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Rumänien, Pascal Spahni, 6. Dezember 2015 Über Obdachlose, Bettler, Essens-Abfälle und Gypsies („Zigeuner“) Bemerkung: Der nachfolgende Bericht basiert hauptsächlich auf Informationen, die ich von anderen Personen (vor allem von Gelu) mündlich bekommen habe. Ich glaube diesen Personen, habe jedoch nicht gross weiter recherchiert und kann deshalb nicht garantieren, dass alles hundert Prozent so stimmt, wie ich es hier beschreibe... Weiter habe ich ein paar Fotos von der EMMAUS-Facebook Seite verwendet, nicht ganz alle Bilder sind von mir selbst (aber die meisten). Am Ende dieses Textes bitte ich euch herzlich um eure Unterstützung für einen guten Zweck. Food waste Nach unserer Jubiläumsfeier blieben sehr viele Essensresten übrig. Diese wegzuwer-fen wäre eine Schande, wenn man daran denkt, wie viele Leute froh darüber wären... Ich fragte deshalb bei einer Freundin (Anca), die sich sozial stark engagiert, nach, ob sie eine Idee hätte. Sie sagte mir, ich solle das ganze Essen zu ihrem Restaurant bringen und dann schauen wir weiter. Dies habe ich dann am nächsten Tag auch ge-tan. Anca rief einer Organisation an, die sich um Obdachlose kümmert und diese stan-den dann auch zehn Minuten später mit einem Auto vor dem Restaurant, um das ganze Essen abzuholen. Ich war beeindruckt, wie gut das Ganze funktionierte und auch, dass da scheinbar ein gutes Netzwerk vorhanden ist. „Food waste“ (Essenverschwendung) war schon immer ein Thema, das mich beschäf-tigte und ich sehe sehr viel Verbesserungspotential... Mir kam die Idee, ein Netzwerk mit Restaurants und Event-Organisatoren (Hochzeiten, Catering, Kongresse etc.), die immer viele Essensresten/-Abfälle haben, aufzubauen. Diese sollen ihre Essenresten nicht wegwerfen, sondern bereitstellen, um abgeholt und dann an Obdachlose verteilt zu werden. Das Projekt ist gescheitert, bevor es begonnen hatte. Dies ist jedoch nicht weiter schlimm... Warum, erzähle ich euch ein bisschen weiter unten im Text... Da diese Idee verschiedene Herausforderungen mit sich bringt, wollte ich zuerst ein bisschen recherchieren. Um an das Obdachlosen-Netzwerk zu kommen und an wei-tere Informationen in diesem Bereich zu gelangen, telefonierte ich Gelu, dem Gründer der Organisation, die unsere Essensresten abgeholt hatte. Gelu ist 42 Jahre alt, sehr engagiert, positiv, jung geblieben aber trotzdem sehr reif. Im sozialen Bereich hat er extrem viel Erfahrung und er kennt sich bestens aus mit allem, was in dieser Gegend
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irgendwie mit „arm“ zu tun hat. Mehr über ihn und seine Organisation erzähle ich euch ein bisschen weiter unten im Text, nun aber wieder zum „Food waste“: Gelu hatte sich Zeit genommen, um mir seine Organisation zu zeigen und all meine Fragen zu beantworten. Ich erzählte ihm von meiner Idee und wollte seine Meinung dazu wissen. Sehr erstaunt war ich über seine Antwort: „Es gibt kein Food waste bzw. keine Essensverschwendung hier in Iasi“. Wie? Das kann doch gar nicht sein... Ich war doch an dieser Hochzeit und dort habe ich ja gesehen, wie viel Essen übrig ge-blieben ist... Ich sehe doch, wie die Leute hier in den Restaurants verschwenderisch mit Essen umgehen... Keine Essensverschwendung? Unmöglich! Gelu hat’s mir aber erklärt und es ist extrem spannend: Das ganze Essen, das nach einem Abend im Res-taurant oder nach einer Hochzeit übrig bleibt, wird von den Mitarbeitern (Kellner, Kü-chenpersonal etc.) eingepackt und mit nachhause genommen. Dort wird es dann an Familie, Freunde und Nachbarn weiterverteilt. Viele Leute hier haben nicht so viel Geld und profitieren von solchen Dingen. Klammer auf: Die Rumänen sind sowieso Weltmeister im Verteilen. Zum Beispiel auf dem Land, wenn jemand ein Schwein schlachtet, wird das Fleisch sofort an die Ganze Familie verteilt und an die Nachbarn verkauft. Die Mütter auf dem Land kochen immer sehr viel und geben ihren Kindern, die in der Stadt leben, das Essen für die ganze Woche mit. Die Rumänen nutzen auch immer jede Gelegenheit, um jemandem etwas für jemand anderes mitzugeben. Deshalb reisen die Rumänen auch viel mit überfüllten Autos voller Plastiksäcken. Irgendwie hat jeder Rumäne irgendwo noch einen Cousin oder eine Schwester, die irgendwo anders leben und man ihnen vielleicht irgendetwas senden könnte... Ich kann mich noch erinnern als wir nach Deutschland fuhren... Cris-tis Vater hatte uns zwei riesige Packungen mit Senf mitgegeben, welche wir dort bei Freunden und Familie verteilen sollten. Und auf dem Rückweg gaben diese uns dafür Medikamente etc. mit, welche wir ihren Familienmitgliedern in Rumänien bringen mussten. Klammer zu. Wieder zurück zum „Food waste“: Landet dann doch einmal etwas zu Essen im Abfall, wird es trotzdem nicht verschwendet. Es funktioniert nämlich folgendermassen: Für jede einzelne Mülltonne, in der normalerweise Essensresten landen (die Rumänen trennen den Müll leider nicht, aber die Mülltonnen, die nahe bei einem Restaurant etc. stehen, haben meistens mehr Essensresten), ist ein Obdachloser oder eine andere „arme Person“ „verantwortlich“. Diese Person ist von Morgens bis Abends bei dieser Mülltonne (vielleicht nicht gerade bei der Mülltonne aber ein paar Meter entfernt) und jedes Mal, wenn jemand etwas reintut, schaut sie nach, ob es sich um „brauchbare“ Essensresten handelt. Wenn ja, so nimmt sie die Essensresten raus uns sortiert diese. All diese sortierten Essensresten werden dann auf einem inoffiziellen „Essensresten-Markt“ für ein bisschen Geld an andere „arme Personen„ verkauft. Leider hatte ich bis jetzt noch keine Zeit, so einen „Markt“ zu besuchen. Dies möchte ich jedoch bald ein-mal tun und darüber schreiben.
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Ich war sehr erstaunt über diese Erklärungen von Gelu und ich bin sehr positiv beein-druckt, wie gut sich dieses Problem von alleine löst... Ein bisschen enttäuscht war ich schon, dass es sich deshalb mit meiner Projekt-Idee erübrigt hatte, aber eigentlich ist es ja gut, wenn sich die Probleme von alleine lösen... Ich habe ihn gefragt, ob dann dies mit den Mülltonnen nicht mafiös organisiert ist. Er antwortete mir mit Nein. Wenn jemand für eine Mülltonne verantwortlich ist, dann ist es einfach so. Wenn jemand anderes Essensresten aus der selben Mülltonne nehmen möchte, dann wird sich ein-fach geprügelt und der Stärkere gewinnt... Normalerweise werden aber die „Verant-wortlichkeiten“ für die Mülltonnen respektiert. Was jedoch ganz stark von der Mafia kontrolliert wird, ist das Bettler-„Business“: Bettler Schon seit Jahren beschäftigt mich die Frage, ob es Sinn macht, Bettlern etwas zu geben oder nicht... Jeder von uns kennt das: Ein Mann, der nur mit einem Bein am Boden auf einem Hauptplatz sitzt, eine Frau mit ihrem Baby im Arm vor einer U-Bahn Station, ein anderer Mann, der vor sich auf dem Boden Bilder von seiner Familie aus-gebreitet und auf einem Karton irgendetwas dazu geschrieben hat oder eine alte Frau mit Kopftuch, die vor dem Eingangstor einer Kirche nach Geld fragt. Für mich ist die Konfrontation mit solchen Leuten mit einem unangenehmen Gefühl verbunden. Unan-genehm, weil dieses Gefühl kontroverse Elemente beinhaltet. Zum einen Mitleid und das Bedürfnis, zu helfen. Zum anderen Scham, weil man nicht auf die Bitte der Bettler reagiert und sich auch nicht getraut, ihnen in die Augen zu schauen (eine gewisse Verklemmtheit von sich selbst, die man nicht mag). Auch Dankbarkeit dafür, dass man nicht selbst in dieser unglücklichen Lage ist und damit verbunden auch ein gewisses Verantwortungsbewusstsein, seine glückliche Lage zu teilen. Weitere Elemente dieses unangenehmen Gefühls sind Hilflosigkeit und Ungewissheit, weil man nicht weiss, ob es etwas bringt, wenn man der jeweiligen Person etwas gibt, und auch Hass gegen-über denjenigen Personen, die Mitleid und Armut ausnutzen und damit durch organi-sierte Strukturen Profit machen. Ich habe deshalb Gelu gefragt, wie das Ganze funktioniert und ob ich ab und zu etwas geben sollte oder nicht. Seine Antwort war ganz klar: Nein. Betteln ist ein Business (sogar hier und vor allem in den westlichen Ländern) und die einzige, die davon profi-tiert, ist die Mafia. Die Mafia kontrolliert den ganzen „Bettler-Markt“. Sie weist den Bett-lern ihre Plätze zu (an einem Hauptplatz mit vielen Leuten kann man viel mehr „ein-nehmen“ als an einem Platz wo es nicht so viele Leute hat) und verlangt, je nach „Ren-tabilität“ der Plätze, mehr Abgaben von den Bettlern. Sie verteilt Babys an die jeweili-gen „Bettler-Müttern“, um mehr Mitleid zu erzeugen (diese Frauen sind zum Teil gar nicht die richtigen Mütter dieser Babys und ich habe auch gehört, dass die Babys zum Teil mit Drogen ruhiggestellt werden, sodass sie schlafen und nicht weinen). Weiter gibt es auch Bettler, die „Krüppel spielen“, in Wirklichkeit aber gar keine sind, sondern es irgendwie schaffen, einen Arm oder ein Bein so zu verstecken, dass es so aus-sieht... „Krüppel“ erzeugen sehr viel Mitleid und es gibt hier in Iasi einen „berühmten“ „echten“ „Krüppel“, der so gut verdient, dass er am Abend jeweils mit dem Taxi nach-hause in seine schöne Wohnung fährt. Weiter gibt es den „Bettler-Export“, der auch durch die Mafia organisiert wird. Als wir vor einiger Zeit dieses jährliche Iasi-Festival hatten, bei dem hunderttausende Leute von überall in Rumänien nach Iasi kamen, waren auch deutlich mehr Bettler auf den
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Strassen (sonst sieht man eigentlich sehr wenige...). Auch die Bettler kommen vom ganzen Land hier her, weil sie an diesem Wochenende sehr viel verdienen. Klammer auf: Dieses jährliche Iasi-Festival ist zum einen ein riesiges Stadt-Fest mit vielen Ständen wo man allerlei Dinge kaufen kann, einem Konzert mit bekannten Bands und einem Feuerwerk. Zum anderen ist es auch eine religiöse Feier, bei wel-cher die Leute teilweise bis zu 24 Stunden Schlange stehen, um in der Metropoliten-Kathedrale die Glaswand des Sankt Parascheva Relikts zu küssen und zu beten. Die Kirche hatte an diesen Tagen scheinbar ca. 4 Millionen Euro durch Kollekte etc. ein-genommen. Ich stelle jetzt einmal in den Raum, ob dieses Geld wirklich für wohltätige Zwecke verwendet wird oder nicht doch eher für schöne Autos und Prunk für die hohen Geistlichen... Die junge Generation in Rumänien ist sehr sehr kritisch gegenüber der orthodoxen Kirche und dies ist sicher zu einem grossen Teil berechtigt. Dazu jedoch ein anderes Mal. Klammer zu. Der eigentliche „Bettler-Export“ ist aber der Export von Bettlern aus ärmeren Ländern wie zum Beispiel Rumänien in westliche Länder wie Zum Beispiel Frankreich. In Paris habe ich mit Abstand am meisten Bettler gesehen (viel mehr als in ärmeren Ländern wie Rumänien, Kolumbien etc.). Vor allem die aggressiven Gypsy-Frauen („Zigeuner“) dort sind sehr visibel und fallen negativ auf. Je nach dem wie gut es gerade läuft, nimmt ein Bettler in einer Stadt wie Paris ca. zwischen 150 und 300 Euro pro Tag ein. Ein „guter“ Bettler, der jeden Tag „arbeitet“, kann also bis zu 9'000 Euro im Monat einneh-men. Verglichen mit dem gesetzlichen Rumänischen Mindestlohn von ein bisschen mehr als 200 Euro im Monat ist dies ca. ein Vierzigfaches und dieser Betrag übersteigt auch das Zehnfache von dem, was ich hier verdiene und auch das, was die meisten Leute in der Schweiz verdienen. Es ist also ein extrem rentables Geschäft. Nicht je-doch die Bettler, sondern die Mafia profitiert von diesem Geschäft. Sie kontrolliert und organisiert es. Die Bettler nehmen zwar viel ein, verdienen aber nicht viel. Meistens bekommen sie etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen, die Einnahmen müssen sie jedoch abgeben. Dies macht mich unglaublich wütend und ich finde es richtig pervers, dass man die Armut und das Leid der Menschen ausnutzt, um damit Millionen zu „verdienen“. Ich würde mir wünschen, dass in diesem Bereich mehr recherchiert, geforscht und aufgeklärt wird. Dass mehr Ethnologen, Soziologen oder wie sie auch immer heissen, sich damit auseinandersetzen, Projekte machen und danach zusammen mit Politik und Hilfswerken eine gesamtheitliche und nachhaltige Lösung ausarbeiten, um diesem Problem entgegenwirken. Ich masse mir nicht an, endgültig darüber zu urteilen, da ich zu wenig darüber weiss und nicht den Überblick habe, was schon alles gemacht wird. Ich empfinde es aber trotzdem als korrekt, wenn ich über mein Bauchgefühl schreibe... Gelu hat mir gesagt, dass die einzigen Bettler, bei denen es evtl. gut ist, ihnen etwas zu geben, alte Frauen sind. Diese seien scheinbar meistens nicht Teil des Mafia-Sys-tems. Gypsies Was mich auch sehr traurig und nachdenklich macht, sind gewisse Gypsy-Kinder („Zi-geuner“) hier in Iasi. Die Gypsies schicken ihre Kinder teilweise auf die Strasse, um zu betteln und Dinge zu verkaufen (wie gesagt, es gibt nicht viele Bettler hier und dem-entsprechend auch nicht viele Kinder-Bettler, aber diese Kinder fallen trotzdem auf...).
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Ich sehe teilweise fünfjährige Kinder, die mir vor dem Supermarkt verwelkte Blumen verkaufen möchten und mir mehrere Sekunden hinterherlaufen. Es macht mich extrem traurig und wütend, dies zu sehen, weil ich genau weiss, dass ich ihnen nicht helfe, wenn ich ihnen etwas abkaufe oder ihnen Geld gebe. Das Geld geht an die Eltern und vielleicht auch an die Mafia und je erfolgreicher die Eltern damit sind, desto mehr hal-ten sie an ihrem Konzept, ihre Kinder auf die Strasse zu schicken, fest. Es ist ein Teu-felskreis, der nicht so einfach unterbrochen werden kann. Die Gypsies haben oft keine Ausbildung, gingen nie zur Schule und sind ganz und gar nicht in die Gesellschaft integriert. Die Gyspy-Kinder wachsen so auf, kennen nichts Anderes und werden es dementsprechend genau gleich mit ihren Kindern machen, wenn sie einmal erwach-sen sind. Gemäss den Eindrücken, die ich hier erlebe, leben die meisten Gypsies hier komplett in einer Parallelgesellschaft. Die meisten Rumänen sagen mir, dass man die Gypsies gar nicht integrieren kann, weil die Gypsies das gar nicht wollen. Ich sehe die Schwierigkeiten und die Herausforderungen, das Argument, dass es einfach nicht geht und fertig, ist meiner Meinung nach aber zu einfach... Mehr zu den Gypsies werde ich ein anderes Mal schreiben. Das Thema ist sehr komplex und ich muss zuerst noch selbst viel mehr darüber erfahren. EMMAUS – Die Obdachlosenorganisation Wie schon gesagt, hat sich dieser Gelu Zeit genommen, um mir seine Organisation zu zeigen und zu erklären, was sie alles machen. Ich möchte euch unbedingt davon er-zählen, weil ich das Engagement von Gelu und seinen Leuten als extrem wertvoll und wichtig empfinde und ich von ihrer nachhaltigen Idee begeistert bin. Deshalb war ich in letzter Zeit ab und zu einmal dort, hatte mit den „Compagnons“ gesprochen, mit ihnen gegessen, war bei der täglichen Sandwich-und-Tee-Verteil-Tour dabei und hatte mehrere Male mit den Verantwortlichen über diese Organisation gesprochen. EMMAUS ist eine weltweite Organisation mit vielen eigenständigen lokalen Unteror-ganisationen. Gelu ist der Gründer von EMMAUS Rumänien sowie auch von EMMAUS Iasi. EMMAUS Iasi gibt es schon seit 15 Jahren und es ist die einzige Organisation hier in Iasi, die sich um die Obdachlosen kümmert. EMMAUS besitzt hier in Iasi ein grosses Haus, in welchem ca. 15 Obdachlose wie in einer grossen Familie bzw. WG wohnen, schlafen und essen. Da sie ja jetzt dort wohnen, sind sie nicht mehr obdach-los, sondern heissen nun „Compagnons“.
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Alle diese Compagnons arbeiten für die Aktivitäten und Projekte der Organisation. Ein paar hundert Meter entfernt vom EMMAUS-Haus steht ein EMMAUS-Secondhand La-den, in welchem die Compagnons arbeiten. Sie räumen die Gestelle ein, sind verant-wortlich für die Kasse, fahren grössere Einkäufe mit dem Lieferwagen zu den Kunden nachhause etc. EMMAUS hat einen Standort in Sion und drei Standorte in Frankreich, zu denen sie ein paar Mal im Jahr mit dem Lastwagen fahren, um alte Möbel, Besteck, Kleider und weiteres Zeugs abzuholen, dass die Schweizer und Franzosen nicht mehr wollen. Dies fahren sie dann nach Iasi und verkaufen es hier im Secondhand Laden.
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Gewisse Compagnons arbeiten auch im Haus. Gabriela zum Beispiel ist verantwortlich für die Küche. Sie kocht das Morgen-, Mittag- und Abendessen und deckt den Tisch, sodass alle zusammen essen können, wenn sie vom Secondhand Laden und anderen Arbeitsaktivitäten nachhause kommen. Als ich dort war, haben sie vorher gerade eine Kuh vom eigenen Bauernhof geschlachtet, dazu aber weiter unten im Text...
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Andere Compagnons bauen zum Beispiel das Haus um. Sie sind gerade am Aufsto-cken, sodass sie für die doppelte Anzahl von Compagnons Schlafplätze haben. In zwei Wochen sollte das Ganze fertig sein und dann bietet das Haus Schlaf- und Wohnraum für ca. 30 – 40 Personen. Im Moment sind es Viererzimmer und es ist recht eng. Da-nach haben sie vielleicht die Möglichkeit, nur zu zweit in einem Zimmer zu schlafen.
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EMMAUS Iasi besitzt neben dem Haus und dem Secondhand Laden auch ein 20 Hek-taren-Feld und einen Bauernhof ein bisschen ausserhalb der Stadt. Dort leben und arbeiten auch noch einmal ca. 15 Compagnons. Auf dem Bauernhof kümmern sie sich um ca. 60 Schweine, 10 Kühe und viele Hühner etc. Weiter pflanzen sie Gemüse und Obst an. Auf dem Feld wird Getreide etc. angepflanzt, hauptsächlich als Futter für die Tiere des Bauernhofs. Alle Produkte (Fleisch, Milch, Eier, Gemüse, Früchte etc.), die auf dem Feld und Bauernhof produziert werden, sind für den Eigengebrauch, sprich für die Compagnons im EMMAUS-Haus und auf dem EMMAUS-Bauernhof. In Zukunft möchten sie mehr produzieren und die Produkte auch verkaufen.
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Es ist nicht einfach, Obdachlose zu überzeugen, zu EMMAUS zu kommen und Teil der Wohngemeinschaft zu werden. Zuerst muss man die Obdachlosen finden, den Kontakt aufbauen und nach und nach das Vertrauen zu ihnen gewinnen. Nicht jeder möchte sich helfen lassen und deshalb ist es sehr wichtig, immer viel Respekt zu zei-gen. Um in Kontakt und ins Gespräch zu kommen sowie um das Vertrauen schrittweise aufzubauen, verteilt EMMAUS von Montag bis Freitag jeden Abend Sandwiches, die in der Küche von den Compagnons selbst produziert werden. Mit Alexandru, Vasile (er war selber obdachlos und der erste Compagnon von EMMAUS Iasi vor 15 Jahren) und Marine (eine Freiwillige aus Dijon in Frankreich, die nun ein Jahr bei EMMAUS in Iasi verbringt) ging ich vor ein paar Tagen mit auf die Sandwich-Verteil-Tour. In unserem kleinen Lieferwagen hatten wir 100 Sandwichs, 100 Äpfel, 3 Kanister mit warmem Tee, Kleider und Wolldecken (es wird sehr kalt hier im Winter und deshalb ist es sehr wich-tig, dass die Leute etwas warmes zu Trinken bekommen und sich zudecken können, wenn sie draussen schlafen. Es sind auch schon Obdachlose verfroren). Wir hielten an drei verschiedenen Standorten in der Stadt, hupten mit dem Auto und schon waren wir umringt von vielen Obdachlosen. Die Obdachlosen kennen Alexandru, Vasile und Marine und sie wissen, dass es jeden Abend (ausser leider am Wochenende) etwas zu Essen gibt. Es sind immer ungefähr die gleichen und deshalb kommt man mit der Zeit mit ihnen ins Gespräch und kann so den Kontakt und das Vertrauen aufbauen. An diesem Abend war ich der Verantwortliche für die Tee-Herausgabe. Die meisten Ob-dachlosen sind sehr gesprächig und lebendig. Gewisse machten sogar Witze und ver-suchten mich herauszufordern. Es hatte auch diverse Kinder unter ihnen, die grund-sätzlich einen fröhlichen, aber doch sehr armen Eindruck machten. Mit kleinen Dingen kann man ihnen eine grosse Freude machen und sie sind sehr froh darum. Diese Sandwich-Verteil-Tour ist auch dazu da, dass Alexandru, Vasile und Marine ein biss-chen den Puls der Obdachlosen fühlen und bei individuellen seelischen Problemen oder wenn jemand sehr krank ist entsprechend helfen können.
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EMMAUS Iasi schafft es, gewisse Obdachlose nach einiger Zeit davon zu überzeugen, Compagnons zu werden, in der Wohngemeinschaft zu leben und bei den Projekten mitzuarbeiten. Sie geben ihnen eine Beschäftigung und somit das Gefühl, gebraucht zu werden. Ihre Arbeit gibt ihnen eine gewisse Tagesstruktur und sie lernen auch viel dabei. Das Leben in der Wohngemeinschaft gibt ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit und Integration. Im Haus gibt es auch Regeln. Alkohol ist verboten und wenn jemand besoffen nachhause kommt, muss er die Nacht draussen verbringen. Wer sich prügelt oder stiehlt, wird aus der Gemeinschaft und dem Projekt ausgeschlossen. Das Zusam-menleben im Haus funktioniert grundsätzlich sehr gut und der Umgang miteinander ist sehr herzlich und respektvoll. Ich wurde spontan von den Compagnons zum Abend-essen eingeladen und durfte diese positive Atmosphäre miterleben. Obwohl ich nicht die selbe Sprache spreche und mich mit den Compagnons grundsätzlich nur mit Hän-den und Füssen verständigen kann, wurde ich sehr herzlich aufgenommen und alle versuchen mit mir zu kommunizieren. Mit den Verantwortlichen kann ich immerhin Französisch sprechen. Dies, weil sie regelmässig mit Sion und Frankreich Kontakt ha-ben und auch schon eine längere Zeit dort waren. Weiter bieten sie gewissen Com-pagnons auch die Möglichkeit, ein „Praktikum“ in Sion und Frankreich zu absolvieren. Ein Compagnon bleibt im Durchschnitt ca. drei Jahre bei EMMAUS Iasi. Danach ist er wieder in die Gesellschaft integriert, kann sein eigenes Leben bestreiten, sich bewer-ben, eine Wohnung mieten und eine Familie gründen. Die Erfolgsquote von EMMAUS liegt zwischen 80 und 90 %. Dies bedeutet, dass es EMMAUS bei fast jedem Com-pagnon gelingt, ihn wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Nur bei ganz wenigen gelingt es nicht und diese landen dann leider wieder auf der Strasse.
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EMMAUS Iasi finanziert sich praktisch vollständig aus den Einnahmen des Second-hand Ladens. Mit ca. 60'000 Euro im Jahr gelingt es ihnen, alle ihre Aktivitäten zu finanzieren. Damit decken sie das Essen und die Unterkunft aller Compagnons (ca. 30 – 40 Personen) im Haus und auf dem Bauernhof, ein Taschengeld für jeden Compag-non (ca. 60 Euro/Monat/Compagnon), die Löhne der Verantwortlichen (ca. 5 Leute) und alle weiteren Kosten. Weiter bezahlen sie auch voll Steuern, vom Staat werden sie leider nicht unterstützt. Für gewisse grössere Projekte (wie zum Beispiel das Auf-stocken) können sie bei der Dachorganisation von EMMAUS ein Budget beantragen. Ob es bewilligt wird, ist aber nicht immer garantiert. Gelu ist momentan im Gespräch mit dem Staat, weil er ein grösseres Projekt machen möchte, das ein Gesundheitszentrum und Plätze für ca. 250 Personen beinhaltet. Mit diesem Projekt möchte er sich auch bei der EU für die Finanzierung bewerben. Mehr Informationen habe ich im Moment noch nicht, ich werde mich aber erkundigen. Auf jeden Fall kann ich mir vorstellen, dass es sehr lange dauern wird, da die Behörden meistens unfähig sind und die Bürokratie alle Prozesse sehr verlangsamt. Alkoholismus und Perspektivlosigkeit auf dem Land Mit diversen Leuten habe ich in letzter Zeit über die gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen hier in Rumänien gesprochen. Es gibt tonnenweise davon... Iulia, eine gute Freundin, die bei meiner Mutter in der Schweiz Deutsch lernte und nun wie-der zurück in Rumänien ist, hat mir erzählt, dass in ihrem Dorf auf dem Land, wo sie aufgewachsen ist, ein sehr trauriges Bild herrscht. Praktisch alle Leute sind den gan-zen Tag besoffen und arbeiten nicht, ob wohl es viel zu tun gäbe. In der Zeit des Kom-munismus hatte jeder eine Arbeit und auch die nötige Disziplin war (zwar erzwungen aber immerhin) vorhanden. Nach der Revolution sind alle diese Strukturen zusammen-gebrochen und die Leute kamen nicht klar mit ihrer Freiheit und auch die nötige Eigen-verantwortung und Initiative fehlte. Nun, nach dem EU-Beitritt 2007, bekommen diese Leute auf dem Land gewisse finanzielle Unterstützung und können sich so über Was-ser halten, ohne gross etwas zu tun (zwar nicht mit einem guten Leben, aber immerhin überleben sie). Rumänien ist bekannt dafür, dass auf dem Land fast gar nichts geht und viele Leute dort besoffen sind und nicht arbeiten. Weiter ist auf dem Land auch das Bildungsniveau sehr schlecht und gewisse Eltern schicken ihre Kinder nicht zur Schule. Es gibt nicht in jedem Dorf eine Schule und die Schulbusse fahren nur dann, wenn der korrupte Schulleiter gerade einen Grosszügigkeitsanfall hat und das Geld, was der Schule zur Verfügung steht, wirklich auch für das Benzin des Schulbusses braucht und nicht, wie meistens, für sein eigenes Luxus Auto. Dies ist selbstverständ-lich ein bisschen überspitzt, aber es geht definitiv in diese Richtung. Schon mehrere Leute haben mich auf diese Probleme auf dem Land hingewiesen. Das Dorf von Iulia wiederspiegelt scheinbar die allgemeine Situation sehr gut. Die Preise auf dem Land sind extrem tief. Auch Land und Häuser kann man für sehr wenig Geld kaufen. Da nichts läuft und funktioniert, kauft niemand und deshalb ist alles sehr billig. Viele junge Leute stehen vor dem Problem, dass ihre Grosseltern noch auf dem Land leben, alt und krank sind, aber nicht in die Stadt ziehen wollen. Irgendwann werden diese Leute sterben und dann wissen die Nachkommen nicht, was sie mit dem Land und dem Haus machen sollen. Iulia hatte mir gesagt, dass sie für das ganze Land (weiss nicht genau wie gross aber sicher einigermassen gross) und das Haus vielleicht noch 1'000 Euro bekommen würde (im Frühling möchte ich mir dies einmal an-schauen). Das ist wirklich extrem wenig Geld. Deshalb bin ich bin überzeugt, dass hier
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extrem viel Potential vorhanden ist. Für soziale Projekte sowie auch für Business. Bil-liges und sehr fruchtbares Land wäre vorhanden und Arbeit gäbe es genügend. In der Erntezeit stellt Iulias Familie übrigens Taglöhner ein für ein bisschen mehr als 10 Fran-ken am Tag (und sie müssen ihnen Essen, Wein, Bier und Kaffee zur Verfügung stel-len). Ich denke wirklich, dass man hier mit einer kleinen Investition schon sehr viel bewirken kann (sozial sowie auch profitorientiert) und ich werde mich mehr darüber informieren. Ich kann mir sehr gut vorstellen, bald ein Projekt auf dem Land zu starten. Waisenkinder Ein weiteres Problem, dass ich kurz ansprechen möchte, betrifft die Waisenkinder. Diese werden bis zu ihrem 18ten Lebensjahr vom Staat mit verschiedenen Einrichtun-gen betreut, danach sind sie aber auf sich selbst gestellt. Es gibt bis jetzt keine staat-lichen Programme, die diese Personen auch nach dem 18ten Lebensjahr weiterbe-gleitet. Viele von ihnen landen dementsprechend auf der Strasse und rutschen ab. Gelu möchte sich in Zukunft auch mehr um diese Leute kümmern. Auch hier werde ich mich genauer informieren, bis jetzt weiss ich noch nicht so viel darüber. Ich möchte mich engagieren – über eure Hilfe würde ich mich sehr freuen! Ich bin überzeugt, dass man hier mit relativ geringem Aufwand sehr viel bewirken kann. Die Preise hier ermöglichen es, dass man schon mit wenigen Franken vielen Leuten ihr Leben ein bisschen erleichtern kann. Ich möchte mich hier sozial engagie-ren. Meiner Meinung nach hat jeder, der in einer so glücklichen Lage ist wie ich, eine soziale Verantwortung und sollte seinen Teil dazu beitragen, etwas der Gesellschaft zurückzugeben. Für ein eigenes Projekt muss ich mich noch mehr informieren und mein Netzwerk ver-grössern. Vorläufig möchte ich jedoch vermehrt über soziale und gesellschaftliche Probleme / Projekte schreiben und in meinem Umfeld Geld sammeln, um Projekte und Organisationen hier in Rumänien zu unterstützen und später dann zusammen grös-sere Projekte zu starten. Leider hatte ich bis jetzt nicht die Möglichkeit, mit Gelu über konkrete Projekte zu spre-chen, die wir bald starten könnten. Was aber kurzfristig sicher ein Thema ist, ist der kalte Winter. Es ist wirklich saukalt hier und die Obdachlosen haben zum Teil nicht einmal richtige Schuhe und genügend warme Kleider. Ausserdem suchen sie sich für die Nacht jeweils ein Plätzchen, dass ihnen einen Unterstand bietet, aber in den wenigsten Fällen beheizt ist. Ich bin überzeugt, dass man hier für sehr wenig Geld irgendeine Halle kaufen, Heizungen einbauen und diese den Obdachlosen als Schlaf-platz zur Verfügung stellen könnte. Weiter könnte man vielleicht Thermosflaschen oder warme Unterwäsche kaufen und verteilen. Da ich diese Szene nicht kenne, muss ich zuerst mit Gelu besprechen, was umsetzbar wäre. Wenn ihr mich dabei unterstützen möchtet, wäre ich sehr dankbar. Ich habe im Mo-ment weder ein Spendenkonto noch ein konkretes Projekt, ich werde aber sobald wie möglich mit Gelu sprechen und dann etwas umsetzen. Ich garantiere euch, dass eure Spende sinnvoll eingesetzt wird und ich euch auch genau darüber infor-mieren werde, was mit eurem Geld passiert. Ich werde jeweils darüber schreiben
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und versuchen, Projekte mit immer grösserem Impact zu unterstützen und/oder selbst durchzuführen. Wenn ihr mir vertraut und den Obdachlosen in Iasi helfen möchtet, sodass sie ein bisschen weniger frieren diesen Winter, dann würde ich mich sehr freuen, wenn ihr mich kontaktiert. Jeder Beitrag ist herzlich willkommen, auch wenn es sich nur um wenige Franken handelt. Ihr könnt mir sagen wie viel ihr spenden möchtet und dann schauen wir individuell wegen der Geldüberweisung. In Zukunft werde ich dies dann professioneller machen, nun läuft mir aber gerade die Zeit davon. Selbstverständlich würde ich mich auch freuen, mit euch darüber zu diskutieren, eure Meinungen und Ideen anzuhören und Fragen zu beantworten. Vom 14. Dezember bis zum 11. Januar bin ich in der Schweiz und würde mich freuen, mit euch darüber zu reden. Über eure Spende würde ich mich sehr freuen! Ihr könnt mich wie folgt kontaktieren: E-Mail: [email protected], [email protected] Skype: pascal.spahni Handy: +40 756 246 205 (meine Rumänische Nummer... Die Schweizer Nummer funk-tioniert momentan glaub nicht mehr) Facebook: Pascal Spahni Ich wünsche euch eine ganz gute Zeit und grüsse euch herzlich! Pascal