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55 PROGRAMM 21/2008/1 Sabine Schiffer Schluss mit der Fokussierung! Zur stereotypisierten Darstellung von (muslimischen) MigrantInnen in den Medien Wenn Medien über muslimische MitbürgerInnen berichten, scheint es nur zwei Alternativen zu geben: Krisenthematisierung oder Multi- kulti-Nische. An Beispielen wird gezeigt, dass es auch anders geht. N atürlich ist die Thematisie- rung von Islam und Musli- men ausschließlich im Kon- text von Migration schon ein Stereo- typ. Die lange Tradition des Islam in Deutschland auch vor 1945 bleibt da- mit der Wahrnehmung entzogen, eben- so wie beispielsweise die (Neu-)Grün- dung der Deutschen Muslimliga im Jahr 1948. Wer aber meint, der Islam sei als Medienthema mit den (musli- mischen) Einwanderern aus der Tür- kei nach Deutschland gekommen, irrt – denn die Wahrnehmung der Immi- gration mit Fokus auf die Religion ist ein viel neueres Phänomen. Sie hat sowohl mit religiösen Re-Identifika- tionsprozessen als Antwort auf Dis- kriminierungserfahrungen als auch mit der verstärkten Thematisierung des Islam in unseren Mediendiskur- sen seit den 1990er-Jahren zu tun (vgl. Butterwegge/Hentges 2006; Schiffer 2005; Halm u. a. 2007) – nicht also mit dem tatsächlichen und zahlenmä- ßig nicht zu übersehenden Zuzug von muslimischen TürkInnen zusammen mit ItalienerInnen, GriechInnen und JugoslawInnen als ArbeitsmigrantIn- nen nach Deutschland sowie späteren Flüchtlingen, z. B. aus dem Iran. Außerdem tritt durch den Titel dieses Beitrags das Faktum in den Hinter- grund, dass neben Karl May und dem Orientalismus im Wesentlichen die Auslandsberichterstattung unser Is- lambild geprägt hat (vgl. Hafez 2002). Erst in neuerer Zeit treten der Islam sowie seine ProtagonistInnen in Deutschland als Thema vermehrt auf die Bühne des Betrachtenswer- ten, allerdings ohne sich dabei von den Schablonen befreien zu können, die die langjährige Krisenthematisie- rung angelegt hat (vgl. Scheufele 2003). Diese »Brille« bestimmt nach wie vor die Auswahl der Aspekte, die überhaupt benannt werden – und dies beeinflusst zunehmend, wie die mus- limische Minderheit in Deutschland wahrgenommen wird. Denn obwohl diese größtenteils aus der Türkei und vorwiegend einem bestimmten sozia- len Milieu entstammt und den gän- gigen Prozessen der Migration unter- worfen ist, suggeriert die aufgeregte Islamdebatte Begründungen und Zu- sammenhänge, die allenfalls eine Randrolle spielen, nun aber ins Zen- trum der Aufmerksamkeit rücken. Große Missverständnisse sind die Folge. Eine ehrliche Auseinanderset- zung aller Beteiligter birgt die Chan- ce, sich selbst zu reflektieren und weiterzuentwickeln, statt in Selbst- idealisierungen und Fremdstigmati- sierungen zu verfallen. MigrantInnendarstellung als Ausnahme Zunächst einmal ist festzustellen, dass auch MuslimInnen der »natür- lichen« Ausgrenzung in vielen Hauptmedienformaten unterliegen (vgl. Koch 1996; Yildiz 2006). Ähn- lich wie es Frauen und Minderheiten wie Behinderten, Schwarzen und MigrantInnen ergeht (vgl. WACC/ Gallagher 2005) – also allen, die nicht zur Kategorie »weißer Mann« gehö- ren – sind MuslimInnen in den gän- gigen Unterhaltungsprogrammen un- terrepräsentiert. Eine Minderheit sind sie ja tatsächlich. Während sie einen geschätzten Bevölkerungsanteil von 3 % in Deutschland ausmachen, sind sie in der Darstellung von Nachrich- ten- und Magazin-Formaten jedoch mit einem überproportional großen Anteil an den »Problemfällen« ver- treten (vgl. Butterwegge 2006; Ha- fez/Richter 2007). Frauen bilden die Hälfte der Gesell- schaft und sind mit einem Anteil von 20 % in den Medien repräsentiert (WACC/Gallagher 2005, S. 30 f.). Menschen mit Migrationshintergrund sind hier schlechter gestellt: Während sie ca. ein Fünftel der bundesdeut- schen Bevölkerung stellen, liegt ihr Anteil im normalen Fernsehprogramm und bei den Medienschaffenden weit unter 10 %. 1 Sogar in vergleichswei- se neuen Formaten wie der Serie Ver- liebt in Berlin, die im multikulturel- len Berlin spielt, fehlen authentische DarstellerInnen, die die Vielfalt vor Ort widerspiegeln. Das wird Muslime nicht trösten, die sich zwar ebenfalls vielfach thematisiert, aber nicht wirk- lich repräsentiert fühlen. Dabei hat sich in den letzten Jahren viel getan, auch MuslimInnen einen Platz in Medien einzuräumen, z. B. im Wort zum Freitag (SWR) sowie im ZDF-Forum am Freitag, in dem

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PROGRAMM21/2008/1

Sabine Schiffer

Schluss mit der Fokussierung!Zur stereotypisierten Darstellung von (muslimischen) MigrantInnen in den Medien

Wenn Medien über muslimische

MitbürgerInnen berichten, scheint

es nur zwei Alternativen zu geben:

Krisenthematisierung oder Multi-

kulti-Nische. An Beispielen wird

gezeigt, dass es auch anders geht.

Natürlich ist die Thematisie-

rung von Islam und Musli-

men ausschließlich im Kon-

text von Migration schon ein Stereo-

typ. Die lange Tradition des Islam in

Deutschland auch vor 1945 bleibt da-

mit der Wahrnehmung entzogen, eben-

so wie beispielsweise die (Neu-)Grün-

dung der Deutschen Muslimliga im

Jahr 1948. Wer aber meint, der Islam

sei als Medienthema mit den (musli-

mischen) Einwanderern aus der Tür-

kei nach Deutschland gekommen, irrt

– denn die Wahrnehmung der Immi-

gration mit Fokus auf die Religion ist

ein viel neueres Phänomen. Sie hat

sowohl mit religiösen Re-Identifika-

tionsprozessen als Antwort auf Dis-

kriminierungserfahrungen als auch

mit der verstärkten Thematisierung

des Islam in unseren Mediendiskur-

sen seit den 1990er-Jahren zu tun (vgl.

Butterwegge/Hentges 2006; Schiffer

2005; Halm u. a. 2007) – nicht also

mit dem tatsächlichen und zahlenmä-

ßig nicht zu übersehenden Zuzug von

muslimischen TürkInnen zusammen

mit ItalienerInnen, GriechInnen und

JugoslawInnen als ArbeitsmigrantIn-

nen nach Deutschland sowie späteren

Flüchtlingen, z. B. aus dem Iran.

Außerdem tritt durch den Titel dieses

Beitrags das Faktum in den Hinter-

grund, dass neben Karl May und dem

Orientalismus im Wesentlichen dieAuslandsberichterstattung unser Is-lambild geprägt hat (vgl. Hafez2002). Erst in neuerer Zeit treten derIslam sowie seine ProtagonistInnenin Deutschland als Thema vermehrtauf die Bühne des Betrachtenswer-ten, allerdings ohne sich dabei vonden Schablonen befreien zu können,die die langjährige Krisenthematisie-rung angelegt hat (vgl. Scheufele2003). Diese »Brille« bestimmt nachwie vor die Auswahl der Aspekte, dieüberhaupt benannt werden – und diesbeeinflusst zunehmend, wie die mus-limische Minderheit in Deutschlandwahrgenommen wird. Denn obwohldiese größtenteils aus der Türkei undvorwiegend einem bestimmten sozia-len Milieu entstammt und den gän-gigen Prozessen der Migration unter-worfen ist, suggeriert die aufgeregteIslamdebatte Begründungen und Zu-sammenhänge, die allenfalls eineRandrolle spielen, nun aber ins Zen-trum der Aufmerksamkeit rücken.Große Missverständnisse sind dieFolge. Eine ehrliche Auseinanderset-zung aller Beteiligter birgt die Chan-ce, sich selbst zu reflektieren undweiterzuentwickeln, statt in Selbst-idealisierungen und Fremdstigmati-sierungen zu verfallen.

MigrantInnendarstellung

als Ausnahme

Zunächst einmal ist festzustellen,dass auch MuslimInnen der »natür-lichen« Ausgrenzung in vielenHauptmedienformaten unterliegen

(vgl. Koch 1996; Yildiz 2006). Ähn-lich wie es Frauen und Minderheitenwie Behinderten, Schwarzen undMigrantInnen ergeht (vgl. WACC/Gallagher 2005) – also allen, die nichtzur Kategorie »weißer Mann« gehö-ren – sind MuslimInnen in den gän-gigen Unterhaltungsprogrammen un-terrepräsentiert. Eine Minderheit sindsie ja tatsächlich. Während sie einengeschätzten Bevölkerungsanteil von3 % in Deutschland ausmachen, sindsie in der Darstellung von Nachrich-ten- und Magazin-Formaten jedochmit einem überproportional großenAnteil an den »Problemfällen« ver-treten (vgl. Butterwegge 2006; Ha-fez/Richter 2007).Frauen bilden die Hälfte der Gesell-schaft und sind mit einem Anteil von20 % in den Medien repräsentiert(WACC/Gallagher 2005, S. 30 f.).Menschen mit Migrationshintergrundsind hier schlechter gestellt: Währendsie ca. ein Fünftel der bundesdeut-schen Bevölkerung stellen, liegt ihrAnteil im normalen Fernsehprogrammund bei den Medienschaffenden weitunter 10 %.1 Sogar in vergleichswei-se neuen Formaten wie der Serie Ver-

liebt in Berlin, die im multikulturel-len Berlin spielt, fehlen authentischeDarstellerInnen, die die Vielfalt vorOrt widerspiegeln. Das wird Muslimenicht trösten, die sich zwar ebenfallsvielfach thematisiert, aber nicht wirk-lich repräsentiert fühlen.Dabei hat sich in den letzten Jahrenviel getan, auch MuslimInnen einenPlatz in Medien einzuräumen, z. B.im Wort zum Freitag (SWR) sowieim ZDF-Forum am Freitag, in dem

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vielfältige muslimische Stimmen zuWort kommen. Allerdings liegt derFokus bei MuslimInnen auf dem Re-ligiösen, was bereits ein Klischee inder Betrachtung ausmacht. DieseKategorie ist für die Alltagserfahrun-gen der Menschen muslimischenGlaubens in Deutschland vielleichtweit weniger relevant, als es solcheFormate suggerieren mögen.

Markierung als Merkmal

der Andersartigkeit

Diese Angebote sind also in vielfa-cher Hinsicht markiert, d. h. sie be-dienen ein Nischenthema in einerNische und verhindern damit geradeeine Normalisierung in der Akzep-tanz von Islam und MuslimInnen.Markierung erreicht man durch dasErwähnen eines Gruppenzugehörig-keitsmerkmals auch ohne, dass diesfür den Sachverhalt relevant ist, umden es primär geht (Schiffer 2005,S. 55 ff.; vgl. Richtlinienergänzung12.1 des Deutschen Pressekodex). Im19. Jahrhundert war dies in Bezug aufDeutsche jüdischen Glaubens zu be-obachten. Ihre Religionszugehörig-keit wurde sehr oft mit erwähnt, undsomit wurde angeboten, bestimmteProblemfelder als »jüdisch« zu inter-pretieren. Ludwig Börne beschriebdie Folgen dieser ständigen Markie-rung, die sowohl im Negativen wieim Positiven stattfand:

»Die Einen werfen mir vor, daß ich ein

Jude sey, die Anderen verzeihen mir es;

der Dritte lobt mich gar dafür; aber Alle

denken daran. Sie sind wie gebannt in

diesem magischen Judenkreise, es kann

keiner hinaus.«2

Neben der Markierung von Musli-mInnen als Sondergruppe, die mit un-ser aller Tendenz zur Verallgemeine-rung Hand in Hand geht, spielt auchdie Zuweisung (Zusatzmarkierung)bestimmter Eigenschaften zur inzwi-schen auffälligen Gruppe eine wich-tige Rolle bei der Stereotypisierung.Diese wird durch häufige Kombina-

tion immer gleicher Ausschnitte er-reicht, während andere Themen undAspekte ausgeblendet bleiben.

Islam und Muslime werden

wiederholt markiert als …

… andersDie Multikulti-Nische ist nicht geeig-net, um Integration vorzuleben – auchnicht in gut gemeinten Medienarran-gements. Dazu gehörte etwa die»Themenwoche Migration« im ZDF,die entsprechend wenig Resonanz er-hielt.Anders liegt die Sache, wenn manden Nationalspieler Franck Ribéryzeigt, wie er neben seinen betendenFußballkollegen islamisch betet –diese Situation ist gleichwertig, wennsie unkommentiert bleibt.Formate wie das interkulturelle Ma-gazin auf BR5 aktuell sowie dasWDR-Magazin Cosmo-TV verblei-ben bei aller inhaltlichen Qualität inder Kategorie »Sonderprogramm«.Vielleicht sollte man die einzelnen,durchaus aufwendig und gut produ-zierten Formatinhalte zusätzlich nochin anderen Magazinen unterbringen,um eine gewisse Normalisierung zuerreichen. Denn insgesamt fehlt nichtder Verweis auf Kuriositäten, sonderndie Integration der vielen Normalitä-ten in die alltägliche Agenda.

… mindestens

erklärungs-

bedürftig

Auch das durchausdifferenzierte undqualitativ hoch-wertige ZDF-Fo-

rum am Freitag

räumt wiederumdem Islam und denMuslimInnen be-sonders viel Raumein – im Vergleichetwa zu anderenMinderheitengrup-pen wie Juden, Ba-hai oder chinesi-schen Zuwande-rern. Dies verstärkt

den Eindruck, dass man den Islamausführlich erklären müsse oder dassNichtmuslime den Islam verstehenmüssten, um mit unseren muslimi-schen NachbarInnen klarzukommen.Das klingt plausibel, stimmt abernicht. Hier wäre vielleicht gerade we-niger mehr – was möglicherweise da-durch erreicht wird, dass das Angebotnicht im Hauptprogramm des ZDFplatziert ist.

… fremd

Die Einwanderungsdebatte wird nachwie vor gerne mit Bildern Kopftuchtragender Frauen »garniert«. Diesmarkiert die Trägerinnen als prototy-pisch fremd. Auch in den Hauptnach-richten auf etlichen Kanälen oder zurIllustration etwa einer statistischenKurve im Print, die die Entwicklungvon Einwandererzahlen zeigt, wirdbevorzugt mittels Kopftuch auf dieGruppe der MuslimInnen als die pro-totypisch Fremden verwiesen (vgl.Abb. 1).Auch die Online-Ausgabe der Süd-

deutschen Zeitung vom 15. Juli 2008bebildert zwei von drei sehr kriti-schen Beitragsseiten über Ressenti-ments in der deutschen Mehrheitsbe-völkerung ausschließlich mit FotosKopftuch tragender Frauen. Wer denText nicht liest, bleibt mit Titel, Bildund Bildunterschrift als einzigem

Abb. 1: Eine Grafik in den Nürnberger Nachrichten am 24. Juli 2007

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Eindruck zurück, und Letztere lautetetwa auf der ersten Seite: »JungeAusländerinnen im Deutsch-Unter-richt an der Volksschule: Die Harmo-nie endet meist vor dem Klassenzim-mer.« Hätten Sie an dieser Stelle ver-mutet, dass für diese Aussage die ras-sistisch argumentierenden Mitarbei-terInnen der Erwachsenenbildungs-anstalt verantwortlich sind, und nichtdie von hinten vor einem Computeraufgenommenen Kopftuchträgerin-nen, mit denen die Aussage illustriertwird?Ein sprachlicher Usus trägt ebenfallszur ständigen Fremdmarkierung bei.Muslime wie auch Nichtmuslime ver-wenden zur Bezeichnung Gottes ger-ne das arabische Wort für »Gott«,»Allah«, um den Islam zu markieren.Eine Fremdmarkierung als »isla-misch« erfolgt also durch gezielteNichtübersetzung wie etwa im Titeldes Spiegel special Nr. 2/2008 »Al-lah im Abendland« oder etwa bei deminteressanten Beitrag über die Ju-gendarbeit bei Milli Görüs Allahs jun-

ge Strategen, in der WDR-Reihe Hier

und Heute am 29. März 2008.

… (potenziell) gefährlich und ge-

walttätig

Traditionell werden Bilder von Ter-rorakten, die sich als islamistischmotiviert einordnen lassen, mit allge-mein-islamischen Symbolen illus-triert. Nach dem Wahrnehmungsprin-zip der Sinn-Induktion kommt esauch hier zu Implikationen, die weitüber die Bedeutung der einzelnenBilder hinausgehen (vgl. Schiffer2005 und Verweise dort). Bei dieserArt von Berichterstattung werdenweniger Kopftücher als vielmehrMoscheen und Gebetssituationen an-geboten. Dies überträgt sich auf dieWahrnehmung der gesamten Religi-on sowie deren Vertreter hier vor Ort,wie man unter anderem an den teil-weise hochgespielten Moscheebau-konflikten ablesen kann. Aber auchdie Markierung einer muslimischenLehrerin und Religionspädagogin als»gemäßigt«, wie es Lamya Kaddor im

ZDF-Forum mehrmals erging, sug-geriert, dass »der normale Islam« ir-gendwie gewaltaffin sei.Auch die Aufforderungen im Vorfeldder EM-Begegnung Deutschland –Türkei gehören in diese Kategorie.Die ausgiebige Betonung des »hof-fentlich friedlichen Feierns« nachdem Spiel zeigte vor allem, welcheErwartungen man hatte. Hier ver-stärkten die vielen ähnlich geartetenMedienbeiträge in Zeitungen, Radio,Fernsehen und Internet den Eindruck,Deutsche und »Türken« könnten auf-einander losgehen.Gerade ein Übermaß an Integrations-beschwörung verhindert das Empfin-den von Normalität. Ein gelungenerBeitrag ist also auch vom Kontextund vom richtigen Maß abhängig undnicht nur vom Inhalt.

… rückständig

Gerade das Kopftuch muslimischerFrauen eignet sich aufgrund vorhan-dener Assoziationen von Kopftuchtragenden Bäuerinnen und dem Wis-sen über Einzelfälle, wo ein erzwun-genes Kopftuchtragen mit dem An-knüpfen an traditionelle Lebenswei-sen verbunden ist, zur Illustration jeg-licher Rückständigkeitsvorstellung.Die selektive und kritische Beobach-tung von Verhaltensweisen innerhalbeiner Migranten-Community, die nor-malerweise immer traditionalistischerist als die sich schneller entwickeln-de Kultur im Herkunftsland, bezeugtfür viele RezipientInnen vermeintlicharchaische Vorstellungen bei den Ein-gewanderten.Diese lassen sich dann entweder aufihre nationale, ethnische oder religiö-se Herkunft projizieren. Die Tendenzdes Publikums, sich einmal gefestig-te Meinungen zu bestätigen, zeigtsich unter anderem in den Verkaufs-zahlen von Büchern zum Thema»muslimische Frau«: Die Bücher vonNecla Kelek und Seyran Ates, die dieeinseitigen Klischees bestätigen, fin-den reißenden Absatz. Ein Buch wie»Typisch Türkin?« von Hilal Sezgin,das 19 Frauenporträts in ihrer ganzen

Diversität vorstellt, hat es dagegenschwer.

… Ausnahme von der Regel

Gerade anhand des vielfach bemüh-ten Kopftuchbeispiels lässt sich einweiterer Mechanismus von Stereoty-pen verfestigender Darstellung erläu-tern. Ein arte-Beitrag über die Rap-perin Sahira Awad zeigt Nuancenwirklich guter sowie gut gemeinterbis relativierender Präsentation auf.Die Reportagesendung ZOOM euro-

pa vom 19. September 2007 enthälteine Sequenz, in der Sahira mit ihrerMusik, ihrer Familie und ihren An-sichten vorgestellt wird.Der Beitrag ist sehr differenziert undräumt mit so manchem Klischee auf– allein schon, weil diese eigensinni-ge Frau entgegen den Ansichten derEltern Kopftuch trägt und damit auchauf der Bühne steht. Die Reportageüber Sahira endet mit dem Verweisauf die Belanglosigkeit, ob eine FrauKopftuch trägt oder nicht.Die Moderatorin der Sendung zitiertnach der Reportage einen Satz auseinem nicht gespielten Lied Sahiras:»Nicht Frauen mit Kopftuch seienunterdrückt, sondern Mädchen, die inengen Jeans und Minirock um dieAufmerksamkeit der Männer buh-len.« Das ist offensichtlich provokantund die Moderatorin schließt darandie eigene Aussage an: »Viele Mus-liminnen sehen das ganz anders.« ImHintergrund sehen wir dabei eineMenge ausschließlich Kopftuch tra-gender Frauen mit langen Mänteln.Dann lenkt die Moderatorin das The-ma über zum Fall Fereshta Ludin, dieKopftuch tragend beim Gericht inKarlsruhe ins Bild kommt.Wie hätte Frau Ludins Anliegen ge-wirkt, wenn dieser Beitrag direkt undohne relativierenden Übergang anden Teil von Sahira Awad angeschlos-sen hätte? Zwei Beispiele emanzi-pierter Frauen mit Kopftuch! Statt-dessen wurden diese beiden durchden Einschub in Wort und Bild ex-plizit als Ausnahme markiert. So wer-den bestimmte Verallgemeinerungen

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aufrechterhalten, auch wenn sich dasgezeigte Beispiel dazu geeignet hät-te, ein Stereotyp infrage zu stellen.

... selbst stilisiertes Opfer

Wenn sich Muslime über diskriminie-rende Darstellungen echauffieren,wie etwa über die sogenannten Mo-hammed-Karikaturen, den anti-mus-limischen Propaganda-Kurzfilm Fit-

na von Geert Wilders oder auch diezahlreichen »harmlosen« Magazin-Titelblätter, die den Islam verallge-meinernd als rückständig, gewalttä-tig und gefährlich darstellen, sehensie sich schnell mit dem Vorwurf kon-frontiert, sie würden einen ungerecht-fertigten Opferkult betreiben, wärenandauernd beleidigt und somit nichtso ganz »demokratiefähig«. Undwährend man antisemitische Darstel-lungen ächtet und Nazi-Symbole ver-bietet, ist es in den Kommentarenüber Muslime üblich geworden, die-se auf die »Meinungsfreiheit« hinzu-weisen. Implizit schwingt immer mit,sie – alle – seien für die Kultur der»Aufklärung« noch nicht reif genugund könnten somit auch gar nicht in-tegriert sein.Dass jedoch von den Trägern öffent-licher Meinungsbildung mit zweier-lei Maß gemessen wird, kann manganz aktuell an den Reaktionen aufden Fall Faruk Sen ablesen. Mir istaus der Berichterstattung in Deutsch-land nicht ersichtlich geworden, obSen einen Vergleich zwischen derSituation von Türken und Juden »inder Nazizeit« gezogen hat oder nicht.In Randpublikationen wie der taz isthierzu ein differenzierter Beitrag vonSergey Lagodinsky erschienen, derKlarheit in der Sache schafft – aberwohl kaum wahrgenommen wird. Inden Mainstream-Medien herrschte imWesentlichen die übliche Empörungüber einen Tabubruch vor – oft ohnesachliche Prüfung und kontextuelleEinordnung. Dies hilft, einen förm-lich heraufbeschworenen Opferkultunter Türken und/oder Muslimen zuimplementieren.

Wie können wir den Stereo-

typen entgehen?

Wie können wir den einmal geschaf-fenen und oft wiederholten Stereoty-pen entgehen? Geht das überhauptnoch angesichts der Tatsache, dassauch eine Verneinung immer eineWiederholung der stereotypen Inhal-te darstellt und an sie erinnert?In der Tat, es bleibt ein gewisses Di-lemma, in dem sich Medienschaffen-de befinden – wie auch ich hier. Je-des Thematisieren impliziert beson-dere Relevanz, und genau die fehltoft bei eingeübten Stereotypen. Den-noch kommen wir inzwischen umeine Thematisierung von Islam undMuslimInnen nicht herum, weil ebenschon so viel Misstrauen gewachsenist. In diesem Kontext sind Produk-tionen wie Asül in Berlin und Asül in

Istanbul erfrischend, weil der Kaba-rettist Django Asül immer wiederErwartungen konterkariert.3 So wirddie Zuschauerschaft zum Perspektiv-wechsel und damit zum Infragestel-len einiger »Wahrheiten« inspiriert,ohne dass da jemand mit erhobenemZeigefinger steht oder gar in einenübertriebenen Defensivdiskurs ver-fällt. Artikel wie »Der Hochmut desWestens« von Nils Minkmar in derFrankfurter Allgemeinen Sonntags-

zeitung zeigen auf, dass es sich beierschwerten Zugängen von Migran-tInnen zu bestimmten Domänen derGesellschaft um »normale« Vorgän-ge handelt, weil bei Neuem immerstrengere Maßstäbe angewendet wer-den als bei Etabliertem. Dies entlas-

tet sowohl Mehrheit als auch Minder-heit und hilft, bestimmte Entwicklun-gen richtig einzuordnen, anstatt sievorschnell einer Ausländer-, Islam-oder sonstigen Feindlichkeit zuzuord-nen.Insgesamt sollte überlegt werden, wieman nicht einer eingeübten Fokussie-rung erliegt. Themen, die allgemeinrelevant und weltweit verbreitet sind,wie Terrorismus, Zwangsehen, Ehren-morde und Integrationsprobleme vonMehrheit und Minderheit, sollten auchals solche verhandelt werden. Solltees wirklich einmal um den Islam ge-hen, wird es schwierig werden, die in-zwischen umgedeuteten Symbole desIslam zurückzugewinnen.Die direkte Relation zu Gewaltexzes-sen muss sehr kritisch hinterfragtwerden. Bei Beiträgen über z. B. aus-beuterische »demokratische« oder»kapitalistische« Staaten oder beiGemeinschaften christlichen und jü-dischen Glaubens wird dies gewöhn-lich unterlassen. Obwohl es dort auchFundamentalismen gibt, die so man-chen Gewaltakt zu rechtfertigen su-chen, werden Verallgemeinerungenvermieden. In Bezug auf Israel ge-lingt es uns weitestgehend (etwa beider Berichterstattung über Militärein-sätze), jüdische Symbolik nicht miteinzubringen. Auch die »Kreuzzugs-äußerungen« des US-amerikanischenPräsidenten George W. Bush werdennicht auf das gesamte Christentumbezogen. Anders, wenn es um Tatenvon Muslimen geht: Eine Produktiondes Hessischen Rundfunks über denMord an Theo van Gogh etwa beginntmit dem Blick in eine Moschee und

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dem Einspielen von Koranrezitatio-nen.Während die Nachrichten-Berichter-stattung grundsätzlich die Normab-weichung zeigt, könnte man mehrNormalität in anderen Medienange-boten darbieten – etwa im Unterhal-tungsbereich. Ansätze dafür sind vor-handen, wie etwa der Einsatz vonMehmet Kurtulus als Tatort-Kommis-sar. Insgesamt fehlt aber noch eineadäquate Vielfalt in Vorabendserienund Spielfilmen, wo kopftuchtragen-de Ärztinnen oder schwarze Anwäl-te noch keine Rolle spielen. Serien-formate wie Türkisch für Anfänger

(ARD) sind vielleicht ein Anfang,aber noch besser scheinen Angebotezu sein, die eine Vielfalt in der Viel-falt – an Personen und Themen – dar-bieten, wofür das beste Musterbei-spiel nach wie vor Lindenstraße

(WDR) ist (siehe Abb. 2, vgl. auchStreit in dieser Ausgabe).Sendungen, die eher Probleme fokus-sieren, wie etwa der mit dem Grim-me-Preis ausgezeichnete FernsehfilmWut (Regie: Züli Aladag, 2005) oderder Tatort Wem Ehre gebührt (Regie:Angelina Maccarone, 2007), sind ei-gentlich keine schlechten Produktio-nen. Nur vor dem Hintergrund mar-kierter Gruppenwahrnehmung kön-nen sie das Missverständnis nähren,dass Probleme wie Jugendgewalt undInzest vor allem in bestimmten Mi-grantengruppen vorkommen. Auchhier würde es helfen, wenn in weni-ger belasteten Kontexten ebenfallsMitglieder der genannten Communi-tys auftreten. Sendungen wie diemehrfach wiederholte ProduktionLupo und der Muezzin (Regie: Dag-mar Wagner, 1998) sollten nicht über-sehen werden! Hier wird nicht dasFehlverhalten von Mitgliedern nur ei-ner Gruppe dargestellt, sondern eswerden viele Facetten und Konflikteim Zusammenleben verschiedensterMenschen herausgearbeitet. Beson-ders die Figur der Kopftuch tragen-den Studentin Bea, die eine vermit-telnde und kompetente Rolle ein-nimmt, war lange vor jedem Integra-

tionsplan von Sendeanstalten einefortschrittliche Darstellung.Bei der Moderation von Nachrichten-und Magazinsendungen hatten bisherdie privaten Anbieter die Nase vorn.Wenn Aiman Abdallah auf ProSiebenGalileo moderiert (siehe Abb. 2),dann ist das das Ultimum an Neutra-lität. Das ZDF folgt auf dem Fuße miteiner Moderatorin wie Hülya Özkan,die allerdings noch das leicht mar-kierte, internationale heute in Euro-

pa vertritt. Und wenn Dunja Hayalidas ZDF-Morgenmagazin moderiert,konterkariert sie in zweifacher Hin-sicht bisherige stereotype Besetzun-gen mit vorwiegend blonden undblauäugigen ModeratorInnen: Sie istarabischer Herkunft und Christin.Insgesamt darf auf mehr Integrationverschiedenster Menschen und The-men in das ganz normale Fernsehpro-gramm gehofft werden. Wenn z. B.ethische Fragen in einer Talkrundediskutiert werden, sind selbstver-ständlich christliche, jüdische, mus-limische und humanistische Vertre-terInnen geladen. Und wenn es umIntegrationsfragen geht, dann nebendeutschstämmigen Personen ebenauch VertreterInnen russischer, türki-scher, italienischer, griechischer Her-kunft usw.

1 Maria Böhmer anlässlich der Veröffentlichung

der ARD-/ZDF-Studie »Migranten und Medien

2007«.

2 Ludwig Börne, zitiert nach Hortzitz, Nicoline:

»Früh-Antisemitismus« in Deutschland (1789-

1871/72). Tübingen: Max Niemeyer 1988.

3 Vgl. auch den Zweiteiler Djangos Reise – Asül

bei den Türken (RBB/BR 2007).

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land besser zusammenleben können. Berlin: Ull-

stein 2007.

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Kelek, N.: Die verlorenen Söhne: Plädoyer für die

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die tageszeitung, 08.07.2008, (http://www.taz.de/1/

debatte/kommentar/artikel/1/die-grenzen-des-ak-

zeptablen/)

Minkmar, N.: Der Hochmut des Westens. In: Frank-

furter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.05.2007, ver-

öffentlicht auf Spiegel Online, 06.05.2007, (http://

www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,481268,

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(http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/

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DIE AUTORIN

Sabine Schiffer,

Dr. phil., ist Grün-

derin und Leiterin

des Instituts für

Medienverantwor-

tung in Erlangen

(www.medienverantwortung.de).

ANMERKUNGEN

LITERATUR