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M ittwoch, fünf Uhr nachmittags, Grenzübergangsstelle Nickels- dorf: Bei einer Routinekontrolle erweist sich ein roter Audi 80 als Tref- ferfall im wahrsten Sinne des Wortes. Der Pkw wird im Elektronischen Krimi- nalpolizeilichen Informationssystem (EKIS) als ein von Deutschland gefahn- deter PKW ausgewiesen. Gleichzeitig gibt das EKIS einen Hinweis auf einen per Haftbefehl gesuchten Deutschen, der mit diesem Auto unterwegs sein soll. Ein weiterer Link informiert die Be- amten darüber, dass ein vierjähriges Mädchen abgängig ist und der Verdacht besteht, dass es mit seinem Vater unter- wegs ist, der soeben von den Beamten angehalten worden ist. Eine kurze Be- fragung des im Audi mitreisenden Mädchens ergibt, dass der Vater das Mädchen ohne Wissen der Mutter außer Landes bringen wollte. Um sicher zu gehen, dass es sich bei den kontrollier- ten Personen auch wirklich um die per Schengenfahndung Gesuchten handelt, laden sich die Beamten die vom Schen- gener Informationssystem (SIS) via EKIS zur Verfügung gestellten Licht- bilder herunter. Damit können auch die letzten Zweifel beseitigt werden, der Angehaltene ist der Gesuchte. Gegen den Mann läuft in Deutsch- land ein Strafverfahren, deshalb besteht ein Haftbefehl. Gemeinsam mit seiner kleinen Tochter, deren Obsorge ihm durch ein deutsches Gericht entzogen worden ist, wollte er in Griechenland ein neues Leben beginnen – ein Vorha- ben, dem die Grenzdienstbeamten in Nickelsdorf ein Ende setzen konnten – auf Grund der miteinander verlinkten Fahndungshinweise im SIS. Dieses Szenario wird ab 2007 Wirk- lichkeit, denn ab diesem Zeitpunkt wird das SIS II, das Schengener Informati- onssystem der zweiten Generation, in Betrieb gehen. Das Schengener Informationssystem feiert sein zehnjähriges Jubiläum: Seit 1995 ist das Fahndungssystem eine der wichtigsten Ausgleichsmaßnahmen bei der Bekämpfung der grenzüberschrei- tenden Kriminalität seit dem Wegfall der Binnengrenzkontrollen. Als elektro- nisches polizeiliches Fahndungs- und Informationssystem ermöglicht es ins- besondere Polizei- und Grenzschutzbe- amten aller Mitgliedstaaten unmittelba- re Abfragen über gesuchte Personen, gestohlene Fahrzeuge und Gegenstände. Darüber hinaus können Botschaften und Konsulate bei der Prüfung von Visa- Anträgen auf das SIS zugreifen. Zehn Jahre Betrieb sind für jedes technische System eine lange Zeit und so ist auch das SIS mittlerweile in die Jahre gekommen. Die Anforderungen 64 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 7-8/05 SCHENGENER INFORMATIONSSYSTEM FOTO: S. POSPISCHIL Mitarbeiter des österreichischen Sirene-Büros im Bundeskriminalamt. Engmaschiges Fahndungsnetz Im Jahr 2007 soll das Schengener Informationssystem der zweiten Generationen (SIS II) in Betrieb gehen. Die Fahndungs- und Zugriffsmöglichkeiten werden erweitert.

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Page 1: SCHENGENER INFORMATIONSSYSTEM - bmi.gv.at · PDF filemitologie-Verfahren von einem Aus-schuss unterstützt wird. Dieser Ausschuss setzt sich aus Ver-tretern der Mitgliedstaaten zusammen

Mittwoch, fünf Uhr nachmittags,Grenzübergangsstelle Nickels-dorf: Bei einer Routinekontrolle

erweist sich ein roter Audi 80 als Tref-ferfall im wahrsten Sinne des Wortes.Der Pkw wird im Elektronischen Krimi-nalpolizeilichen Informationssystem(EKIS) als ein von Deutschland gefahn-deter PKW ausgewiesen. Gleichzeitiggibt das EKIS einen Hinweis auf einenper Haftbefehl gesuchten Deutschen,der mit diesem Auto unterwegs seinsoll.

Ein weiterer Link informiert die Be-amten darüber, dass ein vierjährigesMädchen abgängig ist und der Verdachtbesteht, dass es mit seinem Vater unter-wegs ist, der soeben von den Beamtenangehalten worden ist. Eine kurze Be-fragung des im Audi mitreisendenMädchens ergibt, dass der Vater dasMädchen ohne Wissen der Mutter außerLandes bringen wollte. Um sicher zu

gehen, dass es sich bei den kontrollier-ten Personen auch wirklich um die perSchengenfahndung Gesuchten handelt,laden sich die Beamten die vom Schen-gener Informationssystem (SIS) viaEKIS zur Verfügung gestellten Licht-bilder herunter. Damit können auch dieletzten Zweifel beseitigt werden, derAngehaltene ist der Gesuchte.

Gegen den Mann läuft in Deutsch-land ein Strafverfahren, deshalb bestehtein Haftbefehl. Gemeinsam mit seinerkleinen Tochter, deren Obsorge ihmdurch ein deutsches Gericht entzogenworden ist, wollte er in Griechenlandein neues Leben beginnen – ein Vorha-ben, dem die Grenzdienstbeamten inNickelsdorf ein Ende setzen konnten –auf Grund der miteinander verlinktenFahndungshinweise im SIS.

Dieses Szenario wird ab 2007 Wirk-lichkeit, denn ab diesem Zeitpunkt wirddas SIS II, das Schengener Informati-

onssystem der zweiten Generation, inBetrieb gehen.

Das Schengener Informationssystemfeiert sein zehnjähriges Jubiläum: Seit1995 ist das Fahndungssystem eine derwichtigsten Ausgleichsmaßnahmen beider Bekämpfung der grenzüberschrei-tenden Kriminalität seit dem Wegfallder Binnengrenzkontrollen. Als elektro-nisches polizeiliches Fahndungs- undInformationssystem ermöglicht es ins-besondere Polizei- und Grenzschutzbe-amten aller Mitgliedstaaten unmittelba-re Abfragen über gesuchte Personen,gestohlene Fahrzeuge und Gegenstände.Darüber hinaus können Botschaften undKonsulate bei der Prüfung von Visa-Anträgen auf das SIS zugreifen.

Zehn Jahre Betrieb sind für jedestechnische System eine lange Zeit undso ist auch das SIS mittlerweile in dieJahre gekommen. Die Anforderungen

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Mitarbeiter des österreichischen Sirene-Büros im Bundeskriminalamt.

Engmaschiges Fahndungsnetz Im Jahr 2007 soll das Schengener Informationssystem der zweiten Generationen (SIS II) in Betrieb

gehen. Die Fahndungs- und Zugriffsmöglichkeiten werden erweitert.

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an das System sind mit der Entwicklungneuer Fahndungsmethoden stetig ge-wachsen. Neue Funktionen sind abernicht der einzige Punkt auf derWunschliste der EU-Staaten – auch dieEinbindung der mit Mai 2004 beigetre-tenen neuen Mitgliedstaaten hat höchstePriorität.

Zehn neue Mitgliedstaaten suchenAnschluss. Als die Gründerväter desSIS 1990 das System konzipierten, sa-hen sie nur für 18 Staaten technischeAnschlussmöglichkeiten vor. Diese An-schlüsse werden derzeit bereits von 13„alten“ EU-Mitgliedstaaten sowie vonIsland und Norwegen beansprucht.

Die Weiterentwicklung des SIS istdaher eine unabdingbare Voraussetzungfür die Schengen-Osterweiterung. Zielist es, bereits 2007 auch den neuen EU-Staaten sowie Norwegen, Island und derSchweiz Zugriff auf das europaweiteFahndssystem zu gewähren.

Die Arbeiten an der Entwicklung desneuen Systems sind im Laufen. Leiterindes Projekts SIS II ist die EuropäischeKommission. Auftragnehmer ist dasfranzösisch/belgische Konsortium Ste-ria/HP. Unterstützt wird die Arbeit derKommission durch den so genannten„SIS-II-Komitologie-Ausschuss“ inBrüssel, wo Fachexperten der EU-Staa-ten, die in vielen Fällen bereits an derEntwicklung des aktuellen SIS beteiligtwaren, ihr Know-how einbringen.

Neu im SIS II. Ausweitung der Zu-griffsmöglichkeiten: User des neuen Sys-tems sind nicht nur neue EU-Staaten.Auch Europol und Eurojust sollen künf-tig auf Informationen des SIS zugreifenkönnen. So werden die Staatsanwältevon Eurojust Zugriff auf die im SIS ge-speicherten europäischen Haftbefehleerhalten, womit eine Vereinfachung undBeschleunigung des Auslieferungsver-fahrens sichergestellt wird. In Diskussi-on befindet sich der Zugriff von Zulas-sungsstellen und von Kreditanstaltenauf das SIS im Rahmen der grenzüber-schreitenden Betrugsbekämpfung.

Schaffung neuer Fahndungsoptio-nen: Bei Personenfahndungen sollenzusätzliche biometrische Merkmale wieLichtbilder, Fingerabdrücke und DNA-Profile den Ermittlern in den Schengen-staaten die Identifizierung von Straf-tätern erleichtern.

Darüber hinaus wird der derzeitigeSachenfahndungskatalog erweitert undsoll künftig auch die Suche nach Wert-gegenständen wie Schmuck und Uhrensowie Baumaschinen, Containern,Schiffen und Flugzeugen möglich ma-chen. Eine weitere Verbesserung der

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Schengenfahndung erwartensich die Experten durch die ge-plante automatische Verknüp-fung von Sachen- und Perso-nenfahndungen wie beispiels-weise die Verlinkung von In-formationen über einen flüchti-gen Straftäter und über das vonihm benützte Fahrzeug.

Die Systemarchitektur desSIS II wird sich im Grunde ge-nommen gegenüber dem altenSystem nicht wesentlich än-dern. So wird es auch in Zu-kunft einen zentralen Teil desSystems (derzeit das C.SIS inStraßburg, Frankreich) und ei-nen nationalen Teil (derzeitN.SIS) in den einzelnen Mit-gliedstaaten geben. Aufgabe der Kom-mission ist die Entwicklung dieses neu-en zentralen Teils.

Weiters muss sie sicher stellen, dasssich die EU-Staaten durch eine von derKommission bereitgestellten Schnitt-stelle (nationales Interface) mit ihrennationalen Systemen an das SIS IIanschließen können. Für den User inÖsterreich bedeutet das, dass er auch inZukunft in gewohnter Weise über dasEKIS auf die Informationen aus demSIS II zugreifen können wird.

Ausfallssystem in Österreich. Neu ander Architektur des SIS II gegenüberdem derzeitigen SIS ist das geplanteNotfallsystem (Betriebsfortführungs-system). Dieses Notfallsystem wird

im zentralen Ausweichsystem des Bun-deskanzleramts in Salzburg eingerich-tet und soll den uneingeschränkten undunterbrechungsfreien Betrieb des SIS IIsicherstellen.

So kann auch bei einem Totalausfalldes Zentralsystems in Straßburg, etwadurch eine Naturkatastrophe oder ei-nen Terroranschlag, der Betrieb des SISII im Notfallsystem weiter aufrechter-halten werden.

Der Standort in Österreich wurdevon den europäischen Experten sowievon der Europäischen Kommissionnicht nur wegen der bestehenden ho-hen Sicherheitsstandards bzw. -ein-richtungen gewählt, sondern auch we-gen der guten geografischen Lage imHerzen Europas.

Erwartungen an das SIS II:Die nationalen Vorbereitungenfür die Anbindung Österreichsan das SIS II sind bereits imGange. Der Zeitplan ist ambi-tioniert und die Anforderungenan das eigens gegründete Pro-jektteam „A.SIS“ sind hoch.

Nicht nur das österreichi-sche Sirene-Büro der AbteilungII des Bundeskriminalamts,sondern auch andere Abteilun-gen im BMI, wie etwa die Ab-teilung IV/2, zuständig für dietechnische Anpassung der na-tionalen Systeme, sind in dieVorbereitungsarbeiten einge-bunden und damit maßgeblicham Erfolg des Projekts „Wei-terentwicklung des SIS“ betei-

ligt. Der Leiter des Sirene-Büros, Mag.Wilhelm Riegler, gibt sich in seinerRolle als Projektleiter und Leiter desA.SIS-Teams zuversichtlich: „Bis zumJahr 2007 soll sich der SchengenerFahndungsbereich auf 28 Staaten mitetwa 450 Millionen Einwohnern er-strecken. Das sind mehr Einwohner alsjene der USA und Russlands zusam-men.“

Die ständig steigenden Anforderun-gen zur Wahrung des hohen Sicher-heitsniveaus in Europa erfordern effizi-ente und technologisch hoch entwickel-te Fahndungsinstrumente. WilhelmRiegler: „Das SIS II ist ein ganz we-sentlicher Beitrag zur Bekämpfung dergrenzüberschreitenden Kriminalität.“

Petra Lintner

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Schengener Informations-system (SIS)

Das europäische Fahndungssystem,geregelt im Schengener Durch-führungsübereinkommen (Art. 92 – 119SDÜ), ermöglicht eine europaweite Su-che nach Personen und Gegenständen(derzeit Fahrzeuge, Schusswaffen,Identitätspapiere und Blanko-Doku-mente sowie Banknoten).Personenfahndung zum Zwecke:• Festnahme zwecks Auslieferung (Art.95 SDÜ);• Zurückweisung bzw. Abschiebungvon Drittausländern wegen Aufent-haltsverbot im Schengengebiet (Art. 96SDÜ);• Suche nach Abgängigen (Art. 97SDÜ);• Aufenthaltsermittlungen für Gerichte(Art. 98 SDÜ);• Verdeckte Registrierung (Art. 99SDÜ).

Das SIS besteht aus einem in jedemSchengenstaat eingerichteten nationa-len System (N.SIS) und dem zentralenSystem (C.SIS) in Straßburg. Alle na-tionalen Systeme sind online mit demZentralsystem verbunden.

SIS II

Das SIS II ist die technische Weiter-entwicklung des derzeitigen SIS. Es er-möglicht neue Funktionalitäten und dieEinbindung der neuen Mitgliedstaatenin das SIS. Betriebsaufnahme des neu-en Systems: 2007.

Komitologie (Ausschusswesen)

Der EG-Vertrag sieht vor, dass dieDurchführung der Rechtsvorschriftenauf Gemeinschaftsebene Aufgabe derKommission ist. In jedem Rechtsaktsind die Durchführungsbefugnisse derKommission sowie die Modalitäten für

die Ausübung dieser Befugnisse festge-legt. Häufig ist vorgesehen, dass derVertrag nach einem so genannten Ko-mitologie-Verfahren von einem Aus-schuss unterstützt wird.

Dieser Ausschuss setzt sich aus Ver-tretern der Mitgliedstaaten zusammenund tagt unter dem Vorsitz eines Ver-treters der Kommission. Er ist ein Dis-kussionsforum, das es der Kommissionermöglicht, vor der Annahme vonDurchführungsmaßnahmen einen Dia-log mit den einzelstaatlichen Behördenherzustellen. Auf diese Weise verge-wissert sich die Kommission, dass die-se Maßnahmen den Gegebenheiten inden betreffenden Ländern entsprechen.

Rechtsgrundlage des Komitologie-Verfahrens ist der „Komitologie”-Be-schluss vom 13. Juli 1987 in der Fas-sung von 28. Juni 1999.

(Quelle: http://www.europa.eu.int/scadplus/glossary/comitology_de.htmStand: 6.5.2005)

Kontrolle an der Schengen-Außengrenze.