eine berufliche Ausbildung hervor-

bringen sollte.

Bei der Wahl eines ERP-Systems wählten wir das ERP-System SAP® ERP der SAP® AG aus. Es bietet

gegenüber anderen den großen Vorteil, dass die mit ihm bearbeiteten Prozesse für den Anwender

vollständig sichtbar und damit nachvollziehbar bleiben. Außerdem handelt es sich um ein prozess-

und betriebswirtschaftlich orientiertes System, das nicht aus der Buchhaltung heraus entwickelt

worden ist. Dadurch ist es möglich, die kaufmännischen Inhalte unter Einsatz des ERP-Systems zu

vermitteln. Ziel ist es nicht, den Schülern die Handhabung des ERP-Systems zu lehren. Sie sollen

vielmehr die Verarbeitung der kaufmännischen Inhalte anhand eines solchen Systems kennen ler-

nen. Das ERP-System wird damit zu einem Unterrichtsinstrument, wie auch Arbeitsblätter eines sind.

4 Unter einer GPM/GPO-Software werden Programme verstanden, die betriebliche Prozesse digital abbilden und ana-

lysieren. Sie finden in der Praxis heute vor allem in Großunternehmen vermehrt Einsatz.

173

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule

173

ERP-Systeme Pro und Contra für den unterrichtlichen Einsatz

im Rahmen einer Berufsausbildung

ERP-Systeme werden für real existierende Unternehmen entwickelt. Sie bilden die wirklichen Pro-

zesse von Unternehmen ab, werden stetig weiter entwickelt und sind in Bezug auf die Praxis immer

auf einem aktuellen Stand. Durch den Einsatz im Unterricht wird damit die Aktualität und Relevanz

der vermittelten Inhalte für Unternehmen gewährleistet. Die Qualität der Ausbildung bleibt gleichblei-

bend hoch.

Um mit einem ERP-System arbeiten zu können, muss der Schüler ein Grundverständnis für die Struk-

tur eines solchen Systems entwickeln. Er muss z. B. erkennen, dass Stammdaten5 die Basis jeglicher

kaufmännischer Tätigkeit bilden. Diese wurden früher an verschiedenen Stellen wie z. B. Karteien,

Listen u. ä. erfasst. In einem ERP-System liegen sie zusammen gefasst an einem zentralen Ort, auf

den von jedem beliebigen Bereich innerhalb des Systems zugegriffen werden kann. Es kommt so zur

Vermeidung von Redundanzen und den daraus resultierenden Fehl- und Mehrfacherfassungen bei

Stammdaten.

Mit einem ERP-System können die Zusammenhänge von Organisations-, Stamm-, und Bewegungs-

daten und die Integration verschiedener Unternehmensbereiche für Schüler abgebildet werden.

So werden beim Anlegen eines Kundenauftrages automatisch auf die Materialstammdaten für den

vom Kunden bestellten Artikel und auf die Kundenstammdaten zugegriffen. Sie müssen nicht mehr

separat erfasst werden. Parallel wird der Kundenauftrag durch die organisatorische Zuordnung des

Kunden und des Materials in ihren Stammdaten automatisch dem entsprechenden Unternehmens-

bereich z. B. einem Tochterunternehmen zugeordnet. Damit wird die Steuerung und Analyse aller

unternehmerischen Bereiche entsprechend des realen Unternehmensaufbaus innerhalb kürzester

Zeiten möglich. Wird z. B. der Terminauftrag durch innerbetrieblichen Transport, Kommissionierung,

Warenausgang, Rechnungsausgang und Zahlungseingang bearbeitet, so kann die Integration der

betrieblichen Bereiche eines Unternehmens aufgezeigt werden. So ruft der Warenausgang nicht nur

eine Dokumentation im Logistik-Bereich des Lagers hervor, sondern es wird gleichzeitig vom System

automatisch eine Buchung sowohl im Bereich der Finanzbuchhaltung als auch im Bereich des Con-

trollings vorgenommen. Diese und andere betriebliche Integrationen können den Schülern mit den

herkömmlichen Unterrichtsmitteln und einem fachspezifischen Vorgehen nicht vermittelt werden.

Noch deutlicher werden die integrativen Geschäftsprozesse im Bereich Produktion. Wird z. B. ein

Kundenauftrag im Bereich Vertrieb angelegt, der sich auf ein Fertigerzeugnis bezieht, so wird auto-

matisch ein Bedarf erzeugt. Für den Fall, dass der aktuelle Lagerbestand des Artikels nicht ausreicht,

5 Stammdaten sind alle Daten, die ein Unternehmen zur Bearbeitung von betrieblichen Prozessen benötigt, die sich im

Zeitablauf nicht oder nur sehr langfristig ändern. Zu ihnen gehören z. B. Kunden- und Lieferantendaten wie Adresse

und Ansprechpartner, Artikeldaten wie Bezeichnung, Größe oder Lagerbedingungen sowie Personaldaten wie Mitar-

beiteradresse, Daten zu Ehepartner und Kinderanzahl.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

174174

um diesen zu bedienen, kann ein Fertigungsauftrag im Bereich Produktion angelegt werden.6 Zu die-

sem Auftrag kann jetzt geprüft werden, ob alle Materialien, die für die Herstellung benötigt werden,

vorhanden sind. Dazu greift das System auf das Stammdatum der Stückliste7 zurück. Die Stückliste

des Fertigerzeugnisses wurde automatisch beim Anlegen des Fertigungsauftrages diesem zuge-

ordnet. Nach Anstoß der Materialverfügbarkeit zeigt eine Fehlteileliste dem Mitarbeiter daraufhin

alle Materialien, die zu beschaffen sind. Nun kann der Bereich Einkauf diese bestellen. Vom Ferti-

gungsauftrag aus wird aber auch überprüft, ob alle notwendigen Kapazitäten für die Herstellung

vorhanden sind. Entnommen werden die Informationen dazu den Stammdaten „Arbeitsplan“ und

„Arbeitsplatz“. Es werden die Kapazitäten von Personal und Maschinen für die einzelnen Produk-

tionsvorgänge ermittelt und mit den für den Fertigungsauftrag notwendigen verglichen. So müssen

eventuell Entscheidungen zum Personaleinsatz für diese Produktion getroffen werden oder zum

Maschinenbestand. Und zu guter Letzt prüft das System auch, ob die Kosten, die durch den Ferti-

gungsauftrag verursacht werden, ermittelt werden können. Die Stammdaten hierfür liegen im Rech-

nungswesen Bereich Controlling. Sie haben einen Einfluss auf die Ermittlung des Ergebnisses des

Fertigungsauftrages und damit auf die Kalkulation des Verkaufspreises für den zugrunde liegenden

Kundenauftrag. Ein Fertigungsauftrag ist somit immer integrativ mit den wesentlichen Funktionsbe-

reichen eines Unternehmens verbunden und hat deshalb weit reichende Auswirkungen auf betrieb-

liche Entscheidungen.

Schüler können also mit Hilfe von ERP-Systemen nicht nur die Handhabung dieser erlernen. An-

hand der Abbildung von realen Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozessen können u. a. die

Bedeutung von Aufbau- und Ablauforganisation, die Zusammenhänge betrieblicher Bereiche, die

Steuerung der betrieblichen Prozesse und deren Auswirkungen auf betriebliche Bereiche und das

Betriebsergebnis vermittelt werden. Somit zeigen ERP-Systeme die wesentlichen kaufmännischen

Inhalte einer Ausbildung so auf, dass sie von den Schülern besser verstanden und somit besser er-

lernt werden können.

Ein großer Nachteil des Einsatzes von ERP-Systemen in der beruflichen Ausbildung ist deren Kom-

plexität. Hierdurch muss einerseits viel Unterrichtszeit für die Vermittlung investiert werden, ande-

rerseits müssen auch die Pädagogen sowohl didaktisch als auch inhaltlich an solchen Systemen

geschult werden. Weiterhin müssen passende Unterrichtsmaterialien entwickelt werden. Dies ist mit

Kosten und einem hohen Zeitaufwand für die Schule verbunden. Wir haben in den letzten Jahren 70

unserer Kollegen in Schulungen über mehrere Wochen hinweg am System ausgebildet, sodass es

uns gelungen ist, in alle vollzeitschulischen Bildungsgängen Schüler am System ausbilden zu kön-

nen.

6 Das Vorgehen mit einer automatischen Disposition soll hier nicht näher erläutert werden.

7 Bei einer Stückliste handelt es sich um eine Liste aller Materialien mit den dazugehörenden Mengen, die zur Herstel-

lung des Artikels notwendig sind. Eine Stückliste bezieht sich dabei immer auf eine bestimmte Herstellungsmenge

z. B. 1 Stück.

175

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule

175

Ein weiterer Faktor ist die Ausstattung der Schule mit genügend Rechnerkapazitäten und die An-

schaffung des ERP-Systems, die unter Verzicht auf andere Unterrichtsmittel aus dem Schulhaushalt

finanziert werden müssen.

Grundsätzlich muss sich eine Schule hierzu vor Beginn der Arbeit mit einem ERP-System Gedanken

machen und Entscheidungen zur Umsetzung treffen.

Die Lernplattform erp4school

Für die Vermittlung kaufmännischer Inhalte mit einem ERP-System ist es notwendig, neue didakti-

sche Modelle und dazugehörige Unterrichtsmaterialien zu kreieren. Wir haben für unseren eigenen

Unterricht die Lernplattform erp4school entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine Ansammlung von

Szenarien, die betriebliche Situationen aufgreifen und so beschreiben, dass ein Problem und dessen

Lösung unter Einsatz des ERP-Systems erarbeitet wird. Die Szenarien werden über das Internet bzw.

Intranet für den Unterricht bereitgestellt.

Inhaltlich orientiert sich die Plattform nicht an der Vermittlung des Umgangs mit dem ERP-System.

Die Schüler sollen die kaufmännischen Inhalte unter Einsatz der Software erlernen. Die Lernplattform

enthält Lernsituationen, die betriebliche Situationen eines Modellunternehmens beschreiben, dazu-

gehörige Steueraufgaben, die die Auszubildenden zur Lösung des Problems führen. So bewegen sie

sich dabei nicht ausschließlich im ausführenden Bereich, sondern sie analysieren betriebliche Zu-

stände wie Beschaffungs- und Absatzsituationen eines Modellunternehmens, führen dazugehörige

Planungen durch, setzen diese praktisch um und analysieren anschließend die Ergebnisse. Aufgrund

dieser treffen sie strategische Entscheidungen bezüglich der weiteren Vorgehensweise im Modell-

unternehmen. Damit bewegen sich die Auszubildenden in den Ebenen des operativen Managements

bis hin zum strategischen Management. Diese Ebenen sind bei der herkömmlichen Arbeitsweise der

Vermittlung von EDV im Unterricht bisher nicht erreicht worden. Die Lernplattform verfolgt also einen

systemisch ganzheitlichen Ansatz, der den Schülern den Sinn und die Folgen ihrer Tätigkeiten aufzei-

gen soll. Fehler sind dabei grundsätzlich erwünscht. Hier unterscheidet sich unser Vorgehen von dem

der Ausbildungsbetriebe, die stets Fehlervermeidung von den Schülern verlangen.

Die Szenarien unterteilen sich in Erkundungs- und Eingabeszenarien, die nach einzelnen betriebli-

chen Bereichen z. B. Einkauf, Verkauf, Produktion gegliedert sind. Die Prozesse werden anhand der

Events (Belege und Arbeitsschritte) des SAP-Systems abgebildet. Ziel der Erkundung, mit der im Un-

terricht begonnen wird, ist neben der Vermittlung kaufmännischer Grundlagen und deren Abbildung

im System das Kennenlernen des ERP-Systems. Bei der anschließenden Eingabe erlernen die Schü-

ler vor allem die kaufmännischen Konsequenzen ihres Handelns. Am Ende der Szenarien werden die

zuvor getrennten Bereiche wieder zusammen geführt und die Prozesse z. B. Einkauf – Produktion

– Verkauf - Controlling miteinander verbunden. Dadurch können die Schüler die Integration von Ge-

schäftsprozessen kennen lernen und Schlüsse zur Gestalt ihrer zukünftigen Arbeit ziehen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

176176

Das Projekt erp4school

Standardmäßig stellt die SAP AG für Schulungszwecke den IDES-Mandanten8 zur Verfügung. Dieser

ist sehr komplex und mit einer großen Datenmasse angefüllt. Damit ist er für Schulen nicht einsetzbar,

sondern genügt lediglich für Unternehmen oder für Universitäten und Fachhochschulen. Deshalb ha-

ben wir zur Plattform erp4school mit Unterstützung durch das SAP® University Alliances Programm

einen eigenen Standardmandanten entwickelt. Er enthält im Gegensatz zum IDES-Mandanten kei-

nerlei Daten und ist auf die für Schulen notwendigen Einstellungsmöglichkeiten beschränkt worden.

So können die Daten einer Klasse ausgewertet werden, ohne dass sie durch Daten anderer beein-

flusst werden. Außerdem kann der Mandant mit allen Customizingeinstellungen kopiert werden. Bei

einem Release-Wechsel der Software bleiben alle eingepflegten Daten erhalten. Dadurch wird sein

Pflegeaufwand auf ein für Schulen handhabbares Maß minimiert.

Diesen Mandanten inklusive der Lernplattform stellen wir bundesweit auch anderen Schulen zur Ver-

fügung. Sie erhalten dazu einen inhaltlichen Support durch unsere Schülerfirma supERP.

Entwicklungen und Aussichten

Das Arbeiten in Kollegenteams hat sich über alle Jahre hinweg bewährt und existiert auch heute noch

in seiner ursprünglichen Form. Die curriculare Arbeitsgruppe wurde nach der Fertigstellung des Cur-

riculums aufgelöst. Die Weiterentwicklung des Curriculums wurde an die Jahrgangsleiter übergeben.

Die Kollegen eines Jahrganges eines Bildungszweiges treffen sich heute noch in einem 4-wöchigem

Rhythmus. Hinzugekommen sind jahrgangsübergreifende Arbeitsgruppen, die die Weiterentwick-

lung der Lernsituationen vorantreiben. Sie treffen sich ebenfalls in einem 4-wöchigen Rhythmus. Je-

der Kollege aus den Jahrgängen und Bildungszweigen wurde einer jahrgangsübergreifenden Gruppe

zugeordnet. Ziel dieser Veränderung war die Vermeidung des Auseinanderdriftens der Jahrgänge.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppen geben die erarbeiteten Konzeptionen in den Treffen der Jahrgän-

ge an die Kollegen weiter. So wird die einheitliche Umsetzung des Curriculums über die Jahrgänge

hinweg gesichert. Ebenfalls erhalten geblieben sind die halbjährlichen Treffen zu einer Bildungsgang-

konferenz. Die heutige Struktur wird in der Abbildung 5 dargestellt.

8 Ein IDES-Mandant ist ein Mandant, der die Modellfirma „International Demonstration and Education System“ abbil-

det. Dabei handelt es sich um die Simulation eines Konzernunternehmens mit mehreren Tochterunternehmen. Die

SAP AG pflegt das Modellunternehmen, um einerseits beim Kunden die Funktionalitäten des Systems zeigen zu kön-

nen und andererseits Personen z. B. Mitarbeiter v. Kundenunternehmen, Studenten am System schulen zu können,

ohne im Echtsystem arbeiten zu müssen.

177

Prozessorientierung und ERP-Einsatz in der kaufmännischen Berufsfachschule

177

Abb. 5: Teambildung 2009

Obwohl die Curriculumsgruppe aufgelöst worden ist, muss das Curriculum noch in eine kompetenz-

orientierte Form gebracht werden. Bisher ist dies nur teilweise geschehen. Ohne Kompetenzen ist es

für den Einsatz im Unterricht nicht klar genug und nicht evaluierbar. Häufig wissen Kollegen nicht, wie

tief ein bestimmter Unterrichtsstoff behandelt werden soll. Hier wird in den folgenden Jahren noch

viel Arbeit auf uns zukommen.

Für die Findung von Kompetenzen greifen wir auf die Darlegungen von Prof. T. Tramm zurück.9 An-

statt im Curriculum inhaltliche Festlegungen durch Lernziele im Sinne von „die Schüler sollen kön-

nen“, stellen wir die Frage „Warum sollen die Schüler eine bestimmte Fähigkeit erlernen, Tätigkeiten

ausführen oder Inhalte darlegen können? Wofür benötigen die Schüler diese Kenntnisse?“ Damit

gelangen wir zu einer anderen Beschreibung der Unterrichtsziele und müssen das Vorgehen im Un-

terricht ändern. Um eine stetige Kompetenzsteigerung zu erreichen sowie kontrolliert und dauerhaft

im Unterricht zu verfolgen, werden die Kompetenzen Kompetenzdimensionen zugeordnet. Die Di-

mensionen beschreiben nach Ablauf der drei Ausbildungsjahre den zu erreichenden Bildungsstand

des Auszubildenden.

Damit wir diesen angestrebten Bildungsstand zum Ende der Ausbildung konstant auf einem dauer-

haft hohen Niveau erhalten können, führen wir nach wie vor Schulungen für unsere Kollegen durch.

Besonders für neue Kollegen ist unsere Vorgehensweise eine Umstellung. Nicht nur das fächerüber-

greifende Vorgehen ist häufig ungewohnt, sondern auch der Unterricht mit einem ERP-System. Die-

ser stellt aufgrund seiner Komplexität für viele Lehrer eine Herausforderung dar. Das Aufzeigen der

9 Die Umsetzung eines kompetenzorientierten Curriculums ist derzeit in Arbeit. Wir werden dabei vom Institut für Be-

rufs- und Wirtschaftspädagogik in Hamburg (Professor T. Tramm) unterstützt.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

178178

integrativen Geschäftsprozesse in Verbindung mit den kaufmännischen Inhalten erfordert nicht nur

Kenntnisse in mehreren Unterrichtsfächern, sondern auch Kenntnisse im Umgang mit der EDV. Die-

se Qualifikationen bringen heute nur wenige Kollegen in die Schule mit. Es ist daher für die Hinwen-

dung zu einer prozessorientierten Lehre notwendig, bereits an den Hochschulen und Universitäten

die Kollegen daraufhin auszubilden. Auch ist zu überlegen, ob die strikte funktionale Orientierung im

Studium für zukünftige Berufsschullehrer weiterhin sinnvoll ist. Eine weitere Möglichkeit für eine Vor-

bildung wäre die Integration der prozessorientierten und fächerübergreifenden Unterrichtsmethodik

und die Didaktik der ERP-Systeme in die Referendarsausbildung. Aber auch dafür muss die Referen-

darsausbildung vollständig auf den Prüfstand gestellt werden. In ihrer heutigen Form führt sie nicht

mehr zu Kollegen, die von Anfang an vollständig in der gewünschten Form eingesetzt werden kön-

nen. Derzeit müssen wir alle neuen Kollegen zu Beginn ihrer Arbeit schulen.

Beide Bereiche der Lehrerausbildung, Studium und Referendariat, müssen also vor dem Hintergrund

der dauerhaften Integration von Prozessen und dem Einsatz von ERP-Systemen in der Lehre neu

überdacht werden.

Insgesamt betrachtet, haben wir in unserer Schule bis heute schon viel bewegt und verändert, doch

wir haben immer noch nicht alles umsetzen können, was wir umsetzen wollen. Es bleibt noch eine

Menge zu tun.

Autor

Dörrer, Eike; StR; komm. Leiterin des Fachbereiches ERP; Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen; Abteilung I; Mandelstraße 6-8; D-10409 Berlin; Mail: [email protected]

179

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

179

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

Bernd Strahler

Als Mitte der 1990er Jahre die IT-Berufe eingerichtet wurden, die von Vielen noch heute als die „neu-

en“ IT-Berufe bezeichnet werden, wurde der curriculare Ansatz einer lernfeldorientierten Didaktik

gerade erst von der Kultusministerkonferenz (KMK) als Leitlinie verabschiedet. Die Berufsbilder der

IT-Berufe, also der IT-Systemelektronikerin/des IT-Systemelektronikers, der Fachinformatikerin/des

Fachinformatikers, der Informatikkauffrau/des Informatikkaufmanns und der IT-Systemkauffrau/des

IT-Systemkaufmanns, haben in den berufsbildenden Schulen zu völlig neuen Formen der Zusam-

menarbeit zwischen ehemals „gewerblichen“ und „kaufmännischen“ Lehrkräften geführt. Vielerorts

wurden die Berufe IT-Systemelektroniker und Fachinformatiker von gewerblich orientierten Schulen

zugeordnet, während an den kaufmännischen Schulen die „kaufmännischen“ IT-Berufe beschult

werden. Die Zusammenarbeit dieser berufsbildenden Schultypen gestaltete sich nicht immer ein-

fach, sind unterschiedliche, historisch-didaktische Grundlinien erkennbar. Als Beispiel kann die Dis-

kussion um die didaktische Gewichtung der Begriffe „Arbeitsprozess“ oder „Geschäftsprozess“ be-

trachtet werden (nach Tramm 2003 oder Rebmann/Schlömer 2009).

Die Multi-Media Berufsbildenden Schulen in Hannover

In Niedersachsen wurde im Jahr 2001 aus drei anderen Schulen eine neue Schule geschaffen, die die

Zusammenarbeit der gewerblichen und der kaufmännischen Lehrkräfte zum integralen Bestandteil

der curricularen Arbeit hatte und organisatorisch unter einem Dach alle IT-Berufe, Medienberufe und

einschlägiger Vollzeitschulen in der Region Hannover vereint hat. Diese Multi-Media Berufsbildende

Schulen (MMBBS) in Hannover haben aufgrund ihrer Größe und inhaltlichen Ausrichtung wie kaum

andere berufsbildenden Schulen die Chance und Aufgabe, neue Wege in der curricularen Umsetzung

der IT-Berufe zu gehen. Die Teilnahme am landesweiten Schulversuch „ProReKo“, in dem ein neues

Steuerungsmodell und die Etablierung eines Globalbudgets für die Schule umgesetzt worden ist, hat

diese Arbeit befördert und entscheidende Rahmenbedingungen gesetzt.

Die Rahmenlehrpläne der KMK sind über alle IT-Berufe nach der Bezeichnung identisch, unterschei-

den sich aber dennoch stark in der Gewichtung nach Unterrichtsstunden und in der inhaltlichen Aus-

richtung. Aus diesem Grund werden an der MMBBS überwiegend „sortenreine“ Klassen der jeweili-

gen IT-Berufe geführt.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

180180

Schulische Lernfelder

Für den Beruf IT-Systemkauffrau/-mann stellt sich die Verteilung der Lernfelder nach dem Rahmen-

lehrplan der KMK und den gültigen Stundentafeln des Landes Niedersachsen wie folgt dar:

Berufsbezogener BereichLern-

felderBezeichnung 1. AJ 2. AJ 3. AJ

Stun-

den

1 Der Betrieb und sein Umfeld 20 20

2 Geschäftsprozesse und betriebliche Organisation 80 80

3 Informationsquellen und Arbeitsmethoden 40 40

4 Einfache IT-Systeme 80 80

5 Fachliches Englisch 20 20 20 60

6 Entwickeln und Bereitstellen von Anwendungssystemen 80 80 80 240

7 Vernetzte lT-Systeme 60 40 100

8 Markt und Kundenorientierung 40 60 100

9 Öffentliche Netze, Dienste 40 40

10 Betreuung von lT-Systemen 40 40

11 Rechnungswesen und Controlling 40 40 80

Berufsspezifischer Unterricht 320 280 280 880

Deutsch 40 40 40 120

Politik 60 60 60 180

Kurssystem 100 80 80 260

200 180 180 560

1440

Tab. 1:

Die Lehrkräfte an der MMBBS haben gemeinsame Arbeitspläne erstellt, die die Beschulung der IT-

Berufe in einem Blocksystem umsetzen.

Didaktische Arbeitspläne für die IT-Berufe an der MMBBS

In jedem Ausbildungsjahr werden drei Module erarbeitet mit zunehmender Komplexität, ansteigen-

den Kompetenzanforderungen und wachsendem Kompetenzstand. Hier sei exemplarisch die Modul-

übersicht für den Beruf IT-Systemkauffrau/-mann dargestellt.

181

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

181

Aus

bildungs

jahr

Mo-

dulBezeichnung

Angesprochene

Lernfelder

1

1 In Ausbildung und Beruf orientieren1,2,4,

5 (integrativ)

2Geschäftsprozess: Ein Standard-IT-System im Kundenauf-

trag zusammenstellen und konfigurieren

1,2,

3 (integrativ)

4,

5 (integrativ),

6

3Geschäftsprozess: Die Fremdbeschaffung von Standard-IT-

Systemen planen, durchführen und kontrollieren

1,2,

3 (integrativ)

4,

5 (integrativ),

6

2

4

Geschäftsprozess: Werteströme und Werte erfassen und

dokumentieren: Anwendung einer praxisgerechten ERP-

Software

5 (integrativ),

6, 8

5 Geschäftsprozess: Kundengerecht IT-Systeme planen5 (integrativ),

6, 7, 8, 9

6

Geschäftsprozess:

Kundengerechte Erstellung und Übergabe von

IT-Systemen

5 (integrativ),

6, 7, 8, 9

3

7Geschäftsprozess: Entwicklung von Anwendungssystemen

planen, durchführen und übergeben

5 (integrativ),

6, 7, 10,11

8 Geschäftsprozess: Vermarktung von IT-Systemen managen5 (integrativ),

6, 8, 10,11

9Abschlussprojekt: E-Business-System im Kundenauftrag

planen, entwickeln und kontrollieren

5 (integrativ),

6, 7, 8, 10,11Tab. 2:

Bei der Gestaltung der Arbeitspläne ist eine Geschäftsprozessorientierung als didaktisches Pla-

nungsprinzip angestrebt worden. Die Lernfelder nach KMK werden dabei von übergreifenden Mo-

dulthemen organisatorisch und inhaltlich zusammengefasst.

Verbindung von Lernfeldern über Geschäftsprozesse

Geschäftsprozess 1

LF 10 LF 1 LF 2 LF 3 LF 4 … … LF 9 LF 11

Geschäftsprozess 2

Abb. 1: Lernfeldübergreifende Geschäftsprozesse

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

182182

Beispielsweise kann der „Geschäftsprozess: Die Fremdbeschaffung von Standard-IT-Systemen pla-

nen, durchführen und kontrollieren“ im Modul 3 folgende Lernfelder berühren:

Lernfeld Bezeichnung

1 Der Betrieb und sein Umfeld

2 Geschäftsprozesse und betriebliche Organisation

3 Informationsquellen und Arbeitsmethoden (integrativ erarbeitet)

4 Einfache IT-Systeme

5 Fachliches Englisch (integrativ erarbeitet)

6 Entwickeln und Bereitstellen von AnwendungssystemenTab. 3:

Jedes so an der Multi-Media BBS entworfene Modul umfasst ca. vier Unterrichtswochen oder ca.

100 Stunden berufsspezifischen Unterricht.

Als eine wichtige Konsequenz dieses modularen Aufbaues werden die lernfeldspezifischen Inhalte

von Lehrkräften abgeprüft, die in dem entsprechenden Lernfeld eingesetzt sind. Zusätzlich werden

ganzheitliche, am jeweiligen Geschäftsprozess ausgerichtete Prüfungsformen gemeinsam von den

Lehrkräften entwickelt. Damit soll einerseits das Zusammenhangswissen geprüft werden, und die

schulischen Prüfungsformen sollen sich in ihrer Struktur auch an Teilen der IHK Abschlussprüfung

(„Ganzheitliche Aufgabe 1“) orientieren, die zum Ende der Berufsausbildung zu absolvieren ist.

Konsequenz:

Ergänzung lernfeldspezifischer Prüfungsinhalte mit

lernfeldübergreifenden Prüfungsformen!

PP P P P P P P P

P!Geschäftsprozess 1

… …LF 1 LF 2 LF 3 LF 4 LF 9 LF 10 LF 11

P!Geschäftsprozess 2

Abb. 2: Lernfeldübergreifende Prüfungsformen

Dabei ist von Anfang an ein 2-Wochen-Blocksystem von den Betrieben favorisiert worden, Anfang

des Jahres 2009 ist eine Umfrage der Schule, die eine Umstellung auf das 4-Wochen-Blocksystem

183

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

183

zum Hintergrund hatte, zwar auf hohe Zustimmung getroffen. Signifikant viele IT-Unternehmen be-

vorzugten jedoch kürzere Blöcke, einige wenige, meist kleinere Unternehmen sogar die Tagesbe-

schulung. Als kleinster gemeinsamer Nenner wurde deshalb die 2-Wochen-Blockbeschulung bei-

behalten.

Das Kurssystem an der MMBBS

Die 2-Wochen-Blöcke werden ergänzt durch einen „Kurstag“ pro Woche, an dem klassen-, jahr-

gangs- und bildungsgangübergreifend Kursangebote für Deutsch und Politik, und leistungsdifferen-

ziert für Englisch vorgehalten werden. Außerdem werden so genannte Wahlpflichtkurse angeboten

zu aktuellen Themen der IT-Welt, Beispiele unserer Wahlpflichtkurse sind: Java: Vom Applet zur Java

Server Page; Digitale Bildbearbeitung und Layout-Gestaltung; Netzwerksicherheit.

Ergänzend finden sich am Nachmittag, teilweise auch am Abend, Kursangebote mit zertifizierbaren

Zusatzqualifikationen wie CISCO (CCNA Kursniveau 1 – 4) oder das Zusatzangebot zur Erlangung

der Fachhochschulreife.

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag

Unterricht im

Klassenverband

nach Lernfeldern

Unterricht im

Klassenverband

nach Lernfeldern

Unterricht im

Klassenverband

nach Lernfeldern

Kurstag Deutsch,

Politik, Englisch

(A,B,C Niveau)

Unterricht im

Klassenverband

nach Lernfeldern

Zusatzqualifi-

ka-tionen (z.B.

Cisco)

(Zusatzangebot

Fachhochschul-

reife)

(Zusatzangebot

Fachhochschul-

reife)

Wahlpflicht-be-

reich IT

Tab. 4:

Ergänzend finden sich am Nachmittag, teilweise auch am Abend, Kursangebote mit zertifizierbaren

Zusatzqualifikationen wie CISCO (CCNA Kursniveau 1 – 4) oder dem Zusatzangebot zur Erlangung

der Fachhochschulreife.

Religion (ab Schuljahr 2007/08) und Sport (ab Sj 2009/10) und werden ebenfalls angeboten als jahr-

gangs- und klassenübergreifende Kompaktkurse einmal bzw. zweimal während der gesamten Aus-

bildungsdauer 20 bzw. 40 Unterrichtsstunden.

Diese Darstellung der curricularen und schulorganisatorischen Umsetzung ist m.E. notwendig, um

die konkrete Ausgestaltung der Arbeit mit ERP-Systemen an der MMBBS erkennbarer zu machen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

184184

ERP – Systeme als Gegenstand der IT-Ausbildung

Ein ERP-System kann auch in den IT-Berufen zum Gegenstand der unterrichtlichen Arbeit werden.

Klassisch wird dabei nur über die „kaufmännisch“ orientierten Lernfelder die Arbeit an einem ERP-

System abgebildet. Aufgrund der sehr geringen Stundenzahlen, die derartige Lernfelder haben in den

IT-Berufen, z.B. LF 11 „Rechungswesen und Controlling“ mit 80 Stunden bei IT-Systemkaufleuten

und nur 40 Wochenstunden bei den Fachinformatikern, Fachrichtung Anwendungsentwicklung, ist

ein Unterricht kontraproduktiv, der zunächst die Finanzbuchhaltung und sich traditionell an der so

genannten Bilanzmethode ausrichtet.

Stattdessen ist zu prüfen, in welchen Modulen ein ERP-Einsatz möglich und sinnvoll erscheint.

Zwingend notwendig dafür ist das Vorhandensein eines Modellunternehmens, das die wesentlichen

Rahmendaten (Finanzmittel, Mitarbeiterzahl, Sortiment bzw. Herstellungsprogramm oder Dienstleis-

tungsportfolio) realitätsnah und dennoch komplexitätsreduziert abbildet.

In den Unterrichtsmodulen der MMBBS ist in folgender Weise der Einsatz eines ERP-Systems mög-

lich:

AJMo-

dulBezeichnung ERP Einsatz möglich z.B. als

1 1 In Ausbildung und Beruf orien-

tieren

Erkundung des Modellunternehmens vornehmen,

wichtige Rahmendaten eines IT-(Modell-)Unterneh-

mens erkunden

2 Geschäftsprozess: Ein Stan-

dard-IT-System im Kunden-

auftrag zusammenstellen und

konfigurieren

Nach gemeinsam erarbeiteter Vorgabe die Bauteile

eines Computers aus der aktuellen Angebotslis-

te eines ausgewählten Komponenten-Lieferanten

zusamenstellen und qualitativ bewerten

3 Geschäftsprozess: Die Fremd-

beschaffung von Standard-IT-

Systemen planen, durchführen

und kontrollieren

Die Konfiguration eines netzwerkfähigen IT-Sys-

tems auf der Basis einer Kundenanforderung

erarbeiten, einen qualitativen und quantitativen

Angebotsvergleich mithilfe des ERP-Systems

durchführen, dabei rechtliche Grundlagen beschrei-

ben und Rechtsgeschäfte identifizieren

2 4 Werteströme und Werte erfas-

sen und dokumentieren: An-

wendung einer praxisgerechten

ERP-Software

Explizit:

Beschaffung mit Hilfe einer ERP-Software planen

und durchführen

- Angebot und Angebotsvergleich

- Bestellung

- Lagerhaltung

5 Geschäftsprozess: Kundenge-

rechte Planung von IT-Syste-

men

Marktforschung und Verkaufsförderung unter Ein-

satz enes ERP-Systems

- Marktbeobachung vornehmen und

Marktforschung kennen

- Kunden- und Konkurrenzanalyse vornehmen

- Käuferverhalten beschreiben

185

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

185

6 Geschäftsprozess:

Kundengerechte Erstellung und

Übergabe von IT-Systemen

Verträge und Mahnverfahren

- Vertragsarten

- Verkauf und Lieferung

- Störungen des Kauf- und

Werkvertrages erkennen und bearbeiten

- Mahnverfahren durchführen

3 7 Entwicklung von Anwendungs-

systemen

ERP-System als Informatiksystem, z.B. Datenbank-

struktur in Auszügen betrachten, Customizing ex-

emplarisch vornehmen

8 Vermarktung von IT-Systemen

managen

Komponenten einer Absatzpolitik erarbeiten

- Kundenberatung nach Fällen vornehmen, auch

telefonisch

- Preis- und Produktpolitik erabeiten

- Servicepolitik beschreiben

- Werbung, Verkaufsförderungs-maßnahmen und

Public Relations durchführen

Absatzprozesse durchführen und kontrollieren

- Distributionspolitik beschreiben

- Fakturierungsprozess vornehmen

- Finanzierungsformen beschreiben

- Serviceleistungen definieren

Wertschöpfungsprozesse analysieren und beur-

teilen

- Kostenträgerrechnung vornehmen

- Deckungsbeitragsrechnung durchführen

- Dokumentationen vornehmen und Informationen

auswerten

9 Abschlussprojekt: E-Business-

System im Kundenauftrag pla-

nen, entwickeln und kontrol-

lieren

E-Business-Schnittstelle betrachten, Sortiments-

liste im Webshop erstellen, präsentieren und ab-

gleichen

Tab. 5: ERP Einsatz in den Ausbildungsmodulen der MMBBS

Aufgrund der teils recht geringen Stundenumfänge, die für die Arbeit mit einem ERP-System zur Ver-

fügung stehen, sind Handlingfragen immer wieder relevant für Schülerinnen und Schüler. Seit Einfüh-

rung der ERP-Systeme an der MMBBS begleiten Wahlpflichtkurse mit einem Stundenanteil von 3-4

Wochenstunden die unterrichtliche Arbeit deshalb und unterstützen die Sicherheit im Umgang mit

dem eingesetzten System.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

186186

Wahlpflichtkurs SAP

Zielgruppe Gesamte IT Abteilung, alle Ausbildungsjahre

Vorkenntnisse Keine

Kompetenzziele • Die Möglichkeiten und Strukturen eines SAP Systems

erkennen • Die Handhabung des Systems trainieren

Inhalte • Einsatz von ERP (Enterprise Ressource Planning) Software • Navigieren in SAP • Stammdatenpflege • Erfassen von Geschäftsvorfällen • Bearbeiten von komplexeren betrieblichen Prozessen

anhand von Fallstudien • Neben vielfältigen Übungen am SAP System werden wir

uns immer wieder die in den Fallstudien auftauchende kaufmännische Theorie erarbeiten

Leistungsüberprüfung Erstellen einer eigenen Fallstudie in Gruppenarbeit

Notwendige Literatur Keine

Maximale Teilnehmer: 20

Unterrichtsstunden: Ca. 40 Unterrichtsstunden

Abb. 3: Wahlpflichtkurs ERP an der MMBBS

Beispielhafte Unterrichtsarbeit

Exemplarisch für den Umgang mit SAP im Unterricht wird der Angebotsvergleich (Inhalt LF 8) im Mo-

dul 2 dargestellt. Hier kann mit Hilfe des Systems ein komplexer Vorgang mit Berücksichtigung von

Skonto, Rabatt und Lieferkosten durchgeführt werden.

Im Anschluss wird bei dem günstigsten Lieferanten bestellt, geliefert, die Eingangsrechnung wird

erfasst und zur Zahlung freigegeben. Hierbei kann unter anderem immer wieder betrachtet werden,

welche Buchung (Inhalt LF 11) das System vornimmt.

In diesem Fall wird die Buchung beim Wareneingang betrachtet. Das SAP System arbeitet hier rea-

litätsnah, in den Lehrbüchern wird ein Wareneingang meist didaktisch reduziert immer erst mit Ein-

gang der Lieferantenrechnung verbucht (Handelswaren, Vorsteuer an Verbindlichkeiten). In einem in-

tegrierten System muss natürlich der Wareneingang unabhängig von der Eingangsrechnung erfasst

werden, und es wird ein Verrechnungskonto benutzt.

187

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

187

Abb. 4: Erfassungsmaske SAP

Dies ist eine praxisnahe Möglichkeit, die Systematik des Rechnungswesens kennen zu lernen, ohne

eine im traditionellen Sinne buchhalterisch grundlegende Ausbildung zu erhalten. Die genannten Be-

rufsbilder werden im Berufsleben wohl kaum als Finanzbuchhalter arbeiten, zumal deren Tätigkeit

immer mehr von den integrierten ERP-Systemen ersetzt wird, müssen aber Software-Anwendungen

im Rechnungswesen kennen, die im Berufsalltag auch der IT-Berufe noch am ehesten relevant sind.

Die Analyse zu führen, was und wie ein integriertes System z.B. bei der Beschaffung im Bereich der

Finanzbuchhaltung bucht, ist m.E. eine wesentliche Begründung dafür, warum einige Buchhaltungs-

inhalte noch eine Existenzberechtigung in den Curricula der genannten IT-Berufe haben.

Voraussetzung für diese Art von Unterricht ist, dass von der reinen Vermittlung fachsystematischer

Inhalte abgewichen wird und in einem geschäftsprozessorientiertem Unterricht im oben beschrieben

Sinn gearbeitet wird.

Erfahrungen mit dem Einsatz von ERP-Systemen an der MMBBS

Seit dem Jahr 2006 werden an der MMBBS regelmäßig in den IT-Teilzeitklassen ERP-Systeme in die

unterichtlichen Arbeit eingesetzt. Ein Team von Lehrkräften hat Erfahrungen sowohl im Einsatz von

Navision (Microsoft Business Solution) in der Version 4.0, als auch im Einsatz eines SAP-R/3 Systems

auf der Basis des IDES Mandanten gesammelt. Seit dem Schuljahresbeginn 2008/2009 wird auch mit

der Online-Umgebung ERP4School gearbeitet.

Im Rahmen der Arbeit mit Navision kamen vorwiegend die Materialien1 aus dem Landesinstitut für

Schulentwicklung aus Baden-Württemberg zum Einsatz, die freundlicherweise kostenlos zur Ver-

fügung gestellt worden sind. Zum IDES Mandanten kann die MMBBS auf umfangreiche Fallstudien

über das Hochschulkompetenzzentrum der Universität Magdeburg zugreifen.

1 siehe http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

188188

Dabei sind unterschiedliche Erfahrungen gesammelt worden:

Navision (Microsoft Business Solution) Erfahrungen nach drei Jahren

- Grundsätzlich gut geeignet zur unterrichtlichen Arbeit mit einem ERP-System

- Die Möglichkeit zur lokalen Installation des Programms hilft schwachen Schülern eine bestimmte

Lernsituation isoliert zu wiederholen, ein Ausgangsdatenstand kann wieder eingespielt werden.

Damit ist aber auch ein Verlust an Realitätsnähe verbunden.

- Die Möglichkeit zur lokalen Installation des Programms hilft Lehrkräften, die im Unterricht kontrol-

lorientiert agieren.

- Die Software steht Schülern und Lehrkräften auch am heimischen Arbeitsplatz zur Verfügung

- Die eingesetzten Materialien aus Schulbüchern etc. bilden eher kleinschrittig Arbeitsprozesse ab,

als entscheidungsorientiert Geschäftsprozesse aufzubereiten

- Die Stabilität der Materialien ist nicht sehr groß, da einmal vorhandene Handlungspfade bei Pro-

grammupgrades und zunehmender Integration in die Microsoft-Office-Produkte nicht immer er-

halten bleiben.

- Trotz guter Netzinfrastruktur gibt es Installations-bzw. Anwendungsschwächen, z.B. wird gele-

gentlich die falsche Datenbank eingesetzt

- Der Schulungsaufwand ist zunächst hoch wird aber mit zunehmender Handlingsicherheit für die

Lehrkräfte geringer

- Rückmeldungen von Schülerseite zeigen eine hohe Motivation im Umgang mit dem System

SAP R/3

- Grundsätzlich gut geeignet zur unterrichtlichen Arbeit mit einem ERP-System

- Das kostenpflichtige Hosting beim Hochschulkompetenzzentrum Magdeburg2 vermeidet lokale

Hard- bzw. Softwareprobleme, die Performanz des Systems ist jederzeit gegeben, ein dauerhaf-

ter Online-Zugang ist notwendig.

- Die Lehrkräfte müssen teilweise umdenken, aufgrund der Komplexität der Software werden Lö-

sungswege auch explorativ erarbeitet, einmal gemachte Fehler können nicht einfach gelöscht

werden, sie sind zu stornieren.

- Die Materialien aus HCC Community auf Basis von IDES (SAP Mandant) bilden eher Geschäfts-

prozesse ab, sind aber sehr komplex für die Berufsschule.

- Die Materialien aus der Umgebung ERP4School verringern diese Schwelle deutlich.

- Bisher ist im IDES Mandanten nur in Ausnahmefällen die Nutzung am heimischen Arbeitsplatz zu

Unterrichtszwecken möglich, die Umgebung ERP4School macht dieses nun möglich.

- Die Stabilität der Materialien ist sehr groß, da einmal vorhandene Handlungspfade via Matchcode

bei Programmupgrades erhalten bleiben.

- Der Schulungsaufwand ist zunächst sehr hoch wird aber mit zunehmender Handlingsicherheit für

die Lehrkräfte deutlich geringer

- Rückmeldungen von Schülerseite zeigen eine sehr hohe Motivation im Umgang mit dem System

2 siehe http://www.hcc.uni-magdeburg.de

189

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

189

Aufgrund der Erfahrungen mit diesen beiden ERP-Systemen, die gemeinsam über 80 Prozent des kom-

merziellen Marktes dominieren, lassen sich aus Sicht der MMBBS einige Konsequenzen beschreiben:

Curriculare Folgerungen

- Einsatz der Umgebung „ERP4SCHOOL“ des Oberstufenzentrums Bürowirtschaft und Dienstleis-

tungen aus Berlin im Bereich der IT-Berufe

- Möglichst Erarbeitung eines eigenen Mandanten für IT-Berufe unter ERP4SCHOOL (geplant) ggf.

auch unter Navision MBS (geplant)

- Beschreibung und Implementation grundlegender Geschäftsprozesse für IT-Berufe in diesen

Mandanten

- Ab dem Schuljahr 2009/2010 werden alle ersten Ausbildungsjahre der Berufsbilder IT-

Systemkauffrau/-mann und Informatikkauffrau/-mann an der MMBBS in SAP grundlegend ge-

schult. Dieses ist eine Voraussetzung SAP im 2. und 3. Ausbildungsjahr integrativ im Unterricht

einzusetzen.

Organisatorische Folgerungen

- Schaffung und Förderung der Rahmenbedingungen (Organisation, Räume, Ist-System-Struktur ...)

- feste Teambildung mit Geschäftsprozessspezialisierung (Arbeitsteilung)

- Teilautonomie der Teams hinsichtlich der curricularen Arbeitspläne und der Unterrichtsorganisation

- einheitliche Informations- und Kommunikationsplattform (Internet-gestützte Community

EDUPLAZA als Vorgehensmodellordner. Über die EDUPLAZA sind alle Lehrkräfte in Communi-

ties of Practice mit einander verbunden und können sich so unterstützen.

Abb. 5: MMBBS Kommunikationsplattform EDUPLAZA

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

190190

Nicht nur die MMBBS hat sich in Niedersachsen mit dem Thema ERP-Systeme beschäftigt, es sind

weitere Standorte beteiligt.

Innovationsvorhaben des niedersächsischen Kultusministeriums

Seit dem Schuljahr 2008/2009 wird im Auftrag des niedersächsischen Kultusministeriums an vier

berufsbildenden Schulen ein Innovationsvorhaben „ERP-Systeme in kaufmännisch geprägten Bil-

dungsgängen“ durchgeführt. Folgende Ziele werden angestrebt

1 Einsatz und Erprobung der ERP-Systeme NAVISION bzw. SAP, zunächst in der Teilzeitberufs-

schule in den Bildungsgängen Informatikkauffrau/-mann bzw. IT-Systemkauffrau/-mann und In-

dustriekauffrau-/mann und der einjährigen Berufsfachschule.

2 Exemplarische Erarbeitung unterrichtsgeeigneter Materialien bzw. Kompetenzbeschreibungen

für den Einsatz der Systeme im jeweiligen Bildungsgang.

3 Überschulische Zusammenarbeit und ggf. Vorbereitung/Unterstützung von Materialienkommissi-

onen oder Rahmenrichtlinienkommissionen.

4 Zusammenarbeit mit den lokalen Unternehmen, die in den Bildungsgängen ausbilden oder als

Praktikumsbetrieb zur Verfügung stehen.

5 Gemeinsame Arbeit der beteiligten Schulen in Qualitätszirkeln, also innerschulischer und über-

schulischer Arbeitsgruppen, die auch internetgestützt arbeiten.

Erste Ergebnisse im Frühjahr 2009 zeigen, dass das Thema ERP stark zunehmend an den berufsbilden-

den Schulen in Niedersachsen an Bedeutung gewinnt. Die teilnehmenden Standorte Hannover, Osna-

brück und Lohne erhalten vermehrt Anfragen zu Fortbildungen und zu den Lizenzbedingungen der ein-

gesetzten Systeme. Insgesamt haben im Frühjahr 2009 ca. 25 berufsbildende Schulen in Niedersachsen

eine Arbeit mit ERP-Systemen aufgenommen, die Mehrzahl mit Navision, eine geringere Zahl mit SAP.

Abb. 6: Schulübergreifende Plattform BBS-BSCW für Navision

191

ERP-Einsatz aus Sicht der IT-Berufe

191

Unterstützt wird diese Arbeit über das Groupwaresystem BBS-BSCW im Niedersächsischen Bil-

dungsserver NIBIS. Die teilnehmenden Schulen sehen jeweils nur ihre Schullizenzdateien und den

allgemeinen Arbeitsbereich zu Navision. Aktuell (Stand 04/2009) haben sich 54 Lehrkräfte aus 25

berufsbildenden Schulen und Studienseminaren für das Lehramt an berufsbildenden Schulen in

Niedersachsen in diesem Bereich angemeldet; sie arbeiten als Multiplikatoren an den Standorten.

Es ist geplant weitere Lehrkräfte in einen Bereich einzuladen, die sich mit Navision oder SAP an ihren

Schulen beschäftigen.

Literatur

Tramm, Tade (2003): „Prozess, System und Systematik als Schlüsselkategorien lernfeldorientierter Curriculumentwicklung“. In: Gramlinger, F./ Tramm, T. (Hrsg.): Lernfeldansatz zwischen Feiertagsdidaktik und Alltagstauglichkeit 2003 www.bwpat.de online Ausgabe Nr. 4

Rebmann, Karin; Schlömer, Tobias: Lernen im Prozess der Arbeit , 2009, www.bwpat.de/profil2

Links

http://www.mmbbs.de

http://www.proreko.de

http://bbs-bscw.nibis.de

http://www.eduplaza.de

http://www.nibis.de

Autor

Strahler, Bernd; Diplom-Handelslehrer; Studiendirektor; Fachberater berufliche Bildung (IT und Modellversuche) bei der Landesschulbehörde Niedersachsen und stellvertretender Schulleiter (kommissarisch) an den Multi-Media Berufsbildenden Schulen Hannover; Expo Plaza 3, D-30539 Hannover; Mail: [email protected]

192

193

Unterstützungssysteme und -angebote für berufliche Schulen

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195

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

195

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht Supportstrukturen für berufliche Schulen:

ERP-Unterstützung beruflicher Schulen in Baden Württemberg

Gerd Häuber

I Paradigmenwechsel in der Betriebswirtschaftslehre – Prozessorientierung vs. Funktions orientierung in unternehmerischen Organisationsstrukturen und deren Bedeutung für die Lehre im Bereich der Betriebswirtschaft und die Entwicklung einer „Prozessorientierten Wirtschaftsdidaktik“

Weder bei den im Titel des Sammelbandes angesprochenen „ERP-Systemen“, noch bei der vielfach

in berufspädagogischer Literatur zitierten „Prozessorientierung“ handelt es sich um originäre Erfin-

dungen von Erziehungswissenschaftlern bzw. von Wirtschaftspädagogen oder Lehrern aus der be-

ruflichen Schule. Der im Zuge des „Business Process Reengeneering“ der 90-ziger Jahre vollzogene

Paradigmenwechsel in der Betriebswirtschaftslehre und die damit verbundene Umstrukturierung der

betrieblichen Handlungsabläufe, weg von der funktionsorientierten Abteilungsorganisation, hin zur

geschäftsprozessorientierten Ablaufstrukturierung1, ging einher mit der Entwicklung und Einbindung

ereignisgesteuerter, integrierter Unternehmenssoftware2. Die bahnbrechende Neuerung bei dieser

Art von „ERP-Systemen“ scheint deren ereignisorientierte Programmstruktur zu sein, welche sich

vorrangig an den betrieblichen Prozessketten und den damit verbundenen Handlungsabläufen und

den einzelnen Tätigkeiten im der Unternehmenspraxis orientieren3. Aber sind es nicht auch genau

diese Prinzipien des prozessorientierten Ansatzes in der Betriebswirtschaftslehre und der prozess-

orientierten ERP-Systeme, welche diese Art integrierter Unternehmenssoftware für den Einsatz im

Unterricht der beruflichen Schulen, und die Entwicklung einer noch näher zu spezifizierenden „Pro-

zessorientierten Wirtschaftsdidaktik“ so interessant erscheinen lassen? Wo ist also der Grund dafür

zu suchen, dass die „Geschäftsprozessorientierung“ und der „ERP-Einsatz“ zwischenzeitlich in di-

verse Lehrpläne für die beruflichen Schulen Einzug gehalten hat?

1 Hammer, M., Champy, J., Reengineering the Coorporation - A Manifesto for Business Revolution, New York: Harper

Collins 1994.

2 Brenner, W., Keller, G. (Hrsg.), Business Reenginering mit Standardsoftware, Frankfurt/New York: Campus 1995 bzw.

Österle, H. (Hrsg.), Integrierte Standardsoftware: Entscheidungshilfen für den Einsatz von Softwarepaketen, Band

1: Managemententscheidungen, Band 2: Auswahl, Einführung, und Betrieb von Standardsoftware, Hallbergmoos:

sAIT 1990.

3 Enterprise-Resource-Planning-Systemen (ERP-System) – siehe Gronau, Norbert: Enterprise Ressource Planning und

Supply Chain Management: Architektur und Funktionen. München : Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2004.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

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II Funktion und Zielsetzung des Einsatzes von ERP-Systemen im

Unterricht der beruflichen Schulen – ERP-Systeme als Lehrinhalt

und/oder als didaktisch-methodisches Instrument

Der Blick in diverse Lehrpläne der beruflichen Schulen lässt den Begriff „ERP-Systeme“ sowohl bei

der Festschreibung der Lehrinhalte, als auch bei den Hinweisen zur didakatisch-methodischen Um-

setzung der Lehrpläne zur Erreichung der vorgegebenen Lernziele ausfindig machen. Es sind dem-

nach vornehmlich zwei Perspektiven, aus denen die Zielsetzung des Einsatzes von ERP-Systemen

im Unterricht der beruflichen Schulen zu betrachten sind:

Es geht zum einen darum, die Schülerinnen und Schüler mit dem Umgang mit einem ERP-System

an sich vertraut zu machen, da sie in ihrem zukünftigen Berufsleben mit hoher Wahrscheinlichkeit

auch ein derartiges System an Ihrem Arbeitsplatz vorfinden werden. Damit wären es die ERP-Sys-

teme selbst und deren betriebliche Anwendung, welche es im Zuge der Vermittlung von Beruflichen

Handlungskompetenzen zur Vorbereitung auf den späteren betrieblichen Arbeitsalltag als Lehrinhalt

zu unterrichten gilt. Zum anderen geht es um die Vermittlung von betrieblichen Gesamtzusammen-

hängen der Unternehmenspraxis im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre. Der entscheidende Vorteil

des Einsatzes der ERP-Systeme im betriebswirtschaftlichen Unterricht liegt in der Möglichkeit, mit

Hilfe der ERP-Software Strukturzusammenhänge der unternehmerischen Abläufe praxisnah im Un-

terricht modellhaft darzustellen und analysieren zu können, und auf diesem Wege den Auszubilden-

den einen Überblick über das Gesamtunternehmen und die wesentlichen Strukturzusammenhänge

und Wirkungsketten zu verschaffen. Die ERP-Systeme sind aus dieser Perspektive ein didaktisch-

methodisches Instrument, mit dessen Hilfe die klassischen betriebswirtschaftlichen Lehrinhalte ge-

schäftsprozessorientiert entlang modellhaft in der Unternehmenssoftware abgebildeter praktischer

Handlungsabläufe praxisnah unterrichtet werden können.

II.a Die „Anwendung von ERP-Systemen“ als Lernziel – Die Vermittlung beruflicher Handlungskompetenzen als Vorbereitung auf die betriebliche Anwendung integrierter Unternehmenssoftware im späteren Arbeitsalltag der Auszubildenden als Lehr- / Lerninhalt im Focus berufspädagogischer Bemühungen.

Die Absolventen der beruflichen Schulen werden bei Ihrem späteren Einstieg in das Berufsleben mit

sehr hoher Wahrscheinlichkeit an Ihrem späteren Arbeitsplatz ein ERP-System vorfinden. Aus die-

sem Blickwinkel ist es sicherlich sinnvoll, die Grundlagen des Umganges mit einem derartigen „ERP-

Werkzeug“ der späteren betrieblichen Arbeitspraxis im Unterricht der beruflichen Schule in einer Art

„Anwenderschulung“ zu vermitteln. Der ERP-Einsatz in der beruflichen Schule wäre damit, aus dieser

Perspektive der reinen Anwenderschulung, dem Unterricht im Bereich der anwendungsorientierten

Datenverarbeitung bzw. den IT-Fächern zuzuschreiben. Im Kern stünde bei dieser Art des unterricht-

lichen Softwareeinsatzes die simple Bedienung von Programmoberflächen und die Kenntnis von

197

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

197

Menüführungen4 ohne Beleuchtung der betriebswirtschaftlichen Hintergründe, was häufig, sowohl in

Lehrer- als auch in Schülerkreisen, mit dem sicherlich negativen besetzten Begriff „Click-Schulung“

belegt wird.

Die Aufgabe der Anwenderschulung an den ERP-Systemen könnte man aber durchaus auch den

Ausbildungsbetrieben im Rahmen der praktischen Tätigkeit der Auszubildenden im Betrieb zuschrei-

ben. Die Berufsschüler in einer Dualen Ausbildung könnten den Umgang mit dem ERP-System

auch im eigenen Ausbildungsbetrieb erlernen. An dieser Stelle bietet der Einsatz der ERP-Systeme

im Unterricht der beruflichen Schule jedoch einen entscheidenden Vorteil gegenüber der betriebli-

chen, rollenbasierten Anwendung der Software in der Unternehmenspraxis. Das ERP-System am

betrieblichen Arbeitsplatz wird einem Auszubildenden lediglich einen sehr begrenzten funktions-

bzw. anwenderorientierten Einblick in die Zusammenhänge im Gesamtunternehmen gewähren. In

den seltensten Fällen erhält ein Auszubildender Zugang zu mehreren Funktionsbereichen des Un-

ternehmens, geschweige denn auf die Informationen der Finanzbuchhaltung oder gar der Personal-

verwaltung. Eine derartige betriebliche oder auch schulische ERP-Anwenderschulung darf, aus der

Perspektive einer „Prozessorientierten Wirtschaftsdidaktik“, nicht in einer simplen „Click“-Schulung

und der reinen Bedienung von Programmoberflächen verharren. Vielmehr gilt es die „klassischen“

betriebswirtschaftlichen Lehrinhalte mit Hilfe des ERP-Einsatzes entlang von didaktisch reduzierten,

chronologisch angeordneten betrieblichen Tätigkeiten praxisnah zu vermitteln und die Unterneh-

merischen Strukturzusammenhänge aufzuzeigen. Im Betrieb erkennt ein Auszubildender nur sehr

schwer, welche Auswirkungen z.B. ein Verkaufs- und Liefervorgang auf die Logistik, die Beschaffung

oder die Finanzbuchhaltung hat. Dort sind ihm solche Funktions- und abteilungsübergreifende Ein-

blicke verwehrt. In der mit der ERP-Software simulierten Unternehmenssituation können diese be-

trieblichen Handlungsabläufe und Wirkungsketten im Unterricht prozessorientiert aufgezeigt und der

„Rote Faden“ durch die betriebliche Praxis didaktisch strukturiert nachverfolgt werden. Das vermag

man alleine mit der Tafel und einem Stück Kreide nur sehr begrenzt oder nur mit verhältnismäßig ho-

hem Aufwand und Zeitbedarf bewerkstelligen.

4 Eine Ausnahme bildet hier sicherlich der Einsatz der integrierten Unternehmenssoftware im Bereich der IT-Berufe

bzw. der Wirtschaftsinformatik, bei dem es u.a. um die Vermittlung von technischen Kenntnissen der ERP-Systeme

(Programm- / Datenbankstrukturen) geht...

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

198198

II.b Prozessorientierung als Prinzip der Wirtschaftsdidaktik – ERP-Systeme als didaktisch-methodisches Instrument zur Vermittlung unternehmerischer Strukturzusammenhänge im Unterricht der Betriebswirtschaftslehre

Wenn sich der Begriff „Wirtschaftsdidaktik“ innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin der Wirt-

schaftspädagogik als fachdidaktisches Konzept ökonomischer Bildung5 zur „Planung, Realisierung

und Kontrolle von auf Wirtschaft ausgerichteten Lehr-/ Lernprozessen“6 fassen lässt, so könnte

sich eine in diesem Sammelband thematisierte „prozessorientierte“ Wirtschaftsdidaktik dadurch

auszeichnen, dass diese sich bei der didaktischen Konzeption von Lehr- / Lernarrangements an

betrieblichen Prozessketten orientiert. Unter dem Begriff „Prozessorientierung“ lässt sich somit im

Kontext der Wirtschaftsdidaktik die praxisorientierte Aufarbeitung der betriebswirtschaftlichen Lehr-

/ Lerninhalte entlang chronologisch geordneter, betrieblicher Handlungsabläufe verstehen. Die Un-

ternehmenssoftware bzw. der Einsatz von ERP-Systemen dient aus dieser Perspektive betrachtet

als didaktisch-methodisches Hilfsmittel7 zur Darstellung, Bearbeitung und Analyse der betriebli-

chen Tätigkeiten und der einzelnen Arbeitsschritte und deren Strukturierung in Form von simulierten

Prozessabläufen der Unternehmenspraxis. Der ERP-Einsatz in der beruflichen Schule kann hier die

entsprechenden betriebswirtschaftlichen Strukturzusammenhänge des Unternehmens im betriebs-

wirtschaftlichen Unterricht gezielt im Gesamtüberblick über das Unternehmen aufzeigen. Die Funk-

tion, welche dem ERP-System an dieser Stelle im kaufmännischen Unterricht zukommt, ist die eines

didaktisch-methodisches Instrumentes, mit dessen Hilfe betriebliche Handlungsabläufe praxisnah in

modellhaften Prozessketten im schulischen Unterricht abgebildet und entsprechende betriebswirt-

schaftliche Wirkungszusammenhänge an realitätsnahen Fallbeispielen aufgezeigt werden können.

Der ERP-Einsatz obliegt damit nicht mehr alleinig den Fachkollegen der Datenverarbeitung, sondern

dient dabei im Unterricht der Betriebswirtschaftslehre als didaktisches „Werkzeug“ über dessen Ein-

satz die betriebliche Realität im didaktisch reduzierten Modell simuliert werden kann.

Das wesentliche Merkmal der Architektur der ERP-Systeme, die prozessorientierte Integration von

Aufgaben und Funktionen aller Unternehmensbereiche8, ermöglicht im unterrichtlichen Einsatz

wesentliche Strukturelemente der unternehmerischen Tätigkeit didaktisch gezielt in das Zentrum

der betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu rücken. Als „Roter Faden“ dienen den Schülern da-

bei standardisierte Prozessketten in Form von ganzheitlichen belegorientierten Fallstudien, wel-

che die betrieblichen Abläufe über die einzelnen betrieblichen Funktionsbereiche (z.B. Verkauf/Be-

schaffung/Lager/Warenwirtschaft & Logistik/Finanzbuchhaltung/Produktion/Personalverwaltung/

5 Siehe: Herwig Blankertz, Theorien und Modelle der Didaktik, Weinheim/München, 1986.

6 Vgl.: Reinhard Czycholl, Wirtschaftsdidaktik, Göttingen, 1974, S. 28f, siehe auch: Euler, Dieter/Hahn, Angela: Wirt-

schaftsdidaktik, Bern 2004.

7 Der ERP-Software kommt somit in begrifflicher Anlehnung an des Berliner Modell von die Rolle eines „Mediums“

innerhalb einer „prozessorientierten Unterrichtsmethode“ zu, mit dessen Hilfe die Betrieblichen Handlungsabläu-

fe im Unterricht praxisnah abgebildet und Strukturzusammenhänge im Unternehmen aufgezeigt werden können.

Zum Begriff Unterrichtsmedien bzw. Unterrichtsmethoden vgl.: Paul Heimann, Gunter Otto, Wolfgang Schulz: Unter-

richt: Analyse und Planung (Hrsg.: Blumenthal, Alfred, Ostermann, Wilhelm), Hannover: Schroedel Schulbuchverlag ,

10. Unveränderte Auflage, 1979.

8 Gronau, Norbert: Enterprise Ressource Planning und Supply Chain Management, 2004.

199

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

199

Anlagenwirtschaft etc.) aufgreifen und in den unternehmerischen Gesamtzusammenhang einordnen.

Auf diesem Wege erscheint es ebenfalls möglich die Verknüpfung und Integration der Inhalte der

Klassischen Inhalte des Rechnungswesenunterrichtes mit denen der Betriebswirtschaftslehre her-

zustellen. Die Entwicklung derartiger Fallstudien bzw. die Ausarbeitung prozessorientierter betrieb-

licher, didaktisch-reduzierter Handlungsmodelle mit den entsprechenden Datenmodellen in einer

ERP-Software für den unterrichtlichen Einsatz, ganz abgesehen von didaktisch begründeten An-

passungen der ERP-Software selbst, würde jeglichen Zeitrahmen einer einzelnen Lehrkraft in ihrer

Unterrichtsvorbereitung sprengen. Diese Unterstützung der Lehrkräfte leistet in Baden-Württemberg

eine Arbeitsgruppe am Landesinstitut in Stuttgart, deren Aufgaben, neben der Bereitstellung der Un-

terrichtsmaterialien (Handreichungen / Übungsaufgaben / Lösungen / Fallstudien / Anleitungen), die

Konzeption von lernzielfokusierten, themenspezifischen Unternehmensmodellen mit entsprechen-

den Datenmodellen für die ERP-Systeme (Mandanten) und die Anpassung und der Support einer

geeigneten integrierten Unternehmenssoftware.

III Kriterien zur Auswahl eines geeigneten ERP-Systemes

für den Einsatz in der Lehre

Im Prinzip ist es von untergeordneter Bedeutung, um welche Marke eines ERP-Systems bzw. um wel-

chen Hersteller der Software es sich für den Einsatz im Unterricht handelt. Vorrangig geht es die Ver-

mittlung der entsprechenden Handlungskompetenzen, welche die Systematik der ERP-Anwendung

und deren Einbindung in den betrieblichen Gesamtzusammenhang aufzeigt. Bildhaft ausgedrückt:

Auf welchem Fabrikat bzw. auf welcher Marke von Fahrzeug der Fahrschüler das Autofahren in seiner

Fahrschule erlernt ist völlig unwichtig. Wir haben uns am Landesinstitut Stuttgart für unsere „Fahr-

schulen“ für einen kostenlos zu beziehenden, schnittigen Mittel- bis Oberklassewagen entschieden,

der sehr komfortabel, flexibel und selbsterklärend alle Ausstattungen und Strukturen einer ERP-Soft-

ware bietet, und mit dem die Schüler problemlos im Unterricht und auch am Rechner zuhause ohne

Installation oder Internetzugang zurechtkommen. Wenn unsere Fahrschüler später in ein Auto eines

anderen Herstellers einsteigt und die „Systematik“ des Autofahrens begriffen hat, so wird er auch mit

einem anderen Fabrikat nach einer eventuellen anfänglichen Umstellungs- und Eingewöhnungspha-

se umgehen können und feststellen, dass dort das Gaspedal, das Lenkrad und die Bremse an der

selben Stelle sind und die selbe Funktion haben wie in ihrem Fahrschulauto. Es geht in der Schule

im Wesentlichen um die Vermittlung von Systemkenntnissen und Fertigkeiten – um die Systematik

von ERP-Systemen. Die Schülerinnen und Schüler müssen das Autofahren in seiner Systematik und

Struktur lernen, unabhängig von der Fahrzeugmarke.

Für welches Fabrikat von Fahrzeug bzw. um welche ERP-Software man sich letztlich für seine „Fahr-

schule“ entscheidet, hangt von ganz anderen Kriterien ab, welche im Folgenden durch einige Leitfra-

gen näher eingegrenzt werden sollten:

- Handelt es sich um eine integrierte Unternehmenssoftware mit zentraler Datenbank und Datenin-

tegration über alle Module bzw. Unternehmensbereiche (Beschaffung / Lager / Logistik / Verkauf

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

200200

/ Marketing / Finanzbuchhaltung / Personalwirtschaft / Mitarbeiterverwaltung inkl. Lohn- + Gehalt

/ POS-Kasse / Produktionswirtschaft / Anlagenverwaltung / Kostenrechnung / etc.), welche das

Aufzeigen von Systemzusammenhänge im Gesamtunternehmen ermöglicht?

- Welche ERP-Software kann ohne Installationsaufwand und ohne Internetanbindung auf jedem

beliebigen Rechner, auch auf den Rechnern der Lehrer und der Schüler zu Hause zur Bearbeitung

von Hausaufgaben bzw. zur Unterrichtsvorbereitung eingesetzt werden? (Stick-Lösung – Pro-

gramm lauft ohne Installation rechnerunabhängig auf einem Daten-Stick und bedarf keiner Inter-

netanbindung)

- Welche ERP-Software bietet die Möglichkeit in beliebiger Anzahl diaktisch-methodisch aufberei-

tete, auf die jeweiligen Ausbildungsschwerpunkte (z.B. Einzelhandel POS / Industrie Produktion,

Großhandel, Außenhandel, etc…) und auf die einzelnen Unterrichtseinheiten zugeschnittene Un-

ternehmensmodelle einzurichten bzw. als Datenstände bereitzustellen? (Abspeichern von Zwi-

schendatenständen, Datensicherung, Mandanteneinrichtung – Konzeption und Einrichtung eige-

ner, auf einzelne Lernfelder bzw. Lehrinhalte fokussierter Unternehmensmodelle)

- Welche ERP-Software bietet die Möglichkeit, aus pädagogischen Gesichtpunkten die Menüober-

flächen, Programmstrukturen bzw. die Datenbankobjekte zielgruppenspezifisch anzupassen bzw.

didaktisch adressatengerecht zu reduzieren? (Anpassung der Menüstrukturen und der Program-

moberfläche, spezifische Anpassungen auf Schüler, Schularten, Inhalte, Reduzierung von Kom-

plexität, didaktische Reduktion, Customizing, ObjektDesign, Anwenderorientierte, rollenbasierte

Menüsteuerung)

- Bietet die ERP-Software die Möglichkeit zum Betrieb als Einzelplatzzugriff mit lokaler Datenhal-

tung und ebenfalls die Möglichkeit zum Einsatz in einer Lernfirma mit zentraler Datenhaltung und

dem Mehrplatzzugriff mehrer Schüler gleichzeitig in einem Lernbüro? (Client – Database-Server)

- Wie nachhaltig ist die eingesetzte Unternehmenssoftware auf dem ERP-Softwaremarkt und in

welcher Art und Weise wird der Softwareeinsatz an den Schulen durch den Softwarehersteller

unterstützt? (Supportangebote, Fortbildungsangebote, Zertifizierungsmöglichkeiten für Schüler

und Lehrkräfte, Update)

- Welche ERP-Software ist sowohl für Schulen und die Lehrer, als auch für Schüler (kostenlose

Schullizenz und kostenlose Schülerlizenzen) kostenfrei?

VI Supportangebot des Landesinstitutes Stuttgart

- ERP-Unterstützung beruflicher Schulen in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg wir das ERP-System Microsoft Dynamics NAV (ehemals Navision Financials)

an rund 200 Beruflichen Schulen in den verschiedensten Schularten seit dem Schuljahr 1999 / 2000

eingesetzt und von Seiten einer Arbeitsgruppe am Landesinstitut Stuttgart flankierend in folgenden

Bereichen betreut und unterstützt:

201

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

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- Entwicklung und Bereitstellung von Handreichungen, ausgearbeiteten Fallstudien, Unter-

nehmensmodellen und Unterrichtsmaterialien

Die Arbeitsgruppe am Landesinstitut Stuttgart erarbeitet zielgruppenorientierte und Schülerge-

rechte Unterrichtsmaterialien, welche spezifisch auf die einzelnen Lehr- / Lerninhalte, die Lernzie-

le, die Eingangsvoraussetzungen und Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler und deren

Umsetzbarkeit im Unterricht ausgerichtet sind. Im Zentrum dieser Unterrichtsmaterialien stehen

betriebswirtschaftliche Unterrichtsszenarien, welche in Unternehmensmodellen die betrieblichen

Prozessabläufe, Wirkungsketten und Strukturzusammenhänge an realitätsnahen Praxisbeispie-

len der unternehmerischen Tätigkeit handlungsorientiert darstellen.

Übersicht zu den Handreichungen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision/HR

- Konzeption von Mandanten (Modellunternehmen im ERP-System)

Für die Abbildung der einzelnen Unterrichtsszenarien und Fallstudien in der integrierten Un-

ternehmenssoftware sind geeignete Mandanten (Daten eines Unternehmens im ERP-System)

erforderlich. Um den verschiedenen Schularten, Ausbildungsberufen, Ausbildungsinhalten und

den heterogenen Abstraktions- und Anforderungsniveaus der Schülerinnen und Schüler gerecht

werden zu können, sind diese Mandanten spezifisch auf die einzelnen Zielgruppen und die ange-

strebten Lernziele zuzuschneiden (z.B. Kaufleute im Einzelhandel – Handelswaren / POS-Kasse,

Industriekaufleute – Fertigerzeugnisse / Produktionswirtschaft). Für die sequenzielle Bearbeitung

der Unterrichtseinheiten werden zudem chronologisch fortlaufende Datenstände (Mandanten-

sicherungen) zur Verfügung gestellt, welche es den Lehrkräften und den Schülern ermöglichen

den Prozessablauf an beliebiger Stelle des Handlungsszenarios durch einen Mandantenimport

wieder aufzugreifen.

Mandanten (Datenstände) zu den jeweiligen Handreichungen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/

material/kfm/navision/HR

- Customizing – Anpassung der Programmoberflächen und der Menüstrukturen

In der selben Art und Weise wie die Ausrichtung auf unterschiedliche Zielgruppen bzw. Lernin-

halte die Bereitstellung von verschiedenen Unterrichtsmaterialien und spezifischen Mandanten-

datennotwendig macht, erfordert dies auch die adressatenspezifische Anpassung der Program-

moberflächen und der Menüstrukturen des ERP-Systemes. Die Zuordnung der Menüoberflächen

erfolgt über die Benutzeranmeldung in der Datenbank (Datenbankanmeldung) bei Programm-

start.

Übersicht zu den verschiedenen Benutzeranmeldungen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/mate-

rial/kfm/navision/Datenbank

- Support für Lernfirmen, Server-Installation für Junioren- und Übungsfirmen

In den beruflichen Schulen in Baden-Württemberg sind neben einer Vielzahl von realwirtschaft-

lich tätigen Juniorenfirmen rund 220 Übungsfirmen im deutschen Übungsfirmenring tätig, welche

zur Abwicklung ihrer Geschäftstätigkeit die integrierte Unternehmenssoftware einsetzen. In den

Lernbüros dieser Lernfirmen ist, im Unterschied zum Einzelplatzbetrieb im Unterrichtsraum mit

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

202202

lokaler Datenbank, ein Mehrplatzzugriff auf eine zentrale Unternehmensdatenbank von mehreren

Arbeitsplätzen aus erforderlich (Client-Server-Umgebung). Zu diesem Zweck wird ein NAV-Data-

base-Server auf dem Server der Lernfirmen installiert. Die Datenbanken der Lernfirmen enthal-

ten u.a. stets die aktuellsten Lohn- und Gehaltsinformationen und werden aus diesem Grund von

Seiten des Landesinstitutes stets mit dem aktuellsten Service-Patsch versorgt. Zur Einrichtung

eines eigenen Übungsfirmenmandanten wird den Übungsfirmenleitern, angepasst auf die Erfor-

dernisse der einzelnen Schularten, ein Basismandant zur Verfügung gestellt. Auf der Grundlage

dieses vorstrukturierten Einrichtungsmandanten können die Übungsfirmen ihre eigenen Unter-

nehmensdaten anlegen und die ERP-Software praxiskonform im eigenen Übungsfirmenbetrieb

zur Abwicklung der Geschäftstätigkeiten im simulierten „Echtbetrieb“ einsetzen.

Übersicht zu den Supportangeboten für Übungsfirmen unter: http://www.ls-bw.de/beruf/materi-

al/kfm/navision/Uebungsfirma

- Entwicklung und Bereitstellung einer ERP-Software-Stick-Lösung

Um den Umgang mit der Software sowohl für Schüler als auch für Lehrer so einfach wie möglich

zu machen, wurde von Seiten des Landesinstitutes Stuttgart ein Programmpaket entwickelt und

zum Download bereitgestellt, welche den Betrieb der integrierten Unternehmenssoftware ohne

jegliche Installation und ohne Internetzugang auf jedem beliebigen Rechner, im Prinzip auf jedem

beliebigen handelsüblichen Daten-Stick ermöglicht. Auf diesem Weg werden Schwierigkeiten bei

der Installation, fehlende Installationsrechte des Anwenders oder Einschränkungen durch einen

nicht vorhandenen Internetzugang im Vorfeld bereits ausgemerzt.

Download Programmpaket (Stick-Lösung): http://www.ls-bw.de/beruf/material/kfm/navision

- Beratung und Direkthilfe: Mail-Support und Telefon-Hot-Line

Die Arbeitsgruppe des Landesinstitutes Stuttgart steht den Lehrkräften Dienstags und Mittwochs

per Telefon bzw. per E-Mail zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung.

- Fortbildungsangebot für Lehrkräfte zentral an der Landesakademie und regional an den

Schulen der vier Regierungsbezirke der jeweiligen Regierungspräsidien

Über eine Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen an der Landesakademie in Esslingen und den

Beruflichen Schulen des Landes Baden-Württemberg zum Einsatz der ERP-Systeme im Unter-

richt seit dem Schuljahr 1999/2000 wurde in der Zwischenzeit ein nicht zu verachtendes Kompe-

tenzpotenzial bei den Lehrkräften aufgebaut, welches durch weitere Qualifizierungsmaßnahmen

stetig weiterentwickelt wird.

- Ausblick: Projekt FINTUS des Kultusministeriums Baden-Württemberg

Im laufenden Schuljahr wurde von Seiten des Kultsministeriums Stuttgart das Projekt FINTUS

(Fortbildungskonzeption Integrierte Unternehmenssoftware) mit dem Ziel ins Leben gerufen, eine

externe Zertifizierungsprüfung, sowohl für Lehrkräfte, als auch für Absolventen der beruflichen

Bildungsgänge auf Anwenderniveau in enger Kooperation mit dem Softwarehersteller zu konzi-

pieren und die Fachkollegen entsprechend zu qualifizieren. Dabei sind folgende Module in Anleh-

nung an die bereits bestehenden Unterrichtsmaterialien und Handreichungen in Planung:

203

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

203

Das geplante Projekt soll es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, eine Zusatzprüfung neben

der Schulabschlussprüfung abzulegen, welche spezifisch die erworbenen Kenntnisse und Fertigkei-

ten im Umgang mit dem ERP-System und dessen Anwendung zur Lösung betriebswirtschaftlicher

Fälle überprüft, und durch ein gesondertes international anerkanntes Zertifikat attestiert. Ziel ist da-

bei eine schulfremde externe Zertifizierungsprüfung und deren Beurkundung von Seiten eines unab-

hängigen Test-Centers bzw. von Seiten des Softwareherstellers.

V ResuméeSollten sich die angesprochenen ERP-Systeme als geeignetes didaktisch-methodisches Instru-

ment zur Abbildung praxisnaher Unternehmensszenarien innerhalb einer Prozessorientierten Wirt-

schaftsdidaktik zur handlungsorientierten Vermittlung, Strukturierung und Verknüpfung klassischer

betriebswirtschaftlicher Bildungsinhalte erweisen, so werden sich diese in Zukunft noch stärker

als es bereits jetzt der Fall zu sein scheint, gegen alle Widerstände von Seiten allzu verknöcher-

ter berufspädagogischer Traditionalisten im Unterricht der Betriebswirtschaftslehre wiederfinden.

Kein anderes Unterrichtsmedium hat es bisher in solch hohem, und dennoch leicht verständlichem

Maße vermocht, eine derartige schülergerechte Aufarbeitung, praxisnahe Darstellung und struktu-

rierende Verknüpfung von Unterrichtsinhalten der Betriebswirtschaftslehre bzw. des Rechnungswe-

sens handlungsorientiert zu bewerkstelligen. Zu keinem Zeitpunkt war der Unterricht der beruflichen

Schulen mit dem Einsatz moderner betriebswirtschaftlicher IT-Technologien derart zeitnah an den

aktuellen Entwicklungen der Unternehmensrealität und dabei didaktisch-methodisch in der Lage,

Aufbau-Modul B1

Finanzbuchhaltung & Jahres-

Abschluss

Aufbau-Modul B2

Leistungs-Erstellung

durch Produktion

Aufbau-Modul B3

Logistik

Aufbau-Modul B4

Übungs-Junioren-

Firma

Aufbau-Modul B5

Einzel-Handel POS

Aufbau-Modul B6

Außen-Handel Ex-Im

Aufbau-Modul B7

Personal-Verwaltung

Lohn + Gehalt

Aufbau-Modul B8

Anlagen-Verwaltung

Aufbau-Modul B9

Controlling Kosten-/

Leistungs-Rechnung

Aufbau-Modul B10

Customizing

Zertifikat I (BASICS � Grundkenntnisse)

Basismodul AGrundlagen der Anwendung der ERP-Software, Client / Mandant / Datenbank / Menüführung

Absatz und Vertrieb / VerkaufsprozesseLagerhaltung / WarenwirtschaftBeschaffung / Einkaufsprozesse

Finanzwirtschaft / Grundlagen der Finanzbuchhaltung

Zertifikat II (ADVANCED � Spezialkenntnisse)

Fortbildungskonzeption integrierte Unternehmenssoftware(FINTUS)

FINTUS MINISTERIUM FÜR KULTUS, JUGEND UND SPORT

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

204204

die Handlungsabläufe und Wirkungsketten der Arbeitswelt der Auszubildenden im Unterrichtsver-

lauf praxisnah im komplexitätsreduzierenden Modell abzubilden, inhaltlich zu strukturieren und er-

kenntnisfördernd zu analysieren. Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen didaktisch ausgearbeiteter

Handlungsszenarien bzw. didaktisch reduzierter Unternehmensmodelle in der ERP-Software und

deren einfache Anwendung in der Unterrichtspraxis. Der Blick in die beruflichen Schulen anderer

Bundesländer bzw. in die Zugriffsstatistik der Internetseiten des Landesinstitutes Stuttgart zeigt,

dass dies ohne einen Support einer zentral organisierten Schulverwaltungseinrichtung bedauerlicher

Weise nur sehr begrenzt möglich erscheint.

Autor

Gerd Häuber, Studiendirektor, Landesinstitut für Schulentwicklung; Abteilung berufliche Schulen; Rotebühlstraße 131; 70197 Stuttgart; Mail: [email protected]

Einsatz von ERP-Software im Unterricht in Bayern

205

Einsatz von ERP-Software im Unterricht

Erfahrungen in Bayern mit Mesonic WINLine und Microsoft Dynamics NAV

Edgar Sailer

1 Softwareeinsatz in Bayern

Bereits seit 1989 gibt es in Bayern Initiativen zum Einsatz von Branchen- bzw. ERP-Software im Un-

terricht an beruflichen Schulen. Sie wurden an der ehemaligen Zentralstelle für Computer im Unter-

richt Augsburg begonnen und am Staatsinstitut für Schulqualität für Bildungsforschung (ISB) Mün-

chen kontinuierlich fortgeführt.

Am Anfang wurden nur einzelne Module, insbesondere Finanzbuchhaltungspro gramme und Pro-

duktplanungssysteme (PPS), eingesetzt. Die PPS-Software fand bei Industriekaufleuten an Berufs-

schulen und in der Ausbildungsrichtung Wirtschaft an Fachoberschulen Anwendung, während die

Einfüh rung des Finanzbuchhaltungsmoduls der Branchensoftware Mesonic WINLine zunächst an

Wirtschafts- sowie Fach- und Berufsoberschulen erfolgte.

Mit der Veröffentlichung neuer Lehrpläne, z. B. für die Fachklassen Industriekaufleute an Berufs-

schulen, tauchte verstärkt die Forderung nach dem Unterrichtseinsatz einer ERP1-Software mit den

Schwerpunkten Warenwirtschaft und Produktion auf. Neben der bereits erwähnten ERP-Software

WINLine wurde deshalb vor einigen Jahren zusätzlich Microsoft Dynamics NAV eingeführt.

Beide Pro gramme verfügen über etwa den gleichen Funktionsumfang und unterscheiden sich ledig-

lich in ihrer Grundausrichtung: Der Schwerpunk von WINLine liegt in der Finanzbuchführung und Wa-

renwirtschaft, Navision hat seine Wurzeln und Stärken im Produktionsbereich.

Obwohl in den bayerischen Lehrplänen die Notwendigkeit eines unterrichtlichen Softwareeinsatzes

ausdrücklich festgelegt ist, wird kein Programm namentlich genannt. Deshalb wurde traditionell von

der Zentralstelle für Computer im Unterricht und dem ISB immer Software empfohlen, die einerseits

den Lehrplanvorgaben entspricht und ande rerseits den Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt

werden kann.

2 Materialien für den Unterrichtseinsatz

Die im Rahmen von Arbeitskreisen erarbeiteten didaktisch-methodischen Materialien wurden gezielt

für Lehrer an Be rufsschulen, Fach- und Berufsoberschulen sowie Wirtschafts- und Realschulen kon-

zipiert. Sie konnten deshalb als Grundlage für zentrale und regionale Lehrerfortbildungen verwendet

werden.

1 Enterprise Resource Planning

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

206

Bei der Konzeption der Materialien wurde immer Wert auf eine effektive und problemlose Umsetzung

im Unterricht gelegt. Zusätzlich wurden deshalb entsprechende Schüleraufgaben- und Übungsblät-

ter angeboten. Dieser Service erscheint besonders wichtig, da Lehrkräfte bei der zeitaufwändigen

Planung und Vorbereitung eines Softwareeinsatzes im Unterricht entsprechende Unterstützung be-

nötigen.

2.1 Didaktisch-methodische Vorüberlegungen

Bei allen schriftlichen Materialien werden praxisgerecht gestaltete Belege ver wendet, da die früher

üblichen Beschreibungen von Geschäftsvorgängen keinerlei Praxisrelevanz besitzen. Im täglichen

Geschäftsleben wird eine Buchung immer durch einen Beleg ausgelöst. Grundsätzlich müssen die

Aufgaben so gestaltet werden, dass sie Raum für Schülerselbsttätigkeit bieten, was durch zielgenaue

Anpassung des Schwierigkeitsgrads auf die Schulart und das Alter der Schüler sowie durch den Ein-

bau von Übungsbeispielen geschieht. Die Aufgaben sollen die innere Differenzierung ermöglichen,

z. B. durch das Angebot von Zusatzaufgaben für die „schnelleren“ Schüler. Bewährt hat sich die

Übernahme von Tutorenfunktionen durch „bessere“ Schüler. Einerseits wird dadurch die Motivation

aller Schüler deutlich erhöht, andererseits die Lehrkraft entlastet.

Abb. 1: Logo Musterfirma

Die zur Verfügung gestellten Musterfirmen, die so genannten Mandanten, beinhalten vollständige

Kontenpläne mit Debitoren- und Kreditorenkonten. Auch wird mit einem festen Artikelsortiment ge-

arbeitet, so dass keine Stammdatenpflege erforderlich ist. Um zu vermeiden, dass die Materialien

jährlich, z. B. hinsichtlich der Feiertagstermine, angepasst werden müssen, wird grundsätzlich mit

einem Arbeitsdatum gearbei tet.

Diese Vorgaben erlauben es dem Anwender, sofort mit der Bearbeitung von Situationsaufgaben zu

beginnen. Im Rahmen der Stammdatenpflege können dann später Änderungen durchgeführt oder

neue Konten oder Artikel angelegt werden. Weiterhin gibt es zu jedem Kapitel Update-Mandanten,

z. B. für die Kostenrech nung insgesamt acht, was einen flexiblen Unterrichtseinsatz der ERP-Soft-

ware ermöglicht. Dieses Angebot versetzt die Lehrer und Schüler in die Lage, entsprechend den

Lehrplanvorgaben bei jedem Datenzwischenstand „ein-“ bzw. „auszusteigen“.

Einsatz von ERP-Software im Unterricht in Bayern

207

2.2 Handreichungen

Obwohl beim Thema „Einsatz von ERP-Software im Unterricht“ die Geschäftsprozesse im Mittel-

punkt stehen, wird in Bay ern aufgrund von didaktisch-methodischen Überlegungen auch eine Hand-

reichung zur Finanzbuchhaltung angeboten. Diese dient der Einführung in die Thematik und zur Ge-

wöhnung an die Programmbedienung. Sie wird deshalb verstärkt in den unteren Klassen eingesetzt.

Bei der Warenwirtschaft stehen für die Branchen Einzel- und Großhandel sowie Industrie eigene

Handreichungen zur Verfügung, die den jeweiligen Schwer punkten entsprechen. Bei der Handrei-

chung Produktionswirtschaft geht es, wie der Titel bereits verrät, um Produktionsprozesse bei der

Fertigung von eigenen Erzeugnissen. Die Handreichung Kostenrechnung ist auf einen Industriebe-

trieb abgestimmt und basiert auch auf dem Industriekontenrahmen.

In den Fachklassen für Verkäuferinnen und Verkäufern an Berufsschulen wird vorwiegend das Modul

Kasse (Point of Sale) mit den entsprechenden Auswertungen eingesetzt, z. B. Renner- und Penner-

listen sowie durchschnittlicher Umsatz pro Kunde, Stunde und Mitarbeiter. Bei den Einzelhandels-

klassen kommt die Warenbeschaffung im Modul Einkauf hinzu, in den Fachklassen für Groß- und

Außenhandelskaufleute tritt anstelle der Barverkäufe die Fakturierung. Im industriellen Bereich hat

neben Beschaffung und Verkauf schwerpunktmäßig die Produktion eine herausragende Bedeutung.

Für die kauf männischen IT-Berufe wird derzeit eine Handreichung erarbeitet, die neben der Bear-

beitung von Serviceverträgen, z. B. für PCs, zusätzlich die Programmierung von Berichten und Ein-

gabemasken beinhaltet. Diese didaktisch wertvolle Erweiterung ist durch die Überlassung einer so

genannten Entwicklerlizenz möglich. Das Modul Kostenrechnung ist für den Einsatz an Fach- und

Berufsoberschulen konzipiert und kann im Rahmen eines Projektunterrichts auch an Berufsschulen

eingesetzt werden. An den Wirtschaftsschulen wird im Unterricht schwerpunktmäßig die Finanz-

buchhaltung behandelt, die den praktischen Teil der RW-Abschlussprüfung am PC bildet. Darüber

hinaus finden die Module Einkauf, Lager und Verkauf in den Übungsfirmen Anwendung.

Die Handreichung Finanzbuchhaltung bietet nach einer kurzen Einführung in die Programmbedie-

nung einen – nach Schwierigkeitsgrad gestaffelten – Einstieg in die Buchführung: Die Palette reicht

von den einfachen Buchungen ohne Umsatzsteuer über die Buchung auf Personenkonten bis hin zur

Durchführung des Jahresabschlusses. Bei Letzterem kann man sehr anschaulich die Auswirkungen

von Buchungen auf G+V und Bilanz darstellen und die Berechnung von Kennzahlen wie Eigenkapi-

tal- oder Umsatzrentabilität mit Hilfe des Programms durchführen. Die Vorteile einer elektronischen

Buchführung sieht man am Beispiel einer Kreditorenzahlung: Es liegt ein Kontoauszug mit einer

Überweisung an einen Lieferanten vor, unter Abzug von Skonto. Da Roh- und Hilfsstoffe eingekauft

wurden, muss der Skonto beim konventionellen Buchungssatz entsprechend aufgeteilt werden. Im

Programm dagegen wird nur eine Zeile eingegeben, da Skontobuchungen und Steuerkorrektur au-

tomatisch durchgeführt werden.

Die Handreichung Warenwirtschaft ist ebenfalls nach dem Prinzip „vom Einfachen zum Schwieri-

gen“ aufgebaut: Nachdem sich der Schüler mit Hilfe von Arbeitsaufträgen, z. B. Erkundung wichtiger

Firmendaten, mit dem Programm vertraut gemacht hat, werden zunächst einfache Beispiele zum

Beschaffungs- und Verkaufsprozess angeboten. Erst später werden komplizierte Geschäftsvorfälle

bearbeitet. Mit Hilfe der Lagerregulierung kann der Lehrer die Vorgänge im Hintergrund aufzeigen,

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

208

da hier je nach Lagerabgangsmethode die Artikel mit den entsprechenden Einkaufspreisen bewer-

tet werden.

Bei der Bearbeitung einer Kundenanfrage könnte die Darstellung der Prozesskette folgendermaßen

aussehen: Da wir nicht genügend Artikel auf Lager haben, muss der Hauptprozess Anfrage, Ange-

bot, Auftrag, Lieferung und Zahlung durch einen Unterprozess ergänzt werden, d. h. vor der Liefe-

rung wird zusätzlich ein Beschaffungsvorgang eingeschoben. Da nicht genügend Artikel auf Lager

sind, muss bei der Bearbeitung des Kundenauftrags das System eine Warnmeldung ausgeben und

vor der Bestätigung des Auftrags einen automatischen Bestellvorschlag generieren. Aufgrund des

vorgegebenen Sicherheitsbestands werden vom System nicht die benötigten 16, sondern beispiels-

weise 21 Stück bestellt. Anschließend wird eine Bestellung ausgedruckt, der Kundenauftrag kann

bestätigt werden.

Beim Einsatz des Moduls Kasse sieht der Schüler – wie in seinem Geschäft – nur die Kassierungs-

maske, in die er zunächst nur einfache Kassiervorgänge eingibt. Im zweiten Schritt werden alle Son-

derfälle bearbeitet wie Anzahlungen, Gutscheine und Reklamationen. Bei den Auswertungen erhält

der Schüler einen erweiterten Zugang zum Programm. Er kann hier die einzelnen Auswertungen, wie

Renner- und Pennerlisten, Verkauf je Mitarbeiter (zu den einzelnen Tageszeit) etc. abrufen.

Beim Einsatz des Programms in Einzelhandelsklassen werden zunächst die Kassierungsvorgänge

wiederholt. Erst dann kann der Geschäftsprozess Beschaffung bearbeitet werden. Bei den Auswer-

tungen werden neben der Ermittlung der Renner- und Pennerlisten und des Verkaufs je Mitarbeiter

zusätzlich die Lagerumschlagshäufigkeit, die durchschnittliche Lagerdauer und die Handelsspanne

usw. berechnet.

Bei der Handreichung Produktion erfolgt zunächst ein kurze Erklärung der wichtigsten Begriffe. An-

schließend wird die Grunddatenverwaltung angeboten. Alternativ die Möglichkeit besteht, sofort mit

den folgenden Geschäftsprozessen zu beginnen:

1. Situation: Lagerverkauf

2. Situation: Auftragsabwicklung mit Produktion ohne Teilebeschaffung

3. Situation: Auftragsabwicklung mit Produktion und Teilebeschaffung

Während beim Lagerverkauf kein Produktionsprozess notwendig ist, werden bei der Produktion ohne

Teilebeschaffung alle für die Herstellung des Endprodukts benötigten Einzelteile dem Lager entnom-

men. Es kann sofort ein Fertigungsauftrag erstellt und freigegeben werden. Bei der Auftragsabwick-

lung mit Produktion und Teilebeschaffung muss vor Produktionsbeginn vom Programm ein automa-

tischer Bestellvorgang für die fehlenden Einzelteile ausgelöst werden. Erst nach Wareneingang wird

mit der Erstellung des eigentlichen Fertigungsauftrags der Produktionsprozess gestartet.

Abb. 2: Handreichung Produktion

Die Handreichung Kostenrechnung gliedert sich, wiederum nach Schwierigkeitsgrad gestaffelt, in

vier Bereiche:

1. Stammdatenarbeit (exemplarisch)

2. Kostenstellenrechnung mit Hilfe des einfachen BAB

3. Kostenstellenrechnung mit Hilfe des mehrstufigen BAB

4. Kostenstellenrechnung mit Hilfe des mehrstufigen BAB unter Einbeziehung der

Finanzbuchführung

Einsatz von ERP-Software im Unterricht in Bayern

209

Alle hier beschriebenen Handreichungen, Arbeitsblätter, Kopiervorlagen und Mandanten werden auf

der Homepage des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung unter http://www.erp-

software-bayern.de zum Download angeboten.

2.3. Fortbildung

Nach Fertigstellung von neuen Materialien, z. B. aufgrund des neuen Lehrplans für Industriekaufleu-

te, erfolgt die Einführung immer im Rahmen von Multiplikatorenlehrgängen, an denen mindestens

zwei Lehrer je Regierungsbezirk teilnehmen. Die Fortbildungsmaßnahme dauert meist eine Woche

und wird grundsätzlich von Mitgliedern des ISB-Arbeitskreises durchgeführt. Die Multiplikatoren ge-

ben ihr neu erworbenes Wissen anschließend im Rahmen von regionalen Fortbildungsveranstaltun-

gen an die Kollegen weiter.

Darüber hinaus werden an der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen zum

Thema ERP-Software auch Fortbildungen außerhalb der Multiplikatorenlehrgänge durchgeführt, um

insbesondere jungen Kollegen die Möglichkeit einer qualifizierten Fortbildungsmaßnahme zu bieten.

3. Ausblick

Inzwischen wurde in Bayern bei den Schularten, in deren Lehrpläne ein Softwareeinsatz im Unter-

richt verankert ist, eine Verbreitung des Softwareeinsatzes von etwa 80 % erreicht. Der Schwerpunkt

der künftigen Arbeit liegt daher in einer kontinuierlichen Verbesserung und Erweiterung der bereits

vorhandenen Materialien. Insbesondere ist geplant, eine Anpassung an neue Programmversionen

durchzuführen.

Außerdem befindet sich derzeit der Einsatz einer ERP-Software an den Wirtschaftswissen-

schaftlichen Gymnasien in Bayern im Planungsstadium, da in dieser Schulart aufgrund von aktuellen

Lehrplanänderungen neue Unterrichtskonzepte erforderlich sind.

Autor

Sailer, Edgar; Studiendirektor; Stellvertretender Abteilungsleiter Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, Grundsatzabteilung, Schellingstraße 155, 80797 München; Mail: [email protected]

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

210210

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 JahreHelmut Pscheidl-Schubert

Ausgangssituation 1998

Der Erfolg der Angebotes von SAP-Ausbildungen an österreichischen Schulen ist ganz sicher nicht

in einem oder wenigen Faktoren begründet, das Zusammenspiel vieler verschiedener positiver Ein-

flüsse war dafür entscheidend.

In der Folge wird versucht diese Rahmenbedingungen dar zu stellen und die Zusammenhänge sicht-

bar zu machen.

Das System der berufsbildenden Schulen in Österreich

In Österreich besteht seit teilweise mehr als 150 Jahren eine inhaltlich weit gestreute Landschaft

von Schulen, die nicht klassische allgemeinbildende Fächer als Kerngebiete des Lehrplans kennt,

sondern in verschiedensten Bereichen Spezialausbildungen anbietet. Dem Bildungsministerium, in

der Folge bmu:kk, sind in diesem „berufsbildenden Schulwesen“ folgende Schulen untergeordnet:

- Höhere technische Lehranstalten (HTL)

- Kaufmännische Schulen (Handelsakademien, HAK, und Handelsschulen, HAS)

- Humanberufliche Schulen (HUM)

- Im Rahmen der dualen Ausbildung - die Berufsschulen

Zum Landwirtschaftsministerium gehören die Landwirtschaftsschulen, z. B. Weinbauschulen et al.

Diese sind für den Bereich eduSAP.at aber ohne Bedeutung.

Die HTL und HUM unterteilen sich in eine große Vielfalt weiter spezialisierter Fachrichtungen, wie

Maschinenbau, Wirtschaftsingenieurwesen, Bauwirtschaft, Tourismus, etc. Aus den Bezeichnungen

kann man erkennen, dass auch hier Fachrichtungen zu finden sind, in denen ein Einsatz von SAP in

der Lehre fachinhaltlich nicht sinnvoll erscheint. Trotzdem gibt es einzelne Schulen, die SAP als Zu-

satzqualifikation anbieten, obwohl vordergründig kein Zusammenhang besteht.

Zum Beispiel wird in einigen Tourismusschulen sehr wohl SAP unterrichtet, obwohl im Tourismus in

Österreich, meiner Kenntnis nach, SAP nicht im Einsatz ist. In diesen Fällen kommt man oft zu der

Erkenntnis, dass nicht alle Absolventen im angestammten Bereich tätig sind und somit auch hier ein

gewisses Angebot durchaus erwünscht ist.

211

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre

211

Die grundsätzliche Struktur der Ausbildung in Österreich ist in der folgenden Grafik dargestellt.

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Hauptschule (ISCED 2)

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Allgemein bildende höhere Schule Oberstufe

(ISCED 3A)

Berufsbildende höhere Schule (ISCED 3A/4A)

Berufsbildende mittlere Schule

bis zu 4 Jahren (ISCED 3B)

Berufsschule (Lehrer) bis zu 4 Jahren (ISCED 3B)

Polytechnische Schule (ISCED 3C)

Reife- (und Diplomprüfung) [Matura] Studienberechtigungsprüfung, Berufsreifeprüfung

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Dr. PhD

MSc, MBA…

BEd

Aufbau des österreichischen Bildungssystems

ISCED: International Standard Classification of Education (UNESCO) * Beginn Schuljahr 2008/09

Q: BMUKK/BMWF Stand: Schul-/Studienjahr 2007/08 * Beginn Schuljahr 2008/09 Abbildung 1

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

212212

Inhaltlich ist besonders bedeutend, dass fachtheoretische Inhalte bereits als vorhandenes Wissen

vorausgesetzt werden können. Konkret bedeutet das, z. B. für die kaufmännischen Schulen, dass der

Ablauf von Angebot über Auftrag zu Lieferung und danach Fakturierung nicht im Rahmen des SAP-

Unterrichtes vermittelt werden muss, sondern bereits als Vorwissen in verschiedenen Jahrgängen, in

Fächern wie „Betriebswirtschaft“ oder „Rechnungswesen“, erlangt wurde. Begriffe wie „Stückliste“

oder „Stückkosten“ tauchen im Rahmen der HTL-Ausbildung nicht erstmals im ERP-System auf, son-

dern werden allenfalls wiederholt oder im Rahmen des SAP-Unterrichts in einzelnen Fallbeispielen

verwendet und mit Leben gefüllt. Selbstverständlich gibt es Schulen, die aus eigenem didaktischem

Zugang, bereits in der Grundausbildung, als auch zu betriebswirtschaftlichen Inhalten, SAP zur Ver-

anschaulichung der Abläufe verwenden.

Der Einsatz betriebswirtschaftlicher Software im Jahr 1998

Das Projekt nahm seinen Anfang im Bereich der Handelsakademien (HAK). Hier war seit vielen Jah-

ren an den meisten Schulen das System „Winline©“ der Firma Mesonic© im Einsatz. Manche Schu-

len unterrichteten auf dem System BMD der gleichnamigen Firma. Durch meist persönlich geprägte

Gründe waren aber auch an einzelnen Standorten andere Systeme im Einsatz.

Alle angewandten Produkte adressierten Klein- und Mittelunternehmen. Einerseits findet sich die

Begründung in der Struktur der österreichischen Wirtschaft, die stark klein- und mittelbetrieblich ge-

prägt ist, andererseits darf die technische Umsetzung in der Schule nicht vergessen werden.

Jede Software, die am Standort im schuleigenen lokalen Netzwerk betrieben werden kann, wird

als einfacher, handhabbar und kostengünstiger empfunden. Die Arbeitszeit eines technisch Ver-

antwortlichen (der Fachbegriff in Österreich ist Kustode), wird nicht von der Schule selbst, sondern

vom Schulerhalter, also vom bmu:kk, vom Bundesland oder einem privaten Schulträger, z. B. der

katholischen Kirche, finanziert. Ohne moderne Kostenrechnung fallen diese Arbeitszeiten also nicht

ins Gewicht. Obendrein ist der Kustode im direkten Zugriff der Direktion bzw. der Lehrerinnen und

Lehrer, wodurch der Anschein der Beeinflussbarkeit und des erleichterten Zugangs zu Informationen

entsteht.

Daher wurden damals vor allem die Pakete Winline und BMD gut unterstützt. Die Schulbuchverlage

boten und bieten noch heute gute Unterrichtsmaterialien an. Im Bereich der Fortbildung wurden von

den Pädagogischen Instituten, heute Pädagogische Hochschulen, verschiedene Lehrerseminare in

diesen Bereichen angeboten.

Dadurch, dass nur diese Softwareinstallationen im Lehrplan verankert waren, entstand eine gewis-

se Betriebsblindheit gegenüber neuen Software-Paketen, welche bereits in der Unternehmerwelt

eingesetzt wurden. Kurz: SAP wurde ignoriert, da in der österreichischen Struktur keine, oder nur

verschwindend wenig, vorhandene Installationen, anderer ERP-Standardsoftwarepakete bei Groß-

firmen vorhanden waren.

213

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre

213

Konzeption des Projektes eduSAP.at

Der Stadtschulrat für Wien richtete 1998 ein kleines Kernteam ein, das sich dem Thema SAP anneh-

men sollte.

Im Rahmen einer ersten Machbarkeitsstudie im Jahr 1999 wurde das Ziel definiert, dass Schülerin-

nen und Schülern die Möglichkeit und dafür benötigten Mittel geboten werden, um die, damals in der

Entwwicklung befindlichen, SAP Anwenderzertifizierungen zu absolvieren.Ob eine Schülerin oder ein

Schüler dann auch wirklich zur Zertifizierung antritt sollte im eigenen Ermessen liegen.

Als wesentlich wurden in aller Kürze die folgenden Punkte identifiziert:

- Klärung der maßgeblichen Inhalte und Curricula im Bereich Lehrerfortbildung

- Schaffung einer Unterlagensammlung zur Unterrichtsunterstützung

- Realisierung eines zentralen Serviceproviders für den Betrieb der SAP-Systeme

Zertifizierung im Klassenverband oder in einer benachbarten Schule

Um die oben genannten Punkte umsetzen zu können, mussten selbstverständlich strategische Über-

legungen zur langfristigen Finanzierung von eduSAP.at angestellt werden.

Lehrerfortbildung im Bereich SAP

Bereits nach dem Besuch weniger hauseigener SAP-Seminare von SAP-Education musste festge-

stellt werden, dass die Kurskonzepte aus dem Hause SAP nicht mit den Anforderungen des Schul-

bereiches kompatibel erschienen.

Hierfür sind mehrere Punkte ausschlaggebend:

- Das Ziel der im Hause SAP angebotenen Seminare ist es nicht Trainerinnen und Trainer aus zu

bilden. Das bedeutet, dass die didaktische Umsetzung des erlernten Inhaltes nicht den Fokus der

Seminare bildet. Auch ein besonderer Schulbezug kann nicht geliefert werden.

- Die Seminare von SAP liefern letztlich eine sehr detailreiche Ausbildung mit einem großen inhaltli-

chen Tiefgang. Für den Unterricht an Schulen ist dieser Tiefgang nicht im gleichen Ausmaß erfor-

derlich. Dafür muss eine Lehrerin oder ein Lehrer relativ bald eine umfangreiche inhaltliche Breite

über verschiedene Module hinweg vermitteln können. Um diese Breite zu gewährleisten, müssten

aber viele verschiedene SAP-eigene Seminare besucht werden, wobei auch ein großer Anteil, für

den Unterricht, nicht benötigtes Wissen erworben wird.

- Im Sinne des Aufrechterhaltens des Unterrichtsbetriebes an der Schule, war für die Direktionen

ein Fernbleiben vom Unterricht in diesem Ausmaß nicht tolerierbar. Es musste hier eine zeitlich

kompaktere Form der Lehrerseminare an geboten werden.

Gleichzeitig war es erforderlich die SAP-eigenen Seminare für Lehrerinnen und Lehrer zu öffnen, um

die Ausbildung von besonders Interessierten im Einzelfall zu ermöglichen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

214214

Das seit 2001 mit regelmäßigen Adaptierungen gültige Ausbildungskonzept ist in seinen Grundzügen

wie folgt darstellbar:

SAP-Grundlagen II

SAP FI II

SAP-Financial Acounting I

SAP-ÜFA

SAP-CO II

SAP- Controlling I

SAP-MM II

SAP-SD II

SAP-Grundlagen I

SAP-Case Studies

Abbildung 2

Jeder Interessierte muss verpflichtend zu Beginn einen 2-wöchigen Grundlagenkurs besuchen. Ziel

dieser Veranstaltung ist es, einen Überblick über SAP zu erlangen. Bereits in der ersten Kurswoche

sind viele Arbeiten am System in verschiedenen SAP-Modulen eingeplant. Damit wird ermöglicht,

dass nach bereits zwei Wochen, mit entsprechender nachfolgender Vorbereitung im Selbststudium,

ein einstündiger SAP-Unterricht an der Schule gehalten werden kann, der ca. 30-35 gehaltenen Lehr-

einheiten entspricht. Nach einiger Erfahrung ist auch die Vorbereitung auf das Absolvieren des SAP

Foundation Level Zertifikats möglich.

Die weiterführenden Kurse sind in der Grafik nur exemplarisch dargestellt. Das konkrete Kursange-

bot wird einmal jährlich überarbeitet und an die Bedürfnisse bzw. an die konkrete Nachfrage ange-

passt. Der einzige fixe Bestandteil ist der 2-wöchige Grundkurs. Ohne Teilnahme an diesem besagten

Grundkurs darf der Lehrende weder die Inhalte an Lernende weitergeben, noch ihnen den Zugang

zum SAP System beschaffen.

Alle weiterführenden Ausbildungen sind nicht verpflichtend. Das hat dazu geführt, dass sich in vie-

len Schulen ein zweigeteiltes Ausbildungsniveau in der Lehrerschaft entwickelt hat. Einerseits unter-

richten Lehrerinnen und Lehrer, die „nur“ über die Grundausbildung verfügen, einführende Inhalte

in den unteren Klassen oder an Schulen, die sich SAP nur im Rahmen für Schnupperkursen nähern.

Andererseits gibt es Lehrerinnen und Lehrer, die viele verschiedene Ausbildungen absolvierten und

vielfältige Bereiche abdecken und den Kollegen an der Schule, oder teilweise auch schulübergreifend

in Arbeitsgemeinschaften, Vorschläge für Neuerungen machen oder sie bei der Umsetzung beraten.

215

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre

215

Erfolgreich ist das Fortbildungsmodell vor allem aus folgenden Gründen:

- Die Auswahl der SAP-Inhalte erfolgt angepasst an die danach zu unterrichtende Zielgruppe der

14- bis 19-Jährigen mit betriebswirtschaftlich-technischem Vorwissen (in den Lehrerseminaren

wird kein theoretischer Input im Bereich der Betriebswirtschaftslehre gegeben)

- Die Vortragenden in den Seminaren sind möglichst selbst Lehrerinnen und Lehrer, damit sie so-

fort auf schulbezogene Fragen, wie Stundenplangestaltung, für den SAP-Unterricht, Benotung

oder auch zur Umsetzung einzelner Beispiele in unterschiedlichen Jahrgängen eingehen können.

- Es bestehen keine Einschränkungen in der Anpassung der Kursinhalte an die verschiedenen Er-

fordernisse des Schulunterrichtes.

- Ausgewählte Lehrerinnen und Lehrer können nach dem Stand-by-Verfahren kostenfrei SAP-Kur-

se aus dem Standardangebot von SAP-Education in Wien besuchen. Damit wird auch die Ausbil-

dung einer schulischen SAP-Elite gefördert, die durchaus eine Katalysatorfunktion in der Weiter-

entwicklung übernehmen kann.

Unterrichtsmaterialien

Bereits zu Beginn von eduSAP.at war die Frage nach, für den Unterricht vorgesehenen, Unterlagen

und das Customizing (Einstellung) des SAP-Systems ein entscheidender Punkt. Es war für Lehre-

rinnen und Lehrer unzumutbar allein in Eigenproduktion ein vielfältiges Set von Unterlagen für den

SAP-Unterricht zu erstellen und vor allem immer einen neuen Mandanten zu customizen. Folgende

Anforderungen wurden, kurz gefasst, an das SAP-System gestellt:

- Abbildung der österreichischen Gesetzgebung (=Lokalisierung) z. B. österreichischer Einheits-

kontenrahmen; Umsatzsteuer-Sätze; u.v.a.m.

- Es müssen gepflegte Stammdaten für die Realisierung von Übungsbeispielen, vorhanden sein,

damit Schüler und Schülerinnen realitätsnah arbeiten können. Dies müssen die üblicherweise

kryptischen Nummernstrecken durch einfache logische Wege ersetzen.

- Die grundsätzliche Prämisse des Diktates der didaktischen Hochwertigkeit vor der softwaretech-

nischen Tiefe sollte verfolgt werden.

Diese Forderungen wurden insbesondere im ersten Jahr des SAP-Unterrichtes (2001) laut. Mit Ein-

verständnis von SAP-Österreich wurde 2001 die Standardschulungsumgebung IDES von SAP ver-

wendet. In diesem international ausgerichteten System wird auf die oben erwähnten zielgruppenab-

hängigen Anforderungen keine Rücksicht genommen. Dafür ist die funktionale Ebene deutlich aus-

geprägter, als sie für den Unterricht notwendig wäre.

Als Reaktion darauf hat das Bildungsministerium (bmu:kk) über Projektgelder die Schaffung eines ei-

genen SAP-Schulungsmandanten mit Unterlagen finanziert. In den Jahren 2001 bis 2003 wurden das

Customizing und die Daten für den Einsatz im österreichischen Schulwesen geschaffen. Parallel dazu

wurden Unterrichtsmaterialien erstellt, die auf diesen SAP-Mandanten referenzieren.

Ein System wie SAP ist permanenten Veränderungen unterzogen. Einmal ist ein Versionswechsel

notwendig, das nächste Mal sind Fehlerkorrekturen oder auch das Einpflegen neuer Beispiele nötig.

Da das bmu:kk nach 3-Jahren keine Möglichkeit gesehen hat, weitere Projektgelder für die Aktuali-

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

216216

sierung zur Verfügung zu stellen, war das damalige System mit dem Wechsel von der SAP Version 4.6

auf ECC 6.0, im Schulbereich, am Ende seines Lebenszyklus angekommen.

Im Rahmen der Kooperation zwischen dem Verein Business Software Austria und der Technischen

Universität Wien, die in Österreich SAP-Systeme für Universitäten und Fachhochschulen zur Verfü-

gung stellt, wurde die Schaffung eines neuen Schulungsmandanten (ACME) mit dazu passenden

Unterlagen beschlossen.

Der Betrieb des Altsystems wurde, bis auf den Bereich der Übungsfirmen, die mit SAP betrieben

werden, eingestellt. Seit Sommersemester 2008 können die Schulen zwischen dem System ACME

der Technischen Universität und dem System biz:ADES Enterprise des SAP-Education Partners

biz:Consult wählen. biz:ADES Enterprise wird an allen Einrichtungen der Erwachsenenbildung in Ös-

terreich, Kroatien und Ungarn benutzt.

Das Prinzip, einen SAP-Mandanten mit vorbereiteten Einstellungen und dazu passenden Unterla-

gen zu nutzen, ist bei beiden Systemen gleich. Die Unterschiede sind in der Unterlage selbst, vor

allem der didaktischen Form der Beispiele und theoretischen Erklärungen, sowie in den im SAP-

Mandanten ein gepflegten Beispieldaten ersichtlich. Weiterentwicklungen müssen von der TU selbst

getragen werden. biz:ADES Enterprise ist aus dem Business Modell der Privatwirtschaft langfristig

finanziert und damit einer permanenten Qualitätskontrolle und den entsprechenden Weiterentwick-

lungen unterzogen.

Eine detailliertere Darstellung würde aber den Anspruch an eine zusammenfassende Übersicht

sprengen. Der Verein Business Software Austria betrachtet den Bereich der Unterlagen- und Sys-

temabdeckung durch zwei konkurrenzierende Anbieter auf hohem Niveau als gelöst. Nach derzeiti-

gem Stand wählen im Schuljahr 2009/10 (also im ersten Jahr des Angebots beider Systeme), ca. 60%

das bereits bekannte System der TU und 40% das neu angebotene Systeme biz:ADES Enterprise der

Firma biz:Consult.

Serverbetrieb

Der Verein Business Software Austria ist eine vertragliche Bindung mit SAP-Österreich eingegangen.

Das bedeutet, dass Business Software Austria ein sogenanntes ECC (Education Competence Center) ist.

Kernaufgabe eines ECC ist die Versorgung von öffentlichen Bildungseinrichtungen, über ein hosting-

Modell, die keine Business Modelle (auch wenn sie nur langfristig keine Gewinne erwirtschaften dür-

fen) verfolgen (diese Definition wird sehr eng ausgelegt), mit SAP-Systemen. Das ECC ist zwar zur

Einhaltungen verschiedenster Qualitätskriterien verpflichtet und erhält weder Förderungen der öf-

fentlichen Hand noch von SAP, darf aber dafür nach einem Selbstfinanzierungsmodell SAP-Systeme

ohne Bezahlung von SAP-Lizenzentgelten nutzen.

Zu Beginn der SAP-Ausbildung in Schulen hat der Verein eine Anschubfinanzierung des bmu:kk er-

halten. Damit wurden die ersten Server angeschafft. Mittlerweile ist die zweite, aus Vereinsgeldern

selbst finanzierte, Server-Generation im Einsatz und wird von einem Beratungsunternehmen als Auf-

tragsarbeit gewartet.

Auf den Vereinsservern ist das ACME-System der TU installiert, die biz:ADES Enterprise-Systeme

werden von biz:Consult auf eigenen Servern gehostet. Beide Betreiber sind vertraglich verpflichtet

217

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre

217

den qualitativen Anforderungen des Vereins und von SAP zu genügen und die Verantwortlichkeiten

eines ECC um zu setzen.

Durch die oben beschriebenen Regelungen und die große Zahl an angeschlossenen Schulen ist es

möglich kostengünstig zu verrechnen. Für ca. 11 Kalenderwochen, deren Beginn frei gewählt werden

kann, werden derzeit inklusive Umsatzsteuern 555,90 € verrechnet. Mit diesem SAP-System können

ca. 20 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Die Anzahl der Unterrichtseinheiten ist nicht

vorgegeben, das bedeutet, dass manche Schulen diese „Zeitscheiben“, je nach Stundenplangestal-

tung, für bis zu 90 Unterrichtseinheiten nutzen können.

Statistisch gesehen, kauft eine, an eduSAP.at beteiligte, Schule mehr als 3 SAP-Mandanten im Schul-

jahr. Daraus folgt, dass das Preismodell tendenziell Schulen mit weniger Schülerinnen und Schüler

bevorzugt und damit den Zugang zu eduSAP.at deutlich erleichtert und von der Schulgröße unab-

hängig macht. Nichts desto trotz werden die Kosten von den Schulen als kritische Größe betrachtet.

Ein genauerer Blick auf die schulische Umsetzung

Darstellung in statistischen Größen

Die unten dargestellte Grafik zeigt die Entwicklung der Schülerzahlen seit Beginn des SAP-Unterrich-

tes an österreichischen Schulen.

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1000

2000

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2001/02 2002/03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07 2007/08 2008/09Students 600 2.100 3.500 5.000 5.800 6.000 6.200 6.500

600

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Abbildung 3

Als Vergleich muss festgehalten werden, dass im berufsbildenden Schulwesen jährlich ca. 20.000

Schülerinnen und Schüler die Schulzeit erfolgreich absolvieren, d.h. ca. 30% aller Absolventinnen

und Absolventen im Bereich der berufsbildenden Schulen haben zumindest eine einführende SAP-

Ausbildung genossen. Die Meisten sind deutlich über eine Einführung hinaus ausgebildet, manche

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

218218

haben weiterführenden Zertifizierungen durchlaufen und sind damit durchaus als sehr gut ausgebil-

dete SAP-Anwender zu bezeichnen.

Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt hier bei technischen Lehranstalten und den Handelsakademi-

en. Lediglich ca. 1.500 Schülerinnen und Schüler werden in HUM oder auch im Rahmen der Berufs-

schule im dualen System ausgebildet.

Rahmenlehrpläne – vom SAP-Schnuppern bis zum Zertifikat

Das österreichische Schulwesen kennt das Konstrukt des Rahmenlehrplans. Vereinfacht dargestellt

gibt der Lehrplan inhaltlich eine klar definierte Richtlinie vor, die aber nicht stark ausdifferenziert ist,

sodass nicht ausreichend Freiraum zur Präzisierung und zur Auswahl von Inhalten bleibt. Vor allem

die angewandte Software wird meist nicht definiert, wodurch ein großer Spielraum zur Weiterent-

wicklung entsteht. Beispielhaft soll diese Logik am 2. Jahrgang HAK erläutert werden.

Exemplarischer Auszug aus dem Lehrplan 2. Jahrgang Handelsakademie, veröffentlicht im Bundes-

gesetzblatt. II Nr. 291, vom 19. Juli 2004

Anlage A1:

I I. Jahrgang:

- Anschaffung von Anlagegegenständen.

- Begriff und Ursachen der Anlagenabschreibung; Berechnung und Verbuchung inklu-

sive

- Anlagenbuchführung.

- Sonderfälle der Anlagenbewertung, z. B. Erhaltungs- und Herstellungsaufwand, Aus- z. B. Erhaltungs- und Herstellungsaufwand, Aus-

scheiden von Anlagen.

- Rechnungsabgrenzung.

- Rückstellungen.

- Forderungsbewertung.

- Abschluss von Einzelunternehmen (nach Möglichkeit computerunterstützt) mit Ver-

schränkung zu

- Rechtsformen der Unternehmung im Pflichtgegenstand „Betriebswirtschaft“.

- Um- und Nachbuchungen mit außerbücherlicher Erfolgsermittlung; Abschlusstabelle;

Bilanz

- einschließlich staffelförmiger Gewinn- und Verlustrechnung.

- Buchungsübungen

Anlagenbewertung:

Basislehrstoff:

Grundzüge der Bewertung:

- Allgemeine Bewertungsvorschriften

- Waren- und Materialbewertung (Abfassungsprinzipien)

219

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre

219

Neben allen inhaltlichen Festlegungen können folgende Punkte aus diesem exemplarischen Auszug

erkenntlich gemacht werden:

1. Die Software, die im Bereich des computerunterstützten Rechnungswesens verwendet wird, ist

nicht vorgegeben.

2. Die Verwendung einer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware ist verpflichtend, aber sehr un-

konkret in Bezug auf das Ausmaß, den Einfluss auf die laufende Beurteilung (Mitarbeit) und den

unterrichteten Inhalt formuliert.

3. Eine Schularbeit muss unter Einsatz der angewandten Software abgewickelt werden.

Dadurch ist es in einem speziellen Rahmen möglich, bis zu 2/3 des theoretischen Stoffgebietes un-

ter Verwendung von SAP zu unterrichten. Ebenso abgedeckt wäre natürlich nur ca. 20% mit Soft-

wareunterstützung zu unterrichten und exakt den Lehrstoff der entsprechenden Schularbeit mit einer

Software zu unterstützen.

Computerunterstütztes Rechnungswesen:

- Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit des computerunterstützten Rechnungswe-

sens;

- Organisation des Rechnungswesens bei Einsatz einer Datenverarbeitungsanlage.

- Verbuchung von laufenden Geschäftsfällen einschließlich Lager- und Anlagenbuch-

führung

- (Eröffnung, laufende Buchungen, Fakturierung und Verwaltung offener Posten) an-

hand einer

- Belegsammlung; einfache Abschlussbuchungen; Bilanz einschließlich staffelförmiger

Gewinn- und

- Verlustrechnung; laufende Datensicherung.

- Betriebswirtschaftliche Fallstudien.

Erweiterungslehrstoff:

- Verbuchung der Abschreibung nach der indirekten Methode. Vertiefende Abschluss-

buchungen.

IT-Bezug:

- Bearbeitung der Lehrstoffinhalte computerunterstützt.

- Betriebswirtschaftliche Standardsoftware.

Übungsfirmen-Konnex:

- Sämtliche Lehrplaninhalte bilden die Grundlage für die Übungsfirmenarbeit.

Schularbeiten:

- Drei einstündige Schularbeiten, eine davon im Teilbereich computerunterstütztes

Rechnungswesen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

220220

Diese Freiheiten sind selbstverständlich im Bereich Betriebswirtschaft und im Rahmen einer e-Busi-

ness Ausbildung gestaltet.

Die österreichischen Schulen wählen verschiedene schultypenunterschiedliche Lösungen, um den

SAP-Unterricht zu verankern. Typischerweise werden folgende Varianten gewählt, wobei die unter-

schiedlichsten Mischformen bestehen:

1. Einbau des SAP-Unterrichtes in den Regelunterricht durch Interpretation des Rahmenlehrplanes.

2. Schaffung eines eigenen SAP-Freifachs, als unverbindliche Lehrveranstaltung, gegen Ende der

Schulausbildung. Dazu genügt, ein in der Schule selbst verfasster, Lehrplan und ein Beschluss

des Schulgemeinschaftsausschusses (SGA=demokratisches Gremium mit Vertretern von Leh-

rern, Schülern und Eltern, das in ausgewählten Fällen über schulische Belange befragt werden

muss.)

3. Eine Mischung aus 1. und 2., wobei die SAP-Grundausbildung im Pflichtfachbereich verankert

wird und die Spezialisierung/Vorbereitung zur Zertifizierung erfolgt im Freifachbereich.

Ein wichtiges Element ist auch, dass damit verschiedene SAP Anwenderzertifizierungen für Schüle-

rinnen und Schüler erreichbar sind. Trotzdem nutzen nur verhältnismäßig wenige Schülerinnen und

Schüler die Möglichkeit zu diesen Zertifizierungen. Einerseits liegt das sicher am subjektiv als hoch

wahrgenommen Preis (160,- vergünstigt über den Verein Business Software Austria, der auch Zerti-

fizierungspartner ausschließlich für Schulen ist). Andererseits ist die Zertifizierung, vor allem in den

fachinhaltlich weiterführenden Bereichen, nicht leicht zu bestehen, daher wird nur den besten Schü-

lerinnen & Schülern der Antritt empfohlen. Letztlich führt das zu atemberaubenden Erfolgsquoten

von 90% und mehr erfolgreichen Antritten pro Prüfungstermin. Dieser Wert ist in der Erwachsenen-

bildung nur sehr selten erreichbar. Aus der folgenden Grafik kann die Entwicklung der Zertifikatsan-

tritte über die letzten Jahre ersehen werden:

0

50

100

150

200

250

300

2001/02 2002/03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07

2

118

165

263275

261

Abbildung 4

221

SAP-Unterricht in der Sekundarstufe zwei – der Österreichische Weg der letzten 7 Jahre

221

Ausblick

Allgemeine Bemerkungen

Seit langem ist eduSAP.at aus der Projektphase heraus getreten und zum fixen Bestandteil der öster-

reichischen Schullandschaft geworden. Im Rahmen der selbst finanzierten Abwicklung von Providing

und System-/Unterlagenentwicklung sind auch hier langfristig die Weichen gestellt.

Neuerungen sind durch die Integration neuer Schultypen, möglicherweise der ersten allgemeinbil-

denden Schulen denkbar. Die Eintrittsbarrieren sind in diesem Bereich allerdings bei Weitem höher,

da in diesem Schultyp keine direkt verwertbare wirtschaftliche Ausbildung im Standardlehrplan vor-

gesehen ist.

Lehrerfortbildung

Die Aus- und Weiterbildung von Lehrern in Österreich wird derzeit zu ca. 60% von SAP getragen,

40% trägt das bmu:kk. Damit wurde die Grundausbildung von ca. 600 Lehrerinnen und Lehrern fi-

nanziert. Derzeit, aufgrund einiger Budgetkürzungen, ist zumindest nicht von einem Wachstum der

zur Verfügung stehenden Mittel aus zu gehen.

Allerdings muss auch angemerkt werden, dass bis auf die oben erwähnten allgemeinbildenden

Schulen der Markt bis zu einem gewissen Grad bereits gesättigt ist. Grundlagenkurse werden re-

gelmäßig angeboten, weiterführenden Schulungen werden dem wechselnden Bedarf angepasst.

Trotzdem ist in diesem Bereich der Ansturm nicht mehr im gleichen Ausmaß zu erwarten wie in den

Anfangsjahren. Mit bis zu 60 Lehrerinnen und Lehrern auf Wartelisten bei ca. gleicher Anzahl an zur

Verfügung stehenden Seminarplätzen pro Jahr entsteht eine Wartezeit von ca. 1 Jahr auf eine Se-

minarteilnahme.

Neue Themen bei eduSAP.at

Eine Neuerung im laufenden Schuljahr ist das Angebot einer Prozessmanagementausbildung zur

Komplettierung der SAP-Ausbildungen im betriebswirtschaftlichen Kontext. Hier wird der Ver-

such unternommen in SAP abbildbare Prozesse basierend auf schulischen Beispielen z. B. aus der

Übungsfirma, zu analysieren, zu optimieren und danach mit SAP-Mitteln ab zu bilden. Übungsfirmen

sind virtuelle Unternehmen, die den Schülerinnen und Schülern die Arbeitswelt realitätsbezogen nä-

her bringen sollen. Die dazu nötige Methode wird mit einer Zertifizierung von der betriebswirtschaft-

lichen Gesellschaft (BEWIG) angeboten und wird ab nächstem Schuljahr an einer Wiener Handels-

akademie eingesetzt.

Die zweite Neuerung ist die Erweiterung der Inhalte um den Bereich Human Ressource (SAP HR).

Diese Möglichkeit ist durch das Angebot der Firma biz:Consult, biz:ADES Enterprise Systeme und

Unterlagen auch für Schulen zugänglich zu machen, erreicht. Das Schulungssystem ACME der TU

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

222222

Wien deckt das HR-Modul nicht ab, dadurch konnte gerade für die Handelsakademien ein weiterer

„weißer Fleck“ auf der SAP-Landkarte versorgt werden. In den Handelsakademien ist Personalver-

rechnung unter Softwareeinsatz verpflichtend im Lehrplan vorgesehen. Auch in der Übungsfirma ist

die Abrechnung der Gehälter mit einer Software verpflichtend. Hier war diese Neuerung besonders

drängend, da mehrere Schulen SAP in Übungsfirmen einsetzen und für die Personalverrechnung

Fremdprodukte einsetzen mussten.

Technische Neuerungen im Bereich des Systemproviding

Derzeit werden die ersten Versuche durchgeführt um im Schuljahr 20010/11 einen Zugriff auf die

SAP-Systeme von Business Software Austria über Remote Desktop Verbindungen zu ermöglichen.

Der wichtigste Punkt ist dabei der Schutz der im Einsatz befindlichen Software vor unrechtmäßigem

Zugriff beziehungsweise die strikte Vorgabe, welche eine SAP Installation auf privaten Rechnern ver-

bietet, da die Geräte von Schülern nicht in einer gesicherten Umgebung stehen und sich auch jedem

Zugriff durch Lehrer entziehen.

Weitere entscheidende Themen sind die Leistungsfähigkeit der Internetverbindungen des Vereins

und die Leistungsfähigkeit der Server selbst.

Autor

Pscheidl-Schubert, Helmut; MMag.; Obmann SAP-Koordinator i.A. des bmu:kk; Business Software Austria - Verein zur Förderung des Einsatzes betriebswirtschaftlicher Standardsoftware in Österreich; Donau City Straße 1; A-1220 Wien; Mail: [email protected]

223

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?

223

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMwareEin Beitrag zum zentralen technischen Support?Christoph Hölzlwimmer

Durch den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer modernen Informationsgesellschaft sind compu-

terbasierte Medien zu einem wichtigen Bestandteil der heutigen beruflichen Realität avanciert. Diese

Veränderungen berühren in besonderem Maße auch die Gestaltung des Unterrichts an beruflichen

Schulen. So stellen Natland und Kerres (2006, S. 422) fest, dass EDV nicht mehr nur im klassischen

Informatikunterricht, sondern auch fachbezogen und –übergreifend zum Einsatz kommt.

Die jährliche Survey über die IT-Ausstattung an Schulen quantifiziert diesen Bedeutungszuwachs be-

eindruckend. Demzufolge hat sich die Computeranzahl an beruflichen Schulen von 2003 bis 2006 auf

ca. 297.000 Stück mehr als verdoppelt (Krützer & Probst, 2006, S. 43).

Dieser Anstieg lässt sich sehr exakt durch diverse Förderprogramme zu Beginn des neuen Jahrtau-

sends begründen, die den geänderten Anforderungen an den schulischen IT-Einsatz Rechnung tra-

gen sollen. Allerdings wurden die erheblichen Investitionssummen meist nur für Neuanschaffungen

bereitgestellt. Es wurde dagegen meist nicht beachtet, dass EDV-Systeme nach der Anschaffung

hohe Folgekosten bedingen. So geht etwa Große (2005, S. 35) davon aus, dass jährlich mit zehn Pro-

zent der Investitionssumme für den technischen Support zu rechnen ist. Grepper und Döbeli (2001,

S. 13) stellen fest, dass die Laufzeit eines Schulrechners bei etwa fünf bis sechs Jahren liegt. Nach

dieser Zeit wird eine Ersatzbeschaffung von Nöten sein.

Aus der kurz geschilderten Problematik wird ersichtlich, dass in Zukunft, neben die generelle Aus-

stattung der Schulen mit moderner Hard- und Software, auch die Fragestellung treten muss, wie die

Schulbudgets im Bereich der laufenden Kosten entlastet werden können.

Virtualisierung

Eine Möglichkeit, Kosten zu senken, die sich in den vergangenen Jahren vor allem in Unternehmen

mehr und mehr durchgesetzt hat, ist die Virtualisierung. Die Informatik versteht unter diesem Begriff,

dass mit Hilfe von Hard- und Software physisch nicht existente Systeme erzeugt werden. In einer

einfachen Form dürfte dies vielen von ihrem PC-Betriebssystem bekannt sein, das bei zusätzlichem

Arbeitsspeicherbedarf eine virtuelle Auslagerungsdatei auf der Festplatte erstellt.

Wenn im Folgenden von Virtualisierung gesprochen wird, geschieht dies aber immer im Zusammen-

hang mit Virtuellen Maschinen, so genannten VMs. Eine VM stellt dabei einen künstlich erzeugten

Computer dar, der auf einem physisch vorhandenen Computer, dem Host-System, aufsetzt.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

224224

Virtualisierungsschicht

Gastbetriebssystem

Betriebssystem des Host

physikalischer Server (Host)

Anwendungen Anwendungen Anwendungen

Gastbetriebssystem Gastbetriebssystem

Virtuelle Maschine Virtuelle MaschineVirtuelle Maschine

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Virtualisierung von Rechner

Das Hauptargument, wieso überhaupt auf Virtualisierung zurückgegriffen wird, liegt in der Trennung

der tatsächlichen von den für den Benutzer sichtbaren Ressourcen. Kurz gesagt bedeutet dies, auf

einem einzigen real existierenden Computer können mehrere VMs gleichzeitig nebeneinander be-

trieben werden. Mit dieser Vorgehensweise sind laut Betzler (2007, S.106f.) unterschiedliche Vorteile

verbunden:

- Es kommt zu einer Kostendegression bei der Verwaltung der IT-Hardware. Administratoren müs-

sen hierbei weniger physisch vorhandene Hardware verwalten, da auf einem Hostsystem mehrere

Gastsysteme betrieben werden.

- Es kommt zu einer besseren Auslastung der tatsächlichen Ressourcen, so dass die Kosten für die

eingesetzte Hardware sinken. Dies spielt vor allem im Bereich teurer Serverprodukte eine erheb-

liche Rolle.

- Die Virtuellen Maschinen können schnell an neue Anforderungen angepasst werden. Flexibilität

muss nicht teuer durch die Beschaffung neuer Hardware erworben werden. Dies führt wiederum

zur Kostendegression.

- Die Hardware besticht durch eine hohe Verfügbarkeit. Sogar im Falle des Supergaus für jedes IT-

System, dem Ausfall eines physischen Servers, ist eine VM innerhalb weniger Minuten auf einem

anderen Server des IT-Pools wieder einsatzbereit.

- Letztendlich besteht eine hohe Skalierbarkeit der Ressourcen, die mit herkömmlichen Mitteln

nicht zu erreichen ist.

225

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?

225

Die Virtualisierung bringt also unübersehbare Vorteile in einer sich rasch weiterentwickelnden IT-Welt

mit sich. Das Marktforschungsinstitut Butler Group (2007, S. 7) geht in einer 2007 veröffentlichten

sogar Studie davon aus, dass die Virtualisierung bis Ende 2010 zur dominierenden Technologie in

Rechenzentren geworden ist, da durch sie Kosten reduziert und gleichzeitig die Flexibilität gesteigert

werden kann.

Bereitstellung von virtuellen Arbeitsplätzen

Im Rahmen einer Praxisfallstudie sollte ermittelt werden, ob sich die in Unternehmen eingesetzte Vir-

tualisierungstechnologie und Netzwerkarchitektur auch im schulischen Bereich bewährt.

Kernstück der Hardware für die Teststellung bildete ein Sun Bladeserver, der am Rechenzentrum

der Universität Erlangen-Nürnberg gehostet wurde. Dieser Server, ausgestattet mit zwei AMD Dual-

Core CPUs, die mit einer Taktfrequenz von 2,613 Ghz betrieben werden, und einem 32 GB großer

Arbeitsspeicher, beherbergt die Vitalisierungslösung VMware Infrastructure 3 des amerikanischen

Unternehmens VMware Inc. Dieses Produkt wird vor allem zur Virtualisierung und Konsolidierung

von Rechenzentren verwendet. Als Datenspeicher wurde mit Hilfe des iSCSI1-Protokolls ein Hewlett-

Packard DL320s Storage-Server angebunden. Dieser verfügte über eine Speicherkapazität von etwa

1,4 Terabyte.

Wichtigster Bestandteil des Infrastructure Pakets ist der VMware ESX-Server. Dieser basiert auf ei-

nem rudimentären Red Hat Linux Kernel und bringt so den Vorteil mit sich, kein Host-Betriebssystem

zu benötigen, auf dem die Virtualisierungsebene betrieben wird. Vielmehr stellt der ESX-Server das

Betriebssystem des physischen Servers selbst zur Verfügung (Abb. 1).

Für die Teststellung im Rahmen der Praxisfallstudie wurden im Folgenden auf dem ESX-Server drei

VMs erstellt. Die Konfiguration einer neuen VM muss dabei nicht vor Ort am physischen Server er-

folgen, sondern kann auf eine bequeme Art und Weise über das Internet geschehen. Einzige Voraus-

setzung dafür ist die Installation des Dienstprogramms VI-Client auf dem Computer. Der eigentliche

Konfigrationsprozess ähnelt sehr dem Zusammenstellen eines herkömmlichen PCs. Auch hier muss

für die Hauptkomponenten der VM, wie etwa die Anzahl der CPUs, die Größe der Festplatten oder

des Arbeitsspeichers, wie in Abbildung 2 dargestellt, eine Auswahl getroffen werden.

1 Internet Small Computer System Interface – Der große Vorteil von iSCSi besteht darin, dass Daten zwischen Anwen-Internet Small Computer System Interface – Der große Vorteil von iSCSi besteht darin, dass Daten zwischen Anwen-

dungs- und Storageserver über das TCP/IP-Protokoll versendet werden können.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

226226

Abbildung 2: Auswahl der Arbeitsspeichergröße (VMware Inc.)

Dieser Konfigurationsprozess ist auch für Ungeübte schnell zu durchlaufen, so dass die eigentliche

Bereitstellung einer neuen VM durch den ESX-Server unter 15 Minuten zu bewerkstelligen ist.

Wie bereits erwähnt, wurden drei VMs auf dem ESX-Server erzeugt, auf denen jeweils das Microsoft

Betriebssystem Windows Server 2003 Enterprise Edition installiert wurde. Einzig die Rollen, die die

jeweiligen VMs übernahmen, unterschieden sich. So wurde auf der ersten VM, die mit vier virtuellen

CPUs, 8 GB Arbeitsspeicher und einer 40 GB großen Festplatte konfiguriert war, ein Windows 2003

Terminalserver installiert. Dieser stellte den zentralen Anwendungsserver für die spätere Testphase

dar. Die VM Nummer zwei wurde zum Windows 2003 Domänencontroller2 hochgestuft. Auf der drit-

ten VM, war ein Storage-Server beheimatet, der zentral alle Benutzerprofile und Daten der Domäne

erfasste. Sowohl die VM des Domänencontrollers als auch die des Storage-Server waren, im Ver-

gleich zum Terminalserver, mit deutlich weniger Rechenleistung ausgestattet.

Es war geplant, dass in der späteren Testphase an einer beruflichen Schule die Schüler auf den Com-

putern vor Ort eine Remote Desktop Verbindung3 auf den virtuellen Terminalserver herstellen und

dort in einer gewohnten Windows-Umgebung arbeiten.

2 Ein Windows 2003 Domänencontroller arbeitet zusammen mit dem Verzeichnisdienst Active Directory in etwa wie

ein „Telefonbuch“. Es werden Netzwerkressourcen (Drucker, Benutzer, usw.) mit Informationen verbunden (Knecht-

Thurmann, 2003, S.23). Die Namensauflösung erfolgt über DNS, weshalb oft auch von DNS-Servern gesprochen wird

3 Mit einer Remote Desktop Verbindung wird über das zugehörige Remote Desktop Protokoll eine Verbindung zu einem

entfernten Computer aufgebaut. Der Desktop dieses entfernten Computers kann damit ferngesteuert werden.

227

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?

227

Praxisfallstudie an der Ludwig-Erhard-Berufsschule Fürth

Mit der Ludwig-Erhard-Berufsschule in Fürth wurde eine Schule gewonnen, die sich bereit erklärte,

das Projekt mit durchzuführen.

Die Schule verfügt über insgesamt 106 Arbeitsplätze, aufgeteilt auf sechs EDV-Säle, deren techni-

sche Ausstattung ein Alter zwischen einem und fünf Jahren aufweist und somit exakt die Laufzeit

von Schulrechnern abbildet. Weitere PCs befinden sich in einigen Klassenräumen der Schule. Alle

Rechner sind über ein 100 M/Bit Netzwerk miteinander verbunden und werden mit Hilfe eines Win-

dows Server 2003 Domänencontrollers verwaltet. Diese einfache Client-Server-Architektur bringt der

Schule zwei große Vorteile. Durch servergespeicherte Benutzerprofile können die Schüler von jedem

beliebigen Computer immer an ihren eigenen Daten arbeiten. Andererseits kann mit Hilfe der Rech-

teverwaltung des Domänencontrollers sehr exakt definiert werden, wer auf den Computern welche

Anwendungen, Speicherdateien oder Dienste ausführen darf.

Besonders wichtig für die Durchführung der Praxisfallstudie war es auch, dass auf jedem Rechner

der Schule eine Internetverbindung besteht. Dies ist an der Ludwig-Erhard-Berufsschule gewähr-

leistet, da in verschiedenen Ausbildungsberufen die Recherche im Internet einen zentralen Bestand-

teil des EDV-Einsatzes darstellt. Die Internetanbindung erfolgt über einen DSL-Anschluss mit einer

Bandbereite im Downloadbereich von sechs Megabits pro Sekunde und einem maximalen Upstream

von 576 Kilobit pro Sekunde. Zur Absicherung des Schulnetzes wird ein linuxbasierter Proxyserver

eingesetzt, der neben der Filterung von Websiten auch die Einbindung von Positiv- oder Negativlis-

ten ermöglicht. Zusätzlich verfügt die Schule auch über einzelne Lehrer-PCs in Klassenräumen, die

bereits mit einem Netzwerkanschluss ausgestattet sind.

Im Bereich der Software kommen neben den Standard-Officeanwendungen wie Microsoft Word, Ex-

cel oder Access vor allem Entwicklungsumgebungen zum Einsatz, wie etwa Microsoft Visual Studio

oder der Borland C++ Builder. Gleichzeitig wird auf jedem Rechner ein lokaler Apache HTML-Server

und ein mySQL Datenbankserver betrieben. Im Bereich moderner ERP-Software wird zurzeit keine

Software „flächendeckend“ im Unterricht eingesetzt.

Betrachtet man die IST-Situation in der Schule näher, so fällt zunächst sehr deutlich auf, dass zwei

der vorhandenen EDV-Räume mit PCs ausgestattet sind, die nicht mehr den Anforderungen der

Schule gerecht werden können. Dies wird besonders deutlich daran sichtbar, dass in diesen Räumen

nur noch die Standard-Officeanwendungen geschult werden. Für moderne Entwicklungsumgebun-

gen oder gar Grafikbearbeitung reicht die Ausstattung der PCs nicht mehr aus. Im Umkehrschluss

bedeutet dies für die Ludwig-Erhard-Berufsschule, dass nicht ganz die Hälfte der Rechner in naher

Zukunft im Rahmen einer Ersatzbeschaffung ausgetauscht werden müssen.

Als zweite Schwachstelle sticht ins Auge, dass die Schule zwar über sechs EDV-Räume verfügt,

diese allerdings meist durchgehend ausgebucht sind. Die vorhandenen Kapazitätsengpässe führen

dazu, dass der IT-Einsatz nicht in dem Umfang sichergestellt werden kann, in dem er beispielsweise

durch die Lehrpläne gefordert und auch von den einzelnen Lehrkräften gewünscht wäre. Daher plant

die Schule bald möglichst weitere Räumlichkeiten und Rechnerarbeitsplätze zu schaffen, um diesem

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

228228

Engpass entgegen zu steuern. Dies hat allerdings wieder zur Folge, dass die Unterhaltskosten für die

EDV nochmals ansteigen werden.

Auch im Bereich der Netzwerktechnik wird in den kommenden Jahren ein nicht unerheblicher In-

vestitionsbedarf auftreten. So ist es auch hier geplant, die restlichen noch nicht vernetzten Teile des

Schulgebäudes anzubinden und die vorhandene Netzwerkhardware zu erneuern.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in den nächsten Jahren zusätzliche Investitionen

in die Hardware nötig werden. Der Kernpunkt liegt allerdings darin, dass mit dem gros dieser Gelder

nicht neue, zusätzliche Hardware beschafft werden kann, sondern nur der Status Quo erhalten wird.

Im folgenden Schritt musste der virtuelle Terminalserver an die Anforderungen der Schule angepasst

werden. Dazu wurden einerseits die Benutzerprofile der beteiligten Schüler auf den Server umgezo-

gen, virtuelle Speicherlaufwerke für die jeweiligen Klassen eingerichtet und zuletzt die benötigten

Softwarepakete auf dem Server installiert.

Auf Seiten der Schule musste zunächst der Zugriff auf die IP-Adresse des virtuellen Terminalservers

freigegeben werden. Daneben wurde auf den PCs der Schule das Windows Dienstprogramm Remo-

tedesktopverbindung so konfiguriert, dass dort die IP-Adresse des Servers, die Serverdomäne und

die Mitnahme von lokalen Ressourcen, wie etwa Drucker oder lokale Laufwerke gespeichert wurden.

Testphase

Während der Testphase sollte festgestellt werden, ob ein virtueller Terminalserver den Anforderun-

gen an IT-basiertem Unterricht überhaupt genügen kann. Dazu wurde die virtuelle Terminalserverlö-

sung der Ludwig-Erhard-Schule für drei Monate zur Verfügung gestellt. Der Systembetreuer erhielt

vollen administrativen Zugriff auf den Server, um so mögliche Änderungen und Anpassungen unkom-

pliziert vornehmen zu können.

Neben dem Einsatz im Unterricht wurden die Schüler gebeten, die Lösung auch von ihrem Rechner

zu Hause zu nutzen. Dadurch sollte die volle Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten eines Terminalser-

vers demonstriert und getestet werden.

Während der Testphase traten folgende Probleme auf, die alle zeitnah gelöst werden konnten:

- Es wurde festgestellt, dass den Schülern innerhalb der Anwendung Visual Studio keine Rechte

für die Kompilierung zugewiesen wurden. Dieses Problem wurde dadurch behoben, dass die ent-

sprechenden Benutzer in die Gruppe der Debugger-User aufgenommen wurden.

- Während der Testphase war der Terminalserver nur ein Mal nicht erreichbar. Nachdem die VM neu

gestartet wurde, war der Server wieder einsatzbereit.

- Zur Mitte der Testphase wurde festgestellt, dass der Verbindungsaufbau zum Terminalserver

außergewöhnlich viel Zeit in Anspruch nahm. Gleichzeitig war keine Internetkonnektivität mehr

gegeben. Ein Neustart der drei VMs behob das Performanceproblem. Die Internetkonnektivität

könnte dadurch wieder hergestellt werden, dass auf dem Terminalserver der Proxyserver der Uni-

versität Erlangen-Nürnberg eingestellt wurde.

229

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?

229

- Schwerwiegendstes Problem stellte der Ausfall des DSL-Modems der Schule dar. Durch diesen

Schaden konnte die Schule für drei Tage keine Internetverbindung herstellen. Zwar beeinflusste

dieses Problem den Testlauf nur indirekt, allerdings ist eine bestehende Internetverbindung ein

zentraler Bestandteil des vorliegenden Konzepts. Im realen Einsatz müsste sichergestellt sein,

dass jederzeit eine Rückfallebene besteht und Ersatzgeräte vorgehalten werden.

Dennoch bleibt trotz der aufgetretenen Fehler als äußerst positiv festzuhalten, dass von einer hohen

Verfügbarkeit des virtuellen Systems ausgegangen werden kann.

Besonders erfreulich war auch der Blick auf die Leistungsdaten des Servers. Im Rahmen einer

1,5-stündigen Unterrichtseinheit wurde ein Leistungstest der virtuellen Hardware durchgeführt. Im

Speziellen wurden die Leistungsindikatoren CPU-, Memory- und Netzwerkauslastung überprüft.

Während des Leistungstests waren insgesamt 21 Benutzer am Terminalserver angemeldet und ar-

beiteten mit den unterschiedlichsten Anwendungen (Internet Explorer, Visual Studio 2005, Excel und

Word 2007).

Die maximale CPU-Auslastung betrug dabei 54 Prozent, wobei sich der Durchschnitt bei etwa 20

Prozent bewegte. Die Auslastung des virtuellen Arbeitsspeichers lag mit einem Spitzenwert von 21

Prozent und einer durchschnittlichen Auslastung von nur 8 Prozent nochmals deutlich darunter. Im

Bereich der Netzwerkauslastung wurde ein Spitzenbedarf an Bandbreite von 363 Kbit pro Sekunde

ermittelt. Der Mittelwert lag im Bereich von 120 Kbit pro Sekunde.

Als Fazit des Testes kann festgehalten werden, dass der virtuelle Terminalserver den schulischen

Anforderungen völlig genügt. Es könnte sogar die Meinung vertreten werden, dass die für den Ser-

ver bereitgestellten Ressourcen als zu hoch definiert wurden und noch nach unten korrigiert werden

müssen. Dem steht allerdings der große Vorteil der Virtualisierung als Argument gegenüber. Die Res-

sourcenverteilung der VMs wird durch den VMware ESX-Server gesteuert. Dies bedeutet z. B., dass

ungenutzte Kapazitäten nicht innerhalb der VM verloren gehen, sondern allen anderen VMs auf dem

Server zur Verfügung stehen.

Um die Zufriedenheit der Schule mit der technischen Umsetzung des virtuellen Terminalservers be-

urteilen zu können, wurde ein Interview mit dem Systembetreuer geführt. Es wurde klar, dass die

gesamte Umsetzung, sowie auch die Erreichbarkeit des Servers als überaus positiv empfunden wur-

den. Die Geschwindigkeit des neuen Systems lag dabei nicht merklich unter der bisherigen Lösung.

In Bezug auf die Entwicklung des administrativen Aufwands wurde hervorgehoben, dass durch den

Terminalserver nur noch ein zentraler Computer auf dem neuesten anwendungstechnischen Stand

zu halten sei.

Das Interview zeigte auch, dass mit der getesteten Lösung zahlreiche Kostenvorteile für die Schu-

le verbunden sind. Durch den Einsatz des virtuellen Terminalservers kann eine Verlängerung der

Nutzungsdauer der vorhandenen Hardware erreicht werden. Vor dem Hintergrund der Alterung und

ständig zunehmenden Ausstattung mit technischen Geräten stellt dieser Punkt einen Hauptvorteil

der virtuellen Lösung dar.

Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass mit einer erheblichen Kosteneinsparung gerechnet

werden kann. Frei werdendes Budget könnte dann bspw. dazu verwendet werden, Klassenräume mit

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

230230

festen Schülercomputern auszustatten. So könnte dem IT-Entwicklungsziel der Schule, mehr Rech-

nerkapazitäten für die Internetrecherche zur Verfügung zu stellen, entsprochen werden.

Als besonders interessant und sinnvoll wird auch die Möglichkeit gesehen, dass die Schüler ihre Ar-

beit von zu Hause aus an ihrem Schulaccount eins zu eins fortsetzen können. Dadurch würde leidi-

ges Abgleichen von Daten zwischen Schul- und Schülercomputern der Vergangenheit angehören.

Eine Gefahr wurde darin gesehen, dass der Server nicht mehr vor Ort steht und so eine Abhängigkeit

von Dritten entstehen könnte.

Daneben wurde auch eine Befragung der Schüler als Hauptnutzer des Systems durchgeführt.

Hier ist zunächst festzuhalten, dass die getestete Lösung generell sehr gut bewertet wurde. Die

Hälfte der befragten Schüler fand die neue IT-Lösung über einen virtuellen TS besser als das bisher

vorhandene Client-Server-Computing. Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, dass alle Befrag-

ten den virtuellen Terminalserver als mindestens gleichwertig mit den lokal vorhandenen Computern

empfanden. Diese generelle Bewertung der Schüler ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass

50 Prozent der Schüler die Geschwindigkeit des Testsystems als etwas schlechter beurteilt haben.

Dies spiegelt auch die Erfahrungen aus dem Interview mit dem Systembetreuer wider.

Die Beurteilung der Softwareperformance des neuen Systems gestaltete sich im Vergleich zum bis-

herigen System sehr ausgeglichen. So sahen 58 Prozent der befragten Schüler keinen gravierenden

Unterschied zwischen dem bisherigen und dem neuen System.

Sehr aufschlussreich waren die Anmerkungen bezüglich des Anmeldeprozesses am Server. Etliche

Schüler fanden diesen zu umständlich und zu langwierig, da zunächst eine lokale Anmeldung am

Computer nötig ist, um über die RDP-Verbindung eine Verbindung zum Server herstellen zu kön-

nen. Dieser erfordert dann wiederum eine Authentifizierung mittels Benutzername und Kennwort.

Neben der sehr umständlichen Anmeldung über diesen Weg steht vor allem der zeitliche Aspekt im

Vordergrund. Je nach Rechenleistung des Clients kann diese mehrere Minuten der Unterrichtszeit in

Anspruch nehmen. Daher muss hier nach einer Möglichkeit gesucht werden, die es erlaubt, direkt in

die RDP-Sitzung hinein zu booten, um so einen einfachen und schnellen Login am TS zu erreichen.

Möglichkeiten der Umsetzbarkeit in die Praxis

Um herauszufinden, welche Möglichkeiten bestehen, die getestete Lösung in die alltägliche Praxis

umzusetzen, war es zunächst erforderlich, einen Kostenvergleich zwischen dem Client-Server-Kon-

zept, wie es an der Ludwig-Erhard-Berufsschule aktuell eingesetzt wird, und der Bereitstellung eines

virtuellen SbCs4 zu ziehen. Beim getesteten Terminalserver wurde nochmals unterschieden, ob mit

neuen Thin Clients5 gearbeitet wird oder ob bereits vorhandene alte Computer als Clients eingesetzt

werden.

4 Als Sever-based Computing (SbC) wird die Anwendungsbereitstellung über einen leistungsfähigen Server, hier über

den Terminalserver, bezeichnet

5 Thin Clients sind Computer, die selbst keine Rechenaufgaben mehr wahrnehmen, sondern nur dazu eingesetzt wer- Thin Clients sind Computer, die selbst keine Rechenaufgaben mehr wahrnehmen, sondern nur dazu eingesetzt wer-

den, über eine RDP-Verbindung entfernte Desktops darzustellen

231

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?

231

Im nachfolgenden Kostenvergleich wurden, um zu einer allgemeingültigen Aussage zu kommen,

nur quantitative Kostenaspekte in die Darstellung miteinbezogen. Es wurde davon ausgegangen,

dass an der Ludwig-Erhard-Berufsschule in naher Zukunft die ältesten zwei Computerräume durch

Ersatzbeschaffung der Rechner erneuert werden müssen. Dabei handelt es sich um insgesamt 36

Arbeitsplätze. Des Weiteren mussten dem Modell bestimmte Annahmen zu Grunde gelegt werden,

um eine einheitliche Datenbasis sicherzustellen. Dabei orientierte sich der Kostenvergleich am TCO-

Modell des Fraunhofer Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (2008), wobei folgende

Annahmen getätigt wurden:

- Es wurden keine Infrastrukturkosten, wie etwa Netzwerk-, Stromverkabelung, Drucker, Beamer

usw. berücksichtigt.

- Es wurden keine Gemeinkosten, wie etwa Versicherungen, Verwaltungskosten, Kosten für den

Internetanschluss usw. berücksichtigt.

- Es wurde ein Lebenszyklus von 5 Jahren unterstellt.

- Es wurde im Bereich der lokalen Computer mit einer Hardwareaufrüstung nach drei Jahren ge-

rechnet.

- Es wurde im Bereich der Software davon ausgegangen, dass die Schule über eine MSDN AA Li-

zenz verfügt, die Microsoftprodukte für Forschung und Lehre zur Verfügung stellt.

- Es wurden nur Durchschnittswerte zugrundegelegt.

- Für den Systembetreuer wurden Kosten in Höhe von 50 000 Euro pro Jahr angesetzt, für den Di-

rektor als Entscheidungsträger wurde mit 72 000 Euro pro Jahr an Kosten gerechnet. Als Zeitba-

sis wurde mit jeweils 165 Arbeitsstunden pro Monat kalkuliert.

Im Rahmen der Beschaffung ist zunächst der Bestellprozess durchzuführen. Für die Genehmigung

der Beschaffung eines Systems durch die Schulleitung wurde mit einem Zeitbedarf von fünf Minuten

gerechnet. Danach werden durch den Systembetreuer entsprechende Angebote eingeholt. Hierfür

wurden pro System 15 Minuten veranschlagt.

Bei lokalen Computern fällt dieser Zeitaufwand doppelt so hoch aus, da nach drei Jahren eine Auf-

rüstung durchgeführt wird. Bei der Verwendung von Thin Clients entfällt die Hardwareaufrüstung, bei

alten Rechnern als Clients entfällt daneben auch noch die Erstbeschaffung.

Im Bereich der Erstinstallation der Systeme wurde davon ausgegangen, dass für alle Systeme ein

Standardimage besteht. Dadurch kann eine schnelle und kostengünstige Installation auf allen drei

beschriebenen Systemen durchgeführt werden. Für die Erstinstallation und Bereitstellung wird daher

bei allen Systemen ein Wert von 30 Minuten angenommen.

Danach erfolgt die Bereitstellung der Geräte in den entsprechenden Räumen

Für Antransport des neuen und Abtransport des alten Geräts werden insgesamt zehn Minuten fällig.

Der Abbau des bisherigen Systems wurde ebenfalls, wie auch der Aufbau des neuen Systems, mit

zehn Minuten veranschlagt. Diese Zeiten entfallen bei der Verwendung alter PCs als Terminal-Clients.

Abschließend waren im Bereich der Beschaffung noch die Kosten für die Hard- und Software zu be-

rechnen. Wie aus aktuellen Marktpreisen zu ersehen war, lagen die Kosten für einen, den Anforde-

rungen entsprechenden PC bei etwa 500 Euro. Für die einmalige Aufrüstung des PCs wird mit Kos-

ten von 50 Euro gerechnet. Bei einer Verwendung der bisherigen Rechner als Terminalserver-Clients

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

232232

fallen auch im Bereich der Hardware keine Kosten an. Neue Thin Clients wurden mit 300 Euro ver-

anschlagt.

Auf Seiten der Software sind auf PCs, die im Client-Server-Konzept eingesetzt werden, zunächst

die Kosten für das Windows Betriebssystem zu berücksichtigen. Sowohl die alten Rechner, die als

Clients verwendet werden, als auch die Thin Clients operieren meist mit einer kostenfreien Linuxva-

riante, die eine RDP-Sitzung ermöglicht. Da allerdings mit den Clients auf einen Windows TS-Server

zugegriffen wird, muss für jeden Client eine Microsoft Windows Server Geräte CAL erworben werden.

Auf die Darstellung der Kosten für die Anwendungssoftware wurde verzichtet, da bei allen Alternati-

ven identische Kosten entstehen.

Nachdem sich alle bisher dargestellten Kosten auf die Clientsysteme bezogen haben, sollten im Fol-

genden die Kosten der Beschaffung eines Serversystems bewertet werden. Auch hier erfolgte zu-

nächst wieder ein Zeitansatz für die Genehmigung der Beschaffung, die Einholung und den Vergleich

der Angebote. Aufgrund der höheren Komplexität wurde mit zehn Minuten bei der Schulleitung und

60 Minuten bei der Systembetreuung kalkuliert.

Auch die Erstinstallation eines Servers erfordert einen deutlich höheren Aufwand. Das Fraunhofer

Institut (2008, S. 91) geht davon aus, dass der Systembetreuer etwa 1.350 Minuten für Montage, In-

stallation der Software und deren Konfiguration aufwenden muss. Es wird vereinfachend angenom-

men, dass diese Zeit sowohl auf dem ESX-Server als auch auf der VM fällig wird. Wird der Server

im Rahmen des Client-Server Konzepts genutzt, so ist die Anwendungssoftware auf den einzelnen

Clients installiert. Daher wird in diesem Fall nur mit einem Zeitaufwand von 900 Minuten kalkuliert. Im

Rahmen der Software werden für die virtuellen Server zunächst Lizenzkosten in Höhe von 1.455 Euro

für VMware Infrastructure angesetzt. Weitere Kosten verursacht die Lizenz für Microsoft Windows

Server 2003 Enterprise Edition. Diese schlägt aktuell mit etwa 1.500 Euro zu Buche. Im Rahmen des

Client-Server Konzepts kann auch nur mit der Standard Edition des Windows Server Betriebssys-

tems gearbeitet werden. Diese reicht für den Betrieb eines DC und eines Datei-Servers vollkommen

aus. Als Kosten sind hierfür etwa 475 Euro anzusetzen. Für weitere serverspezifische Software wird

ein Kostensatz von 300 Euro veranschlagt.

Im Bereich der Anschaffungskosten der Serverhardware werden für den zur Virtualisierung verwen-

deten Sun X2200 Server 3.900 Euro berechnet. Da innerhalb des Client-Server Konzepts keine so

hohe Rechenleistung wie bei einem TS benötigt wird, wird hier mit einem leistungsschwächeren Mo-

dell zu 2.000 Euro kalkuliert.

Nachdem die Phase der Beschaffung abgeschlossen wurde, kann dazu übergegangen werden, die

Betriebskosten zu ermitteln. Dabei werden in Anlehnung an das Fraunhofer Modell die Bereiche In-

stallation von Servicepacks/Patches, Software und Hardware, aber auch die Energiekosten unter-

schieden.

Im Hinblick auf die Installation von Patches ist davon auszugehen, dass mit Hilfe eines modernen, au-

tomatisierten Patch-Managements kein nennenswerter Unterschied im Aufwand für die unterschied-

lichen Lösungen entsteht.

233

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?

233

Im Gegensatz zur Patchinstallation ist die Softwareinstallation nicht völlig zu automatisieren. So geht

das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (2008, S.38) von insgesamt

sechs zu installierenden „Softwarepaketen […] während der gesamten Nutzungsdauer“ aus, die ei-

nen Zeitaufwand des Systembetreuers von zusammen 72 Minuten pro PC ausmachen. Beim Einsatz

eines TS wird lokal auf den Clients keine Software installiert. Es entfallen daher auch diese Zeiten.

Wie in den Annahmen dargestellt, wird jeder lokale PC innerhalb der Nutzungsdauer einmal aufge-

rüstet. Für diese Tätigkeit wird pro PC ein Zeitbedarf von 20 Minuten angesetzt. Auf Seiten der alten

PCs, die als Clients benutzt werden, wird keine Systemaufrüstung vorgenommen, da dies durch den

TS-Einsatz nicht nötig ist. Auch Thin Clients müssen bzw. können bauartbedingt nicht aufgerüstet

werden.

Abschließend müssen noch die jeweiligen Energiekosten miteinander verglichen werden. Dabei wird

im Folgenden angenommen, dass kein Unterschied im Stromverbrauch zwischen klassischen PCs,

die im Client-Server-Konzept zum Einsatz kommen, und alten PCs besteht, die als Clients eines Ter-

minalservers eingesetzt werden. Für PCs wurde ein Stromverbrauch von 124 Watt im Betrieb und 2,5

Watt im ausgeschalteten Zustand angenommen Moderne Thin Client-Systeme kommen mit einer

Leistungsaufnahme von nur 15 Watt im Betrieb und einem Watt im ausgeschalteten Zustand aus. Um

die Energiekosten berechnen zu können, wird für das Jahr 2008 von 190 Schultagen ausgegangen.

Es wird angenommen, dass ein Computer während der Schultage täglich 6 Stunden eingesetzt wird.

Daraus ergibt sich eine jährliche Betriebszeit von 1.140 Stunden, 7.620 Stunden jährlich ist der Com-

puter nicht in Betrieb. Die Kilowattstunde wurde mir 19 Cent veranschlagt.

Nach der Betrachtung der Clients wird nun versucht, die Betriebskosten der Serverhardware abzu-

bilden. Dazu wird zunächst der benötigte Support des Servers ermittelt. Das Fraunhofer Institut für

Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (17.12.2008, S. 51) geht davon aus, dass für die „Sicher-

stellung, Überwachung oder Wiederherstellung der vollen Funktionalität“ mit einem wöchentlichen

Arbeitsaufwand von 30 Minuten zu rechnen ist. Wird mit 38 Schulwochen jährlich kalkuliert, so ergibt

sich über die Nutzungsdauer ein Zeitaufwand von 5.700 Minuten. Daneben fällt für die virtuellen TS

noch der Aufwand des ESX-Server-Supports an. Dieser wird ebenso mit 30 Minuten wöchentlich ver-

anschlagt. Damit ergeben sich über die Nutzungsdauer 7 800 Minuten an Zeitaufwand.

Um das Serversystem ständig auf dem neuesten sicherheits- und anwendungstechnischen Stand zu

halten, ist die Installation von Servicepacks und Updates unerlässlich. Für die Installation, einschließ-

lich Vor- und Nachbereitung, wird ein Wert von 40 Minuten angesetzt. Da Microsoft jeden Monat ei-

nen sog. „Patchday“ durchführt, kann angenommen werden, dass innerhalb der Nutzungsdauer 60

Updatesitzungen von Nöten sind. Daraus ergibt sich insgesamt ein Zeitbedarf von 2.600 Minuten

über die Nutzungsdauer.

Die Installation von neuer Software fällt nur bei den Servern an, die als TS betrieben werden. Um die

Vergleichbarkeit sicherzustellen, wird auch hier wiederum davon ausgegangen, dass während der

Nutzungsdauer sechs Softwarepakete installiert werden. Um zu gewährleisten, dass die Software

auf einem TS auch lauffähig ist, wird angenommen, dass die neue Software zunächst in einer Test-

umgebung erprobt werden muss, bevor sie freigegeben wird. Für den gesamten Installationsprozess

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

234234

wird pro Software ein Aufwand von 120 Minuten angesetzt, so dass über die Nutzungsdauer ein Ge-

samtaufwand von 720 Minuten entsteht.

Abschließend wird der Blick auf die serverseitigen Energiekosten gerichtet. Ausgangspunkt stellen

zwei unterschiedliche Szenarien dar. Einerseits wird angenommen, dass der Server bei einer loka-

len Client-Server-Lösung nur in den Schulwochen betrieben wird. Die Laufzeit der virtuellen Lösung

wird hingegen mit vollen 52 Wochen veranschlagt. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die

Server während der Laufzeit ständig in Betrieb sind (24hx7d). Da in Servern, im Vergleich zu gewöhn-

lichen PCs, deutlich leistungsstärkere Komponenten zum Einsatz kommen, muss auch ein höherer

Stromverbrauch angesetzt werden. Daher wird angenommen, dass ein Server mit 248 Watt doppelt

soviel Leistung benötigt, wie im Rahmen dieses Kostenvergleichs für einen PC veranschlagt wurde.

Gleichzeitig muss auch noch die benötigte „Leistung für die Kühlung über die Klimaanlage“ berück-

sichtigt werden. Das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (2008, S. 55)

nimmt dabei an, dass die Kühlung die gleiche Leistung erfordert, wie sie für den Betrieb des Servers

benötigt wird.

Letztendlich muss das System nach der 5-jährigen Laufzeit ordnungsgemäß entsorgt werden. Zwar

wäre es vor allem im Bereich der Server und der Thin Clients denkbar, dass diese weiter benutzt

werden könnten. Allerdings wird zur besseren Vergleichbarkeit der Lösungen angenommen, dass

alle Systeme entsorgt werden. Im Fraunhofer Modell (2008) wird für die Außerbetriebnahme eines

Servers von einem Zeitaufwand des Systembetreuers von 120 Minuten und einer gewichtsbasierten

Entsorgungspauschale des Elektroschrotts von 90 Euro ausgegangen.

Im Bereich der Clients werden für die PC-Entsorgung 55 Minuten Zeitaufwand und 25 Euro Entsor-

gungskosten veranschlagt. Im Bereich der Thin Clients fallen 30 Minuten Arbeitszeit und pauschale

Entsorgungskosten von zehn Euro an. Die deutlich verschiedenen Zeitansätze lassen sich dadurch

erklären, dass die Hauptarbeit in der Datensicherung der auf den Systemen vorhandenen Dateien

besteht.

Um die Kosten für das virtuelle SbC darstellen zu können, sei nochmals darauf verwiesen, dass ein

Vorteil der Virtualisierung darin besteht, dass sich mehrere VMs einen physischen Server teilen. Dies

bedeutet, dass die Kosten für einen virtuell bereitgestellten TS von den jeweils auf dem physischen

Server betriebenen VMs abhängen. Um die Gesamtkosten zu ermitteln, muss deshalb unterschieden

werden, ob es sich um Kosten handelt, die durch den ESX-Server oder eine einzelne VM verursacht

werden. Im Bereich des SbCs sind die Kostenbestandteile, die dem ESX-Server zugerechnet wer-

den können, als variable Kosten aufgeführt. Aufwendungen, die durch eine einzelne VM verursacht

werden, sind unter den fixen Kostenbestandteilen zusammengefasst. Es ergeben sich somit über

eine Nutzungsdauer von fünf Jahren Gesamtkosten für einen lokalen Server von 9.833,78 Euro. Ein

virtueller TS weist fixe Kosten von 6.152,13 Euro und einen variablen Kostenanteil von 13.475,37 Euro

auf. Um die exakten Kosten für die im Beispiel der Ludwig-Erhard-Schule zu ersetzenden 36 PCs zu

ermitteln sind die Kosten des lokalen Servers anteilsmäßig auf die zu ersetzenden Rechner umzule-

gen. Dies bedeutet es werden mit 3.339,77 nur 36/106 der Kosten des lokalen Servers veranschlagt.

Im Bereich des virtuellen Server-based Computings wird angenommen, dass auf dem ESX-Ser-

ver insgesamt fünf virtuelle Terminalserver betrieben werden. Dies bedeutet, dass der variable

235

Virtualisierung von Schulnetzwerken mit VMware. Ein Beitrag zum zentralen technischen Support?

235

Kostenanteil nur mit 20 Prozent in die Berechnung eingeht. Es ergeben sich also Gesamtkosten von

8.847,20 Euro (20 % x 13.475,37 € + 6.152,13 €).

Im Bereich der Clients fallen für einen lokalen PC wie er aktuell an der Schule betrieben wird 973,27

Euro, verteilt auf die Nutzungsdauer, an. Werden bereits vorhandene PCs als Terminalserverclients

verwendet, so entstehen Kosten in Höhe von 253,18 Euro. Thin Clients werden mit 420,75 Euro ver-

anschlagt.

Somit ergeben sich folgende Gesamtkosten für die jeweiligen Alternativen. Kommt ein lokaler Server

als Domänencontroller und Fileserver zum Einsatz, entstehen über die 5-jährige Nutzungsdauer der

36 PCs insgesamt Kosten von 38.377,49 Euro.

Wird anstatt des Client-Server-Konzepts auf eine Virtualisierung eines Terminalservers gesetzt, so

belaufen sich, bei einer Anbindung über Thin Clients, die Gesamtkosten auf eine Höhe von 23.994,20

Euro. Bei einem Verzicht auf die Anschaffung von Thin Clients und der Weiternutzung der bisherigen

36 PCs als Terminalserver-Clients entsteht hingegen ein Aufwand von nur 17.961,68 Euro. Dies be-

deutet, dass durch die TS-Lösung in Verbindung mit neuen Thin Clients 14.383,29 Euro eingespart

werden können. Bei der Nutzung der vorhandenen PCs als Clients könnte sogar eine Einsparung von

20.415,81 Euro über die Nutzungsdauer realisiert werden.

Die Einsparungen auf Seiten der Thin Clients könnten durchaus noch höher angesetzt werden, da

davon auszugehen ist, dass für diese auch eine Nutzungsdauer von sieben oder mehr Jahren kalku-

liert werden kann.

Andererseits wäre serverseitig darauf zu achten, dass mit zunehmender Clientanzahl mehr Terminal-

server benötigt werden. Dazu müsste ein höherer Ansatz bezüglich der Kosten pro Terminalserver

erfolgen.

Abschließend kann daher festgehalten werden, dass das virtuelle Server-based Computing zwar si-

cherlich bei zunehmender Clientanzahl zu höheren Serverkosten führt, diese Kosten durch die Vertei-

lung auf dann mehr Clients allerdings nur zu einer marginalen Änderung des gesamten Bildes führen.

Aus dem Kostenvergleich wird deutlich, dass durch den Einsatz moderner IT-Technologie ein hohes

Einsparungspotential realisiert werden kann.

Für die praktische Umsetzung des Testlaufs lassen sich verschiedenste Formen andenken. So könn-

te der Schulträger oder auch die Sachaufwandsträger selbst ein Terminalserverkonzept aufbauen

und es den Schulen zentral zur Verfügung stellen. Allerdings stellt sich hier ebenso, wie schon auf

Ebene der Schulen, die Frage, ob die Bereitstellung von IT-Dienstleistungen zu den Hauptaufgaben

des Schulträgers zählt. Daher wäre eine Zusammenarbeit mit einem privaten Anbieter im Rahmen ei-

ner Public-Private-Partnership eher denkbar. Hier bestünde die Möglichkeit, dass ein oder mehrere

Sachaufwandsträger eine Kooperation mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen schließen, das

diesen einerseits moderne Servertechnologie hostet und sich andererseits auch um die Beschaffung

und EDV-Ausstattung in den Schulen annimmt (Stingl, 2006, S. 154).

Auch wäre denkbar, dass Universitäten, die bereits mit ihren Rechenzentren über leistungsstarke

IT-Dienstleister verfügen, als Application Service Provider (ASP) für Sachaufwandsträger oder ein-

zelne Schulen agieren. Diese Form der Bereitstellung von Anwendungen findet sich im Hochschulbe-

reich bereits bei den SAP-Hochschulkompetenzzentren, die für diverse Bildungseinrichtungen SAP-

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

236236

Produkte hosten. Mit Hilfe von ESX-Servern, die im Rechenzentrum der Universität untergebracht

werden, könnten virtuelle TS-Systeme nach Bedarf der jeweiligen Träger angeboten werden.

Neben der Bereitstellung von Serverkapazitäten könnte die Universität auch im Bereich der benötig-

ten Hard- und Software als Vermittler auftreten. Auch die Versorgung der Schulen mit Lehrmateriali-

en, z. B. bestimmte Fallstudien für einzelne Softwareprodukte, wäre ein denkbares Angebot.

Literatur

Betzler, B. (2007). Virtualisierung. In H. Kircher (Hrsg.), (S. 100-110). Heidelberg: Springer.

Butler Group. (2007). Infrastructure Virtualisation - Transforming the Way IT is Delivered. Hull: Butler Direct Limited.

Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. (Zugriff am 17.12.2008). PC vs. Thin Client - Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Onlinedokument. Oberhausen.

Grepper, Y. & Döbeli, B. (Zugriff am 10.10.2008). Empfehlungen zu Beschaffung und Betrieb von Informatikmitteln an allgemeinbildenden Schulen. Onlinedokument. Zürich.

Große, G. (2005). Kosten der schulischen Informationstechnik. In Schulen ans Netz e.V. (Hrsg.), (S. 18-37). Bonn: Schulen ans Netz e.V.

Knecht-Thurmann, S. (2004). Small Business Server 2003 - Das Integrationshandbuch für kleine und mittlere Unternehmen. München: Addison-Wesley.

Krützer, B. & Probst, H. (2006). IT-Ausstattung der allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen in Deutschland. Bonn/Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Stingl, C. (2006). Realisierung einer Server Based Computing-Lösung. Dissertation, Universität Passau

Autor

Hölzlwimmer, Christoph; Dipl. Hdl.; Diplomarbeit am Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung; Universität Erlangen-Nürnberg; Gopping 5, D-84385 Egglham; Mail: [email protected]

237

Service

238

239

Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern sowie deren Landesinstitute

239

Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern sowie deren LandesinstituteKatrin Abele

Mittlerweile kann man das Internet als Informationsquelle Nummer eins bezeichnen. Daher sollte es

selbstverständliche sein, dass auch Informationen über Lehrerfortbildungen v. a. computerspezifi-

sche Fortbildungen durch einfache Internetrecherche gesammelt werden können.

Ziel der Online-Recherche war es, eine bundesländerspezifische Tabelle über die einzelnen Institute

für Lehrerbildung sowie zentrale Landesinstitute zu erstellen. Der Fokus lag dabei auf Fortbildungen

zu ERP-Systemen sowie Aussagen über Geschäftsprozesse und deren Modellierung.

Auffallend war, dass die Informationsfülle in den einzelnen Bundesländern sehr stark abweicht, zum

Beispiel findet man in dem einen Bundesland eine sehr gut aufbereitete Homepage mit Suchfunktion

über angebotene Fortbildungsmaßnahmen, im anderen Bundesland findet sich weder Informationen

über aktuelle Fortbildungen noch eine Suchfunktion.

In Berlin wird zum Beispiel viel mit ERP-Programmen an den Schulen gearbeitet, jedoch lassen sich

online sehr wenig Informationen über Fortbildungsangebote finden.

Umfassend betrachtet ist das Ergebnis dieser Online-Recherche ernüchternd, denn wenn Informati-

onen gefunden wurden, dann war dies oft mit sehr hohem Suchaufwand verbunden.

Die folgenden Tabellen sind nach Bundesland gegliedert und innerhalb der Tabellen befinden sich

die Kontaktdaten der Institute für Lehrerbildung und anschließend die Landesinstitute bzw. Kultus-

ministerien.

Baden Württemberg

Landesakademie für Fortbildung und

Personalentwicklung an Schulen

Steinbeißstraße 1

73730 Esslingen

http://lehrerfortbildung-bw.de

Kurs zum Aufbau einer Juniorenfirma (inkl. Geschäfts-

prozesse)

Im Rahmen eines Kurses über Import-, Export- und

Zollabwicklung werden Geschäftsprozesse mit Hilfe

von Microsoft Dynamics Naivison 4.0 dargestellt und

abgewickelt (Dauer: 2,5 Tage)

Landesinstitut für Schulentwicklung

www.ls-bw.de

Im Fach „Übungsfirma“ wird eine integrierte Unterneh-

menssoftware verwendet um den Schülern u.a. Ge-

schäftsprozesse zu zeigen

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

240240

Bayern

Akademie für Lehrerfortbildung und

Personalführung

Kardinal-von-Waldburgstr. 6-7

89407 Dillingen

www.alp.dillingen.de

Einige Fortbildungsmaßnahmen mit Lexware

Navision-Kurse verstärkt in den Jahren 2004-2007

SAP-Kurse

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

www.km.bayern.de

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München

www.isb.bayern.de/

www.erp-software-bayern.de

Berlin

Senatsverwaltung für Bildung, Wissen-

schaft und Forschung

Beuthstraße 6-8

10117 Berlin

www.fortbildung-regional.de

Kurs „Einsatz von ERP-Software im kaufmännischen

Unterricht“

Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg

www.lisum.berlin-brandenburg.de

Hessen:

Amt für Lehrerbildung

Stuttgarter Straße 18-24

60329 Frankfurt

http://lb.bildung.hessen.de

Lexware-Workshop

Warenwirtschaft, Buchhaltung und Anlagenverwaltung

mit Lexware

Hessisches Kultusministerium

www.kultusministerium.hessen.de/

Schleswig-Holstein

Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-HolsteinSchreberweg 524119 Kronshagen

www.secure-lernnetz.de/lehrerfortbildung

Umsetzung lernfeldorientierter Lehrpläne mit einem in-tegrierten ERP-Programm (Microsoft Attain Navision)Einführung in eine ausgewählte ERP-Software für den unterrichtlichen Einsatz in verschiedenen Fächern und LernfeldernImplementation und Installation der Geschäftsprozess-optimierungssoftware ARIS Toolset

Ministerium für Bildung und Frauen

http://schleswig-holstein.de/Bildung

241

Übersicht über zentrale Institute für Lehrerbildung in den einzelnen Bundesländern sowie deren Landesinstitute

241

Thüringen

Thüringer Lehrerfortbildung, Lehrplan-

entwicklung und Medien

Heinrich-Heine-Allee 2-4

99438 Bad Berka

www.thillm.de

Navision-Schulungen

Thüringer Kultusministerium

www.thueringen.de/de/tkm/

Weitere Institute werden nur mit Internetadresse angegeben, da bei diesen keine Online-Informatio-

nen zu angebotenen ERP-Kursen gefunden werden konnten.

Brandenburg

Fortbildungsnetz für Lehrkräfte des Landes Brandenburg

https://tisonline.brandenburg.de

Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg

www.lisum.berlin-brandenburg.de

BremenLandesinstitut für Schule Bremen

www.lis.bremen.de

Hamburg

Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung

http://li-hamburg.de/abt.lif/index.html

Zentrum für Lehrerbildung:

www.zlh-hamburg.de

Behörde für Schule und Berufsbildung

www.hamburg.de/bsb

Mecklenburg-

Vorpommern

Landesinstitut für Schule und Ausbildung Mecklenburg-Vorpommern

www.bildungsserver-mv.de/lisa-inhalt/fortbildung-kombi.aspx

Ministerium für Bildung , Wissenschaft und Kultur des Landes M-V

www.regierung-mv.de/cms2/Regierungsportal_prod/Regierungsportal/

de/bm/

Niedersachsen

Niedersächsisches Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung

(NiLS)

http://nibis.ni.schule.de/nibis.phtml?menid=1175

Niedersächsisches Kultusministerium

www.mk.niedersachsen.de

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

242242

Nordrhein-Westfalen

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

im speziellen die Kompetenzteams

www.kompetenzteams.schulministerium.nrw.de

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

www.schulministerium.nrw.de/BP/index.html

Rheinland-Pfalz

Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung:

http://ifb.bildung-rp.de/angebot.html

Institut für Lehrerfort- und Weiterbildung Mainz:

www.ilf-mainz.de

Onlineportal für Fort- und Weiterbildung:

https://tis.bildung-rp.de

Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur

http://berufsbildendeschule.bildung-rp.de

Bildungsserver Rheinland-Pfalz

http://bildung-rp.de

Saarland

Lehrerfortbildung:

www.saarland.de/3400.htm

Universität des Landeszentrum für Lehrerbildung:

http://archiv.uni-saarland.de/de/organisation/zentrale_einrichtungen/zfl

Landesinstitut für Pädagogik und Medien:

www.lpm.uni-sb.de

Bildungsserver Saarland

www.saarland.de/bildungsserver.htm

Sachsen

Lehrerfortbildung:

www.sachsen-macht-schule.de/schule/1710.htm

Sächsisches Bildungsinstitut:

www.sachsen-macht-schule.de/sbi/index.htm

Sachsen-Anhalt

Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichts-

forschung von Sachsen-Anhalt:

www.lisa.bildung-lsa.de

Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt

www.sachsen-anhalt.de/LPSA/index.php?id=3564

Die Daten wurden im Zeitraum Dezember 08 bis Januar 2009 gesammelt.

Abele, Katrin; B.A.; Studentische Hilfskraft; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Wirtschaftspädagogik; Mail: [email protected]

243

Glossar

GlossarBei Beschäftigung mit Informationstechnologie stößt man immer wieder auf Fachtermini, die für IT-

Einsteiger nur schwer verständlich sind. Wenn man sich dann noch in den Bereich der ERP-Systeme

vorwagt, dann kann man in der Flut von Fachbegriffen leicht der Überblick verlieren. Der Erläuterun-

gen im folgenden Glossar sind, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, aus dem Onlineangebot des

„Netzwerks Elektronischer Geschäftsverkehr (http://www.ec-net.de) und der „Online Enzyklopädie

der Wirtschaftsinformatik (http://www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de) entnommen. Die

Hersteller bezogenen Informationen stammen aus Druck- und Internetveröffentlichungen der jeweili-

gen Firma, insbesondere von den Seiten http://www.idsscheer.com, http://www.microsoft.com und

http://www.sap.com.

ACME

Abkürzung für „A Company Manufacturing Everything“. Ursprünglich in amerikanischen Zeichen-

trickserien als Firmenbezeichnung eingeführt, um nicht durch Namensrechtsverletzungen in juristi-

sche Probleme zu kommen. In Anlehnung an diese fiktive globale Firma wurde der für ERP4YOU.AT

eigens entwickelte SAP-Mandant genauso benannt.

ADES

Austria Demonstration and Education System – Modellfirma von SAP für den österreichischen Markt.

Applikation

Anwendungsprogramm zur Lösung bestimmter Aufgaben und zum Erstellen von Dokumenten, wie

z.B. Textverarbeitungs- oder Tabellenkalkulationsprogramme, als auch ein Java-Programm auf In-

ternet-Seiten.

ARIS-Haus

Das ARIS-Haus ist eine grafische Darstellung des 5-Sichten Modells von Scheer. Man erkennt auf

den ersten Blick die Organisationssicht, die Datensicht, die Steuerungssicht und die Funktionssicht.

Nicht ad hoc erkennbar ist die Leistungssicht, welche alle Dienst-, Sach- und finanziellen Leistungen

umfasst.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

244

Scheer, A.-W. (1996): ARIS-House of Business Engineering. Heft 133. (S.10)

ARIS-Konzept

Aris ist die Abkürzung für (Architektur integrierter Informationssysteme). Das Konzept wurde von

August-Wilhelm Scheer entwickelt. Das ARIS-Konzept bildet die Grundlage von verschiedenen Soft-

ware-Produkten, beispielsweise das ARIS Toolset der IDS Scheer AG. Ende 2004 fand ein Teil des

Konzepts seinen Niederschlag in der grafischen Prozessintegration der SAP Process Integration.

Bildlich lässt sich das Konzept am „ARIS-Haus“ erläutern.

ASP

Abkürzung für Application-Service-Provider bzw. Application-Service-Providing . Dies ist eine Be-Dies ist eine Be-

zeichnung für Anbieter von Programmen, die auf einem Server ablaufen. Der Anwender muss dafür

keine zusätzliche Software auf seinem PC installieren. Beispiele wären die UCCs bei denen die Soft-

ware zentral zur Nutztung zur Verfügung gestellt wird. Bei einem ASP erhält der Anwender / Kunde

das Recht die Software zu benutzen und nicht die Software selbst.

APS

Advanced Planning and Scheduling. Software für Anwender, die ihre Lieferkette vom Kunden über

die Produktion bis hin zum Lieferanten verfolgen.

Back-Office Systeme

Unternehmensinterne Verarbeitung aller Geschäftsprozesse. Schnittstelle zu Front-Office Systemen

wie zu ERP-Lösungen. => Workflow

245

Glossar

BI

Business Intelligence Ein Informations-System für die Überwachung und Auswertung von Geschäfts-

daten (Informationen, Kennzahlen) in einer Unternehmung.

BPM

Business Performance Management. Ein Managementmodell für die Informationsverarbeitung von Ge-

schäftsprozess- und Kundendaten. Generiert Informationen für Managemententscheidungen. Mit dem

Wissen können die Geschäftsprozesse überwacht und Veränderungen im Markt aufgezeichnet werden.

BW

SAP Business Information Warehouse. Sammlung, Aufbereitung, Selektierung und Verdichtung von

Informationen aus verschiedenen (unternehmensinternen und -externen) Quellen, die von einem Data

Warehouse zur Verfügung gestellt werden. Diese Informationen stehen direkt, aktuell und einheitlich

zur Verfügung und sollen schnelle und qualifizierte Entscheidungen auf allen Unternehmensebenen

ermöglichen. => BI, Data Warehouse.

Collaborative Commerce

Unter Collaborative Commerce versteht man die internetbasierte Zusammenarbeit zwischen Un-

ternehmen über die gesamte Wertschöpfungskette eines Produktes (Services) hinweg. Nicht nur

die Beschaffung ist Teil dieser partnerschaftlichen Vision: Auch in Bereichen wie Forschung und

Entwicklung, Customer Relationship Management (CRM) oder Marketing wird das Internet als uner-

lässliche Plattform für die Zusammenarbeit betrachtet. Ziel entsprechender Vernetzungsstrategien

ist die Effizienzsteigerung aller Herstellungs-, Vertriebs- und Serviceprozesse in und zwischen Un-

ternehmen.

Community

Im Internet versteht man darunter eine (virtuelle) Gemeinde, eine Gemeinschaft oder auch eine be-

stimmte Gruppe von Internetnutzern.Diese Communities haben ein gemeinsames Thema (Ideen- und

Erfahrungsaustausch) bzw. Ziel (“gemeinsam stärker”).

CRM

Customer Relationship Management. Das Management der Kundenbeziehungen zielt darauf ab, die

Kundenzufriedenheit zu erhöhen, neue Kunden zu gewinnen und bestehende Kunden an das Unter-

nehmen zu binden. Wie bei ERP-Systemen üblich, besteht auch das CRM aus Modulen:

„Vertriebsautomation: Neben den Informationen und Kontakthistorien von Kunden beinhaltet dieser

Bereich auch die Steuerung des Vertriebes über Prioritäten und Potenziale (Opportunity-Manage-

ment) sowie ein Berichtswesen.

Marketingautomation: Sammelbegriff für Systeme, die das Marketing unterstützen, vom Kampagnenma-

nagement, über die Marketing-Enzyklopädie bis zu speziellen Planungs- und Analysetools (Data Mining).

Serviceautomation: System zur Servicesteuerung und Serviceunterstützung. Neben der Zuteilung

der Aufträge für den Kundendienst, meist auch ein Helpdesk zur Beantwortung der häufigsten Kun-

denprobleme.“

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

246

CULIK

Abkürzung der Modellversuchsbezeichnung: CUrriculumentwicklungs- und Qualifizierungsnetzwerk

Lernfeldinnovation für Lehrkräfte in Berufsschulfachklassen für IndustrieKaufleute.

Customizing

Unter dem Begriff Customizing fallen alle Notwendigen Maßnahmen zur Anpassung einer Standard-

software an die individuellen Anforderungen eines Nutzers. Beim Einsatz von ERP-Systemen im

Unterricht wären die Anpassung von Menüs oder das Ausblenden nicht unterrichtsrelevanter Erfas-

sungsmöglichkeiten in Formularen typische Maßnahmen des Customizing.

Data Mart

Eine Sammlung von Daten innerhalb eines Data Warehouses bezogen auf einen Geschäftsprozess.

Data MiningIterativer Prozess zur Extraktion von vorher unbekannten Informationen aus einer sehr großen Menge von Daten (z.B. aus einem Data Warehouse).

Data WarehouseEine große Sammlung von internen Daten (aus den operativen Systemen) und externen Daten (z. B. Marktinformationen) über mehrere Zeitperioden.

EAIEnterprise Application Integration. Als EAI bezeichnet man das strukturierte Verbinden mehrerer Soft-wareanwendungen – auch über Unternehmensgrenzen hinweg.

E-BusinessUnter E-Business versteht man alle Formen der elektronischen Geschäftsabwicklung. Es ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl möglicher Geschäftskontakte.

A2A Administration to Administration: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer staat-lichen Behörde zu einer anderen. Als Beispiel könnten Einwohnermeldeämter Änderungen des Wohnsitzes direkt an Finanzämter weitergeben.

A2B Administration to Busienss: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer staatlichen Behörde zu einem Unternehmen. Vorstellbar wären internetgestützte Ausschreibungen.

A2C Administration to Customer: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer staatli-chen Behörde zu einem Bürger. Hierunter fallen beispielsweise die online übermittelten Steuererklärungen.

B2B Business to Business: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation einer Unternehmung mit einer anderen Firma. Automatisierte Bestellungen bei Zulieferbetrieben wäre eine mögliche Umsetzung.

B2C Business to Consumer: (Geschäfts-)Beziehung oder Kommunikation mit dem Endabneh-mer. Das Betreiben eines Webshops oder einer Kontaktmöglichkeit via Webformular ge-hören in diese Kategorie.

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Glossar

B2E Business to Employee: Hier geht es hauptsächlich um die Kommunikation zwischen Un-ternehmen und Mitarbeiter. Vor allem für Außendienstmitarbeiter ist es wichtig, kontinuier-lich in Kontakt mit der Firma treten zu können. Vor allem die Möglichkeit des Mitarbeiters in Echtzeit für den Kunden Terminzusagen für Fertigung und Lieferung treffen zu können ist dieser Kategorie zugeordnet.

C2C Consumer to Consumer. Hierunter fallen Online-Tauschbörsen, bei denen nur nicht-kom-merzielle Anbieter zugelassen sind.

ECC

Die SAP richtet im Rahmen der einzelnen Bildungsinitiativen weltweit sogenannte Education Compe-

tence Center (ECC) ein. Ein ECC hat das Recht, für einen exakt definierten Benutzerkreis SAP-Sys-

teme zur Verfügung zu stellen, ohne SAP-Lizenzkosten verrechnen zu müssen. Den Betrieb des ECC

muss der Träger selbst finanzieren. Im Fall von Business Software Austria erfolgt diese Finanzierung

durch die Rückflüsse aus den Schulen. In Deutschland werden diese Zentran als UCC bezeichnet.

eCRM

Electronic-Customer-Relationship-Management. Entspricht dem CRM ergänzt um die intensive Nut-

zung des World Wide Web, der Festnetz- und Mobiltelefonie.

EDI

Electronic Data Interchange. Firmenübergreifender, elektronischer Datenaustausch (z.B. Handels-

dokumente) zwischen Geschäftspartnern im In- und Ausland, die unterschiedliche Hardware, Soft-

ware und Kommunikationsdienste im Einsatz haben können. Die Daten sind dazu nach festgelegten

Standards formatiert.

EMMS

Enterprise Marketing Management System. Softwaretools zur Unterstützung von komplexen Mar-

ketingkampagnen und -prozessen, wie etwa Produkt- und Promotionmanagement, Werbung und

Public Relations.

ERM

Enterprise Resource Management, Metabegriff für u.a. ERP.

ERP

Diese Abkürzung steht für Enterprise Ressource Planning (übersetzt: Unternehmensweite Ressour-

cen Planung). ERP-Systeme planen und optimieren unternehmensweite Ressourcen wie Beschaf-

fung, Materialwirtschaft, Produktion, Vertrieb, Finanzen und Personal. Zu den an beruflichen Schulen

eingesetzten Systemen zählen SAGE KHK, SAP R/3, MBS Dynamics Nav, jeweils in unterschiedlich

aktuellen Versionen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

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Front-Office Systeme

Oberbegriff für Anwendungen, die für das Management und den unmittelbaren Kontakt zum Kunden,

aber auch für Analyse- und Planungsaufgaben eingesetzt werden. Abgrenzung zu den administrati-

ven Produkten im Back-Office wie Produktionsplanung, Finanzwesen und Warenwirtschaft.

GUI

Graphical User Interface. Eine grafische Oberfläche, mit deren Hilfe ein Anwender beispielsweise auf

ein SAP-System zugreifen kann.

IDS Scheer

IDS (Integrierte Datenverarbeitungs Systeme) Scheer ist der weltweite Marktführer für Software, Lö-

sungen und Dienstleistungen für das Geschäftsprozessmanagement (Business Process Manage-

ment, BPM) in Unternehmen und Behörden.

MBS

Kurzform für Microsoft Business Solutions. Ein Geschäftszweig der Firma Microsoft für Unterneh-

menssoftware.

MBSAA

Kurzform für MBS Academic Alliance. Eine Initiative von Microsoft Business Solutions ausgerichtet

auf die Förderung von Hochschulen und Berufsbildenden Schulen. Die MBS AA beinhaltet entspre-

chend Förderprogramme zur Unterstützung von Forschung & Lehre sowie praxisnahen Unterricht in

Hinblick auf ERP-Systeme sowie verwandter bzw. angrenzender Bereiche. Weiterführende Informa-

tionen finden Sie unter:

http://www.microsoft.com/germany/bildung/infopool/mbsaa.mspx

SAP

SAP steht für Systeme, Anwendungen, Produkte. Die deutsche SAP AG ist ein Unternehmen mit Sitz

in Walldorf, das weltweit Marktführer im Bereich ERP-Systeme ist.

SAP ERP (SAP ECC)

Der Nachfolger des bekannten SAP R/3. Hauptunterschied ist, dass SAP ERP auf SAP NetWeaver

aufbaut.

SAP NetWeaver

Eine Plattform für Geschäftsanwendungen der Firma SAP. Die Plattform fasst zahlreiche Komponen-

ten zusammen, die für Unternehmensanwendungen relevant sind, darunter beispielsweise Process

Integration, Business Intelligence, ein Portal, mehrere Application Server und weitere Funktionen zur

Unterstützung von Unternehmensanwendungen. Die Kernkomponenten von SAP ERP - auch SAP

ECC genannt, das frühere R/3 - laufen jedoch auch ohne NetWeaver. Die NetWeaver-Plattform ist of-

fen, um über eine Serviceorientierte Architektur (SOA) auch Fremdsysteme anzuschließen.

249

Glossar

SAP R/3

Weltweit führendes Standardsoftware-System der deutschen SAP AG. SAP R/3 ist eine modular auf-

gebaute Software, die in der Lage ist die Geschäftsprozesse eines Unternehmens abzubilden. Alle

Module lassen sich kundenspezifisch zusammenschalten und anpassen:

FI FInancial Accounting (Finanzwesen)

HR Human Resources (Personalwesen)

MM Materials Management (Materialwirtschaft)

PM Plant Maintenance (Instandhaltung)

PP Production Planning (Produktionsplanung)

QM Quality Management (Qualitätssicherung)

SD Sales and Distribution (Verkauf/Versand/Fakturierung)

R/3 basiert auf Client/Server-Technik, läuft auf unterschiedlichen Plattformen (z.B. UNIX, Windows-

NT) und unterstützt verschiedene Datenbanken, Währungen und Sprachen. Mit der SAP-eigenen

Programmiersprache ABAP lassen sich Erweiterungen über den Standard hinaus erstellen. Nach

Ende der Standardwartung für SAP R/3 4.6C migrieren viele SAP-Kunden auf des aktuelle System

SAP ERP 6.0 und Netweaver.

SAP UA

Mit ihrem University Alliances (UA) Programm fördert SAP eine praxisnahe und zukunftsorientierte

Ausbildung, indem sie Lehrenden und Studierenden weltweit Zugang zu neuesten SAP-Technologien

ermöglicht. Das Programm richtet sich an Hochschulen sowie Berufliche Schulen, die SAP-Software

aktiv in die Lehre integrieren wollen.

Die Wartung, den Betrieb und technischen Support der SAP-Lösungen übernehmen University Com-

petence Center (UCC). Sie fungieren als Application-Service-Provider. Die Lehrenden können sich

somit auf die Vermittlung des Lehrstoffs und ihre jeweiligen Kernkompetenzen konzentrieren. Darü-

ber hinaus unterstützt SAP die Lehrkräfte durch das Angebot von Schulungen und das Bereitstellen

von Lehrmaterialien für die Nutzung in Lehrveranstaltungen. Weiterführende Informationen finden

Sie unter: http://www.hcc.uni-magdeburg.de/public/index.shtml und http://www.sap.com/germany/

about/citizenship/education/alliance.epx

SCM

Supply Chain Management. Supply ist die statistische Übersicht über das weltweite Angebot der

Waren einer Branche. Supply-Chain ist eine Funktion (Logistik), Supply-Chain-Management ein Pro-

zess. Der Kundenbedarf steuert die gesamte durchgängige Wertschöpfungskette im Netz.

SCO

Supply Chain Optimization. Optimierung einzelner oder mehrerer Glieder einer logistischen Kette, mit

dem Ziel, kurzfristig Verbesserungen des Kundenservices und möglichst hohe Einsparungen zu erzielen.

Prozessorientierte Wirtschaftsdidaktik und Einsatz von ERP-Systemen im kaufmännischen Unterricht

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SCP

Supply Chain Planning. Planungssoftware für die Lieferkette (Beschaffung, Herstellung, Lieferung).SCP

beschreibt den entscheidungsunterstützenden strategischen Aspekt des SCM, ohne jedoch die ope-

rativen Aufgaben wahrzunehmen.

SFA

Sales Force Automation, Fachbegriff für das Automatisieren von Marketing, Außendienst und Ver-

trieb.

Serviceorientierte Architektur (SOA)

Der Begriff wurde 1999 durch Gartner Research erstmalig verwendet. Man kann sich eine Serviceo-

rientierte Architektur als eine lose Koppelung unterschiedlicher Dienste vorstellen, die über eine de-

finierte Schnittstelle angesprochen werden können. Eine Anwendung besteht dann nicht mehr aus

einem einzigen großen Programmkern, sondern aus einer Vielzahl angebotener Dienste. (vgl. SAP

NetWeaver)

SRM

Supplier Relationship Management. SRM-Tools sind Programme, mit denen sich die Beziehungen

zu den Lieferanten steuern lassen (Verwaltung des Informationsflusses zwischen den beteiligten

Parteien).

UCC

Abkürzung für University Competence Center. Von diesen UCCs gibt es deutschlandweit zwei Stück.

Eines an der TU München und eines an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Zu den

Leistungen der UCCs zählen das Vorhalten der jeweiligen SAP-Mandanten und die Wartung des

Netzwerks, so dass mit nahezu 100%iger Verfügbarkeit der SAP-Mandanten gerechnet werden kann.

Es werden Fallstudien für den Unterricht zentral vorgehalten und es gibt eine Community, in der man

sich über aktuelle Fragen rund um SAP austauschen kann. Auch werden die Schulungen für Lehr-

kräfte und Dozenten durch die UCCs durchgeführt. Weiterführende Informationen finden Sie unter:

http://www.sap-hcc.de/

Virtualisierung

Für Virtualisierung findet man keine allgemein gültige prägnante Definition. Man kann sagen, dass

mit Virtualisierung die Ressourcen eines Computers gemeinsam von mehreren virtuellen Computern

genutzt werden. Beispiel Server: In vielen Unternehmen steigt die Anzahl der Server an. Brauchte

man vor einigen Jahren fast ausschließlich Server für Mail, gemeinsame Dateien und Drucker, so

gehören heute Web-Server sowie Unternehmens-Anwendungen (ERP, CRM) zum Standard. Statt

jeden Server auf einem eigenen Computer zu betreiben, können sich mehrere Server eine Hardware

teilen – dies wird durch den Einsatz von Virtualisierungstechnologien wie VMware Infrastructur er-

reicht. Die Virtualisierung birgt unschätzbare Vorteile in der sich rapide weiterentwickelnden Welt

der Informationstechnik (IT). Das britische Marktforschungsinstitut Butler Group (2007, S. 7) geht in

einer 2007 veröffentlichten Studie davon aus, dass die Virtualisierung bis ins Jahr 2010 zu der do-

minierenden Technologie in Rechenzentren wird. Durch sie können Unternehmen die „drei großen

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Glossar

Herausforderungen“ der Kostenreduzierung, der flexiblen Anpassung an Marktanforderungen und

der Verringerung der Energiekosten bewältigen und so im globalen Wettbewerb bestehen.

VMware Infrastructure

Eine fortschrittliche Technologie zur Virtualisierung von Servern und Betriebssystemender Firma

VMware. Der Einsatz von Virtualisierungslösungen birgt hohe Einsparpotentiale im Bereich der Hard-

ware.

http://www.vmware.de

Workflow

Ein Workflow ist eine Abfolge von Schritten, die entweder von Personen oder automatisiert vom Sys-

tem bearbeitet werden.