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V. Psychologie und Biologie in ihrer Stellung zur Tierseele. Von J. yon Uexkiill, Neapel. Wet seine Schritte yon den gewohnten Tagesfragen der Physiologic ab- lenkt und sieh dem Grenzgebiet zuwendet, wo die Physiologie danach ringt, Biologie zu werden, der wird Zuschauer eines fesselnden Auftrittes werden. Die Frage nach den Aufgaben des Centralnervensystems im Tierk~rper hat den Streit zweier Wissensehaften entfacht, der mit der Verniehtung einer der beiden K~mpfenden enden muss -- und die Vertreter sind beiderseits entschlossen, den Kampf bis zum Ende durchzuffihren. Bis vor kurzem regierte unangefochten die vergleiehende Psychologie in allen Fragen, die sich auf das Gehirn und Nervensystem h~herer wie niederer Tiere bezogen, und niemand h~tte auf die Frage, wozu dient das Gehirn eines Krebses? gez~gert zu antworten: zum Sitz der Sinne und Empfindungen, des Ged~ehtnisses -- kurz aller psyehisehen Qualitaten, die eine Krebsseele birgt. Zwar gaben die Forscher die Schwierigkeit zu, die ihnen daraus erwuchs, dass die Empfindungen und Gedanken der Tiere dem Auge des Forsehers nieht direkt zug~nglich waren, und Romanes ging sogar so welt einzur~tumen, dass man aus der eigenen Seele schSpfen mfisse, um den Tieren die riehtigen Empfindungen zuzusehreiben. Er unterschied demgem~ss eine objektive, eine subjektive und eine ejektive Welt, welehe eben diese nach aussen hinaus und in die Tiere hinein ejizierten menseh- lichen Seelenquatit~ten enthalten sollte. Aber ganz allgemein lebte man der festen Zuversicht, ein vollbe- glaubigtes Recht for ein solehes Vorgehen zu besitzen; durfte man sich doch auf einen jedem Laien einleuchtenden Analogieschluss stfitzen, der sich kurz folgendermassen formulieren liess: Ebensowenig wie wir bei Betrachtung eines Reprgsentanten einer ausgestorbenen Krebsspecies dara~ zweifeln, dass seine Beine zum Gehen gedient haben, obgIeieh wir darttber nie ein Experi- ment anstellen kSnnen, ebensowenig haben wir ein Recht daran zu zweifeln,

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V.

Psychologie und Biologie in ihrer Stellung zur Tierseele.

Von

J. y o n Uexk i i l l , Neapel.

Wet seine Schritte yon den gewohnten Tagesfragen der Physiologic ab- lenkt und sieh dem Grenzgebiet zuwendet, wo die Physiologie danach ringt, Biologie zu werden, der wird Zuschauer eines fesselnden Auftrittes werden.

Die Frage nach den Aufgaben des Centralnervensystems im Tierk~rper hat den Streit zweier Wissensehaften entfacht, der mit der Verniehtung einer der beiden K~mpfenden enden muss - - und die Vertreter sind beiderseits entschlossen, den Kampf bis zum Ende durchzuffihren.

Bis vor kurzem regierte unangefochten die vergleiehende Psychologie in allen Fragen, die sich auf das Gehirn und Nervensystem h~herer wie niederer Tiere bezogen, und niemand h~tte auf die Frage, wozu dient das Gehirn eines Krebses? gez~gert zu antworten: zum Sitz der Sinne und Empfindungen, des Ged~ehtnisses - - kurz aller psyehisehen Qualitaten, die eine Krebsseele birgt. Zwar gaben die Forscher die Schwierigkeit zu, die ihnen daraus erwuchs, dass die Empfindungen und Gedanken der Tiere dem Auge des Forsehers nieht direkt zug~nglich waren, und R o m a n e s ging sogar so welt einzur~tumen, dass man aus der eigenen Seele schSpfen mfisse, um den Tieren die riehtigen Empfindungen zuzusehreiben. Er unterschied demgem~ss eine objektive, eine subjektive und eine ejektive Welt, welehe eben diese nach aussen hinaus und in die Tiere hinein ejizierten menseh- lichen Seelenquatit~ten enthalten sollte.

Aber ganz allgemein lebte man der festen Zuversicht, ein vollbe- glaubigtes Recht for ein solehes Vorgehen zu besitzen; durfte man sich doch auf einen jedem Laien einleuchtenden Analogieschluss stfitzen, der sich kurz folgendermassen formulieren liess: Ebensowenig wie wir bei Betrachtung eines Reprgsentanten einer ausgestorbenen Krebsspecies dara~ zweifeln, dass seine Beine zum Gehen gedient haben, obgIeieh wir darttber nie ein Experi- ment anstellen kSnnen, ebensowenig haben wir ein Recht daran zu zweifeln,

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dass das CentrMnervensystem bei den Tieren Empfindungen produziert, da wir wissen, dass es beim Menschen die Funktion des Empfindens und Denkens ausfibt.

Als dann die staunenerregenden Handlungen der Ameisen und Bienen immer besser bekannt wurden, zSgerte niemand, diesen Tieren eine hoeh- komplizierte Seele zuzuschreiben.

Wiihrend aber die vergleichenden Psychologen fiber das Mass der Empfindungen, des Ged~ich~nisses~ derlJberlegungen debattierten, die man diesen Tiercn zuschreiben sollte, erwuchs der gesamten verglciehenden Psychologic ein Todfeind in der eben emporwaehsenden vergleichenden Physiologic.

Die Physi01ogen, aus der expe¢imentellen Schnle hervorgeg~ngen, waren gcwohnt, bei ihren Versuchen aus der Anschauung nicht hinauszugehen, sondern bei jedem sinnlich wahrnehmbaren Vorgang nach seinen sinnlich wa.hrnehmbaren Folgen zu forschen und ihn a,uf seine sinnlieh wahrnehm- baren Ursaehen zuriickzuftihren. Die unvermeidliche Konsequenz dieser Arbeitsmethode war eine durehaus andere Auffassung der Aufgaben des Centralorganes. W~thrend die Psychologen die Handlungen der Tiere auf die Thatigkeit einer ira Centralorgan wirkenden Seele bezogen, suehten die Physiologen nach den Ursachen tier Muskelbewegungen in der anatomisch gegebenen Grundlage und fanden in den Nerven wellenfSrmig abIaufende Erregungsv0rg~inge, die die Musketbewegungen veranlassten. Diese Erregungs- wellen, die zum Tell galvanometriseh naehweisbar waren, entsprangen eben- solchen objektiv naehweisbaren Ver~inderungen des Th~it]gkeitszustandes des Gehirns, das seinerseits yon Wellen beeinflusst wurde, die den ~usseren Sinnes- organen entstammten.

So entstand eine Auffassung, die das Centralorgan als ein hochkompli- ziertes nervSses System anspraeh, das yon mannigfaltigen Erregungswellen getroffen, schwer entwirrbare, aber durchaus greifbare Ver~inderungen erlitt, aufbewahrte, umsetzte und weiter leitete.

Es entsehwanden vor der objcktiven Forschung die Empfindungen, das Ged~ichtnis und die Gedanken der Tiere wie fiatternde Nebe]gestalten. Die eiserne Kette objektiver VerSnderungen, die mit der Erregung des Sinnes- organes anhob und mit der Musketbewegung abschIoss, wurde aueh in der Mitre zusammengeschmiedet. Nirgend blieb ein Pl~itzehen ffir die Seele der Tiere. Auf diesen unantastbaren Thatsachen fussend, erklarte die vergleichende Physiologic die psyehologischen Schlfisse far blossen Aberglauben und bestritt tier vergleichcnden Psychologie das Recht, sich eine Naturwissenschaft zu nennen.

Die vergleichende Psyeholo~e, derart in ihrer Existenz bedroht, sah sich genStigt den Analogieschluss, auf dem sic ihr ganzes Geb~iude erriehtet hatte, besser zu fundieren. Sic wies auf die unleugbaren Weehselbeziehungen zwischen menschlieher Psyche und den Vorggngen im Gehirn bin, die einen ebenso

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notwendigen und wirklichen Charakter trfigen wie alle Vorg~inge der Aussen- welt. Ihre Beweise entnahm sie einerseits der Pathotogie, die den AusfaI1 bestimmter seeliseher Funktionen nach ZerstSrung gewisser Itirnregionen nachgewiesen hatte, andererseits stfitzte sie sich auf die Erfahrungen der menschlichen Sinnesphysiologie, deren Forsehungsgebiet mit der Umwand- lung ~iusserer physikalischer R, eize in psychische Empfindungen zusammen- falle. Ferner besehr~inke keiner yon uns diese sinnesphysiologischen Erfah- rungen, die er allezeit mache, auf seine Person, sondern ttbertrage sie ohne weiteres auf seine Mitmenschen und die h~heren Tiere. Es gebe aber keinen Grund, die nisderen Tiere yon dieser Tdbertragung des Anatogiebeweises auszu- schliessen; so sei es durchaus unwissenschaftlieh, irgendwo willkttrlich einen Strich zu ziehen, der die Tiere in beseelte und unbeseette sehiede. Daher seien die Anmassungen der Pbysiologen als unberechtigt und lacherlish abzu- weisen.

Wie man sieht, spitzt sieh der Konflikt immer mehr auf die scheinbar abliegende Frage zu: In welchem Verb~ltnis stehen unsere Empfindungen zu den Vorgiingen in unserem Gehirn ?

Stehen sie in gesetzm~issigen Beziehungen, die uns in gleicher Weise yon der Organisation auf die Funktion zu schliessen gestatten wie bei allen anderen Organen, dann sind die Physiologen ohne weiteres abzuweisen. Dann f~hrt uns die vergleichende Physiotogie nieht bloss auf Umwege, sondern auch auf Abwege, indem sie uns die wahre und ~iefere Erkenntnis der Tier- see]e versehliessen wilt, um uns mit uninteressanten Bewegungserscheinungen abzuspeisen.

Wenn abet eine kausate Abh~ngigkeit der Empfindungen yore Bau des Gehirns nicht existiert, so ist andererseits der verg]eiehenden Psyehologie die Basis entzogen, und ihr ganzes Geb~tude ist ein Luftschloss gewesen.

Es handelt sieh also darum, eine Entseheidung yon grosser Tragweite zu fallen, die sieh nieht mehr lange hinausschieben lasst, denn die vergleichende Physiologie beginnt bereits kr~iftig emporzublfihen und beansprucht immer rticksiehtsloser den Platz, den die vergleichende Psychologie bisher einge- nommen hat.

Die Entscheidung dieser Frage ftihrt uns tie[ in die Probleme der Er- kenntnistheorie hinein, ein Gebiet, das der Naturforseher nur mit Wider- wil]en betritt, well er darin stets Gefahr l~tuft, sich im Grenzenlosen zu ver- lieren. Wir abet suehen nicht naeh der LSsung des Weltr~itsels, wir wfinschen bloss eine praktische Frage zu kl~iren, die uns speziell angeht; so sind wir weniger der Gefahr ausgesetzt ins Bodenlose zu geraten. Dagegen werden wir staunend anerkennen mfissen, dass der Weg durch diese Wildnis in einer Weise gebahnt ist, um die wir die Phitosophie beneiden dfirfen. Freilieh ist es aueh der grt}sste Denker, den die Menschheit seit P l a t o hervorgebraeht hat, dessen Spuren wir bewundernd folgen dttrfen.

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Um atle Unklarheiten zu vermeiden, thun wir am besten, uns yon Anfang an ohne Reserve auf den Boden des transeendentalen Idealismus zu stellen, und uns dann zum Sehluss die Frage vorzulegen: Was leistet die Lehre K angs ffir unser Problem P

Die ganze Sehwierigkeit einer erkenntnistheoretisehen Untersuehung liegt in zwei Abstraktionen, die man yon vornherein ziehen muss und hie aus dem Ged~tehtnis verlieren darf.

Erstens mfissen wit uns best~ndig vergegenw~rtigen, dass alles, was wit wissen, uns nur bekannt ist, well es den Inhalt unseres Bewusstseins bildet. Wit mSgen noeh so felsenfest yon der Realit~tt der uns umgebenden Welt fiberzeugt sein, die M~Sgliehkeit, etwas yon ihr zu wissen, besteht nut insoweit als wit etwas yon ihr in uns aufzunehmen verm6gen.

Uber diese Sehwelle muss man mit roller (Jberzeugung gesehritten sein, ehe man weiter vordringen kann. Man muss sieh darfiber vollkommen klar sein, dass alles, was wit h6ren und sehen, nieht yon uus unabh~ngige Reali- t~ten, sondern Bildungen unseres eigenen Bewusstseins sind. Am leiehtesten gelingt es sieh hiervon zu fiberzeugen, wenn man sieh die eigenen Sinnes- organe wegdenkt, dann versehwindet mit ihnen aueh die Aussenwelt.

Die Welt exisfiert also ffir jeden Einzelnen nur in der Form, in der sie ihm yon dem eigenen Bewusstsein geboten wird.

Sind wir hierfiber v611ig einig geworden, dann kSnnen wit zur zweiten Abstraktion sehreiten, die lautet : Unsere Bewusstseinsvorg~nge folgen einander nut in der Zeit und sind nieht r~umlieh geordnet.

Dieses seheint einen Widersprueh zu der ersten Abstraktion zu bilden, denn wenn die ganze Welt nut als Bewusstseinsvorgang ffir mieh existiert, so ist der Raum ebenso ein Bewusstseinsvorgang, und die Dinge in ihm sind eben nieht bloss zeiflieh geordnet.

Dieser Einwurf ist riehtig, wenn wit aber genauer zusehen, so wird sieh dieser Widersprueh 15sen. Wir nennen den r~tumlich geordneten Teil unseres Bewusstseinsinhaltes die , , A n s e h a u u n g " und sagen: Alles, was zur An- sehauung geh6rt, ist r~umlieh geordnet, die einzelnen Ansehauungen selbst aber folgen sieh wieder zeitlieh. Wenn man daher die gesamte Ansehauung eines jeden Momentes in unserem Leben als einen einheitliehen Komplex yon Bewusstseinsvorg~ngen auffasst, so folgen sieh diese Komplexe yon Moment zu Moment, d. h. in der Zeit, und zwar n u t in der Zeit.

Unsere erste Aufgabe wird es nun sein, uns darfiber Reehensehaft zu geben, welehe Rolle Raum und Zeit in unsere~ Bewusstseinsinhalte spielen. K a n t zeigt uns, dass sie die wiehtigsten Fakteren ftir die Einordnung unseres mannigfaltigen Bewusstseinsinhaltes sind. Atles wird in der Form der Zeit- folge erkannt. Es giebt nur eine Zeit, und versehiedene Zeiten existieren nieht unabh~tngig nebeneinander, sondern nile sind nur Teile einer einzigen Zeitfolge. Die Zeit ist also das oberste Prinzip, naeh dem der Gesamtinhalt

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des Bewusstseins geordnet ist. Die Zeit h~tngt so innig mit jedem Gesehehen zusammen, dass wit uns gar kein Geschehen denken kSnnen, das ausserhalb der Zeit lgge. Wir machen zwar die Erfahrung, dass das, was soeben ge- schieht, in einem bestimmten Moment geschieht, der sich yon aller fibrigen Zeit unterscheidet, aber wit ordnen diesen Moment ohne weiteres in die grosse Folge der einen Zeit ein.

Wghrend die Zeit das oberste Prinzip abgiebt, naeb welehem alles und jedes in uns angeordnet ist, giebt der Raum das zweite Prinzip ab, nach welehem bestimmte Bewusstseinskomplexe geordnet sind, die wir die An- sehauung nennen.

Jede Empfindung der Sinne wird, so wie sie in uns entsteht, ohne weiteres naeh aussen verlegt. Gesichtseindrfieke wie Geh0rseindrfieke, Gesehmaeks- und Geruehsempfindungen werden hinaus verlegt, ja selbst, der Sehmerz be- kommt seinen Platz im Raum, den unser K0rper einnimmt.

Dieses allgemeine Ausserunsbefindliehe, an sieh ga.nzlieh Leere, das wit mit unseren Empfindungen bevNkern, nennen wir Raum. Unser K0rper selbst nimmt dabei blos einen Teil des allgemeinen Raumes ein, da aueh er ganzlieh ausserhalb unseres Bewusstseins liegt~). Dabei muss abet die Er- fahrung, dass ein Gegenstand sieh an einer bestimmten Stelle im Raume be- finder, genau so dureh eine Empfindungsqualitat (die wir Lokalzeiehen nennen) fibermittelt werden, wie die Erfahrung, dass er rot oder blau ist.

Es wird also altes, was zur Ansehauung gehSrt, unmittelbar, ohne unser Zuthun naeh aussen verlegt, nnd diese Hinausverlegung liefert uns ihrerseits das Merkmal, dass wit es mit Ansehauung zu thun haben. Die gesamte Ansehauung ist wieder in die zeitliehe Folge eingepasst, in der sie yon Moment zu Moment weehselt, ohne hierdureh in ihrer r~tumliehen Anordnung beeinflusst zu werden.

Diese Einordnnng des Bewusstseinsinhaltes in Ramn und Zeit ist nut der kleinere Teil der geistigen Arbeit, die wir jederzeit an diesem Inhatte vollziehen. In dem Nachweise dieser Arbeit gipfelt die Lehre K a n t s , dureh diesen Naehweis ist sie ftir alle Zeiten die Grundlage jeder psyehologisehen Forschung geworden, und noeh ist erst der kleinste Tell der Frtiehte gepfl~ekt worden, die aus dieser Lehre spriessen.

Die Gesamtsmnme der binausverlegten Empfindungen (die Erseheinungen) nennt K a n t die Sinnliehkeit. Aus dieser gilt es Ansehauung zu maehen. Das gesehieht dureh einen ganz eigenartigen Prozess, der das ursprfinglieh gegebene Material v/511ig umgestaltet. Die seelisehe Eigensehaft, die diesen Prozess ausfiihrt, nennt K a n t die produktive Einbildungskraft, und den Prozess selbst nennt er die A p p e r c e p t i o n .

Die Apperception l~tsst sieh in drei Phasen zerlegen: in ein ,,Zusammen-

i) Durch diese reinere Auffassung des Raumes lassen sich alle Einw~nde beseitigen~ die H e l m h o l tz gegen den Kantischen I~aum erhoben hat.

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fassen", ein ,,Wiedererkennen" und ein ,,Gestalten" der uns in der Sinnlich- keit gegebenen Erseheinungen. Dureh diesen Prozess werden die ErseheJnungen in wirkliehe Gegenst~tnde verwandelt. So hOehst abenteuerlieh diese Be- hauptmag anfangs klingen mag, so tiberzeugend wird sie, wenn man sieh an dem gerade gegebenen Ansehauungsbilde diesen Gestaltungsprozess klar maehen will.

Was uns in einem beliebigen Momente dureh das Auge geliefert wird, ist niemals e~was anderes als versehiedene lokalisierte bunte Eindriieke, die wir nur deshalb mit Sicherheit zusammenfassen und gruppieren k0nnen, weil noeh die Erinnerung des vergangenen Zeitmomentes in uns lebt, und well wit mit Hilfe dieses Ged~ehLnisses die Erscheinungen bereits in gewisser Ordnung tibernehmen. Diese geordneten Erseheinungskomplexe verwandeln wit sehliesslieh in Gegenstande Jm Raum. Diese dritte und merkw0rdigste Phase des ganzen Prozesses der Apperception, das Gestalten der Erscheinungs- komplexe zu Gegenstanden, verdient unsere besondere Aufmerksamkeig. Es ist abet nieht m0glieh, d e n G e s ~ a l t u n g s p r o z e s s lehrhaft darzustellen, sondern ein jeder muss selbst denkend sieh ,:on seiner Wirksamkeit/lberzeugen.

Wie wunderbar ist es doeh, dass wir vor uns liegend jenes Bueh sehen, w~hrend uns die Sinne btoss einen viereekigen Fleck auf einer Flaehe zeigen, und wie versehieden ist doeh die Vorstellung ,,Bueh" yon diesem gleieh- gfiltigen Gesiehtseindruek.

Wir blieken hinaus, und sehimmernde grtine Lichter auf blauem Grunde verwandeln sich ohne weiteres in einen Baum, der sieh vom iIimmel abhebt.

Diese merkwfirdige Gestaltungskraft iibt ihre Th~itigkei~ zu allen Zeiten ohne unser Zuthun aus. Dabei geht sie so radikal vor, dass sie immer die Gesamtsmnme der Erseheinungen verarbeitet, ohne je den kleinsten Teil un- gestaltet zu lassen~). Hieraus sehliesst K ant~ dass alle Erseheinungen, well sie dem gleiehen Gestaltungsprozess unterliegen, einen homogenen Cha- rakter haben mfissen, den er ihre Affini~t nennt, und der darauf zur~ckzu- lfihren ]st, dass sie atle ein und derselben Person angeh0ren.

Der Aufbau der Erseheinungen zu Gegenst~tnden gesehieht immer in der gleichen Weise, die gleiehen Gruppen yon Erseheinungen werden immer in gleieher Weise zusammengeffigt, und nur dadureh ist es mSglieh, in die Yerwirrende Menge ":on Sinneseindrfieken Ordnung zu bringen.

Wie im einzelnen der Gestaltungsprozess abl~uft, das en~zieh~ sieh grossenteils unserer Kenntnis, es werden dabei aber die neu gemaehten Er- fahrungen immer wieder verwertet. Man versuehe sich nur darfiber klar zu werden, wie viel frfihere Erfahrung darin steekt, wenn wit einen Baum vor

a) Eino sehr charakterisi~ische Ausnahme giebt es dennoch. Die Empfindung Schmerz wird, obgleich sie in unserem KSrper sieher lokalisier~ wird, dennoeh niemals zum Aufbau yon Gegenstanden verwende~, wahrend selbst die ~uskelempfindungen belm Heben elnes Gewieh~es als Schwere in den gehobenen Gegens~and iibergehen.

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uns schen. Schon um zu wissen, dass or auch eine Tiefendimension besitzt, m~ssen wir ihn frtiher umwandelt haben. Seine einzelnen Teile, wie Zweige, Bl~ttter und Stature, haben wir so uud so oft vor Augen gehabt und geprfift, ehe sic die volle Oegenst~indliehkeit erhielten, die sic jetzt sehon beim An- blick aus der Ferne ftir uns besitzen.

Und erst Bin Buch! Welehe Kett~ yon Erfahrungen rollt sieh vor uns auf, wenn wir den Motiven naehspfiren, die alle in der Vorstellung Bueh enthalten sind, w~hrend die momentane Erscheinung uns bless einen schwarzen viereekigen Fleck iibermittelt.

Dieses Beispiel ist besonders lehrreieh, um uns yon der grossen Smnme hinzugeftigter Faktoren beim Oestaltungsprozess zu tiberzeugen, welche die produktive Einbildungskraft frtiheren Erfahrungen entnimmt. Bei dem starken Triebe, jede selbst unbestimmte Erseheinm~g zu einem Gegenstande zu ge- stalten, kann es nieht fehlen, dass dabei starke Irrttimer mitunterlaufen. Ich brauehe bless daran zu erinnern, welehenT~usehungen wir in der D~im- merung ausgesetzt sind, indem wir bedeutungslose Sehattenwirkungen zu Tieren od. dergl, nmwandeln.

A d oif H i l d e b r a n d hat in seinem bahnbreehenden Bueh ,Das Problem tier Form" darau[ hingewiesen, dass gerade der bildende Ktinstler an den menschliehen Oestaltungstrieb ankniipft, indem er seine Hauptaufgabe darin sieht, diejenigen Erseheinungen aufzusuehen, die am sichersten den Abtauf des Gestaltungsprozesses in einer bestimmteu gewollten Riehtung erzwingen, um mit ihrer Hflfe in dem Besehauer eine beabsiehtigte Vorstellung zu er- zeugen.

Wenn nun aueh der Abtau[ des OestaItungsprozesses im ganzen noch in tiefes Dunkel gehtillt ist und nur zum Tell sieh der ktinstlerischen Intui- tion entsehleiert, so ist der Endeffekt immer der gleiche und sichere - - es wird ein Oegenstand geformt, der in ganz gesetzm~issigen Beziehungen zum Ieh des Besehauers steht.

Von diesem Ieh wird dabei gar nichts welter ausgesagt; aber die dureh- gehende Einheit ira ganzen Bewusstseinsinhalte wird nur dureh dasselbe ge- sehaffen. Was uns dureh die Sinnliehkeit gegeben wurde, waren nur zu- sammenhanglose hinausverlegte Empfindungen, die wir Erseheinungen nannten; durch die Apperception wurde dann daraus der Oegenstand in seinen Be- ziehungen zum Ieh gesehaffen.

Die Beziehungen zwisehen dem Ieh und den Oegenstiinden sind sehr eigenartig und geben leicht Veranlassung zu Unklarheiten, weshalb man sich tiber diesen Punkt mit grosser Sorgsamkeit ausdrfieken muss. Die Oegen- st~inde erscheinen dem Ieh gegentiber als mehr oder weniger unabh~ingige Existenzen. Sic sind nicht insofern veto Ieh unabh~ing~g, als sic aueh ohne jede Apperception m0glieh waren, aber sic erseheinen zum Teil als yon der m o m e n t a n e n Apperception unabhangige Existenzen und zerfallen dem-

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nach in bloss apperceptibte und in momentan apperceptierte Gegenstande. Von diesem Gesichtspunkte aus trennen sich die Gegenstande in zwei sehr distinkte Gruppen, in solche, deren Apperception zu jeder Zeit mSglich ist: und in solche, deren Apperception nur nnter bestimmten Umst~nden erfolgen kann. Die erste Gruppe yon Gegenst~nden nennen wir in ihrer Gesamtheit unseren KSrper, die andere nennen wir die Gegenstande der Aussenwelt.

Alle Gegenstande stehen untereinander in Wechselbeziehungen und verandern sich gegenseitig. Diese Veranderungen werden uns nur mittelst unserer Apperception bekannt, sind aber unabh~ngig yon der momentanen Apperception. Alle diese Wechselbeziehungen unterliegen dabei einer not- wendigen Formel, die uns beinahe wie die Fortsetzung der Appereeptions- regel anmutet. Diese Formel nennen wir das Kausalita.tsgesetz, dem wir auch, ohne den Vorgang n~ther zu kennen, immer und ohne weiteres alles Geschehen unterordnen. Ebenso notwendig, wie wir aus den Erscheinungen Gegenstgnde formen, ebenso notwendig ordnen wir alle Veranderung der Rege! yon Ursache und Wirkung unter.

Insoweit gleichen sich alle Menschen, dass sie immer und zu allen Zeiten diese Regel auf jede Ver~nderung anwenden. In der Anwendung selbst aber unterscheiden sich die Menschen nach ihrem UrteilsvermSgen. Eine Ursaehe ffir eine eingetretene Veranderung wird immer gesucht, aber je nach dem UrteilsvermSgen kSnnen sehr verschiedene Dinge als Ursache fiir die gleiche Vergnderung yon verschiedenen Menschen angesprochen werden. Im gewShnlichen Sprsehgebrauch sagen wir noch immer: ,,Der Baum wirft seinen Schatten", wghrend wir sagen mfissten: ,,Die Sonne wirft den Sehatten des Baumes." In beiden Fallen wird je eine andere Ursaehe flit das Ent- stehen des Sehattens angesproehen.

Ist demnach das Urteilsverm~gen weehselnd, die Kausalitatsregel bleibt ffir alle Menschen die gleiche. Sie besagt: dass jedes Gesehehen eine Ur- sache in dem voraufgegangenen Zeitmoment haben muss und ebenso in dem folgenden eine Wirkung ausfiben muss. Damit ist ausgesprochen, dass atle Gegenstande mit Notwendigkeit aufeinander einwirken mfissen. Nun fragt es sieh, wodureh diese Einwirkung geschieht, und welcher Tell des Gegen- standes dazu fghig ist, einen anderen Gegenstand zu beeinflussen.

Die Frage nach dem wirksamen Prinzip in der Welt hat zu allen Zeiten die denkenden Geister lebhaft beschaftigt. Die alten Philosophen trennten ohne weiteres die Eigenschaften yon den Gegenstgnden ab, wie das Harte, das Farbige, das Erdige oder das Feurige, und erklgrten diese Eigenschaften fiir die wirksamen Ursaehen. Da sie aber bei all diesen Eigenschaften die rgumliehe Beziehung fallen liessen, so raubten sie ihnen auch den gegen- standliehen Charakter. Wirklichkeit aber existiert nur bei Gegenstanden im Raum, nicht aber unter blossen Empfindungen. So ist die blosse Empfindung ,,hart" um nichts hgrter als die Empfindung ,,weich", wenn die Empfindung

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,,hart" sieh nieht auf einen Gegenstand bezieht. Aueh die reine Vorstellung von ,,gross" ist mn niehts gr6sser als die Vorstellung ,,klein". Aueh ist die Empfindung ,,blau" durehaus nieht blau angestriehen etc. Man muss sieh bei aller Bewunderung f/~r die grieehisehe Philosophie darfiber doeh klaren Wein einsehenken, dass die Alten hierin einen verderbliehen Weg gewandelt sind. Sie tragen denn aueh zum grossen Teit die Sehnld an der heillosen Begriffsverwirrung in der kirehliehen Philosophie.

Die neueren Naturforseher vermieden diesen Fehler; so verlegte N e w t o n die Ursaehe der Liehtwirkung in kleine farbige Stoffteile, die dutch den Raum gesehleudert wurden. Seine Lehre wurde bekanntlieh abgel0st dureh die Undutationstheorie, weIehe kleinste sehwingende Atherteilehen als Lieht- fibertr~ger anspriehk Hiermit hat die Physik ihre letzte Abstraktion gezogen: bewegte Stoffteile im t%aum. Auf diese wird jede Ver~nderung der K6rper bezogen, in sie wird jede Eigensehaft der K~rper aufgel6st. Die Frage naeh der Natur des Stoffes oder der Materie hat dabei eine gewisse Ahnliehkeit mit der Frage naeh derInsel Thule, die immer noeh etwas n~rdtieher lag als das zuletzt gefundene Land. So ist der Stoff immer der Tell des K0rpers der sich noeh nieht in Sehwingungsgteiehungen ausdr@ken liess. Es klingt wie ein Hohn auf die That.saehen, wenn die EneNetiker verlangen, man sol]e die gesamten Eigensehaften der K6rper 5n Energieformeln yerwandeln. Fiirs erste spotten nieht bless die 80 ehemisehen Elemente diesen Versuehen, aueh das Protoplasma, obgleieh es sieher eine relativ grebe Struktur besitzt, m~ssen wit noeh als e~nheitliehe Materie behandeln.

Bis wir so well sind, atle Stoffe in die Sehwingungsformen der Ur- materie aufgel6st zu sehen, wird noeh einige Zeit verstreiehen, und yon der Urmaterie werden wir niemals absehen d/irfen, denn nur solange behal~en wit Wirkliehkeit, wie wit einen Inhalt in den Formen yon Raum und Zeit gegenstfindlich ¥or uns haben.

Dureh die Zurtiekffihrung der farbigen, tSnenden etc. Gegenst~tnde auf gleiehartige sehwingende Stoffteile kommt man leieht in die Versuehung, den Gegensta.nden eine zwiesp~tltige Natur zuzusehreiben: eine, die unserer Vor- stellung vom Gegenstand entsprieht, und eine, die seinem Ding an sieh ent- spreehen sell. Eine solehe Trennung der Gegenst~mde in eine appereeptible und eine nieht appereeptible H~tlfte kann nut Unsinn ergeben. Aueh liegt nieht der geriugste Grund zu einer solehen Trennung vor, denn die sehwin- genden Stoffteile sind genau so sinnlieh vorstellbar wie die farbigen, t0nenden, duftenden etc. Gegenst~tnde. Es ist bei dies@ physikalisehen Abstraktion bless eine sinnliehe Vorstellung f~r die andere eingesetzt worden.

Ein Beispiel wird das ohne Sehwierigkeit erl~utern. Wit haben vet uns im Raum einen grfinlenehtenden Gegenstand. Seine grfinleuehtende FI~ehe k0nnen wit physikaliseh in eine grosse Anzahl kleinster elektriseher Kondensatoren aufl6sen, die ihre Ladung austausehen. Jede Entladung erregt

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im umgebenden Ather eine Anzahi Transversalwellen, die in ganz bestimmter Beziehung zum Durchmesser der Kondensatoren stehen und mit gegebener Geschwindigkeit ablaufen. Niemand wird woht behaupten wollen, dass diese anschauliche Darstellung des Vorganges eine Besehreibung des Dinges an sieh sein kSnnte, das jenseits jeder Ansehauung liegt.

Wenn nun in der That die physikslische Abstraktion nichts weiter ist, als die Ersetzung einer Vorstel]ung durch eine andere~ dann fragt man sich, warum wird sie fiberhaupt vorgenommen~ warum bleibt man nieht bei den Gegenst~tnden, wie sie nun einmal in der Sinnlichkeit gegeben sind, stehen, da sie doch viel reieher in ihrem natfirliehen oKleide uns gegenfiber treten .9

Diese Frage l~sst sich mit Hilfe der Sinnesphysio]ogie recht gut be- antworten.

Um jedoeh die richtige Antwort zu finden, miissen wit nochmals auf die Entstehungsweise der Gegenst~tnde zurfiekgreifen. Die GegenstKnde sind aus den Erscheinungen der Sinnlichkeit geformte, re]ativ se]bst~.ndige Exi- stenzen, die alle apperceptibel, aber nur zum Teil in der momentanen Apper- ception vorhanden sind. Sie zerfallen demnaeh in zwei Gruppen. Die eine Gruppe, die wir in ihrer Gesamtheit unseren KSrper nannten, kann stets appercipiert werden, die andere nur unter gewissen Umst~tnden, auf die wit jetzt naher eingehen wollen. Die Frfahmng lehrt uns, dass nur diejenigen Gegenst~nde appercipiert werden, die m]t unserem KOrper und zwar mit be- stimmten Teilen des KSrpers, die wir Sinnesorgane nennen, in Beziehung treten. Unser KOrper mit seinen Sinnesorganen ist die ffir jede Apperception notwendige Vorbedingung. Aber die Physiologie geht welter, sie ]ehrt uns. dass die Sinnesorgane einer ungesch~digten nervOsen Verbindung mit dem Gehirn bedfirfen, und dass schliesshch das Gehirn der tetzte ausschlaggebende Faktor ffir die Apperception ist. Ja in anormalen F~t]len, wie im Traum und bei Hallucinationen, vermag das Gehim aueh auf Erregungen hin, die nicht den Sinnesorganen entstammen, Erscheinungen hervorzurufen, die in der gleichen Weise durch die Apperception zu Gegenst~tnden verwandelt werden. Wir nennen deshalb das Gehirn die , , u n m i t t e l b a r e A u s s e n w e l t " unseres Bewusstseins im Gegensatz zu der durch unsere Sinnesorgane fibermittelten , , m i t t e l b a r e n A u s s e n w e l t " .

Sehr interessant ist festzuste]len, welchen Einfluss die Sinnesorgane ant unsere Erfahrungen der mittelbaren Welt ausfiben. Da stellt es sich heraus, dass die Erfahrungen fiber den gleichen Gegenstand sich gar nicht mehr gleichen, wenn wir ihn rait versehiedenen Sinnesorganen in Beziehung setzen. So ist der Zinnober ffir das Auge rot, fiir die Hand aber hart.

Versehiedene Sinnesorgane, fiber den gleichen Gegenstand befragt, geben, wie wir sehen, durchaus inkommensurab]e Antworten. Es setzt sich auch in der That, wenn wir n~ther zusehen, alas gesamte Erseheinungsmaterial unserer Sinnliehkeit aus lauter heterogenen und g~nzlich unvergteichbaren

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Empfindungen zusammen, die erst dureh die Apperception zu einem einheit- lichen Gegenstande geformt werden.

Es ergiebt sieh aus dieser Thatsaehe die notwendige Folge, aus dem Empfindungskreise eines Sinnes nieht hinaus zu gehen, wenn wit die Wirkung versehiedener Gegenst~tnde untereinander vergleiehen wollen.

Bei der Auswahl des hierzu geeignetsten Sinnes wird man vor allem auf seine allgemeine Anwendbarkeit sehen.

Der Liehtsinn, an den man zuerst denken muss, enth~lt in sieh so inkommensurable Orundqualit:~ten, wie Gelb, Blau, Rot, die eine Vergleiehung gar nicht aufkommen lassen. Der Geh0rsinn, der gewisse in jeder Oktave wiederkehrende vergleiehbare Grundqualit~iten aufweist, ist lange nieht all- gemein genug. Ebensowenig kommen Gerueh- und Gesehmaeksinn in Frage, deren Qualit~iten unvergleiehbar sind und deren Anwendung nieht allgemein genug ist.

Es giebt aber einen Sinn, der freilich nieht selbst~indig auftritt, daffir abet den Vorzug hat, mit mehreren Sinnesempfindungen eng gesellt zu sein, was ibm eine sehr breite Anwendbarkeit siehert, ohne ibm seinen selbst~ndigen Charakter zu rauben. Es ist dies der Lokalisierungssinn, der sieh mit dem Liehtsinn, Tastsinn, K~iltesinn, W~rmesinn, Musketsinn und Sehmerz mehr oder weniger eng verkniipft zeigt. Seine Grundqualit~iten, die Lokalzeiehen, sind durehaus selbstandig und voneinander unabh~tngig, ~ihneln sieh abet so sehr, dass eine Vergleiehung ohne weiteres mSglieh ist. Es macht fast den Eindruek, als seien sic dutch den andauernden Gebraueh ab- gesehliffen worden. Dabei besitzen sic eine Fundamentateigenschaft, die sic yon allen anderen Sinnesqualit~tten unterseheidet: sic variieren nie in der Intensit~tt. Ein Stern, der in einer bestimmten Riehtung gesehen wird, kann heller oder dunkler sein, abet er kann nieht mehr oder weniger in der ein- real gesehenen Riehtung liegen, die uns dureh das Lokalzeiehen gegeben ist.

Da die Lokalzeiehen bei einer so grossen Anzahl vonS innen mitan- spreehen, so ist es natiirtieh, dass sic eine hervorragende Rolle unter dem Erseheinungsmaterial, das zur Apperception beniitzt wird, spielen. Ja ihre Anwesenheit ist geradezu notwendig, damit eine geordnete Apperception zu stande kommt. Man versuehe bless aus den Empfindungen der Sinne, die keine Lokalzeiehen Iiefern, wie etwa GehOr und Oerueh, einen Gegenstand zu formen - - es wird nieht gelingen. Es genfigt nieht, die Empfindungen als ausser uns im Ramn liegende Erseheinungen anzusehen, wit miissen sic an einen bestimmten Ort im Raum verlegen kOnnen, damit ein Gegenstand daraus werde.

So hat denn die Naturwissensehaft, als sic zum Zweek vergleiehender Betraehtung die Gegenst~tnde in gleiehwertige Qualitiiten zu zerlegen begann, mit Sieherheit naeh den Lokalzeiehen gegriffen, die ihr gestatteten, die Gegen-

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Psychologie und Biologie. 223

st~nde in zahlreiche kleinste Orte im Raum aufzu]0sen. Die Mathematik hat mit Hilfe dieser Zer]egung ihre Triumphe gefe~ert.

So scheint es, als wiiren bewegte kleinste Orte im Raum das letzte Wort der Sinnesphysiologie in dieser Ange]egenheit. Dss ist abet nicht zu- treffend, denn bewegte Orte ira Raum liefern uns allein noch keinen Gegen- stand, sondern bloss ]eere Formen, die keine Wirklichkeit besitzen.

Da die Lokalzeichen niem~ls ohne die Gesellsch~ft anderer Sinnes- qualit~ten in unsere Erscheinung treten, so giebt es auch keine Apperception blosser Lokalzeichen. Es werden beim Gestaltungsprozess die Lokalzeichen zur Bildung der Form, die beigesellte Qualit~tt zur Bi]dung des Inhaltes bentitzt. Nur wenn sie beide vorhanden sind, kann yon Apperception die Rede sein. Ohne Apperception aber giebt es keine Gegenstande und ohne Gegensti~nde, keine Wirklichkeit.

Daher darf die Physik bei ihrer grossen Aufgabe, die gesamten in- kommensurablen Eigenschaften der Gegenst~nde in lauter gleichartige ]okale Qualiti~ten zu zerlegen, nie den Inhalt oder den Stoff (die Haterie)vergessen, der immer mehr und mehr in rechnerisch brauchbare Faktoren zer]egt werden soil, dennoch aber als Urmaterie dauernd erhalten bleiben muss, damit die Anschauung und mit ihr die Gegenstand]iehkeit nicht verloren gehe.

Wir haben, wie ich glaube, zwingend nachgewiesen, dass die Abstrak- tionen tier Physik keine ausschliesslichen Etemente einftihren, sondern sich darauf beschri~nken, rechnerisch unbrauchbare Sinnesqua]itiiten durch rech- nerisch brauchbare zu ersetzen.

Bevor wir zur entscheidenden Fragestellung gelangen, mfissen wir K a n t noch einen wichtigen Sehritt welter folgen. K a n t weist darauf hin, dass wir nicht mit den Gegenst~tnden selbst denken, ebensowenig mit den yon ihnen abstrahierten, mehr oder weniger vollstandigen Erinnerungsbildern und Vorstellungen, sondern dass wir mit Begriffen denken.

Der Begriff selbst ist etwas durchaus Unanschauliches, man denke z. B. an die Begriffe: Hund, Buch, Hausgerat etc., die gar keiner bestimmten Anschauung entsprechen k0nnen, well sie sich auf eine Menge sehr ver- schiedener Gegenstiinde beziehen, dabei aber dennoch diesen bestimmten Kom- plex yon Gegenstiinden mit Sicherheit charakterisieren.

Der Begriff aber ist -- und das ist vielleicht die grSsste Errungenschaft K antschen Geistes -- nichts anderes als die Regel unseres Apperceptions- prozesses, wonach sich die Erscheinungen zu Gegensti~nden formten. Es bleibt uns also die riitselhafte Art und Weise, in der wir den Gegenstand schufen, im Ged~ct/tnis, und wenn diese SchSpfung wieder vor sich geht, so entsteht yon neuem der Gegenstand. Dieser kann nur dann entstehen, wenn in der Sinnlichkeit Erscheinungen gegeben sind, an denen dieser Prozess vorge- nommen werden kann. Die Erinnerung abet an den Akt der Sch0pfung, mit anderen Worten seine Regel, ist immer gegenwi~rtig und un~bhiingig

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yore Erseheinungsmaterial. Sie kann dazu benfitzt werden, Gedankendinge zu formen, sie dient dazu, uns die nieht momentan appercipierten Gegen- stande gegenw~trtig zu halten, ohne sie ist kein Denken mSglich.

Das Schema also oder die Rege], nach der wir die Gegenst~nde formen, nennen wir Begriff, und das Verbinden der Begriffe nach der Kausalit~its- formel nennen wir D e n k e n . Wie wir sahen, werden je naeh dem Urteils- vermt)gen sogar die Gegenst~nde in verschiedener Weise miteinander ver- kntipft. In noch viel hSherem Masse ist das nattirlich mit den Begriffen tier Fall, da bier die volle Willktir regiert. Desha]b ist eine noch so kunst- gereehte, naeh der Kausalit~ttsformel gebaute Begriffsverbindung gar kein Beweis fiir das Verhalten der Gegenst~nde in der Ansehauung.

Die Apperceptionsformel bentitzt, wie wir wissen, den Gesamtvorrat an Erfahrungen, um die Gegenst~tnde zu formen; so ist denn aueh der Begriff inhattlieh nichts als ein Niedersehlag yon Erfahrungen, die riehtig verbunden, auch richtige SehlCtsse gestatten; aber die persSnliehe Willkfir, die mit den Begriffen jederzeit nach Gunst uud Neigung umspringen kann, kommt gar zu ]eicht zu den absurdesten Behauptungen, die sich immer nur durch neue Erfahrung richtig stellen ]assen.

Daher wird v o n d e r Naturwissenschaft verlangt, class jedesmal in der Ansehauung der Beweis ffir die Riehtigkeit der Begriffsverbindung geliefert werde. Diesen Beweis nennen wir ein E x p e r i m e n t .

Wit wo]]en jetzt zu dem experimente]len Beweise iibergehen, den sowohl die vergleiehende Physiologie wie die vergteiehende Psychologie als Experimentum crucis anruf_en, um ihre Anspr~ehe ztt begrttnden.

Denken wir uns, wir verm/Sehten mit tt~lfe yon verfeinerten ROntgen- strahlen die Erregungsvorg~nge im Nervensystem des Mensehen in Form yon bewegtichen Sehattenwellen auf einen Sehirm vergrOssert zu projizieren, so" dfirfen wir nach unseren bisherigen Erfahrungen folgendes erwarten: Beobachten wir eine Versuchsperson, wghrend in der Nahe eine Glocke an- geschtagen wird, so sehen wir den Sehatten auf dem Schirme (als Zeiehen f(ir die Erregungswelle des Nerven) dureh den HSrnerven centralwarts eilen, wir verfolgen den Schatten bis in das Grosshirn, und wenn die Versuchs- person auf den Schallreiz hin eine Bewegung macht, so kommen aueh centrifugal ablaufende Schatten znr Beobaehtung.

Dieses Experiment wttrde sich in nichts yon einem beliebigen physi- kalischen Versuch gleicher Ordnung unterseheiden, nur dass im Gehirn mit seinem komplizierten System yon Leitungsbahnen der Ablauf der Erregungen und der Umsatz angesammeIter Energie ein sehr verwiekeltes, schwer ent- wirrb~res Bild entwerfen muss.

Jetzt setzen wir uns selbst vor den RSntgenapparat und beobachten unsere eigenen Gehirnver~tndemngen im Schattenbilde. Wir werden ganz genau d~e gleicheu Erscheinungen beobachten wie vorhin, mit dem einzigen

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Psychologie und Biologie. 225

Unterschied, dass im Moment, in dem die Schattenwelle zur Grosshirnrinde gelangt, wit den Ton der Gloeke hSren.

Es wird sicher frfiher oder sp~tter, auf diese oder ahnliche Wdse ge- lingen, durch Se]bstbeobachtung festzustellen, bei wetcher Stelle im Gehirn unsere Empfindungen ansprechen. Wir haben f0rs erste noch keine Ahnung davon, welehe Regel hierffir gefunden werden wird, nur im Groben k0nnen wir schon jetzt bestimmte ttirnregionen mit bestimmten Empfindungen for verknfipft erklaren. Nehmen wit aber an, wir wfissten ganz genau for jeden Ort des Gehirnes, welehe Empfindung ihm entspr~tche - - w a s haben wit dadurch gewonnen ? Genau wie wit die Erfahrung gemacht haben, dass unsere Sinnesorgane notwendig sind zum Zustandekommen der normalen Appercep- tion, wie wir weiter die Erfahrung machen, dass das Gehirn in Ausnahme- fallen durch anormale Erregungen gleichfalls Erscheinungen und Appercep- tion zeitigen kann, so wfirden wir in Zukunft die Erfahrung machen, welche Teile des Gehirnes nicht fehlen dOrfen, damit noch bestimmte Erscheinungen in unserer Sinnlichkeit auftreten.

Es ist damit die Thatsache des Zusammenhanges des Gehirnes mit den Erscheinungen unwider]eglich festgestellt. Sehen wir jetzt zu, was wir fiber diesen Zuammenhang Naheres aussagen k6nnen. Es ist nicht so schwierig, sieh hierfiber Klarheit zu verschaffen, wenn man sich streng an die That- sachen h~t]t und sich nicht verwirren l~sst. Auf der einen Seite haben wir die Bewegungen der Materie des Gehirnes, die wir in einen vergIeichbaren Zusammenhang bringen k0nnen wie alle Vorgange der Aussenwelt, auf der anderen Seite haben wir Empfindungen, die unter sich durchaus unver- gleichbar bleiben. A u f der einen Seite haben wir durch Apperception ent- standene Gegenstande, auf der anderen den Apperceptionsvorgang selbst. Auf der einen Seite haben wir Gegenst~nde in Raum und Zeit, auf der anderen Bewusstseinsvorg~nge, die nur der Zeit nach geordnet sind.

K an t selbst urteilt fiber unser Problem mit folgenden Worten: ,,Die be- rfiehtigte Frage wegen der Gemeinschaft des Denkenden und Ausgedehnten wOrde also, wenn man alles Eingebildete absondert, ledig]ich darauf hinaus- taufen: wie in e i n e m d e n k e n d e n S u b j e k t f i b e r h a u p t a u s s e r e An- s c h a u u n g , n~tmlich die des Raumes (einer ErfOllung desselben, Gestalt und Bewegung) m S g l i c h sei. Auf diese Frage aber ist es keinem Menschen m0glich eine Antwort zu finden, und man kann diese LOcke unseres Wissens niemals ausftillen 1) --".

An diesem Punkte seheitert eben dne jede nach Erkenntnis strebende Forsehung~). Wir mfissen nns mit dem Resultat zufrieden geben, d a s s e s

l) Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben yon K. Kehrbach. Leipzig, Reklam. pag. 330. (Text der ersten Auflage).

2) Bedingung ist freiSch, dass nacll Erkenntnis gestrebt werde. Wer noch in den An- schauungen eines A n s e l m v o n C a n t e r b u r y wurzelt, und fiber die ,,tides quaerens intel-

_& s h e r - S p i r o, Ergebnisse der Ph:~siologie. IL Abi~. 15

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226 J. yon U e x k t t l l ,

e b e n n i e h t mSg] ieh is t , das E r k a n n t e u n d das E r k e n n e n d e in die g l e i che

F o r m zu g iessen . Sie g l e i c h e n zwei E i m e r n a n e i n e r K e t t e : H o l t m a n d e n

e i n e n E l m e r he r au f , so v e r s c h w i n d e t d e r a n d e r e in d ie Tiefe .

I n l e t z t e r Ze i t h a t M a e h in s e ine r A n a l y s e d e r E m p f i n d u n g e n n o c h

e i n m a l d e n V e r s u c h g e m a e h t , d e n Z u s a m m e n h a n g zwischen B e w u s s t s e i n u n d

A u s s e n w e l t f f i r u n s e r V e r s t ~ n d n i s zu r e t t e n , i n d e m er w i e d e r u h l d ie Qua l i -

tKten als w i r k s a m e U r s a c h e n h i n a u s v e r l e g t e . Es s che in t d a m i t de r K r e i s d e r

E r k l a r u n g s v e r s u e h e a b g e s c h l o s s e n zu se in , d e n n d a m i t k e h r e n wi r zu

Ar i s to t e l e s zurf ick.

E n t s c h i e d e n g l f i ek l i cher war F e c h n e r s ge i s tvo l l e r Versueh , d ie I d e n t i t a t

d e r b e i d e n P a r a l l e l v o r g K n g e zu b e h a u p t e n . E s g e l a n g i h m h i e r d u r c h wohI

d ie T h a t s a c h e zu erkl~tren, dass Bewuss t se in u n d G e h i r n v o r g ~ n g e s ich n i c h t

k a u s a l ve rkn~ ip fen ]assen , a b e r was h i e r d u r c h e r r e i c h t wurde , w a r doch n u r

e in Sche in . D e n n w e n n m a n d ie Ident i t~i t y o n r a u m l i c h e n u n d nnr~ iuml ichen

Dingen behauptet, so verzichtet man yon vorneherein darauf, dieser Behaup- tung irgend einen fassbaren Sinn unterzulegen.

Erst H e t m h o l t z ist es gelungen, einen Ausdruck zu finden, der das Verh~iltnis zwischen Gehirnvorgangen und Bewusstseinsqualit~iten in einer Form wiedergiebt, die nichts pr~ijudiziert. Er nennt die Qualitaten ,,Z ei eh en" des ausseren Geschehens im Gehirn und durch diese vermittelt des Geschehens in der Aussenwelt. Erkanntes und Erkennendes stehen wie die Gegenst~inde der Aussenwelt zu unseren Sprach- oder Schriftzeiehen in einem festen aber inkommensurablen Verhaltnis.

lecture" nicht hinausgekommen ist, d. h. wer fiir die geoffenbarte Wahrheit nach begriffliehen Formeln sucht, der wird durch diese Liicke in unserer Erkenntnis nicht sonderlieh beriihrt werden, sondern mi~ logischen Yeinheiten leicht dariiber hinwegkommen. Eine solehe logische H filfe bietet uns W a s m ann mit der Einfiihrung des Substanzbegriffes in die Naturwissenschaf~.

Ich habe reich nach einer authentisehen Interpretation dieses Substanzbegriffes umgethan und finde in der Logik yon C o m m e r , die in ihrer Art ein ausgezeiehnetes Lehrbueh ist, auf pag. 106 folgende Definition ,,Das Wort S u b s t a n z ist mehrdeutig. Es bedeutet zuerst eine Unterlage oder Grundlage (i~z&r~az~9), welche etwas anderes tragt und darunter in eigener Kraft unver/~nder~ besteht. Daher wird es aueh gebraucht, um die W e s e n h e i t , die N a t u r eines Dinges, dasjenige, w a s das Ding eigentlich ist, zu bezeichnen: o~r[a. In diesem Sinne bezeichuet es die wesentlichen Pr~dikate, welehe in einem Ding gefanden werden, mit Aus- schluss alles dessen, was zu der als ein Allgemeines erfassten Na~ur selbst nieht innerlich gehSr~; also besag~ es die Natur ats eine Form in einem Ganzen, wodurch das Ganze wesent- lieh das ist, was es ist. Die Wesenhei~, essentia, bedeutet aber das erste und urspriingliche in einem Dinge, worauf das Sein desselben folgt; w~hrend die ,,Washeit", quidditas, das erste in einem Dinge ist, wodurch wir es erkennen. Well der Begriff tier Wesenheit und Natur dutch die wesenttiche Definition ausgedrackt wird, so bedeutet Substanz aueh geradezu die Definition selbsg."

Ich will gerne zugeben, dass es mit Httlfe von diesen feinen logischen Begriffen, die sich wie Gummi nach allen Seiten recken lassen, ein Vergniigen sein muss, das Wunder der Transsubstantiation beim Abendmahl zu beweisen. Abet gerade durch die Elastizlta~, um derentwillen diese Begriffe der Kirehe so teuer sind, erweisen sie ihre Unbrauchbarkei~ ffir die wirkliehe Forsehung.

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Psychologie und Biologie.

Nur unter der Voraussetzung, dass fremde Menschen die gleiche Spraehe reden wie wir, kSnnen wir, yon den Gegenstanden ausgehend, sagen, jenes Objekt d0rt nennen die anderen auch Baum wie ich. Im Falle aber, dass tier Andere eine unbekannte Spraehe redet, kann ich unmSglich aus den Gegenstanden darauf sehliessen, welche Bezeichnung er Jhnen beilegen wird. Dieses ist aber unser Verh~ltnis den Tieren gegeniiber. Nut unter der Vor- aussetzung, dass ein dem meinen gleichgebautes Gehirn eine gleiehe Seele habe wie die meinige, kann ich schliessen, dass bei gleichartiger Erregung des Gehirnes auch gleichartige Empfindungen entstehen. Irgend ein Hilfs- mittel, das mir angiebt, in welcher Beziehung ein anders gebautes Gehirn zu seiner Psyche steht, besitze ich nicht. Ieh kann behaupten, die fremde Psyche empfinde das gleiehe wie die meinige oder sie empfinde gar nichts, (ohne dass darfiber irgend welehe Kontrolle msglieh w~re). Nur andere Empfindungen als die meinen kann ieh ihr nicht zusehreiben, denn ieh bin vSllig ausser st~nde, mir unbekannte Empfindungen auszumalen. So sind mir die Erscheinungen einer andersartigen Psyche absolut verschlossen, wie es auch kein Mittel giebt festzustellen, ob diese Erscheinungen in der fremden Psyche zu Gegenstanden geformt werden. Sowohl Inhalt wie Organisation der fremden Psyche bIeiben meiner Erfahrung fiir immer entzogen.

So entsteht das merkwfirdige Verhgltnis, in dem wit uns den Tieren gegenfiber befinden: Wahrend wir unseren Mitmenschen (mit Reeht oder mit Unrecht bleibe dahingestellt) die gleiche Psyche zusehreiben, die wir selbst besitzen, und die Ausserungen dieser identischen Seele nach der unseren zu beurteilen im stande sind -- befinden wir uns schon den hSheren Tieren gegenfiber im ungewissen, ob wir ihnen eine Seele fiberhaupt zuschreiben dfirfen. Da aber ihre Organisation der unseren so ahnlich ist, und ihre Lebensgusserungen den unseren zum grossen Teit gleichen, so schreibt man ihnen wohl ziem- lich allgemein ahnliehe Empfindungen zu, ohne sich darfiber Reehensehaft zu geben, dass uns Empfindungen, die den unseren bloss ahneln, gar nieht vorstellbar sind. Identische Empfindungen wagt man aber selbst den hSheren Tieren nicht beizulegen - - so hilft man sich mit inhaltslosen Redensarten fiber diese Schwierigkeit hinweg.

Es wird das Gebiet der Tierseele gerade durch die reiche Auswahl an MSglichkeiten, die wir nicht zu kritisieren im stande sind, immer der frei schaffenden Phantasie die anmutigsten Probleme liefern, die wir gewiss nicht vermissen mSchten -- hat uns doch vor kurzem ein grosser PoSt 1) in das Leben der Bienen eingeweiht und uns gezeigt, wie in einer Dichterseele alle die verschiedenen Lebensausserungen dieses kleinen Staates zu einer wunder- vollen Einheit zusammenfliessen.

Nie werden wir mit wissensehafflichen Velleit~ten kommen, um Erzeug-

5) Maeterlinck: La vie des abeilles. 15"

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228 J, yon Uexkiilt,

nisse des Dichtergenies zu kritisieren. Marehen sollen als Marchen empfun- den werden.

Hier handelt es sich aber urn Wissenschaft, die sehweigen soll, wenn ihr die MSgliehkeit der Erkenntnis versehlossen ist. Die Erkenntnis einer fsemden SeeIe bleibt uns aber dauernd verschlossen, da es keinen direkten Verkehr yon Seele zu Seele giebt. Der Rfickschluss aus den Lebensgusserungen auf die fremde Seele besteht nur unter des Voraussetzung, dass diese fremde Seele mit der meinen identisch sei; genau wie der Rfickschluss aus den Gegenstanden auf die Bezeiehnung, welehe ihnen yon Anderen beigelegt wird, nut unter der Voraussetzung richtig ist, dass die Anderen die gleiche Spraehe reden wie ieh.

Wie es aber Leute giebt, die da glauben bereits eine fremde Sprache zu reden, wenn sie in der eigenen zu stottern anfangen, so vermeinen die vergleichenden Psychologen des Tierseele ngher zu kommen, wenn sie Yon ihrer Seele irgend welche Abzage maehen odes sie anderweitig verstfimmeln.

Der Lauf der Untersuehung hat dargethan, d a s s - im Gegensatz zu den anderen Organen, deren Leistungen sieh in roller Gegenstandlichkeit nach dem EXausalgesetz vollziehen - - das Gehirn zu unseren Empfindungen in einem durchaus inkommensurabeln Verhattnis steht, dagegen in seinen ob- jektiven Zustandsanderungen Leistungen au~weist, die dem Kausalgesetz fo]gen, und far welehe aIlein der yon den Psychologen beanspruchte Analogie- schluss zul~tssig ist.

Ieh kann auch yon dem Reprgsentanten einer ausgestorbenen Krebs- gattung behaupten, dass sein Gehirn objektive Zustandsgnderungen (wie Er. regungsleitung e. c.) aufgewiesen babe, Dagegen habe ieh gar keine Be- rechtigung zu behaupten, die Krebse bes~ssen Empfindungen odes sie be- sttssen keine Empfindungen. U n s e r e G e g n e r m a c h e i ch n o c h aus- d r t t c k l i c h d a r a u f a u f m e r k s a m , dass v~ir n i c h t b e h a u p t e n , d ie T i e r e b e s ~ s s e n k e i n e P s y c h e , s o n d e r n ', d a s s w i t n u r b e h a u p t e n , t ibe r d i e s e F r a g e sei k e i n e E r f a h r u n g m S g l i c h .

Spekulationen sind natfirlieh aueh hieriiber mSglich, und wenn sich die Psychologen darin gefallen, ihre schSnen Beobachtungen und Experimente dutch Spekuiationen ungeniessbar zu machen, so mSgen sie es immerhin thun, sie sollen uns aber ihre Marchen nicht als Erfahrungsthatsachen auf- tischen.

Die Biologie wird, nachdem sie erkannt hat, dass es sich bei den Be- hauptungen der Psychologie um unbeweisbare Spekulationen handelt, auf diese keine Rfieksieht mehr nehmen, sondern unbekfimmert um weitere An- griffe sich ihrem klar erkannten Forschungsgebiet zuwenden.

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Psychologie und Biologie. 229

Wenden wir uns, nachdem wir festgestellt haben, was die Biologie nicht will, der Frage zu, was sie denn Positives will. Hierbei ktinnen wir uns er- heblich ktirzer fassen.

Programmschriften haben bei experimentellen Wissensehaften nur einen sehr zweifelhaften Wert, da die beobachteten Vorg~,nge immer starker sind als der Beobachter selbst und ihn hnmer wieder aus den eingesehlagenen Bahnen hinausdrangen.

Doch wird es yon Nutzen sein, in grossen Ziigen die Aufgaben der neuen Wissenschaft darzulegen, um dem yon autoritativer Seite gei~usserten Zweifel zu begegnen, ob man ohne Zuhiilfenahme der Sinnesempfindungeu tiberhaupt vergleichende Physiologie treiben k6nne.

Die herrsehende Physiologie betrachtet es als ihr Endziet, die biologi- schen Vorg~tnge auf physikalisehe oder chemische Probleme zuriiekzufiihren, sie teilt sich demgem~ss in einen chemischen und einen mehr physikalischen Fltigel. Die Grundphiinomene der Gewebe, wie die Kontraktion des Muskels oder die Verdauungsthatigkeit des Darmdrtisengewebes, dienen als Ausgangs- punkt, yon dem aus man durch Heranziehung elektriseher resp. osmotiseher etc. Vorgi~nge die Lebensi~usserungen auf die Gesetze der anorganischen Welt zurtickzuftihren sucht.

Gerade den umgekehrten Weg beschreitet die Biologie l). Gleichfalls yon den Geweben ausgehend, nimmt sie deren Funktionen als gegebene Faktoren an und versueht aus dem Zusammenwirken dieser Faktoren (die zum Teil setbst noch nigher erforscht werden mtissen) die Funktion der Organe abzuleiten und aus dem Zusammenarbeiten der Organe das Leben des Gesamtorganismus zu verstehen.

Ihre Bausteine sind daher bereits biologisehe Elemente. Desha|b geht sie die Frage nach dem Zusammenhang der belebten und unbelebten Natur nichts an. Sie wiirde, um dureh ein triviMes Beispiel zu reden, das Funk- tionieren eines Wagens auf das Funktionieren der einzelnen Teiie, tier Rader, des Sitzes, der Deichsel etc. zurtickftihren, ohne aui die Frage einzugehen. wie aus Eisen ein Rad werden kann.

Da fiir die grosse Mehrzahl der Tiere die Grundgewebe und ihre Funk- tionen in weitem Rahmen die gleiehen sind, so besteht die Hauptarbeit der Biologie darin, das Leben der mannigfaltigen TierkSrper au[ diese gemein- same Basis zuriickzufiihren.

Die ganze Mannigfaltigkeit der tierisehen Organe dient im Grunde immer nur den beiden ewig gleichen Aufgaben: Ernahrung und Fortpfianzung.

Wir haben also die gleichen Faktoren in den Grundfunktionen der Ge- webe vor uns, die den gleichen Zielen dienen, und trotzdem diese iiberraschende Mannig[altlgkeit im Aufbau der Gewebe.

1) Es ist hierbei nur yon den )/[etazoen die Rede. Die Protozoen erfordern eine spezielio Behandlung.

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Das erklart sich einzig und allein aus der Mannigfaltigkeit des M ili e us 1), in dem ein jedes Tier auf andere Weise mit den gleichen Ausgangsmitteln zum gleichen Ziel gelangen muss. Es geh~rt also das Studium des Milieus ganz wesentlich mit zu den Aufgaben der Biologie, obgleieh diese Seite der Wissenschaft bisher am ~trgsten vernachlassigt wurde.

Am rationellsten wird man nach meinen Erfahrungen bei experimen- tellen biologisehen Studien an neuen Tieren verfahren, wenn man sich das nachfolgende Schema stets vor Augen halt. Mit dem wirklichen Gang der Untersuchung hat es natfirlieh nichts zu thun, dieser richter sich lediglich naeh praktisehen Bedtirfnissen.

Alle Bewegungen der Tiere lassen sich auf Verkfirzung und Verlangerung der Muske]n zurtickffihren. Daher werden alle Bewegungen des Gesamttieres dutch eine Besehreibung des Zusammenarbeitens aller einzelnen Muskeln vollkommen dargestellt seine).

Alle Verkfirzungen und Verlangerungen der Muskeln entstehen in- folge yon Nervenerregung. Alle Nervenerregungen durch]aufen sowohl Bahnen wie Centren. Die Anordnung der centrifugalen Bahnen giebt meist fiber einen grossen Teil des Zusammenarbeitens der Muskeln Auskunft.

Die Centren haben die Aufgabe, die Erregung in die richtige centri- fugale Bahn zu leiten. Die richt~ge Bahn ist aber nach den Umstanden ver- schieden. Das Centrum muss daber die F~higkeit haben, die Erregung ein- real in die eine Bahn, ein andermal in die andere einzuleiten, oder sie ganz abzusperren, oder eine Verlangerung an Ste]le einer Verktirzung im gleichen Muskel eintreten zu ]assen, oder schliess]ich die Erregung aufzuspeichern. Man sieht sehon aus dieser kurzen Ubersicht der Leistungen der Central- apparate, dass es verschiedene Centren geben muss. Uber ihren Bau kSnnen wit uns keine Rechenschaft geben; nur wissen wir, dass wir sie n i c h t mit den Ganglienzellen identifizieren dfirfen. Loka l e D i f f e r e n z i e r u n g e n in d e n n e r v ~ s e n B a h n e n , die auf den A b l a u f der E r r e g u n g e n Yon E i n f l u s s s ind , das ist die einzige Definition ftir Centrum, die wit vorder- hand geben k6nnen.

Mit roller Sieherheit k6nnen wir nur das fo]gende sagen. Wenn ein Centrum einmal so und ein andermaI anders reagiert, so hat es beidemal einen anderen Anstoss erhalten. Seine AnstSsse erhalt das Centrum durch die Erregungen, die ihm vom Receptionsorgan (frfiher Sinnesorgan genannt) zugehen. Die Erregungen unterscheiden sieh naeh ihrer Intensitat. Diese Intensitatsdifferenzen geben die Handhabe ab zur AuslSstmg der versehiedenen Antworten im Centrum, indem dieses z. B. einer schwachen Erregung die eine

1) Unter dem Milieu eines Tieres ist derjenige Tell der Aussenwelt zu verstehen, der auf dieses Tier einwirkt.

2) Es giebt~vereinzelt~e Ausnahmen, wie die Bewegungen der Leibeswand der Holot~hurien mad Matratzensterne (Culeita), die ohne Muskeln dutch Quellung [?) zu stande kommon.

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PsychoIogie and Biologie. 231

centrifugate Bahn 5finer, einer starken Erregung die andere. Oder das Cen- trum leitet in dem gleichen Muskel auf eine schwache.Erregung hin eine Verktirzung ein, auf eine starkere dagegen eine Verlangerung. Letzteres ist eine sehr h~ufige Erscheinung.

Irgend einen Anhaltspunkt, der darauf hinwiese, dass die wellenf0rmig ablaufenden Erregungen aueh ihrer Qualit/it naeh (Lange der Welle an Stelle yon H0he) unterschieden werden, besitzen wir nieht. Und bevor uns der Einfluss der Qualitgt nicht bewiesen ist, brauchen wir uns nicht um sie zu kfimmern.

Die Centren selbst stehen untereinander in sehr wechselnder Verbin- dung. Es muss far jedes einzelne Tier nachgewiesen werden, ob seine Centren einander b]oss koordiniert sind (Seeigel) oder, wenn sie subordiniert sind, in welcher Ausbildung diese Subordination besteht; ob sieh immer die gleichen Gruppen yon Centren wiederholen, die immer den gleichfalls wiederkehrenden Muskelanordnungen entsprechen, wie bei den Anneliden; oder ob die Centra zu Gruppen verbunden sind, yon denen jede einer Gesammtbewegung des K0rpers vorsteht, wie beim Cephalopodengehirn.

Das Studium derjenigen Centren, die dureh Erregungen dauernde Ver- anderungen erfahren (die sich im modifizierten Ablauf bestimmter Reflexe aussprechen) kann mit Erfolg erst dann in Angriff genommen werden, wenn wir fiber die Funktion der fibrigen Centren besser informiert sind.

Das Gros der Erregungen fliesst den Centren dauernd yon den Recep- tionsorganen zu. Der Bau dieser Organe entseheidet zugleieh die Frage nach dem Milieu der Tiere.

Die einfachste Form der Receptionsorgane ist die freie Nervenendigung selbst. Auf sie wirken verschiedene ehemisehe oder mechanisehe Reize der Aussenwel~ ein und erzeugen im Nerven Erregungen, die sich ihrer Intensitat nach unterscheiden k0nnen.

Hin und wieder gesetlen sich besondere Apparate dem peripheren Ner- yen hinzu, die es bewirken, dass Reize der Aussenwelt, die bisher unter der Schwelle blieben, nun in Erregung umgesetzt werden.

Dadurch wird das Milieu des Tieres erweitert abet nicht bereiehert. Denn die Erregungen, die dem veranderten Endapparat entstammen, ver- ]aufen in den gleichen Bahnen wie die yon den freien Nervenendigungen erzeugten Erregungen. Sie treffen die gleichen Centren und werden alle nur ihrer Intensitat naeh unterschieden. So 15st ein Lichtreiz bei den Seeigeln den gleiehen Reflex aus, wie ein schwacher chemischer oder mechanischer Reiz, der an die gleiche Hautstelle tritt.

Erst bei Tieren, deren Centren bereits einen gewissen Grad tier Sub. ordination erreicht haben, kann es von Nutzen sein, die spezifischen Recep- tionsapparate dutch besondere Nerven mit h0heren Centren zu verbinden. Dana wird auch das Receptionsorgan mit besonderen Sehutzmitteln versehen,

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die daffir sorgen, dass nieht fremde Reize, die an sich fiber der Schwelle liegen, die Nervenendigung treffen, sondern soweit mSglich nur diejenigen Reize, auf die der Endapparat eingeste]lt ist, eingelassen werden. Auf diese Weise wird es erreicht, dass auf einen ganz speziellen Reiz der Aussenwelt bin eine ganz bestimmte Aktion des TierkSrpers eintritt.

Nut bei Tieren, die vermSge ihres reich ausgestalteten Nervensystems in der Lage sind, die verschiedenen Reize der Aussenwelt verschieden zu verwerten, kann man yon einem r e i e h e n Milieu sprechen, deshalb braucht dieses Milieu durchaus nicht w e l t e r zu sein, als das Milieu derjenigen Tiere, die ira Besitze bloss koordinierter Centren sind (und daher alle zu- fliessenden Erregungen gleich behandeln), dabei aber die gleichen unter- sehwelligen Reize mit Htilfe tier gleichen Receptionsapparate wie die centrali- sierten Tiere ihrem Nervensystem zuganglich machen.

So steht auch die reiche Ausbildung der Muskulatur keineswegs in direkter Beziehung zur Ausbildung des Centralnervensystems. Im Gegenteil kSnnen zahlreiche koordinierte Bewegungen eine reichere Ausbildung der Muskulatur verlangen, als wenige aber geschlossene Gesamthandlungen eines Centraltieres.

Erst eine ~Tbersicht aller Organsysteme und ihres Zusammenarbeitens liefert uns ein ansehaul]ehes Bi]d der Rolle, die das Tier in seiner Welt spielt, welche immer darin besteht, die beiden Kardinalaufgaben des Lebens, Ern~hrung und Fortpflauzung, im Kampf mit seinem Milieu durchzuffihren.

F(ir den experimentellen Biologen, der alas Leben des Gesamttieres aus dem Zusammenarbeiten der Organe verstehen will, das er schtiesslich auf die Grundfunktionen der Gewebe zurfickzuffihren sueht, ist die Frage nach tier MSglichkeit, die einzelnen Organsysteme getrennt zu behandeln, "con fundamentaler Wiehtigkeit.

Die Muskeln lassen sich in den meisten Fallen yon den Centralapparaten ]0sen und einzeln ill ihren Leistungen beobachten. Dagegen kann man nur in verschwindenden Ausnahmef~llen die Centren direkt mittelst des Galvano- meters beobaehten; in der fiberwiegenden Mehrzahl der Falle sind wir darauf angewiesen, die Leistungen der Centren aus ihren Wirkungen auf die Mus- kutatur zu ersehliessen. Es ist daher yon der grSssten Bedeutung, ob wir sie von ihren Reeeptionsorganen physiologiseh trennen k5nnen oder nieht. Es zeigte sieh, wie wir sahen, dass n u r die lntensit~itsdifferenzen der Erreg- ungen yon den Centren benfttzt werden. Das setzt uns in die Lage, bei Prfifung des Centrums das Reeeptionsorgan auszusehliessen, indem wir dureh abgestufte elektrisehe Reizuug des eentripetalen Nerven den gleiehen Effekt erzielen kSnnen, wie dureh Rei~ung des Reeeptionsorganes.

Bei Tieren mit hoeh kompliziertem Aufbau der Centren bleibt die Ermitte- lung dieses Aufbaues eine ausserordentlieh sehwierige Aufgabe. Sie ist aber dadureh mSgtieh geworden, dass bei diesen Tieren das immerwiederkehrende

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Problem, au_f jeden Reiz der Aussenwelt die richtige Antwort zu geben, derart gel6st ist, dass sich Receptionsorgane und Centren in die Verarbeitung des Reizes teilen. Die Reeeptionsorgane fibermitteln die Erregung ]e nach der R e i z a r t bestimmten centripetalen Bahnen, und die Centren verffigen ~iber die Weiterleitung der Erregung je naeh der I n t e n s i t ~ t der Erregung. So kommt dann, soweit der Tierk6rper fiberhaupt dazu befahigt ist, die richtige Itandlung zu stande, indem gewisse durch die Organisation vor- bestimmte Muskeln auf den Reiz hin in Aktion treten.

Dies sind in kurzen Worten die Aufgaben und die Aussichten der ex- perimentellen Biologiel). Ein Aufblfihen dieser hoffnungsreichen Wissen- scha~ ist aber nut dann zu erwarten, wenn die Forscher sieh yon der Uber- zeugung durchdringen ]assen, class die psychologischen Lehren, soweit sie sich auf die Tierseele beziehen, wert]ose und haltlose Spekulationen sind, und wenn sie unbeirrt um die SirenentSne der Seelenlehre ihre Untersuchungen auf die Gegenstande der Erfahrung besehr/~nken.

I) Soweit es sich um die Funktion der Organsys~eme handei~, die im Kampfe mit dem l~iilieu die Hauptrolle spielen. Die experimentelle Biologie der Verdauung, der For~pfianzung und Eni~wickelung muss yon ihren speziellen Gesichtspunk~en aus behandelt werden.