psychiatrische versorgung von kindern und jugendlichen heute: … · 2017-12-21 · psychiatrische...
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Psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen heute:
Reicht die Leitlinien orientierte Behandlung aus, um individuelle
Bedarfslagen optimal anzusprechen?
Dr. Filip Salem - LWL Klinik Marsberg-KJP
Definition
Medizinische Leitlinien sind systematisch entwickelte Feststellungen, die Angehörige der Gesundheitsberufe und Patienten bei ihren Entscheidungen über
die angemessene Gesundheitsversorgung unter spezifischen klinischen
Umständen unterstützen sollen.
Sie sind – anders als Richtlinien – nicht bindend und müssen an den Einzelfall
angepasst werden. Teilweise berücksichtigen sie ökonomische Aspekte des
Behandelns. Sie enthalten in der Regel keine Wertung hinsichtlich des
erreichbaren Behandlungsergebnisses (Outcomes).
Wofür, wann und für welches Alter brauchen wir die Leitlinien?
Wer wendet diese an?
Leitlinie / Richtlinie
Standardisierung - Evidenzbasiert
versus
Individualisierung - therapeutische Erfahrung/Freiheit
Leitlinien für die Diagnose und Behandlung psychischer Störungen
Evidence based Medicine Nachvollziehbarkeit Systematische Forschung Ziel der Qualitätssicherung der Diagnostik und Behandlung Zunehmender Grad an Verlässlichkeit und Verbindlichkeit (S1 – S3 – Leitlinien) Entstigmatisierung
Therapeutische Freiheit, Subjektivität, Individualisierung?
DGKJP Leitlinien
Die Leitlinie für Diagnostik und Therapie werden von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaften Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bereitgestellt.
• S1: Die Leitlinie wurde von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet.
• S2k: Eine formale Konsensfindung hat stattgefunden.
• S2e: Eine systematische Evidenz-Recherche hat stattgefunden.
• S3: Die Leitlinie hat alle Elemente einer systematischen Entwicklung durchlaufen (Logik-, Entscheidungs- und Outcome-Analyse, Bewertung der klinischen Relevanz wissenschaftlicher Studien und regelmäßige Überprüfung).
Leitlinien (federführend)
• Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter • Intelligenzminderung • Psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind und Vorschulalter • Nichtorganische Schlafstörungen (F51) • Geschlechtsidentität (F64), Störungen der ... • Störungen des Sozialverhaltens (F91.1, F91.2, F91.3, F92) • Hyperkinetische Störungen (F90) • Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter • Angststörungen (F41, F93.0) • Enuresis und nicht-organische (funktionelle) Harninkontinenz • Enkopresis (F98.1) • Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) • Suizidalität im Kindes- und Jugendalter • Auf den familiären Rahmen beschränkte Störungen des Sozialverhaltens • Sprachentwicklungsstörungen (SES), Diagnostik von… • Depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen… • Lese- und/oder Rechtschreibstörung bei Kindern und Jugendlichen
Leitlinien (beteiligt)
• Fetale Alkoholspektrumstörungen, FASD - Diagnostik • Psychosoziale Versorgung in der Pädiatrischen Onkologie und
Hämatologie • Tabakkonsum (Rauchen), abhängiger und schädlicher: Screening,
Diagnostik und Behandlung • Redeflussstörungen, Pathogenese, Diagnostik und Behandlung • Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen
(UEMF) • Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen • Essstörungen, Diagnostik und Therapie • Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnose und Behandlung • Geschlechtsentwicklung, Varianten der ...
Leitlinienorientiert bei Kindern und Jugendlichen
Unterschiede Kind - Jugendlicher - Heranwachsender bei gleicher Diagnose
Große Heterogenität der Symptomatik Berücksichtigung individueller, lerngeschichtlicher und interaktioneller, systemischer Faktoren
Schweregrad!
Achse V
Multiaxiales Diagnosesystem
Achse I: klinisch-psychiatrisches Syndrom
Achse II: umschriebene Entwicklungsstörungen
Achse III: Intelligenzniveau
Achse IV: Körperliche Symptomatik
Schweregrad
Achse V: Abnorme Psychosoziale Umstände
Achse VI: psychosozialen Funktionsniveaus
Achse V
1. Abnorme intrafamiliäre Beziehungen (Mangel an Wärme, Misshandlung, Missbrauch)
2. Psychische Störung, ... in der Familie 3. Inadäquate/ verzerrte intrafamiliäre Interaktion 4. Abnorme Erziehungsbedingungen (Überforderung; Überfürsorge) 5. Abnorme unmittelbare Umgebung (Heimerziehung, isolierte Familie) 6. Akute belastende Lebensereignisse ( Trauma; Verlust, bedrohliche
Umstände) 7. Gesellschaftliche Belastungsfaktoren (Verfolgung, Migration,
Diskrimierung)
8. Belastungen in Zusammenhang mit Schule/ Arbeit
9. Belastende Ereignisse infolge von Verhaltensstörung/ Behinderung des Kindes
Beispiele
Depressive Störungen Leitlinie
� Psychotherapie
� Pharmakotherapie
� Psycho- und Pharmakotherapie im direkten Vergleich und in
Kombination � Weitere Behandlungsansätze
Depressive Störungen
Ambulant: „Kinder und Jugendliche mit depressiven Störungen können im Regelfall ambulant behandelt werden. Voraussetzung ist ein für ein ambulantes Behandlungssetting angemessenes allgemeines psychosoziales Funktionsniveau (gemäß Achse VI des MAS).“
Stationär: „Kinder und Jugendliche mit allen Formen von depressiven Störungen sollten stationär behandelt werden, wenn zumindest eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: - Suizidalität verbunden mit fehlender Absprachefähigkeit - Erheblicher Mangel an Ressourcen oder erhebliche aktuelle abnorme psychosoziale Belastungen gemäß Achse V des MAS - Erhebliche Funktionseinschränkungen gemäß Achse VI des MAS, insbesondere bei unzureichender Alltagsbelastbarkeit Eine teilstationäre Behandlung ist unter Berücksichtigung des Schweregrades der Störung, der Ressourcen des familiären und sozialen Umfeldes sowie der regionalen Versorgungskapazitäten zu prüfen und gegebenenfalls zu empfehlen.“
ADHS
Aufmerksamkeitsötrung: In Schule teilweise unkonzentriert Impulsivät: Antworte bevor Frage zu Ende gestellt wurde Hyperaktivität: Kann in der Klasse häufig nicht ruhig sitzen, lenkt andere ab. Schulnote: 3-4 IQ: ohne MPH heterogenes Ergebnis um 80-100 mit MPH homogeneres Ergebnis, 110
Frühe Behandlung: positive Auswirkung auf soziale Kontakte und Verhalten und Schulnoten
ADHS
Leitlinien Empfehlung:
Frühe Behandlung
Medikation - MPH; Atomexetin, etc.
Verhaltenstherapie
Verfügbarkeit?
Einfach vs. Komplex
Einfach vs. Komplex
Bindungsstörung
ADHS
Frühe Behandlung
Einfach vs. Komplex
Bindungsstörung
ADHS + Störung des Sozialverhaltens
Frühe Behandlung
Einfach vs. Komplex
Bindungsstörung + Trauma
ADHS + Störung des Sozialverhaltens
+ Achse V - Störung
Frühe Behandlung Achse VI - Funktionsniveau
Was behandeln wir? Symptome oder Diagnosen?
Symptome vs. Diagnose(n) (1)
Innere und äußere Unruhe, Konzentrationsstörung Dysphorisch gereizt/impulsiv/trotzig, oppositionell, Schulabstinent Himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt Selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, Depressivität, hypomanische Phasen, Fremdaggressionen, geringe Frustrationstoleranz, Hochrisikoverhalten Drogen- u. Alkoholkonsum Aufmerksamkeitssuchend, theatralisch Schnell weinerlich, anhänglich, abweisend, Nähe-Distanz Problem, enthemmt Weglaufen Provokant - spaltend - destruktiv Keine engen Freundschaften
Symptome vs. Diagnose(n) (2)
Stimmen hören, optische Halluzinationen (verstorbene Oma)
Labile Affekte
Angst vor Zurückweisung
Dissoziative Symptome
Unsicherheit über das eigene Selbstbild
Störung der Geschlechtsidentität
Diskussion
• Unterschiede im Einsatz der Leitlinien: Erwachsene/Jugendliche/Kinder?
• Einfache vs. Komplexe Störungen mit mehrfach Diagnosen? • Eigenständige Diagnosen vs. Diagnoseübergreifendes Klinisches Bild • (Syndrome! z. B: Störung der Affektregulation - „Severe Mood
Dysregulation“) • Grenzen der Leitlinien? ambulant/stationär? • Risiken der Leitlinien? • Finanzierung/Aktualität? • Wofür, wann und für welches Alter brauchen wir die Leitlinien? • Wer wendet diese an?
• Reicht die Leitlinien orientierte Behandlung aus, um individuelle Bedarfslagen optimal anzusprechen?
Diskussion
• Unterschiede im Einsatz der Leitlinien: Erwachsene/Jugendliche/Kinder?
• Einfache vs. Komplexe Störungen mit mehrfach Diagnosen? • Eigenständige Diagnosen vs. Diagnoseübergreifendes Klinisches Bild • (Syndrome! z. B: Störung der Affektregulation - „Severe Mood
Dysregulation“) • Grenzen der Leitlinien? ambulant/stationär? • Risiken der Leitlinien? • Finanzierung/Aktualität? • Wofür, wann und für welches Alter brauchen wir die Leitlinien? • Wer wendet diese an?
• Reicht die Leitlinien orientierte Behandlung aus, um individuelle Bedarfslagen optimal anzusprechen?
Diskussion
Leitlinie im Konsensverfahren - Behandlungsalternativen?Umsetzung und UmsetzbarkeitWirtschaftlichkeitAktualitätZu hohes wissenschaftliches Niveau - Akzeptanz durch PatientenArzneimittelbrief; zu schnelle Aufnahme von MedikationLeitlinien unterschiedlicher Herausgeber