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SE MODALLOGIK UND ANDERE PHILOSOPHISCH RELEVANTE LOGIKEN WS 2015/16 — ESTHER RAMHARTER & GÜNTHER EDER

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SE MODALLOGIK UND ANDERE PHILOSOPHISCH RELEVANTE LOGIKENWS 2015/16 — ESTHER RAMHARTER & GÜNTHER EDER

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WOZU MODALLOGIK?

(1) Günther Eder wurde am 9.6.1982 geboren.

(2) Niemand ist größer als er/sie selbst.

(3) John F. Kennedy starb am 7. Dezember 2014 eines natürlichen Todes.

(4) Es gibt natürliche Zahlen a, b, c und eine natürliche Zahl n > 2, sodass an + bn = cn.

• Obwohl sowohl (1) als auch (2) wahr sind, hätte (1) auch falsch sein können, während (2) nicht auch hätte falsch sein können. Anders als (1) ist (2) notwendig wahr!

• Obwohl sowohl (3) als auch (4) falsch sind, hätte (3) auch wahr sein können, während (4) nicht auch hätte wahr sein können. Anders als (3) ist (4) notwendig falsch.

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WOZU MODALLOGIK?

• Modallogik im engeren Sinn beschäftigt sich mit der Logik, die hinter Sätzen / Argumenten steckt, die alethische Modalitäten beinhalten:

Es ist notwendigerweise der Fall, dass p

Es ist möglicherweise der Fall, dass p

Es ist kontingenterweise der Fall, dass p

• Modallogik im weiteren Sinn beschäftigt sich auch mit den Logiken von Sätzen / Argumenten, die andere nicht-wahrheitsfunktionale Operatoren beinhalten, z.B.

S weiss / glaubt, dass p

Es ist beweisbar, dass p

Es wird immer der Fall sein, dass p

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EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK• Wie alles, was mit Logik zu tun hat, taucht auch Modallogik im engeren

Sinn schon bei Aristoteles auf

• Modallogische Argumente / Schlussformen spielen auch eine wesentliche in seinem Seeschlacht-Argument gegen das Zweiwertigkeitsprinizip, wo er meint:

„Wenn es aber immer wahr war, zu sagen, dass etwas […] sein werde, so ist es nicht möglich, dass solches […] nicht sein werde. Wovon es aber unmöglich ist, dass es nicht wird, das muss werden. Also wird alles, was in der Zukunft wird, notwendig […]“

• Im De Interpretatione beschäftigt sich Aristoteles explizit und auch (etwas) systematischer mit Syllogismen, die alethische Modalitäten beinhalten

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• Zur Erinnerung: Aristoteles hat eine der ersten logischen Theorien entwickelt, die Syllogistik, die sich systematisch mit Schlüssen einer ganz bestimmten Form beschäftigt

• Syllogismen haben immer die Form

Obersatz Untersatz _______ Konklusion

• Die einzelnen Sätze solcher Schlüsse / Syllogismen sind immer von einer der vier Formen (A) Alle S sind P (E) Kein S ist P (I) Einige S sind P (O) Einige S sind nicht P

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Aristoteles fragt sich dann, welche von den gültigen Syllogismen, die keine Modalitäten beinhalten, gültig bleiben, wenn einzelnen im Syllogismus vorkommenden Sätzen bestimmte Modalitäten vorangestellt werden

Alle A sind B Notwendig: Alle A sind B Möglicherweise: Alle A sind B

Alle B sind C Notwendig: Alle B sind C Möglicherweise: Alle B sind C

__________ __________ ___________

Alle A sind C Notwendig: Alle A sind C Notwendigerweise: Alle B sind C

gültig! gültig! ungültig!

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Von bestimmten modallogischen Prinzipien wurde auch im Mittelalter / frühe Neuzeit immer wieder Gebrauch gemacht, vor allem im Zusammenhang mit Gottesbeweisen

• Modallogische Gottesbeweise finden sich z.B. bei

• Anselm von Canterbury (11./12. Jh.)

• Rene Descartes (16./17. Jh.)

• Baruch/Benedikt de Spinoza (17. Jh.)

• Gottfried Wilhelm Leibniz (17./18. Jh.)

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Anselms Gottesbeweis (Kapitel 3 (4) im Proslogion) funktioniert etwa so:

(1) Gott ist etwas worüber hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann

(2) Etwas, worüber hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, ist sicherlich im Verstand

(3) Wenn es aber schon im Verstand ist, dann kann gedacht werden, dass es wirklich ist – und das ist grösser

(4) Wenn also das, worüber hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, nicht wirklich ist, dann ist das worüber hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann, eben nicht etwas worüber hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann – was unmöglich ist.

(5) Also ist dasjenige, worüber hinaus Grösseres nicht gedacht werden kann auch wirklich – und nicht bloss im Verstand.

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Leibniz’ Gottesbeweis funktioniert ähnlich, mit dem zusätzlichen Twist, dass hier noch versucht wird zu zeigen, dass Gottes Existenz zumindest möglich ist, denn

„[…] ich gestehe zu, dass Gott hier einen grossen Vorteil vor allen anderen Dingen hat. Denn es reicht aus zu beweisen, dass er möglich ist, um zu beweisen, dass er existiert – das wird sonst, soweit ich weiss, nicht so angetroffen.” (Brief an Pfalzgräfin Elisabeth, November 1678)

• Leibniz’ Gottesbeweis wurde dann im 20. Jahrhundert von Gödel wieder aufgegriffen und mit den Mitteln der modernen Logik rekonstruiert

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Hier Gödels Gottesbeweis im Überblick:

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Die moderne Beschäftigung mit Modallogik beginnt aber im Wesentlichen mit C.I. Lewis (Anfang 20. Jh.) und seinen Lösungsansätzen für die (sogenannten) Paradoxien des materialen Konditionals

• Die Paradoxien des materialen Konditionals ergeben sich aus dem Umstand, dass wahre Sätze von beliebigen Sätzen impliziert werden und falsche Sätze beliebige Sätze implizieren. Bzgl. materialem Konditional ⟶ sind also folgende Prinzipien für beliebige Sätze α, β allgemeingültig

(A) α ⟶ (β ⟶ α)

(B) ¬α ⟶ (α ⟶ β)

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Für C.I. Lewis war das aber eine unannehmbare Situation. Wenn-Dann-Sätze wie

(1) Wenn Wien die Hauptstadt von Deutschland ist, dann ist der Himmel blau

(2) Wenn der Himmel blau ist ist, dann ist Wien die Hauptstadt von Österreich

sind nach Lewis offensichtlich falsch.

• Die Wahrheitsbedingungen für Wenn-Dann-Sätze können also nicht mit den Wahrheitsbedingungen für das materiale Konditional identisch sein!

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Lewis hat deshalb ein striktes Konditional ⥽ (den „fishhook“) eingeführt

• Die Wahrheitsbedingungen für konditionale Aussagen der Form α ⤙ β sind bestimmt durch die Festlegung:

Ein Satz der Form α ⥽ β ist wahr gdw. es nicht möglich ist, dass α wahr ist und β falsch

• Sätze wie (1) und (2) werden, gemäß dieser Lesart der Wenn-Dann-Konstruktion, wie von Lewis gewünscht, falsch und die zu (A) und (B) analogen Prinzipien (A*) und (B*) sind nicht mehr allgemeingültig

(A*) α ⥽ (β ⥽ α)

(B*) ¬α ⥽ (α ⥽ β)

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Von Lewis stammen auch die Bezeichnungen S1, S2, … S5 für bestimmte modallogische Systeme, die heute noch gebräuchlich sind (und von denen wir uns später einige noch genauer ansehen werden)

• Heute ist es üblich, statt des zweistelligen Fishhooks ⥽ einstellige Operatoren bzw. ◇ für „notwendigerweise“ bzw. „möglicherweise“ zu verwenden

• α ⥽ β kann dann alternativ durch (α ⟶ β) oder ¬◇(α ∧ ¬β) definiert werden

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Die Beschäftigung mit Modallogik (sowohl im engeren als auch weiteren Sinn) war bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts großteils syntaktisch orieniert

• Erste Grundlagen in Richtung formaler Semantik für die alethische Modallogik hat Rudolf Carnap in seinem Buch „Meaning and Necessity“ gelegt

• Aber erst Saul Kripke (und andere wie Jaakko Hintikka) haben eine flexible und intuitiv plausible formale Semantik („Mögliche-Welten Semantik“) für alle möglichen Arten von Modallogik entwickelt

EINE MINI-GESCHICHTE DER MODALLOGIK

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• Modale Aussagenlogik ist eine Erweiterung der klassischen Aussagenlogik

• Die Sprache der modalen AL besteht also wieder aus Atomaren Aussagebuchstaben: p, q, r, … Wahrheitsfunktionalen Junktoren: ∧, ¬, ∨, ⟶

Klammern: (, ) Einstellige Operatoren: ☐ („Box“) und ◇ („Diamond“)

• Die wohlgeformten Formeln der Sprache der AL-Modallogik sind dann, wie üblich, rekursiv definiert

MODALE AUSSAGENLOGIK — DIE SPRACHE

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• In der Modallogik im engeren Sinn werden ☐p und ◇p alethisch interpretiert, d.h. als „p ist notwendigerweise wahr“ und „p ist möglicherweise wahr“

• Es gibt aber viele weitere Interpretationen, die ☐ und ◇ haben können:

INTERPRETATION DER MODALOPERATOREN ☐ UND ◇

☐p alternative Notation ◇p alternative

Notation

Epistemische Int. p wird gewusst / S weiss p

Kp bzw. Ksp — —

Doxastische Int. p wird geglaubt / S glaubt p

Bp bzw. Bsp — —

Deontische Int. p ist geboten Op p ist erlaubt Pp

Beweistheoretische Int. p ist beweisbar — p ist konsistent —

Temporale Int.p wird immer wahr sein / war immer

wahr—

p wird irgendwann wahr sein / war

irgendwann wahr—

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• In Abhängigkeit von der Interpretation, die die Zeichen ☐ bzw. ◇ haben, sollten dann verschiedene Prinzipien allgemeingültig sein

• Das Prinzip

(T) ☐α ⟶ α

ist z.B. unter der alethischen oder der epistemischen Interpretation allgemeingültig, aber nicht unter der doxastischen Interpretation

• Denn: alle notwendigen Wahrheiten sind wahr und nur Wahres kann gewusst werden, aber nicht alles was geglaubt wird ist wahr

INTERPRETATION DER MODALOPERATOREN ☐ UND ◇

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• Bei anderen modallogischen Prinzipien ist die Situation nicht mehr so klar. Die meisten halten das Prinzip

(5) ◇☐α ⟶ ☐α

bzw. das äquivalente Prinzip

(5) ¬☐α ⟶ ☐¬☐α

für allgemeingültig unter der alethischen Interpretation, aber bzgl. der epistemischen Interpretation scheiden sich die Geister

• Unter der epistemischen Interpretation besagt (5) dass ich von allem, das ich nicht weiss, weiss, dass ich es nicht weiss („Negative Introspection Principle“)

INTERPRETATION DER MODALOPERATOREN ☐ UND ◇

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• Obwohl nicht alle Gesetze unter allen Interpretationen von ☐ bzw. ◇ gültig sind, werden es bestimmte Gesetze schon sein

• In allen Logiken, die wir uns ansehen werden, wird z.B. gelten, dass ☐ und ◇ interdefinierbar sind

☐α ⇔ ¬◇¬α

◇α ⇔ ¬☐¬α

• Man kann also bei der Wahl der modalen Grundbegriffe noch „sparsamer“ sein und ☐ (bzw. ◇) zugunsten von ◇ (bzw. ☐) eliminieren

• Andere Grundbegriffe, mit denen ebenfalls alle Modalitäten ausgedrückt werden können (wie?!), sind der „fishhook“ ⥽ und die „strikte Negation“ ⇁, die für „unmöglich“ steht

MODALE GRUNDBEGRIFFE UND INTERDEFINIERBARKEIT VON ☐ UND ◇

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• Ähnlich wie in der Quantorenlogik gibt es auch in der Modallogik ein logisches Quadrat. Hier zur Erinnerung das quantorenlogische Quadrat:

GRUNDLEGENDE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN MODALITÄTEN

∀xP ¬∃x¬P

∀x¬P ¬∃xP

¬∀x¬P ∃xP

¬∀xP ∃x¬p

subaltern subaltern

konträr

subkonträr

kontradiktorisch

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• Das modallogische Quadrat

GRUNDLEGENDE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN MODALITÄTEN

☐p ¬◇¬p

☐¬p ¬◇p

¬☐¬p ◇p

¬☐p ◇¬p

subaltern subaltern

konträr

subkonträr

kontradiktorisch

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GRUNDLEGENDE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN MODALITÄTEN

Dieser Zusammenhang ist kein Zufall!

• Wie die Standard-Semantik für die Modallogik, die sogenannte Mögliche-Welten Semantik, zeigen wird, können wir die Modalitäten ☐ und ◇ als „Quantoren in disguise“ auffassen

• Ein Satz der Form ☐p ist wahr gdw. wenn p in allen „möglichen Welten“ wahr ist

• Ein Satz der Form ◇p ist wahr gdw. wenn p in mindestens einer „möglichen Welt“ wahr ist

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SEMANTIK DER AL-MODALLOGIK• Wie üblich wollen wir, indem wir eine Semantik für eine bestimmte

formale Sprache formulieren, Wahrheitsbedingungen angeben

• Diese sollen allgemein bestimmen, wann ein beliebig komplexer Satz dieser Sprache wahr oder falsch ist, und zwar in Abhängigkeit

• von der syntaktischen Struktur des Satzes

• davon wie die Dinge in der Welt liegen

• Darauf basierend wollen wir dann die Begriffe der logischen Wahrheit und der logischen Folgerung definieren

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SEMANTIK DER AL-MODALLOGIK• Diese Idee müssen wir nun aber offenbar abändern, um vernünftige

Wahrheitsbedingungen für modalen Diskurs zu formulieren

• Die Wahrheit eines Satzes der Form „p ist notwendigerweise wahr“ z.B. hängt ja nicht nur vom tatsächlichen Zustand der Welt ab, sondern auch vom Zustand bestimmter „alternativer Welten“, die wir gewillt sind in Betracht zu ziehen

• Wir betrachten den Satz „Heinz Fischer ist am 19. Okt. des Jahres 2015 Bundespräsident von Österreich“ als bloß kontingente Wahrheit, weil/wenn wir gewillt sind, alternative Szenarien in Betracht zu ziehen, in denen Heinz Fischer im Oktobers 2015 nicht Bundespräsident von Österreich ist

• All diese alternativen Szenarien („mögliche Welten“) spielen eine Rolle, wenn es um den Wahrheitswert eines Satzes der Form „p ist notwendigerweise wahr“ (oder den eines Satzs der Form „p ist möglicherweise wahr“) geht!

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MÖGLICHE WELTEN MODELLE

Definition: Ein Mögliche-Welten Modell (MW-Modell) ist ein Tripel M = ⟨W, R, I⟩, wobei W ein nicht-leere Menge ist, R eine darauf definierte zweistellige Relation, und I = {Iw: w ∈ W} eine Familie von klassischen Interpretationen Iw: {p, q, r,…} ⟶ {w, f}, eine für jedes w ∈ W

Definition: Ein Paar F = ⟨W, R⟩, bestehend aus einer nichtleeren Menge W und einer darauf definierten R heisst auch Kripke-Frame oder einfach Frame

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MÖGLICHE WELTEN MODELLE

• Die Menge W soll hier für eine beliebige Menge von (sogenannten) „möglichen Welten“ stehen

• Die Relation R, die verschiedene „mögliche Welten“ miteinander verbindet, heisst auch Zugänglichkeits- oder Erreichbarkeitsrelation

Zur Sprechweise:

• Wir sagen auch, dass ein bestimmtes Modell M auf einem bestimmten Frame F basiert, falls F = ⟨W, R⟩ und M = ⟨W, R, I⟩

• Statt ⟨w, u⟩ ∈ R schreiben wir oft auch einfach Rwu und sagen dann dass die Welt u von w aus zugänglich / erreichbar / sichtbar ist

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BEISPIELE FÜR FRAMES

F = ⟨W, R⟩ mit

W := {w1, w2}

R := {⟨w1, w2⟩}

w1 w2

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BEISPIELE FÜR FRAMES

F = ⟨W, R⟩ mit

W := {w1, w2, w3}

R := {⟨w1, w2⟩, ⟨w2, w3⟩, ⟨w1, w1⟩, ⟨w2, w2⟩}

w1 w2

w3

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BEISPIELE FÜR MW-MODELLE BASIEREND AUF DEN FRAMES VON VORHIN

M = ⟨W, R, {Iw1, Iw2}⟩ mit W und R wie vorhin und

Iw1(p) = w, Iw1(q) = f

Iw2(p) = f, Iw2(q) = w

w1 w2

pq

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BEISPIELE FÜR MW-MODELLE BASIEREND AUF DEN FRAMES VON VORHIN

M = ⟨W, R, {Iw1, Iw2, Iw3}⟩ mit W und R wie vorhin und

Iw1(p) = w, Iw1(q) = f

Iw2(p) = f, Iw2(q) = w

Iw3(p) = w, Iw3(q) = ww1 w2

w3

p

pq

q

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WAS SIND MÖGLICHE WELTEN?

• Was man sich hier unter einer „möglichen Welt“ vorstellen soll, hängt stark davon ab, welche Interpretation des Modaloperators wir gerade im Sinn haben

• In der temporalen Modallogik (☐p steht für „p gilt immer“) versteht man unter den „möglichen Welten“ Momente / Zeitpunkte innerhalb einer (linearen oder verzweigten) „time-line“

• In (multiplen) dynamischen Modallogiken (☐ap oder ⟨a⟩p steht für „Immer nachdem der Prozess a erledigt wurde, gilt p“) versteht man unter „möglichen Welten“ Zustände eines bestimmten (dynamischen) Systems

• …

• Was man sich in der alethischen Modallogik unter einer „möglichen Welt“ genau vorstellen soll, welchen ontologischen Status solche Objekte haben und wie wir Wissen von ihnen haben können (wenn überhaupt), wird in der analytischen Metaphysik kontrovers diskutiert

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WAS SIND ALETHISCH MÖGLICHE WELTEN?• David Lewis: Mögliche Welten existieren in genau demselben Sinn wie die aktuale,

„wirkliche“ Welt existiert; nur dass wir diese nicht bewohnen („Modaler Realismus“)

• „I believe that there are possible worlds other than the one we happen to inhabit. If an argument is wanted, it is this. It is uncontroversially true that things might have been otherwise than they are. I believe, and so do you, that things could have been different in countless ways. But what does this mean? Ordinary language permits the paraphrase: there are many ways things could have been besides the way they actually are. On the face of it, this is an existential quantification. It says that there exist many entities of a certain description, to wit „ways things could have been“. I believe that things could have been different in countless ways; I believe permissible paraphrases of what I believe; taking the paraphrase at its face value, I therefore believe in the existence of entities that might be called „ways things could have been“. I prefer to call them „possible worlds“.“ (Counterfactuals, p. 84)

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„SCUMBAG ANALYTIC PHILOSOPHER“

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WAS SIND ALETHISCH MÖGLICHE WELTEN?• Saul Kripke: Mögliche Welten sind im wesentlichen bloß eine „facon de parler“ für

kontrafaktischen Diskurs und Mögliche-Welten Semantik in erster Linie ein mathematisches Tool

• „`Possible worlds’ are little more than the miniworlds of school probability blown large. It is true that there are problems in the general notion not involved in the miniature version. The miniature worlds are tightly controlled, both as to the objects involved […], the relevant properties […], and (thus) the relevant idea of possibility. `Possible worlds’ are total `ways the world might have been’, or states or histories of the entire world. To think of the totality of all of them involves much more idealization, and more mind-boggling questions, than the less ambitious elementary school analogue. […] For present purposes, however, the elementary analogue gives a fine model for the appropriate morals regarding `possible worlds’. There is nothing wrong in principle with taking these, for philosophical or for technical purposes, as (abstract) entities—the innocence of the grammar school analogue should allay any anxieties on that score.“ (Naming and Necessity, pp. 18–19)

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DIE ZUGÄNGLICHKEITS- ODER ERREICHBARKEITSRELATION• Die Gegenwart der Zugänglichkeitsrelation R ist für die Flexibilität der

Mögliche-Welten Semantik entscheidend. Die inhaltliche Bedeutung von R hängt dabei von der Interpretation der Modalitäten (epistemisch, alethisch, temporal, dynamisch etc.) ab.

• Grundidee ist aber immer dieselbe: Es gibt mögliche Welten (Zustände, Zeitpunkte…), die aus der Sicht einer bestimmten Welt (eines bestimmtes Zustandes, Zeitpunktes…) relevant sein sollen für den Wahrheitswert von ☐α in dieser Welt (diesem Zustand, Zeitpunkt…), und andere Welten (Zustände, Zeitpunkte…), die das nicht sein sollen.

• Von Vornherein gibt es keine Einschränkungen, was die Eigenschaften von R betrifft. Es gibt aber viele natürliche Bedingungen an Frames, sodass bestimmte Prinzipien allgemeingültig sind für alle Modelle, die auf Frames basieren, deren Zugänglichkeitsrelationen diese Eigenschaft haben (mehr dazu später)

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WICHTIGE EIGENSCHAFTEN VON R UND ZUGEHÖRIGE FRAMES• Wichtige Eigenschaften, die die Zugänglichkeitsrelation R haben kann, sind z.B.

• Reflexivität: ∀w ∈ W: Rww r

• Transitivität: ∀u∀v∀w ∈ W: Ruv ∧ Rvw ⟶ Ruw t

• Symmetrie: ∀u∀v ∈ W: Ruv ⟶ Rvu s

• Serialität: ∀u∈W ∃w ∈ W: Ruw l

• Euklidizität: ∀u∀v∀w ∈ W: Ruv ∧ Ruw ⟶ Rvw e

• Dichte: ∀u∀v∈W (Ruv ⟶ ∃w ∈ W: Ruw ∧ Rwv) d

• etc.

• Wie wir sehen werden, entsprechen all diesen Bedingungen (deren Kürzel rechts daneben stehen) ganz bestimmte modallogische Prinzipien!

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WICHTIGE EIGENSCHAFTEN VON R UND ZUGEHÖRIGE FRAMES• Wir sprechen oft auch von bestimmten Klassen von Frames, je

nachdem welche der Eigenschaften die einzelnen Frames dieser Klassen haben

• Die Klasse der r-Frames ist die Klasse aller Frames, deren Zugänglichkeitsrelation reflexiv ist

• Die Klasse der t-Frames ist die Klasse aller Frames, deren Zugänglichkeitsrelation transitiv ist

• Die Klasse der st-Frames ist die Klasse aller Frames, deren Zugänglichkeitsrelation sowohl symmetrisch als auch transitiv ist

• etc.

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WAHRHEIT UND GÜLTIGKEIT

• In der nicht-modalen AL gab es nur zwei wichtige Gültigkeits- / Wahrheitsbegriffe: Wahrheit in einer Interpretation und Wahrheit in allen Interpretationen (d.h. logische Wahrheit, Allgemeingültigkeit)

• Aufgrund der zusätzlichen „Layer“ bei MW-Modellen und aufgrund der verschiedenen Eigenschaften, die wir von der Zugänglichkeitsrelation fordern können gibt es nun auch zusätzliche Begriffe von Gültigkeit / Wahrheit

• Wahrheit in einer Welt

• Gültigkeit in einem Modell

• Gültigkeit in einem Frame

• Gültigkeit in der Klasse aller X-Frames / X-Gültigkeit