regenerative medizin biologie
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Regenerative Medizin und BiologieDie Heilungsprozesse unseres Krpers verstehen und nutzen
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Bundesministerium fr Bildung und Forschung (BMBF)
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Autoren
Dr. Rdiger Marquardt,
Dr. Karsten Schrrle,
DECHEMA e. V., Frankfurt/M.
Gestaltung
Christian Beck, Frankfurt/M.
Druckerei
Druckhaus Mnster, Kornwestheim
Bonn, Berlin 2005
Gedruckt auf Recyclingpapier
Bildnachweise Seite
Autotissue GmbH, Berlin 37
Christoph Blumrich, Blumrich Illustration, Greenlawn, New York 8, 9, 28
B. Braun AG, Melsungen 18
Bundesverband Medizintechnologie e.V., Berlin 15, 20, 42
Angelo Cavalli/TIPS/Agentur Focus U1
Co.don AG, Teltow 17, 24
Deutscher Bundestag, Berlin 32
Fischer Ski 16
Dr. Andreas Emmendrffer, euroderm GmbH, Leipzig 15
Flad & Flad - Communication GmbH, "Flad & Flad BioGene", Heroldsberg 12
Fresenius Medical Care AG, Bad Homburg 29
Prof. Dr. Christoph Gleiter, Universittsklinikum Tbingen 38
GDE - Grafikdesign Erdmann, Bonn 23
Dr. Andreas Haisch, Charit, Berlin 19
Daniel Heuclin, BIOS, Paris 40
Prof. Dr. Simon P. Hoerstrup, Universittsspital Zrich 19, 20
Prof. Dr. Jeffrey Hubbell, Ecole Polytechnique Fdrale Lausanne 18
Roman Jupitz, TU Hamburg-Harburg 23
Prof. Dr. Veit Krenn, Charit, Berlin 42
Deborah Maizels, Bertelsmann Lexikon Verlag GmBH, Gtersloh/Mnchen 7
Max-Planck-Institut fr molekulare Genetik, Berlin 30
Max-Planck-Institut fr molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden 41
Medical Photographic Library, Wellcome Trust, London 7, 30
Prof. Dr. Heike Mertsching, Fraunhofer-Institut fr Grenzflchen
und Bioverfahrenstechnik, Stuttgart 27
Prof. Dr. Stephen Minger, King's College, London 33
Adriane Polak, DECHEMA e. V., Frankfurt 31
Helmut Rohrer, MaxPlanckForschung, Mnchen 14
Prof. Andrew Swift, Medical College of Georgia, Augusta 10, 11
Teraklin AG, Rostock 29
VasoTissue Technologies GmbH, Berlin 20
VITA 34 AG, Leipzig 13
Dr. Dr. P. H. Warnke, Klinik fr MKG-Chirurgie, Universitt Kiel 21, 26
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Regenerative Medizin und BiologieDie Heilungsprozesse unseres Krpers verstehen und nutzen
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deutschen Biotechnologiefirmen vermarktet. Diese Erfolge
sind nur durch gemeinsame Anstrengungen, vor allem durch
die Zusammenarbeit von Grundlagenforschung, Klinik und
Industrie mglich.
Das Bundesministerium fr Bildung und Forschung frdert
gezielt die Ausschpfung der Potenziale der Biomedizin.
Mit dem im Jahr 2000 geschaffenen Frderschwerpunkt
Tissue Engineering untersttzte das Bundesministerium
fr Bildung und Forschung mit 38 Millionen Euro wichtige
Akzentsetzungen insbesondere bei jungen Unternehmen.
Ziel ist es, in Deutschland aus den bestehenden Strukturen
heraus ein international wettbewerbsfhiges Produkt- und
Dienstleistungsspektrum zu etablieren. Daher werden vor
allem Kooperationen zwischen kleinen und mittleren Unter-
nehmen und Forschungseinrichtungen aus Medizin sowie
Natur- und Ingenieurwissenschaften gefrdert. Zustzlich
zu den genannten ffentlichen Frdermitteln konnten noch-
mals etwa 26 Millionen Euro private FuE-Mittel mobilisiert
werden.
Darber hinaus wird in dem BMBF-Frderschwerpunkt Bio-
logischer Ersatz von Organfunktionen das Potenzial von
Stammzellen zur Therapie verschiedener volkswirtschaftlich
relevanter Erkrankungen wie zum Beispiel Parkinson, Dia-
betes, Osteoporose und Herzinfarkt ausgelotet. Mit einem
Volumen von neun Millionen Euro fr drei Jahre ist der
Frderschwerpunkt Mitte 2001 gestartet und umfasst der-
zeit 32 laufende Projekte.
Zur Fortfhrung dieser Frderung ist im September 2004 ein
neuer Frderschwerpunkt zur Zellbasierten, regenerativen
Medizin ausgeschrieben worden. Dabei soll das bisherige
Frdervolumen mit einem Umfang von drei Millionen Euro
im Jahr beibehalten werden. Die gefrderten Projekte wer-
den sich berwiegend im Vorfeld der Anwendung bewegen
zur Vorbereitung einer spteren klinischen Anwendung.
Diese Broschre gibt einen berblick ber den Stand der Ent-
wicklung, skizziert das Potenzial der Regenerativen Techno-
logien und wagt einen Blick in die Zukunft. Die enormen
Chancen, die sich dabei abzeichnen, mssen wir nutzen in
unser aller Sinne: als mgliche Patienten und fr die wirt-
schaftliche Leistungsfhigkeit Deutschlands.
Edelgard Bulmahn
Bundesministerin fr Bildung und Forschung
Das Bundesministe-
rium fr Bildung und
Forschung frdert For-
schung fr den Men-
schen. Damit ist nicht
nur gemeint, dass For-
schungsergebnisse zu
einer verbesserten
Gesundheitsversor-
gung beitragen kn-
nen. Forschung fr
den Menschen bedeu-
tet auch und dies gilt
in besonderer Weise bei den Entwicklungen der modernen
Biomedizin dass sie in einem angemessenen ethischen und
rechtlichen Rahmen stattfindet.
Regenerative Technologien gehren zu den innovativsten
Zukunftsfeldern der modernen biomedizinischen und bio-
logischen Forschung und Anwendung. Die Mglichkeit, die
Selbstheilungskrfte des Krpers gezielt zur Behandlung
von Krankheiten zu mobilisieren, ist fr die Gesundheit
vieler Menschen eine beraus wichtige, wirtschaftlich sehr
viel versprechende und wissenschaftlich hchst faszinierende
Perspektive.
Konkret umfassen die Regenerativen Technologien die Er-
haltung beziehungsweise Wiederherstellung der Leistungs-
fhigkeit und damit Lebensqualitt bei Patienten auch bei
bisher nicht therapierbaren Krankheitsbildern. Gleichzeitig
birgt sie auf lngere Sicht betrachtet konomische Potenziale
bei der Behandlung selbst: Wo es ber die Stimulierung kr-
pereigener Mechanismen zu einer Reparatur im Sinne einer
echten Regeneration kommt, kann auf Implantate aus Stof-
fen, die dem Organismus fremd und unvertrglich sind, auf
lange Sicht immer fter verzichtet werden. Auch aufwndige
Folgebehandlungen wie Dialyse oder Folgeoperationen
knnten in Zukunft unterbleiben. Vorbild ist dabei die Natur
selbst: Sie liefert mit Wirbeltieren, bei denen ganze Organe
oder Krperteile nachgebildet werden, die beeindruckends-
ten Beispiele fr das dahinter stehende Potenzial.
Schon heute zeigen sich erstaunliche Beispiele, unter ande-
rem die Mglichkeit, Hautverbrennungen durch aus Zellen
nachgezchtete Haut zu heilen oder die Option, patienten-
eigenen Knorpel zu zchten, um ihn in verletzte Gelenke
oder als Bandscheibenersatz zu transplantieren. Diese An-
stze sind bereits praxistauglich. Sie wurden von Forscher-
gruppen in Deutschland entwickelt und werden auch von
VORWORT
Vorwort
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4 INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort 3
Einleitung 5
Medizinische Grundlagen 6
Zellen- und Differenzierungspotenziale 7
Immunologie 8
Stammzellen 11
Reproduktives und therapeutisches Klonen 14
Tissue Engineering in der Praxis: einige Beispiele 15
Haut 15
Gelenkknorpel 16
Bandscheiben 17
Knochenmark und Blutzellen 17
Extrazellulre Trgermaterialien Grundlage des Fortschritts 18
Ohren 19
Herzklappen 19
Gefe 20
Anstze mit Stammzellen 21
Knochen 21
Entwicklung der Methoden der modernen Medizin 22
Die Zchtung von Zellen und Geweben 24
Herzmuskel 26
Luftrhre 27
Pankreas 28
Niere 28
Leber 29
Nerven 30
Embryonale Stammzellen die internationale Situation 32
Nationale und internationale Frderaktivitten 35
Die Zulassung von Tissue-Engineering-Produkten 36
Fallbeispiel fr die Zulassung eines TE-Produkts 37
Interview mit Prof. Dr. Christoph Gleiter 38
Regenerative Medizin die Zukunft hat schon begonnen 40
Wird sich die regenerative Medizin durchsetzen? 42
Glossar 43
Inhaltsverzeichnis
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5EINLEITUNG
Gegenwrtig sind die komplexen Kausalitten der biologi-
schen Regenerationsmechanismen noch weitgehend unver-
standen. Hier steht die biomedizinische Grundlagenfor-
schung gerade erst am Anfang. Vieles bleibt aufzuklren,
zum Beispiel wie nah adulte, embryonale oder Nabelschnur-
blutstammzellen an das jeweilige Therapieziel heranfhren.
Diese spannenden Fragen mssen ergebnisoffen, nchtern
und bei Wahrung der ethischen Grundstze angegangen
werden, die notwendigen materiellen und rechtlichen Vor-
aussetzungen dafr sind gegeben.
Der "Heilige Gral" der Regenerativen Medizin ist schlielich
die Bildung bzw. Zchtung von ganzen Ersatzorganen und
Gliedmaen aus Zellen der Patienten. Auch wenn dieses Ziel
noch in sehr weiter Ferne liegt, werden jetzt die ersten Schrit-
te dahin gemacht. Denn die Natur hat uns bei Wirbeltieren
wie Reptilien und Amphibien bereits vorgemacht, dass dies
mglich ist.
Die Medizin steht vor groen Entwicklungen. Dank der ra-
sant wachsenden Einblicke in zellulre Prozesse verstehen
wir die molekularbiologischen Mechanismen hinter den
Selbstheilungskrften unseres Krpers zunehmend besser.
Diese Selbstheilungskrfte gezielt zu nutzen, bedeutet eine
wesentliche Erweiterung der Heilkunst um therapeutische
Optionen, die oft unter dem Schlagwort der Regenerativen
Medizin zusammengefasst werden.
Einige Anwendungen wurden bereits Realitt. Dazu zhlen
Knorpel- und Hautersatz, die durch das Tissue Engineering
das heit die intelligente Kombination von Hightechmateri-
alien und Zellkulturen verfgbar wurden. Hier haben ins-
besondere deutsche Forschergruppen und Biotechunterneh-
men viel geleistet. Trotz der Verfgbarkeit dieser Produkte
sind aber manche Probleme auf dem Weg zum Markterfolg
noch nicht gelst worden. So leidet die Kommerzialisierung
unter den in Europa uneinheitlichen Zulassungsregularien
und der zgerlichen Erstattungspraxis der Krankenversiche-
rungen, wodurch letztlich die Aussichten der jungen Unter-
nehmen auf Einnahmen schwinden und sich Investoren oft-
mals verhalten zeigen.
Dennoch hat die Regenerative Medizin ihre Zukunft noch vor
sich. Die aufregenden Ergebnisse haben bereits viel verspre-
chende Projekte etwa zur Reparatur defekter Gewebeberei-
che angestoen, die langfristig zur Therapie schwerer und
weit verbreiteter Krankheiten wie Herzinfarkte, Neurodege-
nerativer Erkrankungen und Diabetes geeignet sein drften.
Das konomische Potenzial derartiger Therapien wird als be-
achtlich eingeschtzt nicht zuletzt in der Entlastung der
Gesundheitssysteme.
Einleitung
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6 MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN
zahl einzelner Zellen aufgebaut sind. Die Zelle ist das verbin-
dende Element aller Lebewesen, von den einzelligen Urtier-
chen, die schon Leuwenhook unter dem Mikroskop beobach-
tet hatte, bis hin zum Elefanten oder Wal. Diese Erkenntnisse
und das zunehmende Verstndnis der Organe und Funktio-
nen des menschlichen Krpers ermglichten eine neue Vor-
stellung von Krankheit und neue Konzepte fr Therapien. So
konnte Rudolf Virchow, ein Berliner Arzt und Politiker, unter
anderem den zellulren Ursprung vieler Krankheiten erken-
nen. Virchow setzte sich auch sehr fr den Aufbau eines staat-
lichen Gesundheitswesens ein.
Das 19. Jahrhundert erwies sich insgesamt als technik- wie
forschungsfreundlich und verhalf auch der Medizin zu wich-
tigen Fortschritten. So ist das Stethoskop, noch heute ein
Standard-Utensil der rzte, eine Erfindung des frhen 19.
Jahrhunderts. Auch fanden in der ersten Hlfte dieses Jahr-
hunderts Schmerzmittel wie Morphin als aktiver Bestandteil
des Opiums identifiziert, oder Narkosemittel wie Lachgas,
ther und Chloroform erstmals breite und gezielte Anwen-
dung. Das ermglichte wiederum umfangreiche und schwie-
rige chirurgische Eingriffe. Die Medizintechnik, also die Ent-
wicklung und der Einsatz speziell entwickelter Gerte fr
Diagnostik und Therapie, machte seit dieser Zeit groe Fort-
schritte. Eine moderne medizinische Versorgung greift ja wie
selbstverstndlich auf Katheter, knstliche Gelenke, Herz-
schrittmacher, Zahnimplantate und vieles mehr zurck.
Auch mikrochirurgische Verfahren knnen nur dank der Ent-
wicklung neuer Gerte eingesetzt werden. In der Pharmazie,
bei der Entwicklung und Bereitstellung von Medikamenten,
wurden gleichfalls groe Fortschritte gemacht.
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte man bereits Metho-
den, um Organe auerhalb eines Krpers funktionstchtig zu
halten. Dazu wurden die isolierten Organe nicht mit Blut,
sondern mit speziell dafr entwickelten Nhrlsungen durch-
splt. Auch die Transplantation menschlicher und tierischer
Organe versuchte man. Allerdings scheiterten diese und auch
sptere Versuche an den oft heftigen und bis dahin unverstan-
denen Abstoungsreaktionen der Empfnger. Erst in den
1950er Jahren gelang rzten in Boston eine erfolgreiche Nie-
rentransplantation beim Menschen, wobei Spender und
Empfnger eineiige Zwillinge waren und daher Abstoungs-
reaktionen unterblieben. Die eigentliche ra der Organtrans-
plantationen begann im Jahr 1967 mit der erfolgreichen Ver-
Die ersten berlieferten Anstze einer rationalen Ausein-
andersetzung mit menschlichen Krankheiten, zumindest im
abendlndischen Raum, werden hufig Hippokrates zuge-
schrieben, der rund 400 Jahre vor Christus gewirkt und eine
eigene Lehre begrndet hat. Der Hippokratische Eid der
Mediziner erinnert noch heute an ihn. Hippokrates und sei-
nen Schlern ist es zu verdanken, dass Krankheiten nicht
mehr als gttliche Strafe oder als Wirken von Dmonen
begriffen wurden, sondern als Fehlfunktionen des Krpers,
die man behandeln konnte. Fr Hippokrates ging es darum
die Patienten genau zu beobachten und sie entsprechend zu
pflegen, also die Selbstheilungskrfte des Krpers gezielt zu
untersttzen angesichts des fehlenden Verstndnisses fr
Krankheitsursachen keine schlechte Methode.
Erst um das Jahr 1840 herum setzte sich die Erkenntnis durch,
dass Pflanzen, Tiere und der Mensch aus einer groen Viel-
Medizinische Grundlagen
Bereits Hippokrates erkannte die Bedeutung der Selbst-
heilungskrfte des Krpers fr die Therapie von Krank-
heiten. Dass Zellen bei Krankheits- und Heilungsprozes-
sen im Mittelpunkt stehen, wurde im 19. Jahrhundert klar.
Heute versteht man viele ihrer Mechanismen und lernt,
sie gezielt fr die Therapie zu aktivieren und zu nutzen.
Aderlass
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7MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Zellen und Differenzierungspotenziale
pflanzung eines menschlichen Herzens durch Christian Bar-
nard. Mittlerweile hatte man gelernt, Spender und Empfn-
ger hinsichtlich einer mglichst guten Gewebevertrglich-
keit zu klassifizieren und man setzte radioaktive Bestrah-
lungen oder Zytostatika ein, um die Immunantwort des
Empfngers zu unterdrcken. Es bedurfte allerdings noch
der Entwicklung besserer Medikamente, mit denen die
Immunabwehr ohne allzu gravierende Nebenwirkungen
kontrolliert werden konnte, bevor die Methode der Organ-
transplantation ihren Siegeszug antrat.
Die Medizin hat sich in den letzten 200 Jahren enorm
entwickelt und es ist fr uns heute
selbstverstndlich, dass hoch-
moderne Techniken und Medika-
mente zur Verfgung stehen, mit
denen Verletzungen versorgt,
Krankheiten gelindert oder geheilt
werden knnen. Viele Erkrankun-
gen kann man allerdings nur in
den Symptomen, nicht aber in den
Ursachen bekmpfen. Bei Organ-
transplantationen ist die Nachfra-
ge heute weit grer als das ver-
fgbare Angebot. Leiden wie
Krebs, Schlaganfall und Herzin-
farkt knnen nur unzureichend
behandelt werden. Die steigende
Lebenserwartung fhrt dazu, dass
altersbedingte Krankheiten eine
immer grere Rolle spielen, wor-
aus neue Anforderungen an die
medizinische Versorgung resultie-
ren. Dank des Wissens um den Auf-
bau und das Funktionieren des
menschlichen Krpers erffnet
sich nun auch die Mglichkeit, das hohe Leistungspotenzial
menschlicher Krperzellen fr therapeutische Zwecke zu nut-
zen. Was die Schule des Hippokrates begrndet hat, nmlich
die Untersttzung der Selbstheilungskrfte des Krpers, wird
von der modernen Medizin in verblffender Weise aufge-
nommen und weiterentwickelt.
Zellen und Differenzierungspotenziale
Die erste Hlfte des 19. Jahrhunderts hatte nicht nur die Er-
kenntnis gebracht, dass Organismen aus einer Vielzahl
einzelner Zellen aufgebaut sind. Man hatte auch die Eizelle
entdeckt und untersucht, wie sich aus dieser einzelne Gewe-
beschichten und schlielich ganze Lebewesen entwickeln
konnten. Trotz dieser frhen Einsicht gehrt es noch heute
zu den grten und spannendsten Herausforderungen in den
Lebenswissenschaften zu verstehen, wie dieser Vorgang
genau abluft. Auch der menschliche Organismus entsteht in
seiner komplexen Gesamtheit mit rund 60 Billionen Zellen
aus nur einer einzigen Zelle, der befruchteten Eizelle. Im Men-
schen bilden sich ber 200 Zelltypen aus, die unterschiedlich
spezialisiert sind und verschiedene Aufgaben wahrnehmen.
Es leuchtet sofort ein, dass eine Leberzelle anders funktionie-
ren muss als eine Herz- oder Hautzelle und dass rote Blutkr-
perchen andere Funktionen haben als weie. Wie es zu dieser
Spezialisierung kommt ist noch nicht endgltig geklrt. Klar
ist aber, dass alle Zellen eines Organismus grundstzlich ber
die gleiche genetische Ausstattung verfgen und damit im
Prinzip jede Aufgabe bernehmen knnten. Die unterschied-
Mitochondrium
Kernhlle
Zellkern
Golgi-Apparat
Zellmembran
Glattes endo-plasmatisches
Retikulum
Raues endoplasma-tisches Retikulum
Ribosom
Kern-krperchenZentral-krperchenGlykogen-trpfchen
Freie Ribosomen
Zytoplasma
MikrotubulusZille
Golgi-Veskel
Herz-OP
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8 Zellen und Differenzierungspotenziale MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN
ImmunologieNoch als Student hatte der sptere Nobelpreistrger Karl Land-steiner zu Anfang des 20. Jahrhunderts das menschliche Blut invier Hauptgruppen unterteilen knnen, die untereinander ver-trglich waren. Menschen mit der gleichen Blutgruppe knnensich gegenseitig Blut spenden, ohne dass dies beim jeweiligenEmpfnger zu Problemen fhrt. Stimmen die Blutgruppendagegen nicht berein, dann kann es je nach Kombination zuVerklumpungen und schweren Problemen bis hin zum Tod desEmpfngers kommen. Diese Tatsache hatte dazu gefhrt, dassdie immer wieder einmal versuchten und gelegentlich sogarerfolgreichen Bluttransfusionen vor der Entdeckung Landstei-ners in Europa meist verboten waren. Landsteiner beschriebbrigens knapp 40 Jahre nach Entdeckung der vier hauptsch-lichen Blutgruppen zusammen mit Alexander Wiener auch denRhesusfaktor, ein weiteres wichtiges Blutgruppen-Merkmal.Ursache fr die Unterschiedlichkeit der Blutgruppen sind Struk-turen auf den Oberflchen der Blutzellen, die man als Antigenebezeichnet. Landsteiner setzte seine Forschungen Anfang des20. Jahrhunderts fort und entwickelte gemeinsam mit anderendie Theorie, dass die Antigene von bestimmten Eiweien im Blut,den Antikrpern, erkannt und gebunden werden. Als Antigenekonnten dabei nicht nur Strukturen auf Zelloberflchen dienen,sondern ein riesiges Reservoir fast beliebiger Substanzen. Das Immunsystem des Menschen ist auerordentlich komplex.Unablssig berprfen spezialisierte Zellen, ob fremde Stoffe inden Krper eingedrungen sind. Ist dies der Fall, dann wird eineKaskade von Aktivitten gestartet in deren Folge die Fremdstof-fe unschdlich gemacht werden. Auch wenn es sich bei denfremden Stoffen um Viren und Bakterien handelt, die Krper-zellen infizieren und sich dort quasi verstecken, werden sie vonden Immunzellen aufgesprt. Dabei erkennen die Immunzel-len vernderte Strukturen auf den Oberflchen der befallenenZellen und tten diese Zellen ab. Die Vermehrung der Bakterienund Viren wird dadurch unterbunden. Unser Immunsystem kann praktisch jede beliebige molekulareStruktur erkennen und mit ihr wechselwirken. Whrend einneuer Mensch heranwchst, lernen die Immunzellenzunchst, die Zellen des eigenen Krpers als nicht fremd zubehandeln. Tatschlich sieht dieser Lernprozess so aus, dass ineiner definierten Entwicklungsphase alle Immunzellen, die mit
Mehr als ein Dutzend verschiedener Immunzellen, fnfzig Botenstoffe(Zytokine) und zahlreiche weitere Substanzen arbeiten im ebenso kom-plexen wie intelligenten Netzwerk des Immunsystems zusammen, umunseren Organismus gegen verschiedenste Arten von Eindringlingen undAmoklufern zu schtzen. Fresszellen nehmen bakterielle Eindringlinge ins Zellinnere auf und zer-stren sie dann. B-Zellen tragen auf ihrer Oberflche gleiche, aber von Zelle zu Zelle ver-schiedene Antikrper.Nach der Aktivierung durch ein Antigen vermehrt sich eine B-Zelle undbildet Hunderte von so genannten Plasmazellen, von denen jede dengegen den Eindringling passenden Antikrper in groer Menge etwa2.000 Antikrper pro Sekunde produziert. Antikrper heften sich anfreie Antigene der Erreger und markieren diese damit zur Vernichtungdurch Fresszellen. Die Markierung wird durch zustzliche Anhaftung vonKomplementfaktoren, das sind immunologische Wirksubstanzen ausder Leber, verstrkt. Die Fresszellen Makrophagen oder Granulozy-ten werden durch Botenstoffe der T-Zellen aktiviert.
Plasmazellengehen aus B-Zellenhervor und produ-zieren wie dieseAntikrper.
Folikulre dendritischeImmunzellenprsentieren denB-LymphozytenAntigene undregen sie zur Bil-dung von Antikr-pern an.
Neutrophile Granulozytenattackieren Bak-terien und setzenEntzndungs-stoffe frei.
Basophile Granulozytensind fr allergi-schen Reaktionenim Blut verant-wortlich.
Mastzellensind an derAuslsungallergischerReaktionenim Gewebebeteiligt.
T-Lymphozytenzerstren vonViren befallene Zel-len und regulierendie Immun-antworten.
Eosinophile Granulozytensind vor allem ander Abwehr vonWrmern beteiligtund verantwort-lich fr Entzn-dungen bei allergi-schem Asthma.
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9MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Zellen und Differenzierungspotenziale
bestimmten Oberflchenstrukturen auf den normalen Krper-zellen interagieren, absterben. Dadurch wird erreicht, dass dienormalen, unvernderten Zellen des Krpers fr das eigenenImmunsystem unsichtbar werden. Aus der Vielzahl an Struktu-ren, die unser Immunsystem dann ein Leben lang erkennt, wer-den zunchst einmal diejenigen gezielt entfernt, die fr dasjeweilige Individuum typisch sind. Diese Strukturen bezeichnet man auch als Gewebsantigene. Sowie sich ein Mensch vom anderen unterscheidet, unterscheidensich auch die Gewebsantigene voneinander. Jeder Mensch hatseine ganz eigenen, individuell geformten Gewebsantigene.Ausnahmen sind hier nur genetisch identische Individuen wieeineiige Zwillinge bei der Diskussion um das therapeutischeKlonen werden wir auf diesen Umstand zurckkommen. DieGewebespezifitt ist bei Transplantationen sehr problematisch,da das Immunsystem ja nur eigene Krperzellen toleriert, dieZellen des Spenderorgans dagegen als fremd erkennt undangreift. Als Folge davon kommt es zu Abstoungsreaktionen.Man ist heute in der Lage, die Vertrglichkeit von Gewebenunterschiedlicher Individuen aufgrund einer Klassifizierungder Gewebsantigene vorherzusagen die Heftigkeit einerImmunreaktion kann je nach Typ dieser Gewebsantigene sehrunterschiedlich sein. Der Erfolg einer Transplantation hngtdeshalb von der richtigen Typisierung der Gewebe ab. Aberauch davon, dass eine immer noch vorhandene Immunreaktiondurch Medikamente unterdrckt wird.Der aufmerksame Leser wird sich vielleicht fragen, warum esbeim Blut dann nur so wenige Hauptgruppen gibt. Auch hiermssten sich die Blutzellen ja eigentlich von Individuum zuIndividuum unterscheiden. Grund dafr ist die Tatsache, dassdie roten Blutkrperchen, die Erythrozyten, als einziger Zelltypkeine Gewebsantigene mehr auf der Oberflche tragen. Des-wegen spielen hier nur zwei andere Antigene eine Rolle, dieman als A und B bezeichnet. Die Erythrozyten tragen entwedernur das A-Antigen (Blutgruppe A), das B-Antigen (BlutgruppeB), beide Antigene (Blutgruppe AB) oder keines dieser Antigene(Blutgruppe 0) auf der Oberflche.Eine andere Besonderheit stellt die Transplantation der Horn-haut des Auges dar. Die fehlende Abstoung beruht hier darauf,dass in der klaren Hornhaut keine Blutgefe und daher auchkeine Immunzellen vorhanden sind, da die Ernhrung derHornhaut ber das Trnensekret erreicht wird.
liche Spezialisierung wird dadurch festgelegt, dass in jedem
Zelltyp nur eine definierte Teilmenge der verfgbaren Gene
aktiv ist.
Trotz ihrer unterschiedlichen Aufgaben verfgen menschli-
che Zellen ber gemeinsame Elemente. Dazu gehrt eine
Membran, die den Zellinhalt, das Zytoplasma, von der Umge-
bung abgrenzt und der Zelle die Form gibt. Weiterhin verf-
gen die Zellen ber einen Zellkern, in dem die genetische
Information gespeichert ist und aus dem diese Information,
je nach Bedarf, abgerufen wird (die roten Blutkrperchen
sind hier einzigartig, weil sie im Zuge ihrer Spezialisierung
den Zellkern verlieren). Auerdem verfgen die Zellen ber
Ribosomen, die so genannten Proteinfabriken, an denen die
genetische Information in Eiweie, die Proteine, bersetzt
wird. Und weil alle Prozesse Energie verbrauchen gibt es Mi-
tochondrien, in denen die biochemische Energie mit Hilfe
von molekularem Sauerstoff erzeugt wird. Zwei weitere wich-
tige Zellelemente sind das Endoplasmatische Reticulum, eine
Art Transportnetz innerhalb der Zelle und der Golgi-Apparat,
mit dessen Hilfe beispielsweise festgelegt wird, ob ein neu
hergestelltes Eiwei im Zellkern, in der Zellmembran oder in
einem anderen Teil der Zelle landet oder von der Zelle in
die Umgebung abgegeben wird.
Die einzelnen Zelltypen unterscheiden sich in Funktion und
Gestalt teils ganz erheblich. Die menschliche Zelle mit dem
grten Zellkrper ist die weibliche Eizelle, die mit 200
Mikrometer Durchmesser dem Fnftel eines Millimeters
sogar mit bloem Auge gerade noch erkannt werden kann.
Nervenzellen knnen, mit den zur Signalleitung notwendi-
gen langen Fortstzen, den Axonen, sogar bis zu einem
Meter lang werden. Die Beschreibung der rund 200 unter-
schiedlichen Zelltypen wrde den Rahmen dieser Broschre
sprengen. Erwhnt seien aber noch die unterschiedlichen
Zelltypen im Blut. Der wohl bekannteste Typ, das rote Blut-
krperchen wissenschaflich als Erythrozyt bezeichnet
ist fr den Transport von Sauerstoff und
Kohlendioxid zustndig. Das eisenhal-
tige Protein Hmoglobin, das dies
bewerkstelligt, ist fr die rote Frbung
der Zellen und damit des Bluts verant-
wortlich. Die anderen rund zehn
Typen, die summarisch als weie Blut-
krperchen bezeichnet werden, stellen
das Abwehrsystem des Krpers gegen
Eindringlinge wie Bakterien und Viren
dar oder sind als Blutplttchen an der
Blutgerinnung beteiligt.
Die roten Blutkrperchen verlieren im Zuge ihrer aueror-
dentlich hohen Spezialisierung ihren Zellkern. Das Vorhan-
densein genetischer Information, die im Zellkern lokalisiert
ist, stellt allerdings eine zwingende Voraussetzung fr die
Teilung und damit Vermehrung der Zellen dar. Die Erythro-
Natrliche Killerzellengreifen entarteteund viral infizier-te Zellen an.
Makrophagenvernichten haupt-schlich bakteriel-le Eindringlinge.
Dendritische Zellen in Gewebennehmen Antigeneauf, die sie T-Lym-phozyten prsen-tieren.
Rote Blutzellen
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10 Zellen und Differenzierungspotenziale MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN
der Stammzellen entscheidet darber, in welche Richtung sie
sich nach ihrer Aktivierung entwickeln. Dabei vollzieht sich
diese Entwicklung in mehreren Schritten. Aus einer Blut-
stammzelle gehen beispielsweise lymphoide und myeloide
Vorluferzellen hervor, die nicht mehr alle, aber doch noch
verschiedene Zelltypen des Bluts generieren knnen. Viele
der Faktoren, die fr eine solche Reifung wichtig sind, kennt
man heute. Verwiesen sei hier nur auf das Erythropoietin,
oder kurz EPO1, das fr die Bildung der roten Blutkrperchen
von entscheidender Bedeutung ist. Wie bei zahlreichen an-
deren solcher Faktoren handelt es sich bei EPO um ein Protein,
das mit Rezeptoren auf der Oberflche der Blutstammzellen
interagiert und damit die Reifung der Zellen beeinflusst.
Die meisten Gewebe sind in der Lage, sich zu regenerieren
und verfgen ber entsprechende Stammzellen. Man
bezeichnet solche gewebespezifischen Stammzellen auch als
adulte Stammzellen. Selbst im Gehirn, das man noch bis vor
kurzem fr nicht regenerationsfhig gehalten hatte, wurden
1 Da EPO in der Niere gebildet wird leiden viele Nierenkranke an einer Anmie, also einer zu geringen Zahl von roten Blutkrperchen. Unter
Einsatz molekularbiologischer und biotechnischer Methoden kann EPO seit einigen Jahren als Medikament zur Verfgung gestellt und die-
sen Menschen dadurch wirksam geholfen werden. EPO hat sich zu einem der umsatzstrksten Medikamente berhaupt entwickelt. Die
blutbildenden Eigenschaften bergen aber auch die Gefahr von Missbrauch zum Beispiel im Leistungssport.
zyten haben zwar eine recht lange Lebenszeit, doch sterben
sie nach rund 120 Tagen ab und mssen ersetzt werden. Man
hat errechnet, dass pro Minute rund 350 Millionen neue rote
Blutkrperchen gebildet werden. Hier zeigt sich, dass die
neuen Eythrozyten aus so genannten Vorluferzellen entste-
hen, die man auch als Stammzellen bezeichnet. Stammzellen
sind undifferenzierte Zellen, die sich in den unterschied-
lichen Geweben finden und die Fhigkeit haben, sich in alle
Zelltypen des jeweiligen Gewebes entwickeln zu knnen. Die
Blutstammzellen sind im Knochenmark lokalisiert wir wer-
den ihnen in dieser Broschre noch hufiger begegnen.
Neben den Blutstammzellen findet sich im Knochenmark
brigens noch ein weiterer Typ von Stammzellen, aus denen
Stroma-, Fett-, Knorpel- und Knochenzellen entstehen kn-
nen.
Aus den Blutstammzellen des Knochenmarks gehen aber
nicht nur die roten Blutkrperchen hervor, sondern auch
alle anderen Zelltypen des Bluts. Das umgebende Milieu
Zwei Arten adulter
Stammzellen gibt es
im Knochenmark:
Blutstammzellen, aus
denen sich die Vorlu-
fer der verschiedenen
Blutzellen bilden, und
Stromazellen, aus
denen Fett-, Knorpel-
und Knochenzellen
hervorgehen. Stroma-
zellen knnten auch
die Vorlufer der
mesenchymalen
Stammzellen und der
multipotenten adul-
ten Vorluferzellen
(MAPCs) sein, sie sind
vielleicht sogar mit
ihnen identisch. Adul-
te Zellen, denen
Stammzelleigenschaf-
ten zugeschrieben
wurden, hat man mitt-
lerweile in vielen Geweben gefunden: Gehirn, Haut, Muskel, Leber, Zahnpulpa, Auge, Pankreas, Blutgefe und im Magen-
Darm-Trakt. Noch ist unklar, ob es sich um organtypische Stammzellen oder um eingewanderte Blutstammzellen aus dem
Knochenmark handelt.
dendritische Zelle
B-Lymphozytnatrliche Killerzelle
T-Lymphozyt
lymphoideVorlufer-
zelle
myeloideVorlufer-zelle
neutrophileZelle
mesenchymaleStammzelle
MAPC
Osteoblast
Fettzelle
Stroma-zelle
Blutstamm-zelle
Knochen-mark
rote Blut-krperchen
Monozyt
eosinophilerGranulozyt
basophilerGranulozyt
Megakaryozyt
Blutplttchen
multipotenteStammzelle
-
11MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Stammzellen
diese Unterscheidung zwischen Pluripotenz und Totipotenz
wird bei der Diskussion der rechtlichen Rahmenbedingun-
gen (siehe Seite 32) noch eine wichtige Rolle spielen.
Auf dem Gebiet der Stammzellforschung werden laufend
neue Erkenntnisse gewonnen und die bisherigen Lehrmei-
nungen geraten ins Wanken. Auch die Aussage, dass sich aus
embryonalen Stammzellen keine Keimzellen entwickeln
knnen, stimmt so nicht mehr. Der deutsche Forscher Hans
Schler und sein Team konnten krzlich in den USA Kulturen
von embryonalen Stammzellen der Maus zur Bildung von
sie entdeckt. Allerdings diskutieren die Fach-
leute noch darber, ob die adulten Stammzel-
len tatschlich in den entsprechenden Gewe-
ben bevorrated werden, oder nicht vielleicht
aus dem Knochenmark stammen also viel-
leicht eigentlich Blutstammzellen sind und in
die jeweiligen Gewebe einwandern. Unter dem
Einfluss der dortigen Umgebung knnten sie
dann umprogrammiert werden und zur Bil-
dung der gewebespezifischen Zelltypen fh-
ren.
Daneben haben manche, besonders mesenchy-
male, Gewebe die Fhigkeit zur Dedifferenzie-
rung. Ausdifferenzierte Zellen knnen im Falle
einer vernderten Mikroumgebung stillgeleg-
te Funktionen reaktivieren und sich auch wie-
der teilen. Beim Menschen ist diese Fhigkeit
im Fall von Lsionen oder Knochenbrchen fr
die Wundheilung oder das Zusammenwachsen
der Knochen von ausschlaggebender Bedeu-
tung. Bei manchen niederen Tieren knnen
sogar ganze Gliedmaen nachgebildet werden.
Die Diskussion darber, welche Zellen und Zell-
typen an diesen Phnomenen beteiligt sind, ist
wissenschaftlich sehr interessant. Sie hat auch
medizinische Konsequenzen wenn es um die
Beantwortung der Frage geht, welche Verfah-
ren zur Behandlung von Krankheiten entwi-
ckelt und eingesetzt werden sollen.
Stammzellen
Zu Beginn des Wachstums von Sugetieren, wenn aus der
befruchteten Eizelle durch die ersten Teilungen acht Zellen
entstanden sind, hat jede dieser Zellen noch die Fhigkeit,
einen vollstndigen Organismus zu bilden. Diese Zellen
bezeichnet man als totipotent. Wenn sich durch weitere Tei-
lungen die Zahl der Zellen erhht, beginnen sie sich zu spezi-
alisieren. In der so genannten Blastozyste, einer kugelfrmi-
gen Masse von rund 150 Zellen, lassen sich bereits eine
uere und eine innere Zellmasse unterscheiden. Bei einer
Schwangerschaft entwickeln sich aus der ueren Zellgrup-
pe nach Einnistung der Blastozyste in die Gebrmutter Pla-
zentaanteile, aus der inneren Zellmasse entwickelt sich der
eigentliche Ftus.
Die Zellen der inneren Zellmasse werden als embryonale
Stammzellen bezeichnet. Sie sind in den Blickpunkt des Inter-
esses geraten, weil sie sich in Kulturschalen vermehren lassen
und in praktisch alle Zelltypen eines Organismus ausdifferen-
zieren knnen. Diese Fhigkeit nennt man Pluripotenz. Die
embryonalen Stammzellen knnen zwar noch fast alle Zellty-
pen bilden, aber keinen vollstndigen Organismus mehr;
Etwa eine Woche nach Befruchtung der Eizelle ist der menschli-
che Keim zu einer Art Hohlkugel aus 100 bis 150 noch undifferen-
zierten Zellen, dem so genannten Blschenkeim (Blastozyste),
gewachsen. Dessen innere Zellen sind noch pluripotent, d.h. aus
ihnen kann jeder Zelltyp des Krpers hervorgehen. Man kann sie
als "embryonale Stammzellen" im Labor kultivieren. Aus der
Schale des Blschenkeims entwickelt sich spter die Plazenta. In
der dritten Woche beginnen die Zellen im Inneren des nun
Becherkeim genannten Gebildes drei Zellschichten, die Keimblt-
ter, auszubilden. Aus den drei Keimblttern gehen schlielich die
verschiedenen Organe und Gewebe hervor.
Entoderm(inneres Keim-blatt)Bauchspeicheldr-se, Leber, Schild-drse, Lunge,Blase, Harnrhre
Mesoderm (mitt-leres Keimblatt)Knochenmark,Skelettmuskeln,glatte Muskulatur,Herzmuskel, Blut-gefe, Nierenk-anlchen
Ektoderm (u-eres Keimblatt)Haut, Neuronen,Hypophyse,Augen, Ohren
embryonale Keim-bltter und einigedavon abstam-mende Gewebeund Organe
befruchteteEizelle (1. Tag)
Blschenkeim(5.-6. Tag)
Wandzellen
innere Zellmasse
wachsende Kolonienvon embryonalenStammzellen
Becherkeim(14.-16. Tag)
-
12 Stammzellen MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN
Befruchtung ist man heute in der Lage, menschliche Embryo-
nen auerhalb des Mutterleibes zu erzeugen. Doch nicht nur
das. Man kann heute auch das genetische Material einer
Eizelle gegen das genetische Material einer Krperzelle aus-
tauschen und diese so vernderte Eizelle zu weiteren Tei-
lungsschritten anregen. Dass mit dieser Methode das Klonen
gelingt und sich gesunde Organismen entwickeln, hatte man
bis zur Geburt des Klonschafs Dolly im Juli 1996 bei Wirbeltie-
ren fr unmglich gehalten. Auch eineiige Zwillinge sind
zwar genetisch identisch, entstehen aber dadurch, dass sich
eine normal befruchtete Eizelle zu teilen beginnt und in
einer frhen Phase zwei getrennte Zellverbnde entstehen,
die sich dann zu eigenen Individuen entwickeln. Die Zwillin-
ge sind zwar genetisch identisch, von Mutter und Vater aber
sind sie genetisch so verschieden wie andere Kinder auch.
Dolly dagegen war die genetische Kopie nur eines Eltern-
teils. Anfang 2004 hat eine koreanische Forschergruppe
gezeigt, dass die bei Dolly angewandte Methode prinzipiell
auch beim Menschen zu funktionieren scheint.
Mit den beschriebenen Verfahren lassen sich im Gedanken-
experiment fr jedes menschliche Individuum embryonale
Stammzellen herstellen, die genetisch mit ihm identisch
sind. Man bentigt dazu eine Eizelle, aus der der Kern ent-
fernt wird, und fhrt statt dessen einen Zellkern ein, den man
Follikeln und von Eizellen anregen. Einer japanischen For-
schergruppe gelang es kurz darauf aus embryonalen Stamm-
zellen Spermien herzustellen. Diese Experimente bedeuten
nicht nur wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs, sondern
werfen auch fr Juristen und Ethiker neue Fragen auf. Denn
die Grenze zwischen Pluripotenz und Totipotenz ist womg-
lich weniger eindeutig zu ziehen als bisher angenommen.
Die meisten Erkenntnisse hinsichtlich der Bedeutung von
embryonalen Stammzellen verdanken wir der Forschung an
tierischen Zellen. Ihr hohes Differenzierungspotenzial macht
diesen Zelltyp nun aber auch fr medizinische Anwendun-
gen sehr interessant, da man sich vorstellen kann, dass em-
bryonale Stammzellen die Funktion geschdigter Gewebe-
teile bernehmen knnen. Fr einen solchen Einsatz sind
tierische Zellen wegen der bekannten Abstoungsreaktionen
ungeeignet und man muss mit menschlichen Zelllinien ar-
beiten. Von experimentellen Schwierigkeiten einmal ganz
abgesehen, ergeben sich bei der Forschung an menschlichen
Zellen nun auch eine ganze Reihe ethischer Fragen. Denn um
embryonale Stammzellen zu gewinnen muss man die Blasto-
zyste zerstren und ttet damit den Embryo ab. Die recht-
lichen und ethischen Aspekten der embryonalen Stammzell-
forschung werden in einem der nachfolgenden Kapitel
behandelt (siehe Seite 32 ). Dank der Methoden der in vitro
-
13MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN Stammzellen
aber auch mit Blick auf die embryonalen Stammzellen noch
nicht beantwortet. Man muss bei den Diskussionen ber die
Verwendung der einen oder anderen Stammzelllinie immer
bedenken, dass wir uns noch in einer frhen Phase der Erfor-
schung befinden. Bezeichnungen wie Stammzelltherapien,
die man immer wieder hrt und liest, suggerieren einen fort-
geschrittenen Entwicklungsstand, den es so nicht gibt.
Womglich muss man gar keine Stammzellen isolieren, um
ihre prinzipiellen Fhigkeiten dennoch zu nutzen. Alle Kr-
perzellen (mit Ausnahme der Keimzellen) verfgen ja ber
die gleiche genetische Ausstattung und damit auch ber das
gleiche genetische Potenzial. Wie das Beispiel des Somati-
schen Zellkerntransfers belegt, ist der Kern einer ausdifferen-
zierten Zelle noch einmal zu einem vlligen Neustart in der
Lage. Deshalb ist es theoretisch vorstellbar, dass man Zellen
oder Zellverbnde in einem Organismus quasi vor Ort repro-
grammiert und zunchst dedifferenziert, um sie dann
durch nachfolgendes Wachstum und eine vom Umfeld neu
induzierte Differenzierung eventuelle Schden ausgleichen
zu lassen. Dies wrde dann unmittelbar im betroffenen Orga-
nismus geschehen. Dass der Krper ber das Potenzial ver-
fgt, kleinere Schden selbst zu reparieren, sehen wir am
Beispiel eines Muskelfaserrisses. Vielleicht lsst sich dieses
Potenzial einmal auf grere verletzte Areale ausdehnen und
auf Gewebetypen, die sich normalerweise nicht selbst rege-
nerieren knnen. Aus heutiger Sicht sind dies rein theoreti-
sche Optionen, die aber zeigen, welch vielfltige Mglichkei-
ten sich aus unserer wachsenden Kenntnis zellulrer Ablufe
einmal ergeben knnten.
aus einer Krperzelle des jeweiligen Individuums gewonnen
hat. Die Eizelle wird zur Teilung angeregt und aus der sich bil-
denden Blastozyste werden dann die Stammzellen gewon-
nen. In der therapeutischen Vision lassen sich anschlieend
aus den Stammzellen beliebige Zelllinien erzeugen, die zu
keinerlei immunologischen Abstoungsreaktionen mehr
fhren. Wenngleich bei dieser Vorgehensweise nicht daran
gedacht ist, fertige Menschen zu klonen, sondern allein die
Gewinnung der embryonalen Stammzellen das Ziel ist, ste-
hen ihr doch schwer wiegende ethische Bedenken entgegen.
In Deutschland ist dieses therapeutische Klonen, wie in zahl-
reichen anderen Lndern auch, verboten. In anderen Staaten
dagegen ist es unter Auflagen erlaubt (s. Seite 32 ).
Bereits seit einigen Jahren wird das Einfrieren von Stamm-
zellen praktiziert, die im Nabelschnurblut enthalten sind.
Unmittelbar nach der Geburt eines Kindes wird Nabelschnur-
blut gewonnen und nach entsprechender Behandlung einge-
froren. Dieses Blut enthlt relativ viele Stammzellen, deren
Differenzierungspotenzial derzeit Thema intensiver For-
schungen ist. Einleuchtend ist, dass die Stammzellen aus die-
sem Blut fr das Individuum spter von Nutzen sein knnen,
sollte es an einer Erkrankung wie Leukmie leiden, die ja
Blutzellen betrifft. Womglich knnen diese Stammzellen
aber auch bei anderen Erkrankungen eingesetzt werden, je
nachdem, ber welches Differenzierungspotenzial sie tat-
schlich verfgen. Sie scheinen sich sogar fr die bertra-
gung auf andere Individuen recht gut zu eignen, da sie aus
noch nicht gnzlich verstandenen Grnden weniger immu-
nogen sind als andere Zellen. Allerdings zeigt sich hier auch
sehr deutlich, dass die Forschung an und mit Stammzellen,
gleich welchen Ursprungs sie sind, noch ganz am Anfang
steht.
Eine weitere Quelle fr Stammzellen knnen menschliche
Ften sein. Insbesondere aus den sich bildenden Geschlechts-
drsen der Ften knnen Stammzellen gewonnen werden,
die in ihren Eigenschaften den embryonalen Stammzellen
sehr hneln. Diese ftalen Stammzellen sind in der Lage, wie
embryonale Stammzellen in die Zelltypen aller drei Keim-
bltter zu differenzieren. Die Gewinnung und Verwendung
solcher ftalen Stammzellen wird nicht nur unter wissen-
schaftlichen, sondern auch unter ethischen Gesichtspunkten
kritisch diskutiert.
Embryonale Stammzellen sind wegen ihrer Pluripotenz
besonders interessant, hinsichtlich ihrer Gewinnung aber
auch besonders umstritten. Nicht zuletzt deshalb sind die
adulten Stammzellen, beispielsweise die Blutstammzellen, in
den Fokus des Interesses gerckt. Unter ethischen Aspekten
wird die Verwendung von adulten Stammzellen als unkri-
tisch gesehen, allerdings ist unklar, ob ihre Eigenschaften fr
einen klinischen Einsatz ausreichend sind. Diese Frage ist
Auch Nabelschnurblut ist eine Quelle fr Stammzellen
-
14 Reproduktives und therapeutisches Klonen MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN
Reproduktives und therapeutisches KlonenBei der Befruchtung dringt ein Spermium in eine Eizelle ein. Der mnnliche Zellkern (mit einem einfachen Chromosomen-
satz) verschmilzt mit dem weiblichen (ebenfalls mit einfachem Chromosomensatz) und generiert damit den Zellkern der
befruchteten Eizelle, der nun ber einen doppelten Chromosomensatz verfgt. Das neu entstehende Individuum erhlt so
eine einzigartige genetische Ausstattung, die aus einer Kombination der mtterlichen und vterlichen Erbsubstanz besteht.
Der nun vorhandene doppelte Chromosomensatz wird bei allen nachfolgenden Teilungen der Eizelle gleichmig auf die
Tochterzellen verteilt. 1Beim Klonen wird das Spiel der Natur um neue Erbgutvarianten umgangen und eine bereits vorhan-
dene Erbinformation gezielt eingesetzt und vervielfltigt. Dazu wird aus einer Eizelle der ursprngliche Zellkern entfernt. In
diese entkernte Eizelle setzt man anschlieend den Zellkern ein, den man zuvor aus einer normalen Krperzelle desselben
oder eines anderen Individuums isoliert hat. Die Erbinformation, ber die eine so behandelte Eizelle verfgt, ist identisch mit
der Erbinformation des Spen-
ders. Somit wird auch das Indi-
viduum, das nach der beschrie-
benen Methode entsteht, mit
dem Spender genetisch iden-
tisch sein. Die Methode wird als
Somatischer Kerntransfer
bezeichnet.
Mit dieser Methode sind im
Tierversuch bereits zahlreiche
Klone generiert worden. Beim
Menschen ist man sich welt-
weit einig, das reproduktive
Klonen das eine Schwanger-
schaft und die Geburt geklon-
ter Menschen zum Ziel htte
zu chten (siehe Seite 32). Beim
therapeutischen Klonen gehen
die Meinungen dagegen aus-
einander. Das therapeutische
Klonen zielt nicht auf Schwan-
gerschaft und Geburt ab, son-
dern auf die technische Gewin-
nung embryonaler Stamm-
zellen, die sich ber die Metho-
de des somatischen Zellkern-
transfers herstellen lassen.
Diese embryonalen Stammzel-
len wren mit den Spenderzel-
len genetisch identisch und bei
einem medizinischen Einsatz
am Spender wre nicht mit
immunologischen Absto-
ungsreaktionen zu rechnen.
1 Eine Ausnahme sind nur die Keimzellen, also Samen- oder Eizellen; bei deren Bildung wird der doppelte Chromosomensatz unter viel-
fltigen Umlagerungen des Erbguts wieder auf die Hlfte reduziert.
-
15TISSUE ENGINEERING Haut
diesem Vermehrungsprozess sind die Vorluferzellen fr
epidermale Keratinozyten, jene Zellen aus denen die Ober-
flche unserer Haut besteht. Die Vorluferzellen beginnen
sich nach wenigen Tagen zu vermehren. Unter organtypi-
schen Kulturbedingungen differenzieren sie dann aus und
bilden in einem komplexen Prozess innerhalb von zwei
Wochen ein Gewebe, das in seinem dreidimensionalen Auf-
bau der menschlichen Epidermis weitgehend entspricht. Die
Mediziner knnen das Ersatzgewebe dann auf die vorbehan-
delte Wunde aufbringen.
Zur Hautregeneration bei tiefen Wunden erforscht man
mit dem semisynthetischen Hautersatz gegenwrtig eine
Methode, die die Regenerationsfhigkeit des Krpers nutzt.
Hier wird eine bioabbaubare porse Matrix verwendet, in die
Makrophagen, Fibroblasten, Lymphozyten und Gefe ein-
dringen knnen. Diese Komponenten sind fr die Wundhei-
lung wichtig. Man legt eine Schicht dieses Materials auf die
Wunde und schliet sie vorbergehend durch eine luft- und
wasserdurchlssige Silikonfolie nach auen ab. Nachdem
sich die Gewebebasis regeneriert hat, entfernt man die Sili-
konschicht und transplantiert darauf schlielich eine in vitro
kultivierte Ersatzhaut.
Erfolgreich trans-
plantierte Ersatz-
hute erfllen
zumindest ihre
wichtigste Funk-
tion, das darunter
liegende Gewebe
von der Umwelt
abzuschirmen.
Allerdings ist das Erscheinungsbild anders als das der nor-
malen Haut. Die neue Haut hat meistens eine andere Textur
und hnelt eher Narbengewebe. Bis jetzt muss man bei Haut-
transplantationen
auch das Fehlen
sowohl von Haar
und Schweidrsen
als auch Pigmenten
in Kauf nehmen.
Vielleicht aber
nicht mehr lange:
In den Haarfollikeln
von Musen fanden
sich nmlich Stamm-
Haut
Die Behandlung von groflchigen Hautverletzungen ist das
bislang erfolgreichste Anwendungsgebiet fr das Tissue
Engineering. Jedes Jahr verlieren Tausende Menschen durch
Verbrennungen oder Vertzungen groe Flchen ihrer Haut.
Auf noch grere Fallzahlen summieren sich die schweren
Formen des Diabetes mellitus mit Entzndungen an den
Extremitten, denen viel Haut zum Opfer fllt. In diese Fllen
wird die Transplan-
tation von Ersatz-
haut" notwendig,
die idealerweise
vom Patienten
stammt und daher
nicht abgestoen
wird.
Kleinere Verletzun-
gen werden routinemig durch Transplantation von Haut-
gewebe aus intakten Krperregionen behandelt. Sind gre-
re Flchen betroffen, muss aber Ersatzgewebe gezchtet
werden. Dabei wer-
den Zellen aus
einer briefmarken-
groen Hautbiop-
sie in vitro kulti-
viert, bis sie auf
eine Flche von
etwa Spielkarten-
gre herange-
wachsen ist. Ent-
scheidend bei
Schon heute leben schtzungsweise 25.000 Menschen in
Europa mit in vitro gezchteten Haut-, Knorpel- oder
Knochenzellen. Zudem sind viele neue Anstze in der
klinischen Forschung darunter auch Verfahren, die
das Potenzial von adulten Stammzellen nutzen.
Bioreaktor mit EndproduktGezchteter Hautersatz
Haut, histologisch Hautscheibe
Tissue Engineering in der Praxis: einige Beispiele
-
16 Gelenkknorpel TISSUE ENGINEERING
die hartgummiartige Beschichtung der Gelenkknochen
naturgem ausgesetzt ist, vergrern sich die Schden.
Hufig entsteht eine schmerzhafte Arthrose und oft wird
der Einbau eines knstlichen Gelenks unvermeidlich.
Doch es gibt therapeutische Alternativen mit Hilfe des Tissue
Engineering von Knorpelgewebe. Seit etwa zehn Jahren ist
das als Autologe Chondrozyten-Transplantation (ACT)
bekannte Verfahren etabliert. In der Praxis gibt es mittler-
weile zahlreiche Varianten, die oftmals von Kleinen und Mitt-
leren Unternehmen (KMU) entwickelt und auf den Markt
gebracht wurden. Das Prinzip ist recht einfach: Aus einer klei-
nen, chirurgisch entnommenen Probe des Kniegelenk-Knor-
pelgewebes werden im Labor Chondrozyten (Knorpelzellen)
isoliert und in eine Nhrlsung gegeben. Denn im Knie selbst
teilen sich Knorpelzellen sehr selten nur alle paar Monate
oder Jahre. Durch das Herauslsen aus dem Zellverband
dedifferenzieren Chondrozyten zu fibroblastoiden Zellen, die
in der Lage sind, sich zu teilen. Danach werden diese Zellen
in den Gelenkknorpel transplantiert. In der intakten Umge-
bung des erhaltenen Knorpels differenzieren sie dann wieder
zu Chondrozyten und produzieren Kollagen II. Die dediffe-
renzierten Zellen knnen auch zu Fettzellen oder Osteoblas-
ten ausdifferenzieren.
Damit sind die Voraussetzungen fr die Reparatur des Ge-
lenkknorpels geschaffen, fr die zahlreiche Verfahrensvari-
anten entwickelt wurden: Die Chirurgen entfernen zunchst
das schadhafte Knorpelgewebe. In manchen Anstzen ber-
zieht man dann die Stelle mit Knochenhaut, die an anderer
Stelle entfernt wurde. In den Hohlraum injizieren sie dann
eine Lsung der gezchteten Zellen. Dort bildet sich inner-
halb der folgenden Wochen wieder Knorpelgewebe
zellen, aus denen sich auch Haar entwickelt. Einzelne dieser
Stammzellen lieen sich zu Tausenden von identischen Toch-
terzellen vermehren, die nach der Transplantation in haarlo-
ses Hautgewebe ein Fell bildeten. Wie das natrliche Vorbild
bestand es aus Haut, Follikeln, Haar und Fett absondernden
Drsen, was beweist, dass die Stammzellen in verschiedene
Zelltypen der Haut ausdifferenzieren knnen. Wenn sich die
Experimente beim Menschen erfolgreich wiederholen las-
sen, kme man der perfekten Ersatzhaut ein gutes Stck
nher.
Seit mehr als 20 Jahren bieten spezialisierte Unternehmen
die Erzeugung von Ersatzhaut an. In Deutschland sind es klei-
ne und mittlere Unternehmen (KMU) aus dem Biotechnolo-
giesektor. Ihre Technologie variiert in den Herstellungsver-
fahren und Applikationsformen. Ein Unternehmen
beispielsweise zchtet die Ersatzhaut aus Keratinozyten-Vor-
luferzellen, die in den Haarwurzeln vorkommen. Eine ande-
re Firma entwickelte Haut aus der Tube": Die aus der In-
vitro-Kultur gewonnenen, noch teilungsfhigen Hautzellen
werden mit einem biologischen Kleber in die verletzte
Region injiziert, wo sie weiterwachsen und die Wunde ver-
schlieen.
Gelenkknorpel
Alter, bermiger Leistungssport oder bergewicht knnen
auf die Gelenke gehen. Abnutzung und Degeneration von
Gelenkknorpelgewebe sind in den Industrielndern weit ver-
breitet. Allein in Deutschland sind 1,5 Millionen Menschen
wegen degenerativer Gelenkerkrankungen in Behandlung
und jhrlich erleiden 80.000 Menschen Verletzungen des
Knorpels im Kniegelenk. Durch die hohe Belastung in Spit-
zenwerten bis zum Siebenfachen des Krpergewichts der
Fast ein Viertel unserer Krpereiweie sind Kollagene
hochmolekulare Eiweie, die dem Binde- und Sttzgewe-
be des Krpers Stabilitt geben. Auch die reifesten Seh-
nen bestehen aus Kollagenfasern, deren Grundeinheit
immer eine Dreifachhelix aus langen Aminosureketten
ist. Bemerkenswert an diesen Ketten ist das hufige Vor-
kommen der Aminosure Hydroxylprolin, deren Struk-
tur die Dreifachwindung ermglicht. Man unterscheidet
Typ1- und Typ2-Kollagene. Typ1-Kollagen ist der Hauptbe-
standteil von Haut und Sehnen. Das aus miteinander ver-
netzten Strngen (Fibrillen) bestehende Typ2-Kollagen
bildet ein zhes dreidimensionales Netzwerk, aus dem
der Knorpel aufgebaut ist. Der Gelenkknorpel besteht im
Wesentlichen aus Knorpelzellen (Chondrozyten) und der
extrazellulren Kollagenmatrix, die einen hohen Was-
seranteil enthlt. Im gesunden Zustand besitzt der Knor-
pel eine glatte Oberflche wichtig fr die 'reibungslose'
Funktion des Gelenks.
Extremsport kann zu Gelenkschden fhren
-
17TISSUE ENGINEERING Bandscheiben
delt man Bandscheibenvorflle durch Entfernen des ausge-
tretenen Knorpelgewebes entweder minimal invasiv mit
Hilfe des Endoskops oder durch eine Operation. In Deutsch-
land sind es jhrlich mehr als 60.000 Operationen. Sie fhren
meistens zum Abklingen der Beschwerden. Der Gewebever-
lust kann aber von der Bandscheibe selbst nicht ersetzt wer-
den und abgesehen davon, dass die Bandscheibe nun dn-
ner" geworden ist, lsst sich durch die Operation die
Degeneration nicht aufhalten. Weitere Verschleierschei-
nungen fhren oft erneut zu Rckenschmerzen. Hier bietet
das Tissue Engineering eine offensichtliche Therapiealterna-
tive. Denn was fr kaputte Kniegelenke funktioniert, ist auch
fr die Behandlung beziehungsweise die Regeneration von
beschdigten Bandscheiben interessant. Schlielich beste-
hen beide aus Knorpel. Im Sommer 2004 brachte ein Teltower
Tissue-Engineering-Unternehmen ein Verfahren zur Autolo-
gen Bandscheibenzelltransplantation ADCT (Autologous
Disc Chondrocyte Transplantation) auf den Markt. Bei dieser
Therapie von Bandscheibenvorfllen werden dem Patienten
zunchst kleinste Mengen Bandscheibengewebe entnom-
men und die Zellen in Kultur aufbereitet. Die Transplantation
der krpereigenen Bandscheibenzellen erfolgt etwa drei
Monate nach der Entnahme. Unter rtlicher Betubung inji-
ziert man die Zellen in die Bandscheibe. Dort vermehren sie
sich und gleichen den Gewebeverlust aus, der durch den
Bandscheibenvorfall und die Operation entstanden war. Die
Degeneration der Bandscheibe wird aufgehalten.
Knochenmark und Blutzellen
Die Transplantation von Knochenmark beziehungsweise
Knochenmarkstammzellen ist ein wichtiger Schritt nach der
Chemotherapie von Krebserkrankungen, um dabei zerstr-
tes Knochenmark und Blutzellen zu regenerieren. Neben den
Krebszellen als eigentlichem Ziel treffen Zytostatika vor
allem die teilungsaktiven Zellen des Knochenmarks. Dieser
Effekt ist bei der Behandlung von Leukmien sogar beabsich-
tigt, um auszuschlieen, dass entartete Blutzellen berleben.
Da auch Blutstammzellen zerstrt werden, versiegt die Quel-
zunchst noch weich und wenig belastbar, dann immer bes-
ser vernetzt und fester werdend. Das Verfahren, auch Peter-
son-Verfahren genannt, ist bereits bei einigen Tausend
Patienten erfolgreich eingesetzt worden. Aber es bleibt noch
viel Raum fr Verbesserungen. Zum Beispiel hat der gezch-
tete Knorpel nicht die Stabilitt des Originals. Das liegt daran,
dass die in der Petrischale kultivierte Chondrozyten mit
zunehmender Teilungszahl die Fhigkeit verlieren, das Knor-
pelkollagen vom Typ2 zu bilden. Sie verhalten sich dann eher
wie normale Bindegewebszellen. Biotechfirmen entwickel-
ten daher Herstellungsverfahren fr komplette Matrices aus
KollagenTyp2, die transplantiert werden knnen. Diese
Anstze nutzten bereits vorgegebene Matrices aus Typ1-Kol-
lagen, die zum Beispiel aus tierischen Sehnen prpariert wur-
den. Unter In-vitro-Kulturbedingungen wachsen die isolier-
ten Chondrozyten des Patienten in das Geflecht hinein,
vermehren sich und wandeln das Typ1-Kollagen in eine Typ2-
Kollagen-Matrix um. Die beschdigte Partie des Knorpels
wird vor der Transplantation ausgestanzt und dann durch ein
gleich groes Stck des Zuchtknorpels ersetzt, das in einigen
Varianten noch mit Fibrinkleber fixiert wird. Die Patienten
knnen die Gelenke bereits nach vier bis sechs Wochen wie-
der belasten. In Deutschland werden pro Jahr rund 600 sol-
cher Behandlungen vorgenommen.
Bandscheiben
Sie sind die Stodmpfer unserer Wirbelsule: Scheiben aus
Knorpel mit hohem Wassergehalt, die, eingefasst von zh-
elastischen Dichtungsringen, zwischen den Wirbelknochen
sitzen. Sie knnen hohen Druck aushalten und sorgen damit
fr die Flexibilitt des Knochenkunstwerks. Wenn der uere
Faserring sprde und rissig wird, kann der innere gallertarti-
ge Kern austreten und einen Bandscheibenvorfall verursa-
chen. Quetscht die ausgetretene Knorpelmasse Nerven ein,
sind Lhmungserscheinungen die Folge. Chirurgisch behan-
Knorpelgewebekonstrukt
Reinraumlabor
-
18 Extrazellulre Trgermaterialien TISSUE ENGINEERING
allogenen Transplantation Verwendung, da hier im Ver-
gleich zur Blutstammzell-Transplantation eine niedrigere
Rate an chronischen Abstoungsreaktionen beobachtet
wurde.
Extrazellulre Trgermaterialien Grundlagedes Fortschritts
Die wichtigste Herausforderung beim Ersatz von Geweben
und Organteilen, beispielsweise Herzklappen oder Adern, ist
die Herstellung von dreidimensionalen Implantaten. Dafr
bentigt man eine entsprechend geformte extrazellulre
Matrix (EZM), die die neu wachsenden Gewebezellen beher-
bergt. Die Trgermaterialien mssen hohen Ansprchen
gengen: Sie sollen biovertrglich, steril, je nach Anwen-
dung entweder langzeitstabil oder bioabbaubar und unter-
schiedlich flexibel sein. Auerdem mssen sie manchmal
auch pors sein, damit Zellen hinein wandern knnen und
dabei noch fest genug, um nicht schon bei der ersten mecha-
nischen Belastung zu zerreien. Als Ausgangsmaterial kom-
men Kunststoffe (zum Beispiel bioabbaubare Poly-Hydroxye-
ster), anorganische Substrate und aus biologischem Material
gewonnene Gerstsubstrate, meistens Kollagen, infrage.
Die Vielfalt der mglichen Konstrukte ist beeindruckend:
schwammartige Schichten, wssrige und gummiartige Gele,
le fr neue Blutzellen. Immunabwehr und Sauerstoffversor-
gung des Krpers geraten in Gefahr.
Voraussetzung fr das Gelingen einer Knochenmark-Trans-
plantation ist die Gewebevertrglichkeit zwischen Spender
und Empfnger. Dafr sind Eiweimolekle, die so genann-
ten HLA-Molekle (Humane Leukozyten Antigene) auf der
Oberflche jeder Krperzelle verantwortlich. Sie sind in ihrer
Komposition fr ein Individuum einmalig und unverwech-
selbar. Die Transplantation von einem Fremdspender (alloge-
ne Knochenmark-Transplantation) ist nur mglich, wenn
Spender und Empfnger in wichtigen Merkmalen
des HLA-Musters bereinstimmen, was aber nur
selten vorkommt. Abweichungen im HLA-Typ kn-
nen zu heftigen Immunreaktionen fhren. Die
allogene Knochenmarktransplantationen ist bei
Leukmien der Standard, da eine autologe Trans-
plantation wegen der Gefahr der bertragung von
Leukmiezellen nicht sinnvoll ist. Zur Senkung der
Sterblichkeitsraten durch Infektionen werden vom
gleichen Spender auch virusspezifische T-Zellen
isoliert, im Labor expandiert und dem Patienten
zusammen mit den Stammzellen transplantiert.
Mitte der 80er Jahre gelang es, auch Stammzellen
aus dem Blut fr Transplantationen zu nutzen.
Dabei halfen gentechnisch hergestellte blutbil-
dende (hmatopoetische) Wachstumsfaktoren bei
der Mobilisierung und Vermehrung der Stamm-
zellen. Vor einer Krebs-Chemotherapie stimuliert
man damit die Bildung der Blutstammzellen im
Krper des Patienten. Dann wird ein Teil aus dem
Blut isoliert, eingelagert und ihm nach der Chemo-
therapie refundiert. Die rekombinanten Wachs-
tumsfaktoren haben dieser Therapieform schnell
zum Durchbruch verholfen. Im Jahr 2000 wurden
in Deutschland 2.105 autologe und 1.438 allogene
Stammzell-Transplantationen durchgefhrt. Als
Stammzellquelle hat das Knochenmark bereits an
Bedeutung verloren. Es findet fast nur noch bei der
Synthetische Biomaterialien imitieren die Komplexitt der natrlichen extra-
zellulren Matrices. Dargestellt sind Strategien zu ihrer Herstellung
-
19TISSUE ENGINEERING Ohren
an Typ2-Kollagen die gewnschte Bildung von ohrtypischem
'Glas-Knorpel' (Hyalin-Knorpel) anzeigt. Die spektakulren
Bilder gingen um die Welt.
Freiburger Mediziner verpflanzten einem Patienten erfolg-
reich einen im Labor hergestellten Ohrknorpel. Zur Rekon-
struktion seines verstmmelten Ohres waren ihm zuvor
Knorpelzellen aus einer Rippe entnommen worden. Die Zel-
len wurden ber einige Wochen in Kultur vermehrt und
zusammen mit Fibrin in eine Ohrform gegossen. Dabei ent-
stand ein formstabiles Transplantat, das bei der Verpflanzung
mit einem Hautlappen berzogen wurde.
Herzklappen
Herzklappen arbeiten als Einweg-Ventile. Sie verhindern,
dass das Blut in die Herzvorhfe oder in die Kammern zurck-
fliet. Etwa 2,5 Milliarden Mal ffnen und schliessen sie sich
bis zum 70. Lebensjahr. Der Aufbau der drei Segel einer natr-
lichen Herzklappe ist entsprechend angepasst: Die Oberseite
ist mit Kollagen ver-
strkt, die Unterseite
besteht hauptschlich
aus Elastin, damit sich
die Segel in Flussrich-
tung biegen und in
die Gegenrichtung
gut schlieen.
Von Geburt an, nach
Infektionen oder aus
Altersgrnden knnen
die Herzklappen Fehler
aufweisen. Dann
kommt es zu Ablage-
rungen von Kalk und
Zellmaterial und das
fhrt schlielich zu Verwachsungen und zur Blockade der
Klappe. Seit Jahren werden Herzklappenprothesen routine-
mig in die Herzen von Betroffenen eingebaut weltweit
etwa 275.000 pro Jahr. Als Ersatz dienen mechanische Kunst-
stoff- und Metallherzklappen. Sie erleichtern und verlngern
das Leben dieser Menschen, haben aber auch Nachteile: Zum
Beispiel mssen die Betroffenen wegen des Risikos der
Gerinnselbildung weiterhin Gerinnungshemmer einneh-
men, was die Gefahr von Magen- und Hirnblutungen erhht.
Ihre Haltbarkeit ist meistens begrenzt und vor allem bei Kin-
dern werden Mehrfachoperationen erforderlich, da die
Kunstklappen nicht mitwachsen. Biologisch gewonnene
Herzklappen stammen von Schweinen und Rindern. Sie
machen Gerinnungshemmer berflssig, aber es besteht
immer ein Risiko, dass sich der Organismus gegen die Fremd-
krper wehrt.
Aus diesen Grnden suchen Tissue-Ingenieure nach Alterna-
tiven. Viele Versuche zielen darauf ab, krpereigene Herz-
zementharte Trger und flexible, faserhaltige Rhren der
Zusammenarbeit von Materialwissenschaft und Medizin sind
kaum Grenzen gesetzt. Neuartige Trgermaterialien sondern
sogar Botenstoffe ab, die Vorluferzellen anlocken oder das
Wachstum der hinzugefgten Zellen anregen und beschleu-
nigen.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Tissue-Engineering-Produkte,
die auf extrazellulren Trgermaterialien basieren. Um die
Probleme mit der Struktur und Durchblutung der Ersatzge-
webe gleichzeitig zu lsen, nutzt man zur Erzeugung der
besiedelten Matrices eine Art dreidimensionaler Tinten-
strahldrucker: Der Druckkopf wird mit einem Gemisch aus
Zellen und Fllmitteln geladen und spritzt dann Schicht fr
Schicht Zellen in beliebige Formen. Gegenwrtig testet man
das Verfahren bei der Regeneration von fehlenden Knochen.
Nach genauer Vermessung der Lcke im Tomografen wan-
delt ein Computerprogramm die zweidimensionalen Rnt-
genbilder in ein dreidimensionales Modell um. Auf Grundla-
ge dieser Mae wird das gesuchte Implantat entworfen und
hergestellt.
Ohren
Paradebeispiel fr die Wiederherstellung eines ganzen Kr-
perteils durch Tissue Engineering ist das Ohr. Ohren bestehen
im Wesentlichen aus Knorpel. Daher liegt es nahe, eine aus
geeignetem Material wie ein Ohr geformte Matrix mit patien-
teneigenen Chondrozyten zu besiedeln. Forscher der Berliner
Charit whlen hierfr stabile biokompatible Fasermateria-
lien als Trger kombiniert mit Gelmatrices aus Agarose, Algi-
nat und Hyaluronsure, in die zuvor kultivierte Chondrozy-
ten gut hineinwachsen knnen. Auerdem umgibt aus dem
Blut des Patienten gewonnenes Fibrin die Zellen als Klebstoff.
Nach Transplantation unter die Haut einer Labormaus reift
das Konstrukt zu einem kompletten Ohr heran, dessen Gehalt
Ohrrekonstruktion: Silikonform (li.), rekonstruierter Ohrlappen.
In vitro hergestellte dreiseglige Herz-
klappe
-
20 Gefe TISSUE ENGINEERING
Blutdurchfluss, um den Bedingungen im lebenden Orga-
nismus nahe zu kommen. Nach zwei Wochen im Bioreaktor
haben sich die Zellen der Herzklappen in Schichten organi-
siert und verstrkt. Werden solche Klappen jungen Schafen
eingepflanzt, hnelten sie im Verlauf von fnf Monaten
immer mehr einer natrlichen Klappe: Sie werden dnner
und strukturierter und unterscheiden sich makroskopisch
nicht mehr von den natrlichen Herzklappen.
Gefe
Der Bedarf an transplantierbaren Adern nach Verletzungen,
Bypassoperationen und schweren Thrombosen ist gro.
Nicht immer gelingt es, ihn durch krpereigene, an anderen
Stellen entnommene Gefe zu decken. Fr Bypass-Operatio-
nen werden gewhnlich Teile aus Beinvenen des Patienten,
aus Arterien seines Brustkorbs oder des Unterarms verwen-
det. Bei etwa einem Fnftel der Patienten ist das jedoch nicht
mglich, weil aufgrund von Entzndungen oder krankhafter
klappensegel ausgehend von autologen Zellen zu zchten.
Sie sind besonders fr die Behandlung von Kindern interes-
sant, um die drei bis sieben Operationen bis zum Erwachse-
nenalter zu vermeiden.
Ein Ansatz nutzt die Kollagenmatrix von Schweine-Aorta-
klappen als Gerst fr das neue Herzklappensegel. Sie sind in
Geometrie und Abmessungen dem menschlichen Pendant
vergleichbar bestehen ebenfalls aus einem mit Herzzellen
bewachsenen Kollagen-Sttzgerst. Zur Umwandlung einer
solchen Klappe in ein fr den Menschen vertrgliches Er-
satzteil entfernt man mittels Chemikalien alle Zellen und
-bestandteile aus dem Gewebe. Besonders wichtig ist die Zer-
strung aller DNA-Molekle, um zu verhindern, dass mgli-
cherweise Erbgut von Viren zurckbleibt. Die nun zellfreie
Matrix aus Kollagen und Elastin hat immer noch eine fr die
Transplantation geeignete Konsistenz. Einige Monate nach
der Transplantation ist eine solche Klappe dann in vivo mit
Fibroblasten und Endothelzellen besiedelt und verfgt ber
die Fhigkeit zur Erneuerung. Das Konzept hat den Vorteil,
dass man ein beinahe perfektes Klappendesign bernimmt
und daher geeignete hmodynamische Bedingungen herr-
schen. Das Verfahren ist bereits im klinischen Einsatz. Medizi-
ner aus Zrich und Aachen entwickelten gemeinsam voll-
stndig autologe Herzklappen mit Hilfe von bioabbaubaren
Polymeren. Das Material ist in der Hitze formbar und wird
von Zellen leicht besiedelt. Es ist chemisch so konzipiert, dass
es sich bis zum Zeitpunkt der Implantation komplett aufge-
lst hat. Dann besteht die Herzklappe nur noch aus autolo-
gem Gewebe. Zur Besiedlung der Matrix im Bioreaktor ver-
wenden die Forscher aus Blut- oder Nabelschnurstammzellen
hervorgegangene Fibroblasten. Whrend des Wachstums
belasten sie die entstehende Klappe mit einem knstlichen
Echokardiografische Darstellung der Tissue Engineerten Herz-
klappen acht Wochen nach Implantation
Nach Einbau der knstlichen Herzklappe
Teflonbypass
-
21TISSUE ENGINEERING Anst ze mit Stammzellen
Knochen
Unflle oder Tumoren knnen Knochen schdigen und zum
Verlust von Knochen fhren. Fr den Ersatz von Knochen
sind gute Voraussetzungen durch das Tissue Engineering
gegeben: Das Knochengewebe wird von speziellen Zellen,
den Osteoblasten, gebildet. Die Osteoblasten selbst bilden
sich aus Knochenmarkstammzellen. Als Gerstmaterial
kommt die anorganische Knochensubstanz aus Calcium-
phosphat/Hydoxyapatit in Frage. Besonders hilfreich ist hier
die Mglichkeit, in der porsen Matrix bestimmte Knochen-
wachstumsproteine oder -faktoren (bone morphogeneic fac-
tor, BMP) einzulagern. Sie sorgen dafr, dass die Zellen ange-
lockt werden und in das Material hineinwachsen. Die US-
amerikanische Zulassungsbehrde Food and Drug Admini-
stration (FDA) hat rekombinantes BMP-2 bereits fr ortho-
pdischeAnwendungen zugelassen. Ein geradezu spektaku-
Erweiterungen keine geeigneten Gefe vorhanden sind.
Und die Gefprothesen aus Kunststoff haben ihre Tcken:
40 Prozent solcher knstlichen Bypsse sind nach einem Jahr
bereits nicht mehr durchgngig, da der Kunststoff zur
Gerinnselbildung fhren kann.
Also ein klarer Auftrag fr das Tissue Engineering, autologen
Ersatz zu entwickeln. Ein frher Ansatz war echte Bastelar-
beit: Ein zusammenhngender in vitro kultivierter Gewebe-
mantel aus glatten Muskelzellen wurde zu einer Rhre
gerollt. Die Auenflche der Rolle lie man anschlieend
von Fibroblasten besiedeln, dann die Innenseite von Endo-
thelzellen. Die dreischichtige Prothese konnte bereits Dr-
cken von 2.000 mmHg standhalten. Mit Gefprothesen, die
auf Polymergersten basieren sind wir heute bereits einen
Schritt weiter. Paradebeispiel sind Kunststoffrhren aus PGA
(Polyglycolsure 92Prozent /Milchsure 8Prozent), die mit
Fibroblasten, glatten Muskelzellen und Endothelzellen besie-
delt werden. Setzt man diese Konstruktionen whrend des
Wachstums in einem Durchflussbioreaktorsystem pulsieren-
den Flssen aus, erhlt man konditionierte Gefprothesen,
die histologisch natrlichem Gefgewebe gleichen und bes-
sere biomechanische Eigenschaften aufweisen als nicht-kon-
ditionierte Konstrukte. Diese Gefprothesen, genauer auto-
loge endothelialisierte Prothesen, sind bereits im klinischen
Einsatz. Die Anforderungen an die Gerstsubstanz der Ersatz-
gefe sind sehr hoch, so dass Alternativen zu PGA gesucht
wurden. Zum Beispiel Polytetrafluorethylen (PTFE), vulgo
Teflon. Es ist ein interessantes Material mit Blick auf Flexibi-
litt, Druck- und Reifestigkeit. Zudem ist die Gefahr der
Abstoung durch Abwehrreaktionen des Immunsystems sehr
gering. Leider macht die Teflonoberflche, von der sprich-
wrtlich alles abfllt, Schwierigkeiten, wenn es um die Besie-
delung mit Zellen zur Befestigung an die vorhandenen Gef-
e geht. Mittlerweile gelingt es, Schichten von glatten
Muskelzellen und Endothelzellen darauf zu zchten. Man
verwendet dafr unter definierten Strmungsbedingungen
kultivierte autologe mikrovaskulre Endothelzellen (MVEC).
Sie werden auf das mit Fibrinkleber prparierte Kunststoff-
rhrchen aufgebracht und heften sich in der knstlichen
Blutstrmung besonders gut an das Prothesenmaterial an.
Die Eigenschaften dieser Ersatzgefe sind viel versprechend
und erste klinische Versuche wurden bereits gestartet.
Anstze mit Stammzellen
ber das enorme Potenzial von embryonalen und adulten
Stammzellen wurde bereits an anderer Stelle berichtet
(siehe Seite 11). An dieser Stelle sollen einige fortgeschrittene
Forschungsprojekte vorgestellt werden, die in Pilotversuchen
die klinische Phase bereits erreicht haben.
Konstruktion eines Ersatzkiefers
-
Grundlagenforschung
Was ist eigentlich Grundlagenforschung? Definitionen gibt
es viele, nicht zuletzt von der Europischen Kommission
(Supplement zum Amtsblatt der Europischen Gemeinschaf-
ten, Nr. C45/14 vom 17.02.1996), die dazu folgendes verlaut-
bart: Unter Grundlagenforschung versteht die Kommission
eine Erweiterung der wissenschaftlichen und technischen
Kenntnisse, die nicht auf industrielle oder kommerzielle Ziele
ausgerichtet sind. Diese Abgrenzung der Grundlagenfor-
schung von der anwendungsorientierten Forschung gibt
immer wieder Anlass zu interessanten Diskussionen. Relativ
unstrittig ist, dass die Grundlagenforschung in erster Linie
unseren Wissensdrang befriedigt und eine schlichte Konse-
quenz der menschlichen Neugierde ist. Ziel der Grundlagen-
forschung ist der Erkenntnisgewinn an sich ohne den Wert
der Erkenntnis an eine sptere Verwertbarkeit zu knpfen
oder zu fragen, ob die neuen Erkenntnisse in das herrschende
Weltbild passen.
Eine zwanghafte Entkoppelung von Grundlagenforschung
und Verwertbarkeit ist allerdings nicht sinnvoll, ganz im
Gegenteil. Die Grundlagenforschung ist fr die grten Inno-
vationsschbe verantwortlich, da sie unverhofft Tren in vl-
liges Neuland aufstt und damit Anwendungsgebiete erff-
net, die zuvor nicht gesehen worden sind. Das gilt fr die
Erfindung des Telefons ebenso wie fr die Entwicklung der
Biotechnologie: Wer htte sich vor 40 Jahren trumen lassen,
dass menschliche Gene in Mikroorganismen eingebaut und
zur Herstellung hochwertiger Medikamente genutzt werden
knnen? Heute arbeiten allein in der Biotechnologie-Indus-
trie der USA, wo die neuen Mglichkeiten schnell in kommer-
zielle Anwendungen umgesetzt worden sind, mehr als
200.000 Menschen in meist hoch qualifizierten und gut
bezahlten Jobs.
Bedeutung gentechnischer Methoden
Mit der Entwicklung gentechnischer Methoden um 1970
erhielt auch die Medizin wichtige Impulse. Das betrifft zum
einen die Produktion von Medikamenten auf Proteinbasis, die
man Biopharmazeutika nennt. Zum anderen aber auch die
Entwicklung diverser Zellkulturtechniken oder vllig neuer
Anstze wie den der Gentherapie, auf den weiter unten noch
kurz eingegangen wird. berragende Bedeutung haben gen-
technische Methoden auch in der Diagnostik erlangt; die
Mglichkeit zur Individualisierung der Medizin, von der
heute immer wieder die Rede ist, wre ohne den Einsatz gen-
technischer Methoden nicht denkbar. Auch der genetische
Fingerabdruck, der beim Identifizieren von Personen heute
fast schon routinemig eingesetzt wird, ist ein Resultat gen-
technischer Arbeiten.
Entwicklung der Methoden der modernen Medizin
22
Das erste Medikament aus gentechnischer Herstellung war
das Humaninsulin, das von der Firma Genentech, dem ersten
Biotechnologie-Unternehmen weltweit, entwickelt wurde.
Die Pharmafirma Eli Lilly brachte es (in Zusammenarbeit mit
Genentech) schon im Jahr 1982 auf den Markt. Die Gentechnik
ermglicht den Austausch von Erbinformation ber die
Artengrenzen hinweg; fr die Produktion von Humaninsulin
war das menschliche Gen fr Insulin auf Bakterien bertra-
gen worden, aus denen man nun in groen Mengen Vorlu-
ferformen des Hormons gewinnen konnte. Das aktive Hor-
mon konnte man dann aus diesen Vorluferformen mittels
proteinchemischer Methoden herstellen. Das skizzierte Ver-
fahren ist das bei der Herstellung von Biopharmazeutika bli-
che Vorgehen. Man identifiziert die genetische Information
fr ein menschliches Protein, isoliert diese und bertrgt sie
dann auf Mikroorganismen oder Zellkulturen, von denen das
entsprechende Protein in groen Mengen produziert werden
kann. Natrlich muss man zunchst erst einmal wissen, wel-
che Funktion das interessierende Protein hat und ob es sich als
Biopharmazeutikum eignet. Gerade auch bei der Aufklrung
dieser Sachverhalte sind gentechnische Verfahren unver-
zichtbar geworden.
Neben der Entwicklung gentechnischer Methoden kam es um
1975 zu einer weiteren bahnbrechenden Neuerung. Den sp-
teren Nobelpreistrgern Khler und Milstein gelang es erst-
mals, Monoklonale Antikrper herzustellen. Antikrper sind
Proteine, die von bestimmten Zellen des Immunsystems gebil-
det und ins Blut abgegeben werden. Der Krper verfgt ber
eine enorme Zahl Antikrper produzierender Zellen, die
jeweils definierte und in der Struktur einzigartige Antikrper-
varianten produzieren. Die Situation ist hier hnlich wie bei
den Gewebsantigenen (siehe Seite 8). Findet einer dieser Anti-
krper eine molekulare Struktur, ein Antigen, an das er bin-
den kann, dann werden in einer Kaskade von Reaktionen die
Prozesse ausgelst, die wir als Immunantwort bezeichnen. Als
Teil dieser Immunantwort beginnt auch die Zelle, die den bin-
denden Antikrper ursprnglich produziert hat, sich zu teilen
und mit ihren Tochterzellen grere Mengen und weitere
Varianten des Antikrpers zu produzieren. Diese Varianten
sind wichtig, weil sie die Zielstruktur oft noch besser binden
knnen als der ursprngliche Antikrper und die Immunant-
wort dadurch noch effektiver wird.
Im Blut zirkuliert zu jeder Zeit eine fast unberschaubare Zahl
von Antikrpern unterschiedlicher Struktur, um jedes ein-
dringende Virus oder Bakterium binden und in der Folge
unschdlich machen zu knnen. Die komplexe Mischung der
verschiedenen Antikrper und bestimmte Subklassen von
ihnen konnte man schon seit lngerem isolieren und fr
medizinische oder andere Zwecke einsetzen. Die passive Imp-
fung basiert darauf. Hier infiziert man Spender, beispiels-
weise Pferde, gezielt mit einem Antigen. Als Folge der Immun-
-
wie sich die Gene von gesunden und von
kranken Menschen unterscheiden. Bei der
Bluterkrankheit tritt beispielsweise eine
Vernderung in dem Gen auf, das die Infor-
mation zur Herstellung eines Proteins mit
Namen Faktor VIII trgt. Dadurch wird das
Protein fehlerhaft und kann seine wichtige
Funktion in der Blutgerinnung nicht mehr
ausben. Solche Vernderungen an Genen
lassen sich heute relativ leicht nachweisen
und sind die Grundlage moderner diagnos-
tischer Verfahren. Es wird aber auch daran
gearbeitet, in bestimmte Zellen der Patien-
ten fehlerfreie Gene einzufhren, die dann
zur Produktion eines funktionalen Proteins
fhren sollten. Diese als somatische Genthe-
rapie bezeichneten Verfahren sind interes-
sant, weil sie eine Korrektur von Krankheits-
ursachen ermglichen knnten. Allerdings
ergeben sich bei klinischen Erprobungen immer wieder Pro-
bleme, die vor einem breiteren Einsatz der Methode noch
gelst werden mssen.
Im Jahr 2000 wurde die Analyse der genetischen Gesamtinfor-
mation des Menschen, des menschlichen Genoms, vorlufig
beendet. Eine gewaltige wissenschaftliche Leistung, die gern
mit der Mondlandung verglichen wird. In den Mittelpunkt
des Interesses ist nun die Frage gerckt, welche genetische
Information zu welchem Zeitpunkt in einer Zelle abgerufen
wird und wie die einzelnen Gene und Proteine miteinander
wechselwirken. Die
Methoden sind so weit
verfeinert worden, dass
nun versucht wird den
Zustand aller Gene in
einer Zelle gleichzeitig
zu analysieren. Die Akti-
vitten gleicher Zellen
unter unterschied-
lichen Bedingungen
werden studiert, kran-
ke Zellen werden mit
gesunden Zellen ver-
glichen, und die ver-
schiedenen Stadien in
der Entwicklung eines Lebewesens werden untersucht. Damit
nhert man sich auch der Beantwortung der Frage, warum
bei grundstzlich gleicher genetischer Ausstattung die Zellen
eines Organismus so viele unterschiedliche Funktionen ber-
nehmen knnen.
antwort reichern sich im Blut der Pferde verschiedene Anti-
krper gegen dieses Antigen an, die man dann isolieren und
fr eine passive Schutzimpfung verwenden kann.
Khler und Milstein gelang es, ganz gezielt nur eine einzelne
Zelle aus der Vielzahl Antikrper produzierender Zellen zu
isolieren und anschlieend in Kultur zu vermehren. Die Nach-
kommen dieser einen Zelle produzieren alle die exakt gleiche
Antikrpervariante, so dass von dieser nun grere Mengen
hergestellt werden knnen. Man spricht dann von Monoklo-
nalen Antikrpern. Wichtig ist dabei, dass man die Bindungs-
eigenschaften dieser Monoklonalen Antikrper durch geeig-
nete Verfahren im voraus bestimmen kann. Da es sich um nur
einen genau definierten Typ von Antikrper handelt, ist die
Wechselwirkung mit seiner Zielstruktur hochselektiv und gut
reproduzierbar im Gegensatz zu Ergebnissen, die man mit
Mischungen unterschiedlicher Antikrpervarianten erhlt.
Man kann die Bindungseigenschaften zum Beispiel technisch
nutzen um andere Proteine zu binden und zu reinigen. Durch
den Einsatz gentechnischer Methoden wurden die Eigen-
schaften der Monoklonalen Antikrper immer weiter opti-
miert; heute sind Monoklonale Antikrper und ihre Abkmm-
linge auch die Basis fr uerst wirksame Medikamente, etwa
gegen Krebs.
Wichtige Aufschlsse wurden auch ber den molekularen
Aufbau von Genen gewonnen. Man konnte nun vergleichen,
Grundoperation der Gentechnik: Ein Stck fremder DNA (blau),
das ein ganzes Gen enthalten kann, wird mit Hilfe von DNA-
Scheren und DNA-Kleber in einen Ring aus bakterieller DNA,
ein so genanntes Plasmid, eingefgt. Das Wirtsbakterium nimmt
das rekombinante Plasmid auf , vermehrt es wie sein natrliches
Erbgut und produziert die darauf codierten Proteine.
23
-
Zunchst werden die autologen oder allogenen Zellen in
Vorkulturen angezogen, um sie in Wachstumsphasen und
in ausreichender Menge auf das entsprechend der Anwen-
dung vorgeformte Trgermaterial auftragen zu knnen.
Die geimpfte Matrix wird dann in stationrem Milieu kul-
tiviert bis man die Anhaftung der Zellen an das Trgermate-
rial feststellt. Hier kommt es darauf an, dass die Zellen opti-
male Wachstumsbedingungen vorfinden. Dazu gehren
die wichtigen Kontakte zur Matrix und zu anderen Zellen.
Jeder Zelltyp stellt ganz individuelle, oftmals zeitlich varia-
ble Ansprche an seine Umgebung, die durch die mg-
lichst genaue Schaffung der natrlichen Mikroumge-
bung der Zellen erfllt sein mssen.
Nur wenn diese Anforderungen erfllt sind, lsst sich das
Konstrukt schlielich in Reaktoren unter kontinuierlicher
Nhrstoff- und Luftzufuhr zu funktionalen Geweben aus-
reifen, wobei mglichst physiologische Bedingungen ein-
zuhalten sind.
Ausdifferenzierte Krperzellen lassen sich meistens nicht so
ohne weiteres in vitro vermehren. Das liegt unter anderem
daran, dass sie sich in den Geweben auch nicht beliebig teilen
drfen. Andernfalls gbe es keine klar begrenzten Gewebe-
strukturen und Organe. Die Ausnahme sind Tumorzellen, die
sich bekanntermaen ungehemmt teilen und die Organe zer-
stren. Diese Fhigkeit macht man sich in der Bioprozesstech-
nik zunutze, indem man Immunzellen eines bestimmten Typs
mit speziellen Tumorzellen (Myelomzellen) fusioniert. Die
daraus resultierenden Hybridomazellen weisen die Eigen-
schaften der Immunzellen auf, sind aber wie die Tumorzellen
in der Zahl ihrer Teilungszyklen nicht begrenzt. Sie eignen
sich deshalb fr groe Zellkulturen zur Produk-
tion wertvoller Proteine, zum Beispiel rekombi-
nanter Antikrper (siehe Seite 8). Fr Zellthera-
pien sind die Zellen verstndlicherweise
ungeeignet.
Einige somatische Zelltypen sind in vitro ver-
mehrbar und knnen therapeutisch zum Ersatz
ausgefallener Gewebezellen genutzt werden.
Dazu gehren zum Beispiel Knorpelzellen oder
die Stammzellen des Knochenmarks. Eine In-
vitro-Kultur frisch isolierter Zellen eines Gewe-
bes wird als Primrkultur bezeichnet. Nachdem
die Zellen sich ungestrt teilen und wachsen
konnten, mssen sie sptestens wenn sie den
Schalenboden komplett bedecken auf neue Kul-
turgefe verteilt werden (Subkultivierung).
Andernfalls stellen sie das Wachstum ein und
sterben ab. Sind Zellen mehr als siebzigmal
nach der Pr