schirrmacher

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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 · SEITE 9 Feuilleton Frank Schirrmachers Lebensthema war die Freiheit. Nichts genoss er mehr als die Vielfalt ihrer kulturellen und sozialen Ma- nifestationen wie die Überraschung, das Geheimnis, den Witz oder die Reise. Nie ermüdete seine Freude daran, zu sehen, wie Menschen sich ihrer Freiheit bedien- ten, um etwas Neues zu schaffen, die Er- wartungen zu unterlaufen und andere zu verblüffen. Damit verband er – seine wohlbekannte Lust an der düsteren Pro- phezeiung, die die Anwesenden wohlig im Schaudern vereint, war ein Aspekt da- von – die Liebe zum Leben selbst. Und wie verschämt, als würde ihm dieses Ein- geständnis Unglück bringen, seufzte er, wie sehr er einen Beruf liebt, der selbst ein Beweis der Freiheit ist. In gerechten Zorn trieb ihn umgekehrt die Beobachtung, wenn es sich Zeitgenos- sen in den Üblichkeiten des Denkens und Schreibens bequem gemacht hatten und im wohligen Bewusstsein, auf der richti- gen Seite abzuhängen, herausfordernd stupide in der Hängematte schaukelten. Schirrmacher war allergisch gegen Lange- weile. Dabei hatte er sich an einen sol- chen Level von Nachrichten, Botschaften und Sensationen gewöhnt, dass man als sein Mitarbeiter im Alltag dieser Redakti- on nicht anders konnte, als ihn dann und wann zu langweilen. Er schaute dann, da- bei dennoch um Freundlichkeit bemüht, ganz traurig, als hätte man ihm zum Ge- burtstag eines seiner eigenen Werke ge- schenkt. Seine Form der Höflichkeit war es, sein Gegenüber in Erstaunen oder in Angst und Schrecken zu versetzen, stets zu amüsieren und nie zu entlassen, ohne dass man etwas zu erzählen hatte. Wie bei Jean-Paul Sartre, den er heftig, aber von Ferne und mehr des Habitus wegen bewunderte, war sein wichtigster Wesens- zug die Großzügigkeit. Wenn er seine Freiheit nutzen konnte, um anderen, Schwächeren, Zaghafteren Sicherheit zu geben, war er ganz bei sich. Oft nutzte er seine beträchtliche Überzeugungskraft, um seinen Besuchern einen Pfad durch ihr Leben aufzuzeigen, den sie noch nicht erkannt hatten, eine glänzende Zukunft zu prophezeien, bis alle ganz berauscht waren von der Aussicht auf all die Dinge, die man gemeinsam anstellen würde. Und dann arbeitete er daran, oft jahre- lang. Die leichte Floskel vom Genie, das wo- möglich mit einem Gespür für Themen und Texte zur Welt kam, verkennt, dass er irre fleißig, ein zu sich selbst gnadenloser Arbeiter war. Nächtelang las und schrieb er und animierte dann wieder den ganzen Tag dieses Feuilleton und die ganze Repu- blik. Schirrmacher unternahm keine Rei- se, von der er nicht reichen publizisti- schen Ertrag nach Hause brachte. Uns konnten die tollsten Sachen widerfahren, von denen er aber vor allem wissen woll- te, wie sie der Zeitung etwas bringen könnten. Er stoppte jede Klage über die Marotten eines Kollegen, wenn der einen guten Artikel schrieb. Da konnte Schirr- macher nicht widerstehen und seine Fä- higkeit, Arbeiten von anderen gut zu fin- den, war sehr ausgeprägt. Arbeit war ihm ein Genuss; aber das war natürlich nicht die einzige Form, in der er sich des Lebens freute. Er machte sich nichts aus aufwendigem Essen, aber wenn er spürte, dass es seinen Tischgenos- sen schmeckte, war auch er restlos begeis- tert. Ja, er freute sich auch dann noch, wenn er sich eigentlich sehr ärgerte, und fand selbst in der Verzweiflung, wenn er geliebte Menschen zu Grabe tragen muss- te, noch irgendwo eine Quelle der Kraft. Nichts aber übertraf die Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern. Das war sein großes Geheimnis: Über die Dinge, die ihm heilig waren, sprach er wenig, als würde er sie sonst gefährden. Er teilte die- ses Heiligtum auf andere Weise, denn er freute sich diebisch mit jedem, der sich auf eine je eigene Weise des Lebens, der Familie und an der Zeitgenossenschaft zu erfreuen verstand. Man muss sich Frank Schirrmacher als glücklichen Menschen vorstellen. Nun sit- zen wir vor pervers stillen Mobiltelefo- nen, so unglücklich. Er hätte gesagt: „Kopf hoch“. Leichter gesagt als getan. S ein unergründlicher Blick auf die Ruinen des Römischen Rei- ches ist noch ganz auf dieser Welt. Unweit vom Kolosseum saß Frank Schirrmacher in ei- nem einfachen Café und nahm, wie er das immer machte, die Essenz einer gan- zen Epoche, ihre Blüte und ihren Unter- gang gleichermaßen, in Sekundenschnel- le auf. Schnupperte kundig am Abend- land und schaute dabei mit diesem Epo- chenblick in eine unbehauste Zukunft, die er sich fast noch plastischer vorstel- len konnte als die steinernen Relikte der Vergangenheit. Wie mit einem rastlosen Scanner informierte er sich zügig über neueste Ausgrabungen, über den gewalt- samen Anteil Mussolinis an der Entvöl- kerung des Forums, über die Topogra- phie der Wohnhäuser von Augustus und Nero, über die Triumphbögen von Impe- ratoren, deren Reich es längst nicht mehr gibt. Das war am letzten Samstag. Das war in einer anderen Zeit. In den Nachrufen auf sein viel zu kur- zes Leben ist zu Recht von Frank Schirr- machers unvorstellbarer Vorstellungs- kraft für Kommendes die Rede. Er konn- te wie kein Zweiter beschreiben, wie sich die Grammatik unseres Denkens un- ter dem Diktat des Internets unwieder- bringlich wandelt. Wie Informatik und Biologie nach der Essenz unserer Frei- heit greifen. Wie unser Konzept von Indi- vidualität sich gerade buchstäblich ver- flüssigt. Wieso das recht eigentlich schon nicht mehr zu stoppen ist. Und warum man es trotzdem mit aller Kraft versuchen muss. Doch das alles mochte er, konnte er nicht denken ohne die Verankerung in der abendländischen Tradition. Viel- leicht war es gerade diese Faszination durch das Gewesene und Gestaltete, die Frank Schirrmacher seinen Adlerblick quer durch Morgenröten und Untergän- ge ganzer Kulturen erst ermöglichte. Ebenso, wie ihn die taufrischen Patente und Algorithmen amerikanischer Inter- netgurus fesselten, war er magisch ange- zogen von der anderen Seite des Pen- dels: griechischen Tempeln, römischen Grabungsfeldern, Kathedralen oder dem Pantheon, zu dessen Riesensäulen im Pronaos stets der erste Gang in Rom führte – und nicht, weil seine Lieblings- Osteria direkt gegenüber liegt. Es war nicht immer möglich, exakt zu definieren, wo sich Frank Schirrmacher gerade befand. Man konnte mit ihm in Monreale auf den Hügeln vor Palermo durch die Kreuzgänge der Normannenkö- nige schlendern, und plötzlich warf er mit einem Blick auf sein Smartphone die Gestaltung der ersten Feuilletonseite des kommenden Tages um. Anderes Foto, anderes Layout, anderer Text. Und wenn man dann hinterher dachte, hier sei einer wohl nicht ganz bei der Sache gewesen, zog er noch nach Monaten die Details des Gespräches aus dem Ge- dächtnis hervor und sprach kundig und mit ganz neuen Akzenten von der Akkul- turation der Wikinger im arabisch ge- prägten Süden. Nur die Vergangenheit zu beackern, nur im Schönen des Heute zu schwelgen oder nur durch die Zu- kunft zu streifen – das waren keine Alter- nativen für jemanden wie ihn, der von allzu Offensichtlichem schnell gelang- weilt schien. Er brauchte eben beides. Und er zog aus dem Auf und Ab der Epo- chen seine Maßstäbe für das Tagesge- schäft. Was dann wieder viele Mit- schwimmer im Strom der Zeit wunderte, weil sie sich, anders als er, vom Epheme- ren hatten blenden lassen. Jacob Burckhardt hat einmal die Ar- beitsgrundlage jedes guten Historikers definiert: Er muss aus einem zertrüm- merten Kapitell im Geiste einen ganzen Tempel errichten. Bei Frank Schirrma- cher funktionierte der Prozess aber auch umgekehrt. Er konnte in jedem Hoch- haus, in jeder Stadt, in jeder blühenden Landschaft das künftige Ruinenfeld se- hen. Und was heute unumstößlich und wahr erscheint, zerlegte er spielend und fragte sich: Könnte es nicht auch ganz an- ders sein? Könnte nicht unsere zufriede- ne Gewissheit des Funktionierens der Welt den Keim bilden für einen späteren Zusammenbruch? Diese Affinität für Untergänge, dieses unwirsche Misstrau- en gegenüber dem Bestehenden, das manche Mitmenschen tief verstörte, war für ihn aber keineswegs ein Selbstzweck, kein Flirt mit der Apokalypse. Sondern der semantische Ausgangspunkt, um Ge- fahren vorauszuahnen und darauf reagie- ren zu können. Ich erinnere mich an eine abendliche Messe in San Marco in Venedig. Ein paar Sekunden vorher hatte Schirrma- cher noch eine Botschaft auf dem Mobil- fon abgesandt, in Laboratorien Kalifor- niens oder Büros in New York, in die Frankfurter Redaktion oder zu einem Mächtigen der Berliner Politik, wer weiß. Und dann versank er förmlich in den gregorianischen Harmonien des Chores, saugte wie ein Kind mit großen Augen den byzantinischen Goldglanz, den Kerzenschimmer einer anderen Welt und den Weihrauchduft in sich auf. Die Ergriffenheit vom Erhabenen, die Verletzlichkeit durch das Schöne ver- steckte dieser komplett außergewöhnli- che Mann gerne hinter einer coolen Mas- ke oder seinem sarkastischen, zuweilen auch provokanten Humor. Er tat das kei- neswegs aus Unsicherheit, denn unsi- cher war er im Umgang mit niemandem. Wohl eher, weil er sein Kostbarstes – den Röntgenblick, der die eigenen Schwächen und Gefühle ins Bild nahm – nicht beliebig verschwenden konnte. Doch wenn er dann plötzlich aus dem Gedächtnis ganze Seiten von Thomas Mann zitierte, wenn er in einer Opern- loge in Wien die Arie von Placido Do- mingo mal eben mitten im Applaus in die Lyrik von Pablo Neruda zurücküber- setzte oder wenn er jedes beliebige Dich- terzitat der deutschen Klassik nicht nur erkannte, sondern beiläufig weiter- spann, dann wurde aus dem getriebenen Manager und Macher im Handumdre- hen ein Liebender mit großer Zärtlich- keit für die Werte der Kultur. Man muss- te nur Ohren haben zu hören. Fühlte Schirrmacher sich in allzu gro- ßer Harmonie unwohl? Ich empfand das zuweilen so, und er mag die beständige Irritation als Lebensform jedes geistigen Menschen – des Journalisten und Dia- gnostikers der Gegenwart allzumal – be- griffen haben. Sein Tempo war halsbre- cherisch, und er wollte wenigstens mer- ken, dass man versuchte mitzukommen. Und dennoch hatte dieser Mann wie für die Verästelungen von Diskursen auch für die Beziehungen zwischen Menschen ein unglaubliches Gespür. Wer von sei- nen Leuten in der Redaktion sich un- wohl fühlte oder Probleme hatte, wer im Freundeskreis mit wem fremdelte, wer einen unpassenden Ton traf – das spielte immer mit; da hatte er, der gerne den Störrischen spielte, ein soziales Elefan- tengedächtnis. Intellektuell sollte es um ihn brodeln, alle sollten von seiner Auf- regung und Euphorie etwas mitbekom- men, keiner sollte routiniert oder gar ge- langweilt vor sich hin wursteln. Einzig Trägheit war ein Laster, das vor ihm kei- ne Gnade fand. Und doch sah er sich im- mer in der Verantwortung, dass die Zei- tung, dass die Redaktion, dass seine Leu- te sich auf seinen Weitblick und seine Fürsorge verlassen können. Ob er sich selbst, ob er sein eigenes Wohlbefinden ebenso in den Mittel- punkt stellte? Ob seine Bücher und Pro- jekte, sein beständiges Vernetzen von Menschen und Jonglieren mit Ideen, ob seine innige Euphorie für neue Köpfe und Ideen ihn nicht übers menschliche Maß hinaus antrieben? Nach einem schweißtreibenden Rundgang durch das Geheimarchiv des Vatikans und dem An- blick all der staubigen Urkunden aus zweitausend Jahren konnte er hoffnungs- losen Blickes auf sein Mobilfon starren und lakonisch feststellen, dass in diesen Stunden dreihundert Mails und Botschaf- ten bei ihm eingetrudelt seien. Dann machte er sich beim Kaffee mit einer Hand quasi nebenbei daran, all diese In- formation zu durchforsten und in pro- duktive Bahnen zu lenken. Und seine Au- gen glänzten sofort wieder wie bei ei- nem großen Kind, wenn ihm das gelang. Ruhe gab es für ihn so gut wie keine. In solchen Augenblicken simultaner Aktivität – und eigentlich waren solche Momente der Regelfall – wirkte es, als sei ein Leben für diesen Mann nicht ge- nug. Als wollte er gleichzeitig zwei, drei geistige Existenzen führen und zwischen ihnen hin und her zappen in die jeweili- ge Welt derer, die nun mal schwerer sind von Begriff. Der Wiener Schriftsteller Heimito von Doderer hat für einen solchen Men- schen den Begriff „Apperzeptionsgenie“ geprägt. Das ist jemand, der in Sekun- denbruchteilen Zusammenhänge und Schwingungen erspürt, die andere Men- schen in Jahren nicht mitkriegen. Ohne Frank Schirrmacher gekannt und erlebt zu haben, ist es schwer, sich dieses Phä- nomen in all seiner Pracht, aber auch sei- ner Gefährdung überhaupt vorzustellen. Wenn er sich vom systematischen Cha- os seines Schreibtischs in der Frankfur- ter Redaktion in die Arbeitswelt seines Hauses in Potsdam zurückzog, gab sich Schirrmacher in sich ruhend ruhelos, ge- konnt verstrubbelt. Dann wurde er von seiner wundervollen Frau milde dom- ptiert, von seinem gleichgesinnt anar- chischen Töchterchen mitleidlos an den Beinen gezerrt und knüpfte dabei wie ein Zauberer die Enden von so vielen Ge- sprächen, Lesefrüchten, Schnelldiagno- sen und Feedbacks zu gewichtigen Bü- chern zusammen. Immer wenn er dann im Nebenraum verschwand, musste ich an das geniale Kurzkapitel denken, das in den paar Minuten wohl gerade ent- stand – in einer anderen Dimension, für die ich den Zugangscode nicht wusste. „Ego“, welches nun das ultimative Werk bleiben wird, wirkt als Phänomenologie der noch gar nicht entstandenen Geistes- welt der Computerzeit, als Kybernetik der digitalen Supermacht, als wäre dies von einem zähen und geduldigen Epo- chen-Informatiker im Gehäuse eines mächtigen Thinktanks zusammenge- dacht worden: Was in Silicon Valley ent- stand, wurde in Frankfurt und Potsdam erst wirklich kapiert. Davor hatten die amerikanischen Urheber dieser neuen Welt, die das dekadente Europa sonst wenig auf dem Radar haben und wohl nicht wirklich achten, allergrößten Re- spekt. Und der Autor hat seine große Deutung – so unvorstellbar das ist – zwi- schen Mails und Tweets, Anrufen und Ta- gesfeuilletons so royal hinkomponiert wie Joseph Roth seine ruhig dahinflie- ßenden Romane in lauten Kaffeehäu- sern und zugigen Hotelfoyers. Noch viel unvorstellbarer, dass er jetzt nicht mehr da ist. Dass es seine Analy- sen, die wir so dringend brauchten, nicht mehr geben wird. Nicht seine jederzeit wehrhafte Hellsicht auf die Krise der Me- dien. Nicht seine leidenschaftliche Ver- teidigung des gesellschaftlichen Status von Schriftstellern und Philosophen, kurzum: der Macht des Wortes. Nicht sei- nen unbestechlichen Blick auf die Not- wendigkeiten und Nöte des politischen Personals. Nicht sein ganz spezielles, von ihm täglich durchgerütteltes Feuille- ton. Nicht seine begeisterte Neugier ge- genüber allen, die ihn intellektuell reiz- ten und dabei anständige Leute blieben. Und auch nicht, was Frank Schirrma- cher so ungemein großzügig und dauer- haft verschenken konnte: seine Freund- schaft. Die Neugierde des stets am Allerneuesten interessierten Frank Schirrmacher gründete in einem profunden und nahezu klassischen Verständnis der großen abendländischen Philosophie und Dichtung Von Dirk Schümer Es war am Mittwochnachmittag, einen Tag vor Frank Schirrmachers Tod, als wir über das Sterben sprachen. Ich fuhr am Abend nach Zürich, um die Sterbehilfeor- ganisation „Exit“ zu besuchen. „Erzählen Sie, wenn Sie wieder da sind, ich bin ge- spannt“, sagte er und hob die Hand zum Abschied. Es ist das letzte Bild, das ich von ihm habe. „Wir kehren niemals wieder“, sagte er oft in einem beschwörenden Ton, wenn ich in seinem Büro saß. Dann lehnte er sich zurück, verschränkte die Hände hin- ter dem Kopf und fügte hinzu: „Sie müssen sich das klarmachen, hören Sie!“ Es war als Aufforderung zum Wagnis gedacht, zur Verrücktheit, was könne einem schon pas- sieren, außer dass man das Leben verpas- se. Frank Schirrmacher hat das Wissen um die Endlichkeit auf magische Weise ge- nutzt. Er fehlt. MELANIE MÜHL Frank Schirrmacher Foto Daniel Biskup / Laif Ein freier, glücklicher Denker Kollegiale Betrachtungen unter Schock am Tag danach / Von Nils Minkmar Letzte Momente Ein Bürger des Abendlands

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Page 1: Schirrmacher

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 · SEITE 9Feuilleton

Frank Schirrmachers Lebensthema wardie Freiheit. Nichts genoss er mehr als dieVielfalt ihrer kulturellen und sozialen Ma-nifestationen wie die Überraschung, dasGeheimnis, den Witz oder die Reise. Nieermüdete seine Freude daran, zu sehen,wie Menschen sich ihrer Freiheit bedien-ten, um etwas Neues zu schaffen, die Er-wartungen zu unterlaufen und andere zuverblüffen. Damit verband er – seinewohlbekannte Lust an der düsteren Pro-phezeiung, die die Anwesenden wohligim Schaudern vereint, war ein Aspekt da-von – die Liebe zum Leben selbst. Undwie verschämt, als würde ihm dieses Ein-geständnis Unglück bringen, seufzte er,wie sehr er einen Beruf liebt, der selbstein Beweis der Freiheit ist.

In gerechten Zorn trieb ihn umgekehrtdie Beobachtung, wenn es sich Zeitgenos-sen in den Üblichkeiten des Denkens undSchreibens bequem gemacht hatten undim wohligen Bewusstsein, auf der richti-gen Seite abzuhängen, herausforderndstupide in der Hängematte schaukelten.Schirrmacher war allergisch gegen Lange-weile. Dabei hatte er sich an einen sol-chen Level von Nachrichten, Botschaftenund Sensationen gewöhnt, dass man alssein Mitarbeiter im Alltag dieser Redakti-on nicht anders konnte, als ihn dann undwann zu langweilen. Er schaute dann, da-bei dennoch um Freundlichkeit bemüht,ganz traurig, als hätte man ihm zum Ge-burtstag eines seiner eigenen Werke ge-schenkt. Seine Form der Höflichkeit wares, sein Gegenüber in Erstaunen oder inAngst und Schrecken zu versetzen, stetszu amüsieren und nie zu entlassen, ohnedass man etwas zu erzählen hatte. Wiebei Jean-Paul Sartre, den er heftig, abervon Ferne und mehr des Habitus wegenbewunderte, war sein wichtigster Wesens-zug die Großzügigkeit. Wenn er seineFreiheit nutzen konnte, um anderen,Schwächeren, Zaghafteren Sicherheit zugeben, war er ganz bei sich. Oft nutzte erseine beträchtliche Überzeugungskraft,um seinen Besuchern einen Pfad durchihr Leben aufzuzeigen, den sie noch nichterkannt hatten, eine glänzende Zukunftzu prophezeien, bis alle ganz berauschtwaren von der Aussicht auf all die Dinge,die man gemeinsam anstellen würde.Und dann arbeitete er daran, oft jahre-lang.

Die leichte Floskel vom Genie, das wo-möglich mit einem Gespür für Themenund Texte zur Welt kam, verkennt, dass erirre fleißig, ein zu sich selbst gnadenloserArbeiter war. Nächtelang las und schrieber und animierte dann wieder den ganzenTag dieses Feuilleton und die ganze Repu-blik. Schirrmacher unternahm keine Rei-se, von der er nicht reichen publizisti-schen Ertrag nach Hause brachte. Unskonnten die tollsten Sachen widerfahren,von denen er aber vor allem wissen woll-te, wie sie der Zeitung etwas bringenkönnten. Er stoppte jede Klage über dieMarotten eines Kollegen, wenn der einenguten Artikel schrieb. Da konnte Schirr-macher nicht widerstehen und seine Fä-higkeit, Arbeiten von anderen gut zu fin-den, war sehr ausgeprägt.

Arbeit war ihm ein Genuss; aber daswar natürlich nicht die einzige Form, inder er sich des Lebens freute. Er machtesich nichts aus aufwendigem Essen, aberwenn er spürte, dass es seinen Tischgenos-sen schmeckte, war auch er restlos begeis-tert. Ja, er freute sich auch dann noch,wenn er sich eigentlich sehr ärgerte, undfand selbst in der Verzweiflung, wenn ergeliebte Menschen zu Grabe tragen muss-te, noch irgendwo eine Quelle der Kraft.Nichts aber übertraf die Liebe zu seinerFrau und seinen Kindern. Das war seingroßes Geheimnis: Über die Dinge, dieihm heilig waren, sprach er wenig, alswürde er sie sonst gefährden. Er teilte die-ses Heiligtum auf andere Weise, denn erfreute sich diebisch mit jedem, der sichauf eine je eigene Weise des Lebens, derFamilie und an der Zeitgenossenschaft zuerfreuen verstand.

Man muss sich Frank Schirrmacher alsglücklichen Menschen vorstellen. Nun sit-zen wir vor pervers stillen Mobiltelefo-nen, so unglücklich. Er hätte gesagt:„Kopf hoch“. Leichter gesagt als getan.

Sein unergründlicher Blick aufdie Ruinen des Römischen Rei-ches ist noch ganz auf dieserWelt. Unweit vom Kolosseumsaß Frank Schirrmacher in ei-

nem einfachen Café und nahm, wie erdas immer machte, die Essenz einer gan-zen Epoche, ihre Blüte und ihren Unter-gang gleichermaßen, in Sekundenschnel-le auf. Schnupperte kundig am Abend-land und schaute dabei mit diesem Epo-chenblick in eine unbehauste Zukunft,die er sich fast noch plastischer vorstel-len konnte als die steinernen Relikte derVergangenheit. Wie mit einem rastlosenScanner informierte er sich zügig überneueste Ausgrabungen, über den gewalt-samen Anteil Mussolinis an der Entvöl-kerung des Forums, über die Topogra-phie der Wohnhäuser von Augustus undNero, über die Triumphbögen von Impe-ratoren, deren Reich es längst nichtmehr gibt. Das war am letzten Samstag.Das war in einer anderen Zeit.

In den Nachrufen auf sein viel zu kur-zes Leben ist zu Recht von Frank Schirr-machers unvorstellbarer Vorstellungs-kraft für Kommendes die Rede. Er konn-te wie kein Zweiter beschreiben, wiesich die Grammatik unseres Denkens un-ter dem Diktat des Internets unwieder-bringlich wandelt. Wie Informatik undBiologie nach der Essenz unserer Frei-heit greifen. Wie unser Konzept von Indi-vidualität sich gerade buchstäblich ver-flüssigt. Wieso das recht eigentlichschon nicht mehr zu stoppen ist. Undwarum man es trotzdem mit aller Kraftversuchen muss.

Doch das alles mochte er, konnte ernicht denken ohne die Verankerung inder abendländischen Tradition. Viel-leicht war es gerade diese Faszinationdurch das Gewesene und Gestaltete, dieFrank Schirrmacher seinen Adlerblickquer durch Morgenröten und Untergän-ge ganzer Kulturen erst ermöglichte.Ebenso, wie ihn die taufrischen Patenteund Algorithmen amerikanischer Inter-netgurus fesselten, war er magisch ange-zogen von der anderen Seite des Pen-dels: griechischen Tempeln, römischenGrabungsfeldern, Kathedralen oderdem Pantheon, zu dessen Riesensäulenim Pronaos stets der erste Gang in Romführte – und nicht, weil seine Lieblings-Osteria direkt gegenüber liegt.

Es war nicht immer möglich, exakt zudefinieren, wo sich Frank Schirrmachergerade befand. Man konnte mit ihm inMonreale auf den Hügeln vor Palermodurch die Kreuzgänge der Normannenkö-nige schlendern, und plötzlich warf ermit einem Blick auf sein Smartphone dieGestaltung der ersten Feuilletonseitedes kommenden Tages um. AnderesFoto, anderes Layout, anderer Text. Undwenn man dann hinterher dachte, hiersei einer wohl nicht ganz bei der Sachegewesen, zog er noch nach Monaten dieDetails des Gespräches aus dem Ge-dächtnis hervor und sprach kundig undmit ganz neuen Akzenten von der Akkul-turation der Wikinger im arabisch ge-prägten Süden. Nur die Vergangenheitzu beackern, nur im Schönen des Heutezu schwelgen oder nur durch die Zu-kunft zu streifen – das waren keine Alter-nativen für jemanden wie ihn, der vonallzu Offensichtlichem schnell gelang-weilt schien. Er brauchte eben beides.Und er zog aus dem Auf und Ab der Epo-chen seine Maßstäbe für das Tagesge-schäft. Was dann wieder viele Mit-schwimmer im Strom der Zeit wunderte,weil sie sich, anders als er, vom Epheme-ren hatten blenden lassen.

Jacob Burckhardt hat einmal die Ar-beitsgrundlage jedes guten Historikersdefiniert: Er muss aus einem zertrüm-merten Kapitell im Geiste einen ganzenTempel errichten. Bei Frank Schirrma-cher funktionierte der Prozess aber auchumgekehrt. Er konnte in jedem Hoch-haus, in jeder Stadt, in jeder blühendenLandschaft das künftige Ruinenfeld se-hen. Und was heute unumstößlich undwahr erscheint, zerlegte er spielend undfragte sich: Könnte es nicht auch ganz an-ders sein? Könnte nicht unsere zufriede-ne Gewissheit des Funktionierens derWelt den Keim bilden für einen späterenZusammenbruch? Diese Affinität fürUntergänge, dieses unwirsche Misstrau-en gegenüber dem Bestehenden, dasmanche Mitmenschen tief verstörte, warfür ihn aber keineswegs ein Selbstzweck,kein Flirt mit der Apokalypse. Sondernder semantische Ausgangspunkt, um Ge-fahren vorauszuahnen und darauf reagie-ren zu können.

Ich erinnere mich an eine abendlicheMesse in San Marco in Venedig. Einpaar Sekunden vorher hatte Schirrma-

cher noch eine Botschaft auf dem Mobil-fon abgesandt, in Laboratorien Kalifor-niens oder Büros in New York, in dieFrankfurter Redaktion oder zu einemMächtigen der Berliner Politik, werweiß. Und dann versank er förmlich inden gregorianischen Harmonien desChores, saugte wie ein Kind mit großenAugen den byzantinischen Goldglanz,den Kerzenschimmer einer anderenWelt und den Weihrauchduft in sich auf.Die Ergriffenheit vom Erhabenen, dieVerletzlichkeit durch das Schöne ver-steckte dieser komplett außergewöhnli-che Mann gerne hinter einer coolen Mas-ke oder seinem sarkastischen, zuweilenauch provokanten Humor. Er tat das kei-neswegs aus Unsicherheit, denn unsi-cher war er im Umgang mit niemandem.Wohl eher, weil er sein Kostbarstes –den Röntgenblick, der die eigenenSchwächen und Gefühle ins Bild nahm –nicht beliebig verschwenden konnte.Doch wenn er dann plötzlich aus demGedächtnis ganze Seiten von ThomasMann zitierte, wenn er in einer Opern-loge in Wien die Arie von Placido Do-mingo mal eben mitten im Applaus indie Lyrik von Pablo Neruda zurücküber-setzte oder wenn er jedes beliebige Dich-terzitat der deutschen Klassik nicht nurerkannte, sondern beiläufig weiter-spann, dann wurde aus dem getriebenenManager und Macher im Handumdre-hen ein Liebender mit großer Zärtlich-keit für die Werte der Kultur. Man muss-te nur Ohren haben zu hören.

Fühlte Schirrmacher sich in allzu gro-ßer Harmonie unwohl? Ich empfand daszuweilen so, und er mag die beständigeIrritation als Lebensform jedes geistigenMenschen – des Journalisten und Dia-gnostikers der Gegenwart allzumal – be-griffen haben. Sein Tempo war halsbre-cherisch, und er wollte wenigstens mer-ken, dass man versuchte mitzukommen.Und dennoch hatte dieser Mann wie fürdie Verästelungen von Diskursen auchfür die Beziehungen zwischen Menschenein unglaubliches Gespür. Wer von sei-nen Leuten in der Redaktion sich un-wohl fühlte oder Probleme hatte, wer imFreundeskreis mit wem fremdelte, wereinen unpassenden Ton traf – das spielteimmer mit; da hatte er, der gerne denStörrischen spielte, ein soziales Elefan-tengedächtnis. Intellektuell sollte es um

ihn brodeln, alle sollten von seiner Auf-regung und Euphorie etwas mitbekom-men, keiner sollte routiniert oder gar ge-langweilt vor sich hin wursteln. EinzigTrägheit war ein Laster, das vor ihm kei-ne Gnade fand. Und doch sah er sich im-mer in der Verantwortung, dass die Zei-tung, dass die Redaktion, dass seine Leu-te sich auf seinen Weitblick und seineFürsorge verlassen können.

Ob er sich selbst, ob er sein eigenesWohlbefinden ebenso in den Mittel-punkt stellte? Ob seine Bücher und Pro-jekte, sein beständiges Vernetzen vonMenschen und Jonglieren mit Ideen, obseine innige Euphorie für neue Köpfeund Ideen ihn nicht übers menschlicheMaß hinaus antrieben? Nach einemschweißtreibenden Rundgang durch dasGeheimarchiv des Vatikans und dem An-blick all der staubigen Urkunden auszweitausend Jahren konnte er hoffnungs-losen Blickes auf sein Mobilfon starrenund lakonisch feststellen, dass in diesenStunden dreihundert Mails und Botschaf-ten bei ihm eingetrudelt seien. Dannmachte er sich beim Kaffee mit einerHand quasi nebenbei daran, all diese In-formation zu durchforsten und in pro-duktive Bahnen zu lenken. Und seine Au-gen glänzten sofort wieder wie bei ei-nem großen Kind, wenn ihm das gelang.Ruhe gab es für ihn so gut wie keine.

In solchen Augenblicken simultanerAktivität – und eigentlich waren solcheMomente der Regelfall – wirkte es, alssei ein Leben für diesen Mann nicht ge-nug. Als wollte er gleichzeitig zwei, dreigeistige Existenzen führen und zwischenihnen hin und her zappen in die jeweili-ge Welt derer, die nun mal schwerer sindvon Begriff.

Der Wiener Schriftsteller Heimitovon Doderer hat für einen solchen Men-schen den Begriff „Apperzeptionsgenie“geprägt. Das ist jemand, der in Sekun-denbruchteilen Zusammenhänge undSchwingungen erspürt, die andere Men-schen in Jahren nicht mitkriegen. OhneFrank Schirrmacher gekannt und erlebtzu haben, ist es schwer, sich dieses Phä-nomen in all seiner Pracht, aber auch sei-ner Gefährdung überhaupt vorzustellen.

Wenn er sich vom systematischen Cha-os seines Schreibtischs in der Frankfur-ter Redaktion in die Arbeitswelt seinesHauses in Potsdam zurückzog, gab sich

Schirrmacher in sich ruhend ruhelos, ge-konnt verstrubbelt. Dann wurde er vonseiner wundervollen Frau milde dom-ptiert, von seinem gleichgesinnt anar-chischen Töchterchen mitleidlos an denBeinen gezerrt und knüpfte dabei wieein Zauberer die Enden von so vielen Ge-sprächen, Lesefrüchten, Schnelldiagno-sen und Feedbacks zu gewichtigen Bü-chern zusammen. Immer wenn er dannim Nebenraum verschwand, musste ichan das geniale Kurzkapitel denken, dasin den paar Minuten wohl gerade ent-stand – in einer anderen Dimension, fürdie ich den Zugangscode nicht wusste.„Ego“, welches nun das ultimative Werkbleiben wird, wirkt als Phänomenologieder noch gar nicht entstandenen Geistes-welt der Computerzeit, als Kybernetikder digitalen Supermacht, als wäre diesvon einem zähen und geduldigen Epo-chen-Informatiker im Gehäuse einesmächtigen Thinktanks zusammenge-dacht worden: Was in Silicon Valley ent-stand, wurde in Frankfurt und Potsdamerst wirklich kapiert. Davor hatten dieamerikanischen Urheber dieser neuenWelt, die das dekadente Europa sonstwenig auf dem Radar haben und wohlnicht wirklich achten, allergrößten Re-spekt. Und der Autor hat seine großeDeutung – so unvorstellbar das ist – zwi-schen Mails und Tweets, Anrufen und Ta-gesfeuilletons so royal hinkomponiertwie Joseph Roth seine ruhig dahinflie-ßenden Romane in lauten Kaffeehäu-sern und zugigen Hotelfoyers.

Noch viel unvorstellbarer, dass er jetztnicht mehr da ist. Dass es seine Analy-sen, die wir so dringend brauchten, nichtmehr geben wird. Nicht seine jederzeitwehrhafte Hellsicht auf die Krise der Me-dien. Nicht seine leidenschaftliche Ver-teidigung des gesellschaftlichen Statusvon Schriftstellern und Philosophen,kurzum: der Macht des Wortes. Nicht sei-nen unbestechlichen Blick auf die Not-wendigkeiten und Nöte des politischenPersonals. Nicht sein ganz spezielles,von ihm täglich durchgerütteltes Feuille-ton. Nicht seine begeisterte Neugier ge-genüber allen, die ihn intellektuell reiz-ten und dabei anständige Leute blieben.Und auch nicht, was Frank Schirrma-cher so ungemein großzügig und dauer-haft verschenken konnte: seine Freund-schaft.

Die Neugierde des stets am Allerneuesten interessierten Frank Schirrmachergründete in einem profunden und nahezu klassischen Verständnis

der großen abendländischen Philosophie und Dichtung

Von Dirk Schümer

Es war am Mittwochnachmittag, einenTag vor Frank Schirrmachers Tod, als wirüber das Sterben sprachen. Ich fuhr amAbend nach Zürich, um die Sterbehilfeor-ganisation „Exit“ zu besuchen. „ErzählenSie, wenn Sie wieder da sind, ich bin ge-spannt“, sagte er und hob die Hand zumAbschied. Es ist das letzte Bild, das ich vonihm habe. „Wir kehren niemals wieder“,sagte er oft in einem beschwörenden Ton,wenn ich in seinem Büro saß. Dann lehnteer sich zurück, verschränkte die Hände hin-ter dem Kopf und fügte hinzu: „Sie müssensich das klarmachen, hören Sie!“ Es warals Aufforderung zum Wagnis gedacht, zurVerrücktheit, was könne einem schon pas-sieren, außer dass man das Leben verpas-se. Frank Schirrmacher hat das Wissen umdie Endlichkeit auf magische Weise ge-nutzt. Er fehlt. MELANIE MÜHL

Frank Schirrmacher Foto Daniel Biskup / Laif

Ein freier,glücklicherDenkerKollegiale Betrachtungenunter Schock am Tagdanach / Von Nils Minkmar

LetzteMomente

Ein Bürger des Abendlands

Page 2: Schirrmacher

SEITE 10 · SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNGFeuilleton

Wie viel Zeit habe ich noch? Die-se Frage erreichte einen ge-wöhnlich zwischen vier Uhrund halb fünf, wenn Frank

Schirrmacher den Aufmacher für die ersteSeite des Feuilletons dieser Zeitungschrieb. Als Ressortleiter hatte man nunein mathematisch-diplomatisches Kunst-stück zu vollbringen. Da war einerseits derTermin, zu dem die letzte Feuilletonseitefür den Druck freigegeben werden musste.Diese Uhrzeit lag fest, war von den Her-ausgebern in Absprache mit dem Verlag fi-xiert worden und naturgemäß für alle Re-dakteure verbindlich, auch für die Heraus-geber. Andererseits gab es Erfahrungswer-te, welche Fristüberschreitungen der Ab-laufplan zuließ, damit ein besonders wich-tiger Gedanke noch zu Ende gedacht wer-den konnte.

Wie viel Zeit hatte er noch? Die Kunstbestand darin, ihm so viel einzuräumen,dass sein Schwung nicht gebremst wurde,aber auch nicht so viel, dass der Andruckgefährdet worden wäre. Wenn Schirrma-cher schrieb, schloss er sich ein. Er wurdemit Espresso versorgt und war für nieman-den zu sprechen. War er fertig, musstenicht selten die Seite noch einmal umge-baut werden. Oft war sein Text länger alsangekündigt; auch die Minuten für die et-waige Layoutänderung galt es vorab einzu-kalkulieren. Der Autor, dessen großes The-ma die Macht der technischen Vorgabenüber das Denken wurde, wollte sich bis zu-letzt nicht daran gewöhnen, seine Texte indie Rahmen des Redaktionssystems hin-einzuschreiben. Dabei ist das ganz ein-fach: Man arbeitet im Layout der Zeitung,dank der sogenannten WYSIWYG-Darstel-lung. „What you see is what you get“: Dasgalt für Texte von Frank Schirrmacher al-lerdings ohnehin nie.

Solange er schrieb, befanden sich diefür den Umbruch zuständigen Kollegen,die Layouterin, der diensthabende Redak-teur, der Feuilletonchef, in einem ange-spannten Zustand. Es war wie im Gedichtder Bachmann: Die auf Widerruf gestun-dete Zeit wurde sichtbar am Horizont.

Die Tür ging auf, er kam heraus, inHemdsärmeln und zerzaustem Haar, dasHemd hing über die Hose. Um ihn dieAura eines überstandenen Kampfes, alshätte er hinter der Tür seines Büros einenEinbrecher niederringen müssen oder ei-nen Dämon. Dann die zweite Frage: „Kön-nen Sie mich lesen?“ Er bestand schon des-halb auf äußerster Genauigkeit des Gegen-lesens, weil er viele Texte aus der Handgab, ohne sie selbst noch einmal zu lesen.So fanden sich dort stets Rechtschreibfeh-ler. Der Korrektor und der Redakteur

machten sich gleichzeitig ans Werk. Schirr-macher wollte aber auch Kritik hören, Ein-wände und Bedenken, dem Davoneilender Zeit zum Trotz. Manchmal gab er aus-drücklich Pleinpouvoir für jegliche Eingrif-fe. Großzügig bedankte er sich für still-schweigende Verdeutlichungen und Ergän-zungen. Legte man ihm den redigiertenArtikel vor, wollte er wissen, ob man es somachen könne. Es wäre ganz falsch gewe-sen, das für eine Floskel zu halten.

„Ich schreibe!“ Mit diesem Satz hatteSchirrmacher irgendwann am Mittag dieDiskussion darüber beendet, ob und inwelcher Form das Feuilleton auf eines derThemen des Tages eingehen solle. Meis-tens musste er noch Herausgebergeschäf-te erledigen, bevor er die Tür hinter sichschließen konnte. Aus dem Moment her-aus entstanden jene Texte, deren Gattungsich am besten mit einem Lieblingsbegriffjener zeitkritischen Publizistik bestimmenlässt, mit der Schirrmacher sich noch lan-ge polemisch auseinandersetzte, nachdemer 1985 als sechsundzwanzigjähriger Schü-ler Dolf Sternbergers seine Arbeit im Feuil-leton von Joachim Fest aufgenommen hat-te. Eingriffe waren diese Artikel.

Zum Beispiel der Kommentar im Feuil-leton vom 4. Mai 2011 über die Äußerungvon Bundeskanzlerin Angela Merkel, siefreue sich, dass es gelungen sei, UsamaBin Ladin zu töten. Das Unschicklichedieser Bekundung illustrierte Schirrma-cher nicht nur mit einem Zitat des Spre-chers von Papst Benedikt XVI., sondernauch mit einem Stück säkularer Weisheit,einer Rüge, die im „Herrn der Ringe“ derZauberer Gandalf ausspricht: „Viele, dieleben, verdienen den Tod. Und manche,die sterben, verdienen das Leben. Kannstdu es ihnen geben? Dann sei auch nicht sorasch mit einem Todesurteil bei derHand.“ Frau Merkels Satz verletzte dasMoralische im Sinne Robert Spaemanns,das unter Menschen Selbstverständliche.Im Ton schlichter Sachlichkeit brachteSchirrmacher das zum Ausdruck, mit be-trübter Lakonik: „Als Hitler tot war,bedauerte man diesen Tod, weil es nichtgelungen war, ihn vor Gericht zu stellen.Dieses Bedauern wäre auch im vorliegen-den Falle angebracht.“

Mit dieser Schlussbemerkung erweiter-te er die Frage des moralischen Ge-schmacks zum Problem des politischen Ur-teils. Frau Merkel, die Besonnenheit inPerson, hatte sich hinreißen lassen, im Sin-ne einer monströsen Logik der Verteufe-lung zu reden, deren verheerende Wirkun-gen Schirrmachers Feuilleton seit dem12. September 2001 dokumentiert hat.Der letzte Tweet, den er am Abend des

11. Juni 2014 verschickte, war ein Hinweisauf einen Artikel im „Guardian“, den er in111 Zeichen zusammenfasste. „Bilanz desKrieges gegen den Terror: Der Irak fällt indie Hände von Leuten, die selbst Al Kaidazu extrem sind.“

Seine mehr als 42 600 Follower – hättediese Zahl nicht für die Startauflage einesmodernen Intelligenzblatts gereicht? – be-klagen den Verlust eines Kurzbrieffreun-des, den sie gekannt zu haben glaubenund der ihnen dennoch ein Unbekannter

blieb. Wer im Feuilleton dieser Zeitungarbeitete, wurde immer wieder gefragt,wie Frank Schirrmacher eigentlich so sei.Seine Person zog eine für Vertreter unse-res Berufs ganz und gar ungewöhnlicheNeugier auf sich.

Kollegen anderer Medien und Repräsen-tanten des Staates betrauern ihn als Deu-ter der Zukunft. Sein Gespür für Künfti-ges, sein Vermögen der Divination, wieman im Altertum diese intellektuelle Bega-bung eines bestimmten Typs von Priesterngenannt hat, war aber die Kehrseite seinesobsessiven Interesses an der Vergangen-heit. Er kannte nicht nur entlegene Spezi-alliteratur zur Schreckenszeit des zwan-zigsten Jahrhunderts, sondern suchteauch die persönliche Verbindung über Do-kumente und Zeugen, wie der von ihm be-wunderte Walter Kempowski.

Am Fall von Ernst Jünger, dem es ver-gönnt war, fast hundertdrei Jahre alt zuwerden, stellte Schirrmacher den Zusam-menhang zwischen dem literarischen Fai-ble für „Vorahnungen, Träume und Schick-salsmächte“ und der Buchführung überein Leben dar, auf das schon der Veterandes Ersten Weltkriegs als ein „Überzähli-ger“, ein aus unerfindlichen GründenÜbriggebliebener, zurückblickte. Der Intel-lektuelle als Seismograph: Auf Schirrma-cher traf das Bild aus dem Zeitalter des Ar-beiters zu. Doch wie funktionierte sie, dieso empfindliche wie präzise Apparaturzur zeitigen Warnung vor Umwälzungendes Weltbilds?

Frank Schirrmacher nahm seine eigeneUnruhe als Symptom. Das gilt für alle gro-ßen Debatten, die er in Bewegung gesetzthat: in der Bio-, Integrations- und Ge-schichtspolitik. Er suchte Aufklärungdurch Fachwissen oder Meinungsstreit,weil er den eigenen Instinkten geradenicht vertraute, sondern sie verstehen undgegebenenfalls korrigieren wollte. DenVerriss, der mit der nötigen philologi-schen Disziplin die unmenschlichen Quel-len der Gedanken von „Deutschlandschafft sich ab“ offenlegte, schrieb Schirr-macher. Niemand verblüffte das mehr alsden Verfasser des Buches, der in Schirrma-chers Schriften Sympathien für dieIslamkritik ausgemacht hatte. Aber Schirr-macher begegnete bei Thilo Sarrazin diepositivistische Wissenschaftsgläubigkeitder Generation des Vaters von Ernst Jün-ger wieder, die dem Sohn noch als Hun-dertjährigem, wie Schirrmacher gelegent-lich notierte, ein Rätsel geblieben war.

Als ich 2011 die Geschäfte des Ressort-leiters an Nils Minkmar weitergab, bedangder Herausgeber sich aus, dass einer dervon mir betreuten Mitarbeiter unbedingtweiterbeschäftigt werden müsse: unserbiopolitischer Kommentator Oliver Tol-mein. Dass es unter dem Kostendruck imGesundheitswesen zu einer Ethik der An-reize zum Sterben kommen werde, hieltSchirrmacher wohl deshalb für ein plausi-bles Szenario, weil er das Programm derRationalisierung des Lebens als schlüssigerlebte und Angst vor der Machtlosigkeitdes Todgeweihten hatte. Ahnungen so-wohl zum Gegenstand als auch zum Werk-zeug der Zeitanalyse zu machen: das warsein staunenswertes Talent.

Am 20. Juli 1993 war Schirrmacher zu-gegen, als Helmut Kohl und François Mit-terrand in Wilflingen den achtundneunzig-jährigen Ernst Jünger besuchten. Jüngersagte an diesem Tag, man denke bis zu-letzt, dass man nur zwanzig Jahre gelebthabe. Frank Schirrmacher starb mit vier-undfünfzig Jahren. Können wir ihn lesen?Was für eine Frage: Lesbar sind alle seineTexte, und mit seinen Büchern erreichteer sogar eine neue Art von Lesbarkeit, diedem einen oder anderen Kollegen etwasunheimlich war. Wie der römische Haru-spex aus den Eingeweiden der geschlachte-ten Opfertiere die Zukunft erschloss, soversuchte Frank Schirrmacher, im eigenenInneren zu lesen, was uns allen bevor-steht.

Er, der starb,verdientedasLeben

Erinnerungen an das erste Mal: ein ent-fernter, beiderseits knapper Gruß voretwa einem Jahrzehnt, als wir uns zufälligbei einem Spaziergang im von ihm so ge-liebten Potsdam-Sacrow begegneten.Frank Schirrmacher war kein Draufgän-ger, der sich an die Menschen heran-schmiss. Er war eher scheu und diskretund erst, wenn er Vertrauen gefasst hatte,zuweilen sogar von rührender Hilflosig-keit, die er ohne jeden Argwohn offen ein-gestand. Eine seiner stets von schärfstemVerstand gekennzeichneten Analysen mitdem Hinweis zu unterbrechen, dass er zwi-schendurch mal sein Hemd in die verwa-schene Hose stecken solle, konterte ermit dem Geständnis, sein Outfit ohnehinnur von Tchibo zu beziehen, das dem Trä-ger dann doch keine besondere Eleganzabnötige.

Er trug seinen wachen Geist, die über-bordende Intelligenz und seine gleichzei-tig immer spürbare Herzenswärme nievor sich her. Trotzdem war er in seinemUrteil eindeutig: Er nannte viele „schreck-liche Menschen“ beim Namen. Gleichzei-tig war er völlig ideologiefrei und immerbereit, seine Meinung zu ändern. FrankSchirrmacher litt nicht nur in kleinemKreis an der Welt – und stürzte sich gleich-zeitig lustvoll in jede Diskussion, um vorallem Politikern klarzumachen, dass po-pulistische Ideen und das Fehlen jeder Vi-sion die Res publica überhaupt nicht undihre Repräsentanten nur kurzfristig nachvorne bringen.

Seine ewige Neugier auf Widerspruch,ausgefallene Ideen und jede Form vonNonkonformismus hat mich immer wie-der fasziniert. Wer ihm um 2.42 Uhr inder Früh eine SMS sandte, konnte zu-meist mit einer Antwort vor dem Morgen-grauen rechnen. Nie gerierte er sich alsBesserwisser – der er natürlich in Wirk-lichkeit war –, sondern blieb in seinemWissensdurst fast kindlich naiv. Er freute

sich, wenn einem Gast der von ihm kre-denzte Wein schmeckte, um Stunden spä-ter zu erfragen, wie man denn eigentlichden Lidl-Pinot-Grigio von einem großenRiesling unterscheiden könne.

Immer war er auf der Suche nach neuenErkenntnissen, um die ihm zuweilen ewigträge erscheinende Gesellschaft nach vor-ne zu bringen. Walter Benjamins Definiti-on vom „fertigen Werk als der Totenmas-ke der Konzeption“ schien ihn rastlos an-zutreiben, immer neue Debatten anzusto-ßen – von den demographischen Verände-rungen bis zu seiner letzten großen Sorge,dass Google und Co. uns auf so gefährli-che Weise beherrschen werden, wie wiruns das noch gar nicht vorstellen können.

Dieser Mann war etwas ganz Besonde-res. Ein brillanter Intellektueller, gewiss.Aber gleichzeitig ein origineller, humor-voller und vor allem sehr, sehr treuerFreund.

Und gerade deshalb bin ich über seinenplötzlichen Tod so unendlich traurig.

Aber dann schaue ich auf ein Foto, dasvor einigen Monaten entstand.

Wir waren beide auf ein sehr schönesFest geladen, das nur einen Nachteil hat-te: Es bestand Verkleidungszwang unduns verband (nicht nur) die Aversion ge-gen Maskenbälle.

Tapfer entschieden wir uns trotzdemfür uns gemäße Kostüme: Er bestand aufdem Outfit eines Ordnungshüters mit Pi-ckelhaube aus der nur vermeintlich besse-ren Zeit kurz nach der vorletzten Jahrhun-dertwende, und ich gab den West-Berli-ner Schupo aus den sechziger Jahren. Kei-ner war lächerlicher verkleidet als wir,und so beschlossen wir am Ende desAbends, künftig gemeinsam nur noch alsDick und Doof bei den einschlägigen Kos-tümfesten einzulaufen.

Frank hielt das für eine glänzendeIdee: „Dann müssen wir uns auch nichtmehr verkleiden.“

Günther Jauch ist Fernsehmoderator.

Ein sehr, sehr treuer FreundIntelligenz und Herzenswärme / Von Günther Jauch

Frank Schirrmacher war ein geistigerSeelenverwandter. Er sollte jetzt da seinund diese Worte lesen, die aus todtrauri-gem Herz kommen. An ihn in der Vergan-genheitsform zu denken ist unsagbarschmerzlich. Frank hinterlässt eine gel-lende Leere, die eben noch erfüllt warvon seinem brillanten Verstand, seinergrenzenlosen Großzügigkeit, seiner an-steckenden Energie und profunden Klar-heit.

Dieser jähe, unwiderrufliche Verlust,der so hilflos macht, ist eine Art Hölle.Alle, die Frank geliebt haben, sind nunin diese Hölle geworfen. Er hätte ein lan-ges, fruchtbares Leben verdient gehabt.Wir alle hätten seine überschäumendePräsenz und sein leidenschaftliches En-gagement für eine menschenwürdige Zu-kunft verdient. Wieder muss ich lernen,dass sich die Natur nicht für unsere Leis-tungen interessiert. Meine Beziehung zuFrank Schirrmacher war eher für dasachtzehnte als für das 21. Jahrhundert ty-pisch, abgesehen natürlich von derSchnelligkeit, mit der wir uns austau-schen konnten. Ideen waren unser Kitt,Gedankenaustausch unser Medium. Wirfanden unseren Treffpunkt in einemselbstbewussten Humanismus und in un-erschütterlichem Engagement für dieWürde und Unantastbarkeit des Men-schen.

Es begann mit einem Tweet. „DearProfessor Zuboff . . .“ Er habe meine Ar-beiten gelesen und würde mir gern einpaar Fragen stellen. Und so begannenMonate mit langen Briefen. „DearMr. Schirrmacher . . .“ Ich habe ihn niegegoogelt. Ich wusste nichts von seinemLebenslauf, seinem Status, seiner Rolle.Für mich war das nicht wichtig. Es gingimmer um Ideen. Mit der Zeit entwickel-te sich aus diesen Briefen eine Arbeitsbe-ziehung, erste Beiträge von mir erschie-nen in seinem geliebten Feuilleton. Da

korrespondierten wir schon fast täglich,tauschten uns über alles Mögliche aus,von Adorno bis Husserl, über Geschich-te, politische Strategien, aufsehenerre-gende Schlagzeilen, die Auswirkungendes technologischen Wandels und dieneue Bedrohung durch Überwachung.

Frank war einer der wenigen Men-schen, für die Ideen eine Sache von Le-ben und Tod waren. Er sah, wie sich Ide-en in alltäglichen Dingen und weltge-schichtlichen Schachzügen von Unter-nehmern und Politikern niederschlugen.Er agierte auf allen Ebenen. Das machteihn zu einem Magneten – zu einem Kraft-zentrum für so viele Denker und Macher.Er lebte in einer einzigen Kaskade vonAustausch und Kommunikation, Up-dates und Anregungen. Blitzschnell ver-arbeitete er all diese Informationen undwarf sie in die Welt hinaus wie einenflammenden Speer durch den Nachthim-mel. So schuf er Kultur, stündlich, täg-lich. Unermüdlich trug er Stein auf Steinzusammen für das Fundament einer hu-manen Zivilisation des 21. Jahrhunderts.

Frank war für mich ein Wunder von ei-nem Menschen. Was wäre leichter gewe-sen für einen so einflussreichen Mann,als Ideologe zu werden? Doch dafür taug-te er nicht. Er besaß eine unbeschreibli-che Neugier. Nichts entging seiner Auf-merksamkeit. Trotz seiner Gelehrsam-keit und des Umfelds, in dem er sich be-wegte, bewahrte er sich ein Staunen undeine Freude über die Macht des Wortes,das durch die Dunkelheit dringt und auf-klärt. Seine Begeisterung nährte michund alle, die mit ihm arbeiteten. DieseNahrung ist nun Teil von mir, verwandeltin jedem Wort, das ich schreibe. Frankwird auf vielerlei Weise in mir weiterle-ben – als erster Leser all meiner Ideen,als Briefpartner meiner Träume.

Shoshana Zuboff ist emeritierte Harvard-Professorin für Betriebswirtschaftlehre.Aus dem Englischen von Matthias Fienbork.

Es ist mehr als eine Gewohnheit, es isteine Erfahrung: Menschen, die ichnicht andauernd sehe, bleiben mirdann so in Erinnerung, wie ich sie zu-erst sah. Am Anfang einer Bekannt-schaft. Und was auch immer noch anneuer Erfahrung dazukommt, die amAnfang erlebten Eindrücke sind durchkeine spätere Erfahrung zu löschen.

Frank Schirrmacher wurde im De-zember 1986 beauftragt, mich von derKlettenbergstraße, vom Haus Unseld,abzuholen, mich nach Kronberg zubringen. In meinem Tagebuch lese ich:Abends bei Fest. Mit dem jungen Ta-lent, Fests Assistent, hinausgefahren.

Meine Erinnerung weiß es genauer.Mit Schirrmachers Auto. Da es sich umein sehr kleines Auto handelte, wirkteder, der es fuhr, riesig. Geblieben istmir vor allem sein Gesicht. Ich hatte da-mals keinen beruflichen Kontakt zuihm. Er musste mich fahren, und ichsah, dass ich von einem Kind kut-schiert wurde.

Inzwischen ist es längst eine Ge-wohnheit, dass ich in Gesichtern älte-rer Menschen immer danach suche,wie diese Gesichter in der Kindheit aus-gesehen haben müssen. Und zu dieserGewohnheit gehört: Je deutlicher mirin einem Gesicht das Kindergesicht ent-gegenkommt, umso mehr glaube ich,mit diesem Menschen etwas anfangenzu können.

Bei Schirrmacher war es kein Pro-blem, das Kind zu entdecken. Und auchin Zeiten, in denen ich mich mit ihmnicht mehr wolkenlos verstand, ist seinauffallend gegenwärtig gebliebenerKindheits-Ausdruck sozusagen anruf-bar geblieben.

Zur Praxis meiner Kindheitssuche inerwachsenen Gesichtern gehört es,dass mir zum Beispiel Schirrmachers

abenteuerlich sprunghafte Themenfin-dungen samt deren öffentlicher Aus-beutung immer wieder daherkamen alsreine Kindheits-Performance – umgleich in die ihm entsprechende Voka-belkiste zu greifen.

Ich weiß nicht, wie ihn die, die an-dauernd mit ihm oder gegen ihn zu tunhatten, erlebten. Ich weiß nur, dass erin meinem Zuschauer-Bewusstsein nieals reifer Mann gewirkt hat. Zu reifen –das mag auch für das und das gut sein.Schirrmacher hat von Überraschungengelebt. So wie eben Kinder uns voneiner Überraschung in die nächste ja-gen. Und wenn sie uns nicht mehr über-raschen, sind sie erwachsen. Dannkann man mit ihnen rechnen, auf siezählen.

Ich hatte in keiner Phase unserer ge-legentlichen beruflichen Kontakte dasGefühl, ich könne mich auf ihn wie aufeinen Parteifreund verlassen. Auchwenn er dann FÜR mich war, war er im-mer seine eigene Partei. Und das war,weil er immer hervorragend sachlichoperierte, sowohl sympathisch wie ach-tenswert. Dass er im Jahr 2002 Reich-Ranicki mir vorzog, verstehe ich heutebesser als damals.

Ich hatte nicht genügend Kontaktmit Schirrmacher, um behaupten zukönnen, er habe auch sich selbst immerwieder überrascht. Dann musste er sei-nem jeweils neuesten Einfall entspre-chen, das kann anstrengend gewesensein. Ohne dass ihn einer hetzte, hat ersich vielleicht selbst gehetzt. Mit dieserVermutung will ich nur sagen, er ist soüberraschend gestorben, wie er gelebthat. Jäh! Da denkt man unwillkürlich:Wenn ich ihn öfter gesehen hätte, hätteich versucht, ihn zu bremsen. So aberkommt die nackte Nachricht ins Haus.Und ich bin bestürzt.

Martin Walser ist Schriftsteller.

Er schuf KulturGlänzende Gedanken / Von Shoshana Zuboff

Jäh!Voller Überraschungen / Von Martin Walser

Frank Schirrmacher Foto Helmut Fricke

Dem Davoneilen der Zeit zum Trotz: FrankSchirrmacher forderte im Redaktionsalltag unsereKritik und ließ uns so teilhaben an dem Werk einesintellektuellen Seismographen / Von Patrick Bahners

Page 3: Schirrmacher

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 · SEITE 11Feuilleton

Fast schon der Februar wieder vorbei?Jetzt aber schnell. Schnell zurück zu unse-rem alten Bekannten, ehe die Flut, vonder er noch gar nichts ahnt, ihn hinweg-spült. Zurück zu jenen Gestalten, die Flo-rian Illies in seinem Buch „1913“ so wun-dervoll wiederbelebt hat; aber nun nochein Stück tiefer hinein in den Bergwerk-stollen des Zauberbergs, in den Romander Epoche.

Hans Castorp auf dem Berghof. Es istsein sechstes und vorletztes Jahr. Garnicht leicht, ihn im Jahr 1913 dingfest zumachen. Der Roman selbst ist schon insRollen und Rutschen geraten, es geht im-mer schneller hinab mit dem Erzähl-strom. Man müsste eine Stecknadel neh-men und sie irgendwo in das siebente undletzte Kapitel des Werks hineinstechen.So haben das Entdecker mit Landkartengemacht. So macht Thomas Mann es mitder Zeit.

Sticht man hinein, erkennt man, wiesehr man im Heute angekommen ist. Hieram Ende der Geschichte, die uns im Jahre2013 genau hundert Jahre von der erzähl-ten Zeit des Jahres 1913 trennt (und dasverwirrenderweise auch das Jahr ist, indem der echte Thomas Mann überhauptden echten „Zauberberg“ zu schreiben be-gann), hier also unter dem Datum „Berg-hof 1913“ gibt es eigentlich gar keine Zeitmehr, nur noch Geschwindigkeit. EinJahr wie ein Online-Tag. Die Moden ra-sen dahin wie die Monate. Eben habendie Sanatoriumsgäste sich noch wie ver-rückt mit Fotografieren und dem Herum-schicken und -schenken von Fotos be-schäftigt, und dann kommt schon die

nächste Erfindung, der „Musiksarg“, dasGrammophon, das es erlaubt, Musikmehr oder minder mobil, jedenfalls ohneZuhilfenahme eines Instruments oder gareines ganzen Orchesters zu hören. Hun-dert Jahre dauert es, bis das Grammo-phon im Fotoapparat und der Fotoappa-rat im Grammophon steckt, und heute be-finden sich auch noch die Zeitungen indem gleichen winzigen Gerät (und der La-geplan von Davos und auch der ganze„Zauberberg“-Roman) – eine Vorstel-lung, die bei unserem Bekannten einen ir-ren Blick ausgelöst hätte. Zeitungen liester sowieso keine, was sich ein Jahr später,als ihn der Krieg unvorbereitet trifft, alsNachteil erweisen sollte.

Es steht nicht gut heute vor hundertJahren im Sanatorium „Berghof“. Einstwaren nur die Lungen vergiftet, jetzt sindes die Köpfe. „Der große Stumpfsinn“ hat-te, wie der Erzähler schreibt, seine Be-wohner schon eine ganze Weile mit sei-nem Bann belegt, und nun wird er zurKrankheit, er wird gewissermaßen grünerund böser, und jeden neu Hinzutretendenüberkommt er sofort wie ein böser Atem,dessen Keime in der Luft liegen. Die In-fektion, die im Jahre 1913 in dem vorneh-men Haus herrscht, ist schlimmer und of-fenbar unheilbarer als die Lungenkrank-heit, und sie trägt den Namen „Die großeGereiztheit“, eine Mischung aus schlech-ter Laune, bad karma und Ressentiment.„Was gab es denn? Was lag in der Luft? –Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Na-menlose Ungeduld. Eine allgemeine Nei-gung zu giftigem Wortwechsel, zum Wut-ausbruch, ja zum Handgemenge.“ Mansieht: Das ging auch ohne Internet.

So also trifft man Hans Castorp an,und Leser des Romans wissen, dass damitnatürlich auf die großen Gereiztheiten imFlachland angespielt werden soll, auf dieUnruhen und Konflikte der europäischenVölker und ihrer Herrscher, die bald zumAusbruch kommen würden. Aber wäh-rend die Geschichtsbücher von „Spannun-gen“ reden, wenn es um Staaten geht, istes viel interessanter, heute noch einmaldie Psychopathologie des Alltagslebens

in einem der großen Romane der Weltlite-ratur zu studieren. So ineinanderfließenddie Jahre Hans Castorps am Ende sind, esist aus heutigem Abstand immer noch fas-zinierend zu sehen, wie Thomas Manndurch die „große Gereiztheit“ des Jahres1913 die ersten Keime der neuen Volks-krankheiten der anbrechenden Epoche indie Atmosphäre seines Buches eindrin-gen lässt.

Der erste Antisemit taucht auf, ein Ver-gifter, wie er in den Räumen des „Zauber-bergs“ noch niemals gesehen wurde, undmit ihm die Vorboten von Rassenwahnund Hass. Herr Wiedemann liest auch kei-ne Zeitungen und bestimmt keine Bücher,hält dafür aber „Die arische Leuchte“ imAbonnement. Lichtjahre entfernt schei-nen in diesem Augenblick all jene Kapi-

tel, in denen von Humaniora, Aufklä-rung, Vernunft und auch vom Gottesstaatgeredet wurde – und genau das sollen sieauch. Wiedemanns Geisteskrankheit trittin diesen durch und durch diskursiven Ro-man ein wie eine Naturgewalt. Die Be-schleunigung ist nicht nur ein Erzählprin-zip des Romans, sie ist das Abbild der poli-tischen Dynamiken, die längst den Konti-nent ergriffen haben.

Ohne es auszusprechen, kündigt derRoman im Jahre 1913 eine neue Epochean, die weit über den „Donnerschlag“ desErsten Weltkriegs hinausweist. Natürlichwar Thomas Mann kein Hellseher. Aber –um die Zahlenkonfusion komplett zu ma-chen – er begann den „Zauberberg“ zwar1913, aber das Kapitel, das heute vor hun-dert Jahren spielt, schrieb er erst knappzehn Jahre später: zu einem Zeitpunkt,als, besonders in München, niemandementgehen konnte, dass die Wiedemannsden Krieg überlebt hatten.

Das alles wäre nicht aufschreibens-wert, wenn es sich nicht im Kosmos desRomans ereignen würde. Der „Zauber-berg“ ist nicht nur seit Generationen fürjeden Leser eine lebenslange Verführung,der Welt ein für alle Mal abhandenzukom-men: ein Leben außerhalb von Erwartun-gen und Ansprüchen anderer, ein Dasein,der Selbsterkenntnis und Liebe gewid-met, wobei auch diese Liebe vergeblich,aber keineswegs lebensgefährlich ist. DerRoman ist aber vor allem das große De-menti eines alten Traums von Aufklärern,Bildungsbürgern und Geistes-Ärzten al-ler Art: der Hoffnung, der Mensch könneeinen Zustand der Reflexion und Verin-

nerlichung erreichen, die ihn immunmacht gegen Infektionen und Bazillen al-ler Art.

Diese letzte Erkenntnis, dass Denkenzur Krankheit und das heißt: zur Ideolo-gie werden kann, ist der Zustand, in demwir unseren alten Bekannten heute vorhundert Jahren antreffen könnten – wenner denn je gelebt hätte. Kein Wunder,dass Naphta, der an sich und seiner Ideo-logie leidende Seelenterrorist, jetzt gleich(im Februar 1914) Selbstmord begehenwird. Die Zeit der großen und bösen Ge-danken endet, wenn Gedanken zu Tatenwerden. Die Übergangszeit ist eine gleich-sam sensorische Phase. Eine Phase, in derGedanken gewissermaßen sofort die Ner-ven reizen, eine Ära der Ungeduld, desHasses, des Streits, der „großen Gereizt-heit“.

Wie groß war die Intuition ThomasManns, diesen zweiten großen Teil derJahrhundertkatastrophe so vorausgespürtzu haben. Und welcher Stich ins schlicht-weg Unheimliche, wenn man sich klar-macht, dass in dem Augenblick, wo HansCastorps „Berghof“, dieser Ort der euro-päischen Kontemplation, auf demSchreibtisch des Schriftstellers buchstäb-lich auseinanderfliegt, ein anderer „Berg-hof“ im Begriff ist, zum Symbol diesesneuen Unglücks zu werden.

Wer braucht Zeitreisen, wo es Romanegibt? Hans Castorp 1913 zeigt uns denMenschen, der nicht ahnt, was ein Jahrspäter kommt. Thomas Mann 1923 zeigtuns einen Autor, der, nun aus dem Wissen,was geschah, seine Leser gegen den Aus-bruch einer neuen Krankheit impfen will,nicht ahnend, wie schlimm es genau zehn

Jahre später wirklich werden sollte. Undnicht ahnend, dass das Manuskript des„Zauberbergs“, das jetzt im Oktober 1923fast fertig war, in den Bombennächten desZweiten Weltkriegs verbrennen würde.

Hans Castorp 1913 – das ist keine Fik-tion, das ist längst Bestandteil einer Wirk-lichkeit geworden, die durch das Buchselbst verändert wurde. Man muss sichvorstellen, wer das alles las und in sei-nem Kopf behielt, ohne Suchmaschineund digitalen Speicher. „Die Größe derDarstellung ist unerhört“, schrieb einer,der das Werk kurz nach Erscheinen las,an seine Studentin, „. . . dass das Daseinvon seiner Umwelt gelebt wird und nurvermeintlich selbst lebt, das ist mit einerMeisterschaft angesetzt, dass ich vorläu-fig einzig darauf konzentriert bleibe“. Soschrieb es Martin Heidegger in einemBrief an Hannah Arendt. Immunisierthat es ihn nicht.

Eine Selbstimpfung mit ungewissemAusgang ist der „Zauberberg“ bis heutegeblieben und eine Sensibilitätsschulungfür das Eintreten unerwarteter Ereignis-se. Wir haben Hans Castorp noch einmalkurz am Jackett festgehalten in seinemletzten, fast schon zu Ende gehendenJahr. Gleich verschwindet er. Aber werihn noch nicht kannte oder wer ihn ver-gaß und wer im Februar 2013 einmal miteinem umgedrehten Fernglas auf sichselbst zurückblicken will, der hat es gut:Er muss den „Zauberberg“ einfach nur le-sen. Er tut gut. Er verändert die Luft, diewir atmen.

Dieser Artikel erschien mit dieser Überschrift undmit diesem Vorspann am 24. Februar 2013 in der„Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Um 14 Uhr hatte ich ihn noch be-sucht. Sein Sohn Andrew waran seinem Bett im Pflegeheim,wo er seit Tagen, ja, seit Wo-

chen war. Marcel Reich-Ranicki erkannteeinen. Und es war keine Einbildung, son-dern, nach einhelligem Zeugnis aller Um-stehenden, unverkennbare Tatsache, dasser sich mit interessiertem Blick aufzurich-ten versuchte, als ich ihm sagte, ich hättesensationelle Nachrichten aus dem litera-rischen Betrieb. Wir verabredeten uns fürden nächsten Tag. Doch zwei Stunden spä-ter kam die Nachricht, dass Marcel Reich-Ranicki, der große Kritiker in der Ge-schichte der deutschen Literatur und dergrößte unter seinen Zeitgenossen undNachgeborenen, gestorben war.

Es ist unmöglich, so zu tun, als könnteman ihm trauernd abgeklärt nachrufen.Wie oft haben wir mit ihm nicht überNachrufe, die anderen galten, geredet!Ich weiß genau, was er von Nachrufen er-wartet. In dem Augenblick, da ich diesschreibe, höre ich seine Stimme: „Herr-gott, Sie müssen zeigen, was der Kerl taug-te, nicht, wo er zur Schule ging!“ Über-haupt machte er sich geradezu operativeGedanken über das Verhältnis von Todund Kritik. Bücher von über Achtzigjähri-gen wurden grundsätzlich nicht verris-sen. „Ich will nicht, dass wir einen Tagspäter den Nachruf bringen müssen“, lau-tete die meistens recht fröhlich vorge-brachte Begründung.

Ich weiß, was er erwarten würde. Natür-lich würden ihn Superlative in diesemNachruf nicht stören: der Größte, Wich-tigste, Witzigste, Gefährlichste – und derWitz ist ja, das würde auch alles stimmen.Vielleicht hätte er gefordert, dass man ei-nen Nachruf auf ihn vorbereitet hätte,wie er das selbst als Literaturchef zu tunpflegte. „Ich will keinen Nervenkrieg“,sagte er dann. Aber bei denen, die ihmwichtig waren und die ihm ans Herz ge-wachsen waren, tat er das nicht. Erschloss sich dann ein und schrieb seineemphatischsten Stücke. Wir alle merkten,dass die rhetorische Floskel in diesen Fäl-len wirklich stimmte: die Toten, Wolf-gang Koeppen oder Siegfried Unseld, fehl-ten ihm von da an unablässig. Noch Jahrespäter kam er auf sie zurück, wie einer,der immer noch auf eine Verabredung

wartet, die niemals eintreffen wird. Undso geschieht es uns nun mit ihm. Dass ernicht mehr da ist, nie wieder nach Neuig-keiten fragen wird, nie wieder seine Ko-lumne in der Frankfurter AllgemeinenSonntagszeitung schreiben wird, nie wie-der poltert oder rühmt oder – ja, auch daswar eine Essenz seines Wesens – liebt: Alldas ist jetzt nur als eine Abwesenheit undVerwaisung zu verbuchen.

Wir werden lesen, und zu Recht lesen,dass mit ihm eine Epoche zu Ende geht.Richtig deuten können wird man langenicht, was das für eine Epoche war. Mehrjedenfalls als das „Literarische Quartett“und F.A.Z. und Gruppe 47 und deutscheNachkriegsliteratur. Dieser Mann war inVerfolgung und Ruhm die Personifikati-on des zwanzigsten Jahrhunderts. Da leb-te eben noch in Frankfurt am Main einMensch, der sich als blutjunger Mann vol-ler Lust und Lebensfreude in die Literaturdes Landes und die Kultur der WeimarerRepublik vergrub; einer, der das alleswirklich liebte und zum Leben brauchte.

Doch gleichzeitig ein Junge, der als Judemit jedem Geburtstag ein Jahr tiefer indie Epoche des Nationalsozialismus hin-einwuchs. Und während er, wie er oft er-zählte, jedes Jahr in sich immer nur mehrBegeisterung und Liebe für ThomasMann und Brecht und Gründgens undGoethe entdeckte, wuchs mit jedem Jahrauf der anderen Seite der Hass: der Hasswohlgemerkt eines ganzen Staates und allseiner Bürokratien auf den jungen Juden,der nichts anderes wollte, als ins Deut-sche Theater zu gehen. Zwei seiner lakoni-schen Sätze in den Erinnerungen: „Ichhatte noch eine Eintrittskarte für die Pre-miere am Abend. Die konnte ich nunnicht mehr verwenden.“ Warum nicht?Weil er an diesem Tag deportiert wurde.

Einmal zeigte er mir das Polizeirevier,wo man ihm 1938 die Deportation nachPolen eröffnete. Es ist auch heute nochein Polizeirevier. Über dem Eingang einAdler, der einen leeren Kreis in seinenFängen trägt. Das Hakenkreuz, das daeinst zu sehen war, hat man herausge-schlagen. Unsinnig, ihn nach seinen Ge-

fühlen zu fragen. Er leugnete sie. Andersals Tosia, seine vor ihm verstorbene, un-vergessliche Frau, hat er die Traumatisie-rung gewissermaßen ausquartiert. Dashieß nicht, dass sie verschwunden war.Sie wartete draußen vor der Tür, immerbegierig, es sich wieder bei ihm bequemzu machen. Er schaute ständig nach, obnoch abgeschlossen war. Er setzte sichniemals mit dem Rücken zur Tür. Er ra-sierte sich mehrmals täglich, weil unra-sierte Menschen im Warschauer Ghettoaufgegriffen wurden. Es traumatisiertenihn die Dinge, die kommen könnten unddie sich als böse Vorahnungen in der bür-gerlichen Sozietät zu verpuppen schie-nen: die Fassbinder-Kontroverse und derHistoriker-Streit, beides hat er bis zuletztnicht wirklich überwunden.

So viele Schriftsteller haben mir imLaufe der Jahre erzählt – und viele habenauch darüber geschrieben –, wie es war,als Marcel Reich-Ranicki im Alter von 38Jahren aus dem kommunistischen Polennach Deutschland kam. Ein Mann, derChopin-Klavierauszüge und -Aufnahmen

(weil die in Polen billiger waren) in der Ta-sche hatte. Ich weiß nicht, wie man dasBerührende dieses Ereignisses anders insBild bringen kann als durch pures chrono-logisches Referat: ein junger Jude, der ge-nau zwanzig Jahre nach seiner Deportati-on mit seiner Frau nach Deutschland zu-rückkehrt, die Familie unterdessen ermor-det, die Familie der Frau unterdessen er-mordet – und er bringt Chopin-Partiturenmit als Gastgeschenk. Günter Grass, denReich-Ranicki in Polen für einen bulgari-schen Spion hielt, hat einiges davon im„Tagebuch einer Schnecke“ erzählt.

Wir alle haben ihn erst kennengelernt,als er auf der Höhe seines Ruhms und sei-ner Macht war. Sein Humor und seineSchlagfertigkeit waren atemberaubend,auch seine Respektlosigkeit. Sehr berühm-te Politiker drangen darauf, in der „Frank-furter Anthologie“ Gedichte zu rezensie-ren. Sie alle, ohne Ausnahme, bekamenVariationen der gleichen Antwort: „Esmuss in diesem Land möglich sein, dasses etwas gibt, woran sich die Politik nichtvergreift.“ Den Literaturteil der F.A.Z.

hat er erfunden und, wie es ein Schriftstel-ler einst sagte, aus einem Fünfzehn-Qua-dratmeter-Zimmer die literarische Weltregiert. Seine Forderungen an eine hoch-theoretisch, von den 68er-Jahren adorni-tisch geprägte Redaktion waren eindeu-tig: Klarheit, keine Fremdworte, leiden-schaftliches Urteil. „Als ich hierherkam“,sagte er einmal, „haben die Redakteuredie Gedichte ihrer Tanten gedruckt.“

Es ist ihm, in der zweiten Lebenshälfte,in diesem Land kein Unrecht geschehen,wie er selbst einmal sagte; aber der Be-trieb mit seiner Eifersucht und seinerKleinlichkeit hat ihm manches versagt.Natürlich hätte er den Friedenspreis desDeutschen Buchhandels verdient: Wenneiner Frieden gestiftet hat, in der verwun-deten oder korrumpierten deutschen Lite-ratur der Nachkriegszeit, dann war esMarcel Reich-Ranicki.

Ich habe achtundzwanzig Jahre mitihm zusammengearbeitet, lange Zeit in al-lerengster Nähe. Er liebte das Telefonund hätte, wäre er jünger gewesen, das In-ternet als ideales Instrument seiner Eigen-schaften – Neugierde, Freude am Klatschund permanentes Informiertsein – ge-liebt. In Ermangelung von E-Mails nutzteer das Telefon. Und wie einst im polni-schen Versteck glaubte er stets, er müsseSpannung selbst in den alltäglichsten Ge-sprächen erzeugen, um den Gesprächs-partner in Aufregung und Laune zu brin-gen. Grundsätzlich begann ein Telefonatmit Sätzen wie „Sie wissen, nicht, wassich abspielt.“ Oder: „Ganz Deutschlanddiskutiert nur eine Sache, und Sie habennoch immer nichts gemerkt.“ Ach, es warherrlich, denn es war der permanente Pro-test gegen Langeweile und Mittelmaß.

Einen wie ihn werden wir nicht wieder-sehen. Es stimmt nicht, dass jeder ersetz-bar ist. Manche werden im Tod zur dau-ernden Abwesenheit, und er ist nun einesolche. Ob die deutschen Autoren, dieunter ihm litten, wissen, dass dieserSchmerz eine Art Existenzbestätigungwar? Es ist nicht schön, verrissen zu wer-den. Aber es bedeutet unendlich viel,wenn eine Gesellschaft der Meinung ist,nichts sei gerade wichtiger als das neueBuch von Günter Grass, Martin Walseroder Wolfgang Koeppen. Das hat er ge-schafft und eine Prominenz erreicht, inder er, noch auf der Ebene des Super-markteinkaufs, als Literaturkritiker mitdem Begriff der Popularität selbst ver-schmolz. „Ich kenne Sie, ich kenne Sie“,begrüßte ihn einmal ein Verkäufer oderTankwart, so ganz genau ist die Geschich-te nicht zu rekonstruieren, „ich kenne Sieaus dem Fernsehen. Sie sind doch der Ro-bert Lembke.“

Marcel Reich-Ranicki ist tot. Alle sei-ne Anekdoten, Leidenschaften, Kritikensind jetzt nur noch Bestandteile unsererErinnerung. Erst dadurch spürt man,was dieser große Mann für ein Geschenkwar; kein „öffentliches Unglück“, wie esin Thomas Manns „Lotte in Weimar“über Größe heißt, sondern ein Glück.Man wüsste so gerne, dass er das jetztliest. Und, wie er es bei unserem letztenGeburtstagsartikel tat, in leicht gedehn-ter und sachlicher Weise sagt: „Jaaaa, ichhalte es für möglich, dass ich nach mei-nem Tode eine Legende werde.“ Das ister geworden. Mehr als das: eine reineFreude darüber, dass er war, noch in derTrauer, dass er nicht mehr ist.

Dieser hier unverändert abgedruckte Artikel er-schien am 19. September 2013 in dieser Zeitung.

„Wenn ich ein Buch auf dieInsel mitnehmen könnte,es wäre Der Zauberberg.“

Frank Schirrmacher

Ein sehr großer Mann

Frank Schirrmacher und Marcel Reich-Ranicki Foto Frank Röth

Sein letztes JahrVor hundert Jahren begann Hans Castorps Untergang, und die Zeit der großen Gereiztheit hatte die Welt erfasst.Was wir lesen, wenn wir heute den „Zauberberg“ lesen / Von Frank Schirrmacher

Marcel Reich-Ranicki isttot. Der größte Literatur-kritiker unserer Zeit ver-körperte, in Verfolgungund Ruhm, das zwanzigs-te Jahrhundert. Er war einpermanenter Protestgegen Langeweile undMittelmaß. Niemandvermochte einer ganzenGesellschaft die Bedeu-tung von Literatur so zuvermitteln wie er.

Von Frank Schirrmacher

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SEITE 12 · SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNGFeuilleton

Vor drei Jahren sprach GünterGrass in der Bayerischen Aka-demie der Schönen Künsteüber die Kritik. Er sprach vonseinem Haß auf die biographi-

sche Analyse. Er sprach von seiner Ab-scheu vor Einsichten, die nicht aus demKunstwerk entnommen, sondern aus demLeben des Künstlers entwendet werden.„Mißbrauch“, „Selbstherrlichkeit“, „Hy-bris“, „Neid“, „Gift des Sekundären“ – wü-tend tobte der Erkenntnisekel durch dieSätze. „Am Ende war Thomas Mann er-tappt“, heißt es über die journalistischeAusspähung des tagebuchschreibendenGroßkollegen, „in seinem Wesenskern ge-deutet und auf den Punkt gebracht . . . Wur-de auch Zeit. Glaubte wohl den Zaubererspielen zu können. Jetzt ist er unser. Wirkennen ihn durch und durch.“

Wer hinter die Schöpfung schaut, soder Verdacht, greift auch in die Taschendes Schöpfers. Drohend warnte Grass dieKritik vor Unersättlichkeit. Im Autor be-leidige sie den Ernährer, der sie bisherdurchgefüttert und mit ihr die „Früchteseiner Arbeit“ geteilt habe. Sprach hierder Autor? Zürnte der Arbeitgeber? KeinZweifel, der Sprachzuschnitt hat anderesFormat. „Jetzt ist er unser“, sagt der Kriti-ker über den Autor. „Er soll nicht werdenwie unsereiner“, sagt der Autor über denKritiker. Denn man soll essen von allenBäumen des Gartens; aber von dem einenBaum soll man nicht essen.

Von Anbeginn mißtraut Grass Ge-schichten, die er nicht kontrolliert; von An-beginn stopft er seine Größenphantasienmit einem Buckel aus. Angaben über seinLeben hat er selten und auch dann nur wi-derwillig gemacht. Die Vorarbeiten undWachstumsschichten seiner Werke hat er– mit einer ungewollten Ausnahme – voll-ständig vernichtet. Er, der mit der Wuchtseines künstlerischen und politischen Ichdie Bundesrepublik nachhaltiger geprägt,belehrt und gezüchtigt hat als irgendeinanderer zeitgenössischer Schriftsteller,hat Vorkehrungen getroffen, sich unkennt-lich zu machen. Max Frisch, der den nochunbekannten Autor 1955 trifft, fällt sofortdas enorme Selbstbewußtsein des Dich-ters auf. Der junge Mann ist nicht zu ha-ben für Konversation. Er redet nicht, fragtnicht und scheint auf undurchdringlicheWeise vollständig zu sein. „Was er von derderzeitigen Literatur hält, ist schon seitder Suppe ziemlich klar: ein neues Stückvon Friedrich Dürrenmatt, ,Besuch der al-ten Dame‘, sieht er sich gar nicht an. Erschreibe selber Stücke.“

Das ist nicht nur der Hochmut des ehr-geizigen Autodidakten. Es ist auch die Ei-fersucht des Selbstschöpfers auf konkur-rierende Schöpfungen. Grass’ epischeWelt ist eine Trutzburg, in der die Zugbrü-cken hochgehen, wenn man sie betretenhat. Selbst dort, wo Schriftsteller sich ge-wöhnlich preisgeben und wo man ihnenauf die Spur kommen kann, in Textenüber andere Schriftsteller, bleibt er einsil-big. Es gibt, gemessen am Umfang seinesessayistischen Werks, erstaunlich wenigÄußerungen über tote und lebende Kolle-gen: ein Preisrede auf Arno Schmidt, denberühmten Essay über den LehrerDöblin, der in Wahrheit ein Traktat überÖkonomie geworden ist, zudem verstreu-te Grüße an Zeitgenossen.

Andernorts, bei Thomas Mann zum Bei-spiel, aber auch bei Arno Schmidt oderWolfgang Koeppen, stiften literarische Es-says und ästhetische Theorieversuchenicht nur imaginäre Traditions- und Famili-enverhältnisse. Sie sind immer auchschmerzhafte und übersetzungsfähigeAkte der künstlerischen Selbstaufgabe.Grass’ essayistische Lebensarbeit kenntdiese feinfühligen Dolmetscher zwischenWelt und Ich nicht. Der Autor nimmt dieVerhandlungen selbst auf. Er vertritt Inter-essen und sucht in den Werken der ande-ren seine Interessenvertreter. Seine Essaysund Reden sind „Versuche, die Republikendlich beginnen zu lassen“.

So wächst neben den Romanen und Er-zählungen, die im Begriff sind, das erzäh-lerische Subjekt ganz und gar aufzulösen,ein eigentümlicher und in der Literaturge-schichte auch einzigartiger Dialog zwi-schen Ich und Nation heran, in dem esbald schon zu erstaunlichen Identifikatio-nen kommen wird. Den Kanzler Kiesin-ger adressierte er in einem offenen Briefals imaginären Vater, um ihm die Kanzler-schaft auszureden („will ich in aller Öf-fentlichkeit den letzten Versuch unterneh-men, Sie zur Einsicht zu bewegen“), denKanzler Brandt wählte er sich öffentlichals Ersatz-Vater.

Grass aber tauft sich nach seinem Buch.Der „Blechtrommler“ trommelt für die Es-Pe-De. Er engagiert seine Romanhelden(„Nicht, daß ich sagen will, Oskar Matze-rath wählt SPD, aber sein Sohn und Halb-bruder Kurt – Sie erinnern sich? . . .“). Erbuchstabiert Politik mit dem Alphabet sei-nes großen Bildungsromans. „Die Bürgerin der Bundesrepublik“, so verkündet ernach dem Sieg Willy Brandts, „sind derFrühphase, der Schul- und Sandkastende-mokratie, entwachsen.“

Das war nicht mit dem Eigensinn einerbeliebigen Generation, sondern mit derepischen Autorität des Erzählers gespro-chen. Hier nahm einer Maß, der seinen Hel-den nicht hatte wachsen lassen. WederBöll noch Andersch, weder Rühmkorfnoch Lenz hätten je so reden können. Diegeniale Idee, in der Zwergenwelt des Kin-derzimmers nach den Riesenfossilien desDritten Reichs zu schürfen, öffnete ihmden Weg in das Tiefenbewußtsein einerganzen Gesellschaft. Heute wirkt es aufden Betrachter, als habe sich im Zentrumdes Landes, zwischen gewählten und abge-wählten Vätern, ab Mitte der sechziger Jah-re die Geburt der Politik aus dem Geist der„Blechtrommel“ vollzogen.

Mit dramatisierter Nachdenklichkeitklagte Grass Herrschaftsverhältnisse anund rieb sich am autoritären Gestus des po-litischen Idioms. Aber er selbst sprach poli-

tisch auktorial. Noch heute spürt man inseinen Wahlkampfreden die charakteristi-sche Mischung aus Zweifel und Allwissen,aus Angleichung und Überhebung. Er rede-te die Gesellschaft an, als handele es sichum das Personal seiner Romane. Hiersprach ein Erzähler, der mit seinen Figu-ren gegen die eigene Geschichte paktiert.

Das Zeitalter der Patriarchen, der vor-vergangenen Adenauer-Generation, warverdämmert und mit ihm das letzte Leucht-feuer des neunzehnten Jahrhunderts. Ei-nes Morgens war das eigene Lebensalteridentisch mit dem Lebensalter der vielfachamputierten Republik. Dem moralisch be-helligten und schuldbeladenen Landwuchs aus der Kunstfigur des Blechtromm-lers Kindheit und Spielzeug, also: strafun-mündiges Bewußtsein zu.

Das Trommeln lehrte eine neueKunst, die sich bis weit in dieachtziger Jahre in dem merk-würdigen, für die Bundesrepu-blik so überaus charakteristi-

schen Diskurs von schuldunfähiger Naivi-tät und trotziger Apokalypse ausdrückte.Es war die Kunst des unangewendeten Er-wachsenseins. Wenn es stimmt, daß dasGrundgesetz Gehäuse und Dach der altenRepublik gewesen ist, so wurde die „Blech-trommel“ dessen Innen- und Kellerraum.

Aber wer sprach aus dem „Blechtromm-ler“, den sich immer größere Leserschaf-ten, erst zögernd, dann bereitwillig, alsIdentifikationsadresse gewählt hatten?Der Roman gab darauf am wenigsten Ant-wort und gibt sie bis heute nicht. Ist es derAutor? Oskar? Goethe? Rasputin? Chris-tus? Antichrist? Grass ist in den Augen sei-ner Mitwelt, je nach Stimmung und Launedes Betrachters, all das geworden, und dieVielfalt der Rollen machte vergessen, daßman den Herrn der kollektiven Erinne-rungsarbeit unter all seinen Verkleidungengar nicht mehr aufzufinden vermochte.

Er, der für alle sprach, entzog sich allen.Doch die repräsentative Größenphantasie,die in seinen politischen Äußerungen im-mer deutlicher und bald auch für viele ent-nervend zum Vorschein kam, muß Elternhaben. Man kennt die Anschrift: Danzig,Vorort Langfuhr, Labesweg 13. Dort lebter mit Vater, Mutter und Schwester in einerZweizimmerwohnung. Er ist sechs, als un-ter Hermann Rauschning die erste natio-nalsozialistische Regierung im Freistaat ge-bildet wird, elf, als die Danziger Juden de-portiert und die Synagogen in der „Reichs-kristallnacht“ zerstört werden. Als Zwölf-jähriger erlebt er, daß um seine Stadt einKrieg entbrennt, ein Weltkrieg, wie er spä-ter begreift.

Er hat davon nicht berichtet. Doch in ei-ner der ungeheuerlichsten Szenen der„Blechtrommel“ erlebt Oskar den Kriegs-ausbruch im Kinderzimmer der PolnischenPost, im Spielzimmer fremder, verschwun-dener Kinder. „Ich habe also“, sagt Grassspäter mit Blick auf seine Kindheit, „nieein eigenes Zimmer gehabt als Kind.“ Erhatte, heißt das, in diesem Krieg kein Terri-torium. Er mußte es sich erobern. Goeb-

bels’ Sportpalast-Rede begeistert den Sieb-zehnjährigen. An den Endsieg glaubte erbis zuletzt. Den Holocaust hält er auchdann noch für undenkbar, als die Amerika-ner ihn durch das KonzentrationslagerDachau führen. Erst als der ehemaligeReichsjugendführer Baldur von Schirach inNürnberg aussagt, die Verbrechen be-kennt, den Mißbrauch der Jugend beklagt,glaubt Günter Grass, daß etwas Furchtba-res vorgefallen ist.

Was es war, kann er sich später ausdem Geschichtsbuch zusammensetzen.Was mit ihm war und was die Inkubations-phase in Hitlers Reich bedeutete, hat er inder „Blechtrommel“ aufgeschrieben. Be-kanntlich gibt sich Oskar Matzerath denBefehl, nicht mehr zu wachsen, und dasWunder geschieht: der Befehl wird tat-sächlich befolgt.

Das Wunder seines Urhebers ist dasWunder des Wachstums. Günter Grass,Pimpf im Herzen des Dritten Reichs, gibtsich den Befehl zu wachsen, und der Be-fehl wird tatsächlich befolgt. Er willKünstler werden: Er will berühmt wer-den, er will groß werden, er will der Schat-ten sein, den er keine zwanzig Jahre spä-ter auch wirklich auf die deutsche Litera-tur werfen wird. Mit dreizehn Jahren be-teiligt er sich erfolglos am Geschichten-wettbewerb einer Hitler-Jugend-Zeitung.Einmal zeichnet er namenlose Ostarbei-ter in sein Skizzenbuch, es sind Studien,keine Zeugenaussagen: später plagt ihn,daß ihn nichts dabei plagte.

Doch damals treibt ihn nur der „gestei-gerte Größenwahn, etwas Unübersehbareshinstellen zu wollen“. „Ich aber beschloß,nicht Politiker zu werden“, verkündet Os-kar in der „Blechtrommel“ unter Anspie-lung auf Hitlers folgenreiche Äußerungund wählt statt dessen das Künstlertum.Sein Urheber macht es ihm vor. Im Labes-weg 13 malt er seiner Mutter das Leben sei-ner Berufung und Berühmtheit aus. „Undweil“, so fügt er hinzu, „Helene Grass nichtnur ein kleinbürgerliches Gemüt gehabthat, sondern auch entsprechend theaterlie-bend gewesen ist, hat sie ihren zwölf-, drei-zehnjährigen Sohn, der gerne Lügenge-schichten auftischte und ihr Reisen nachNeapel und Hongkong, Reichtum und Per-sianermäntel versprach, spöttisch PeerGynt genannt.“

Das alles ist vertrautes, in unzähligenKünstlerbiographien eingewobenes Mus-ter. Gynts, großmäulige Selbstverlierer,gibt es viele. Was den Fall außergewöhn-lich und seine künstlerische Verarbeitungeinzigartig macht, ist die Tatsache, daßsich der „gesteigerte Größenwahn“ imidentifikatorisch erlebten Dritten Reichausbildete, und zwar buchstäblich unterdem Namen „Hitler-Jugend“.

Umstellt von den Über-Ich-Monstrosi-täten des Regimes, das von Friedrich demGroßen bis Herbert Norkus eine Vielzahlvon Vorbildern produzieren konnte (andenen sich Jahrzehnte später SiegfriedLenz abarbeiten wird), mußte der jungeGrass nach Ende des Krieges künstleri-sche Größenphantasie als soziale Invalidi-

tät und Schuldbelastung wahrnehmen.Die entscheidende Frage war nicht, wieman den Buckel wieder los wurde – dasist nur die Frage Oskar Matzeraths, der inder Irrenanstalt keinen Zahnbecher mehrzum Singen bringt. Die entscheidendeFrage für Grass mußte sein, wie man daseinmal gefundene Selbstbewußtsein überden 8. Mai 1945 hinaus retten konnte.„Ich kann mich . . . nicht erinnern. Ichkann mich in dem Augenblick sofort erin-nern, wenn ich mein Ich mit einer Fiktionkonfrontiere, in einem bestimmten Zeit-raum. Dann ist da ein nahezu unbegrenz-tes Erinnerungsvermögen an das gesamteUmfeld. Aber das bloße Ich, mein bloßesIch, wenn ich ihm nachgehen sollte, be-schreibend, würde mich noch vor der Ein-schulung langweilen.“

Die „Fiktion“, mit der er sich konfron-tierte, kam von der Mutter, und sie hießPeer Gynt. Ehe es Oskar gab, gab es Peer,und seine Existenz hat in den Tiefenstruk-turen der „Blechtrommel“ unübersehbareSpuren hinterlassen. Peer Gynt, der Kaiserder Welt, der Exeget der Tollhäusler, derBelauscher der Säulenheiligen, der Erfin-der der Märchen, war womöglich die langgesuchte Kunstfigur, die Grass die Brückeüber den Zeitbruch baute.

Ibsens „Peer Gynt“ betrat die Bühnendes Reichs in der Übersetzung des Nazi-Dichters Dietrich Eckart. Er war Großcha-rakter im nationalsozialistischen Heiligen-kalender – Hitler hatte ihm „Mein Kampf“gewidmet. Als der zwölfjährige Grass zumersten Mal von dem Stück gehört habenmag, war Peer der „Hamlet des Nordens“,Verkörperung des Tatmenschen, des Dich-ters und Denkers, gesalbter König in derPhantasiewelt des Dritten Reichs. Nun,nach dem Krieg, kehrte Gynt in existentia-listischer Übersetzung zurück: der moder-ne, grübelnde, Ich-Besessene, aber in sei-ner Ich-Besessenheit sich selbst und seinSchicksal wählende Mensch. „Und diesesGyntsche Ich nun ist – ? / Die Welt hier hin-term Schädelgitter, / Durch die ich ich binund kein Dritter, / Wie Gott Gott und nichtAntichrist / . . . Das Gyntsche Ich, – das istdas Heer / Von Wünschen, Lüsten und Be-gehr, – / Das Gyntsche Ich, das ist derReih’n / Von Forderungen, Phantasei’n, /Kurz alles, was just meine Brust hebt / Undmacht, daß Gynt als solcher lebt.“

Nacht, Kiefernwald. Ein Wald-brand hat gewütet. Alles ver-kohlt, alles Untergang. Gynt,aufs höchste bedroht, wird an-geklagt von den Gedanken,

die er nicht gedacht, den Losungen, die ernicht gesprochen, den Liedern, die er nichtgesungen, den Tränen, die er nicht ge-weint, den Taten, die er nicht getan – mankann nichts mehr auf ihn geben, schon ister verloren, da scheint Rettung auf. ZumGesang von „Glaube, Liebe, Hoffnung“ er-löst und entschuldet ihn seine Geliebte,die jahrzehntelang auf ihn gewartet hat.„Glaube Liebe Hoffnung“ heißt das Kapi-tel in der „Blechtrommel“, in dem OskarZeuge der „Reichskristallnacht“ wird.

Brand, Untergang, Selbstmord des jüdi-schen Spielzeughändlers. Oskar, das Kind,schaut und kann nichts tun und denkt auchnicht ans Tun. Vor dem Theater verteilenFrauen christliche Losungen: „Glaube Lie-be Hoffnung“ steht auf dem Transparent.Oskars entsetzter Gesang zersägt die Lo-sung bis zur Unverständlichkeit. Erst wennman die Umkehrung begreift, wenn manden festgefügten Raum des Romans ver-läßt, entdeckt man den Autor und wird sei-ner traurigen Botschaft gewahr.

Gynt, das ist der Weg zurück zu demKind, das sein Autor einmal war: ungedach-te Gedanken, ungetane Taten, ungeweinteTränen und alles ohne Rettung. Keiner, dergewartet hat, und keiner, der erlöst. So blei-ben Grass am Ende nur die nie gesunge-nen Lieder, die hätten Taten sein können,und erst in dieser nachholenden und zerstö-renden Bewegung wird er zum Repräsen-tanten seiner Generation. Seine unerlösteKindheit braucht ihn. Das Land brauchtseine Kindheit. „Vielleicht“, so beginnt ereine seiner wichtigsten biographischenSelbstauskünfte, „haben mich die Schuld-probleme daran gehindert, so eindringlichwie Max Frisch über Identitätsproblemenachzudenken.“

Grass hatte zeitlebens eine Verabredungmit einer halb verschwiegenen, halb ausge-sprochenen Ich-Fiktion. Einer neugierigenÖffentlichkeit hat er einst Camus’ Sisy-phos als Selbstverständigungsfigur angebo-ten und damit immerhin bestätigt, wiesehr sich sein Schaffen von mythischen Fi-guren herleitet.

Doch Ibsens Gynt, der Held, der sein Ichüber alle Epochen hinweg bewahren will,bildet die Urschicht seines Selbstverständ-nisses, und es wäre eine eigene Untersu-chung wert, dieser Fährte vom „Hochwas-ser“ bis zur „Rättin“ zu folgen. Gewonnenwar nicht nur literarische Identität, son-dern auch die Zuständigkeit für jene Mär-chenwelt, deren Melodie fast alle seineWerke durchzieht. Fünf Jahre nach demTod der Mutter, notiert Grass, „erschiendie ,Blechtrommel‘ und wurde zu dem,was sich Peer Gynt womöglich unter Er-folg vorgestellt haben mag“.

Wie der Knopfgießer in „Peer Gynt“ dieSeelen umgießt, so hat Grass in seinen Ro-manen die literarische Tradition umgear-beitet und umgeschmolzen. Doch mit demEntsetzen Peer Gynts, dem sich die Umfor-mung der eigenen Seele ankündigt, fliehtGrass alle Gefahren der Selbstenteignung.„Von meinem Selbst aber laß ich keinenDeut“, sagt Peer. „Dies wie ein Stück Lehm/ Zerknetet werden zu weiß Gott wem, –“.Dieser Trotz hat langen Atem: die Festver-sammlung in der Bayerischen Akademiehat es zu spüren bekommen.

„Die Blechtrommel“, „Katz und Maus“und „Das Treffen in Telgte“ sind die be-deutendsten Resultate von Grass’ literari-scher Selbstentdeckung, und es ist nichtohne belehrenden Reiz zu sehen, wie sichnach der Wende von 1989 auch der oft kri-tisierte dritte Teil der „Blechtrommel“,der in der Bundesrepublik spielt, mit fun-kelndem, historischem Edelrost über-

zieht. Aber auch sein Scheitern war ehr-geizig und blieb, wie etwa bei der „Rät-tin“, auch dann noch merkwürdig, wennman es nicht gegen die Größe des An-fangs aufrechnete. Gynt träumte von Gyn-tiana und Grass, wie man weiß, von einerGesellschaft „sozialer Demokratie“. Ver-wundert sieht man heute, aus dem Ab-stand der Jahrzehnte, wie ungebrochensein künstlerisches Selbst in das politi-sche Bewußtsein eingewandert ist. Aberaus der Distanz kann man auch erkennen,wie sehr die Rolle vorgegeben und durchseine Art, sich selbst produktiv zu ma-chen, geradezu erzwungen wurde.

Der Wahlkampf für die SPD stand unterdem verfremdeten Motto Walt Whitmans(„Dich singe ich Demokratie“), des großenEpikers der Vereinigten Staaten. Nichts be-rechtigt zu der Annahme, daß Grass indem Erfinder des amerikanischen Selbstbe-wußtseins weniger gesehen hätte als dieSpiegelfigur des eigenen Ehrgeizes. Er me-ditiert über Entwicklungshilfe, globalenWarenverkehr und warnt vor schlechtenZeiten. Bald schon findet die Kritik denSelbsthinweis und nennt ihn „Peer Gynt inallen Gassen“.

Doch da hat sich das Selbstporträt schonwieder verändert. Im Februar 1973 ziehter, im Rückblick auf den Wahlsieg WillyBrandts, vor der SPÖ in Wien seine „Sie-benjahresbilanz“. Er sagt „demokratischeGeschichten“ voraus, teilt mit, daß er Vor-sorge getroffen hat, warnt, daß man „demo-kratisch fett“ sein und dennoch die Zu-kunft verlieren könne – kurzum, im Augen-blick des Triumphs redet nicht mehr derBlechtrommler, jetzt redet Joseph, derdem Pharao die Träume deutet. In Sprock-hövel versucht er, Betriebsräte für die Ge-schichte der Arbeiterbewegung zu interes-sieren. „Wir lasen Gerhart HauptmannsSchauspiel ,Die Weber‘.“

Was als durchaus wünschens-werte Revolte gegen die au-toritären Verkehrsformenbegann, wurde bald schonselbst autoritär und nahm

im Laufe der Jahre jene unverwechselbareFärbung von Anmaßung und Würde an,die ihn anläßlich der sogenannten „Konti-nent“-Affäre über den soeben ausgebürger-ten, aber bei einem Springer-Verlag publi-zierenden Alexander Solschenizyn schrei-ben ließ: „Der Kampf mit den Unterdrü-ckern seines Landes läßt ihm keine Kraft,hier im Westen zu differenzieren, dem Raterfahrener Kollegen zugänglich zu blei-ben.“ Unbelehrt wird er später in Nicara-gua die Gefängnisse der Revolution vertei-digen – auch das Schicksal des politischenSchriftstellers im zwanzigsten Jahrhun-dert, zum Werkzeug der Täter zu werden,erspart er sich und seinen Lesern nicht.

Das alles sind Marginalien zur Ge-schichte der Republik und Fußnoten zumWerk des Autors. Man muß die Kette sei-ner Wahrheiten und Irrtümer nicht verfol-gen – oder jedenfalls nur bis zu dem Vor-fall vom 28. Mai 1971. Grass hatte sich ei-nige Tage zuvor durch einen scharfen Arti-kel gegen Heinar Kipphardt unbeliebt ge-macht. An jenem Abend wollte er eineAufführung in der Schaubühne sehen.Kaum hatte die Aufführung begonnen,unterbrachen die Schauspieler das Stückund verlasen, angeführt von Peter Stein,eine Protestresolution.

„Dann“, so berichtet Grass später, „wur-de das Publikum darauf aufmerksam ge-macht, daß ich mich im Theaterraum befin-de, dann bezeugte das Kollektiv ,seine Ver-achtung gegenüber dem hier anwesendenGünter Grass‘. Die Resolution löste freneti-schen Beifall aus; einzelne Rufe wie ,Raus‘und ,Grass raus‘ bezeugten, daß die Metho-de der Schaubühne eine wirkungsvollewar. Bevor das Kollektiv die Spielflächeverlassen konnte, stand ich auf und ver-suchte ich, Antwort zu geben.“

Die Urszene der Vertreibung hatte Fol-gen: sie markiert Grass’ endgültigen Bruchmit der „angelesenen Revolution“, demneuen studentischen Jugendprotest, deraus einer bundesdeutschen Kindheit gebo-ren schien, für die er schon in „örtlich be-täubt“ keine Sprache mehr hatte. Manmuß auf das mehrfache „Ich“ hören, mitdem er verletzt und gedemütigt gegen dasKollektiv anredet. Das Stück aber, aus demer hatte vertrieben werden sollen und des-sen Figuren ihn nun von der Bühne herabbeschimpften, war „Peer Gynt“.

Günter Grass wird siebzig. Seine Gene-ration, so heißt es im „Treffen in Telgte“,sei unendlich viel älter, als Jahre sagenkönnten. Doch in Wahrheit war es ihrSchicksal, lebenslang hinter ihrer Kind-heit zurückzubleiben. Oskar Matzerathmacht die Welt der Riesen klein, weil ersie als Zwerg besiegt. Die nie vergehendeKindheit dieser Generation, die wie mu-mifiziert in den Grabkammern des Drit-ten Reichs zurückgelassene Erinnerung,verkürzt alles Erwachsensein auf den Au-genblick.

Das ist der Fluch, der Grass am Endeselbst traf. Wie eine Pyramide, der die Wis-senschaft ständig neue Schätze entreißt,überragt die „Blechtrommel“ alles, wasGrass geschrieben und getan hat.Pyramiden aber sind Königsgräber. Mit ei-ner gewissen Bockigkeit weist noch derSiebzigjährige auf andere, seiner Meinungnach bessere Werke hin. Doch niemandhört auf ihn. Die „Blechtrommel“, die er ei-genem Eingeständnis zufolge noch einJahrzehnt nach der Veröffentlichung nurmit „Ekel“ anfaßte, hat die Imaginations-welt der Nachkriegsgesellschaft nicht nurbeherrscht, sondern sie auch nachhaltigverändert. Oskar Matzerath setzt sich imKinderzimmer der Polnischen Post ausdem verlassenen Spielzeug das Leben der-jenigen zusammen, die hier spielten. Dannklaut er die Blechtrommel. Das ist Grass’Bild vom verlorenen Paradies. Aber unterdem Bild steht winzig eine Gyntsche Le-gende. Vielleicht, steht da, gerät man spie-lend wieder hinein.

Dieser Artikel erschien in der „Frankfurter Allgemei-nen Zeitung“ vom 11. Oktober 1997.

Das imperative Ich

Frank Schirrmacher Foto Tim Wegner / Laif

Verabredung mit einer Kunstfigur: Günter Grass und die Lehre vomunangewendeten Erwachsensein / Von Frank Schirrmacher

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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 · SEITE 13Feuilleton

Frank Schirrmacher war ausgebildeterGeisteswissenschaftler und leidenschaftli-cher Kulturjournalist. Selbstredend inter-essierte er sich für die Menschen und ihreBeziehungen zueinander. Aber er interes-sierte sich auch dafür, was die Menschenmit der Welt anstellen und was umgekehrtdie Welt mit ihnen macht. Kaum ein ande-res Brennglas lässt dieses Wechselspielschärfer sichtbar werden als der globaleKlimawandel, das Thema, das FrankSchirrmacher und mich zusammengeführthat. 2007 besuchte er erstmals unser Insti-tut auf dem Potsdamer Telegrafenberg, wofrüher Einstein und andere Jahrhundert-Physiker wie Schwarzschild und Michel-son aus und ein gingen.

Begleitet wurde er von seinem zuständi-gen Wissenschaftsredakteur, der seiner-seits mit eulenspiegelndem Scharfsinn inder deutschen Medienlandschaft funkelt.Schirrmacher wollte damals alles überden Zustand der Erde wissen: Er bohrte,er staunte, er insistierte, er begriff! Raschmerkte ich, dass mir, dem professionellenSystemanalytiker, ein naturwüchsiger Sys-temdenker gegenübersaß. Frank Schirrma-cher hatte die Welt als Ganzes im Blick,die er mit der unverstellten Klugheit einesKindes inspizierte – entzückt, fassungslos,

zornig. Nicht mit der schalen Weisheit derArrivierten – gemessen, zynisch, bitter.

Dieses Weltkind wollte wissen, wie eseinst war und wie es dereinst wohl seinwird. Etwa in einer Zukunft ohne natürli-che Lebensgrundlage, deren Wert die Dik-tatur des Jetzt erbarmungslos abdiskon-tiert hat. Unter dem Eindruck unserer Ge-spräche beschloss Schirrmacher spontan,das Nobelpreisträger-Symposium zur glo-balen Nachhaltigkeit, das ich 2007 in Pots-dam veranstaltete, monumental imF.A.Z.-Feuilleton hervorzuheben. Und we-nige Tage nach dem 11. März 2011, alssich in Fukushima die Perspektiven derAtomenergie in weißen Dampf auflösten,bat er mich, einen „wegweisenden Essay“zum Thema für die Frankfurter Allgemei-ne Sonntagszeitung zu schreiben. DiesenAufsatz sehe ich heute als eine meiner bes-ten Publikationen überhaupt an – schließ-lich wollte ich Schirrmacher nicht enttäu-schen. Der Zufall fügte es, dass FrankSchirrmacher schließlich mein Nachbar inder Potsdamer Exklave Sacrow wurde, woer, wenige Steinwürfe von der anmutigenHeilandskirche entfernt, seiner jungen Fa-milie ein Refugium schaffte. Gelegentlichklopfte ich am Ende eines einsamen Spa-ziergangs an seine Tür, und wir verlorenuns in langen Gesprächen. Aber viel zu sel-ten habe ich angeklopft – wir wussten ge-genseitig um unsere knappe Zeit. Wieknapp seine wirklich war, haben wir nungrausam erfahren. Es ist immer wieder er-schütternd, wenn ein Erwachsener aus un-serem Lebenskreis stirbt. Doch es istschier unerträglich, wenn ein Weltkindvon uns geht.

Zum ersten Mal begegnet bin ichihm vor dreißig Jahren, auf demFlur des Feuilletons dieser Zei-tung. Frank Schirrmacher, ein

neuer Hospitant, stellte sich vor. Hospi-tanten gab es viele. Ihr Erscheinen warkein besonderes Ereignis. Anders beidem Studenten aus Heidelberg. Schon amersten Tag raunte es in den Ressorts: Aufden muss man achten. Eine merkwürdigeAura der Bedeutung umgab den Jünglingmit dem kindlichen Gesicht. Nicht nur,weil er eine Empfehlung von Dolf Stern-berger war, dem Vater des „Verfassungs-patriotismus“ und Doyen unter den Auto-ren der Zeitung; auch nicht so sehr, weilFrank Schirrmacher bald im Arkanumdes Feuilletons, dem Büro des Herausge-bers Joachim Fest, ein und aus ging, wannimmer er wollte (die Länge der Besuchewurde von den Kollegen sofort neidvollregistriert).

Aura entstand vielmehr, weil man beidem jungen Kollegen eine merkwürdigeDiskrepanz zwischen kindlicher Unbe-schwertheit und intellektueller Reife be-obachtete. Auf dem Flur trieb er gebilde-te Konversation wie ein alter Hase, imZimmer feixte er wie ein Schüler, der sichin der Pause über den Klassenlehrer lus-tig machte. Mit den Großen des Feuille-tons, Georg Hensel und Marcel Reich-Ra-nicki etwa, sprach er schnell auf Augen-höhe. Auf die Musikredaktion, deren frei-er Mitarbeiter ich war, schaute er etwasherab. Damit konnte er weniger anfan-gen. Aber auch für Gerhard R. Koch hat-te er noch das richtige Aperçu in der ge-nau richtigen Ironietonart parat. Selbstdie F.A.Z.-typische, etwas altherrenhafteAttitüde, Kollegen nie mit Herr oder mitdem Vornamen, sondern immer nur mitdem Nachnamen allein anzusprechen,stand ihm gut zu Gesicht: „Beaucamp (ge-sprochen: Bokamp), haben Sie eigentlichschon gelesen, was der Kollege XY ges-tern in der NZZ geschrieben hat?“ Ausdem Mund eines 24-Jhrigen müsste daseigentlich komisch klingen. Bei Schirrma-cher klang es einfach nur richtig. Undschnell wurde klar: Frank Schirrmacherwar für das Feuilleton der F.A.Z. gebo-ren.

Jeder erkannte die intellektuelle Aus-nahmebegabung sofort. Er hatte alles ge-lesen, wusste stets mehr als die Kollegenund assoziierte, phantasierte und inspi-rierte mit einer Sprachgewalt, der nie-mand gewachsen war. Frank Schirrma-cher war und blieb ein Deutungskünstler.Keiner interpretierte und deutete so tref-fend und wirkungsmächtig wie er. DieGrundlage dieser Wirkungsmacht war ne-ben pfeilschnellem Intellekt das, was je-dem herausragenden Journalisten eignet:manische Begeisterungsfähigkeit. Ich binnie einem begeisterteren und begeistern-deren Menschen begegnet als FrankSchirrmacher. Wenn der Gegenstand derErregung es wert war, dann war seine Be-geisterung viral. Er hatte das, was viel-leicht überhaupt das wichtigste Erfolgsge-heimnis charismatischer und deshalb er-

folgreicher Journalisten ausmacht: jenegut bemessene Portion Hybris, die nötigist, um sein Publikum zu faszinieren –was ihn interessierte, hatte gefälligstauch die deutsche Öffentlichkeit zu inter-essieren.

Eines Tages war es der Halleysche Ko-met. Ich hatte davon noch nie gehört undauch nicht die Absicht, mich dafür zu in-teressieren. Bis Schirrmacher mich in sei-nen Bann zog wie die Schlange Kaa im

Dschungelbuch. Mit hypnotisch wirken-der Erregung berichtete er mir von demHimmelskörper, der nach seinem letztenenttäuschenden Auftritt im Jahr 1910 76Jahre später wieder auftauchen würde.Ein „himmlisches Monstrum“, ein „Zei-chen verlorener Magie“, ein „Symbol derAufklärung“ und ein „Sinnbild der Unter-gangslust.“ Irgendwann hatte auch ichdas Gefühl, dass es nichts Wichtigeresgibt als die Wiederkehr des Kometen.

Das ganze Feuilleton fieberte mit Schirr-macher bis zur großen Veröffentlichungam 31. 1. 1986. Und die deutsche Intelli-genz hing an Schirrmachers Lippen, alser feststellte: „Die Nacht vom 19. zum 20.Mai 1910, in der Europa ein letztes Malvom Halleyschen Kometen hysterisiertwurde, ist der geschichtlich fassbare Au-genblick, wo ängstliche Erwartung nichtin Schrecken oder Befreiung, sondern inEnttäuschung umschlägt. Und damit

geht es um die Struktur einer – heute wie-der so überaus populären – apokalypti-schen Phantasie, die in dieser Nacht vor76 Jahren, am Vorabend des Ersten Welt-kriegs, ein Urmotiv verlor.“ Der Halley-sche Komet wurde für mich zum Symbol,wie aus einer Kombination aus Intellektund Leidenschaft Deutungshoheit wird.

Begeisterungsfähigkeit als Treibstoff –das hat Frank Schirrmachers gesamtesdreißigjähriges publizistisches Wirken ge-prägt. Und seine Feinde und Neider fastum den Verstand gebracht. Sie konntennicht verstehen, dass es keine Taktik war,sondern brennendes Interesse, mit demdieses große Kind auf die Welt schaut.Frank Schirrmacher ist immer und bisganz zuletzt ein großes Kind von schlitz-ohrigstem Ausmaß geblieben. Das warseine Stärke. Alle Großen bleiben Kin-der. Ich kenne keinen einzigen wirklichGroßen, der erwachsen ist.

Zum letzten Mal begegnet bin ichFrank Schirrmacher am vergangenenSamstag in Rom. Am Vormittag saßenwir zum Frühstück auf einem Balkonoberhalb der Spanischen Treppe undführten ein Männergespräch, wie wir esso oft in den letzten Jahren so gerne ge-tan hatten. Es ging um sehr Persönliches.Und um Professionelles. Um letzte Dingeund neue, große Pläne. Er war bester Din-ge und voller Optimismus. Ungewöhn-lich ruhig, bei sich, erzählte er, wie wich-tig es sei, Erfolge zu genießen. Er freutesich, mit seinem Buch „Ego“ der allge-meinen Erkenntnis ein, zwei Jahre vor-aus gewesen zu sein. Er genoss die Durch-schlagskraft seiner jüngsten und viel-leicht wichtigsten Debatte über Digitali-sierung und Datenmacht. Aber er planteNeues. Ganz Neues. Man lebt nur ein-mal, sagte er. Es ist unsere Aufgabe, mitunserem Leben das Maximum zu ma-chen, er sprach von einer „Mondlan-dungsmission“. Er war ganz der Alte,also jünger denn je.

Später sind wir dann noch mit DirkSchümer zusammen in die Villa Massimogegangen. Und während wir zwischen Zy-pressen der stechender werdenden Mit-tagssonne auszuweichen versuchten, in-teressierte er sich vor allem für den Stif-ter der Villa. Wie der Kohle-Unterneh-mer Eduard Arnhold aus einem Vermö-gen, das nicht mal eine Fußnote der Ge-schichte geblieben wäre, durch die Schöp-fung der Villa Massimo etwas Bleiben-des, Sinnvolles geschaffen hat.

Frank Schirrmacher hat als wirkungs-stärkster Journalist der letzten Jahrzehn-te im Feuilleton der F.A.Z. und mit sei-nen Büchern, Bleibendes, Sinnvolles ge-schaffen.

Das Wichtigste, was er so gerne gege-ben und selbst so dankbar empfangenhat, war: echte Freundschaft.

Vielleicht spürte er das und war auchdeshalb, auf dem Höhepunkt seines Erfol-ges, so empathisch und zugewandt wienie zuvor. Er wirkte gelöst. Alles in sei-nem Leben hatte sich gefügt, gut gefügt.Der früher so Ruhelose war angekom-men. Auch an diesem römischen Vormit-tag sah ich ihn in Gedanken immer wie-der vor mir, auf der Terrasse sitzend, inseinem schönen Potsdamer Haus am See.Liebend. Und geliebt. Von seiner TochterGretchen. Und seiner Frau Rebecca, dieihm alles war. Nach den vielen ruhelosenJahren hatte er es endlich gefunden: dasLeben. Das Glück.

Noch als er wieder zu Hause angekom-men war, schrieb er mir bester Laune einezukunftszugewandte SMS: „Ich möchte,dass wir unseren Plan verwirklichen.Adriatische Stimmung des Lebens: alsomediterran sonnig.“ Jetzt ist er nach ei-nem schnellen, intensiven Leben gestor-ben.

Mathias Döpfner ist Vorstandsvorsitzendervon Axel Springer.

Er plante ganz Neues.Man lebt nur einmal, sagte er Weltkindvon nebenanEr begriff, der Systemdenker

Von Hans J. Schellnhuber

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Frank Schirrmacher Foto Tim Wegner/laif

Wenn ihr mich sucht,sucht mich in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden,werde ich immer bei euch sein.

Rainer Maria Rilke

Voll Dankbarkeit für alle Liebe, Freude und Güte, die er uns in seinem Leben schenkte, nehmen wir Abschied von meinem geliebten Ehemann, unserem Vater, Schwiegervater, Großvater und Bruder

Hermann Bahlsen* 6. November 1927 † 6. Juni 2014

In Liebe

Katja Bahlsen, geb. KorkowskiSebastian und Maximilian KernbachAlexander und Elizabeth Bahlsen mit Alexandra und TarynHubertus Bahlsen und Evelyn Tanner mit Nikolai, Anuschka, Sascha und LeanderDagmar Fortmüller, geb. Bahlsen mit Max, Pia, Loisl, Jade und RosemondMagda Bannister, geb. BahlsenMaria Bahlsen-WarningUrsula Bahlsen, geb. Donnay

Traueranschrift: Podbielskistraße 11, 30163 Hannover

Die Beisetzung findet im engsten Familien- und Freundeskreis statt.

Bestattungshaus August Battermann, Humboldtstraße 26 C, 30169 Hannover

Wir nehmen Abschied von unserem ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer

Hermann BahlsenDer Enkel des Unternehmensgründers hat über 40 Jahre lang das Unternehmen Bahlsen mitgeprägt. Er trat 1954 in das Unternehmen ein und war als Mitglied der Geschäftsleitungzuständig für Öffentlichkeitsarbeit und die inländischen Tochtergesellschaften. Darüberhinaus engagierte er sich als Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, Präsident der Unternehmerverbände Niedersachsen, österreichischer Honorarkonsul in Niedersachsen und in anderen Ehrenämtern.

Wir blicken mit Respekt auf sein Lebenswerk und sind dankbar für das, was er für dasUnternehmen getan hat.

Unser aller Mitgefühl gilt seiner Frau und seinen Kindern.

Werner M. Bahlsenfür Geschäftsleitung, Betriebsrat und Mitarbeiter

Bahlsen GmbH & Co. KGHannover

www.lwl-industriemuseum.de

L‘arte del vetro13. April bis 12. Oktober 2014Glashütte Gernheim | Petershagen

Kennengelernt habeich ihn als Hospitant.Schon damals hieß es:Auf den muss manachten. Vor ein paarTagen in Rom trafen wiruns. Es ging um letzteDinge und große Ideen.

Von Mathias Döpfner

Page 6: Schirrmacher

InDankbarkeit undRespekt verneigenwir uns vor

RainerKlausHackert* 1.August 1950 † 3. Juni 2014

HerrRainerHackert hat das FamilienunternehmenFragranceResourcesinmehr als 25 JahrenmitWeitsicht und in derÜberzeugung,dass Erfolg

aufMitarbeitern undderen gemeinsamenWerten beruht,begleitet.

HerrRainerHackert hatmaßgeblich zumAufbauundder erfolgreichenEntwicklung derUnternehmensgruppe beigetragen.Sein persönlicher Einsatz und seine innereHingabewaren beispielhaft.

DiesesVorbildwird uns immer imGedächtnis bleiben.

Wir habenmitHerrnRainerHackert einen in allengeschäftlichenDingenhochbegabtenund sehr erfahrenen,dabei treuen, integrenund aufrichtigen,Mannverloren.

UnserMitgefühl gilt seinenAngehörigen.

ImNamender FamilieHorst F.W.Gerberdingsowie derGeschäftsführungunddenMitarbeitern der

FragranceResourcesGruppeUSA Deutschland Frankreich China

Die Unternehmerverbände Niedersachsen e.V. (UVN)verabschieden sich in Dankbarkeit

von ihrem verstorbenen Ehrenpräsidenten

Hermann BahlsenVon 1981 bis 1995 war Hermann Bahlsen Präsident

der UVN und wurde anschließendzum Ehrenpräsidenten des Spitzenverbandesder niedersächsischen Wirtschaft ernannt.

Hermann Bahlsen hat maßgeblich die Positionender Arbeitgeber in Niedersachsen undbundesweit im Vorstand und Präsidiumder Bundesvereinigung der DeutschenArbeitgeberverbände (BDA) mitgestaltet.

Seine starke Persönlichkeit, seine Kompetenzund sein gesellschaftliches Engagement haben

unseren Verband maßgeblich geprägt.Wir werden Hermann Bahlsen ein ehrendesAndenken bewahren. Seinen Angehörigen

gilt unsere aufrichtige Anteilnahme.

Hannover, im Juni 2014

Im Namen vonPräsidium und Vorstand

Werner M. Bahlsen

Im Namen derHauptgeschäftsführung

Dr. Volker Müller

Das Kollegium des Seminars füranthroposophische Pädagogik e. V. trauert um

Hans Georg Krauch1927 – 2014

der am 9. Juni 2014 über die Schwelle des Todesgegangen ist.

Herr Krauch war entscheidend an der Gründungdes berufsbegleitenden Seminars beteiligt und als Dozent

und Mitglied des Kollegiums maßgeblichbis vor wenigen Jahren aktiv.

Seminar für anthroposophische Pädagogik e. V.Friedlebenstraße 52, 60433 Frankfurt am Main

Die Schul- und Kindergartengemeinschaft desWaldorfschulvereins Frankfurt/Main e. V. nimmt Abschied von

Hans Georg Krauch1927 – 2014

der am 9. Juni 2014 über die Schwelle des Todesgegangen ist.

Herr Krauch war von 1958 bis 1982 als Lehrer für Deutsch,Geschichte, Kunstgeschichte und als Klassenlehrerder Klassen 10–12 bei uns tätig. Er hat maßgeblich

am Ausbau der Schule zu ihrer heutigen Größe mitgewirkt.

Waldorfschulverein Frankfurt/Main e. V.Friedlebenstraße 52, 60433 Frankfurt am Main

Und immer sind da Spuren deines Lebens,Gedanken,Bilder undAugenblicke.Sie werden uns an dich erinnern,uns glücklich

und traurigmachen und dich nie vergessen lassen.

RainerKlausHackert* 1.August 1950 † 3. Juni 2014

In tiefer TrauerNils-OliverHackert

Charlotta JulianeHackertundunsereMutterGudrunHackert

Statt Blumenbitte Spenden an dieDaily BreadFoodBank,191NewToronto St,Toronto,ONM8V2E7.

Das Bundesverfassungsgerichttrauert um den am 11. Juni 2014 im Alter von 99 Jahren verstorbenen

früheren Richter des Bundesverfassungsgerichts

Prof. Dr. Werner BöhmerInhaber des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der

Bundesrepublik Deutschland

Professor Dr. Werner Böhmer gehörte dem Bundesverfassungsgericht vom 10. Februar 1965 bis zum Ende seiner Amtszeit am 5. Juli 1983 als Mitglied des Ersten Senats an.

Er hat insbesondere zur Ausformung der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes wertvolleImpulse gesetzt und wirkte an zahlreichen wegweisenden Entscheidungen des Bundesverfas-sungsgerichts zum Schutze des Eigentums mit. Seine Richterpersönlichkeit war durch eine große Tat- und Schaffenskraft geprägt.

Das Bundesverfassungsgericht wird seinem ehemaligen Richter stets ein kollegiales und ehrendes Andenken bewahren und ihm in Dankbarkeit verbunden bleiben.

Der Präsidentdes Bundesverfassungsgerichts

Prof. Dr. Andreas Voßkuhle

Mit großer Traurigkeit gebenwir bekannt,dass unser lieber Bruder

ArendBaumanngeb.18. Juli 1944 gest.9. Juni 2014Stolpmünde, Wentworth Falls,Pommern NSW,Australien

uns nach schwererKrankheit verlassen hat.

Nach Gesangstudium in Frankfurt und Engagementsan den Opernhäusern Mainz, Nürnberg und Stuttgartging er 1985 nach Sidney, die Heimat seiner Frau, und

feierte großeErfolge an derAustralianOpera.

ReinholdBaumann,MainzIngrid Lambert,geb.Baumann,Koblenz

Angelika Seebode,geb.Baumann,WürzburgHinnerkBaumann,Bonn

InadoraKern,geb.Baumann,NeuwiedMargret Baumann,Koblenz

DirkBaumann,Worms

Wir trauernmit seiner FrauAlisonunddenKindernAndrewundStella.

Auch das ist Kunst, ist Gottes Gabe,aus sonnenhellen Tagensich soviel Licht ins Herz zu tragen,dass, wenn der Sommer längst verweht,das Leuchten immer noch besteht.

Johann Wolfgang von Goethe

Dr. med. dent. Hermann Georg Höppner*17. Februar 1924 † 3. Juni 2014

Schmalkalden/Thüringen Frankfurt am Main

Trauernd, aber voller schöner Erinnerungen nehmen wir in Liebe und Dankbarkeit Abschied

Dr. med. dent. Jutta Höppner, geb. Lührs

Corinna Sepp, geb. Höppner Hendrik HöppnerDr. rer. pol. Hans-Jochen Sepp Sarén Höppner, geb. Süßbrich

mit Tassilo Peter, Ricarda Emmy und Tiziana Mia mit Merle Feline

Die Trauerfeier mit anschließender Urnenbeisetzung findet am Freitag, 20. Juni 2014, 10.30 Uhr,auf dem Friedhof Frankfurt am Main-Höchst, Sossenheimer Weg 75, statt.

Wer aber denWeg derWahrheit geht, kommt zumLichte,damit offenbarwird,dass seineWerke inGott getan sind.

Joh.Ev.3,21

Gedenket imGebetmeines liebenMannes,unseres sehr verdientenVaters,Schwiegervaters,Großvaters undUrgroßvaters

ProfessorDr.WernerBöhmer

Bundesverfassungsrichter i.R.Major d.Res.

Träger höchsterOrdenundEhrenzeichen

* Siegen,11.März 1915 †München,11. Juni 2014

In großerDankbarkeit imNamen aller AngehörigenIris Böhmer geb.v.Stülpnagel

Die Trauerfeier ist in der St.CanisiuskircheMünchen-Großhadern amFreitag,den20. Juni 2014 um11Uhr.DieUrnenbeisetzungfindet zu einemspäterenZeitpunkt statt.

DasWittenberg-Zentrum fürGlobale Ethik trauert um

Dr.ReinhardHöppnerAlsMinisterpräsident des Landes Sachsen-Anhalt hat er1998 das Zentrumals internationale,überparteiliche und

überkonfessionelle Initiativemit ins Leben gerufen.Über viele Jahre hat er unsereArbeit als Vize-Präsident undStiftungsratsmitgliedmitgestaltet.Die gemeinsameMission,

ethische Prinzipien in derWeltgesellschaft zu stärken,die verschiedenen gesellschaftlichenKräfte zusammenzubringen

und so dieGlobalisierung zumWohle allerMenschen zugestalten,war ihm stets einHerzensanliegen.

ReinhardHöppner hat uns vielewertvolle Ideenmit aufdenWeg gegeben,die in unserer Arbeit fortwirkenwerden.

FürdasWittenberg-ZentrumfürGlobaleEthikEckhardNaumann,Präsident

Prof.Dr.Dr.KarlHomann,VorsitzenderdesStiftungsratesDr.MartinvonBroock,VorsitzenderdesVorstands

Tief bewegt trauernwir umunseren hochverehrten liebenVater,Schwiegervater,Großvater undUrgroßvater

Prof.em.Dr.phil.RolfHachmann* 19. Juni 1917 inHamburg † 5. Juni 2014 in Saarbrücken

HelmkeMundt,geb.HachmannundPeterMundtDr.HenningHachmannundBarbara,geb.KeilDr.UlrichHachmann

AngelaHachmann,geb.SegnerTheresia Schuler-Hachmann,geb.SchulerSusanneHachmann,geb.Müller

UlrikemitDalibor,AntjemitMichael,HendrikPhilippmitVerena,HannahmitWilly,KatharinamitChristosInkamitMichael,Nils,Gesa, Jasper und Johann

Celine, Joshua,Lisa,Elias, Inga,Martha undMatilda

Die Trauerfeier findet am 18. Juni 2014 um 14.00 Uhr in der Friedhofskapelle in66280 Sulzbach-Neuweiler,Michael-Blatter-Straße statt.

Ich liebe Dich, Herr, mehr als alles auf der Welt,denn Du bist die wahre Freude meiner Seele.Deinetwegen liebe ich meinen Nächsten wie mich selbst.Vater Alexander Wladimirowitsch Men, ermordet am 9.9.1990

Nach langem und erfülltem Leben ist der Mittelpunkt unserer Familie, unsere liebe Mutter, Schwiegermutter, Omi und Uromi, versehen mit den Heiligen Sakramenten der Kirche, friedlich entschlafen.

Dipl. rer. pol.

Diethild Treffert, geb. PohlJournalistin

geboren 6. Mai 1921 gestorben 10. Juni 2014 in Görlitz in Wertingen

Ihre Liebe galt ihrer Familie, ihre Leidenschaftdem Journalismus.

Die Beisetzung fand im engsten Familienkreisin Wertingen statt.

Georg und Heidi Treffert mit Sascha, Anna, Sophia und Ilja

Ulrike Wenck mit Veronika, Alex Bellot und Annika,

Adrian und Benedikt

Christiane Treffert-Peitz und Dr. Heinrich Peitz mit Boris

Bettina und Uwe Wesp

Brigitte Treffert, geb. Tautz mit Christian und Johannes

Statt Blumen bitten wir im Sinn unserer Mutter um eine Spende an den Bundesverband Rettungshunde e.V., 46569 Hünxe, Konto: Bank fürSozialwirtschaftIBAN: DE46550205000008614601, Kennwort: Diethild Treffert

Kondolenzadresse:Bettina Wesp, Seeheimer Straße 11, 60599 Frankfurt am Main

In Dankbarkeit gedenken ihm

So wie der Menschensohn nicht gekommen ist, daß er sichdienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zueiner Erlösung für viele.

Dr. Hans-Günther und Mira KernGeorg-Dietrich und Regina Kern und FamilieEleonore Kern und FamilieCornelie und Manfred Seedig und FamilieRainer Berthold und Gudrun Leonhard-ThrunDr. Christian und Heidi Berthold

em. o. Prof. Dr. rer. pol. Dr. h. c.Werner Kern

Gott rief unseren geliebten, stets fürsorglichen Vater, unserenallzeit liebevollen und mitfühlenden Bruder, Schwager und Onkel

nach einem langen, erfüllten Leben in belastenden und gutenZeiten zu sich und seiner geliebten Gerda.

Der Trauergottesdienst findet am Freitag, dem 20. Juni 2014, um 12.00 Uhr in der Trauerhalle desNeuen Friedhofes Köln-Rodenkirchen, Sürther Straße, statt.Anschließend ist die Beisetzung.

* 14. Mai 1927 † 9. Juni 2014

TraueranschriftFamilie Kern c/o Engelmann Bestattungshaus, Ringstraße 33, 50996 Köln-Rodenkirchen

Matthäus 20,28

Traueranzeigen und Nachrufe

Auskünfte und Beratung unter: Telefon (069) 75 91-22 79 · Telefax (069) 75 91-80 89 23 Informationen unter www.deutsche-leberstiftung.de

Lebererkrankungen verursachenkeine Schmerzen und bleiben

deshalb oft unbemerkt.Ohne Behandlung drohenZirrhose und Leberkrebs.Mit einem „Check-up für die Leber“ können Lebererkrankungen

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SEITE 14 · SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNGTraueranzeigen

Page 7: Schirrmacher

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 · SEITE 15Feuilleton

Köln, 21. Mai 2014, vor kaum drei Wo-chen. Ich teile mir mit Frank Schirrma-cher die Bühne der phil.Cologne. Er ist inForm. Er sprüht vor Intelligenz und Kul-tur. Wir diskutieren über die Ukraine unddie Überwindung der Metaphysik beiHeidegger. Über Putin und das eurasischeProjekt, das Alexander Dugin verteidigt,der verwirrteste unter Putins Denkern.Wir erinnern uns an die Walser-Affäre vorfünfzehn Jahren, bei der er gleichzeitigAuslöser, Genie und Gewissen war. Ich er-zähle, was Bubis, Ignatz Bubis, dieses le-bende Denkmal des deutschen Judentumsnach dem Krieg, mir damals über Schirr-machers Intervention in der Debatte sagteund darüber, dass sie, diese Intervention,„alles gerettet“ und es Bubis erlaubt habe,„nicht an Deutschland zu verzweifeln“. Erkommt auf Günter Grass zu sprechen –Attitüde und Hochstapelei, Standbild ausSand und Komödiant, Elefant der Litera-tur, ein in sechzig Jahre Lügen und Poseneingefrorener ‚Butt‘, der sich in der Verwe-sung als „steinerner Gast“, als Statue des„Commandeurs“ in Molières „Don Juan“aufspielt, sich aber als „Tartuffe“ erweist.Schirrmacher ist an diesem Abend so le-bendig, wie man nur sein kann. Er ist diehöchste Verkörperung dieser vom Unter-gang bedrohten Gattung, der großen Publi-zistik der europäischen Ideen. Nun istdieser große Lebendige gestorben. DieGattung droht, noch etwas schneller unter-zugehen; Europa und die Kultur trauern.

Bernard-Henry Lévy ist Philosoph..

Es ist sonderbar, mit einem Menschenbefreundet zu sein, der sich zu weit obenaufhält und der stets zu viel zu tun hat. Ge-legentlich, viel zu selten, sind wir einan-der nähergekommen, Frank Schirrma-cher und ich. Dann war er wieder anders-wo, um seinen nächsten Coup vorzuberei-ten. Die Nachahmung, von der der Journa-lismus lebt, war nie seine Stärke. Die The-men, auf die es ankam, hat er gefunden,lange bevor andere die Witterung aufnah-men. Die Platzhirsche mussten ihm fol-gen, ob sie wollten oder nicht. Neid, Miss-gunst und Bewunderung konnten nichtausbleiben. Über die Einsamkeit, die derErfolg mit sich bringt, hat er sich nicht be-klagt. Lieber hat er uns von neuem über-rascht. Mir gefiel diese Singularität. Siewar gut für das Land, das wir bewohnen.Die geduckte Haltung, die wir von unse-ren Voreltern ererbt haben, war ihmfremd und unverständlich. Weit und breitist niemand zu sehen, der seinen Platz ein-nehmen könnte.

Hans Magnus Enzensberger ist Schriftsteller.

Ich habe Frank Schirrmacher 2004 kennen-gelernt, als wir beide mit dem Corine Preisausgezeichnet wurden. Er für „Das Methu-salem-Komplott“, ich für „Der Schwarm“.Das haben wir ausgiebig gefeiert. Für bei-de von uns war es der erste durchschlagen-den Bucherfolg – mit Titeln, die in dienahe Zukunft gerichtet waren: die Zeit,die wir gestalten wollten. Wir waren in ei-ner absoluten Go-Stimmung, um die Weltaus den Angeln zu heben. Wir hatten dannimmer wieder Kontakt. Vor allem beim Er-scheinen unserer neuen Bücher. Wiedergab es dann Parallelen. So hat es an Ge-sprächsstoff nie gemangelt, und wir plan-ten sogar, gemeinsam ein Buch zu schrei-ben. Ich habe Frank Schirrmacher als sym-

pathischen Querdenker geschätzt. SeinTalent der brillanten Analyse gesellschaft-licher Zustände wird uns fehlen. Aber vorallem fehlt er als ein immens freundlicherund liebenswerter Zeitgenosse.

Frank Schätzing ist Romanautor und Musiker, zu-letzt erschien „Breaking News“.

Frank Schirrmachers Intelligenz war über-ragend, manchmal furchterregend. SeineAuffassungsgabe und Urteilskraft warenunnachahmlich und blitzschnell. Wer vonihm etwas wollte, hielt sich am bestenkurz. Er, der Vielbeschäftigte, der multi-pel Interessierte, wollte sich seine Zeitnicht stehlen lassen – das bekommt jetzt,angesichts seines absurd frühen Todes,eine bittere Bedeutung. Und so machte erbeim Denken keine Umwege, überspranger im Kopf immer gleich zehn Schritteund kam zu Ergebnissen, für die die meis-ten anderen zu träge und zu feige waren.Darin lag eine seiner Stärken: Im tektoni-schen Erspüren von großen Themen. AlsZeitungsmacher, im kleinen Kreis, war eratemberaubend kreativ und von einemherrlich anarchischen Humor. An jedemseiner Artikel konnte man das Schreibenlernen: Wie man die Sprache entschnör-kelt und präzisiert, für den maximalen Ef-fekt. Ja, er war ein Machtmensch, undzwar mit Genuss. Den einzigen Genuss,den er, so mag man vermuten, hatte,denn auf Äußerlichkeiten oder Statussym-bole legte er keinen Wert. Menschlich

war es mit ihm vor allem deshalb nichteinfach, weil er im Grunde schüchternwar. Er fürchtete sich gleichermaßen vorSchmeichelei wie vor Hochverrat.

Den Diskurs zu lenken, zu beeinflus-sen, wirklich etwas zu bewegen, das warseine allergrößte Lust. Darin hat er seineZeitung zu zuvor ungeahntem Einfluss ge-führt. In den ersten Jahren, als Feindeihm säuerlich zumindest ein Genie zurKampagne bescheinigten, mag er, l’artpour l’art, noch geübt haben. Aber seit er– und zwar lange vor Snowdens Enthül-lungen! – die Gefahren von Big Data er-kannte, hat er einen heroischen Kampf ge-führt, einen absolut ernsthaften Kampfgegen jenen Teil des digitalen Kapitalis-mus, der drauf und dran ist, unsere Frei-heit zu vernichten. Und das macht FrankSchirrmachers Tod, abgesehen von dermenschlichen Tragik, politisch zu einerechten Katastrophe.

Eva Menasse ist Schriftstellerin.

Wie unendlich traurig. Frank war einePersönlichkeit, wie man sie selten findet– eine Beschreibung, die leider viel zu ab-gedroschen wirkt und viel zu oft benutztwird. Bei ihm trifft sie voll zu. Er war ei-ner der wirklichen Intellektuellen dieserWelt. Ich habe seine Energie bewundertund seinen Enthusiasmus für die wirklichfundamentalen Durchbrüche in den Wis-senschaften. Als es mit der Berichterstat-tung in den Vereinigten Staaten schon

abwärts ging, war Frank hier und hat sichimmer für höchste Ansprüche und Profes-sionalität eingesetzt. Ich wollte, seineArt zu schreiben wäre Standard für allegeworden. Was für ein Verlust, ich werdeihn vermissen.

Craig J. Venter ist Gen-Forscher und Unternehmer.

Er sah die Gefahrvon Big Data voraus

Ein Enthusiast fürdie wichtigen Dinge

DieWelt ausden Angeln heben

Mit ihm erlischt eine wahre Weltbürger-seele, die sich dynamisch und originellfür ein humanistisches und demokrati-schen Deutschland eingesetzt hat. Für ihnwaren Kultur und Politik eine gemeinsa-me Plattform für ein aufgeschlossenes in-tellektuelles Leben und Denken in derBundesrepublik.

Lord George Weidenfeld ist politischer Publizist.

Frank Schirrmacher konnte im Minuten-rhythmus die Rollen wechseln, vom Myn-heer-Peeperkorn-Ton in den hessischenHausmeister-Ton in den Stefan-George-Ton überwechseln. Wir hatten uns als Stu-denten angefreundet, wie man es mit 23Jahren eben tut, auf Grund geteilter Lek-türen, die die anderen nicht nachvollzie-hen konnten. Das hieß damals, zu Beginnder achtziger Jahre: George-Kreis – andall that. Allerdings war diese Vorliebe fürden Dichter als Führer und geistigen Dik-tator – Frank ließ keinen Zweifel daran,dass er selbst dergleichen anstrebe – beiihm schon durch seine englischen Univer-sitätserfahrungen humoristisch gebro-chen. Den Vers „Und er kann töten, ohnezu berühren“ zitierte er mit erhobenerStimme – und unter Gelächter.

Es gäbe viel zu erzählen. Wenn ich diebesten, schirrmacherhaftesten Momente,die wir erlebten, nennen soll, dann fälltdie Wahl auf einen wie diesen: Wir fuh-ren im März 1990 gemeinsam zur erstenLeipziger Buchmesse nach dem Mauer-fall, und zwar im Dienstwagen, den derjunge Literaturchef selbst chauffierte, eindunkelblauer BMW mit der AutonummerF-AZ. Frank liebte den tollen Dienstwa-gen, die Autonummer, und immer wiederließ er in den Dörfern Thüringens vor denKindern am Wegrand die Scheinwerferaufleuchten. Es war eine Art Siegesfahrt,auf der er die Weltgeschichte und zu-

gleich den eigenen Erfolg auskostete.Gegen Ende der Fahrt, als wir durch dielange Karl-Liebknecht-Straße mit ihrengrauen, aus der Zeit gefallenen Fassadenins Zentrum von Leipzig fuhren, wurdenwir allerdings ziemlich still, zu bewegendwar dieser Sprung in die Zeitkonserve,den die ersten Fahrten in die DDR für diemeisten Kinder der Bundesrepublik be-deuteten. „Das ist irre, das sieht aus wie1932, als gäbe es noch die sechs MillionenArbeitslosen.“ Unterdessen lief das Auto-radio; kurioserweise begann in diesemAugenblick ein Schellackplatten-Pro-gramm, und aus einer verrauschten Auf-nahme tönte die Stimme von Claire Wald-off: „Wer schmeißt denn da mit Lehm?Der sollte sich was schäm’! Der sollteauch was and’res nehm’ als ausgerechnetLehm.“ Den Witz solcher Momente wir-ken lassen, das konnte er wie kein ande-rer, und das funktionierte selbst dannnoch, wenn man grade fürchterlich imStreit lag.

Gustav Seibt ist Publizist und ehemaliger Literatur-chef dieser Zeitung.

Der Todesgedanke, hatte ich geglaubt, seimir nicht mehr fremd. Ich hatte geglaubt,ihn denken zu können. Den Tod FrankSchirrmachers kann ich nicht denken.Denn er ist nicht die Wahrheit, er istfalsch. Ich weiß, Frank hätte noch Lebengebraucht. Und ich weiß noch viel mehr,wir hätten noch sein Leben gebraucht, dieganze Republik, dieses ganze Europahätte seinen Geist und seine Begeisterunggebraucht, seinen Mut und sein Staunen.Dieser Tod ist falsch, falsch und unrecht.Der Tod Frank Schirrmachers ist für unserintellektuelles Dasein jetzt und auf unab-sehbare Zeit und mit unabsehbaren Fol-gen eine Tragödie. Vielleicht ist er ja aufdem Weg dorthin, wo vielleicht die Wahr-heit beginnt. Ich wünsche es ihm so sehr.Aber ich war lang nicht mehr so traurig.

Ulla Unseld-Berkéwicz leitet den Suhrkamp-Verlag.

Er war Auslöser,Genie undGewissen

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Europa hätte ihnnoch gebraucht

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Gustav Seibt

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Lord George Weidenfeld

Craig J. Venter

Ulla Unseld-Berkéwicz

Reaktionen auf den Tod von Frank SchirrmacherHans Magnus Enzensberger

Bernard-Henry Lévy

Page 8: Schirrmacher

SEITE 16 · SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNGFeuilleton

Frank Schirrmacher mit der ARD-Moderatorin Anne Will (links) und der Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel auf dem Empfang dieser Zeitung nach der Buchmesse imOktober 2011 in Frankfurt Foto Frank Röth

DüsseldorfTel. 0211 / 30 14 36 [email protected]

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Dieses Gemälde wird von Koller Auktionen in Partnerschaft mit „RedTree Auction by Bromer Art Collection“ versteigert.

Ignatz Bubis, Salomon Korn und Martin Walser diskutieren im Büro des Herausgebers nach Walsers umstrittener Rede in der Paulskirche 1998. Foto Barbara Klemm

StationeneinesHerausgebersZwanzig Jahre war Frank Schirrmacherder für das Feuilleton zuständigeMit-Herausgeber dieser Zeitung. In dieserZeit hat er zahlreiche wichtige Debattenangestoßen und geprägt. Dafür suchte undbrauchte er den menschlichen Austausch.Eine Auswahl in Bildern. (F.A.Z.)

Jeder Buchmessenempfang begann mit einer stets sehr kurzen, sehr pointierten Redevon Frank Schirrmacher, so auch jener im Oktober 2013. Foto Helmut Fricke

Das offizielle Porträt des jungen Redak-teurs, 1986 Foto Barbara Klemm

Mit dem amerikanischen BiochemikerCraig Venter, 2004 in Paris Foto Wolfgang Eilmes

Mit Richard von Weizsäcker in Sacrow,2007 Foto Wolfgang Eilmes

Frank Schirrmacher als frischberufenerHerausgeber 1994 Foto Barbara Klemm

Die Verleihung des Ludwig-Börne-Preises an Frank Schirrmacher, hier mit seiner FrauRebecca Casati (links), Michael Gotthelf, Petra Roth und Necla Kelek, 2009 Foto dpa

Während einer Redaktionskonferenz mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und denHerausgebern Johann Georg Reißmüller und Günther Nonnenmacher, 1996 Foto Wolfgang Eilmes

Page 9: Schirrmacher

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG SAMSTAG, 14. JUNI 2014 · NR. 136 · SEITE 17Feuilleton

In der Flut von Würdigungen FrankSchirrmachers ist nur noch schwach zuspüren, dass er zeitlebens auch hefti-gen Widerstand provoziert hat. Wiekein Zweiter konnte er Menschen Wert-schätzung entgegenbringen und ihnendadurch ein euphorisierendes Gefühlvon Augenhöhe vermitteln. Wenn ersie aber fallen ließ, muss es den Betrof-fenen vorgekommen sein, als seien siefortan zu einem Leben in ewiger Son-nenfinsternis verdammt. Inhaltlichwar dieser Hang zur Polarisierung, un-ter dem er selbst zuweilen gelitten hat,eine große Stärke.

Egal was für ein Thema er in dasLicht der Öffentlichkeit zerrte, egalwelche Blattneuerung er vorschlug, zu-nächst begleitete ihn der Vorwurf, erübertreibe, mache sich wichtig. ImNachhinein muss man sagen: Er hat im-mer recht behalten, auch wenn ihm et-was nicht gelang. Mit seinen leider ein-gestellten „Berliner Seiten“ antizipier-te er den weltweiten Hype um dieHauptstadt Jahre im Voraus. Die vonihm angestoßene Debatte über die Alte-rung der Gesellschaft gehört heute zuden bleibenden Themen auf der politi-schen Agenda, von seiner Warnung vorder Gefahr einer digitalen Totalüberwa-chung des Menschen ganz zu schwei-gen. Frank Schirrmacher war ein Unru-hestifter sondergleichen – das Bestealso, was ein Feuilletonist sein kann.

In den vergangenen zwei Jahrenhabe ich ihn auch als niedergeschlagenempfunden. Die wirtschaftlichenSchwierigkeiten, mit denen sich sogarsein Medium auseinandersetzen muss,die drohende Anpassung freier Geisteran den klickgesteuerten Mainstream,all das bedrückte ihn. Gleichzeitigblieb er allem Neuen gegenüber aufge-schlossen wie ein besonders feinnervi-ges Kind.

Zuletzt beschäftigte ihn auch dieSkandalisierungsfreude der Öffentlich-keit, die prominenten Sündern entge-genschlägt. Nur zu gut wusste er, dassjeder exponierte Mensch, auch erselbst, eine verwundbare Seite hat. Ineiner seiner letzten Botschaftenschrieb er mir, dass es vielleicht Aufga-be des Qualitätsjournalismus sein müs-se, den Menschenjagd-Konsens zudurchbrechen. Frank Schirrmacher hatviele Kolleginnen und Kollegen ge-prägt. Mögen einige von ihnen sichnun auch dieser Aufgabe mit seinerLeidenschaft annehmen!

Giovanni di Lorenzoist Chefredakteur der „Zeit“.

Seit dem Tod von Marcel Reich-Rani-cki im September letzten Jahres habenwir viel darüber geredet, wie sehr eruns fehlt und was es eigentlich ist, dasuns fehlt. Jetzt, so kurz nach Reich-Ra-nickis Tod, ist er selbst jäh aus dem Le-ben gerissen worden. Mit Frank Schirr-macher wird Reich-Ranicki nun einweiteres Mal begraben, weil er inSchirrmacher nachlebte. Kaum eine Si-tuation, in der wir uns nicht schnellmit einem nachgeahmten typischenMarcel-Wort und einem Augenzwin-kern verständigt hätten. Wir vermiss-ten an Marcel, was hierzulande nichtbesonders verbreitet ist: das Unange-passte, sein Temperament, seinenEsprit, den Ruhestörer, seine Lust amLiteraturbetrieb und die Garantie,dass es nie langweilig ist mit ihm.

Diese Eigenschaften wertzuschät-zen bedeutet, sie auch weiterzutragen.Mit Frank Schirrmachers Tod ist wie-der ein Akteur mehr dieser unspießi-gen Lebensart verlorengegangen. Alsleidenschaftlicher Aufklärer nahm erdie relevanten globalen Menschheits-fragen furchtlos in Angriff. Mit kindli-cher Neugierde und aller ihm zur Verfü-gung stehenden Macht hat er nahezueinzelkämpferisch die Themen voran-gebracht, die ihm am Herzen lagen. Erwar ein unentwegt laufender Motor.Seinen Platz als stets besorgter undwarnender Zeitgenosse hat er einge-nommen wie keiner zuvor.

Viele Vorhaben, auf die er so er-wartungsvoll hingefiebert hat, werdenjetzt wohl unerfüllt bleiben. Ich habeeinen großen Freund verloren. Wojetzt seine Inspiration hernehmen?

Rachel Salamander betreut in der NachfolgeMarcel Reich-Ranickis die FrankfurterAnthologie.

Von Erfahrungen wie der folgendenkönnten auch andere Kollegen erzäh-len, die dann und wann ihre Kindermit in die Redaktion brachten. FrankSchirrmacher ließ dann alles stehenund liegen, um sich mit dem jeweiligenKind zu beschäftigen. Aber was heißthier „beschäftigen“?

Als meine Zwillinge noch im Klein-kindalter waren und ich sie öfters mitin den Feuilletonflur nahm, war esnicht möglich, am Herausgeber-zimmer vorbeizugehen, ohne dassFrank Schirrmacher herausgeschossenkam und die beiden Mädchen so über-schwänglich begrüßte, als habe er denganzen Tag nur auf sie gewartet. Er ver-stand es, Kindern das Gefühl zu geben,irgendwie ja einer von ihnen zu sein,sie eigentlich immer schon gekannt zuhaben, und sprach und scherzte undlungerte mit ihnen auf eine Weise her-um – den Vater dabei vor den Kinderngenüsslich foppend –, die kindlich underwachsen zugleich war.

Das war ganz unnachahmlich, weitweg von allem Auf-Kind-Gemache,wie man es auf Spielplätzen und beiKaffeerunden so oft von Erwachsenenerleben kann. Diese Widmung Knallauf Fall kam so rundweg von Herzen –mal ausgelassen, mal selbstironisch alt-väterlich –, schien ihn für Augenblickerundum glücklich zu machen, auf voll-kommen ungebrochene Weise, egal,aus welchen Beschäftigungen ihn diekindlichen Störenfriede gerade heraus-gerissen hatten. Nach ein paar Minu-ten setzte Frank Schirrmacher danneine bedeutungsvolle Miene auf, gebotStillschweigen und öffnete seinenSchreibtisch oder Wandschrank, ummit größtmöglicher Umständlichkeit ir-gendein bombastisches Geschenk her-vorzuholen und den beiden mit diebi-schem Vergnügen zu überreichen.Meistens waren es ins exzentrische Ex-trem getriebene Kinderfreuden: nichteine Tüte Weingummi, sondern eineriesige Schüssel bis obenhin mit Wein-gummi gefüllt; nicht eine Barbiepup-pe, sondern ein überdimensionaler ro-saroter Laster voller dieser Puppen;nicht ein einzelnes Kinderprachtbuch,sondern ein Karton mit zwanzig, drei-ßig Pixi-Minikinderbüchern. Diese Sa-chen hatte er immer bei sich im Büroparat und lange vorbereitet, ohne zuwissen, wann der nächste Kinderbe-such sein würde.

Meine Töchter waren begeistert vondiesen Vorstellungen, dabei jedes Malneu zutiefst verwundert über die Au-ßerordentlichkeit der Formate, mit de-nen sie es bei den Geschenken zu tunbekamen, als breche im Herausgeber-büro regelmäßig das Übernatürliche inihre Welt hinein, und konnten all dasZeug kaum schleppen, wenn wir wie-der die Zeitung verließen. Wusstenwir, wie uns geschah? Es waren Won-nemomente für alle – die Kinder, denVater und den Wohltäter, der diese Fä-higkeit im Übermaß besaß: ein Kindzu bleiben. Wir haben doch nie richtig„danke“ gesagt, sagten mir meine Töch-ter gestern unter Tränen.

Zeitungsverlage und Buchverlage ver-bindet eine seltsame Verwandtschaft,die mehr ist als der geteilte Nachname„Verlag“. Frank Schirrmacher verstandbeide Welten von Grund auf, als Her-ausgeber und Autor lebte er in beiden.Einmal jährlich lud er die unterschied-lichen Geschwister zum F.A.Z.-Buch-messeempfang, und dann standenBuch- und Zeitungsmenschen beiein-ander und erzählten den anderen Fami-lienmitgliedern, was aus ihnen gewor-den war. Zu vorgerückter Stunde konn-te man den Gastgeber inmitten einerSchar „Titanic“-Herausgeber sehen, inerregter Diskussion – und aus dem Au-genwinkel war nicht zu entscheiden,wer hier wem die Welt des Publizie-rens erklärte.

Diese Neugier machte ihn aus. DieRegel, dass wachsende Macht ein-hergeht mit wachsender Angst vorNeuem, galt für ihn nicht. Bei allemVerständnis für die Macht behielt erseine frappierende Leidenschaft, diegrundsätzlichen Veränderungen ver-stehen zu wollen, denen wir uns unter-werfen. Es gab in diesen Jahren vieleüberaus grundsätzliche Veränderun-gen, und Frank Schirrmacher hat siefür uns zugespitzt. Es ist ein Jammer,dass er die kommenden nicht beglei-ten wird.

An dem Tag, als er das komplettemenschliche Genom in seinem Feuille-ton ausbuchstabierte, habe ich in ei-ner einzigen Sekunde kapiert, wieman a) eine Zäsur markiert, wasb) Zeitungmachen mit Kunst zu tunhat und bekam c) auf ganz unbiologi-sche Weise eine Ahnung davon, wasdie Genom-Entschlüsselung bedeutet.Drei Lektionen vor dem Frühstück –ein guter Grund, die Zeitung aufzu-schlagen. Sein Name wird auf der Titel-seite dieser Zeitung fehlen: Es ist keinZufall, dass die Herausgeberleiste inAntiqua-Kapitälchen steht, als kämesie direkt aus der Werkstatt römischerSteinmetze: Jede Serife zeigt die Spur,wo ihr Meißel ansetzt. Frank Schirrma-chers Name ist diesem Feuilleton ein-gemeißelt, man wird Steine entfernenund neu aufbauen müssen, um ihn zuersetzen.

Jo Lendle ist Hanser-Verleger.

Die Frage sollte möglichst beiläu-fig klingen: „Wussten Sie eigent-lich, dass Günter Grass in derWaffen-SS war?“ Niemand hatte

es gewusst. Seine Gegenfrage kamschnell, er stellte sie später auch dem No-belpreisträger, als wir in dessen Gartenbeim Interview zusammensaßen, und essollte die ganze Debatte über die wichtigs-te, die entscheidende Frage bleiben. Mehrals sechzig Jahre lang hatte Günter Grassüber seine Mitgliedschaft in der Waffen-

SS geschwiegen, nun war er bereit, dar-über zu reden: „Warum erst jetzt?“

Zehn, acht, vielleicht auch nur fünf Se-kunden Stille. In diesen wenigen Sekun-den geschah ungeheuer viel. Das war seineGabe: Sein Einschätzungsvermögen warungeheuer, er war ein Magier der Antizipa-tion, der das Kunststück beherrschte, sichselbst zum Maßstab zu machen, in sich hin-einzuhorchen, um dann nach Bruchteilenvon Sekunden vollständig von der eigenenPerson abzusehen und die unterschied-lichsten Perspektiven einzunehmen unddurchzuspielen. Dann schien es, als könn-te er mit mehreren Köpfen zugleich den-ken, Köpfen, die ihm fremd waren, abereben nie nur fremd. Er hatte seine ganz ei-gene Art, sich in andere zu versetzen. DerEmphatiker fühlt sich ein, Frank Schirrma-cher dachte sich ein, in Einzelne, in Grup-pen, in Gesellschaften. Wahrscheinlichhat er deshalb so viel früher als andere ver-standen, was für ein mächtiges Instrumentein Algorithmus sein kann, ein Instru-ment, das mit einem schrecklichen Ver-sprechen verknüpft ist, dem Versprechen,Menschen lesbar zu machen.

Schrecklich erschien ihm dieses Ver-sprechen, weil ihm Lesen und Interpretie-

ren eins waren. Die Machtfrage faszinier-te ihn auch in der Literatur, nicht nur alsGegenstand der Literatur, sondern im Aktdes Lesens selbst. Worin Franz Kafkas lite-rarisches Genie bestand, definierte er ein-mal so: „in der absoluten Kontrolle überden mehrfachen Schriftsinn nicht nur fastjedes Satzes, sondern fast jedes Wortes“.

Der Satz findet sich in dem Artikel, mitdem Frank Schirrmacher die Feuilletonse-rie „Kafkas Sätze“ eröffnet hat. Die Idee,Kafkas 125. Geburtstag mit einer Feuille-tonserie zu begehen, in der Schriftstellerund Kritiker jeweils über einen Satz, überihren Lieblingssatz von Franz Kafkaschreiben sollten, hatte ihm zunächstnicht gefallen. Es konnte mühsam sein,ihn zu überzeugen. War er gewonnen, stell-te er sich ganz hinter die Sache und über-nahm das Steuerruder.

„Aber fahren müssen Sie!“ Am Hambur-ger Flughafen wartete ein Mietwagen aufuns, eine große Limousine, wir könntendoch wohl nicht im Kleinwagen bei Gün-ter Grass vorfahren, hatte er noch inFrankfurt gesagt. Als Beifahrer hatte ergroße Ähnlichkeit mit Marcel Reich-Ra-nicki: schnell gelangweilt und ohne gro-ßes Zutrauen in die Fähigkeiten seines

Chauffeurs: „Die Ampel da vorne wird be-stimmt gleich rot.“ Immer wieder stellte erdie Frage: „Warum erst jetzt?“

Günter Grass blieb die Antwort schul-dig. Er sagte wenig mehr als: „Das mussteraus, endlich.“ Auf der Rückfahrt redeteFrank Schirrmacher viel über diesen ei-nen Satz, als wollte er ihn interpretieren,wie er zwei Jahre später den ersten Satzvon Kafkas Roman „Der Prozess“ interpre-tiert hat. Aber der Satz eignete sich nichtzu einer solchen Exegese. Vier WorteGrass. Sie gaben wenig her.

„Neunzehn Worte Kafka“. So lautete da-mals die Überschrift zu seinem Kafka-Arti-kel. Kafka, so heißt es darin, habe einmalseinem Tagebuch anvertraut, dass es in allseinen Texten darum gehe, „dass jemandstirbt, dass es ihm sehr schwer wird, dassdarin für ihn ein Unrecht und wenigstenseine Härte liegt“. Rein logisch betrachtet,so schrieb Frank Schirrmacher damals, seidiese Haltung natürlich absurd, dennschließlich müsse alles irgendwann ster-ben: „Doch weil der Mensch leben undnicht sterben will, überwindet er die Logikund schafft Literatur, Erzählungen vom Pa-radies und der Vertreibung daraus, dienicht logisch, aber notwendig sind.“

NeunzehnWorte Kafka

Wenn eine Mutter ihren Sohn beim Zwi-schenstopp im Flughafen Johannesburgum dringenden Rückruf bittet, dann ver-mag dies nichts Gutes zu verheißen – si-cherlich eine Familienangelegenheit, be-fürchtete ich. Und für meine Mutter, diemehr als 35 Jahre lang für den Wirtschafts-teil der F.A.Z. geschrieben hatte, war es dasauch: „Frank Schirrmacher ist tot“, sagtesie mir mit fester Stimme, „und das ist eingroßer Verlust weit über unser Land hin-aus, und es ist vor allen Dingen ein Verlustfür meine geliebte Zeitung, die F.A.Z.“

Auf dem schlaflosen Rückflug von Dreh-arbeiten in Südafrika durchkreuzten sichdie Gedanken: nicht nur unendliche Trau-er, sondern auch regelrechte Wut. Wut dar-über, dass Frank Schirrmacher nicht mehram Leben ist, und vor allem, dass er vom lie-ben Gott nicht doch diese eine, entschei-dende zweite Chance bekommen hat – siehätte ihm so sehr zugestanden!

In meinen Erinnerungen tauchen dieMomente bei Frank Schirrmacher und Re-becca Casati in ihrem Potsdamer Haus amSee auf – die gefühlten Millionen Schnaken-stiche, die man gar nicht bemerkt hatte,weil die Gespräche so energiegeladen wa-ren. Was mich an Frank begeisterte, wardiese unabdingbare Neugier, dieses wunder-bare stundenlange Fragenstellen, bis sichein Thema, von dem man um 20 Uhr schonalles zu wissen geglaubt hatte, gegen Mitter-nacht auf den Kopf stellte.

Frank Schirrmacher war für mich einemoralische Instanz, vor allem, was den gro-ßen Themenbereich deutscher Geschichtebetraf. Ich habe ihm Drehbücher geschicktund Filme vorgeführt – von „Stauffenberg“bis zu Tellkamps „Der Turm“, von „Rom-mel“ bis zu „Unsere Mütter, unsere Väter“–, manches sogar im Rohschnitt, weil ichseine Meinung kennen wollte und ich dieseMeinung auch immer bekam: sehr dezi-diert und immer sehr klar moralisch argu-mentiert.

Da gab es diese große Klammer, die uns– beide Jahrgang 1959 – immer wieder be-schäftigte: was das Dritte Reich mit unse-

ren Eltern angerichtet und wie sich dieseVerantwortlichkeit auf unsere Generationausgewirkt hat. Dieser persönliche Um-gang mit der Verantwortung vor der Ge-schichte war Dreh- und Angelpunkt unse-rer Freundschaft.

Verblüffend war Frank Schirrmachershohe Affinität zu unserem Gewerbe – zuFilm und Fernsehen. Für ihn gab es ohne-hin nirgendwo Grenzen. Frank war fürmich ein genialer Netzwerker zwischen denKünsten und ein begnadeter Kommunika-tor, der mich in seiner Offenheit und auchmoralischen Integrität immer wieder ver-blüffte; übrigens auch in seiner Schonungs-losigkeit. Dass Frank Schirrmacher einungeheuer verletzbarer, fast zärtlicherMensch war, ist vielen im journalistischenTagesgeschäft verborgen geblieben. AlsBernd Eichinger starb, schrieb er den klügs-ten Nachruf. Zu sehr war ihm der hoch am-bivalente, leidenschaftliche, aber auch zer-rissene Charakter Eichingers nachempfind-bar gewesen.

„Es sind ebendiese Brennmomente“,hat Frank einmal zu mir gesagt, „die das Le-ben ausmachen – auch wenn die Kerze anbeiden Seiten angezündet wird.“ Das galtfür ihn selbst und im Übrigen auch für sei-nen Freundeskreis, der mit hohem Engage-ment und raschem Tempo ständig neu ge-fordert war. Und so denke ich an einemTag wie diesem auch an Rebecca Casati,die uns alle auf wundersame Weise verzau-bert und geerdet hat.

Frank Schirrmachers Verlust wiegtschwer. Das letzte große Wort, das mir heu-te Nacht im Kopf herumspukte, war seinBegriff von Angstfreiheit. „Sei selbstbe-wusst, und betrachte dich niemals mit denAugen deiner Feinde“, hat mir Frank ein-mal in einer schwierigen Lebenssituationmit auf den Weg gegeben. Ich bin dankbarfür diesen Ratschlag und alle anderen sei-ner Ratschläge – ich bin für die Begegnungund die Gespräche mit Frank Schirrmacherunendlich dankbar, sie sind unersetzbar.

Nico Hofmann ist Regisseur,Produzent und Drehbuchautor.

Er war immer der jüngste unter den Wei-sen, und das wird er jetzt auch bleiben.Mit 54 stirbt man nicht, mein Lieber.Aber seine Atemlosigkeit ist dem Herzwohl schlecht bekommen. Frank Schirr-macher – tot? Niemals. Zu jung zum Ster-ben, so, wie er für alles zu jung war, fürdas, was er dachte, was er schrieb, wie erschrieb, was er durchschaute. Manchmalfragte man sich staunend, woher ein jun-ger Mann so viel intellektuellen Durch-blick haben konnte und so viel Talent, sei-ne Erkenntnisse zu formulieren. Wahr-scheinlich war er etwas ganz Altmodi-sches, ein spätgeborenes Genie.

Er war kein Journalist, er war einGeist, der die Welt reflektierte, der Ent-wicklungen erkannte und benannte, deraus jedem, mit dem er sprach, heraushol-te, was er wissen wollte, um am Ende klü-ger zu sein als alle anderen seiner Genera-tion. Und er war klug genug, sich nichtauf ewig festzulegen. Nicht rechts, nichtlinks und schon gar nicht in der Mitte. Jenach Sachlage eben. Ein unabhängigerGeist, der sich nicht nach Moden richtete,sondern seine eigene Agenda setzte unddamit früher als andere erkannte, wohindie Welt sich drehte. Und wenn er durchwar mit einem Thema, dann stürzte ersich mit derselben Besessenheit auf dasnächste. Nicht weil er ein Thema suchte,sondern weil die Themen ihn suchten, ge-radezu heimsuchten.

Ich habe ihn 1990, kurz nach dem Fallder Mauer, zum ersten Mal getroffen, aufeiner Konferenz im Cecilienhof in Pots-dam. Er sprach mich an auf einen Satz,den ich in der Nacht des 9. November ineinem Fernsehkommentar gesagt hatte,nämlich, das sei der Tag gewesen, „andem der Zweite Weltkrieg zu Ende ging“.Er konnte sich begeistern, für das, was an-dere dachten und schrieben, fast mehrals für das, was er selbst dachte. Bis zurEitelkeit uneitel. Es war, als sei der Wer-beslogan der F.A.Z. allein auf ihn ge-

münzt: Dahinter steckt immer ein klugerKopf.

Wir machten über die Fronten zweierVerlagshäuser hinweg eine Filmserie mitangeschlossenen Interviews zum Thema„100 Jahre Deutschland“, ich weiß nicht,von wem ich dabei mehr gelernt habe:Weizsäcker, Schmidt, Merkel, Bahr, Leon-hardt – oder von meinem Partner auf derFrager-Seite, Frank Schirrmacher. Wir tra-fen uns – eher zufällig – in der Paris-Barmit Mathias Döpfner und regten uns ge-meinsam über die Albernheiten derRechtschreibreform auf. Die F.A.Z. hatteals einzige Publikation den Unsinn bis da-hin nicht mitgemacht. Aber Schirrmacherwusste, dass er auf Dauer nicht alleinbeim „dass mit sz“ bleiben konnte. Wirschmiedeten einen Dreier-Pakt zur Ent-rümpelung der Rechtschreibreform. Undschafften es am Ende, die größten Absur-ditäten zu beseitigen. Dann schalteteauch die F.A.Z. um – auf die reformierteSchreibreform. Ohne Frank Schirrma-chers Sturheit, seinen Widerwillen gegendie Verhunzung der deutschen Schrift-sprache, würde der Duden heute andersaussehen.

Mit der gleichen Besessenheit schlepp-te er die Naturwissenschaften in die Kul-tur, war zugleich fasziniert und besorgtüber die Möglichkeiten der Entschlüsse-lung des menschlichen Genoms, analy-sierte die Überalterung der Gesellschaft,die globale Finanzakrobatik, die Gefah-ren einer digitalen Diktatur. Und er hör-te immer gebannt zu, wenn ihn ein neu-es Thema interessierte. Vorletzte Wo-che, am Rande einer Kunstausstellung,löcherte er mich mit Fragen nach derVerwicklung von V-Leuten des Verfas-sungsschutzes in die Mordserie des „Na-tionalsozialistischen Untergrunds“. Wirhatten nicht genug Zeit. Und nun nie-mals mehr.

Stefan Aust ist Publizist und Produzentund war von 1994 bis 2008 Chefredakteurdes „Spiegel“. Seit Anfang diesen Jahresist er Herausgeber der „Welt“.

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Im Gespräch mit Günter Grass über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS, Sommer 2006 Foto Helmut Fricke