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Mit Rechnern den Atomen und Molekülen auf der Spur

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Berichte aus der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen

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Page 1: RWTH-Themen Computational Chemistry

Mit Rechnernden Atomenund Molekülenauf der Spur

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Impressum

Herausgegeben imAuftrag des Rektors:Dezernat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der RWTH AachenTemplergraben 5552056 AachenTelefon 0241/80-94327Telefax 0241/[email protected]://www.rwth-aachen.de

Redaktion:Christof Zierath

Verantwortlich:Toni Wimmer

Redaktionelle Mitarbeit:Renate KinnyThomas von Salzen

Chemie und Computer? Computer durch Chemie! Chemie mit Computern! 6

Kristallbau – im Labor und am Computer 8

Selbstorganisation von G-Quadruplexen 12

Ionen in Perowskit-Oxiden 16

Computerchemie in der Katalyse 20

Berechnung der atomaren Dynamik anorganischer Materie 24

Auslegung mobiler NMR-Sonden zur zerstörungsfreien Prüfung 28

Intramolekulare Wasserstoffbrückenbindungen 32

Quantenmechanische Modelle der Magnetochemie 36

Quanteneffekte in Molekülstrukturen 40

Ordnung in der Unordnung 44

Kinetische Monte Carlo Simulationen von Festkörperreaktionen 48

Organische Verbindungen im festen Zustand 52

Magnetische Materialien mittels Computational Chemistry 56

Autorenverzeichnis 64

Namen und Nachrichten 66

„Archiv jüdischen Lebens“ 68

Die neue Leichtigkeit des Automobilbaus 70

Studium der kurzen Wege 71

Aus dem Inhalt

Titel:Lichtbogen-Schweißanlage imInstitut für Anorganische Chemie.Versiegeln von Tantal-Ampullen,in denen Hochtemperatur-Re-aktionen zur Synthese magne-tischer Feststoffe ablaufen.

Rücktitel:Institut für Technische Chemieund Makromolekulare Chemieder RWTH Aachen. Beobach-tung des Phasenübergangs imAutoklaven.

Fotos: Peter Winandy

Art direction:Klaus Endrikat

Satz:Goffintext, Aachen

Druck:Druckerei Emhart, Aachen

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier

Das Wissenschaftsmagazin„RWTH-THEMEN“ erscheint einmal pro Semester.Nachdruck einzelner Artikel,auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion.Für den Inhalt der Beiträge sinddie jeweiligen Autoren verant-wortlich.

Wintersemester 2004/2005

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ie RWTH Aachen gehört zu den führenden europäischen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Nationale Rankings und internationale Bewertungen bescheinigen den Absolventinnen und Absolventen eine ausgeprägte Befähigung zu

teamorientierter Problemlösung und zur Übernahme von Leitungsaufgaben. Flexibilitätund Praxisbezug lassen an der RWTH ein hohes Maß an Qualität und Exzellenz entstehen.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist der ausgezeichnete Ruf der chemischen Institute unserer Hochschule. Ihre Forschungsbedingungen wurden in diesem Jahr durch die Einweihung des grundsanierten Hauptgebäudes der Anorganischen Chemie entscheidend verbessert. Die Sanierung war Teil der Zusammenführung der Kernfächerder Chemie an der RWTH Aachen. Mit dem Neubau des Hauptgebäudes des Institutsfür Physikalische Chemie ist jetzt die Grundlage für ein „Studium der kurzen Wege“ fürdie Studierenden der Chemie geschaffen. So haben sich auch die Bedingungen für die„Computational Chemistry Coalition“, die im Jahr 2002 ins Leben gerufen wurde, verbessert. Dieses Netzwerk hat sich zum Ziel gesetzt, die chemische Forschung mithilfevon rechnerbasierten Methoden voranzutreiben und somit die Grundlage für die Entwicklung neuartiger Wirkstoffe und Werkstoffe zu schaffen. Mitarbeiterinnen undMitarbeiter aller chemischen Institute kooperieren in dieser Initiative, instrumentell wirddie Computational Chemistry Coalition unter anderem durch Kolleginnen und Kollegendes Rechen- und Kommunikationszentrums unterstützt. Diese Koalition ist ein weiteresBeispiel für die durchgängige Interdisziplinarität unserer Hochschule.

Univ.-Prof. Dr. Burkhard RauhutRektor

DVorw

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der-neue-ford-focus.de Besser ankommen

Denn jetzt gibt es ein Auto, das Qualität und Technologie in sich vereint, wie man sie bisher

nur aus Fahrzeugen höherer Klassen kannte: Edles Design, hochwertige Materialien, wahlweise

mit Bluetooth®-Technologie* und Sprachsteuerung, KeyFree-System, adaptiv mitlenkenden

Scheinwerfern ... Früher war eben früher. Und das ist – seit dem neuen Ford Focus – Geschichte.

Doch die Zeiten ändern sich.

Der neue FordFocus. Qualität, die bewegt.

Früher waren edle Materialien teuer.

*Die Bluetooth®-Wortmarke und -Logos sind Eigentum der Bluetooth SIG Inc. Andere Marken sind Eigentum der betreffenden Inhaber.

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Chemie ist das, wenn’skracht und stinkt!?“ – na-türlich, das ewige Vorur-

teil, Chemiker und Chemike-rinnen arbeiteten selbst heutenoch vornehmlich im Laborund brauten weiß-der-Teufel-was Wunderliches zusammen,ist in vielen Köpfen verankert.Doch gehört zur zutreffendenwissenschaftlichen Charakteri-sierung der modernen Chemie,daß ein großer Teil ihrer Wis-senschaftler chemische Frage-stellungen bewältigt, in denentheoretisch-mathematisch-numerische Techniken, im fol-genden als ComputationalChemistry bezeichnet, einge-setzt werden, und dies zumTeil auf enorm aufwendige Artund Weise. Die RWTH Aachengibt dafür ein exzellentes Bei-spiel ab, denn das Höchstleis-tungsrechenzentrum unsererHochschule wird hauptsächlichvon Maschinenbauern undChemikern ausgelastet.

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Richard Dronskowski

Chemie und Computer?Computer durch Chemie!

Chemie mit Computern!Woran liegt dies? In der

Sprache der Physik ausge-drückt, handelt es sich bei derChemie vielleicht um die leis-tungsfähigste Vielteilchenwis-senschaft, mit deren Technikendie kontrollierte Verknüpfungvon vielen Atomen und Mole-külen zu gewünschten Produk-ten gelingt. Das Verständnisdieser chemischen Prozesse er-fordert allerdings zunehmendchemisches Rechnen. Diewachsende Verfügbarkeit im-mer leistungsstärkerer Compu-ter (Bild 1) kommt für den Ein-satz in der Chemie also wiegerufen. Auf der anderen Seiteprofitiert die Chemie jetzt vonihren eigenen Erfolgen, denndie bis ins Phantastische rei-chende Leistung modernerComputer geht zum ganz we-sentlichen Teil auf verbesserteHardware zurück, und dieseVerbesserungen wurden ir-gendwann einmal zuerst vonChemikern im Labor geschaf-fen. Die Chemie bildet inso-fern die Grundlage der Mikro-elektronik, und ein Laptop-Computer (beziehungsweisevergleichbare elektronischeInstrumente des täglichen Le-bens) sind ohne halbleitendeMaterialien, Leuchtstoffe,Funktionskeramiken, Magnet-partikel und vieles andere mehrschlicht undenkbar. Ohne Che-mie geht nichts.

Die besondere Qualität derComputational Chemistry ander RWTH ist nicht selbstver-ständlich, und sie ist zugleichSpiegelbild der wissenschaft-lichen Arbeiten, die innerhalbder Aachener Chemie in denletzten Jahren geleistet wur-den. Im Jahr 2002 konnte in-folgedessen die institutsüber-greifende Computational Che-mistry Coalition gegründetwerden, um einerseits vorhan-dene Kompetenz zu bündelnund andererseits auch das

Aachener Know-how anderenWissenschaftlern bereitzustel-len. Unsere Initiative umfaßtmittlerweile über ein DutzendArbeitsgruppen, die aktiv zurLösung chemischer Problememit Methoden der Computa-tional Chemistry beitragen.Die fünf gegenwärtig beson-ders wichtigen Forschungs-schwerpunkte berühren dieatomistische Simulation vonStruktur und Dynamik festerund weicher Materie, dieQuantenchemie elektronen-korrelierter Systeme, die Bin-dungstheorie magnetisch akti-ver intermetallischer Verbin-dungen, die Simulation undVisualisierung NMR-spektros-kopischer Meßdaten sowie dieÜbertragung quantenchemi-scher Observablen in die ma-kroskopische Thermodynamik;all diese Themen bilden zu-gleich Schwerpunkte für dieLehre der Studierenden undwerden auch im vorliegendenThemenheft der RWTH be-handelt. Wie zu erwarten, lan-dete nicht nur die RWTH imletzten Uni-Ranking der Ver-lagsgruppe Handelsblatt aufdem bundesweit ersten Platz,auch die Aachener Chemienimmt den Spitzenplatz inner-halb Deutschlands ein. Sie sindherzlich eingeladen, sich eineigenes Bild von unseren Akti-vitäten zu machen! ●

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Bild 1: Die Herstellung neu-artiger Materialverbindungenermöglicht eine immer präziserwerdende Fertigung von Hoch-leistungsfestplatten.Foto: Peter Winandy

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Beatrice Calmuschi, Ulli Englert, Roland Härter, Chunhua Hu, Irmgard Kalf, Qi Li, Ruimin Wang

Kristallbau – im Laborristalle bestehen auszahlreichen Kopien desimmer gleichen Motivs

in regelmäßiger räumlicher An-ordnung. Alle Kristallisations-prozesse, gleichgültig ob sie inder belebten oder unbelebtenNatur oder im Syntheselaborder Chemiker vonstatten ge-hen, beruhen notwendiger-weise auf zuverlässiger Selbst-erkennung und Selbstorgani-sation vieler kleiner Bausteine.

Häufig gibt es zwei odermehr Konstruktionsprinzipien,nach denen diese Bausteinezusammenfinden: Die resultie-renden Kristalle bestehen ausden gleichen Komponenten inunterschiedlicher Anordnungund weisen daher auch ver-schiedene physikalische Eigen-schaften auf. Man spricht vonPolymorphie; jede möglicheBauform nennt man eine Mo-difikation oder Phase. So stel-len etwa Kalkstein (Calcit) undder Hauptbestandteil von Per-len (Aragonit) zwei Phasen dergleichen Verbindung, nämlichdes Calciumcarbonats, dar. Mitdem Phänomen der Polymor-phie sind bedeutende wirt-schaftliche Chancen und Risi-ken verbunden: Geringfügigveränderte Kristallisationsbe-dingungen können, durchausauch ungewollt, zur Entste-hung einer zuvor unentdecktgebliebenen Modifikation füh-ren. Im Gegenzug läßt sich bis-weilen ein bewährtes Kristalli-sationsprodukt nicht mehr er-halten. Polymorphie wirft Fra-gen auf: Sind verschiedenePhasen des gleichen Arznei-stoffes individuell patentierbar,sofern sie sich etwa in ihrerBioverfügbarkeit unterschei-den? Zwei Modifikationen ei-nes Buntpigmentes zeigen imallgemeinen nicht genau diegleiche Farbe. Wie läßt sichgezielt nur die Kristallform mitder gewünschten Farbnuanceerhalten? Für die mit Feststof-fen befaßte chemische Indus-trie liegt es nahe, zunächst aufdem Weg der Computersimu-lation nach Phasen zu suchen,deren Existenz man – je nachMotivation – erhofft oderbefürchtet. Zwar lassen sichlängst nicht alle Kristallformenim Labor erhalten, denen auf-grund der Simulationen einegünstige Energie zukommt,doch die Rechnungen könnenbei der Auswahl zwischen zahl-

reichen aufwendigen Experi-menten den Weg weisen unddamit schneller und preiswer-ter zum Ziel führen.

Worauf beruht die compu-tergestützte Strukturvorhersa-ge? Beugungsexperimente zwi-schen Licht geeigneter Wellen-länge, nämlich Röntgenstrah-lung, und kristalliner Materieliefern heutzutage schnell me-trische Strukturdaten von gro-ßer Genauigkeit. Bild 1 zeigtdrei Etappen auf dem Wegvom Kristallisationsexperimentzur Strukturbestimmung. DieErgebnisse zahlreicher derar-tiger Untersuchungen sind inDatenbanken dokumentiert. Eszeigt sich, daß dichte Molekül-packungen üblicherweise ener-getisch günstig sind und derAbstand benachbarter Mole-küle maßgeblich von den be-teiligten Elementen abhängt.Der elektronische Bau der Mo-leküle, ihre Größe und ihre Ge-stalt spielen ebenfalls eine ge-wichtige Rolle. Die zwischen-molekularen Wechselwirkun-gen lassen sich in guter Nähe-rung als Summe interatomarerAnziehung und Abstoßungverstehen. Wenige Parameterund einfache mathematischeZusammenhänge gestatten es,im Rahmen eines derartigenzwischenmolekularen Kraftfel-des die Energie zu berechnen,

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Bild 1: Experimenteller Weg zurErmittlung des Kristallbaus: Einsubmillimetergroßes Fragmentdes links gezeigten, orange-far-benen Kristalls wird an der Spit-

ze des in der Mitte abgebildetenGoniometerkopfes montiert; dieProbe wird im Röntgendiffrak-tometer gemessen (rechts).

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und am ComputerSimulationen helfen beim Design neuer Molekülkristalle

die einer bestimmten Mole-külanordnung im Kristall zu-kommt. Aus Rechnungen analternativen Modifikationenexperimentell gut untersuchterVerbindungen weiß man, daßunterschiedliche kristalline Bau-formen nur dann konkurrenz-fähig sind, wenn sie sehr ähnli-che Energie aufweisen. Darausergibt sich eine Strategie fürdie Simulation des Kristallbausam Computer: Zahlreiche Kris-tallstrukturen, die sich in Hin-blick auf Raumgruppensym-metrie, relative Molekülanord-nung oder Molekülgestaltunterscheiden, werden durchsystematische Variation oderZufallsalgorithmen im Rechnergeneriert. Jede Struktur ent-spricht einem lokalen Mini-mum auf einer kompliziertenEnergiehyperfläche. Nur solcheModelle, die energetisch miteiner experimentell gesichertenPhase konkurrieren können,kommen als Kandidaten für

bislang unbekannte Modifika-tionen in Frage. In günstig ge-lagerten Fällen erlaubt eine de-taillierte Analyse dieser poten-tiellen neuen Festkörper Aus-sagen darüber, unter welchenexperimentellen Bedingungensich ihre Kristallisation im La-bor verwirklichen läßt.

Kommen bereits ausge-hend von nur einer Sorte mo-lekularer Bausteine eine ganzeReihe potentieller Kristallstruk-turen in Betracht, so wächstihre Zahl unter Beteiligungmehrerer Komponenten aufein Ausmaß, das ein simples„Ausprobieren“ ohne beglei-tende Rechnungen aussichtsloserscheinen läßt. Kristallisationstellt im Regelfall eine Reini-gungsmethode dar: Verschie-dene Moleküle mischen sichim Festkörper meist nicht. Viel-mehr kristallisiert im Normalfalljede Komponente in Form rei-ner Kristalle aus, die keineoder nur geringe Mengen an

Fremdsubstanz enthalten. Aus-nahmen interessieren mehr alsdie Regel: Sie lassen neue Er-kenntnisse erwarten und eröff-nen enorme Variationsmög-lichkeiten für die Herstellungvon molekularen Festkörpernmit neuen Eigenschaften. Wirhaben zwei Varietäten derarti-ger binärer Molekülkristalleuntersucht, die erst durchKombination unterschiedlicherKonstituenten zugänglich wer-den.

Verwandte Moleküle lassensich im Kristallverband unterAusbildung fester Lösungenmischen. Die Zusammenset-zung stellt eine zusätzliche Va-riable dar, über die die Stabi-lität alternativer Molekülan-ordnungen beeinflußt werdenkann: Eine für den Reinstoffenergetisch zweitklassige unddaher auf die Existenz im Com-puter beschränkte Strukturva-riante kann durch eine Beimi-schung zur dominanten Kri-stallstruktur werden! Bild 2zeigt eine neue Phase einesaromatischen Kohlenwasser-stoffes, die wir als feste Lö-sung zum synthetischenHauptprodukt von Kristallisa-tionsexperimenten machenkonnten.

Bild 2: Neue Strukturvariantevon Dichloranthracen, die inForm einer festen Lösung expe-rimentell erhalten werden kann.

Optische Justage eines submilli-metergroßen Einkristalls einerMolekülverbindung vor derröntgenographischen Untersu-chung auf dem Diffraktometer.Foto: Peter Winandy

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Nicht nur ähnliche Molekü-le lassen sich zu Mehrkompon-entenkristallen kombinieren,auch komplementäre geome-trische oder elektronischeStrukturen können zu Fest-körpern aus unterschiedlichenBausteinen führen. Moleküle,bei denen sich Bild und Spie-gelbild ähnlich wie linke undrechte Hände nicht zur Dek-kung bringen lassen, nenntman chiral. Aus Lösungen, dieMoleküle beider Händigkeitenenthalten, können prinzipiellhetero- oder homochirale Kri-stalle wachsen; die statistischeDominanz der erstgenanntenwurde schon früh als Beleg füreine bevorzugte Wechsel-wirkung zwischen links- undrechtshändigen chiralen Mole-külen interpretiert (Bild 3,links). Je nachdem, ob sie Mo-leküle nur einer oder verschie-dener Händigkeit beinhalten,spricht man von homo- oderheterochiralen Kristallen. Ak-tuell nachgefragte optischeund elektronische Festkörper-eigenschaften sind an be-stimmte Packungsmuster undKristallsymmetrien gebunden,und homochirale Kristalle er-füllen im Hinblick auf Reini-gung und Anreicherung häufigdie Wünsche und Vorstellun-gen der pharmazeutischen In-dustrie. Vor diesem Hinter-grund kommt einer verläss-lichen Vorhersage des Kristalli-sationsverlaufes auf dem We-ge des Computerexperimentesgroße Bedeutung zu.

Bevorzugte Erkennung zwi-schen Objekten komplemen-tärer Chiralität ist nicht aufstrenge Spiegelsymmetrie be-schränkt, sondern wird auchbeobachtet, wenn chemischunterschiedliche Moleküle ent-gegengesetzter Händigkeit zu-sammentreten (Bild 3, rechts).Man kommt bei derartigenKombinationen zu streng stö-chiometrischen molekularenVerbindungen. Bild 4 zeigt einBeispiel für die Kombinationzweier Komplexmoleküle ent-gegengesetzter Chiralität zueinem geordneten Festkörpermit neuen Eigenschaften. Inder Simulation erweist sichdieses binäre System gegenü-ber getrennten Kristallen derEinzelkomponenten als ener-getisch begünstigt.

Kristallbau im Labor undam Computer – die Kombina-tion beider Ansätze setzt be-trächtliche Synergien frei. Soebnen nicht nur Simulationennachfolgenden zielgerichtetenKristallisationsexperimenten imLabor den Weg, sondern imGegenzug profitieren die Rech-nungen vom zunehmend um-fangreichen und zuverlässigenInformationsgehalt in denrasch wachsenden Datenban-ken. Auch mit Unterstützungdes Computers bleibt die Che-mie eine experimentelle Wis-senschaft, deren Fortschrittvon einfachen und anschau-lichen Modellen getragenwird. ●

Bild 3: Kristallisationsalternati-ven bei gleichen (a) und struk-turell verwandten, aber ver-schiedenen (b) Molekülen ent-gegengesetzter Chiralität. Linkeund rechte Hände stehen fürlinks- und rechtshändige Enan-tiomere, verschiedene Farbenfür chemisch unterschiedlicheMoleküle.

Bild 4: Ausschnitt aus einemZwei-Komponenten-Kristall. EinCyano- und ein Nitro-Komplex,also chemisch unterschiedlicheMoleküle, ordnen sich im Sinneeiner „Beinahe-Inversion“ an.

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Selbstorganisationesoxyribonucleinsäure(DNA) ist ein kettenför-miges Makromolekül,

welches der Speicherung undÜbertragung der genetischenInformation dient (Bild 1). Sieist ein Hauptbestandteil allerZellen. Ihre monomeren Mole-kularbausteine heißen Desoxy-ribonucleotide. Jedes Nucleotidenthält drei Bestandteile: (1)eine stickstoffhaltige, hetero-cyclische Base, (2) Pentose 2-Desoxy-D-Ribose und (3) einPhosphatmolekül. Insgesamtgibt es vier verschiedene Des-oxyribonucleotide. Sie unter-scheiden sich allein in ihrerstickstoffhaltigen Base (A =Adenin, T = Thymin, C = Cy-tosin oder G = Guanin). DNA-Moleküle verschiedener Zellenbesitzen ein unterschiedlichesVerhältnis der vier Nucleotid-Monomeren und variieren beider Anordnung ihrer Nucleoti-de. In den Zellen von Organis-men bilden zwei verschiedeneDNA-Moleküle eine Doppel-helix aus, die über Wasser-stoffbrückenbindungen kom-plementärer Basen (A-T, C-G)zusammengehalten werden.An den Enden dieses so ge-nannten Genoms befinden sichguaninreiche Abschnitte, dieTelomere. Die Enden der Telo-mere sind einsträngig.

Medizinische und biologi-sche Untersuchungen habengezeigt, dass Tumore entste-hen können, wenn diese Telo-mere angegriffen werden vonEnzymen, die das Zellwachs-tum fördern. Normalerweisebinden bestimmte Proteine andie Telomere und verhindernwahrscheinlich so diesen An-griff. Eine Alternative zumSchutz gefährdeter Genomebesteht dann, wenn in den Te-lomeren vier Guaninbasen einso genanntes Guanin-Quartett(G-Quartett) ausbilden. Meh-rere G-Quartetts formen dannÜberstrukturen, die so ge-nannten G-Quadruplexe. Ein-gebettet in die G-Quadruplexeverhindern die G-Quartettsvoraussichtlich den Angriff vonbedrohlichen Enzymen auf dasTelomer.

Die Selbstorganisation vonvier Guanosinnucleotiden zueinem G-Quartett lässt sichleicht erklären: Das Guanosin-nucleotid ist ein Molekül mitselbstkomplementären Wasser-stoff-Donatoren und -Akzep-

toren. Dabei bilden die an N1und an N10 gebundenen Was-serstoffatome mit den AtomenN7 und O11 eines weiterenMoleküls Wasserstoffbrückenaus (Bild 2). Insgesamt bildenso vier Guanosineinheiten dasG-Quartett (Bild 3). Die achtpolaren Wasserstoffbrücken-bindungen innerhalb eines G-Quartetts lassen die Selbstor-ganisation weiter fortschreiten,indem sich nun mehrere Quar-tetts übereinander lagern undso genannte G-Quadruplexeals Überstrukturen bilden. DieG-Quartetts können dabei soangeordnet sein, dass in zweibenachbarten G-Quartetts derRichtungssinn ihrer Wasser-stoffbrückenbindungen paralleloder antiparallel ist. Der Rich-tungssinn wird unter anderemdurch die Art und die Anzahlder Nuklceotidstränge be-stimmt, die an dem Aufbauder Quadruplexstruktur betei-ligt sind.

Zur Untersuchung derStruktur der G-Quadruplexewird in zunehmendem Maßedie Circular Dichroismus-Spek-troskopie benutzt. Bei dieserSpektroskopie verwendet mandie Eigenschaft chiraler Verbin-dungen, zirkular polarisiertesLicht einer bestimmten Wel-lenlänge � in Abhängigkeitvon seinem Drehsinn verschie-den stark zu absorbieren. Diesbedeutet, dass der so genann-te Extinktionskoeffizient fürlinks zirkular polarisiertes Licht(�L(�)) verschieden ist von demfür rechts zirkular polarisiertesLicht (�R(�)). Trägt man dieDifferenz der Extinktionskoeffi-zienten ��(�) = (�L(�)) – (�R(�))gegen die zugehörige Wellen-länge auf, so erhält man einCD-Spektrum.

Der röntgenographisch un-tersuchte G-Quadruplex mitder Bezeichnung dG5 wird ausvier bezüglich ihrer Zusammen-setzung und räumlichen Aus-richtung gleichen Oligonucleo-tidsträngen gebildet, wobei al-le Guanosineinheiten anti-gly-kosidisch an die 2-Desoxy-D-Pentosen gebunden sind(Bild 4). Die Tatsache, dass dievier beteiligten Oligonucleotid-stränge sich in diesen Para-metern gleichen, hat zur Fol-ge, dass alle benachbarten G-Quartetts parallel zueinanderangeordnet sind. Das experi-mentelle CD-Spektrum des G-

Bild 1: Ausschnitt eines DNA-Moleküls. Ein Baustein der DNA,ein sogenanntes Desoxynucleo-tid, setzt sich zusammen aus ei-ner stickstoffhaltigen Base (1),der Pentose 2-Desoxy-D-Ribose

(2) und einem Phosphatmolekül(3). Die einzelnen Desoxynucle-otide unterscheiden sich alleinin ihrer stickstoffhaltigen Base(G = Guanin, C = Cytosin, T =Thymin, A = Adenin).

Bild 2: 5'-Guanosinmonophos-phat ist ein Molekül mit selbst-komplementären Wasserstoff-Donatoren (N1-H und N10-H) und -Akzeptoren (N7 und O11).

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Jörg Fleischhauer, Charlotte Repges

von G-QuadruplexenStrukturaufklärung mit Hilfe spektroskopischer Untersuchungen

Probenvorbereitung zur Aufnah-me von Zirkular-Dichroismus-Spektren zur Untersuchung op-tisch aktiver Substanzen.

Bild 3: Vier Guanosineinheitenbilden einen planaren Makrozy-klus, ein sogenanntes G-Quar-tett. Die eingezeichneten Pfeilegeben die Richtung der Verbin-dungsvektoren vom H-Atom desDoantoratoms (N) zum Akzep-toratom (N bzw. O) wieder. Aus

der Struktur des Guanins folgt,dass alle Vektoren im gleichenSinn (Uhrzeiger- bzw. Gegen-uhrzeigersinn) ausgerichtet sind.

Bild 4: Durch Drehung um dieglycosidische Bindung (rot ge-kennzeichnet) wird der Guanin-base ermöglicht, eine syn- odereine anti-Konformation anzu-nehmen.

Foto: Peter Winandy

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Quadruplex zeigt eine positiveBande bei annähernd 265 Na-nometer und eine kleine nega-tive Bande bei etwa 245 Na-nometer. Messungen an wei-teren röntgenographisch un-tersuchten G-Quadruplexenhaben ergeben, dass dieserVerlauf des CD-Spektrums ty-pisch für einen G-Quadruplexist, in dem alle G-Quartetts ei-ne parallele Anordnung zuein-ander besitzen. Im Gegensatzdazu wird der G-QuadruplexTBA (Thrombin Binding Apta-mer) aus nur einem mehrfachgefalteten Oligonucleotid-strang gebildet, in dem dieGuanosineinheiten abwech-selnd syn- und antiglykosidischan die 2-Desoxy-D-Pentosengebunden sind. Dies bewirkteine antiparallele Anordnungbenachbarter G-Quartetts. Dasexperimentelle CD-Spektrumvon TBA zeigt eine positiveBande bei 295 Nanometer undeine negative Bande bei 260bis 265 Nanometer gefolgt voneiner weiteren positiven Bandebei 245 Nanometer. Auch hierzeigten weitere Messungen anstrukturell bereits bekanntenG-Quadruplexen, dass dieserVerlauf des CD-Spektrums ty-pisch für G-Quadruplexe ist,deren G-Quartetts eine antipa-rallele Anordnung haben.

Um zu untersuchen, ob dieunterschiedliche Anordnungder benachbarten G-Quartettswirklich der Grund für dieseVerschiebung der langwelligenBande sein kann, wurden dieCD-Spektren für beide Fällemit der so genannten Matrix-methode, die in dem in Aachenentwickelten Programm MAT-MAC implementiert ist, be-rechnet. Bei der Matrixmetho-de wird das Polynucleotid ineinzelne Gruppen eingeteilt.Für diese Gruppen werden mitder Quantenmechanik elektri-sche und magnetische Über-gangsmomente berechnet undmit ihnen schließlich das CD-Spektrum des gesamten Poly-nucleotids ermittelt. Diese Me-thode wurde in Aachen schonbei der Berechnung der CD-Spektren von Proteinen erfolg-reich angewendet.

Bild 5a: d[G3T4G3] ist ein G-Quadruplex mit insgesamt dreiG-Quartetts, bei denen die bei-den oberen parallel und die bei-den unteren antiparallel zuein-ander orientiert sind.

Bild 5b: Der G-Quadruplexd[G3T4G3] besteht aus zwei Nu-kleotidsträngen (angedeutetdurch die beiden Pfeile). Durchdie diagonale Anordnung derbeiden Stränge entsteht einQuadruplex mit drei G-Quar-tetts, die als Rechtecke einge-zeichnet sind. An den Eckpunk-ten der Rechtecke befinden sichjeweils die Guaninbasen.

Bild 5c: Die beiden parallelzueinander ausgerichteten G-Quartetts von d[G3T4G3]. Dieeingezeichneten Pfeile gebenauch hier die Verbindungsvekto-ren vom H-Atom des Donator-atoms (N) zum Akzeptoratom(N bzw. O) wieder.

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Den Untersuchungen wur-de die Geometrie eines rönt-genographisch untersuchtenG-Quadruplexes (d[G3T4G3])zugrunde gelegt (Bild 5a). Erwird aus zwei Nucleotidsträn-gen gebildet und besteht ausinsgesamt drei G-Quartetts(Bild 5b). Die Anordnung derGuanosineinheiten in den bei-den Nucleotidsträngen und dieOrientierung dieser beiden zu-einander bewirken, dass zweibenachbarte G-Quartetts pa-rallel (Bild 5c) und zwei be-nachbarte G-Quartetts antipa-rallel zueinander sind (Bild 5d).

Die MATMAC-Berechnun-gen wurden mit den experi-mentell bekannten Geometriendieser zwei parallelen, bezie-hungsweise antiparallelen G-Quartetts durchgeführt undmit den experimentellen CD-Spektren des parallelen G-Quadruplexes dG5, bezie-hungsweise des antiparallelenG-Quadruplexes TBA ver-glichen.

Die Ergebnisse sind in denBildern 6 und 7 dargestellt. Diequalitativ gute Übereinstim-mung von gemessenen (Bilder6a und 6b) und berechnetenSpektren (Bilder 7a und 7b)zeigt, dass offenbar, wie ver-mutet, die Orientierung derbenachbarten Quartetts für diebeobachtete Rotverschiebungverantwortlich ist. ●

Bild 5d: Die beiden parallelzueinander ausgerichteten G-Quartetts von d[G3T4G3].

Bild 6a: Experimentelles CD-Spektrum von dG5, einem G-Quadruplex mit nur parallelenG-Quartetts.

Bild 6b: Experimentelles CD-Spektrum von TBA, einem G-Quadruplex mit zwei antiparal-lel angeordneten G-Quartetts.

Bild 7a: Theoretisch berechnetesCD-Spektrum von d[G3T4G3]nur unter Berücksichtigung derbeiden parallel angeordneten G-Quartetts.

Bild 7b: Theoretisch berechnetesCD-Spektrum von d[G3T4G3]nur unter Berücksichtigung sei-ner beiden antiparallel angeord-neten G-Quartetts.

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Roger A. De Souza

Ionen inWie leicht springen sie?

o genannte perowskiti-sche Oxide haben dieeinfache chemische Zu-

sammensetzung ABO3. Dabeiist A ein großes Kation und Bein viel kleineres (Bild 1). Fastalle Elemente des Periodensys-tems können in der Perowskit-Struktur untergebracht wer-den, und das führt dazu, dasses Hunderte von Perowskit-Oxiden gibt und dass mandurch gezielten Teilaustauschder Kationen die Eigenschaftendes Perowskit-Oxids einstellenkann. Die Mitglieder der Pe-rowskit-Familie zeigen ein brei-tes Spektrum von interessan-ten Eigenschaften technologi-scher Bedeutung, und folglichgibt es zahlreiche aktuelle An-wendungen. Diese reichen vonnicht-linearen Widerständenbis zu Supraleitern, von inte-grierten Halbleiterschaltungenund Speichermedien der näch-sten Generation bis zu Kataly-satoren und Festelektrolyten.

Unsere Forschung befasstsich mit der Beweglichkeit derIonen eines Perowskit-Oxidsals Funktion der Gitterstruktur.Das Hauptbeispiel unserer Ar-beit ist dotiertes LaGaO3. Indiesem Stoff sind die Sauer-stoffionen bei 800 Grad Cel-sius sehr beweglich (die Leit-fähigkeit ist ungefähr so großwie in einmolarer KOH-Lösungbei Raumtemperatur) und dasführt dazu, dass man dotiertesLaGaO3 als Hochtemperatur-festelektolyt benutzen möchte.Diese mögliche Anwendungerfordert eigentlich, dass dieKationen sich nicht bewegen,weil Kationenbeweglichkeitgenerell bei mehreren Degra-dationsprozessen in Perowskit-Oxiden eine entschiedene Rol-le spielt. Experimente zeigen,dass die Kationenbeweglich-keiten in LaGaO3 bei 800 GradCelsius erheblich niedriger sindals die der Sauerstoffionen,aber leider nicht null.

Solche Experimente sindschwierig durchzuführen undnoch schwieriger zu erklären.Um die experimentellen Arbei-ten erklären zu können undum uns ein allgemeines Bildder Ionenbeweglichkeit in Pe-rowskit-Oxiden zu verschaf-fen, haben wir mittels Compu-tersimulationen dieses Themauntersucht. Wenn man die Io-nenbeweglichkeit verstehenwürde, könnte man letztend-

lich versuchen, Degradation-prozesse zu verhindern, sodass die guten Eigenschaftendes Elektrolyten während sei-ner Lebensdauer erhalten blei-ben.

Daran lässt sich erkennen,dass Ionenbeweglichkeit inFestoxiden sehr wichtig ist.Wie oben erwähnt, kann mansolche Stoffe als Festelektolyteausnutzen. Die sind auch wich-tig bei vielen Degradationproz-essen und natürlich auch beider Herstellung von Oxiden.

Weil die Ionen in einemPerowskit-Oxid ziemlich dichtgepackt sind, brauchen wirLeerstellen (leere Plätze, woIonen sein sollten), so dass dieIonen sich bewegen können.In diesem Sinne ist ein perfek-ter Kristall wie ein volles Kino:Alle Plätze sind besetzt und dieIonen (Personen) können nichtohne extrem viel Energie (Tu-mult) Plätze tauschen bezie-hungsweise auf einen schonbesetzten Platz kommen. Lässtman aber einige Leerstellen zu,kann ein Ion mit erheblich we-

Bild 1: Zwei Darstellungen derkubischen Perowskit-Oxid-Struktur: 1a) als Einzelzelle miteiner ABO3-Formeleinheit; 1b)als Netzwerk eckenverknüpfterBO6-Oktaeder.

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Perowskit-Oxidenniger Energie von seinem Platzzu einem benachbarten freienPlatz springen. Genauso ist esim Kino, wenn man neben sicheinen freien Platz hat.

Um Fehler in einem Kristallzu modellieren, muss man zu-erst den perfekten Kristall mo-dellieren können. Für unsereOxide benutzen wir ein einfa-ches, aber sehr weit entwickel-tes Modell, das so genannteBorn-Modell. Man nimmt an,dass die Ionen ihre nominellenValenzen haben, zum Beispielfür LaGaO3 haben wir +3 fürLanthan, +3 für Gallium und -2 für Sauerstoff. Von denWechselwirkungen zwischenden Ionen betrachten wir weitreichende coulombsche Kräfteund Wechselwirkungen mitkurzer Reichweite, die die Pau-li-Abstoßung bei der Überlap-pung der Elektronenwolkender Ionen und die Anziehungdurch van-der-Waals Kräftebehandeln. Die letzteren wer-den an Hand von anpassbarenParametern beschrieben. (Mankann natürlich alles viel kom-plizierter machen und alleAtomkerne und Elektronen ineiner quantenmechanischenRechung betrachten. Weil dieIonen sich aber nahezu klas-

sisch verhalten, hieße dies, mitKanonen auf Spatzen zu schie-ßen.)

Zunächst stellen wir die Io-nen zusammen und lassen denRechner alle Ionen unter denoben erwähnten Wechselwir-kungen hin- und herschieben,bis die Nettokraft auf jedes Ionnull ist (Energieminimierung).Wenn die berechnete Strukturmit der tatsächlichen überein-stimmt, haben wir gute an-passbare Parameter gewähltund können uns jetzt mit derBerechnung von Kristallfehlernbefassen. Solche Berechnun-gen sind im Grunde genom-men sehr ähnlich: Wir baueneinen oder mehrere Fehler inden Kristall ein und lassen denRechner die Energie minimie-ren.

Bild 2a zeigt uns die Sichtvon einem leeren Lanthan-Platz zu einem Lathan-Ion, dasherüber springen könnte. Mansieht, dass die vier Sauerstof-fionen eine Öffnung bilden,durch das sich das La3+-Ionbewegen muss. Die Öffnungist aber viel kleiner als dasLa3+-Ion und von daher ist esklar, dass das La3+-Ion Energiebrauchen wird, um durch dieÖffnung zu springen.

Bild 2 a: Sicht entlang des La3+-Sprungweges von einem leerenPlatz durch die Sauerstoff-Gal-lium-Ebene zu einem La3+-Ion.2b: Energieprofil für diesenSprungweg.

Einschleusekammer des Flug-zeit-Sekundärionen-Massen-spektrometers im Institut fürPhysikalische Chemie derRWTH Aachen. Die gezeigteProbe ist aus Strontium-Titanat.Foto: Peter Winandy

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Die Energie, die gebrauchtwird, wird in folgender Weiseberechnet. Wir stellen das Ionan einige Stellen zwischen sei-nem Platz und dem benach-barten leeren Platz. An jederStelle wird die Energie dieserKonfiguration berechnet. Soerhalten wir eine Kurve wie inBild 2b. Der Energieunter-schied zwischen Anfang unddem höchsten Punkt gibt unsdie Energie, die dieses Ion zumSpringen benötigt.

Danach haben wir anderegroße Ionen (verschiedeneGrößen, verschiedene Ladun-gen: zum Beispiel Gd3+, Y3+,Ba2+, usw.) ähnlich springenlassen. Durch ausführlicheUntersuchungen der Ionen-konfigurationen am höchstenPunkt konnten wir bestätigen,dass die vier Sauerstoffioneneine große Rolle spielen: Jegrößer das springende Ion,desto mehr Energie wird ge-braucht. Wir konnten aberauch feststellen, dass es er-höhte coulombsche Wechsel-wirkungen mit den vier be-nachbarten Ga3+-Ionen gibt(siehe Bild 2a).

Im B-Untergitter sitzt einSauerstoffatom zwischen zweibenachbarten B-Ionen, so dasslängere Sprünge (<110> inBild 3 gekennzeichnet) oder

gekrümmte Wege (<100> inBild 3 gekennzeichnet) ange-nommen werden müssen.

Durch die Untersuchungvon Sprüngen verschiedenerIonen (zum Beispiel Al3+, Sc3+,Mg2+) konnten wir in diesemFall feststellen, dass für beideWege die coulombsche Wech-selwirkung zwischen demspringenden Ion und denLa3+-Ionen die Sprungenergiebestimmt. Für den <110>-Weg wechselwirkt das sprin-gende Ion mit zwei La3+-Ionen(eins ist unterhalb, das andereoberhalb des Weges) und hatdeshalb eine viel höhereSprungenergie als das Ion aufdem gekrümmten <100> Weg(Wechselwirkung mit nur ei-nem La3+-Ion). Die Untersu-chung der Bewegung unter-schiedlicher Kationen im Pe-rowskit-Oxid LaGaO3 mit klas-sischen Computersimulations-methoden erlaubt es daher, einallgemeines Bild der Ionenbe-wegungen in diesen Stoffen zuentwickeln. ●

Bild 2 b: Energieprofil für diesenSprungweg.

Bild 3: Schematisches Dia-gramm des <110>-Weges unddes <100>-Weges für denSprung eines B-Kations.

Kontrolle am Bildschirm währendder Anfahrt zur Analysestelle imFlugzeit-Sekundärionen-Massen-spektrometer.Foto: Peter Winandy

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Markus Hölscher, Walter Leitner

ComputerchemieBerechnung von Katalysatoreigenschaften mittels Computational Chemistry

hemiker möchten stän-dig neue Moleküle her-stellen. Einen neuen

Wirkstoff etwa, der nach ei-nem Schlaganfall die Durch-blutung der betroffenen Hirn-region gezielt fördert. Oder ei-nen neuen Geruchsstoff, dendie Parfümeure zum Designneuer Düfte benötigen. Auchkönnte ein Farbstoff verlangtwerden, der bestimmten pro-duktionstechnischen Anforde-rungen genügen muss unddessen Entwicklung nötig ist,weil die Automobilindustrie einneues Lackierungsverfahreneinführt. Man könnte die Listebeliebig fortsetzen und würdedabei auf die unterschiedlich-sten Anwendungen und damitauf die verschiedensten Mole-küle stoßen. Diese Molekülewerden von Chemikern amReißbrett ersonnen und im La-bor synthetisiert, und sie kom-men in allen – ja, wirklich allen– Bereichen unseres Lebensvor. Ohne Chemie geht garnichts.

Das „Reißbrett“ ist nichtselten ein Computer. Das magverwundern, wird aber raschverständlich, wenn man ver-steht, wie chemische Reaktio-nen ablaufen:

Normalerweise kreiert manein neues Molekül aus zweien,die man bereits besitzt. Manmischt sie in einem Lösungs-mittel und lässt sie miteinanderreagieren. Die chemische Re-aktion ermöglicht die Bildungneuer chemischer Bindungen,und so wie zwei Menschen,die sich an der Hand fassen,entsteht eine neue Verbindungmit neuen Eigenschaften. InBild 1 ist dies schematisch ge-zeigt. Ein Styrol- (1) und einEthenmolekül (2) sollen zumProduktmolekül (3) reagieren,das wiederum eine Vorstufebei der Synthese des Schmerz-mittels Ibuprofen (4) ist (nor-malerweise müssen zur Syn-these eines Moleküls mehrereEinzelsynthesen nacheinanderausgeführt werden).

Wie läuft die chemischeReaktion nun ab? Zunächstmüssen sich die Reaktandeneinander annähern und dienötige Aktivierungsenergieüberwinden, denn schließlich

�Bild 1: Oben: Strukturen vonEthylen (1), Styrol (2) und demdaraus erhältlichen Produkt (3),von dem bestimmte Derivate(nicht gezeigt) zu Ibuprofen (4)umgesetzt werden können. Koh-lenstoff- und Wasserstoffatomesind grau, Sauerstoffatome rotgezeichnet (unten sind dieStrukturen in der Valenzstrich-Schreibweise der Chemiker dar-gestellt).

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in der Katalysestoßen sich die negativ gelade-nen Elektronenhüllen der Mo-leküle ab (wie die gleichnami-gen Pole von zwei Magneten).Nähern sich die Reaktionspart-ner mit ausreichend großer Ge-schwindigkeit, so prallen dieMoleküle heftig genug aufein-ander, um ein gegenseitigesDurchdringen der Elektronen-hüllen zu ermöglichen (dieAktivierungsenergie wird er-reicht), so dass die Reaktionablaufen kann. Der Energie-verlauf chemischer Reaktionenist vereinfacht in Bild 2 ge-zeigt. Ob die Aktivierungs-energie erreicht werden kann,hängt von den Reaktionsbe-dingungen (zum BeispielDruck, Temperatur), vor allemjedoch von der chemischen

Natur der beteiligten Moleküleab.

Anstatt jede einzelne denk-bare Synthese im Labor auszu-probieren, was sehr zeitauf-wändig und in vielen Fällenschlicht zu teuer wäre, lassensich Molekülstrukturen, derenEnergieinhalte sowie kompletteReaktionsmechanismen auchmit Hilfe von quantenchemi-schen Rechnungen bestimmen.Das ist die entscheidende Hilfeund einer der größten Vorteile,den die Computerchemie zubieten hat. So erhalten Chemi-ker Anhaltspunkte dafür, wel-che Reaktionen in der Realitätmöglich sein werden und wel-che nicht. Das gilt für unkata-lysierte Reaktionen genausowie für katalytische Umsetzun-

gen. Und all dies lässt sich be-rechnen. Was aber ist ein Ka-talysator?

Viele Moleküle – so wie dieBeispielmoleküle Styrol undEthen – wollen sich unglückli-cherweise nun mal überhauptnicht „anfassen“. Auch wennman tagelang auf eine Reak-tion wartet, passiert rein garnichts. Es sei denn, man setzteinen Katalysator zu. Der Ka-talysator – das ist manchmalein Molekül (homogener Kata-lysator), manchmal eine Fest-stoffoberfläche (heterogenerKatalysator) – nimmt an derReaktion teil, indem er die bei-den Moleküle zunächst „andie Hand nimmt“, sie einanderannähert und dabei in die ge-eignete Ausgangspositionbringt, um sie dann miteinan-der zu verbinden. Ähnlich wieein Heiratsvermittler (so wirddas Wort Katalysator übrigensim chinesischen Sprachraumverstanden) zieht er sich an-schließend – selbst unverän-dert – diskret zurück und wid-met sich dem nächsten heirats-willigen Paar. Und die frischVermählten erkennen, dass dieHochzeit eine gute Idee war,denn das Produkt ist energe-tisch stabiler als die Reaktan-den.

Bild 2: Allgemeines Energiedia-gramm für chemische Reaktio-nen mit und ohne Katalysator.Schematisch gezeigt sind dieReaktanten (links), der Über-gangszustand (Mitte) und dasProdukt (rechts).

Detailaufnahme des Phasen-übergangs im Autoklaven. Typi-scher Aufbau für eine Katalyse-reaktion unter Druck. Im Auto-klav werden chemische Verbin-dungen zu neuen Produktenumgesetzt, die am Computerentworfen wurden.Foto: Peter Winandy

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Ein Katalysator zur Ver-knüpfung von Styrol und Ethenist in Bild 3 gezeigt. Es handeltsich um eine berechnete Struk-tur, denn experimentell lässtsich diese überhaupt nicht be-stimmen, weil sie dafür zukurzlebig ist. Am wichtigstenist das blau dargestellte Nickel-zentrum, an das bereits dasStyrolmolekül auf der Obersei-te gebunden ist. Das Styrol-molekül hat damit den erstenReaktionsschritt bereits hintersich gebracht, auch schon einWasserstoffatom des Katalysa-tors aufgenommen und wartetjetzt auf ein Ethenmolekül, mitdem es weiterreagieren kann.Wenn das geschehen ist, wirddas fertige Produktmolekülvom Katalysator abgespalten.Dabei wird dem Katalysatorauch das Wasserstoffatom zu-rückgegeben, das vom Styrol-molekül im ersten Reaktions-schritt „entwendet“ wurde.Und nur dann, wenn der Kata-lysator nach der Reaktion inchemisch unveränderter Weisewieder vorliegt, kann er dienächste Reaktion katalysieren.

In Bild 4 ist ein Katalysatorgezeigt, der sich für ganz an-dere Reaktionen eignet. AmMetallzentrum ist Wasserstoffgebunden, der sich auf andereorganische Verbindungen über-tragen lässt. Gleichzeitig akti-viert der Katalysator die an-sonsten sehr stabilen Kohlen-stoff-Wasserstoff-Bindungenvon aromatischen Molekülenund eröffnet so unkonventio-nelle neuartige Reaktionswegezur Funktionalisierung von Are-nen, was auch mit Blick aufmedizinische Wirkstoffe vonBedeutung ist.

Es gibt ganz unterschiedli-che Homogenkatalysatoren.Man kann zum Beispiel metall-haltige und metallfreie Kataly-satoren unterscheiden. Diegroße Gruppe der metallorga-nischen Katalysatoren hat sichals außerordentlich erfolgreicherwiesen und wird industriellverwendet. Polypropylen et-wa, ein weitverbreiteter Kunst-stoff, wird in bestimmten Ver-fahren mit homogenen Zirco-niumkatalysatoren hergestellt.Die Katalysatorstrukturen wur-den parallel zur experimentel-

len Arbeit am Computer ent-wickelt, und dies war ein be-deutendes Beispiel für dendurchschlagenden Erfolg com-putergestützter Katalysatorent-wicklung bei industriellen Syn-thesen.

Die Theoretische Chemiekann aber noch mehr. Ob einechemische Reaktion abläuftoder nicht, ist für Chemikerimmer nur eine von vielen Fra-gen. Eine weitere, sehr wichti-ge Frage ist die, ob eine Reak-tion selektiv abläuft. Mit Se-lektivität meinen Chemikerrecht verschiedene Dinge, undein Beispiel wird hier aufge-führt: Man kann sich vorstel-len, dass ein ungesättigtes Mo-lekül an verschiedenen Positio-nen Wasserstoff aufnehmen

Bild 3: Homogenkatalysator zurVerknüpfung von Styrol undEthen. Oberhalb des blau darge-stellten Nickelzentrums befindetsich das Styrolmolekül, das imnächsten Schritt mit Ethen rea-gieren wird. Die anderen Mole-külteile dienen u. a. der Stabili-sierung des Nickelzentrums, dasalleine in Lösung nicht existie-ren könnte.

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kann. In Bild 5 ist ein Beispielgezeigt. Der Katalysator sollidealerweise so arbeiten, dassregioselektiv nur eine der bei-den Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen mit Wasser-stoff abgesättigt (hydriert)wird.

Derartige Selektivitätspro-bleme lassen sich katalytischselten zu genau 100 Prozentlösen, aber viele Katalysator-strukturen liefern immerhinsehr hohe Selektivitäten, was

wünschenswert und für indus-trielle Anwendungen unbe-dingt nötig ist, da so wenigerdes unerwünschten Nebenpro-dukts entsteht, das entsorgtoder anders verwendet wer-den muss. Dabei helfen quan-tenchemische Rechnungenganz außerordentlich. AmComputer lassen sich in ver-hältnismäßig kurzer Zeit vieleKatalysezyklen unter Verwen-dung verschiedener Katalysa-torstrukturen durchrechnen.Auf diese Weise erhält man In-formationen darüber, ob sichein Katalysator für eine selek-tive Reaktionsführung eignetoder nicht. Typischerweisewird bei derartigen Untersu-chungen das Katalysatorrück-grat variiert, um neue Leit-strukturen zu finden. Erweistsich eine als viel versprechend,wird die Peripherie des Kataly-satormoleküls mit unterschied-lichen chemischen Funktiona-litäten versehen, und die De-tailstruktur des Katalysatorsauf diese Weise variiert.Schließlich entsteht ein amComputer erarbeitetes Kataly-satormodell, das dann synthe-tisiert und mit Blick auf seineKatalysatoreigenschaften ex-perimentell untersucht wird.Bei dem in Bild 5 gezeigtenBeispiel könnte es sich also

herausstellen, dass man zurSynthese der einen Verbin-dung einen bestimmten Kata-lysator benötigt, während zurHerstellung der anderen Ver-bindung ein anderer Katalysa-tor gewählt werden muss.

Von den vergleichsweisekleinen molekularen Katalysa-toren abgesehen, kommt diecomputergestützte Katalysa-torentwicklung aber auch beiheterogenen Katalysatoren (et-wa beim Autoabgaskatalysa-tor) oder bei den im Wesent-lichen aus Proteinen bestehen-den biologischen Katalysatorenzum Einsatz. Weder in derChemie noch in der Moleku-larbiologie und genauso wenigin der Medizin sowie in denMaterialwissenschaften sindFortschritte ohne das Ver-ständnis von Strukturen mög-lich. Aus diesen Bereichen, be-sonders aus der Katalyse, istdie Computerchemie nichtmehr wegzudenken. ●

Bild 5: Beispiel für Selektivitä-ten bei chemischen Reaktionen.Je nach nachdem, welche Reak-tionsbedingungen nötig sind,kann es sein, dass für jedes Pro-dukt unterschiedliche Katalysa-toren verwendet werden müs-sen.

Bild 4: Typischer Homogenkata-lysator (links Kugel-Stab-Dar-stellung, rechts Kalottenmodell).Dunkelrot gezeichnet ist das ak-tive Metallzentrum (Ruthenium),an dem sich der aktive Wasser-stoff (weiß) befindet. Der Restsind organische Helfermoleküle(Liganden).

Detailaufnahme des Phasen-übergangs im Autoklaven.Foto: Peter Winandy

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Richard Dronskowski, Bernhard Eck, Holger Wolff

Berechnung der

ie moderne Chemie alseine ungewöhnlich dy-namische Wissenschaft

bezeichnen zu wollen, ist ausmindestens zwei Gründengerechtfertigt. Einerseits hatkaum eine Wissenschaft imvergangenen Jahrhundert un-sere Lebensqualität so über-zeugend verbessert wie dieChemie, andererseits machtdie Idee der Veränderung deneigentlichen Kern der Chemieaus. Die Chemie ist die Wis-senschaft der stofflichen Um-wandlungen, und Chemikerund Chemikerinnen veränderndie Welt, indem sie Atome zuMolekülen kombinieren undMoleküle in andere Molekületransformieren. Wir alle wis-sen, daß Veränderungen nichtimmer mit Begeisterung aufge-nommen werden, und ein Teildes öffentlichen Akzeptanz-problems der Chemie resultiertsicher hieraus.

Chemische Veränderungen,korrekt als chemische Reaktio-nen bezeichnet, besitzen alsoentscheidende Bedeutung fürdas Denken und Handeln derChemie. Chemische Reaktio-nen sind aber ohne die Bewe-gung von Atomen oder Mole-külen unmöglich. Gelingt es,atomare oder molekulare Be-wegungen für beliebige Atomeund Moleküle als Funktion derZeit zutreffend zu beschreibenund womöglich zu berechnen,dann ist auch das Problem derchemischen Reaktionen zu-mindest auf der Größenskaladieser Quantenobjekte imPrinzip gelöst.

Die dafür benötigten inter-atomaren oder intermolekula-ren Kräfte können in vielen(obschon bei weitem nicht al-len) Fällen heutzutage nachden Verfahren der Quanten-mechanik und Quantenchemieberechnet werden; die Berech-nung der zeitlichen Evolutiongroßer atomarer oder moleku-larer Systeme ist im allgemei-nen aber derart astronomischkomplex, daß alle denkbarenComputerressourcen sofort mitLeichtigkeit gesprengt werden.Für die Chemie ist das schlecht,doch verdanken die Herstellervon Supercomputern zum gu-ten Teil ihre Existenz der Quan-tenchemie.

Molekulardynamik großer Atomverbände basierend auf kristallchemisch inspirierten Parametrisierungen

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atomaren Dynamikanorganischer Materie

Nun sind mindestens dreiStrategien zur Umschiffungder grundsätzlich ungenügen-den Computerressourcendenkbar: Der Wissenschaftlermag sich zurücklehnen undauf schnellere Hardware oderschnellere Software warten –um sich damit als recht dummzu erweisen. Aufregender undaussichtsreicher ist es jedoch,das Problem der interatomarenKräfte zumindest näherungs-weise umzuformulieren. Ent-sprechende Strategien sind inder Chemie seit vielen Jahr-zehnten gebräuchlich, und diesogenannte semi-empirischeParametrisierung des vollenquantenchemischen Problemsist oftmals die beste Alternati-ve. Für den uns besonders in-teressierenden Fall fester anor-ganischer Systeme kommt we-gen der Mannigfaltigkeit derpotentiell beteiligten Atome(aus dem gesamten Perioden-system!) erschwerend hinzu,daß selbst solche Parametrisie-rungen nur extrem schwierigdurchzuführen sind – es seidenn, echte chemische Infor-mation könnte zusätzlich ein-gespeist werden.

Wir haben kürzlich dasneuentwickelte Computerpro-gramm aixCCAD (Aix-la-Cha-pelle Crystal-Chemical AtomicDynamics) vorgestellt, das so-genannte Simulationen derMolekulardynamik (also diezeitaufgelöste Berechnungatomarer Bewegungen) er-laubt und besonders für denEinsatz in komplexen Feststof-fen (Materialien) geeignet ist.Die zugrundeliegenden Poten-tiale basieren auf erprobtenkristallchemischen Konzeptenund beuten die in mehr als100 Jahren immer weiter ver-feinerte Klassifikation chemi-scher Bindungen in solche mithauptsächlich kovalent-metalli-schem und solche mit vorwie-gend ionischem Charakter aus.

Professor Dr. Richard Dronskowski demonstriert eineGallium-Nitrid-Leuchtdiode.Das Institut für Anorganische

Chemie leistet Grundlagen-forschung an analogen, stick-stoffbasierten Verbindungen.Foto: Peter Winandy

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Trainierte Chemiker werdendem abgebildeten Reaktions-szenario zwischen einerSchicht aus Eisenatomen undanfliegenden Aluminiumnitrid-molekülen (Bild 1) intuitiv dieentsprechende Aufteilung der Bindungswechselwirkungenentnehmen können. Das Pro-gramm aixCCAD setzt nun für hauptsächlich kovalenteWechselwirkungen (Metallatom-Metallatom oder Nicht-metallatom-Nichtmetallatom)die universelle Bindungsener-gie-Beziehung von Rose undMitarbeitern an, deren Para-meter aus sogenannten obser-vablen Größen entstammen(Sublimationsenthalpie des rei-nen Stoffs, kürzester interato-marer Abstand im Kristall so-wie elektronische Abschirmlän-ge) und damit keiner zusätz-lichen Anpassung bedürfen.

Für ionische Wechselwir-kungen, die bei der Kombina-tion Metallatom-Nichtmetall-atom hinzukommen, wird einabgeschirmtes, also rasch ab-klingendes, Coulombpotentialeingesetzt. Das Besondere derTechnik besteht darin, daßsämtliche atomare Ladungenauf den beteiligten Atomendabei dynamisch in jedemZeitschritt neu ermittelt wer-den, um quantenchemischeEffekte bis zu einem gewissenMaße klassisch anzunähern.Die Berechnung folgt im Detaildem Bindungsvalenz-Konzeptund setzt pro Metallatom/Nichtmetallatom-Kombinationauf genau einen kristallogra-

phischen Referenzabstand, deraus der Analyse mehrerer hun-dert Kristallstrukturen gewon-nen wurde. Selbst unbekannteReferenzabstände sind aber für hypothetische Strukturenmit ein wenig Quantenchemiesehr einfach zu berechnen.Bindungen gemischten Cha-rakters werden durch Kombi-nation beider Kraftfelder ap-proximiert.

Die Leistungsfähigkeit einesjeden empirischen Zugangskann nur die Praxis erweisen.aixCCAD wurde als massiv pa-rallelisierbares Computerpro-gramm ersonnen und wird vonuns mittlerweile für Größen-ordnungen von typischerweise1000 Atomen eingesetzt, so-wohl in der Forschung als auchin der Lehre (Fortgeschritte-nenpraktikum in AnorganischerChemie).

Hierzu ein Beispiel:Moderne Dreiwegekatalysato-ren für die Abgasreinigung inKraftfahrzeugen enthalten ne-ben Edelmetallen wie Platinoder Rhodium sogenannte Mi-schoxide aus Cerdioxid undZirkondioxid oder Aluminium-oxid. Diese Mischoxide, imFachjargon als „Promotoren“bezeichnet, spielen eine ent-scheidende Rolle, da sie überdie besondere Fähigkeit verfü-gen, auf atomarer Ebene Sau-erstoff blitzschnell zu speichernund auch wieder abzugeben.Für die Entwicklung noch bes-serer Promotoren sind Compu-tersimulationen unabdingbar,da nur sie es erlauben, sich einBild – im besten Sinne desWortes – von der Reaktions-fähigkeit aller Atome zu ma-chen; im besonderen Fall er-möglicht die Theorie die Sicht-

barmachung der Dynamik derbeteiligten Sauerstoffatome.

Ausgehend von einer idea-lisierten Kristallstruktur desCerdioxids (Bild 2) erweist dieComputersimulation die hoheBeweglichkeit der Sauerstoff-atome. Wird in der Simulationeine Temperatur von etwa 500 Grad Celsius eingestellt,wandern die Sauerstoffatomezur Oberfläche und stehen sozur Reaktion zur Verfügung(Bild 3). Es ist offensichtlich,daß dieser theoretische Zu-gang es auch ermöglicht, ver-schiedene Reaktionen zunächstnur im Computer auszutesten,um sie anschließend im wirk-lichen Experiment unter realis-tischen Bedingungen stattfin-den zu lassen.

Ein anderes Beispiel: Aufdem Gebiet der Mikroelektro-nik deutet sich an, daß stick-

Bild 1: Schema zur Aufteilungchemischer Bindungen nach derArt ihres vorwiegenden Bin-dungscharakters; Eisenatome inorange, Aluminiumatome ingrau,Stickstoffatome in grün.

Bild 2: Darstellung der (idealen)Kristallstruktur und Oberflächefesten Cerdioxids; Ceratome inweiß, Sauerstoffatome in rot.

Bild 3: Wie zuvor, jedoch nachRelaxation über 200.000 Zeit-schritte (zehn Pikosekunden);die Sauerstoffatome sind zurOberfläche gewandert.

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stoffbasierte Materialien wegenihrer überlegenen Eigenschaf-ten die Zukunft maßgeblichmitbestimmen werden. In derTat nimmt der technische Ein-satz beispielsweise des Galli-umnitrids kontinuierlich zu,und zwar besonders in der Op-toelektronik und Lichttechnik.Gewünscht sind aber ebensoHybridmaterialien durch Kom-bination von magnetischenMetallen mit halbleitenden Ni-triden, wie sie von einer be-freundeten japanischen Ar-beitsgruppe als nanoskopischeMultischichtsysteme aus Eisenund Aluminiumnitrid (AlN)präpariert wurden. Beim Auf-schießen von AlN auf Eisen(Bild 4) entsteht aber entge-gen aller Erwartung instabilesEisennitrid (FeN) neben metal-lischem Aluminium – warumeigentlich?

Die von uns durchgeführteSimulation der chemischen Re-aktionen zwischen AlN undEisen wurde vom japanischenIndustrieministerium gefördertund brachte Erstaunliches zu-tage. Einfallende AlN-Molekü-le werden wegen ihrer hohenBewegungsenergie beim Kon-takt mit der Eisenoberflächesofort in Aluminium- undStickstoffatome zerrissen undkönnen schon deshalb nichtwieder rekombinieren, weil

das freie Stickstoffatom in dasmetallische Eisengitter „einge-saugt“ wird. Die Affinität desStickstoffs zum Eisen ist zwargeringer als zum Aluminium,doch stehen schlicht sehr vielmehr Eisenatome zur Verfü-gung, und die ionische Bin-dung des Stickstoffs im metal-lischen Feststoff fällt mit insge-samt sechs Fe-N-Bindungenstärker aus als die singulärekovalente Al-N-Bindung imAlN-Molekül. Das hört sicheinfach an, aber man muss essehen, um es zu begreifen.

Als Folge dieser Schlüssel-reaktion entsteht eine etwazehn Ångström dicke „Legie-rungszone“ zwischen Eisenund Aluminium, und das ur-sprünglich reine Eisengittererfährt eine Aufweitung umfast drei Prozent (Bild 5). Mankann sich schwerlich experi-mentelle Verfahren ausmalen,die ähnlich detaillierte Informa-tionen bereitstellen. Verschie-dene andere Systeme werdenjetzt auch außerhalb Aachensmit unserem innovativen Ver-fahren analysiert. ●

Bild 4: Darstellung der Oberflä-che von kubisch-raumzentrier-tem Eisen.

Bild 5: Ergebnis des Beschussesder Eisenoberfläche mit Alumi-niumnitrid-Molekülen; als Folgechemischer Reaktionen sindStickstoffatome (grün) in dasEisen eingedrungen, und dieOberfläche wird hauptsächlichvon Aluminiumatomen (grau)gebildet.

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Bernhard Blümich, Dan Demco, Radu Fechete

Auslegung mobilerzur zerstörungsfreien

Mitarbeiter des Instituts fürMakromolekulare Chemie

mit der mobilen NMR-Sondezur zerstörungsfreien Prüfung

auf dem Gelände des zu-künftigen Studienfunktio-

nalen Zentrums SuperC.Foto: Peter Winandy

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NMR-SondenPrüfung

eit ihrer Entdeckung imJahr 1945 hat sich diemagnetische Kernreso-

nanz (NMR: Nuclear MagneticResonance) zu einem unersetz-lichen Messverfahren in Che-mie, Physik, Biologie und Me-dizin entwickelt. Die großeBedeutung der NMR bei derCharakterisierung molekularerStrukturen und dynamischerProzesse organischer Stoffewird nicht zuletzt durch dieVerleihung der Nobel-Preisefür Chemie an den SchweizerRichard Ernst (1991) und anseinen Landsmann Kurt Wüth-rich (2002) dokumentiert. Mehrnoch, im Jahr 2003 ging derNobel-Preis für Medizin anden Chemiker Paul Lauterbur(USA) sowie an Peter Mans-field (Großbritannien) für dieEntwicklung der Kernspintomo-graphie, die zu einem Durch-bruch in der medizinischenDiagnostik und biomedizini-schen Forschung geführt hat.

Im Regelfall wird das zuuntersuchende Objekt für dieNMR-Messung in das Innereeines leistungsstarken Magne-ten eingeführt und mit Hoch-frequenzwellen bestrahlt. DieGröße der Magnetöffnung li-mitiert dabei die Abmessungdes Untersuchungsobjektes.Doch die breit gefächerte me-thodische und apparative Ent-wicklung der NMR hat auch so genannte unilaterale NMR-Sonden hervorgebracht, dieauf ein beliebig großes Objektaufgelegt werden. Solche Son-den wurden zuerst für die In-spektion geologischer Forma-tionen in Bohrlöchern auf derSuche nach Erdöl eingesetzt(Bild 1a). Bei der Kartographie-rung von Bohrlöchern lassensich hiermit viele petrophysika-lische Parameter wie die Poro-sität des Gesteins, die Viskosi-tät des Öls und der Anteil derFluidsättigung tiefenabhängigbestimmen. In letzter Zeit wer-den solche Sensoren in vielkleinerer Ausführung auch fürdie zerstörungsfreie Qualitäts-kontrolle von Polymerproduk-ten und zu medizinischen Stu-dien eingesetzt. Die Zahl derverschiedenen Anwendungenunilateraler NMR-Sensoren istin den letzten Jahren beträcht-

lich gestiegen. Der wichtigsteGrund hierfür ist, dass mit sol-chen Sonden Objekte beliebi-ger Größe von der Oberflächeher inspiziert werden können.Interessante Untersuchungs-ziele sind das Studium von Hei-lung und Reizung menschli-cher Haut, die Qualitätsbeur-teilung der Schweißnähte vonKunststoffrohren, die Quali-tätsprüfung von Gummipro-dukten aller Art sowie die Er-folgskontrolle von Steinkonser-vierungsmaßnahmen.

Ein einfacher unilateralerSensor ist die so genannteNMR-MOUSE® (MObile Uni-versal Surface Explorer, re-gistrierte Marke der RWTHAachen). Er besteht aus zweiauf einem Eisenjoch positio-nierten Permanentmagneten,die letztendlich einen Hufei-senmagneten bilden. Im Spaltdes Magneten wird eine Hoch-frequenzspule platziert, mit derNMR-Signale angeregt und ge-messen werden (Bild 1b). InVerbindung mit weiteren Spu-len zur Erzeugung gepulsterZusatzmagnetfelder wurde dieNMR-MOUSE zu einem völligoffenen Kernspintomographenerweitert, und der kleinsteKernspintomograph der Weltwurde so an der RWTH entwi-ckelt. Mit solchen offenen To-mographen kann man wie miteiner Lupe einen Objektbe-reich heraus vergrößern, aberauch in das Innere des Objek-

tes hineinschauen. Hiermit er-öffnen sich völlig neue Per-spektiven in Forschung undAnwendung, zum Beispiel fürdie Schadensanalyse und diemedizinische Diagnostik.

Um derartige NMR-Sen-soren zu optimieren und dieMesssignale richtig zu inter-pretieren, muss das Messsignalsimuliert werden. Das ist schonfür konventionelle NMR in vie-len Fällen eine Herausforde-rung. Doch hat man es bei derunilateralen NMR mit inhomo-genen Magnetfeldern zu tun,so dass der numerische Auf-wand erheblich steigt. Wir ha-ben ein Simulationsprogrammin der Computersprache C++geschrieben, mit dem dasNMR-Signal in jedem Elementdes signalgebenden Volumen-bereiches berechnet und zumGesamtsignal zusammenge-setzt werden kann. Hiermitkönnen verbesserte Feldprofileund Messmethoden gefundenwerden, mit denen die Mes-sungen zum Beispiel in Bezugauf das erreichbare Signal-zu-Rauschverhältnis und die Un-

Numerische Simulation von Messsignalen

Bild 1: Die Form des empfind-lichen Volumens (rechts) mussfür verschiedene Anwendungenangepasst werden. Sie wird ausden Magnetfeldverteilungen fürdas Polarisationsfeld B0 und dasHochfrequenzfeld B1 berechnet(links).

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empfindlichkeit gegenüber Be-wegung während der Mes-sung optimiert werden können(Bild 2). Das Programm wurdeinsbesondere dazu verwendet,den Selbstdiffusionskoeffizien-ten mit verbesserter Genauig-keit mit der NMR-MOUSE zubestimmen (Bild 3), eine Grö-ße, die zur Beschreibung derQuellung von Dichtungsgum-mi in Lösungsmitteln von tech-nischer Bedeutung ist. Mit Hil-fe des Programms wurde zumBeispiel aus den Messdatender NMR-MOUSE der Selbst-diffusionskoeffizient von Toluolin verschieden stark vernetz-tem Naturkautschuk bei unter-schiedlichen Toluolkonzentra-tionen bestimmt.

Für die Entwicklung neuerNMR-Messtechniken ist dasam Institut für Technische undMakromolekulare Chemie ent-wickelte Programm von größ-ter Bedeutung. Hiervon profi-tieren nicht nur die Material-forschung über den Zugang zuneuen zerstörungsfreien Prüf-verfahren, sondern auch dieÖlindustrie für die effizientereAusbeute von Erdölfeldern. Esist zu erwarten, dass die glei-che Technologie auch bei derFörderung und Reinhaltungvon Grundwasser ein weitereswichtiges Einsatzgebiet findenwird. ●

Bild 2: Mobile NMR-Sensorenvom Typ der NMR-MOUSE® ar-beiten in Auflagetechnik zurUntersuchung ausgewählter Be-reiche von großen Objekten.Hiermit werden zum Beispieldie Wände von geologischenBohrungen zur Untersuchungdes Gesteinsformationen auf ih-ren Wasser- und Ölgehaltesanalysiert (a). In der Material-forschung werden ähnliche Sen-soren zur Bestimmung der Ma-terialeigenschaften von Kunst-stoffen und Gummi eingesetzt.

Bild 3: Die Diffusion von Lö-sungsmitteln in Gummi ist be-sonders im Automobilbereichvon großer Bedeutung (oben).Das mit der NMR-MOUSE® ge-messene Signal (links, roteDreiecke) von Toluol in Natur-kautschuk unterschiedlicherVernetzungsdichte wurde zurBestimmung des Diffusionskoef-fizienten simuliert (links, blaueKreise). Mit zunehmender Ver-netzungsdichte (NR1 bis NR7)nehmen die Sättigungskonzen-tration und der Selbstdiffusions-koeffizient des Toluols ab. Der-artige Messungen können mitder NMR-MOUSE am Objektvor Ort durchgeführt werden.

Professor Dr. Bernhard Blümichund eine Mitarbeiterin mit dermobilen NMR-Sonde zur zer-

störungsfreien Prüfung auf demBohrplatz der RWTH-Geo-

thermiebohrung.Foto: Peter Winandy

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Ilona Merke, Wolfgang Stahl

IntramolekulareDie „Gummibänder“ und „Bindfäden“ in Molekülmodellen

ie Struktur von Molekü-len lässt sich durch dieAnordnung der Atome,

aus denen sie aufgebaut sindsowie den Bindungen zwischendiesen Atomen beschreiben.Eine typische Bindung entstehtzwischen zwei benachbartenAtomen durch Wechselwirkungvon Elektronen der beteiligtenAtome. Einige Atome wie zumBeispiel Sauerstoff, Schwefeloder Stickstoff besitzen so ge-nannte freie Elektronenpaare,die sich nicht an Bindungendieser Art beteiligen.

Bei vielen Molekülen kön-nen sich einzelne Teile gegen-einander verdrehen, wobeidann bei mehr als einer Posi-tion eine energetisch günstigeAnordnung auftreten kann. Es entstehen so verschiedeneKonformere ein und desselbenMoleküls mit unterschiedlicherräumlicher Anordnung derAtome zueinander. Dieses giltsowohl für einfachste Mole-küle als auch in besonderemMaß für sehr kompliziert auf-gebaute Naturstoffe. In Bild 1sind zwei unterschiedliche Kon-formere von Glycol (HO-CH2-CH2-OH) dargestellt, wobeihier die Drehung der beidenOH-Gruppen um die CO-Bin-dung betrachtet wurde. Weite-re Konformere werden erhal-ten, wenn man die ebenfallsmögliche Drehung um die CC-Bindung berücksichtigt.

Häufig wird ein bestimmtesKonformer durch so genannteWasserstoffbrückenbindungenstabilisiert. Dabei können Was-serstoffatome, insbesonderewenn sie an Sauerstoff, Stick-stoff oder Schwefel gebundensind, mit freien Elektronenpaa-ren anderer Atome wechsel-wirken. Diese Bindungen sindzwar wesentlich schwächer alsdie Bindungen zwischen zweidirekt benachbarten Atomen,sie können aber über verschie-dene Molekülgruppen hinwegwirken und diese in einer be-stimmten räumlichen Anord-nung festhalten. Dieses ist beiso wichtigen Beispielen wie derSekundärstruktur von Protei-nen und der Doppelhelix derDNA von entscheidender Be-deutung. Wasserstoffbrücken-bindungen können auch zwi-

Bild 1: Energiefläche von Glycolin Abhängigkeit der Drehwinkela1 und a2 der beiden OH Grup-pen. Die Strukturen der Konfor-meren in den beiden energe-tisch günstigsten Minima istebenfalls dargestellt. Freie Elek-tronenpaare sind als Pseudoato-me in orange dargestellt. Ia undIb sowie IIa und IIb sind jeweilsidentische Konformere. Sie kön-nen durch eine Drehung desgesamten Moleküls ineinanderüberführt werden.

Bild 2: Energiefläche von Dithio-glycol in Abhängigkeit der Dreh-winkel der beiden SH-Gruppen.

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Wasserstoff-brückenbindungen

schen verschiedenen Molekü-len wirken. Sie sind beispiels-weise für den relativ hohenSiedepunkt von Wasser verant-wortlich. Anschaulich kannman sich die Bedeutung vonWasserstoffbrückenbindungenals Gummibänder oder Bindfä-den in Molekülmodellen vor-stellen.

Mit leistungsfähigen Rech-nern ist es heute möglich, denEinfluss von Wasserstoffbrü-ckenbindungen zu untersu-chen. Die Qualität solcherRechnungen nimmt jedoch mitwachsender Molekülgröße ab.Da wir an möglichst genauenInformationen interessiert sind,beschränken sich unsere Unter-suchungen auf kleine Modell-systeme. Als Beispiele werdenhier die Ergebnisse für das Gly-col und das Dithioglycol (HS-CH2-CH2-SH) vorgestellt. AlsGrundlage unserer Betrachtun-gen benötigen wir zunächstdie Energie der Moleküle inAbhängigkeit der Drehwinkelder Molekülteile. Beim Glycolsind es die Drehungen der bei-den OH-Gruppen um die je-weilige CO-Bindung, beim Di-thioglycol die entsprechendenDrehungen der SH-Gruppen.Zu jeder Kombination derDrehwinkel gehört eine be-stimmte Energie, die mit quan-tenchemischen Methoden be-rechnet wird. Diese Energienwerden in einer Energieflächeeingetragen und dort mit einerbestimmten Farbe kodiert. DieEnergietäler entsprechen in ei-ner solchen Fläche den ver-schiedenen Konformeren. Inden Bildern 1 und 2 sind dieEnergieflächen des Glycols unddes Dithioglycols dargestellt.Man erkennt, dass sich beideEnergieflächen voneinanderunterscheiden und dement-sprechend auch unterschied-liche Konformere existieren.Beim Glycol werden Konfor-mer I und II jeweils durch eineWasserstoffbrücke stabilisiert.Das trifft auch auf das Konfor-mer I des Dithioglycols zu,während das Konformer II of-fensichtlich eine solche Was-serstoffbrückenbindung nichtbesitzt. Betrachtet man dieStrukturen der Konformere ge-nauer, so erkennt man, dass

Molekularstrahl-Fouriertrans-form-Mikrowellen-Spektrometerim Lehr- und ForschungsgebietMolekülspektroskopie der RWTHAachen. Blick in den geöffnetenResonatorbehälter, in dem sichim Vakuum der Molekularstrahl

ausbreiten kann und dessenMikrowellenspektrum bei etwaMinus 260 Grad Celsius gemes-sen wird.Foto: Peter Winandy

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bei Konformer I des Dithiogly-cols und Konformer II des Gly-cols die Lage der Atome zuein-ander praktisch identisch ist,wobei die Position des Schwe-fels im Dithioglycol der Posi-tions der Sauerstoffs im Glycolentspricht. Die anderen Konfo-rmere haben keine solche Ent-sprechung. Man erkennt schonan einfachen Molekülen Ge-meinsamkeiten aber auch Un-terschiede von Wasserstoff-brücken wie hier zwischenSauerstoff- und Schwefelato-men. Das Verständnis der Ur-sache dieser Unterschiede unddie Auswirkungen auf physika-lische Eigenschaften der Mole-küle sind Teil unserer Untersu-chungen.

Ein interessanter Aspektsind die Torsionsschwingun-gen, die um die entsprechen-den Drehachsen auftreten kön-nen. Dabei werden im Extrem-fall alte Wasserstoffbrückengebrochen und neue aufge-baut. Dieser Prozess besitztauch in komplexen biologi-schen Systemen eine erheb-liche Bedeutung. Aus derQuantenmechanik ist es gutbekannt, dass zu solchen Tor-sionsschwingungen ganz be-stimmte Energieniveaus gehö-ren. Wir verwenden unsereEnergieflächen, um diese Ni-veaus zu berechnen. Gleich-

zeitig erhalten wir die so ge-nannten Wellenfunktionen.Deren Betragsquadrat gibt dieWahrscheinlichkeit an, einebestimmte Winkelkombinationbei einer Schwingungsformanzutreffen. Die niedrigstenEnergieniveaus und die zuge-hörigen Wellenfunktionen desGlycols und Dithioglycols sindin den Bildern 3 und 4 darge-stellt. Bei beiden Molekülensind die Wellenfunktionennicht streng bei den Konfor-meren lokalisiert, sondern esfindet eine Torsionsschwin-gung um die entsprechendenStrukturen herum statt. Dabeiist bemerkenswert, dass dieWellenfunktionen beim Glycolüber viel größere Winkelberei-che verschmiert sind als esbeim Dithioglycol der Fall ist.Dieses zeigt, dass die dynami-schen Prozesse im Glycol we-sentlich ausgeprägter sind alsim Dithioglycol. Schon bei nie-drigen Energien findet eineständige Umwandlung zwi-schen Konformer I und Kon-former II statt, was klassischdem Brechen und Bilden vonWasserstoffbrücken entspricht.Beim Dithioglycol sind für die-sen Prozess viel größere Ener-

gien erforderlich.Um die Qualität unserer

quantenchemischen Rechnun-gen experimentell zu überprü-fen, ist die Lage der Energieni-veaus sehr wichtig. Insbeson-dere sind für uns sehr eng be-nachbarte Niveaus von großerBedeutung, die in den Bildern3 und 4 nicht mehr getrenntdargestellt werden konnten.Die sehr kleinen Energieunter-schiede zwischen ihnen kön-nen mit Hilfe der Mikrowellen-spektroskopie experimentell inunserer Gruppe bestimmt undmit den quantenchemischenRechnungen verglichen wer-den.

Eine experimentelle Über-prüfung möglichst vieler Resul-tate aus den Rechnungen lässtuns die Qualität unserer Mo-delle erkennen und die Mög-lichkeiten und Grenzen derInterpretation der Ergebnisseabschätzen. In vielen Fällenkönnen so verbesserte Model-lansätze gefunden werden. ●

Bild 3: Energieniveaus und Wel-lenfunktionen des Glycols. DieLage der Wellenfunktionen ent-spricht den Koordinaten ausBild 1. Die Energien (schwarz)sowie die Energiedifferenzen(rot) zwischen eng benachbar-ten Niveaus ist in cm-1 angege-ben.

Bild 4: Energieniveaus und Wel-lenfunktionen des Dithioglycols.

Messung von Mikrowellen-spektren von Molekülen in der

Gasphase. Die Ergebnisse derMessung werden zur Struktur-

bestimmung verwendet.Foto: Peter Winandy

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Thomas Eifert, Heiko Lueken, Helmut Schilder

Quantenmechanische

Modellbau ist eine hoheKunst – auch in der Physik“lesen wir im Journal Physik

in unserer Zeit (Dittrich, 1997).Das gilt auch für den Magne-tismus. Eine vollständige Be-schreibung magnetischer undden Magnetismus begleitenderEigenschaften ist nicht mög-lich. Steht man in der Chemiejedoch vor der Aufgabe, spezi-fisch qualifizierte magnetischeMoleküle oder Festkörper imchemischen Laboratorium her-zustellen, werden Direktivenfür erfolgversprechende Syn-thesen gewünscht. Die Kunstin der hier gefragten Magne-tochemie besteht darin, die fürdie Zielsetzung wirklich wichti-gen Einflüsse auf ein magneti-sches System als Modell zu for-mulieren, und zwar in Form ei-ner mathematischen Gleichung,entwickelt im Rahmen derQuantenmechanik. Dabei bil-det der bis heute vorhandeneErfahrungsschatz die Grundla-ge für Modelle, die quantitati-ve Voraussagen zum magneti-schen Verhalten erlauben undvon unwesentlichen und kaumhandhabbaren Einzelheiten ab-strahieren.

Magnetismus ist ein span-nendes physikalisches Phäno-men. Seine unsichtbare Kraft –obwohl allgegenwärtig – bleibtvon uns häufig unbemerkt.Beim Spielen mit zwei Magne-ten stellen wir jedoch schnellfest, dass es um sie herum einKraftfeld gibt. Je nach Orien-tierung der Magnete zueinan-der spüren wir Anziehung oderAbstoßung. Die Kraftfelderhängen ursächlich zusammenmit sich bewegenden Elektro-nen (Strömen) in den Baustei-nen der Materie, hier repräsen-tiert durch Metallatome mitungepaarten Elektronen. Dieatomaren Ströme sind mitMagnetfeldern verknüpft undbilden elementare Magnetna-deln, so genannte atomaremagnetische Dipole mit Nord-und Südpol.

Beim Arrangement der Di-pole in einem kristallinen Fest-körper sind im Wesentlichenzwei Situationen zu un-terscheiden: Die Elementar-magnete sind ungeordnet. Sieändern – weitgehend unab-hängig voneinander – laufendihre Richtung, und zwar mitsteigender Temperatur immerschneller. Diesen Zustandnennt man paramagnetisch.Davon zu unterscheiden ist dieSituation, bei der die Dipole –unterhalb einer kritischen Tem-peratur – geordnet sind. Amhäufigsten tritt der Fall auf,dass sie sich kompensieren,weil die eine Hälfte der Mo-mente in die eine Richtungzeigt, die andere Hälfte in diegenau entgegengesetzte. Die-se Materialien spielen in derPraxis keine Rolle. Um so wich-tiger ist jedoch eine Ordnung,bei der alle Dipole in dieselbeRichtung zeigen. Dies ist derFall bei einem Ferromagneten,um den herum sich wegen derParallelstellung der atomarenDipole ein Magnetfeld auf-baut, das verschiedenstenZwecken dienen kann.

Der Anwendungsbereichfür Ferromagnetika ist breitgefächert. Als Metalle, Legie-rungen oder Oxide kommensie in Elektromotoren und alsSpeichermedien, Schalter, Sen-soren und vielen anderen Ap-paraten zum Einsatz. Im Zugeder Miniaturisierung magneti-scher Stoffe bis in den Nano-bereich ist die Chemie und diepräzise magnetochemischeCharakterisierung gefordert. Zuden Zielen der Magnetoche-mie gehört die Synthese neuerVerbindungen und Materia-lien, deren magnetische Eigen-schaften mit weiteren für diespezielle Anwendung geeigne-ten Eigenschaften kombiniertsind. Als Beispiele seien Parti-kel genannt, deren Magnetis-mus optisch ein- und aus-schaltbar ist oder deren Hüllebiokompatibel ist, so dass siemedizinisch-therapeutischenZwecken dienen können.

In der magnetochemischenForschung ist die Optimierungentsprechender Kenngrößenein wichtiges Ziel. Auf derWunschliste stehen (1) atoma-re Dipole mit möglichst gro-ßem magnetischen Moment,die (2) in einer bestimmtenKristallrichtung – einer „leich-ten“ Richtung – möglichst festverankert und (3) untereinan-der stark parallel gekoppeltsind. Denn dann ist die Curie-Temperatur TC, bis zu der Fer-romagnetismus Bestand hatund noch nicht in den para-magnetischen Zustand über-geht, hoch. (1) und (2) bezie-hen sich auf die elektronischeSituation des Individuums, (3)betrifft den Kollektiveffekt.

Instrumente zur Syntheseplanung und Analyse magnetischer Materialien

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Modelleder Magnetochemie

Unter welchen Vorausset-zungen sind die individuellenund kooperativen Eigenschaf-ten optimal? Zur Beantwor-tung dieser Frage sind nichtnur elektrostatische Effektezwischen den Elektronen zuberücksichtigen – sie werdenvom Atomkern angezogen,gehen ihresgleichen jedoch ausdem Wege –, sondern auchzwei magnetische Beiträge, diesich auch noch gegenseitig be-einflussen. Einer rührt her vonder Bahnbewegung um denAtomkern, der andere vomSpin, einer Drehbewegung umdie eigene Achse. In dieseskomplexe Kräfteverhältnis ameinzelnen magnetischen Zen-trum greift nun massiv diechemische Umgebung, das Li-ganden-System, ein. Es be-steht aus Nichtmetallen wieStickstoff, Sauerstoff, Chloroder auch aus Metallen. VomLigandenfeld-Effekt betroffenist in erster Linie die Bahnbe-wegung der Elektronen, mitKonsequenzen für das magne-tische Verhalten des Individu-ums. Darüber hinaus fungierendie Liganden jedoch auch alsVermittler zwischen den Zen-tren: Sie veranlassen magneti-sche Ordnung, aber leider zuselten den für die Anwendungwichtigen Ferromagnetismus.Erst in Ansätzen bekannt sinddie chemischen, elektronischenund strukturellen Vorausset-zungen für die erforderlicheparallele Kopplung der magne-tischen Momente, trotz mehr-jähriger, breit angelegter syste-matischer Forschung.

Als wichtige Werkzeuge indiesem Gebiet erweisen sichComputerprogramme. Nur siesind in der Lage, die äußerstkomplizierten und miteinanderkonkurrierenden Effekte zu si-mulieren sowie deren Beiträgeaus gemessenen magnetischenDaten herauszulesen. TypischeEinsatzgebiete der im Institutfür Anorganische Chemie ent-wickelten Programme werdenim Folgenden vorgestellt.

Cs3CoCl5 besteht aus Cae-sium (Cs), Chlor (Cl) und mag-netisch aktivem Kobalt (Co),das von vier Cl-Teilchen inForm eines verzerrten Tetra-eders umgeben ist (Bild 1). Beisehr tiefer Temperatur (minus271 Grad Celsius) liegen diemagnetischen Momente allerKobalt-Zentren kollinear zu ei-ner ausgezeichneten Kristall-richtung, eine Situation, diebei Materialien zur Datenspei-cherung grundsätzlich günstigwäre. Leider erhalten die Di-pole bereits bei geringer Tem-peraturerhöhung soviel ther-mische Energie, dass sie ausdieser Richtung ausbrechen.Die Verankerung der Momen-

Bild 1: Cobalt, verzerrt tetra-edrisch umgeben von vier Chlor-Atomen.

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te ist in dieser Kobalt-Verbin-dung also extrem schwach.Was ist zu erwarten, wenn wir das Element durch seineschwereren chemischen Ver-wandten Rhodium (Rh) oderIridium (Ir) ersetzen? Unterder Voraussetzung, dass sichdie Atomanordnung nicht än-dert, zeigt die Rechnung mitdem für diese Zwecke entwi-ckelten Programm CONDON,dass die Momente jetzt fastsiebenmal (Rh) und sogarsechzigmal stärker (Ir) fixiertsein sollten. Erklären lassensich diese drastischen Ände-rungen durch die Kombinationzweier Trends in der Reihe Co ➝ Rh ➝ Ir: Die mit Bahn-bewegung und Spin der mag-netisch aktiven Elektronen ver-knüpften magnetischen Mo-mente sind zunehmend stärkeraneinander gekoppelt (zwei-beziehungsweise siebenfach),und der Einfluss der Ligandenverstärkt sich im Vergleich zurCo-Verbindung um den Faktor1.4 beziehungsweise 1.7. Ent-sprechende Trends lassen sichauch bei anderen verwandtenMetallen ableiten. Wir erhaltendamit Informationen, die fürdie Syntheseplanung im che-mischen Laboratorium sehrwertvoll sind.

Über Modellrechnungenzum magnetischen Verhaltenvon Metallpaaren erhält manAufschluss über Vertreter, diein ihrem magnetischen Verhal-ten sehr sensibel auf eine in-teratomare Kopplung der mag-netischen Momente reagieren.Für systematische Untersu-chungen bietet sich eine Fami-lie von 14 Elementen an, diesich chemisch sehr ähneln. Ge-meint sind die Lanthanoide,auch Seltene Erden genannt.Greift man das erste und fünf-te Lanthanoid heraus, so hatman mit Cer (Ce) und Sama-rium (Sm) zwei Mitglieder, diesich in der Zahl ungepaarterElektronen deutlich unterschei-den: eins beziehungsweisefünf. In Bild 2 ist die Tempera-turabhängigkeit des magneti-schen Momentes von entspre-chenden Metall-Paaren zu se-hen, und zwar jeweils für dieparallele (rot) und die antipa-rallele Ausrichtung (blau) derMomente. Die Referenzlinie(schwarz) zeigt den Verlauf fürdie ungekoppelten Metalle an.Bei Ce–Ce (Bild 2, links) machtsich wegen des einzelnen un-gepaarten Elektrons pro Zen-trum die Kopplung erst bei Ab-kühlung auf die sehr tiefe Tem-peratur von etwa 30 Kelvin(minus 243 Grad Celsius) deut-lich bemerkbar, bei Sm–Sm(Bild 2, rechts) mit seinen je-weils fünf ungepaarten Elek-tronen jedoch schon bei Raum-temperatur. Geht man vonMetallpaaren über auf höhereAggregate und schließlich aufdie dreidimensionale Verknüp-fung, bleibt der Trend beste-hen. Ist man auf der Suchenach Lanthanoid-Materialienmit starken kooperativen Ef-fekten (3), wird man daher Sa-marium ins Auge fassen undnicht Cer.

Bild 2a: Magnetisches Momentals Funktion der Temperatur ei-nes magnetisch (un)gekoppeltenPaares aus zwei Cer-Atomen,schwarz: ungekoppelt, rot: pa-rallel gekoppelt, grün: antiparal-lel gekoppelt.

Bild 2b: wie zuvor, jedoch fürzwei Samarium-Atome.

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In der aktuellen Magneto-chemie sind Verbindungen ausmehrkernigen Einheiten, sogenannte Cluster, von Interes-se. Man fordert von ihnen,dass sich die individuellen Di-pole im Cluster parallel aus-richten und dass auch dieKopplung der Dipole zwischenden Clustern ferromagneti-scher Natur ist. Gesucht wer-den Substanzen, in denen sichnicht nur nächste, sondernauch übernächste und entfern-tere Dipole parallel zueinanderausrichten. Leider gibt es bis-her zu wenige Beispiele, diediese Bedingung erfüllen.Meistens beobachtet man zwi-schen Clustern eine antiparal-lele Ausrichtung. Der Dipol ei-nes einzelnen magnetisch akti-ven Zentrums spürt damitkonkurrierende richtende Kräf-te. Im Zuge einer schrittweisenOptimierung der Synthese istdie laufende Kontrolle dermagnetischen Eigenschaftenunerlässlich. Eines unsererwertvollsten Instrumente istein Computerprogramm (HTSEpackage; HTSE steht für High-Temperature Series Expansion),das aus präzisen magnetischenDaten bei Kenntnis der Struk-tur die Stärke von Kopplungenzwischen nächsten, übernäch-sten und weiteren magnetischaktiven Nachbarn herauslesenkann.

Das HTSE package analy-siert die kooperativen magne-tischen Effekte in einer Legie-rung aus dem Lanthanoid Eu-ropium (Eu; sieben ungepaarteElektronen) und Magnesium(magnetisch passiv). In derPhase existieren Eu3-Cluster inForm gleichseitiger Dreiecke(Bild 3). Jedes Eu-Atom hatnächste Nachbarn im Clustersowie übernächste und dritt-nächste Nachbarn aus benach-barten Clustern. Die Rechnungergibt, dass eine relativ starkeparallele Kopplung der Mo-mente im Cluster existiert unddass beide Kopplungen zwi-schen den Clustern deutlichschwächer und außerdem anti-parallel sind. Ersetzt man Mag-nesium teilweise durch dasMetall Lithium (und erniedrigtdamit die Leitungselektronen-konzentration), geht die anti-parallele Kopplung zwischenden Clustern in eine paralleleKopplung über, so dass Ferro-magnetismus resultiert.

Ein weiterer Musterfall istChromtribromid CrBr3 mitmagnetisch aktivem Metallaufgrund dreier ungepaarterElektronen. Die Metallzentrensind schichtweise wie Bienen-waben angeordnet (Bild 4).Die Verbindung wird ferromag-netisch unterhalb von 32.5Kelvin (etwa minus 240.5Grad Celsius). Es zeigt sich,dass die stärkste Kopplung inden Schichten zwischen dennächsten Nachbarn ferromag-netischer Natur und zwischenden übernächsten Nachbarneiner Schicht antiparalleler Na-tur ist, während die Kopplungvon einer Schicht zur nächstenwieder parallel erfolgt. Dies istmit dem beobachteten Ferro-magnetismus im Einklang. Zu-künftig wird dieses Programmbei molekular-magnetischenSystemen eine Zuordnung dermagnetischen Kopplungen vor-nehmen und damit die Synthe-sen zielgerichtet vorantreiben.●

Bild 3: Europium-Cluster in ei-ner intermetallischen Phase mitMagnesium.

Bild 4: Anordnung der Chrom-und Brom-Atome in Chromtri-bromid.

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Arne Lüchow

Quanteneffekte inDie Nullpunktsbewegung der Atome und ihr Einfluss auf Wasserstoffbrücken

or 99 Jahren veröffent-lichte Albert Einstein ei-nen Artikel zum Photo-

effekt. Es war einer von dreiherausragenden Artikeln, dieEinstein im Jahre 1905 veröf-fentlichte, und die seinen Ruhmbegründeten. Die beiden an-deren Artikel entwickelten diespezielle Relativitätstheorie be-ziehungsweise erklärten dieBrownsche Molekularbewe-gung. Interessanterweise er-hielt Einstein den Physik-No-belpreis nicht für die Entwik-klung der speziellen Relativi-tätstheorie, sondern für dieerstgenannte Arbeit. Photo-effekt wird die Beobachtunggenannt, dass es möglich ist,mit Licht bestimmter FrequenzElektronen aus zum BeispielMetallen herauszuschlagen.Einsteins Erklärung aus demJahre 1905 ist auch heutenoch gültig. Danach hat Lichtnicht nur Wellencharakter, wiewir es bei der Lichtbrechungbeobachten können, sondernauch Teilchencharakter. DieseLichtteilchen, Photonen oderLichtquanten genannt, könnenElektronen aus Metallen undanderen Stoffen herausschla-gen, wenn sie genügend Ener-gie haben.

Umgekehrt haben aberauch die Elektronen nicht nurTeilchencharakter, sondern ver-halten sich wie Wellen. ImElektronenmikroskop wird einElektronenstrahl wie ein Licht-strahl im Lichtmikroskop ge-beugt und fokussiert. Mankann daher nicht von Elektro-nenbahnen im Atom oderMolekül reden, sondern manspricht von der Elektronenwol-ke, die die Atomkerne umgibt.Je dichter die Elektronenwolkeumso größer ist die Wahr-scheinlichkeit, bei einer Mes-sung an dieser Stelle ein Elek-tron anzutreffen. Die Gesetzeder Quantenmechanik besa-gen nun sogar, dass es garnicht möglich ist, die Bahn ei-nes Elektrons zu verfolgen,auch nicht mit einer perfektenMessapparatur in der Zukunft.

Es ist eine faszinierendeWelt, in der Elektronen Welleund zugleich Teilchen sind, inder sie da sind und zugleichnicht da sind. Vielleicht er-scheint es nicht recht glaub-haft, dass Elektronen wirklichso sind. Man könnte meinen,vielleicht hätten die Physikernur noch nicht die „richtigen“Gesetze gefunden. Einsteinselbst konnte sich mit dieserBeschreibung nicht abfinden(„Gott würfelt nicht“). Er hatnach einer anderen Beschrei-bung der experimentellen Be-funde über Elektronen undAtome gesucht, die ohneWahrscheinlichkeiten aus-kommt. Aber weder Einsteinnoch einem anderen Physikerist es bis heute gelungen, an-dere Gesetze oder eine andereDeutung zu finden, die inÜbereinstimmung mit den Ex-perimenten ist.

Lässt man sich auf diequantenmechanische Beschrei-bung ein, so hat man Glei-chungen, deren Lösungen dieElektronenwolken ergeben,aber auch die Energiezuständevon Atomen und Molekülen.Man kann im Prinzip die Struk-turen von Molekülen und Kri-stallen berechnen und derenmechanische und elektrischeEigenschaften. Paul A. M.Dirac, einer der Väter derQuantenmechanik, beschriebdie Bedeutung der quanten-

mechanischen Gleichungen für die Chemie sinngemäß wiefolgt: Der mathematische For-malismus zur vollständigen Be-schreibung aller chemischenProzesse sei nun (Ende der1920er Jahre) bekannt. DieLösung der quantenmechani-schen Gleichungen für prakti-sche chemische Probleme seiaber viel zu komplex.

Dirac konnte die rasanteEntwicklung der Computernicht vorausahnen, ohne diedie Quantenchemie nicht dieBedeutung hätte, die sie inden letzten Dekaden für dieChemie erreicht hat. UnsereArbeitsgruppe im Institut fürPhysikalische Chemie ist einevon zahlreichen Arbeitsgrup-pen auf der ganzen Welt, diesich mit der Entwicklung vonVerfahren und von Program-men zur Quantenchemie be-fasst. An anderen Stellen indiesem Heft sind beeindru-ckende Beispiele für die Ergeb-nisse, die mit Hilfe des Com-puters für die Chemie erzieltwerden konnten.

Nach der Quantentheorieist die Energie ohne Tempera-turbeiträge, also am absolutenNullpunkt bei minus 273 GradCelsius, die Summe aus Bewe-gungsenergie und Wechselwir-kungsenergie. Die Bewegungs-energie ohne Temperatur un-terscheidet die Quantentheorievon der „klassischen“ Theorie.Diese Bewegungsenergie fürdie Atome wird Nullpunkts-energie genannt. Sie drücktaus, dass die Atome wie dieElektronen durch Aufenthalts-wahrscheinlichkeiten unddurch eine „Atomwolke“ be-schrieben werden sollten. Inunserer Arbeitsgruppe habenwir Rechnungen zur Null-punktsbewegung und Null-punktsenergie mit Wassermo-lekülen durchgeführt, die hierkurz vorgestellt werden sollen.

In Bild 1 kann man ein Phe-nolmolekül erkennen, an dasein Wassermolekül H2O ge-bunden ist. Die Bindung zwi-schen den beiden Molekülennennt man Wasserstoffbrü-ckenbindung, da ein weißesWasserstoffatom eine Art Brü-cke zum Sauerstoffatom desWassermoleküls bildet. Es istdiese Wasserstoffbrückenbin-dung in Bild 1, die Wasser beiRaumtemperatur flüssig macht,die aber auch die DNA-Strän-ge zusammenhält und die Pro-teine in ihrer biologisch akti-ven Form hält. Berechnet mannun die Quanteneffekte aufdie Atome des Wassermole-küls, erhält man das in Bild 1unten gezeigte Ergebnis. InRot ist die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit des Sauerstoffa-toms O zu erkennen und inWeiß die des Wasserstoff-atoms H. Man erkennt deut-lich, dass sich die Aufenthalts-bereiche der beiden Wasser-stoffatome überlappen. Das„obere“ Atom ist zum Teilauch „unten“ und umgekehrt,so dass die beiden Wasserstoff-atome nicht mehr unterschie-den werden können. Ebensowie man sich Elektronen in Mo-lekülen als Elektronenwolkenvorstellen kann, sollte mansich auch die Atome als Atom-wolken vorstellen. Übrigens istim Bild die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit der Atomkernegezeigt, und man kann sichum die Kerne herum jeweilsnoch die Elektronenwolke den-ken.

Der Quanteneffekt auf dieAtomkerne ist für die Wasser-stoffbrückenbindung beson-ders ausgeprägt, denn er istumso stärker, je leichter dasAtom und je schwächer dasAtom gebunden ist. Die ge-zeigte Nullpunktsbewegungschwächt die Bindung zwi-schen den Molekülen um 20bis 30 Prozent. Damit ver-dampft Wasser leichter undgefriert nicht so leicht und der„Reißverschluss“ in der DNAöffnet sich leichter (das ist einentscheidender Schritt der Zell-teilung). Erleichtert durch die-sen Effekt wird aber auch dieÄnderung der Proteinstruktur.Krankheiten wie Alzheimer

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Molekülstrukturen

Bild 1: Wasserstoffbrückenbin-dung zwischen einem Molekülund Wasser H2O, mit weißenWasserstoffatomen und rotenSauerstoffatomen (oben). Atom-wolken für die Atome des Was-sers (unten).

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und BSE werden mit einer sol-chen Änderung der Protein-struktur in Verbindung ge-bracht.

Wenn nun unter Berück-sichtigung der Nullpunktsbe-wegung weitere Wassermole-küle an die gezeigte Strukturangelagert werden, erhält manso genannte Molekülcluster, inder wenige Moleküle mitein-ander verknüpft sind. Mit Hilfevon Computerprogrammen,die in unserer Abteilung entwi-ckelt werden, sucht man nachden stabilsten Anordnungender Wassermoleküle. Zwei dervielen berechneten Strukturensind in Bild 2 gezeigt. Sie un-terscheiden sich vor allem da-durch, dass die obere Struktureinen freien Kohlenstoffringenthält, während in unterenStruktur der Kohlenstoffringmit in das Wassergerüst einge-bunden ist. Die Stärke der Bin-dung des Kohlenstoffrings zuden Wassermolekülen be-stimmt, inwieweit das Molekülim Wasser aufgenommen, alsogelöst wird. Wieder ist hier eindeutlicher Einfluss der Null-punktsbewegung auf die Stär-ke dieser Bindung zu beobach-ten. Aufgrund der Nullpunkts-bewegung werden bevorzugtetwas lockerere Strukturen ge-bildet.

Die Bestimmung dieser undähnlicher Strukturen ist garnicht so einfach. Je mehr Was-sermoleküle hinzukommen,umso mehr Möglichkeiten gibtist, die Moleküle zu verbinden.Schon bei zehn Molekülenkann man nicht mehr alleMöglichkeiten einfach durch-probieren. In der Praxis hatman zwei Möglichkeiten. Zumeinen kann man die Strukturbei hoher Temperatur simulie-ren, wobei die Bindungen zwi-schen den Wassermolekülenständig gebrochen und wiederneu gebildet werden. Dannkühlt man die Struktur sehrlangsam in der Simulation ab,bis keine Bindungen mehr ge-brochen werden. Das kontrol-lierte langsame Abkühlen(Tempern) wird technisch be-nutzt, um besonders stabileMetall- oder Kristallstrukturenzu erzeugen. Man nennt dasSimulationsverfahren daher

Bild 2: Kleinste Wasserteilchenmit einem Fremdmolekül. ZweiStrukturen mit sechs (oben)bzw. sieben (unten) Wassermo-lekülen.

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auch simuliertes Tempern. Diezweite Möglichkeit zur Struk-turoptimierung nutzt geneti-sche Algorithmen. Genau wieim ersten Verfahren, und ge-nau wie in vielen anderen mo-dernen naturwissenschaftli-chen Prozessen, ist ein natür-licher Vorgang Vorbild gewe-sen, hier die Evolution, diedurch Mutationen und Mi-schung des Erbguts durch ge-schlechtliche Fortpflanzungoptimale Anpassung an dieUmgebung erreicht. In geneti-schen Algorithmen wird dieserProzess simuliert, indem dieStrukturen zufälligen Änderun-gen wie bei der geschlechtli-chen Fortpflanzung unterwor-fen werden. Die hier diskutier-ten Rechnungen sind beson-ders für Parallel-Computer ge-eignet. Wir benutzen einenbesonders preisgünstigen aberleistungsfähigen PC-Cluster imEigenbau aus Standardcompu-tern mit je zwei Prozessorenund dem Betriebssystem Linux.Ein Ausschnitt ist in Bild 3 zusehen.

Neunundneunzig Jahrenachdem Einstein den photo-elektrischen Effekt als Quan-teneffekt erklärt hat, sind wirin der Lage, Quanteneffekteder Elektronenzustände undder leichten Atome, wie hiergezeigt, zu berechnen. Wir er-kennen, dass Quanteneffektekeine obskuren Effekte sind,die man ignorieren kann.Quanteneffekte betreffen zwarvor allem die mikroskopischeWelt, aber ihr Einfluss reichtbis zur Funktionsweise vonTransistoren und Computer-chips, bis zu DNA und Eiweiß-struktur. ●

Mitarbeiter des Lehr- und For-schungsgebiets PhysikalischeChemie bauen und konfigurie-ren den Linux-PC-Cluster fürquantenchemische Berechnun-gen von Strukturen und Reakti-vitäten von Molekülen und Mo-lekülkomplexen.Foto: Peter Winandy

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Ordnung inmorphe kovalente Ma-terialien sind bedeuten-de Werkstoffe in weiten

Bereichen unseres täglichen Le-bens, sowohl im Haushalt alsauch in technischen Anwen-dungen. Neben den uns um-gebenden Gläsern, die im we-sentlichen auf Siliciumdioxid(SiO2) basieren, finden wiramorphe Materialien auch invielen integrierten Schaltkrei-sen der Elektronik, so zum Bei-spiel in TFT-Bildschirmen alsSchutzschicht oder als Dielek-trikum der Transistoren. Diezunehmende Integration derSchaltkreise, also die sich ver-stärkende Miniaturisierung,fördert in steigendem Maßeden Ersatz von Siliciumdioxid(SiO2) durch Siliciumnitrid(Si3N4). Daher wird in diesenAnwendungen insbesondereamorphes Siliciumnitrid, unterUmständen mit reichlich Sau-erstoff und Wasserstoff in deramorphen Phase, verwendet.Eine herausragende Rolle spie-len amorphe Phasen auch inder immer mehr Bedeutunggewinnenden Nanotechnolo-gie, insbesondere für nanoska-lierte Festkörper. Bei immerkleineren Abmessungen derkristallinen Bereiche dominie-ren mit einem Male die Grenz-schichten zwischen den Kristal-liten viele Eigenschaften einesWerkstoffes. Diese Grenz-schichten sind nicht kristallin –eben amorph. Die Kenntnisder Struktur amorpher Materi-alien und deren Eigenschaftenverhilft daher zu einem ver-besserten Verständnis zur Ent-wicklung und Anwendungneuer Werkstoffe.

Die Struktur solcher amor-phen kovalenten Materialienlässt sich recht elegant durchungeordnete Netzwerke be-

schreiben. Dieser Ansatz ba-siert auf Ideen von Zachariasenaus dem Jahr 1935, der als er-ster ein Modell der lokalenStruktur in Quarzglas, amor-phes SiO2, beschrieben hat:Besitzt die Kristallstruktur des�-Quarz eine geregelte undsich periodisch wiederholende(translationsinvariante) Anord-nung eckenverknüpfter {Si}O4-Tetraeder, so sind diese inQuarzglas ungeordnet mitein-ander verknüpft (Bild1). Daherist auch im Glas ein {Si}O4-Te-traeder der Grundbaustein derStruktur. Auch im Glas sindverschiedene Tetraeder übereine gemeinsame Ecke, das O-

Atom, miteinander verbunden,jedoch unregelmäßig und inimmer neuer nichtperiodischerForm. Folglich ist die lokaleUmgebung, die erste Koordi-nationssphäre, von Si- und O-Atomen sowohl im Glas alsauch im Kristall gleich – esherrscht dieselbe strenge che-mische Ordnung in beidenModifikationen von SiO2. Dieamorphe Phase zeichnet sichdann aber durch ihre Unord-nung jenseits der ersten Koor-dinationssphäre aus. Darge-stellt durch ein Netzwerk, dasaus den Atomen und den Bin-dungen zwischen ihnen be-steht, ergibt sich ein chemischperfekt geordnetes, darüberhinaus und insbesondere in derFerne jedoch ungeordnetesNetzwerk als elegantes Bild derStruktur der amorphen Phase.

Die Modellierung deramorphen Struktur erscheintzunächst einfach. Schließlichist es leichter, die Bausteineirgendwie ungeordnet anein-ander zu setzen, als sich aufexakte Wiederholung immergleicher Strukturelemente zukonzentrieren. Doch stößt die-ses einfache Prinzip schnell anseine Grenzen, wenn es gilt,eine Struktur auch im Compu-ter handhabbar und berechen-bar zu machen. Damit wir einModell und seine Eigenschaf-

ten noch mit sehr verläßlichenquantenchemischen Methodenbei vertretbarem Aufwand be-rechnen können, sollte es nichtmehr als 100 bis 400 Atomeenthalten und sich gut in eineSimulationszelle mit zwar perio-dichen Randbedingungen abereiner Periodizität von größerals einem Nanometer einfügen.

Mitte der 80er Jahre wurdehierfür zunächst eine Methodeentwickelt, welche eine Com-putermodellierung der unge-ordneten Netzwerkstruktur vonamorphem Silicium ermöglicht.Unser Ziel, Netzwerke mit per-fekter chemischer Ordnung zugenerieren, lässt sich hiermitjedoch nicht erreichen. So kannein Modell von amorphem Sili-cium durchaus ungeradzahligeRinge (zum Beispiel fünf odersieben Si-Atome in einem Ring)aufweisen. Da alle möglichenBindungen zwischen den Ato-men von gleicher Natur sind,eben Si-Si-Bindungen, bedarfes keiner weiteren Spezifizie-rung. Ganz im Gegensatz dazudarf ein SiO2- oder Si3N4-Netz-werk allein geradzahlige Ringeenthalten. Die strenge chemi-sche Ordnung erlaubt hier aus-schließlich Si-O- oder Si-N-Bindungen – und bei Ringenmit einer ungeraden Anzahlvon Atomen würde es zwangs-läufig zu Si-Si- und O-O- oder

Peter Kroll

Bild 1: Zachariasens Idee derStruktur von Quarzglas: Auf derlinken Seite die ideale geordne-te Struktur von �-Quarz mitden ecken-verknüpften Tetrae-dern. In der Mitte die Strukturdes Glases. Dieselben Grund-bausteine werden in unregelmä-ßiger Anordnung miteinanderverknüpft. Auf der rechten Seitenoch einmal die Struktur desGlases, jedoch als Netzwerk be-stehend aus Atomen und denBindungen zwischen ihnen. Manerkennt die perfekte chemischeOrdnung, da nur Bindungenzwischen blauen (Si) und roten(O) Atomen vorkommen.

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der UnordnungWie man amorphe kovalente Phasen durch Netzwerke modelliert

N-N-Bindungen kommen. Sohaben wir dann seit 1997 ba-sierend auf dem bekanntenVerfahren eine neue Methodeentwickelt, die eine Realisie-rung perfekter chemischer Ord-nung in einer ansonsten unge-ordneten Struktur erlaubt. Seitdieser Zeit beschäftigen wiruns insbesondere mit amor-phen Materialien, welche dieElemente Si und N enthalten.

Der von uns entwickelteNetzwerkalgorithmus kannnun streng alternierende (nurgeradzahlige Ringe) Netzwer-ke erzeugen, wie dies für eineModellierung amorpher Struk-turen von Si3N4 (nur Si-N-Bin-dungen), Si3B3N7 (Si-N & B-N),SiNO-Phasen (Si-N & Si-O)oder SiCO-Phasen (Si-C & Si-O) notwendig ist. Es ist aberauch möglich, aus mehrerenElementen bestehende Netz-werke zu generieren, in denennur bestimmte Bindungen vor-handen sein dürfen, andere je-doch nicht. Beispiele hierfürsind SiNH-Phasen (Si-N & N-H, aber ohne Si-H) oder SiCN-Phasen (Si-N, Si-C, C-C & C-N, aber ohne Si-Si und N-N).Unter Verwendung empiri-scher und sehr schnell bere-chenbarer Potenziale wird diehochkomplexe Energieland-schaft der Netzwerkstrukturenerforscht. Am Ende der Mo-dellierung ergibt sich ein loka-ler Grundzustand, den wir alsReferenzzustand des amor-phen Netzwerkes auffassen. Erstellt die Realisierung einer Hy-pothese dar, einer wohldefi-nierten Vorstellung der amor-phen Struktur.

Eigenschaften einer solchenStruktur, zum Beispiel chemi-sche Stabilität, freie interneEnergie gegenüber einem kris-tallinen Referenzzustand, elas-

tisches Verhalten, Schwin-gungsfrequenzen und elektro-nische Zustände, werden unterAnwendung quantenchemi-scher Methoden für sehr gro-ße Modellstrukturen (100 bis400 Atome) berechnet. Ausdem Vergleich mit experimen-tellen Messdaten ergibt sichnun ein vertieftes Verständnisdes amorphen Zustandes. Dievon uns verfolgte Kombinationvon empirischer Netzwerkme-thode und quantenchemischenRechnungen hat sich als höchst

effektiv erwiesen und ist ande-ren Ansätzen, zum Beispiel demAbschrecken einer (eventuellnur hypothetischen) Schmelze,nicht zuletzt des geringerenzeitlichen Aufwandes wegenweit überlegen.

Wir haben eine Vielzahlvon Modellen von amorphemSi3N4 mit 112 und 224 Ato-men untersucht. Dazu gehörenauch extensive „ab initio“ Mo-lekulardynamiksimulationen(bis zu 50 Picosekunden) bei800, 1600, 2000 Grad Celsius

und darüber, die zeigen sollen,wann und in welchen Prozes-sen die strenge chemischeOrdnung zusammenbricht.Gegenwärtig simulieren wirauf Europas größtem Super-computer ein Modell mit 448Atomen, um durch das Skalie-ren zu größeren Abmessungenmögliche Randeffekte unsererTechnik zu erkennen (Bild 2).

In Modellen von amor-phem Si3B3N7 testen wir dieHypothese einer zufälligen un-geordneten Netzwerkstruktur.

Bild 2: Ein Modell der Strukturvon amorphem Si3N4 bestehendaus 448 Atomen (196 Si und256 N), komplett optimiert mitquantenchemischen Methodenund berechnet auf Europas größ-tem Superrechner in Jülich.

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Interessanterweise finden wireine Ordnungsbildung zweiterArt: die homogene Si3B3N7Struktur separiert in lokalSi3N4-reiche sowie BN-reicheBereiche. Während dies eineexperimentelle Beobachtungweitgehend bestätigt, könnenwir jetzt angeben, wo genausich die BN-Bereiche in derStruktur befinden: an den in-neren Oberflächen der mit ei-ner Dichte von 2.0 g/cm3 sehroffenen Strukturen (Bild 3).Darüber hinaus wissen wir nun auch, dass dieser Prozesswegen der Verringerung derOberflächenenergie durch �-Stabilisierung und der darausresultierenden Reduzierung derinneren Spannungen auftritt.

Die Modellierung vonamorphen SiCO- und SiNO-Netzwerkstrukturen hat zuletztein faszinierendes Phänomenans Licht gebracht, aus demKonsequenzen für mehrere Ei-genschaften dieser Materialienresultieren. Das ideale SiO2-Netzwerk zeigt bei zunehmen-der Dotierung mit C oder N ei-nen Schwellwert, an dem Si-C-oder Si-N-Bindungen zum er-sten Mal kontinuierliche Pfadein der Struktur bilden. An die-ser Perkolationsschwelle zei-gen die Rechnungen – entge-gen der Erwartung – sehrdeutlich ein „Erweichen“ derStruktur: sie wird bei einer be-stimmten Zusammensetzungmit einem Mal leichter kompri-mierbar (Bild 4). Im Falle deramorphem SiCO-Phasen istdies auch mit einer Rehybridi-sierung des Kohlenstoffs vonsp3 nach sp2 und dem Auftre-ten von C-C-Bindungen ver-bunden, was sich sehr gut mitexperimentellen Ergebnissen

Bild 3: Darstellung der Segrega-tion Bornitrid (BN)-reicher Re-gionen in amorphem Si3B3N7.Auf der linken Seite die offen-porige Modellstruktur. Auf derrechten Seite die auftretendenBN-Strukturfragmente; typischsind die verknüpften Borazin(B3N3)-Ringe.

Ordnung in

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in Einklang bringen lässt. Dasamorphe SiNO-Netzwerkbleibt jedoch weit über diePerkolationsschwelle hinwegchemisch stabil und perfektgeordnet. Hier ist der Effekttatsächlich intrinsisch und oh-ne strukturelle Konsequenzen.

Weitere Themen, die wirgegenwärtig untersuchen,sind die Haftung amorpherHartstoffschichten auf Metal-len oder die Modulierung derStruktur und der Eigenschaftenvon Gläsern durch eingefügteMetalle. In mehreren der vor-gestellten ambitionierten Pro-jekte betreten wir mit unsererMethode Neuland – dort sindunsere Computersimulationdie einzigen experimentellenUntersuchungen, die gegen-wärtig durchgeführt werden.Dank zweier unerlässlicherRandbedingungen, der entwi-ckelten und stets optimiertenMethoden und der zunehmen-den Rechnerkapazitäten, ge-winnt die Computersimulationmehr und mehr an Verlässlich-keit und ist daher geeignet,Licht ins Dunkel oder ebenOrdnung in die Unordnungdes Unbekannten zu bringen.●

Bild 4: Unerwartete Verände-rungen der Eigenschaften vonC- und N-dotierten SiO2-Glä-sern. Nimmt mit zunehmendemGehalt von SiC (oder Si3N4) derBulkmodul (Kehrwert der Kom-pressibilität) erwartungsgemäßzu, so existiert ein Bereich, indem das Netzwerk trotz weiterzunehmender Dotierung er-weicht.

der Unordnung

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Manfred Martin

Kinetische Monte Carlovon

estkörperreaktionen sindchemische Reaktionen,bei denen zumindest einer

der Reaktionspartner sowiedas Reaktionsprodukt im festenZustand vorliegen. Ein wichti-ges Beispiel ist die Metalloxi-dation, bei der ein festes Me-tall mit gasförmigem Sauer-stoff zu einem festen Metallo-xid reagiert, beispielsweise Co(fest) + ½O2 (gasförmig) ↔CoO (fest). Zwischen dieserFestkörperreaktion und einerGasphasenreaktion, zum Bei-spiel der Oxidation von Koh-lenmonoxid zu Kohlendioxid,CO (g) + ½O2 (g) ↔ CO2(g),gibt es zwei wesentliche Unter-schiede. Bei der Gasphasenre-aktion behindert das Produkt,in diesem Fall CO2 (g), denweiteren Reaktionsablauf nichtund die Reaktion läuft räum-lich homogen ab. Dies istgrundsätzlich anders bei derFestkörperreaktion. Hier trenntdas feste Produkt, in unseremBeispiel CoO (f), die Reaktan-den räumlich voneinander. AlsFolge kann die heterogeneFestkörperreaktion nur dannfortschreiten, wenn zumindesteiner der Reaktanden (als Ion)durch das feste Produkt hin-durch diffundieren kann. Dieeigentliche chemische Reak-tion ist dann eine heterogeneReaktion, die an den beidenPhasengrenzen zwischen demProdukt und den Reaktandenstattfindet. Bei vielen techni-schen Anwendung von Fest-körpern, so in Funktionskera-miken, Brennstoffzellen, elek-tronischen Bauelementen, wer-den unterschiedliche Festkör-per in Kontakt gebracht undzusätzlich äußeren Feldern(elektrische und chemische Po-tenzialgradienten) ausgesetzt,die eine mögliche Festkörper-reaktion und die Morphologieder Phasengrenzen wesentlichbeeinflussen können.

In diesem Beitrag soll dieMorphologie der Phasengren-ze, an der die eigentliche che-mische Reaktion bei einer Fest-körperreaktion stattfindet, imDetail betrachtet werden. DerFortgang der Reaktion wirdwesentlich durch die Morpho-logie der Phasengrenze be-stimmt, da diese – formal ge-

sehen – die Randbedingungenfür das Transportproblem fest-legt. Eindimensionale Diffusionmit ebener Phasengrenze isteher ein Spezialfall, da sich oftdurch morphologische Instabi-litäten nicht-ebene Phasen-grenzen mit kompliziertenStrukturen ergeben. Diesekönnen grob als zellulär, fin-gerförmig, dendritisch oderfraktal klassifiziert werden. Diemorphologische Stabilität vonGrenzflächen gehört zu denfaszinierenden Selbstorganisa-tions- oder Musterbildungs-prozessen in der Natur, bei de-nen ein durch äußere Kräftegetriebenes Nicht-Gleichge-wichtssystem neue Strukturenausbildet. Als allgemein be-kanntes Beispiel sind Dendritenbeim Wachstum von Schnee-flocken zu nennen, aber auchdie Bénard-Instabilität oderZeit-Raum-Strukturen bei derBildung von Liesegang-Ringengehören dazu. In all diesenscheinbar so unterschiedlichenSystemen entstehen als Resul-tat veränderter externer Kon-trollparameter aus stationärenStrukturen durch Instabilitätenneue Strukturen.

Vor der Behandlung der ki-netischen Monte Carlo Simula-tion wollen wir ein einfachesModellexperiment betrachten,das exemplarisch die morpho-logische Entwicklung einerfest/fest Phasengrenze in ei-nem externen Feld zeigt. Dazubringt man zwei Einkristalleaus Silberchlorid (AgCl) undKupferchlorid (CuCl) in Kon-takt und versieht das Diffu-sionspaar mit Silberelektroden,Ag/AgCl/CuCl/Ag. Da beideKristalle praktisch reine Katio-nenleiter sind, werden beimAnlegen einer Spannung (wo-bei die linke Ag-Elektrode alsAnode geschaltet wird) Silber-ionen (Ag+) durch das externeelektrische Feld von der Ag-Anode durch das Silberchloridzur Phasengrenze AgCl/CuClgetrieben, wo die folgendeAustauschreaktion stattfindet:

Ag+(AgCl)+ CuCl ➞ AgCl +Cu+(CuCl)

Diese Festkörperreaktionermöglicht den weiteren La-

dungstransport – nun überCu+-Ionen – und bewirkt,dass AgCl auf Kosten vonCuCl wächst. Wie das Experi-ment zeigt (Bild 1), ist diesesWachstum morphologisch in-stabil, die ursprünglich ebenePhasengrenze AgCl/CuCl bil-det bei ihrer Bewegung finger-förmige Strukturen mit typi-schen Dimensionen von cirka50 Mikrometer aus. Werdendagegen AgCl und CuCl ver-tauscht (dies entspricht einerUmpolung der ersten Zelle), so bleibt die Phasengrenze

CuCl/AgCl bei ihrer Bewegungeben, ist also morphologischstabil (Bild 1).

Es gibt mehrere theoreti-sche Methoden, um die mor-phologische Stabilität einer be-wegten Phasengrenze bei ei-ner Festkörperreaktion zu be-rechnen und damit vorhersa-gen zu können. Bei der linea-ren Stabilitätsanalyse wird dieStabilität einer vorgegebenenMorphologie der Phasengren-ze gegenüber kleinen Störun-gen geprüft, indem die ent-sprechenden partiellen Diffe-rentialgleichungen analytischgelöst werden. Die lineare Sta-bilitätsanalyse erlaubt vorher-zusagen, ob die Phasengrenzegegen infinitesimale Störungenstabil oder instabil ist, sie kannaber nicht die experimentellgefundenen komplexen Mor-phologien erklären. Dies kannerst durch eine aufwändigenumerische Lösung der partiel-len Differentialgleichungen mitbewegten Rändern geleistetwerden.

Bild 1: Querschnitt durch einDiffusionspaar CuCl/AgCl/CuClmit morphologisch instabilerPhasengrenze AgCl/CuCl (rechts)und morphologisch stabiler Pha-sengrenze CuCl/AgCl (links).Beide Phasengrenzen bewegensich nach rechts. Das Experi-ment wurde bei 290°C für 42 hin einem elektrischen Feld von100 Vcm-1 durchgeführt (links:Kathode, rechts: Anode).

Morphologische Instabilität von Phasengrenzen und Musterbildung

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Simulationen Festkörperreaktionen

Neben den eben beschrie-benen Kontinuumsmethodenstellt die kinetische MonteCarlo Simulation eine weiteretheoretische Methode zumStudium der Stabilität undMorphologie einer bewegtenPhasengrenze dar. Wie der Na-me „Monte Carlo“ nahe legt,werden Zufallszahlen (Wür-feln) verwendet, um reale Pro-zesse mit Hilfe eines Compu-ters zu simulieren. Um welcheZufallsprozesse handelt es sichdabei?

In einem perfekten, kris-tallinen Festkörper sind Diffu-sionsvorgänge, die bei der ein-gangs beschriebenen Festkör-perreaktion ablaufen müssen,nicht möglich. Diese erforderndie Existenz von Gitterbaufeh-lern oder Defekten. Im ein-fachsten Fall entsprechen dieDefekte leeren Gitterplätzen(Leerstellen, siehe Bild 2).Durch einen thermisch akti-vierten Sprung in eine benach-barte Leerstelle – nach einemPlatzwechsel mit dieser – kannsich ein Ion des Festkörpersdurch den Kristall bewegen.Die Leerstellen sind also dieVehikel, mit Hilfe derer sich dieIonen bewegen können, undmit zunehmender Zahl vonLeerstellen steigt die Beweg-lichkeit der Ionen. Der Anteilder Leerstellen ist im allgemei-nen sehr klein (0.1 Prozentoder kleiner), hängt stark vonder Temperatur ab und lässtsich durch Dotierung steuern.In einem reinen Kristall führenLeerstellen eine reine Zufalls-bewegung aus. So ist in einemeinfachen kubischen Gitter dieWahrscheinlichkeit für denSprung einer Leerstelle zu je-dem der sechs Nachbarplätzegleich groß und damit gleichein Sechstel. Dies entsprichtder Wahrscheinlichkeit, beimWürfeln (mit einem ungezink-ten Würfel) eine der sechsmöglichen Zahlen von eins bissechs zu erhalten. So wie beimWürfeln keine Abhängigkeitzwischen den Ergebnissenzweier aufeinander folgenderWürfe besteht, so besteht ineinem reinen Kristall keinerleiKorrelation zwischen zwei auf-einander folgenden Sprüngen

einer Leerstelle. Damit bietetsich die kinetische Monte Car-lo Simulation als ideale Metho-de zur Computersimulationatomarer Diffusionsvorgängean.

Zur Vereinfachung betrach-ten wir in der Simulation deseingangs beschriebenen Expe-rimentes ein zweidimensiona-les Modell für die Kristalle AXund BX (A, B = Kationen; X =Anion). Wir nehmen an, dassbeide Kristalle identische, kubi-sche Kristallstrukturen aufwei-sen (siehe schematische Dar-stellung in Bild 3) und vor Be-ginn der Festkörperreaktion ei-ne atomar glatte, kohärentePhasengrenze ausbilden. Dadas Anionenteilgitter (nahezu)perfekt ist, betrachten wir esim Folgenden nicht weiter. Die

Wechselwirkungsenergie einesKations mit anderen Kationenist gegeben durch die lang-reichweitige, elektrostatischeEnergie und die kurzreichwei-tige Wechselwirkungsenergie(zur Vereinfachung beschrän-ken wir letztere auf die viernächsten Nachbarn). Springtein Kation in eine benachbarteKationenleerstelle, so muss dieso genannte Aktivierungsener-gie aufgebracht werden, dieim Wesentlichen zwei Ursa-chen hat: Beim Sprung musssich das Kation durch ein „Fen-ster“ aus benachbarten Anio-nen hindurchzwängen (Bild 2),und im Allgemeinen wird sichseine Umgebung und damitdie Wechselwirkungsenergiemit den Nachbarn verändern.In Bild 3 ist zu sehen, dass vonden vier Kationen (blau), dieder Leerstelle benachbart sindund einen Sprung ausführenkönnen, drei Kationen nachdem Sprung eine neue Umge-bung vorfinden.

Bild 2: Kristallgitter aus Katio-nen (●) und Anionen ( ) mit einer Kationenleerstelle undSprungmöglichkeiten der be-nachbarten Kationen.

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Für die kinetische MonteCarlo Simulation werden nunSprungfrequenzen der vierKationen in direkter Nachbar-schaft zu einer Leerstelle defi-niert, die durch die jeweiligenAktivierungsenergien festge-legt sind. Durch Normierungder vier Frequenzen auf 1 kön-nen diese – wie beim Würfeln– als Sprungwahrscheinlichkei-ten angesehen werden. Da beijedem Kationensprung genaueine Leerstelle springt, kanndiese Wahrscheinlichkeit auchals Sprungwahrscheinlichkeitder Leerstelle gedeutet wer-den. In jedem Schritt der Mon-te Carlo Simulation werden dieSprungwahrscheinlichkeitender vier Kationen, die einerLeerstelle benachbart sind, be-stimmt und auf das Intervall[0,1] abgebildet. Danach wirdeine Zufallszahl Q zwischen 0und 1 gewürfelt und das Ka-tion, in dessen Intervall Qliegt, führt einen Platztauschmit der Leerstelle durch. Dadie Sprungfrequenz eines Ka-tions von seiner Umgebungabhängt, führt die Kationen-leerstelle nun eine physikalischkorrelierte Bewegung aus.

Eine typische kinetischeMonte Carlo Simulation derFestkörperreaktion A+(AX) +BX ➞ AX + B+(BX) hat folgen-den Ablauf: (a) Am rechtenRand des Simulationsgitters(Bild 3) wird eine Leerstelle er-zeugt, die je nach lokaler Um-gebung Sprünge auf Nachbar-plätze ausführt. (b) Erreicht dieLeerstelle wieder den rechtenRand, so wird sie reflektiert.(c) Am oberen und unterenRand gelten periodische Rand-bedingungen, wenn eine Leer-stelle den Kristall am oberenRand verlässt wird sie am un-teren Rand wieder eingespeist.(d) Erreicht die Leerstelle diePhasengrenze zwischen beidenKristallen, so springt sie mit derentsprechenden Wahrschein-lichkeit über die Phasengrenze,verschiebt diese lokal undmischt die Kationen A und B(Bild 3). (e) Erreicht die Leer-stelle den linken Rand, so wirdsie mit der Wahrscheinlichkeit0�PL�1 reflektiert bzw. mit derWahrscheinlichkeit 1-PL ausder Matrix herausgenommen.

Im zweiten Fall wird die Leer-stelle durch ein A-Kation er-setzt, und eine „neue“ Leer-stelle wird auf einer Zufallspo-sition am rechten Rand er-zeugt.

Auf die so beschriebeneWeise ist immer nur eine ein-zelne Leerstelle in der Simula-tionsmatrix. Dies ist gerecht-fertigt, da in den experimentelluntersuchten Chloriden nursehr geringe Leerstellenanteile(<10-4) vorliegen. Für PL=1 er-gibt sich reine Interdiffusion(geschlossene Ränder) wäh-rend sich für PL<1 ein gerich-teter Leerstellenfluss von BXnach AX ergibt (dies entsprichtwie im Experiment einem ge-richteten Kationenfluss vonlinks nach rechts, der durchdas externe elektrische Feldverursacht wird). In einer typi-schen Simulation führt eineLeerstelle cirka 108 Sprüngedurch.

Die Bilder 4a und 4b zei-gen zwei typische Simulations-ergebnisse. In beiden Fällen istder Kristall AX auf Kosten desKristalls BX gewachsen, die ur-sprünglich atomar glatte Pha-sengrenze AX/BX hat sich nachrechts verschoben. Die beidenSimulationen unterscheidensich dagegen hinsichtlich desVerhältnisses der Ionenleitfä-higkeiten von AX und BX. InBild 4a ist die Sprungfrequenzeiner Leerstelle in AX kleinerals in BX, was einer geringerenIonenleitfähigkeit von AX imVergleich zu BX entspricht. Dieursprünglich atomar glattePhasengrenze wird beimWachstum der „langsamen“Phase auf atomarer Skala rau.Allerdings wächst die Rauhig-keit bei der Bewegung derPhasengrenze nicht weiter an,

Bild 3: Schematischer Aufbauder Kristallgitter AX (blau) undBX (rot) für die kinetische Mon-te Carlo Simulation der Festkör-perreaktion zwischen beiden.Nur die Kationenteilgitter unddie entsprechenden Wechsel-wirkungen �jj sind vollständigdargestellt (● Kation A, ● Ka-tion B, — �AA, — �BB, — �AB).Das durchgehende Anionenteil-gitter ( Anion X) ist nur teil-weise dargestellt. Der Sprung ei-ner Leerstelle aus BX über diePhasengrenze nach AX hat zueiner lokalen Verschiebung derPhasengrenze ( ) geführt. Diefarbigen Pfeile deuten an, wiesich für ein Kation bei einemSprung die lokale Umgebungverändern würde.

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die Phasengrenze ist morpho-logisch stabil. Im umgekehrtenFall, also beim Wachstum der„schnelleren“ Phase in Bild 4b,bilden sich dagegen morpholo-gische Instabilitäten in Formvon „Fingern“ aus. Diese Si-mulationsergebnisse stehen inschöner Übereinstimmung mitden experimentellen Ergebnis-sen in Bild 2. Die Simulationenzeigen außerdem, dass zumErzeugen einer Instabilität einekritische treibende Kraft erfor-derlich ist.

Wird der Unterschiedder Beweglichkeiten zwischenAX und BX immer größer, sowird im Falle der Instabilitätaus der fingerförmigen Pha-sengrenze eine fein verzweig-te, „fraktale“ Phasengrenze(Bild 5). Dieses von der Simu-lation postulierte Verhaltenwurde ebenfalls experimentellbeobachtet, wenn anstatt vonKupferchlorid (CuCl) nun Ka-liumchlorid (KCl) verwendetwird, das eine um Größenord-nungen geringere Leitfähigkeitals AgCl besitzt.

Die Ergebnisse der kineti-schen Monte Carlo Simulationlassen sich folgendermaßenzusammenfassen: Wächst beieiner Festkörperreaktion eine„langsame“ Phase auf Kosteneiner „schnellen“ Phase, so istdie ebene Phasengrenze mor-phologisch stabil. Wächst da-gegen die „schnelle“ Phaseauf Kosten der „langsamen“Phase, so wird die ebene Pha-sengrenze morphologisch in-stabil, wenn eine kritische trei-bende Kraft überschritten wird.Die sich ausbildende Morpho-logie wird durch die Differenzder Beweglichkeiten in denbeiden Phasen bestimmt. Beikleinen Differenzen entstehenfingerförmige Morphologienwährend sich bei sehr großenDifferenzen fraktale Morpho-logien ausbilden. Dieses einfa-che, aus kinetischen MonteCarlo Simulationen erhaltenePrinzip zur Musterbildung kannnun genutzt werden, um Vor-hersagen zur Morphologie vonPhasengrenzen bei anderen,technisch wichtigen Festkör-perreaktionen zu treffen. ●

Bild 4: Kinetische Monte CarloSimulation der bewegten Pha-sengrenze AX/BX bei der Fest-körperreaktion A+(AX) + BX ↔AX + B+(BX). In beiden Fällenbewegt sich die Phasengrenzenach rechts, d.h. die Phase AXwächst auf Kosten der PhaseBX. a. Wachstum der „langsa-meren“ Phase AX (blau) b.Wachstum der „schnelleren“Phase AX (rot).

Bild 5: Kinetische Monte CarloSimulation der bewegten Pha-sengrenze AX/BX bei der Fest-körperreaktion A+(AX) + BX ↔AX + B+(BX). Die Phasengrenzebewegt sich nach rechts, d.h.die schnellere Phase AX(rot)wächst auf Kosten der langsa-meren Phase BX(blau). Die Io-nenleitfähigkeit in AX ist erheb-lich größer als in BX.

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Organische

ie Beschaffenheit derMaterie wird beschrie-

ben durch ihren Aggregatzu-stand. Die in unserer natür-lichen Umwelt unmittelbar zubeobachtenden drei Aggregat-zustände sind der gasförmige,der flüssige und der feste Zu-stand. Bei gegebener Tempe-ratur und gegebenem Druckist der jeweilige Aggregatzu-stand eine Funktion von zweiEigenschaften der entsprechen-den Materieteilchen (Atome,Ionen oder Moleküle), nämlichder anziehenden Wechselwir-kung zwischen ihnen und derdieser entgegengesetzten Ten-denz zu ungeordneter statisti-scher Bewegung, der so ge-nannten Wärmebewegung. Im gasförmigen Zustand über-wiegt die Wärmebewegungdie Anziehung, und es liegenim wesentlichen freie Atomeoder Moleküle vor, die jedesihnen gebotene Volumen ein-nehmen, solange sie nichtdurch äußere Kräfte daran ge-hindert werden. So bewirktzum Beispiel die Erdanziehung,dass sich die Erdatmosphärenicht in den Weltraum ver-flüchtigt. Im flüssigen Zustandist die anziehende Wechselwir-kung ist immerhin so stark,dass die Flüssigkeit eine Ober-fläche ausbildet, und ihr Auf-enthalt auf ein bestimmtes Vo-lumen beschränkt ist. Im fest-en Zustand überwiegen dieanziehenden Wechselwirkun-gen. Die Atome, Ionen oderMoleküle nehmen nun relativzueinander feste Plätze ein,um die sie lediglich nochSchwingungen ausführen. DieMaterie im festen Zustand, al-so der Festkörper, ist daherformstabil.

Der Idealzustand einesFestkörpers ist der Kristall. EinKristall ist eine im allgemeinendreidimensionale periodische

Quantenchemische Berechnung der intermolekularen Wechselwirkungen in Molekülkristallen

Gerhard Raabe

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Verbindungenim festen Zustand

Röntgendiffraktometer zur Struk-turbestimmung von kristallinenFestkörpern. Professor Dr. GerhardRaabe begutachtet eine Probeauf einem Goniometer-Kopf. Foto Peter Winandy

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Anordnung von Atomen (zumBeispiel bei Metallen), Ionen(Kochsalz) oder Molekülen(Rohrzucker). Die Anordnungder Bestandteile eines Kristallsnennt man seine Packung odersein Gitter. Das Adjektiv perio-disch beinhaltet, dass man dengesamten makroskopischenKristall durch Translation eineseinzigen fundamentalen mi-kroskopischen Bausteins in alledrei Raumrichtungen aufbauenkann. Man sagt daher, Kristalleseien Gebilde mit einer Fern-ordnung. Den kleinstmögli-chen fundamentalen Bausteindes Kristalls nennt man seineElementarzelle.

Können die Bestandteile ei-nes Festkörpers nicht die hoch-geordnete Anordnung wie imKristall annehmen, zum Bei-spiel bei blitzartiger Abkühlungeiner Schmelze, dann entstehtein so genannter amorpherFestkörper. In diesem Fall läßtsich der Festkörper nicht mehrdurch Translation einer einzi-gen fundamentalen Einheitaufbauen. Amorphe Substan-zen sind zum Beispiel Gläserund Harze aber auch der Opal.Je größer und je flexibler Mo-leküle sind, desto schwierigerist es, entsprechende Kristallezu erhalten. So ist zum Beispieldie Kristallisation von Eiweiß-molekülen häufig ein sehrkompliziertes Unterfangen.Allerdings lassen sich selbstgrößere Strukturen, wie zumBeispiel einige Viren, noch kri-stallisieren.

Eine Kenngröße eines Kri-stalls ist seine Gitterenergie.Diese ist grob gesagt die Ener-gie, die freigesetzt wird, wennsich ein Mol (das ist das For-melgewicht einer Verbindungin Gramm ausgedrückt) einerzunächst gasförmig gedachtenSubstanz zu einem Kristall zu-sammenfindet. Je mehr Ener-gie bei diesem Prozess frei

wird, desto negativer ist dieGitterenergie und desto stabi-ler der entsprechende Kristall.Die Werte der Gitterenergienliegen innerhalb eines weitenBereichs. Dem Betrag nach re-lativ hohe Werte besitzen Io-nenkristalle wie zum BeispielNaCl (mehr als -180 kcal/mol),während die Energien der Git-ter unpolarer Moleküle, wiezum Beispiel die der Kohlen-wasserstoffe wie Benzol nurwenige Kilokalorien pro Mole-kül (kcal/mol) betragen kön-nen (cirka -11 kcal/mol). Git-terenergien lassen sich nichtnur aus experimentellen Grö-ßen bestimmen, sondern auchmit verschiedenen quanten-chemischen Rechenverfahrenermitteln. Die entsprechendenRechnungen sind allerdings inder Regel viel aufwendiger alsquantenchemische Rechnun-gen an einzelnen Molekülen

und stellen hohe Anforderun-gen an Rechenzeit und Spei-cherplatz. Eine Sonderstellungnehmen die Molekülkristallemit relativ schwachen intermo-lekularen Wechselwirkungenein. Hier kann man oft auf ein-fachere Näherungsverfahrenzurückgreifen. Der Ursprungdieser Methoden ist die quan-tenmechanische Störungstheo-rie. Im Rahmen dieser Theoriewird angenommen, dass sichdie Eigenschaften der Teilchenim Kristall nur wenig von de-nen der freien Moleküle unter-scheiden, und man versucht,aus den für das isolierte Teil-chen berechneten Größen, Ei-genschaften des entsprechen-den Kristallgitters zu bestim-men. Diese Vorgehensweiseführt zu einer Reihe von Aus-drücken, die zwar physikalischsinnvollen Größen entsprechen(zum Beispiel der elektrostati-

schen Energie und der Absto-ßungsenergie, sowie der Dis-persions- und der Induktions-energie; siehe unten), derendirekte Berechnung aber zumTeil ähnlich aufwendig ist wiedie vollständige Behandlungdes Festkörpers mit einer exak-ten Methode. Durch Einfüh-rung weiterer Näherungen las-sen sich diese Ausdrücke aberstark vereinfachen, und die soerhaltenen Formeln erlaubeneine schnelle Berechnung derGitterenergie. Die oben er-wähnten Beiträge zur Gitter-energie von Molekülkristallensollen hier kurz anschaulich er-läutert werden. Den Zusam-menhalt von Ionenkristallenwie zum Beispiel von Kochsalz(NaCl) kann man leicht als dasResultat eines Wechselspielszwischen Anziehung und Ab-stoßung der positiven Katio-nen (Na+) und der negativen

Bild 1: Die Anordnung der Mo-leküle in den Kristallgittern derdrei polymorphen Formen derAminosäure Glycin.

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Anionen (Cl-) verstehen. DenBeitrag zur Gitterenergie, derauf die Wechselwirkung zwi-schen permanenten Ladungenin einem Kristallgitter zurück-zuführen ist, nennt man dieelektrostatische Energie. Siekann sowohl anziehend (nega-tiv) oder abstoßend (positiv)sein. Aber auch bei Kristallenungeladener Moleküle leistetdie elektrostatische Energie ei-nen Beitrag. Dieses kann manwie folgt verstehen: In einemMolekül aus unterschiedlichenElementen, wie Sauerstoff,Kohlenstoff und Wasserstoffziehen die Atome der verschie-denen Elemente die Elektronendes Moleküls unterschiedlichstark an, und das entsprechen-de Molekül ist polar. Der pola-re Charakter eines Molekülsfindet seinen Niederschlag inseinem experimentell bestimm-baren Dipolmoment. Die obenerwähnten quantenchemi-schen Rechenverfahren erlau-ben es nun, den Atomen ineinem Molekül Ladungen zu-zuordnen, und die elektrosta-tische Energie kann als dieWechselwirkung zwischen denAtomladungen unterschied-licher Moleküle im Kristall be-rechnet werden. Aber auchchemisch inerte Atome, wiezum Beispiel die der Edelgase,oder aber unpolare Moleküle,bilden Kristallgitter aus. Die insolchen Fällen dominierendenKräfte kann man sich ebenfallsanschaulich vorstellen: Durcheine kurzzeitige Veränderungder Ladungsverteilung in denAtomen bzw. unpolaren Mole-külen kommt es zur Ausbil-dung eines temporären Dipol-moments, das nun seinerseitsin einem benachbarten Atomoder Molekül ein entgegenge-setztes Dipolmoment indu-ziert. Die aus der Wechselwir-kung dieser beiden Dipolmo-mente resultierende Absen-

kung der Energie ist die Dis-persions- oder Londonenergie.Dieser Beitrag ist immer stabili-sierend (also negativ). Die La-dungen eines polaren Mole-küls A liefern nicht nur mit de-nen eines benachbarten pola-ren Moleküls B eine elektrosta-tische Energie, sondern gleich-zeitig erfolgt unter dem Ein-fluss des Feldes von A eine Ver-schiebung der Ladungsträgerin einem anderen Molekül B.Man sagt, zusätzlich zu dempermanenten Dipolmomenterhält das Molekül B noch eininduziertes Dipolmoment. DieEnergie der Wechselwirkungzwischen dem permanentenDipolmoment von A und demzusätzlich in B induziertennennt man die Induktionsener-gie. Wie die Dispersionsener-gie, so ist auch sie stets stabili-sierend. Anders als die bereitsbesprochenen Komponentenist die Abstoßungsenergie kei-ner einfachen anschaulichenDeutung mehr zugänglich, undeine Erklärung auf quantenme-chanischer Grundlage würdeden Rahmen dieser Arbeitsprengen.

Die Leistungsfähigkeit sol-cher Näherungsverfahren sollan Hand von zwei Beispielendemonstriert werden. Die ex-perimentelle Gitterenergie derAminosäure Glycin (C2H5O2N)beträgt cirka -60 kcal/mol. Un-ter Verwendung eines Nähe-rungsverfahrens (siehe oben)ergibt sich für einen Glycin-kristall ein Wert von -60±4kcal/mol. Nun ist die Bezeich-nung der kristallinen Amino-säure als Glycinkristall unvoll-ständig. In zahlreichen Fällenkommt es nämlich vor, dassdie Moleküle einer Substanzunterschiedliche Packungenbilden können, und um einensolchen Fall handelt es sichbeim Glycin. In solchen Fällen,spricht man von Polymorphie,

und die verschiedenen Kristall-formen nennt man polymor-phe Formen oder Polymorphe.Von Eis sind mindestens elfpolymorphe Formen bekannt,und von der Aminosäure Gly-cin kennt man ein �-, ein �-und ein �-Polymorph. WelcheForm ausgebildet wird hängtdavon ab, unter welchen Be-dingungen (Temperatur, Druck,Lösungsmittel) die Kristallisa-tion erfolgt. Verschiedene po-lymorphe Formen einer Ver-bindung besitzen oft unter-schiedliche Eigenschaften, unddieses spielt eine wichtige Rol-le in der pharmazeutischenForschung, sowie für Farb-und Explosivstoffe. In vielenFällen können polymorpheFormen ineinander überführtwerden. Man spricht dann voneinem Phasenübergang. DieUnterschiede zwischen denGitterenergien solcher Formenliegen in der Regel im Bereichvon ein bis drei kcal/mol. Die-se Energiebeträge sind zuklein, um zu deutlichen Unter-schieden von Bindungslängenund Bindungswinkeln zu füh-ren. Sie reichen aber aus, umUnterschiede in der Konforma-tion hervorzurufen. Das obenerwähnte Näherungsverfahrenergibt nun in Übereinstimmungmit dem experimentellen Be-fund, dass die �-Form das sta-bilste Polymorph des Glycinsist.

Eine anderes Beispiel fürPolymorphie ist das Oxalsäure-System. Oxalsäure ((COOH)2)kristallisiert in zwei polymor-phen Formen, der �- und der�-Oxalsäure. Das Näherungs-verfahren ergibt hier nicht nurdie richtige relative Stabilitätder beiden Formen, sondernauch die experimentelle Ener-giedifferenz wird fast genaugetroffen. ●

Bild 2: Die Anordnung der Mo-leküle in den Kristallgittern derbeiden polymorphen Formender Oxalsäure.

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Richard Dronskowski, Yasemin Kurtulus, Gregory A. Landrum

Magnetische MaterialienLichtbogen-Schweißanlage imInstitut für Anorganische Chemie.Versiegeln von Tantal-Ampullen,in denen Hochtemperatur-Reak-tionen zur Synthese magneti-scher Feststoffe ablaufen.Foto: Peter Winandy

Analyse chemischer Bindungen von Metallen als Schlüssel zum Verständnis magnetischer Eigenschaften und ihrer gezielten Synthese

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mittels ComputationalChemistry

s gehört wohl zu denMerkwürdigkeiten unse-rer „Informationsgesell-

schaft“, daß die meisten Men-schen keine rechte Vorstellungvon der Bedeutung des Mag-netismus für das tägliche Le-ben besitzen. Fragen Sie IhrenNachbarn, und er wird allen-falls an einen Schiffskompaßoder an lang zurückliegendeExperimente aus der Grund-schule denken. Doch ist dieSpeicherung von Informatio-nen mittels magnetischer Stof-fe für uns alle so selbstver-ständlich geworden, daß siegar nicht mehr als solche wahr-genommen wird – es sei denn,die eigene Festplatte am PCversagte ihren Dienst undsämtliche Dateien gingen ver-loren. Etwas vereinfachend ge-sagt, speichern wir unsere Er-innerungen überwiegend inmagnetischer Form ab, undglücklicherweise werden eben-diese magnetischen Speicher-medien ständig leistungsfähi-ger und zugleich billiger.

Allerdings entziehen sichmakroskopische Quantenef-fekte – und um einen solchenhandelt es sich beim Magne-tismus eines einfachen Spiel-zeugmagneten – oftmals einereinfachen, anschaulichen Inter-pretation. Nun weiß man ausder Physik schon seit langerZeit, daß dieser starke Magne-tismus – von den Physikernsehr zutreffend Ferromagne-tismus genannt – auf die Elek-tronen in den Atomen zurück-zuführen ist. Bekanntlich be-wegen sich die Elektronen umdie Atomkerne wie Planetenum die Sonne, und zudemweisen die Elektronen auch ei-ne Art Rotation um die eigeneAchse auf, ganz ähnlich derPlanetenrotation. Die Eigen-rotation der Elektronen (ihr„Spin“) ist allerdings strengnach den Gesetzen der Quan-tenmechanik geregelt, so daßein Elektron präzise nach sei-nem Drehsinn („linksherum“oder „rechtsherum“) klassifi-ziert werden kann und ge-wöhnlich als „spin-up“- (�)oder „spin-down“-Elektron (�)bezeichnet wird. Da dieser Spinmit einem winzigen Magnet-

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feld verbunden ist, sind Stoffemit gleichgroßer Anzahl von�- und �-Spins nicht magne-tisch. Nur wenn unterschied-lich viele �- und �-Spins vor-liegen und die Mehrzahl dieserMiniaturmagnete sozusagen indie gleiche Richtung zeigt, ent-steht Ferromagnetismus.

Dieser uns interessierendestarke Magnetismus ergibt sichinsofern als Ausnahme von derRegel zu erkennen, denn inder Tat weisen die allermeistenMetalle im Periodensystem derElemente gar keine nennens-werten magnetischen Eigen-schaften auf. Bei den Über-gangsmetallen zeigen nur Ei-sen, Kobalt und Nickel diesenEffekt, und da Eisen ein über-aus häufiges Metall ist, sindden Menschen die magneti-schen Eigenschaften des Eisensseit Urzeiten geläufig (obschonimmer noch ein bißchen ge-heimnisvoll). Schlimmer noch:Auch wenn magnetische Me-talle seit langer Zeit ihren Wegin die Technik gefunden haben(die Festplatte ist ein hervorra-gendes Beispiel dafür), ist un-ser grundsätzliches Verständnisdes Ferromagnetismus immernoch unvollständig. Warum ei-gentlich sind genau Eisen, Ko-balt und Nickel ferromagne-tisch? Wie müssen andere Me-talle chemisch modifiziert wer-den, um ebenfalls ferromagne-tisch zu werden? Was also istdas chemische Wesen des me-tallischen Ferromagnetismus?

Aus chemischer Sichtweiselassen sich all diese Rätsel aufeinen Schlag durch sorgfältigeBetrachtung der chemischenBindung im festen Metall lö-sen, doch konnte dies auf-grund fehlender Analysever-fahren erst vor wenigen Jahrenzum ersten Mal geschehen.Dazu wurden zunächst diequantenmechanischen Glei-chungen für die Elektronenunter Zuhilfenahme der soge-nannten Dichtefunktionaltheo-rie numerisch gelöst, und esresultierten die bekanntenElektronenbänder für die kri-stalline Materie und in Folgedie ebenso bekannte elektroni-sche Zustandsdichte. Werdennun diese Rechnungen für den

archetypischen FerromagnetenEisen (Bild 1) durchgeführtund nimmt man weiterhin an,das Eisen sei nicht ferromag-netisch, dann ergibt eine Bin-dungsanalyse für die höchstenEnergien im Kristall zur großenVerblüffung abstoßende (soge-nannte anti-bindende) Kräftezwischen den Eisenatomen(Bild 2). In einer hypothetisch-nichtmagnetischen Welt stre-ben die Eisenatome also von-einander weg und destabilisie-ren insofern die zugrundelie-gende Kristallstruktur.

Man kennt ähnliche Effekteaus Molekülen, und aller quan-tenchemischen Erfahrung nachwürde man eine strukturelleVerzerrung erwarten, die derTheorie von Jahn und Tellerfolgt. Allerdings wissen wir jabereits, daß sich die Atome imfesten Eisen eben nicht verzer-ren! Erlaubt man aber demSystem in der theoretischenRechnung, die Elektronen ver-schieden zu behandeln und

eine ungleiche Anzahl von �-und �-Spins auszubilden, än-dern sich die Verhältnisse au-genblicklich. In der magneti-schen („spinpolarisierten“)Rechnung entsteht ein Über-gewicht von �-Spins, die ener-getisch abgesenkt werden;ebenso rutschen die wenigennoch verbliebenen �-Spinsnach oben; als Ergebnis löstsich die abstoßende Wechsel-wirkung zwischen den Eisen-atomen restlos auf, und dieGesamtstruktur wird energe-tisch stabilisiert (Bild 3).

Aus der Perspektive derQuantenchemie ist damit dieBrechung der elektronischenSymmetrie unter Ausbildungeiner ungleichen Anzahl von�- und �-Spins zutiefst mit der chemischen Bindung ver-knüpft. Die Ausbildung desferromagnetischen Zustandskommt deshalb der erfolgrei-chen Tendenz des metallischenFeststoffes gleich, unter allenUmständen zu einer energeti-

Bild 1: Einblick in die Kristall-struktur von kubisch-raumzen-triertem Eisen (bcc-Fe).

Bild 2: Elektronische Strukturdes hypothetisch-nichtmagneti-schen Eisens.

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schen Stabilisierung zu gelan-gen, selbst wenn eine struktu-relle Verzerrung nicht mehrmöglich ist. Dieses Ergebnis istauch insofern für die Quan-tenchemie sehr befriedigend,als es die Ähnlichkeit der che-mischen Bindung in Molekülenund Feststoffen betont unddas gängige Bestreben der Na-tur unterstreicht, antibindendeWechselwirkungen zu vernich-ten und bindende Wechselwir-kungen zu verstärken. Werhätte gedacht, daß sich dermetallische Ferromagnetismusals Phänomen der chemischenBindung entpuppt? Das Resul-tat entstammt der reinen,„zweckfreien“ Grundlagenfor-schung.

Unter Zuhilfenahme verfei-nerter Analysen (skalierte Spin-dichten) wird die unterschiedli-che chemische Bedeutung der�- und �-Spins deutlich. Diesich in der Überzahl befind-lichen �-Spins zeichnen haupt-sächlich für die magnetischenEigenschaften verantwortlichund bewegen sich im Mittelnäher an den Atomkernen,während die unterzähligen �-Spins dagegen hauptsächlichdie Atome beieinanderhalten(Bild 4). Eine Übertragung desKonzepts auf sämtliche Über-gangsmetalle der ersten Reihe(Sc, Ti, V, Cr, Mn, Fe, Co, Ni,Cu) macht sofort die Sonder-stellung der Elemente Eisen,Kobalt und Nickel klar: Nur indiesen finden wir antibindendeWechselwirkungen und des-halb ferromagnetisches Verhal-ten. Für frühe und späte Über-gangsmetalle liegen bereitsbindende Zustände vor, unddie Metalle bleiben nichtmag-netisch. Für den Antiferromag-neten Chrom (mit magneti-schen Momenten, allerdingsentgegengesetzt orientiert) lie-gen nichtbindende Wechsel-wirkungen vor; das noch niezuvor synthetisierte Manganmit kubisch-raumzentrierterStruktur sagen wir als Ferro-magneten voraus (Bild 5).

Bild 3: Zustandsdichte (links)und chemische Bindung (rechts)in magnetischem Eisen (spin-up-Elektronen in rot, spin-down-Elektronen in blau).

Bild 4: Skalierte Spindichte inmagnetischem Eisen (spin-up-Elektronen in rot, spin-down-Elektronen in blau).

Bild 5: Elektronenstruktur der3d-Metalle mit Zustandsdichten(oben) und chemischer Bindung(unten).

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Selbst für intermetallischeVerbindungen (also Verbin-dungen der Metalle unterein-ander) greift unser bindungs-theoretisches Konzept, und esgelang bereits, die gegensei-tige Beeinflussung zwischenstrukturellen Verzerrungen unddem Magnetismus aufzuklä-ren. Beispielweise zeigt dieferromagnetische VerbindungMnAl (Bild 6) eine strukturelleDeformation, die als Konse-quenz zweier sich bedingenderInstabilitäten verstanden wer-den kann: Das Mn-Untergitter„sorgt“ für den Magnetismus,und die Al-Atome verzerrendas Gitter (Bild 7).

Sind derartige Untersu-chungen von praktischem Nut-zen? Gewiß, denn sie eröffnenzum ersten Mal den Weg zurrationalen Synthese von Ferro-magneten und auch Antiferro-magneten. Gelingt es, einenstabilen Strukturtyp zu findenund diesen mit chemischenMethoden unterschiedlichstark mit Elektronen zu befül-len, dann lassen sich ferro-magnetische (und auch anti-ferromagnetische) Materialiengezielt präparieren. In erstenArbeiten mit Kollegen der Uni-versität Köln haben wir diesystematische Präparation undCharakterisierung von Verbin-dungen unternommen, diesich vom Mg2MnRh5B2 ablei-ten, einem komplexen Boriddes Rhodiums. In präziserÜbereinstimmung beziehungs-weise Vorhersage mit der The-orie erweisen sich strukturellgleiche Verbindungen mit 62Elektronen als Antiferromagne-te und solche mit 65 Elektro-nen als Ferromagnete, undzwar unabhängig von der Na-tur des zentralen Übergangs-metalls (Bild 8).

Die Erfolge ermutigen uns,den eingeschlagenen Wegweiterzuverfolgen und gezieltnach neuen Verbindungen zusuchen. Doch auch verwandtetheoretische Fragen sind nochzu beantworten, darunter dasbislang ungeklärte Problem zurGröße der sogenannten Ord-nungstemperaturen. Ist auchdies eine Funktion der chemi-schen Bindung? ●

Bild 6: Elektronenstruktur desMnAl.

Bild 7: Schematische Evolutiondes magnetisch-tetragonalenMnAl aus kubisch-nichtmagne-tischem MnAl.

Bild 8: Beispiel für gezielte che-mische Einstellung physikali-scher Effekte (Ferromagnetismusoder Antiferro-magnetismus) alsFunktion der chemischen Zu-sammensetzung.

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Institut für Anorganische Chemieder RWTH Aachen. Gloveboxzur Manipulation von hochgra-dig luft- und feuchtigkeitsemp-findlichen neuen Materialien.Foto: Peter Winandy

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Lehrstuhl für MetallorganischeChemie der RWTH Aachen. Ein-engen der Lösung eines Palladi-umkomplexes am Rotationsver-dampfer vor der abschließenden

Filtration und Kristallisation.Foto: Peter Winandy

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Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Dr. h.c. Bernhard ������� istInhaber des Lehrstuhls undLeiter des Instituts für Makro-molekulare Chemie.

M Sc. Beatrice �������ist Wissenschaftliche Mitarbei-terin am Institut für Anorgani-sche Chemie.

Dr. rer.nat Dan Eugen ���� ist WissenschaftlicherMitarbeiter am Institut für Ma-kromolekulare Chemie.

Dr. Roger ���� �� ist Wissenschaftlicher Mitarbeiteram Institut für PhysikalischeChemie.

Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Richard �� �� ��� ist Inha-ber des Lehrstuhls für Anorga-nische und Analytische Chemiesowie Leiter des Instituts fürAnorganische Chemie.

Dr. rer.nat. Bernhard ��� istWissenschaftlicher Mitarbeiterdes Instituts für AnorganischeChemie.

Dr. rer.nat. Thomas ������ istMitarbeiter des Rechen- undKommunikationszentrums.

Apl. Prof. Dr. rer.nat. Ulrich������� lehrt am Institut fürAnorganische Chemie und istFachstudienberater Chemie.

Radu ������� ist Assistenz-professor für Physik an derTechnischen Universität Cluj-Napoca (Klausenburg), Rumä-nien.

Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Jörg���������� ist Leiter desLehr- und ForschungsgebietsTheoretische Chemie des Insti-tuts für Organische Chemie.

Dipl.-Chem. Roland ������ist Wissenschaftlicher Mitarbei-ter am Institut für Anorgani-sche Chemie.

Dr. rer.nat. Markus �������ist Wissenschaftlicher Mitarbei-ter des Instituts für TechnischeChemie und MakromolekulareChemie.

Dr. rer.nat. Chunhua � istWissenschaftlicher Mitarbeiteram Institut für AnorganischeChemie.

Autoren

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Irmgard ����� ist Chemiela-borantin am Institut für Anor-ganische Chemie.

Dr. rer.nat. Peter �� �� istWissenschaftlicher Assistentam Institut für AnorganischeChemie.

Dipl.-Chem. Yasemin ���� ist WissenschaftlicheMitarbeiterin am Institut fürAnorganische Chemie.

Gregory A. ������ Ph.D.ist ehemaliger Wissenschaft-licher Mitarbeiter am Institutfür Anorganische Chemie undGründer von Rational Discovery(Palo Alto, CA).

Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Walter������� ist Inhaber des Lehr-stuhls und Leiter des Institutsfür Technische Chemie undPetrolchemie sowie geschäfts-führender Direktor des Institutsfür Technische und Makro-molekulare Chemie.

Dr. Qi �� lehrt an der BeijingNormal University und warGastwissenschaftler am Institutfür Anorganische Chemie.

Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Arne���� � ist Leiter des Lehr-und Forschungsgebiets Physi-kalische Chemie.

Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Heiko����� ist Leiter des Lehr-und Forschungsgebiets Anor-ganische Chemie.

Univ.-Prof. Dr. rer.nat.Manfred ����� ist Inhaberdes Lehrstuhls für PhysikalischeChemie I und Leiter des Insti-tuts für Physikalische Chemie.

Dr. rer.nat. Ilona ���� istPrivatdozentin am Lehr- undForschungsgebiet Molekül-spektroskopie.

Prof. Dr. Gerhard !��"�lehrt und forscht am Institutfür Organische Chemie.

Dr. rer.nat. Charlotte !�#��ist Wissenschaftliche Mitarbei-terin am Lehr- und Forschungs-gebiet Theoretische Chemiedes Instituts für OrganischeChemie.

Prof. Dr. rer.nat. Helmut�������� ist assoziierter Lehr-stuhlangehöriger am Lehr- undForschungsgebiet Anorgani-sche Chemie.

Univ.-Prof. Dr. rer.nat. Wolfgang ����� leitet dasLehr- und ForschungsgebietMolekülspektroskopie.

Dr. rer.nat. Ruimin $��� istWissenschaftlicher Mitarbeiteram Institut für AnorganischeChemie.

Holger $ ��� ist Studentdes DiplomstudiengangsChemie.

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Die RWTH Aachen verlieh ineinem Festakt einen Doktorder Naturwissenschaftenhonoris causa an Prof. ! ����%&���' ��, Ph.D. Die Ehrungdes Würdenträgers nahmRektor Univ.-Prof. Dr. rer.nat.��������!��� vor, dieLaudatio wurde von Univ.-Prof. Dr. rer.nat. $ ������������ gehalten.

DeVore lehrt und arbeitetam Industrial Mathematics In-stitute der University of SouthCarolina und arbeitet eng mitdem Aachener Institut fürGeometrie und Praktische Ma-thematik der RWTH zusam-men. Anlass für die Ehrung istDeVores Verdienst um diemathematische Grundlagen-forschung und deren Auswir-kungen auf moderne Anwen-dungen, insbesondere auf dieDatenkompression und dieBild- und Signalanalyse.

Wasserexperte Univ.-Prof. em.Dr.-Ing. �(�� ����� ist inden Ruhestand gegangen.Von 1987 bis 2004 leitete erdas Institut für Wasser- undAbfallwirtschaft und war In-haber des Lehrstuhls für Sied-lungswasserwirtschaft derRWTH Aachen. Ihm zu Ehrenfand eine Festveranstaltungstatt, auf der unter anderemdie Ministerin für Umwelt undNaturschutz, Landwirtschaftund Verbraucherschutz desLandes NRW, ���"�������,und Rektor Univ.-Prof. Dr. rer.nat. ��������!���Festreden hielten. Zu diesemAnlass wurde auch der Nach-folger Dohmanns, Univ.-Prof.Dr.-Ing. ) ������*�������#,vorgestellt.

Dr. rer.pol. ����������wurde von der RWTH Aachenzum neuen Ehrenbürger er-nannt, weil er ein Unterneh-mer mit Weitblick ist, der ne-ben seinem Engagement fürdas eigene Unternehmen, die„Fuchs Petrolub AG“, stetsviel Interesse an der Forschungund Ausbildung universitärenNachwuchses zeigte. Bereits inden achtziger Jahren pflegte erenge Kontakte zur AachenerHochschule. Die Liste der ge-meinsam von RWTH und desKonzerns Fuchs durchgeführ-ten Forschungsprojekte weistviele innovative Themen auf.

Die „Chemische Modifikationvon Raps- und Sonnenblu-menöl“ in Zusammenarbeitmit dem Institut für Fluidtech-nische Antriebe und Steuerun-gen der RWTH (IFAS), „Biolo-gisch abbaubare Schmierstoffefür Planeten- und Schnecken-getriebe“ in Kooperation mitdem Institut für Metallhütten-kunde und Elektrometallurgie(IME) oder die „Entwicklungund anwendungstechnischeErprobung neuartiger Rapsöle“in Kooperation mit dem Insti-tut für Biologie (Spezielle Bota-nik) sind nur einige Beispiele.Viele der Ergebnisse schlugensich in Patenten nieder undzahlreiche Studien- oder Di-plomarbeiten im Rahmen die-ser Projekte ermöglichten an-gehenden Ingenieuren undNaturwissenschaftlern einepraxisnahe Arbeit.

Fuchs absolvierte 1962 einbetriebswirtschaftliches Stu-dium an der Universität Mann-heim. Durch den frühen Todseines Vaters Rudolf Fuchs er-folgte seine weitere akademi-sche Ausbildung neben derEinarbeitung in den elterlichenMineralölbetrieb. Zum Endedes Jahres wechselt Fuchs vomVorstandsvorsitzenden zumVorsitz des Aufsichtsrates.

Auch in diesem Jahr wurde das Alumni-Golftunier, der„Rectors Cup“, ausgetragen.Als identitätsstiftender Faktorspielt der Sport bei der Kon-taktpflege der RWTH Aachenmit ihren Ehemaligen ein wich-tige Rolle, denn die Ehemali-gen – die Alumni und Alum-nae - sind wertvolle Multipli-katoren und Botschafter derAachener Hochschule. Für dieGolfsportfreunde unter denEhemaligen hält die RWTH einbesonderes Angebot bereit. 63Golferinnen und Golfer folgtender persönlichen Einladung desRektors der RWTH, Univ.-Prof.Dr. ��������!���, zumschwungvollen Kräftemessenauf dem idyllischen Golfplatz.

Bei dem Spielmodus des„RWTH-Scramble“ kam es ne-ben dem Können des Einzel-nen insbesondere auch aufden Teamgeist an. So wurdenabends auf einer feierlichenSiegerehrung die besten Flightsgeehrt. Das siegreiche Teamder Professoren Burkhard

Rauhut, !��������* #����und *������������ sowie deskoreanischen Ehrensenatorsder RWTH, Dr. + ��,�#��, erwies sich als besonderstreffsicher.

Mit der feierlichen Verleihungder Karl-Heinrich-Heitfeld-Preise ehrte die RWTH Diplom-und Doktorarbeiten in denGeowissenschaften. In Anwe-senheit von StiftungsgründerProfessor ����,����������������, RWTH RektorProfessor ��������!���,Kanzler Dr. ����������������und dem Leiter der Fachgrup-pe für Geowissenschaften,Professor !�����%����, wurdenin diesem Jahr Dr. ������������ und Dr. �����������für ihre Dissertationen mit je-weils 2.600 Euro bedacht. Fürihre Diplomarbeiten erhielten��"����! � � und %��(������� ��� jeweils 1.300 Euro.Reisestipendien erhielten%��(������-�� und Dr. .� ���������.

Die Stiftung geht auf ihrenNamensgeber, den emeritier-ten Professor für Ingenieur-geologie und HydrogeologieHeitfeld zurück. Ihr Zweck istdie Förderung der Geowissen-schaften, neben der Auszeich-nung von Absolventen vorallem durch die Vergabe vonStipendien an Studierende undPostgraduierte. Heitfeld wurde1924 in Hamm geboren, be-gann 1946 das Studium derGeologie und habilitierte 1966für das Lehrgebiet „Ange-wandte Geologie“. Er war un-ter anderem als Chefgeologedes Ruhrtalsperrenvereins Es-sen und als Inhaber eines inge-nieurgeologischen Büros tätig.Im April 1970 wurde er als or-dentlicher Professor an dieRWTH Aachen berufen, eremeritierte nach 20 Jahren im

März 1990. In dieser Zeit trugHeitfeld durch seine wissen-schaftliche Arbeit ganz we-sentlich zur Entwicklung derIngenieurgeologie in Deutsch-land bei.

Univ.-Prof. em. rer.pol. ����,�������������, langjährigerLeiter des Instituts für Soziolo-gie, wurde von der RWTH miteiner Festveranstaltung geehrt,da er mit Ende des Winterse-mesters 2003/2004 seine akti-ve Hochschulkarriere beende-te. Sein 25-jähriges Schaffenwürdigten unter anderem sei-ne Kollegen Univ.-Prof. Dr.phil. �������������� undUniv.-Prof. Dr. phil. ���������������. Hörning hat in seinemGeburtsort Heidelberg sowie inMannheim und München stu-diert und 1966 mit dem The-ma „Zur Soziologie des Ver-braucherverhaltens“ promo-viert. Danach hatte er gleichan mehreren amerikanischenElite-Universitäten – Harvard,Stanford und Columbia – ge-arbeitet. Seit 1979 hat er sichin Aachen mit zahlreichen Ar-beiten zum Thema „Menschund Technik“ verdient ge-macht. Aber auch über die So-ziologie hinaus war Hörningaktiv, er war lange Zeit Mit-glied des Umweltforums, so-wie des Forums Technik undGesellschaft.

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Mit einem großen Festkollo-quium feierte das Institut fürMetallurgische Prozesstechnikund Metallrecycling den 70.Geburtstag von Univ.-Prof.em. Dr. ) ������������.Mehr als 180 Freunde, Kolle-gen und ehemalige Studieren-de kamen zum Gratulieren.Seit über 45 Jahren gestaltet inunterschiedlichen Funktionendie Geschicke des Instituts mit.

Geboren 1933 in Eberswal-de bei Berlin, kam er als Stu-dent an die RWTH nach Aa-chen. Nach dem erfolgreichenAbschluss als Diplom-Inge-nieur der Metallhüttenkunde(heute: Metallurgie und Werk-stofftechnik) blieb er am Insti-tut und forschte im BereichVakuummetallurgie und habili-tierte zum Thema Vakuum-techniken zur Gewinnung vonNichteisenmetallen. Nach sei-ner umfangreichen wissen-schaftlichen Tätigkeit arbeiteteer in der Industrie, bevor er1977 als Professor an dieRWTH berufen wurde. Endedes Sommersemesters 1998wurde Joachim Krüger nach21 Dienstjahren emeritiert, erleitete das Institut aber kom-missarisch, bis sein NachfolgerUniv.-Prof. Dr. ���������������������� 1999 dem Ruf andas Institut folgte.

Neben seiner wissenschaft-lichen Arbeit engagierte sichKrüger sehr für seine Studen-ten und für die akademischeHochschulselbstverwaltung. Erwar von 1978 bis 1981 Fach-abteilungsleiter, von 1984 bis1986 Dekan, als Wahlsenatorvon 1982 bis 1984 Mitglieddes Senats und von 1979 biszu seiner Emeritierung Mitgliedim Satzungsausschuss, der fürden Entwurf und die Ände-rung der Hochschulverfassungverantwortlich war. Darüberhinaus engagierte er sich eh-renamtlich für den internatio-nalen Austausch und für denDialog von jungen Wissen-schaftlern. Ende der neunzigerJahre arbeitete er an der Res-trukturierung des Studiums derHüttenkunde mit. In Abspra-che mit seinem Nachfolger in-itiierte er die Umbenennungdes über 100 Jahre alten Aa-chener Metallhütteninstituts indas heutige Institut für Metal-lurgische Prozesstechnik undMetallrecycling.

Vier Absolventen der RWTHAachen wurden mit den Prei-sen der Otto-Junker-Stiftungfür ihre herausragenden Stu-dienleistungen geehrt. Seit1992 würdigt die Otto-Junker-Stiftung Studierende aus derFachgruppe Metallurgie undWerkstofftechnik der Fakultätfür Georessourcen und Mate-rialtechnik sowie aus der Fa-kultät für Elektrotechnik undInformationstechnik. Die Preis-träger sind )��,����� #�.��� ������ #���, ���������� �, ��������������� und.� ���!���. Bei der Ver-leihung begrüßte Rektor Univ.-Prof. Dr. ��������!���gemeinsam mit $���������,������, Vorsitzender desKuratoriums der Otto-Junker-Stiftung, die Preisträger. DerVorsitzende des wissenschaftli-chen Beirates der Otto-Junker-Stiftung, Univ.-Prof. em. Dr. $������������, stellte dieKandidaten und ihre Leistun-gen vor. Anschließend wurdendie Preise, die jeweils mit2.500 Euro dotiert sind, über-geben.

Mitten im Aachener Hoch-schulviertel baut die RWTHAachen ein zentrales Service-Center für Studierende, dasStudienfunktionale Zentrum�#���. Um die Wärmeener-gie der Erde für das GebäudeSuperC nutzbar zu machen,wird zunächst eine Erdwärme-sonde in einer 2.500 Metertiefen Bohrung installiert.Durch einen geschlossenenKreislauf wird Wasser in dieTiefe geleitet. Es erwärmt sichauf dem Weg in die Tiefe amGestein und wird an die Ober-fläche zurückgepumpt. Dortwird es direkt in die Heiz- undKühlsysteme des Gebäudeseingespeist.

Im Juli begannen auf demTemplergraben mitten in Aa-chen die Bohrarbeiten für dieerste tiefe (2.500 Meter) Erd-wärmesonde in NRW. Energie-minister Dr. %(���� ������,der Oberbürgermeister derStadt Aachen, Dr. )������������, und Rektor Prof. Dr. ��������!��� stelltendas Projekt SuperC Geothermvor.

Das Publikum konnte livemiterleben, wie sich zum er-sten Mal der Bohrmeißel inden Aachener Untergrund ab-senkte. Anschließend hatte esdie Gelegenheit, den Bohrplatzund die Info-Station in Beglei-tung von fachkundigen Mitar-beitern der Hochschule zu be-sichtigen.

Bereits zum 12. Mal wurde ander RWTH Aachen F.C. Trapp-Preis an vier herausragende,junge Bauingenieurinnen undBauingenieure vergeben. Derinsgesamt mit 5.000 Euro do-tierte Preis erinnert an das be-reits über 130 Jahre bestehen-de Bauunternehmen F.C. Trappaus Wesel und den Ehrenbür-ger der RWTH, den 1989 ver-storbenen Dr.-Ing. �����.��##.Sein Sohn, Stifter des Preises,Dr.-Ing. ���������������.��##,ist seit dem vergangenen Jahrebenfalls Ehrenbürger. Außer-dem unterstützt und vertieftder Preis die seit Jahrzehntenbestehenden guten Verbin-dungen zwischen dem Fami-lienunternehmen und derRWTH.

Die Preisträger 2004 sindDipl.-Ing. /�"��� &���������,Dipl.-Ing. %����$��"����,Dipl.-Ing. ��"������! ��� undDipl.-Ing. ���������������.Sie nahmen die Preise vomStifter Friedrich Carl Trapp ent-gegen.

Der Preis wird vergeben anjunge Bauingenieure, die sichin kurzer Studienzeit ein breitangelegtes Fachwissen für denBeruf angeeignet haben. Da-rüber hinaus werden gute Prü-fungsergebnisse und herausra-gende Themen der Diplomar-beiten, die von besonderemInteresse für die Bauwirtschaftsind, erwartet. Auch praktischeErfahrungen auf der Baustellemüssen die jungen Ingenieuregemacht haben, um den Preiszu erhalten.

Anfang des Jahres konnte eineInitiative des EuropäischenZentrums für Integrationsfor-schung e.V. Aachen (EZI), derAlumni-Vereinigung des Euro-pastudienganges der RWTHAachen, gestartet werden. Mitder Fakultät für Organisations-wissenschaften der UniversitätMaribor, Slowenien, ihrem De-kan Prof. Dr. Jo e Florijanšiš,Dr. Karl Pütz, EZI-Aachen undDr. Emil Popov vom EZI-Aa-chen sowie mit PD Dr. FranzDunkel und Heinrich Kortevom Aachener ICON-Institutwurde ein mehrjähriges Ko-operationsprogramm zur be-ruflichen Weiterbildung vonslowenischen Studierendenund Universitätsabsolventenentwickelt. Angedacht ist einProgramm, welches insbeson-dere internationales Marketing,Business Economics als auchHuman Resource Manage-ment einschließlich Trainingund Entwicklung umfasst. Dieersten slowenischen Teilneh-mer sind bereits eingetroffen.Nach erfolgreichem Abschlussdes Kooperationsprogrammserhalten die Teilnehmer einentsprechendes Zertifikat.

Nachrichten&c c

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Hans-Otto Horch

„Archiv jüdischen

Tragt ihn mit Stolz, dengelben Fleck!“ Mit dieserSchlagzeile erscheint am

4. April 1933 in Berlin die zio-nistisch orientierte „JüdischeRundschau“. Der Redakteurder Zeitschrift, Robert Weltsch,ein Mitglied des „Prager Krei-ses“ um Max Brod und FranzKafka, bezieht damit eine klareund selbstbewusste Positiongegenüber den antisemitischenBoykott-Aktionen, mit denendie gerade etablierte Hitler-Re-gierung den Startschuss gibtfür den Untergang jüdischenLebens in Deutschland undEuropa. In der „C.V.-Zeitung“,dem Organ des „Central-Ver-eins deutscher Staatsbürgerjüdischen Glaubens“, der dieMehrheit der deutschen Judenrepräsentierte, lässt sich dannunmittelbar vor dem Novem-berpogrom am 3. November1938 nachlesen, welche Kon-sequenzen Hitlers Politik imVorfeld der ‘Endlösung der Ju-denfrage’, des Holocaust hat-te: Es geht fast ausschließlichum Emigrationsfragen, um diemehr oder minder große Be-reitschaft europäischer Länder,verfolgte Juden aufzunehmen.Eine ganze Beilage ist der„Wanderung“ gewidmet: Manberichtet über die Forcierunghandwerklicher und landwirt-schaftlicher Ausbildung für einLeben in Palästina. In Kleinan-zeigen werden liquidierte Ge-schäfte zum Kauf angeboten,man bietet seine Dienste alsSpediteur an. Im Kulturteilfinden sich „Lieder vom Ab-schied“ einer damals noch we-nig bekannten Dichterin, dieerst durch den Holocaust imschwedischen Exil ihre eigentli-che Stimme findet: Nelly Sachs.Wenige Tage nach Erscheinendieser Nummer, am 9. Novem-ber, werden in Folge des Po-groms alle jüdischen Periodikaverboten.

Wie war der Anfang diesersich in der Presse spiegelndenEntwicklung? Das früheste jü-dische Periodikum in deutscherSprache „Sulamith“, eine„Zeitschrift zur Beförderungder Kultur und Humanität un-ter der jüdischen Nation“,1806 begründet von DavidFränkel und Josef Wolf, stehtganz im Zeichen der Aufklä-rung und der erhofften bür-gerlichen Gleichstellung. Manargumentiert in zwei Richtun-gen: Zum einen will man dennichtjüdischen Bürgern dasGefühl der Fremdheit nehmen,indem man zeigt, dass das Ju-dentum die gleichen reinenVorstellungen von Ethik hatwie das Christentum, zum an-dern will man den eigenenGlaubensgenossen eine Re-form des jüdischen Kultus undeine Neuinterpretation man-cher religiöser Gesetze nahele-gen, die Anlass für Vorurteilegeben könnten. 1806 wird al-so das Pathos einer zukünfti-gen Einheit aller Bürger be-schworen, während 1938 dasPathos des schmerzlichen Ab-schieds von anderthalb Jahr-

hunderten deutsch-jüdischenMiteinanders dominiert.

Überblickt man die Vielzahlder religiös wie politisch unter-schiedlich ausgerichteten jüdi-schen Periodika, so kann mitFug und Recht von einem „Ar-chiv jüdischen Lebens“ ge-sprochen werden. 1984 nahmich mich im Rahmen meinerHabilitationsschrift über die Li-teraturkritik der langlebigstenjüdischen Zeitschrift inDeutschland, der „Allgemei-nen Zeitung des Judentums“(1837-1922), dieser Thematikan. Auch das in Deutschlandsinguläre Lehr- und For-schungsgebiet Deutsch-jüdi-sche Literaturgeschichte, das1992 an der RWTH begründetwurde, hat sich kontinuierlichmit dem Quellenkorpusdeutsch-jüdischer Periodikabeschäftigt – vor allem auchunter dem Gesichtspunkt, wiedenn dieses immense Korpus(an die 500 Periodika) einerbreiteren Öffentlichkeit zu-gänglich gemacht werdenkönnte. Das (zum Teil beschä-digte) Material war über Bi-bliotheken in der ganzen Welt

verstreut, so dass es fast un-möglich war, im Einzelfall analle noch so entlegenen Mate-rialien heranzukommen, sieauszuleihen oder zu fotokopie-ren.

Die Neuen Medien schufeneine neue Situation. Die Mög-lichkeiten der elektronischenTextverarbeitung hatte ich be-reits 1974 im Rahmen meinerAachener Dissertation überquantitative Aspekte der LyrikGottfried Benns genutzt; seit-dem war deutlich geworden,dass gerade an einer Techni-schen Hochschule die Chancebestand, dieses Potenzial imSinn einer Verbindung der‘zwei Kulturen’ intensiv weiter-zuentwickeln. Im DFG-Schwer-punktprogramm „Retrospekti-ve Digitalisierung von Biblio-theksbeständen“ wurde imJahr 2000 das Projekt „Retro-spektive Digitalisierung jüdi-scher Periodika im deutsch-sprachigen Raum“ (www.com-pactmemory.de) angesiedelt,das in enger und fruchtbarerKooperation mit dem Sonder-sammelgebiet Judentum derFrankfurter Stadt- und Univer-

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Lebens” DFG-Digitalisierungsprojekt erschließt historische jüdische Periodika

sitätsbibliothek (Dr. RachelHeuberger) sowie der KölnerBibliothek Germania Judaica(Dr. Annette Haller) durchge-führt wird. Bis 2006 werdendie wichtigsten deutsch-jüdi-schen Zeitschriften, Zeitungenund Jahrbücher bibliographischerschlossen, digitalisiert und imInternet bereitgestellt. Der Auf-bau einer effizienten Produk-tionslinie, die große, heteroge-ne Datenmengen ohne Zeit-verzug zur universalen Nut-zung im Internet aufbereitet,bildet den technologischen Fo-kus des DFG-Projekts. Es warein Glücksfall, dass mit KayHeiligenhaus, der als Absol-vent in den Fächern Linguistikund Literaturwissenschaft zu-gleich Experte im Bereich elek-tronischer Datenbanken ist, einexzellenter Mitarbeiter auf dertechnischen Seite gewonnenwerden konnte; seiner zusam-men mit dem Aachener Lingui-sten Univ.-Prof. Dr. ChristianStetter gegründeten Firmasemantics wurde die technolo-gische Realisierung des Pro-jekts übertragen. Im Bereichdes Lehr- und Forschungsge-biets übernahm Till Schicke-tanz die Organisation und Eva-luation des Gesamtprojekts,unterstützt von Alexander We-sendonk, Martina Flohr, Domi-nic Bitzer und Doris Vogel.

Die Softwareplattform er-möglicht die strukturierte Er-fassung, Indizierung, Volltext-erkennung, Bearbeitung undBereitstellung beliebiger Mate-rialien im Internet. Dabei wer-den durch das Modul LibraryManager große Mengen vonGrafiken übersichtlich undschnell auf einen lokalen Da-tenbankserver überspielt (cirka1.000 Images pro Stunde).Über einen Navigationsbaum,der die serverinterne Zielver-zeichnisstruktur abbildet, wer-den die Images nach Zeit-

schriftentitel, Jahrgängen oderHeften abgelegt, wobei jedesImage einem Typus zugeord-net werden kann. Unter Ver-wendung des Moduls LibraryScout stehen die erschlossenenMaterialien in Form dynamischgenerierter Webseiten unmit-telbar zu Recherchezweckenzur Verfügung. Die Aufgabeder beteiligten Bibliothekenbesteht zum einen in der Be-reitstellung der Periodika, zumandern in der bibliographi-schen Aufbereitung der einzel-nen Artikel, deren Kerndatenvia Internet aus Frankfurt undKöln nach Aachen übermitteltwerden.

Das Aachener Digitalisie-rungsprojekt hat mittlerweilenational wie international gro-ße Beachtung gefunden, wasnicht zuletzt durch die Auf-nahme ins Online Archive derUNESCO dokumentiert ist, dassich der Sammlung und Be-wahrung des „World DigitalHeritage“ verpflichtet. DieWebsite wird durchschnittlich(mit steigender Tendenz) voncirka 200 Nutzern täglich auf-gerufen. In ihrer offenen Struk-tur steht die mittlerweile aus-gereifte Technologie für Digi-talisierungsprojekte aller Artzur Verfügung – was einer im-mer wieder und zu Recht er-hobenen Forderung entspricht,dass öffentlich finanzierte Pro-jekte, zumal mit einem tech-nologischen Anteil, besondersnachhaltig sein müssen. ●

Autor:

Univ.-Prof. Dr. phil. Hans OttoHorch ist Leiter des Lehr- undForschungsgebiets Deutsch-jüdische Literaturgeschichte.

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Die neue Leichtigkeitdes Automobilbaus Mareike Schrödter

Leichtbauweisen sparen Energie und machen den Straßenverkehr sicherer

icht nur wir Menschenhaben hin und wiedermit Gewichtsproblemen

zu kämpfen, auch Kraftfahr-zeuge müssen auf ihre „schlan-ke Linie“ achten. Wenn wir zuviel Gewicht mit uns rumtra-gen, müssen auch wir mehrEnergie aufbringen, wenn wiruns in der Mobilität nicht ein-schränken wollen. Bei Autosäußert sich das Übergewichtnicht anders, auch sie brau-chen mehr Energie. So steigtder Kraftstoffverbrauch mit er-höhtem Gewicht. Dies merktdann nicht nur der Automobil-besitzer in seiner Geldbörse,auch der Umwelt wird ein er-heblicher Schaden zugefügt.Ein weiterer unerwünschterNebeneffekt von „schweren“Fortbewegungsmitteln ist ihrerhöhter Ausstoß von Kohlen-dioxid (CO2). Momentan sind28 Prozent der CO2-Emissio-nen auf den Verkehr zurück-zuführen, und diese Zahl wirdsich in Zukunft noch drastischerhöhen, da laut EuropäischerKommission der Personenbe-förderungsbedarf in der Euro-päischen Union weiter steigenwird. Die Notwendigkeit einesverringerten CO2-Ausstoßesist spätestens seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 auch einwichtiger Punkt der EU-Politikund damit auch ein relevantesThema für die Automobilher-steller. So leben wir nicht nurgesünder, wenn wir auf unsereKilos achten, sondern auch,wenn wir das Gewicht unsererAutos reduzieren.

Eine Gewichtsreduzierungbei einem Fahrzeug und diedamit verbundene Senkungdes Kraftstoffverbrauchs unddes CO2-Ausstoßes erreichtman im Automobilleichtbauunter anderem durch die sogenannte Multi-Material-Bau-weise. Eine wichtige Kompo-nente bei der Realisierung ei-nes „intelligenten Material-Mix“ ist die Möglichkeit desRecyclings der eingesetztenWerkstoffe am Ende einesFahrzeuglebens. Seit dem Jahr2000 gibt es europäische Richt-linien, die vorschreiben, wieviel Prozent eines Fahrzeugeszu recyceln sind. Als Vorgabedürfen bis 2015 nur noch fünf

Prozent des Fahrzeuges aufder Deponie enden. WeitereHerausforderungen bei derPKW-Entwicklung ergeben sichaus dem Bemühen um dieErhöhung der Sicherheit vonFußgängern bei einem Zusam-menstoß mit einem Kraftfahr-zeug. Großes Interesse an die-sen Zukunftsthemen bestehtauch bei den europäischenAutomobilherstellern, die ihreSelbstverpflichtung zur Verrin-gerung des CO2-Ausstoßeseinhalten und zukünftige ge-setzliche Anforderungen –etwa beim Fußgängerschutz –nach Möglichkeit bereits heuteerfüllen möchten. Im Rahmeneines Nachwuchsforscherpro-jekts hat sich das Institut fürKraftfahrwesen Aachen (ika)mit den Instituten für BildsameFormgebung (IBF) und fürKunststoffverarbeitung (IKV)sowie mit Partnern aus der In-dustrie zusammengetan, umdie so beliebten Fortbewe-gungsmittel auf„Diät“ zu set-zen. Die Institute der RWTHAachen verfügen über ein Pro-jektvolumen von einer MillionEuro, wobei der Hauptteil derFördersumme vom Ministe-rium für Wissenschaft und For-schung des Landes Nordrhein-Westfalen kommt. Gut einViertel der Summe stammt vonden Industriepartnern ErbslöhAG, Ford ForschungszentrumAachen (FFA), Hydro Alumi-nium Deutschland GmbH undder ThyssenKrupp Stahl AG.

Ziel der Nachwuchsfor-schergruppe ist der Aufbaueiner Vorderwagenstrukturunter Entwicklung von Multi-Material-Konzepten und Ver-wendung von neuen Werk-stoff- und Fügetechnologien.Dabei soll eine erhebliche Ge-wichtsreduktion gegenüber ei-ner Referenzstruktur in kon-ventioneller Bauweise erreichtund zugleich die wirtschaft-liche Realisierbarkeit sicherge-stellt werden. Die Vorderwa-genstruktur eines PKW besitztauch deshalb besondere Be-deutung, weil sie die Erstkon-taktzone bei Fahrzeug-Fußgän-ger-Kollisionen ist und Unfällezu fast 90 Prozent an dieserStelle geschehen. Personen-gruppen wie Fußgänger und

Fahrradfahrer standen bislangnoch nicht so im Focus der Si-cherheit wie die Fahrzeuginsas-sen. Dies soll sich allerdings inden nächsten Jahren ändern.In der Europäischen Unionwird ein Prüfverfahren zumFußgängerschutz ab 2005 inzwei Phasen in das gesetzlichvorgeschriebene Typgeneh-migungsverfahren von Kraft-fahrzeugen aufgenommen.Dadurch wird der Fußgänger-schutz auch Pflicht für die Her-steller. Somit gilt es, die Leicht-bauweise des Vorderwagensmit gezielten Maßnahmen zurVerringerung der Verletzungs-gefährdung von Fußgängernzu vereinen.

Beim Automobilleichtbausind drei verschiedene Ansätzezu unterscheiden. Im Werk-stoffleichtbau werden Materia-lien mit optimalen gewichts-spezifischen Eigenschaften ein-gesetzt, während beim Form-leichtbau Gewicht durch einebeanspruchungsgerechtere Ge-staltung von Bauteilen gespartwird. Der Begriff „Fertigungs-leichtbau“ meint schließlich dieAnwendung neuartiger Her-stellungsverfahren, die eineVerbesserung der gewichtsbe-zogenen Bauteileigenschaftenermöglichen. Im Karosseriebauwird sich in Zukunft ein Mate-rial-Mix durchsetzen, bei demStahl, Aluminium, Magnesium,Titan und Kunststoffe Verwen-dung finden. Durch die Ent-wicklung neuer Herstellungs-und Verbindungstechnologienfür Leichtbauweisen ist esschon gelungen, Fahrzeugemit weniger Gewicht im Ver-gleich zur konventionellen Mo-nomaterialbauweise herzustel-len. Hier sind besonders ex-klusive Kleinseriensportwagenwie der Aston Martin Van-quish, der Ferrari Enzo Ferrari,der Mercedes SLR McLarenoder der Porsche Carrera GTzu nennen. Aber auch beiKlein- und Mittelserienwagenverschiedenster Klassen wurdedurch den Einsatz von Alumi-nium deutlich Gewicht redu-ziert wie beispielsweise beimAudi A8, dem Jaguar XJ, demHonda Insight oder beim AudiA2. In einigen Entwicklungs-projekten, unter anderem beim

NewSteelBody von Thyssen-Krupp, konnten Gewichtsre-duktionen von 20 Prozent anKarosseriestrukturen für dieGroßserie erzielt werden.

Das Nachwuchsforschungs-projekt möchte die Anwend-barkeit der bislang auf Kleinse-rien beschränkten Multi-Mate-rial-Leichtbauweise, die be-sonders hohe Gewichtseinspa-rungen verspricht, auf Großse-rienwagen ausdehnen. Die neugestaltete Vorderwagenstruk-tur soll in ein bestehendes Se-rienfahrzeug integriert werden.So ist ein Produktionsvolumenvon mehr als 400 Fahrzeugenpro Tag vorgesehen. Auch wirdder Einsatz neuester Sicher-heitssysteme berücksichtigt,die bereits vor einem Unfall inder so genannten Pre-Crash-Phase ausgelöst werden und in etwa zehn Jahren Stand derTechnik sein dürften. Mit denIndustriepartnern wird eineKombination von Pre-Crash-Si-cherheitssystemen erarbeitet,die eine optimale Leichtbau-gestaltung der Vorderwagen-struktur ermöglichen. Die Aus-wirkungen dieser Sicherheits-systeme werden bei der Wei-terentwicklung der Vorderwa-genstruktur berücksichtigt.Aufgrund dieser und andererÜberlegungen wird ein Anfor-derungskatalog erstellt. AnHand dessen werden anschlie-ßend mehrere Konzepte einerVorderwagenstruktur in Multi-Material-Bauweise am Com-puter erarbeitet, von denenzwei ausgewählt werden undin den wesentlichen Struktur-bauteilen weiterentwickeltwerden. Die bei der Konzept-erarbeitung gewonnenen Er-gebnisse geben Informationenüber die Formgestaltung derStrukturelemente, die Werk-stoffarten und die Fügetech-nik. Einer der Entwürfe wirddann detailliert in digitalenModellen ausgearbeitet. InFinite-Elemente-Simulationenwerden die vorgesehenenWerkstoffgüten, Wandstärkenund die Strukturgestaltung va-riiert, bis eine Lösung gefun-den ist, die alle Anforderungenbei minimalem Gewicht erfüllt.So wird die Vorderwagenstruk-tur des Referenzwagens durch

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eine Struktur in Multi-Materi-al-Bauweise ersetzt, ohne dieäußere Erscheinung des Wa-gens zu verändern.

Am Endes sollen alle Ele-mente der Vorderwagenstruk-tur als Prototypbauteile gefer-tigt werden und in das aus-gewählte Referenzfahrzeugeingebaut werden. DiesesFahrzeug muss sich in ver-schiedenen Tests bewähren.Die Ergebnisse dieser Tests undSimulationen, einschließlichRealversuche in der Crashan-lage des ika, werden mit denResultaten des Referenzfahr-zeuges mit einem Vorderwa-gen in konventioneller Bau-weise verglichen. Auf dieserGrundlage wird das Potenzialzur Realisierung von Leicht-bau und zur Minderung uner-wünschter Nebeneffekte desKraftfahrzeugverkehrs bewer-tet. ●

Autorin:

Mareike Schrödter M.A. ab-solvierte ein Praktikum in derPressestelle der RWTH.

Studium Marion E. Franke

der kurzen WegeFeierliche Einweihung der Anorganischen Chemie der RWTH Aachen

it einem Festaktwurde das Hauptge-

bäude des Instituts für Anor-ganische Chemie der RWTHAachen nach dreijährigerGrundsanierung eingeweiht.Die Sanierung war Teil der Zu-sammenführung der Kernfä-cher der Chemie an der RWTHAachen und bildet mit demNeubau des Hauptgebäudesdes Instituts für PhysikalischeChemie nun die Grundlage fürein „Studium der kurzen We-ge“.

Die Anorganische Chemieist das klassische Portal zumChemiestudium. In ihren neu-en Räumlichkeiten finden Stu-dienanfänger bestens ausge-stattete Praktikumssäle mitmodernster Sicherheitstechnikund somit hervorragende Aus-bildungsbedingungen vor. Dar-über hinaus sind auch für Di-plomanden und Doktorandenausgezeichnete Möglichkeitendurch die Bereitstellung neuerLaboratorien und optimierterServiceleistungen geschaffenworden, was durch die erst-klassige interdisziplinäre For-schung in den zahlreichen Ar-beitsgruppen des Instituts er-gänzt wird.

Die thematischen Schwer-punkte in Forschung und Leh-re beinhalten mesokopischebeziehungsweise nanostruktu-rierte Systeme und Werkstoff-chemie, die AsymmetrischeSynthese sowie die Katalyse,wie Professor Jun Okuda, Ge-schäftsführender Direktor desInstituts für AnorganischeChemie, nach der musikali-schen Einführung und der Be-grüßung der zahlreich erschie-nenen Gäste zusammenfasste.Darüber hinaus werden dieStudierenden durch die Teil-nahme an interdisziplinärenForschungsaktivitäten mit derNanotechnologie, den Lebens-wissenschaften, den Ingenieur-wissenschaften und der Medi-zin auf die Anforderungen desArbeitsmarktes vorbereitet.Nach den Grußworten desVertreters des Ministeriums fürWissenschaft und Forschung,Heinz-Peter Silberbach, undvon Harald K. Lange vom Bau-und Liegenschaftsbetrieb (BLB)NRW verwies Rektor ProfessorBurkhard Rauhut auf die Ver-mittlung komplexer und um-

fangreicher Inhalte als Be-standteil einer exzellentenAusbildung auch in den inAachen traditionell starken In-genieurfächern. Anschließendwurden den Gästen die For-schungsaktivitäten des Institutsdurch Professor Ulrich Simonnäher gebracht. Sie konntensich von der Vielzahl der vonder Öffentlichen Hand und der Industrie geförderten For-schungsprojekten überzeugen,die sich besonders der interdis-ziplinären Kooperation wid-men. Dazu zählen etwa dasjüngst begonnene Graduier-tenkolleg „Biointerfaces – De-tektion und Steuerung grenz-flächeninduzierter biomoleku-larer und zellulärer Funktio-nen“ sowie die Arbeiten amvirtuellen „Institut für Funktio-nale Molekülsysteme für dieInformationstechnologie“ derRWTH Aachen und des For-schungszentrums Jülich, diesich der molekularelektroni-schen Anwendung chemischerSysteme widmen. Darüber hin-aus wurde die enge Einbin-dung des Instituts in verschie-dene Forschungsnetzwerke der RWTH Aachen, wie das„Forum Life Science“, den„RWTH-NanoClub“ und die„Computational ChemistryCoalition“ vorgestellt.

Professor Günther Schmidvon der Universität Duisburg-Essen eröffnete den wissen-schaftlichen Teil der Veranstal-tung mit einem Vortrag, indem er das Publikum enga-giert durch „die Geschichte ei-nes Quantenpunktes“ leitete.Ausgehend von akademischenFragestellungen, wie der zu-nächst rein strukturellen Unter-suchung verschiedener Metall-Komplexe, gelang der Wissen-schaft schließlich die Synthesevon nanoskaligen Goldverbin-dungen mit ungewöhnlichenEigenschaften. Der inzwischenberühmt gewordene Schmid’-sche Au55 Cluster mit seinenaußergewöhnlichen physikali-schen Eigenschaften ist aus derNanowissenschaft nicht mehrwegzudenken. Daher unter-streicht Schmids Beitrag dieBedeutung der Grundlagen-forschung für die Entwicklung

von Anwendungen für neueSchlüsseltechnologien.

Der zweite Gastvortrag vonProfessor Wolfgang A. Herr-mann, Präsident der TU Mün-chen, trug den Titel „Zu-kunftstechnologie Katalyse“.Herrmann veranschaulichte,wie groß die Rolle der Kataly-seforschung in der Chemieund somit in zahlreichen Be-reichen des Alltags ist. Er be-leuchtete anhand seiner teil-weise bereits historischen Bei-spiele wie des Haber-Bosch-Prozesses, der Hydroformulie-rung und der Ziegler-Natta-Polymerisation, wie sich dasZusammenwirken einer Grund-lagenforschung mit Anwen-dungsorientierung zu bedeu-tenden Wirtschaftsfaktorenentwickeln kann. Neuere Bei-spiele aus seinem Labor, dasuniversell als Oxidationskataly-sator einsetzbare Methylrheni-umtrioxid sowie Homogenka-talysatoren mit stabilen Car-ben-Liganden, rundeten denÜberblick ab.

Anschließend hatten dieGäste die Gelegenheit, sichpersönlich auf einem Rund-gang von den neuen Räum-lichkeiten mit ihrer exzellentenAusstattung zu überzeugensowie sich in einer Posteraus-stellung ein Bild von den ak-tuellen Forschungsergebnissendes Institutes für AnorganischeChemie der RWTH Aachen zumachen. ●

Autorin:

Dr. rer.nat. Marion E. Frankeist Koordinatorin des Nano-Clubs der RWTH Aachen.

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Institut für Technische Chemieund Makromolekulare Chemieder RWTH Aachen. Eine Mit-

arbeiterin mit einer Auswahl anKatalysatoren zur Synthese von

Feinchemikalien.Foto: Peter Winandy

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Blick in die Analysekammer desFlugzeit-Sekundärionen-Massen-

spektrometers im Institut fürPhysikalische Chemie der

RWTH Aachen.Foto: Peter Winandy

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Lehr- und ForschungsgebietTheoretische Chemie der RWTHAachen. Dr. Charlotte Repgesbei der Probenvorbereitung zurAufnahme von Zirkular-Dichrois-mus-Spektren zur Untersuchungoptisch aktiver Substanzen.Foto: Peter Winandy

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