risiken des widerstandes - jugendliche und ihre ......transkriptionsregeln 475. dank den vielen...

15

Upload: others

Post on 22-Apr-2020

4 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen
Page 2: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

Wiebke ScharathowRisiken des Widerstandes

Kultur und soziale Praxis

Page 3: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

Wiebke Scharathow (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Päda-gogischen Hochschule Freiburg. Sie lehrt und forscht im Arbeitsbereich So-zialpädagogik zu Fragen sozialer Differenz und Ungleichheit.

Page 4: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

Wiebke Scharathow

Risiken des WiderstandesJugendliche und ihre Rassismuserfahrungen

Page 5: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

Zugleich Dissertation, Oldenburg 2013

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekBibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 transcript Verlag, Bielefeld© 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages ur-heberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Überset-zungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Sys-temen.

Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, BielefeldDruck: Majuskel Medienproduktion GmbH, WetzlarPrint-ISBN 978-3-8376-2795-4PDF-ISBN 978-3-8394-2795-8

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.deBitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter:[email protected]

Page 6: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

Inhalt

Dank 7

Einleitung 9

I Verortungen und Perspektiven der Forschungsarbeit 17

1 Konturen des Diskurs- und Forschungsfeldes 171.1 Verortung im Forschungsfeld 181.2 Rassismus im deutschen Diskurs 29

2 Theoretisch-analytische Perspektiven 362.1 Rassismus 372.2 Rassismuserfahrungen 49

II Rassismusforschung 55

1 Krise und Kritik der Repräsentation 55

2 Rassismus- und repräsentationskritische Perspektiven 66

III Theoretische Zugänge und methodologische Annäherungen 81

1 Qualitativ-interpretative Sozialforschung 82

2 Cultural Studies 882.1 Theoretisch-analytische Verhältnisbestimmungen 922.2 Forschungsmethodologische Implikationen 107

3 Kritische Psychologie 1123.1 Theoretisch-analytische Verhältnisbestimmungen 1133.2 Forschungsmethodologische Implikationen 118

4 Cultural Studies und Kritische Psychologie im Vergleich 125

5 Bedeutung der Zugänge für die eigene Forschung 128

IV Forschungspraxis 139

1 Forschungspraktischer Hintergrund 139

2 Datenerhebung 1442.1 Datenerhebung I: Forschungswerkstatt 1452.2 Datenerhebung II: Einzelinterviews 1832.3 Datenerhebung III: Kunstprojekt 190

3 Datenauswertung 191

Page 7: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

V Jugendliche und Rassismuserfahrungen 201

1 Eröffnung des Forschungsdiskurses 2031.1 Rassistische Diskriminierung als gemeinsame Erfahrung 2031.2 Diskriminierung – Differenzierungen und Grenzziehungen 2071.3 Rassistische Diskriminierung als gemeinsames Thema 214

2 Rassismuserfahrungen, Herausforderungen und Handlungsweisen 2152.1 Zugehörigkeitsverhältnisse 2162.2 Rassistische Artikulationen 2482.3 Rassismus als unlogische Erfahrung 2662.4 Rassismus als Erfahrung einseitiger Sichtbarkeit 2862.5 Rassismusverdacht als Rassismuserfahrung 3242.6 Rassismus als verschwiegene Erfahrung 3562.7 Rassismus als unsichtbare Erfahrung 407

VI Resümee 413

1 Die Normalität von Rassismus 414

2 Ambivalenter Widerstand in risikoreichen Verhältnissen 4202.1 Risikoreiche Verhältnisse 4212.2 Ambivalenter Widerstand 428

3 Eine rassismuskritische pädagogische Praxis 433

4 Schlussbemerkung 444

Epilog 445

Literatur 449

Transkriptionsregeln 475

Page 8: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

Dank

Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen und mich auf dem Weg zu ihrer Fertigstellung vielfältigunterstützt haben, gilt mein herzlichster Dank.

An erster Stelle und ganz besonders herzlich möchte ich mich bei den Jugendli-chen bedanken, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, die mir ihr Vertrauen ge-schenkt und ihre Erfahrungen mit mir geteilt haben.

Des Weiteren gilt mein Dank Rudolf Leiprecht, der nicht nur diese Arbeit vonBeginn an mit wichtigen Anregungen und voller Wertschätzung betreut hat, sondernmich auch darüber hinaus auf meinem wissenschaftlichen Weg immer gefördert undbegleitet hat. Christine Riegel danke ich ebenfalls sehr, nicht nur für ihre Bereit-schaft, meine Arbeit als Zweitgutachterin zu betreuen, sondern auch für ihre inhalt-lichen Hinweise und die motivierende Unterstützung auf den letzten Metern.

Darüber hinaus danke ich allen Freundinnen und Freunden sowie Kolleginnenund Kollegen, die mit mir gemeinsam nachgedacht, diskutiert und interpretiert ha-ben, die hilfreiche Rückmeldungen zum entstehenden Text gaben und die mit mirund den Jugendlichen zusammengearbeitet haben. Sie alle haben zur vorliegendenStudie wertvolle Beiträge geleistet. Ich bedanke mich bei den Teilnehmenden derForschungswerkstätten von Bettina Dausien und Paul Mecheril sowie den Teilneh-menden des Kolloquiums von Rudi Leiprecht. Mein besonderer Dank gilt LalithaChamakalayil, Bozzi Schmidt, Katrin Ratz, Thomas Guthmann, Inger Petersen,Sara Appelhagen, Ute Wicke, Ahmet Sinoplu, Mona Motakef, Ulrike Hormel, Bir-git Frosch, Malve von Möllendorff, Katja Worch-Fouhakue und Jan Sparsam.

Schließlich danke ich meinen Eltern für ihr grenzenloses Vertrauen in mich.

Page 9: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen
Page 10: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

Einleitung

Ein nicht unerheblicher Teil von Jugendlichen, die in Deutschland leben und auf-wachsen, die hier zur Schule gehen, ihre Freundschaften pflegen und ihren Hobbiesnachgehen, die vielleicht hier geboren sind, machen die Erfahrung, als ‚Andere‘, als‚nicht-deutsch‘ zu gelten. Sie sehen sich in ihrem Alltag mit Strukturen, Bildernund Vorstellungen konfrontiert, die ihnen signalisieren, dass sie in den Augen ande-rer nicht so wie ‚deutsche‘ Jugendliche sind. Sie wachsen in einer Gesellschaft auf,in der Perspektiven auf die Migrationsgesellschaft wirksam sind, die jene, die inDeutschland als ‚Andere‘, als ‚nicht-deutsch‘ markiert werden, als verantwortlichfür Problemlagen und migrationsgesellschaftliche Herausforderungen identifizie-ren: In Diskursen über Integration wird viel über die ‚Kultur‘, die Religion oder dieWerte und Normen von Migranten und Migrantinnen gesprochen, in Debatten überden Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen mit sogenanntem Migrationshin-tergrund sind Sprachkenntnisse und familiäre Bildungsaspirationen zentrale The-men. Männliche Jugendliche werden häufig in Zusammenhang mit Kriminalität undGewalt zum Gegenstand öffentlichen Interesses, weibliche Jugendliche gelten nichtselten als per se in familiären Strukturen ‚unterdrückt‘.

In solchen verbreiteten Perspektiven, Debatten und Diskursen bleiben oftmalsnicht nur gesellschaftliche Strukturen und Regelungen unhinterfragt und die Fragenach dem ‚Wir‘ einer Gesellschaft, das den ‚Anderen‘ implizit gegenübersteht, un-thematisiert. In ihnen werden auch soziale Bedeutungskonstruktionen, stereotypeBilder und Vorstellungen wirkungsvoll angerufen und hervorgebracht, die diese Ju-gendlichen erst als ‚Andere‘ konstruieren, sie häufig in defizitärer und homogeni-sierender Weise als problematische soziale Gruppe darstellen und ‚Erklärungen‘ –nicht zuletzt auch für ihre Benachteiligung – in ihrer ‚Herkunft‘, ihrer ‚Kultur‘ oderReligion und mit diesen vermeintlich in Beziehung stehenden Orientierungen, Ei-genschaften und Fähigkeiten suchen.

Bedeutungskonstruktionen dieser Art sind relevanter Bestandteil der sozialenOrdnung migrationsgesellschaftlicher Wirklichkeit. Sie entscheiden etwa darüber,

Page 11: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

10 | RISIKEN DES WIDERSTANDES

wer in Deutschland zum ‚Wir‘ gehört und wer als ‚nicht-deutsch‘ außerhalb dieses‚Wirs‘ bleibt. Sie sind darüber hinaus aber auch relevanter Bestandteil subjektiverWirklichkeiten von Jugendlichen, die sich in ihrem Alltag mit stereotypen Zuschrei-bungen, rassistischen Praktiken und diskriminierenden Verhältnissen konfrontiertsehen. Allerdings werden diese sowie ihre Konsequenzen für Jugendliche, die ihrLeben in Deutschland unter der Prämisse gestalten, als ‚Andere‘ zu gelten, kaumthematisiert. Über Rassismus, über die vielfältigen, alltäglichen Formen, in denener sich in jugendlichen Lebenswelten manifestiert, wird selten gesprochen. Über diesubjektiven Erfahrungen mit Rassismus, die die Selbst- und Weltbilder von Jugend-lichen erheblich beeinflussen, noch seltener. Danach, was dies für Jugendliche be-deutet, wird nur selten gefragt. Bislang zeigten sich Wissenschaft und auch die Päd-agogik, nur wenig interessiert daran, wie Jugendliche Rassismus in dieser Gesell-schaft erfahren, wie sie mit Rassismus umgehen, mit welchen Wirkungen sie diestun und auf welche Handlungsherausforderungen sie dabei stoßen.

In der vorliegenden Forschungsarbeit wird diesen Fragen u.a. mit dem Zielnachgegangen, einen differenzierten Beitrag zu Diskursen und Debatten in der Mi-grationsgesellschaft zu leisten, in denen nicht nur Rassismus ein noch immer unter-repräsentiertes Thema ist, sondern auch die Perspektiven und Stimmen jener, diemeist im Mittelpunkt dieser Debatten stehen, nur wenig Aufmerksamkeit zuteilwird. Mit dem Ausblenden dieser Perspektiven werden spezifische Bestandteile vongesellschaftlicher Wirklichkeit ignoriert – in diesem Fall Rassismus als subjektivbedeutsamer, vielfach Einfluss nehmender und restriktiv wirkender Teil von jugend-lichen Lebenswelten in Deutschland. Diese Realität als Teil von gesellschaftlicherRealität zu erkennen und sichtbar zu machen, ist gesellschaftspolitisch relevant. Nurso kann Rassismus als Gesellschaft strukturierendes Ungleichheitsverhältnis mit-samt seinen vielfältigen Konsequenzen analysiert, beschrieben, kritisiert und auchverändert werden. Vor diesem Hintergrund sind die aufgeworfenen Fragen auch fürdie Pädagogik bzw. die Soziale Arbeit, die als Professionen subjektorientiert in ge-sellschaftlichen Verhältnissen im Horizont sozialer Gerechtigkeit agieren, von zen-traler Bedeutung. Die Feststellung etwa, dass Jugendliche subjektiv bedeutsameRassismuserfahrungen machen und gleichzeitig (auch in pädagogischen Arbeitsfel-dern) nur selten über Rassismus und Rassismuserfahrungen gesprochen wird, gehtmit Fragen einher, denen sich auch die Pädagogik zuzuwenden hat.

Entstehungskontext und Forschungssetting

Das Forschungsprojekt, dessen Ergebnis die vorliegende Arbeit ist, hat sich ausmeiner Tätigkeit in der außerschulischen Jugendarbeit entwickelt. Im Zuge dieserwurde immer wieder deutlich, dass die Jugendlichen, mit denen ich gearbeitet habeund die einen sogenannten Migrationshintergrund haben, in ihrem Alltag vielfältigeErfahrungen mit Diskriminierung machen, und dass sie mit diesen Erfahrungen auf

Page 12: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

EINLEITUNG | 11

vielfältige Weise umgehen (müssen). Allerdings hatten meine Kollegin und ich auchden Eindruck, dass Zeit und Raum, um sich im Jugendtreff-Alltag mit den – oft le-diglich als Anspielungen in den Raum geworfenen – Diskriminierungserfahrungenangemessen ausführlich auseinanderzusetzen, häufig zu knapp waren. Auch außer-halb der Einrichtung, so schien es uns, mangelte es sowohl an Gelegenheiten für Ju-gendliche, sich auszutauschen, als auch an Unterstützung im Umgang mit solchenSituationen. Als Pädagoginnen war es unser Anliegen, den Jugendlichen Raum undGelegenheit zur Verfügung zu stellen, sich gemeinsam über ihre Erfahrungen, ihrePerspektiven und Handlungsmöglichkeiten auszutauschen. Darüber hinaus interes-sierte es mich, wie Jugendliche diese alltäglichen Erfahrungen deuten, was sie fürsie bedeuten, wie sie mit ihnen umgehen und vor allem, wie ihre Erfahrungen undHandlungsmöglichkeiten mit den gesellschaftlichen und sozialen Kontexten verwo-ben sind, in denen sie sich bewegen.

Als Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung wurde daher ein pädagogi-sches Forschungssetting gewählt. Dieses habe ich in Form eines viertägigen Semi-nars konstruiert. Es sollte sowohl den Jugendlichen als auch mir als ‚Forschungs-raum‘ dienen. Ziel war es, Jugendlichen mit diesem Setting eine Gelegenheit zubieten, die es ihnen erlaubt, ihren eigenen Fragen im Themenbereich Diskriminie-rung mit pädagogischer Unterstützung nachzugehen, sich auszutauschen und gegen-seitig bei der Erkundung der eigenen Möglichkeitsräume, ihrer Begrenzungen so-wie ihrer Handlungsmöglichkeiten zu unterstützen. Als pädagogischer Raum derSelbsterkundung, der Reflexion und des Forschens diente dieses Setting, das ich‚Forschungswerkstatt‘ nannte, zugleich der Erhebung von Daten in Form von Grup-pendiskussionen für die vorliegende Untersuchung. Im Abstand von ein bis dreiWochen nach der Forschungswerkstatt wurden zudem leitfadengestützte Interviewsdurchgeführt, in denen u.a. Themen und Aspekte, die in der Forschungswerkstattfür die Jugendlichen relevant waren, im Einzelgespräch aufgegriffen und vertieftwurden. Ergänzt wird das so erhobene Datenmaterial durch Statements, die Jugend-liche zum Thema Rassismuserfahrungen in einem Dokumentarfilm (Willems/Lei-precht 2009) und im Rahmen eines Kunstprojektes geäußert haben, welche quasiFolgeprojekte der Forschungswerkstatt waren.

Bereits zu Beginn dieses Forschungsprozesses wurde sehr schnell deutlich, dassdie eindeutig dominierenden Themen der Jugendlichen Zugehörigkeits-, Zuschrei-bungs- und Diskriminierungserfahrungen waren, die auf rassistische Bedeutungs-konstruktionen verweisen. So verschob sich dann auch der Schwerpunkt der vorlie-genden Forschungsarbeit von der ursprünglichen Idee, mit Jugendlichen über ihreInvolviertheit in vielfältige Differenz- und Ungleichheitsverhältnisse nachzuden-ken, auf Rassismus als für sie bedeutsamstes Differenzverhältnis.1

1 Den Verschränkungen von Rassismus mit anderen sozialen Differenzverhältnissen schen-

ke ich zwar durchaus Aufmerksamkeit, jedoch liegt der deutliche Fokus der Arbeit auf

Page 13: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

12 | RISIKEN DES WIDERSTANDES

Erkenntnisinteresse und Forschungsperspektive

Mein wissenschaftliches Interesse in dieser Forschungsarbeit gilt dem Zusammen-spiel von Rassismus als einem sozialen Ungleichheitsverhältnis und den individuel-len Lebenswelten von Jugendlichen, die in Deutschland Rassismuserfahrungen ma-chen müssen. Ausgangspunkt dieser Erkundungen sind die subjektiven Perspekti-ven von Jugendlichen: Ich frage in dieser Arbeit nach ihren Erfahrungen mit Rassis-mus, danach, was diese Erfahrungen für sie bedeuten und wie und mit welchen Ef-fekten sie mit Rassismuserfahrungen umgehen. Die Erfahrungen, Deutungen undHandlungsbegründungen der Jugendlichen werde ich mit Blick auf die Kontexte,die sozial-nahräumlichen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse analysieren, umso Aussagen über Voraussetzungen und Bedingungen treffen zu können, die dazubeitragen, dass diese erst möglich werden. Damit geht es mir in dieser Arbeit zumeinen um die Analyse von sozialen Bedeutungen und Strukturen, die (in oftmals be-grenzender Weise) quasi als Möglichkeitsbedingungen das Deuten und die subjekti-ven Handlungsmöglichkeiten von Jugendlichen in Situationen von Rassismus rah-men. Zum anderen gilt mein Interesse bezüglich der Eingebundenheit des Deutensund Handelns der Jugendlichen in gesellschaftliche Diskurse und Bedeutungssyste-me der Frage, inwiefern ihr Handeln zur (Re-)Produktion von sozialen Bedeutun-gen mit potenziell restriktivierenden Konsequenzen beiträgt; aber auch, inwiefernes zu Umdeutungen und Bedeutungsverschiebungen führt und als widerständig,etwa gegenüber Zuschreibungen und Otheringprozessen oder Ungleichbehandlun-gen, beschrieben werden kann.

Im Nachgehen dieser Fragen folgt die vorliegende, qualitativ-interpretative Un-tersuchung nicht nur rassismustheoretischen, sondern auch rassismuskritischen For-schungsperspektiven (vgl. Melter/Mecheril 2009; Scharathow/Leiprecht 2009). Dasheißt zum einen, dass mit dieser Arbeit Kritik an rassistischen Verhältnissen geübtund in Bedeutungssysteme und Ungleichheitsverhältnisse verändernd eingegriffenwerden soll. Zum anderen bedeutet es, dass in Konzeption und Durchführung dieserForschung zu Rassismus dem Umstand, dass diese selbst in rassistisch strukturier-ten Verhältnissen stattfindet, reflexive Aufmerksamkeit geschenkt wird. Vor diesemHintergrund ist es für das Forschen in rassismuskritischer Perspektive von zentralerBedeutsamkeit, dass Macht- und Ungleichheitsverhältnisse als potenziell relevanteAspekte nicht nur mit Bezug auf das zu analysierende empirische Material in dieÜberlegungen mit einbezogen werden, sondern auch im Forschungsprozess selbstals das forschende Tun kontextualisierende Aspekte reflexive Berücksichtigung fin-

der Analyse des Ungleichheitsverhältnisses Rassismus. Obwohl Jugendliche immer mit

unterschiedlichen Zugehörigkeiten und Identitätsaspekten umgehen und verschiedene

Differenzverhältnisse in ihren Lebenswelten von Bedeutung sind, nehme ich deren theo-

retische und analytische Vernachlässigung in dieser Arbeit zugunsten der intensiven Aus-

einandersetzung mit Rassismus in Kauf.

Page 14: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

EINLEITUNG | 13

den; und zwar sowohl im Hinblick auf die Gestaltung des Forschungsdesigns alsauch hinsichtlich der analytischen Arbeit mit dem empirischen Material. Eine ras-sismuskritische Forschungsperspektive heißt also, Forschung selbst als Prozess zubegreifen, in dem immer auch die Gefahr besteht, rassistische Ungleichheitsverhält-nisse zu (re-)produzieren (vgl. Mecheril 1999). Dies impliziert die Notwendigkeit,sich zum einen die Frage zu stellen: „Wo wiederhole ich, was ich kritisiere?“2 undzum anderen einen methodisch-reflexiven Umgang zu finden, mit dem dem Risikoder Reproduktion möglichst angemessen begegnet werden kann.

Ein zentrales Dilemma, mit dem es in diesem Zusammenhang reflexiv umzuge-hen gilt, stellt der Umstand dar, dass Forschung zu Rassismus(-erfahrungen) nichtumhinkommt, an Differenzkonstruktionen anzuknüpfen, die zentraler Bestandteileines rassistischen Unterscheidungswissens sind. Zum einen ist es nur so möglich,diese zu untersuchen, zu bearbeiten und aufzubrechen. Zum anderen werden sieaber auf diese Weise im Forschungsprozess selbst immer auch hervorgebracht (vgl.Mecheril/Scherschel/Schrödter 2003, 106). Forschung bzw. mir als Forscherinkommt demnach auch Repräsentationsmacht in Verhältnissen zu, in denen Mittelund Möglichkeiten der wirkungsvollen (Selbst-)Repräsentation sehr ungleich ver-teilt sind. Entsprechend muss auch das Verhältnis zwischen mir als Forschender undden Jugendlichen, mit denen ich forsche, als Teil der Konstruktions- und Wissens-produktionsbedingungen methodisch-reflexiv in den Forschungsprozess einbezogenwerden – dies insbesondere, aber nicht nur, im Hinblick auf die Tatsache, dass ich,im Gegensatz zu den Jugendlichen, mit denen ich forsche, in Deutschland keineRassismuserfahrungen machen muss. In der forschungstheoretischen und -metho-dologischen Konkretisierung dieser Perspektive greife ich vor allem auf Ansätze zu-rück, wie sie innerhalb der British Cultural Studies entwickelt wurden, sowie, in Er-gänzung, auf Überlegungen der Kritischen Psychologie.

Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist in sechs Abschnitte gegliedert. Sie beginnt im ersten Teilmit der Einbettung der Untersuchung und ihrer Fragestellungen in das Forschungs-feld sowie ihrer Verortung im Diskurs über Rassismus. Für letzteres Anliegen wirdzunächst der dominante Diskurs zu Rassismus, wie er in Deutschland geführt wird,nachgezeichnet. Im Anschluss daran wird ein alternatives Rassismusverständnis so-wie das Verständnis von Rassismuserfahrungen dargelegt, welche die Forschungsar-beit als theoretisch-analytische Perspektiven rahmen.

Die folgenden zwei Abschnitte sind der Auseinandersetzung mit forschungs-theoretischen und -methodologischen Überlegungen gewidmet, in der ich nach ge-

2 So Astrid Messerschmidt in ihrem Beitrag auf der IDA-NRW Tagung ‚Für eine ‚andere‘

Welt? Beiträge der Rassismuskritik zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse‘ am

9./10.12.2011 in Münster.

Page 15: Risiken des Widerstandes - Jugendliche und ihre ......Transkriptionsregeln 475. Dank Den vielen Menschen, die zum Gelingen der vorliegenden Arbeit auf unterschied-lichste Weise beigetragen

14 | RISIKEN DES WIDERSTANDES

eigneten Zugängen frage, die es mir erlauben, Zusammenhänge zwischen Subjekt,Erfahrungen und Rassismus, verstanden als gesellschaftliches Ungleichheitsverhält-nis, theoretisch zu fassen und empirisch zu untersuchen. Dazu werden in einem ers-ten Schritt unter Rückgriff auf repräsentationskritische und rassismustheoretischePerspektiven Anforderungen an eine Forschung formuliert, die sich als rassismus-kritische Forschung begreift. Unter Berücksichtigung der hier erarbeiteten rassis-muskritischen Forschungsperspektive werden dann in einem zweiten Schritt theore-tische und methodologische Ansätze und Perspektiven entwickelt, die die Rekon-struktion der genannten Zusammenhänge angemessen ermöglichen. Hier greife ichPrämissen qualitativ-interpretativer Forschung auf und ergänze und konkretisierediese unter Rückgriff auf Theoreme, die im Rahmen der British Cultural Studies,insbesondere von Stuart Hall, entwickelt wurden. Im Mittelpunkt dieser Überlegun-gen steht die Frage, wie Repräsentations- und Wahrheitsregime sich als zentralerBestandteil von Rassismus bzw. rassistischen Bedeutungssystemen diskursiv eta-blieren und in welchem Verhältnis das Subjekt zu ihnen steht. Von weiterem zentra-lem Interesse ist die Frage, wie Subjekte, die erfahrend, d.h. deutend, fühlend undhandelnd, in machtvolle diskursive Formationen involviert sind, als handlungs-mächtig denkbar sind. Bezüglich dieser Frage werden die Überlegungen der Cultu-ral Studies bzw. Stuart Halls in einem nächsten Schritt mit Aspekten einer subjekt-wissenschaftlichen Theorie, wie sie in der Kritischen Psychologie nach Klaus Holz-kamp formuliert wurde, ergänzt. Diese bietet aufgrund ihrer Fokussierung auf dasSubjekt als Ausgangspunkt für die Untersuchung von gesellschaftlichen Verhältnis-sen und der ihnen zentralen Frage nach den subjektiv wahrgenommenen Möglich-keitsräumen des Handelns in gesellschaftlichen Verhältnissen eine Ergänzung zuden Cultural Studies, in denen die Frage nach dem Subjekt, den subjektiven Bedeut-samkeiten und der individuellen Handlungsfähigkeit eher marginale Aufmerksam-keit erfährt.

Die methodologischen Implikationen der in Abschnitt II und III aufgegriffenenAnsätze fasse ich dann zunächst im Hinblick auf das eigene Forschungsvorhabenresümierend zusammen und beschreibe in Abschnitt IV schließlich ihre Umsetzungin der Konstruktion des eigenen Forschungsdesigns. In diesem Teil der Arbeit legeich den Entstehungskontext der Studie dar und beschreibe, begründe und reflektieremein methodisches Vorgehen bei der Datenerhebung und der Datenauswertung.

Der umfangreiche fünfte Abschnitt ist dann der Vorstellung der Ergebnisse derDatenanalyse gewidmet. Unter Rückgriff auf die zuvor entwickelten analytischenInstrumente werden hier die unterschiedlichen Formen, in denen sich Rassismus inden Lebenswelten der Jugendlichen manifestiert und von ihnen erfahren wird sowiedie diesbezüglichen Handlungsweisen der Jugendlichen und ihre Konsequenzen re-konstruiert. Der Schwerpunkt liegt hier auf der Rekonstruktion der sozial-nahräum-lichen und gesellschaftlichen Bedingungen, die das Handeln der Jugendlichen er-