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54 YACHT 3/2008 Zwischen diesen Bildern liegen über 50 Jahre. Gerhard Lickfett (M.) als Wachführer in der Latz-Ölhose, die ihm heute noch passt, und als Besucher vor der „Passat“ Der Showmaster vom Viermaster Mit Humor und Härte führte er auf Großseglern das Kommando, heute powert Gerhard Lickfett auf Jollen übers Wasser – der Mann lebt Segeln. Ein starker Typ PORTRäT Gerhard Lickfett W ann das Leben von Ger- hard Lickfett begonnen hat, ist schwer zu sagen. Wann fängt einer wirk- lich an zu leben, den das Schicksal für den Dienst an Bord eines Segelschiffs vorsieht? Mit dem ersten Tag als Schiffsjunge? Mit dem Kapitänspatent? Oder früher, beim ersten Anblick eines Segelschiffs unter Vollzeug, der ihn gefangen nimmt und fortan Denken und Handeln beherrscht? In Lickfetts Leben jedenfalls gibt es meh- rere Momente, die in Frage kämen. Erst einmal dieser, als er 15 ist. Der Helmstedter Pennäler sieht den Film „Sturm im Atlantik“. Er zeigt Fischer, die vor Island einen Orkan abwettern. Der Schüler beschließt, zur See zu fahren. Ei- nige Jahre später findet er sich als Schiffs- junge auf dem Bananendampfer „Pe- rikles“ wieder und hat ein weiteres Schlüs- selerlebnis. „An einem Sonntagmorgen sah ich im Englischen Kanal die ,Pamir‘ unter Vollzeug, und mir wurde schlag- artig klar: Da will ich rauf“, erzählt der heute 70-Jährige. Lickfett wendet sich an die Reederei Laeisz und bekommt Ende 1954 eine Heuer auf dem Schwesterschiff, der Vier- mastbark „Passat“. Vielleicht beginnt hier sein wahres Leben, vielleicht sogar in zweifacher Hinsicht. Denn die „Pamir“, auf die er ursprünglich wollte, geht 1957 unter. Mit der Tragödie, die nur sechs See- leute überleben, ist die deutsche Handels- schifffahrt unter Segeln beendet. FOTOS: YACHT/K. ANDREWS (L.), F. SISTENICH (R.) Lickfett macht 1963 sein Kapitäns- patent in Elsfleth und fährt für die Hapag zur See. „In der Zeit habe ich dem Vor- stand einen Brief geschrieben, sie sollten doch mal ein Kreuzfahrtschiff unter Se- geln bauen, die Leute würden viel lieber segeln als auf der ,Europa‘ unter Maschi- ne fahren!“ – ein Rat, den die Reederei nicht angenommen hat. Lickfett war sei- ner Zeit voraus, seine Vision ist heute ein blühender Markt. „Da habe ich dann nach 30 Jahren adios gesagt und auf der ‚Thor Heyerdahl‘ angemustert!“ Die Containerfahrt sei das Schlimms- te, was es gebe, erklärt Lickfett seine Ent- scheidung, mit 50 Jahren von vorn anzu- fangen, ein neues Leben. Der erfahrene Kapitän geht 1987 als ehrenamtlicher Steuermann endlich wieder an Bord eines Segelschiffs. Statt Heuer zu bekommen, muss er 100 Euro monatlich dafür be-

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Zwischen diesen Bildern liegen über 50 Jahre. Gerhard Lickfett (M.) als Wachführer in der Latz-Ölhose, die ihm heute noch passt, und als Besucher vor der „Passat“

Der Showmaster vom ViermasterMit humor und härte führte er auf Großseglern das Kommando, heute powert Gerhard Lickfett auf Jollen übers Wasser – der Mann lebt Segeln. Ein starker typ

Porträt Gerhard Lickfett

W ann das Leben von Ger-hard Lickfett begonnen hat, ist schwer zu sagen. Wann fängt einer wirk-

lich an zu leben, den das Schicksal für den Dienst an Bord eines Segelschiffs vorsieht? Mit dem ersten tag als Schiffs junge? Mit dem Kapitänspatent? oder früher, beim ersten anblick eines Segelschiffs unter Vollzeug, der ihn gefangen nimmt und fortan Denken und handeln beherrscht? In Lickfetts Leben jedenfalls gibt es meh-rere Momente, die in Frage kämen.

Erst einmal dieser, als er 15 ist. Der helmstedter Pennäler sieht den Film „Sturm im atlantik“. Er zeigt Fischer, die vor Island einen orkan abwettern. Der Schüler beschließt, zur See zu fahren. Ei-nige Jahre später findet er sich als Schiffs-junge auf dem Bananendampfer „Pe-rikles“ wieder und hat ein weiteres Schlüs-selerlebnis. „an einem Sonntagmorgen sah ich im Englischen Kanal die ,Pamir‘ unter Vollzeug, und mir wurde schlag-artig klar: Da will ich rauf“, erzählt der heute 70-Jährige.

Lickfett wendet sich an die reederei Laeisz und bekommt Ende 1954 eine heuer auf dem Schwesterschiff, der Vier-mastbark „Passat“. Vielleicht beginnt hier sein wahres Leben, vielleicht sogar in zweifacher hinsicht. Denn die „Pamir“, auf die er ursprünglich wollte, geht 1957 unter. Mit der tragödie, die nur sechs See-leute überleben, ist die deutsche handels-schifffahrt unter Segeln beendet. Fo

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Lickfett macht 1963 sein Kapitäns-patent in Elsfleth und fährt für die hapag zur See. „In der Zeit habe ich dem Vor-stand einen Brief geschrieben, sie sollten doch mal ein Kreuzfahrtschiff unter Se-geln bauen, die Leute würden viel lieber segeln als auf der ,Europa‘ unter Maschi-ne fahren!“ – ein rat, den die reederei nicht angenommen hat. Lickfett war sei-ner Zeit voraus, seine Vision ist heute ein blühender Markt. „Da habe ich dann nach 30 Jahren adios gesagt und auf der ‚thor heyerdahl‘ angemustert!“

Die containerfahrt sei das Schlimms-te, was es gebe, erklärt Lickfett seine Ent-scheidung, mit 50 Jahren von vorn anzu-fangen, ein neues Leben. Der erfahrene Kapitän geht 1987 als ehrenamtlicher Steu er mann endlich wieder an Bord eines Segelschiffs. Statt heuer zu bekommen, muss er 100 Euro monatlich dafür be-

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nieder. Für seine heuer würde in der containerschifffahrt niemand als Dritter offizier fahren. Das ist kein Broterwerb, das ist reine Passion. Lickfett selbst sagt dazu nur bescheiden, er sei nicht reich ge-worden, dafür habe er die 200 schönsten Strände der Welt gesehen.

Doch am Strand hat es ihn meist nicht lange gehalten: „Ich bin Fisch, ich muss ins Wasser!“, sagt er achselzuckend und erzählt, wie gern er auf dem hobie-cat 18 unterwegs ist. „Das ist richtiges Se-geln, da wird man nass, da fliegt man au-ßenbords, da kippt man um.“ Bevorzugt die ostküste von Barbados dient ihm als anspruchsvoller Sportplatz: „Da ist es ex-trem rau, und Sie können herrlich in der Brandung über die Wellen springen – aber in meinem alter muss ich da schon auf das Steißbein aufpassen!“

noch eine andere Passion treibt Ger-hard Lickfett an: Er will sein Wissen wei-tergeben. „Den Großseglern läuft der nachwuchs weg. Darüber bin ich unend-lich traurig. Es wäre wünschenswert, wenn die reedereien mehr für die nach-wuchsförderung tun würden.“

Das schmerzt einen besonders, der eine innige Bindung zu vielen ehemaligen

crewmitgliedern pflegt. Manche nennt er liebevoll seine hochseetöchter oder -söhne, vielleicht sind sie tatsächlich so etwas wie ein Ersatz für eigene Kinder. Darauf hat er verzichtet, ein „Urlaubs-vater“ wollte er nie werden.

Der nautiker Mike Zerr hat erleben dürfen, was es heißt, unter Lickfetts Fit-tiche genommen zu werden. Seine erste heuer als frischgebackener offizier be-kommt er auf der „Sea cloud“. hier trifft er auf Lickfett, und schon nach der zwei-

monatigen Probezeit ist dieser sich sicher, in Zerr einen weiteren „hochseesohn“ ge-funden zu haben. Er schreibt ein gutes Zeug nis und behält ihn an Bord, wo der Kapitän ein strenges regiment führt und seiner 60-köpfigen Besatzung eine Menge abverlangt. Einen Unterschied zwischen Frauen und Männern macht er dabei nicht. Im Gegenteil: „Frauen können viel mehr ab“, hat Lickfett festgestellt, und sie seien wesentlich genauer als Männer und tränken „nicht so viel Bier“.

Mike Zerr hat manches Mal strenge Worte von seinem chef zu hören bekom-men. „Einmal hat mich der Kapitän dabei erwischt, dass ich meine Wache im ge-schütz ten ruderhaus versah“, sagt er. „Er schimpf te auf mich ein, ich sei doch kein Büro-Seemann!“ Seine offiziere sollten draußen in der Brückennock stehen. oh-ne radar, ohne elektronische Seekarte. Kurse und Kaps auf die hand innenfläche geschrieben, nur so lerne man Seefahrt. Mit dem Wind in den haaren und dem Blick in den Sternen.

„Und häufig hat der Kapitän die ge-samte Mannschaft aufgewirbelt“, so Zerr. Zum Beispiel am Morgen des 9. Januar 2005 auf der „Sea cloud“. Beim anlaufen von St. Barts entdeckt der chief Mate ein herrenloses Dingi. „all hands on deck!“, kommt es prompt vom hocherfreuten Lickfett. Und er lässt jeden antreten, vom chefkoch bis zum hotelmanager. Das Szenario gleicht einem Piratenfilm. Un-ter Einsatz der gesamten crew wird der Großsegler kunstvoll an das Wrack her-anmanövriert und dieses kurzerhand in Schlepp genommen. Seemännisch eine Meisterleistung. traurig, dass die heraus-forderung so schnell vorüber ist, wendet sich der Kapitän mit seinem Fernglas wie-der der See zu und macht kurz darauf ei-nen Fischer aus. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, und er murmelt: „Dem dre-hen wir das Ding jetzt an – für’n frischen Fisch!“ Doch der Fischer nimmt mit Voll-dampf reißaus. „Er muss später erzählt ha ben, eine Viermastbark mit Wahnsin-nigen sei hinter ihm her, der anführer wol le wahrscheinlich die Insel in seine Ge-walt bringen“, sagt Mike Zerr und lacht.

Der Kapitän will stets gute Unterhaltung für die zahlenden Gäste. „Die müssen doch was zu erzählen haben, wenn sie nach hause kommen!“ Das können sie garantiert, wie ei-ner von ihnen schwärmt: „Segeln mit Lick-fett ist eine einzige große Show. Er ist der Entertainer. nicht aus Eitelkeit, sondern weil er Spaß daran hat.“

Zum Beispiel an der täglichen Story- time. hier wird den Gästen etwa das anste-hende anlegemanöver erklärt. „Wir machen mit der einen Leine an der Kirche fest und mit der anderen an einer Palme!“ oder wie Segelmanöver auf einem Großsegler gefah-ren werden. „Wenn er erklären wollte, wie die rahen gebrasst werden“, sagt Mike Zerr, „dann hat er sich kurzerhand einen weib-lichen Passagier geschnappt, ließ sie die ar-me ausstrecken, und schon war sie das rigg.“ Er habe sie geführt, gedreht und viel erklärt, und am Ende sei alles ein tango-Schritt ge-wesen.

Des Käptn’s Lieblingsgeschichte ist be-sonders skurril. Mitten auf dem atlantik, schwadroniert der „Seehund“, habe er einen anderen Großsegler getroffen und von Bord eine blonde Schwedin schanghait. tatsäch-lich war die Übernahme der Deckshand ab-gesprochen. Den „raub“ inszenierte Lickfett für die Zuschauer.

Bei den Gästen kommt die Show an: Ei-nen „Meister der Begeisterungsfähigkeit“ nennt Kreuzfahrt-Fan und autor Frank Sis-tenich den Kapitän. Die Kommentierung des Geschehens an Bord aus seinem Mund liefere die Grundlage für die Euphorie der Mitrei senden.

Und Lickfett weiß, dass die Passagiere nicht nur Seemannsgarn hören, sondern auch ernsthaft mitsegeln wollen. „auf die ‚Sea cloud‘ kommen viele Passagiere, die lie-ber segeln als mit der Frau Schuhe zu kau-fen“, erklärt er mit einem Seitenhieb auf

Schwestern-treff: Die „Sea cloud“, aufgenom-men von der „Sea cloud II“ – auf beiden hatte Lickfett das Kommando. Der Kapitän trainiert auf der jüngeren am eigens installierten reck. Passagiere und Besatzungsmitglieder durften es nur benutzen, wenn sie vorgeturnt und vor den augen des „alten“ bestanden hatten

Porträt Gerhard Lickfett

zahlen, dass er auf dem Schulschiff „thor heyerdahl“ segeln darf. Erneut beginnen Lehrjahre, aber: „Das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht!“ Es folgen reisen auf der Barkentine „Mary-anne“ und der Brigg „atlantis“. Beim aufriggen des Schul-schiffs „alexander von humboldt“ ist er ebenso dabei wie auf den ersten reisen der Bark. Der begeisterte Leichtathlet hat im rigg der Großsegler den schönsten arbeitsplatz der Welt gefunden.

Im Jahr 1988 wird Lickfett Erster of-fizier auf dem Segel-Kreuzfahrer „Sea cloud“. Die erste heuer unter Segeln in seinem zweiten Seemannsleben, das bald eine neue Wendung nimmt: „Eines nach-mittags kam in Porto cervo der schwe-dische reederssohn Mikael Krafft an Bord und wollte sich das Schiff an gucken. Er sagte, er baue ein ähnliches Schiff und habe noch keinen Kapitän.“ Lickfett heu-ert 1991 als Kapitän auf Kraffts „Star Fly-er“ und später auf der „Star clipper“ an, beides Viermastbarkentinen.

Er übernimmt anschließend Baube-gleitung und Einsegeln der „royal clip-per“. Der 133 Meter lange nachbau des Fünfmastvollschiffs „Preussen“ ist das weltweit größte Segelschiff.

Doch 2001 kehrt der „Seehund“, wie seine Besatzung ihn nennt, als Kapitän zurück auf die „Sea cloud“. Die Fünf-Sterne-Viermastbark wurde 1931 als „hus sar“ auf der Germania-Werft in Kiel für ein reiches amerikanisches Ehepaar gebaut. Ein Luxusschiff mit Kamin und vergoldeten Wasserhähnen. Die 109 Me-ter lange Bark trägt nicht weniger als 3000 Quadratmeter Segelfläche.

Diese Superlative schlagen sich im Einkommen des Kapitäns allerdings nicht

„auf Überraschungen waren wir vorbereitet. Segeln mit Lickfett war ohnehin eine einzige Überraschung“ Mike Zerr

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die Gegebenheiten in der Branche. Bei Lickfett wird deshalb so viel gesegelt, wie es nur geht. Das hat auch der hamburger Günther E. hering im Mittelmeer erlebt: „Wenn möglich, werden alle ankermanö-ver unter Segeln gefahren.“ Sein liebstes Manöver ist die Wende, auf Großseglern äußerst aufwändig zu fahren, wie die Be-schreibung von hering zeigt:

„Der Wind bläst mit 6 Beaufort aus nord. Wir fahren eine Wende unter Voll-zeug. Ein all-hands-Manöver. Zuerst wird der Besan mittschiffs geholt und die Vorsegel gestrichen. Jetzt kommt das Kommando ‚ruder hart Steuerbord!‘, und das Schiff dreht an. alle rahsegel ste-hen back, die ‚Sea cloud‘ macht schließ-lich fast vier Knoten Fahrt achteraus, dreht aber mit dem Bug weiter durch den Wind. nun werden die rahen rundge-brasst und die Vorsegel wieder gesetzt. Das ruder liegt mittschiffs, und das Schiff nimmt Fahrt voraus auf. Das ganze Ma-növer hat acht Minuten gedauert.“

„haben Sie eigentlich gesehen, was wir da gerade gemacht haben – oder ha-ben Sie geschlafen?“, fragt Lickfett die Gäste hinterher unsanft durch die Flüs-tertüte. „hören Sie, Sie haben hier viel Geld fürs Segeln bezahlt – und nicht für Schlafen und Essen!“

Unter dem Mann, den britische Zei-tungen „nelsons Schüler“ genannt haben, mutiert das Kreuzfahrtschiff, so weit das möglich ist, zum Windjammer: „Wir muss-ten uns viele Gedanken um Wind, Wetter und Manöver machen“, sagt Mike Zerr. Bei Lickfett gab’s immer „Segeln satt“ und manchmal auch ein bisschen mehr. „Wir wurden häufig als Freiwächter nachts aus der Koje geholt und ins rigg geschickt. Es war mordsmäßig anstrengend, aber es hat auch viel Spaß gemacht!“ Denn Lick-

fett liebt die Kommunikation und hat hierfür seine ganz eigenen Methoden. Das kann ein Walzer an Deck bei 7 Beau-fort sein oder eine gemeinsame trainings-einheit am reck. Ein solches hatte der Zehnkämpfer auf allen Schiffen fest in-stalliert.

Sogar einen gewöhnlichen Landgang macht Lickfett zum abenteuer, wie Mike Zerr verrät: „Wir lagen vor St. Kitts, wo Kim collins lebt, Weltmeister über 100 Meter bei der Leichtathletik-WM 2003. Den wollte der Kapitän unbedingt ken-nenlernen. Wir haben einen tag lang in jedem Shop, jeder tankstelle, jedem re-staurant erfolglos nach ihm gefragt. am abend stand Kim collins auf der Gang-way – es hatte sich herumgesprochen, dass ein Verehrer mit einem großen Se-gelschiff gekommen war, um ihn zu su-chen. Was macht nun Lickfett? Er reißt sich den Schuh vom Fuß, hält ihn Kim collins vor die nase und fragt, ob das ein guter Laufschuh sei – geniale Gesprächs-eröffnung für einen Läufer!“

Der Kapitän versteht sich wie kein an-derer darauf, die crew zu motivieren – durch seine ausstrahlung und seine ganz eigene art des Umgangs. „Und weil er viel gebrüllt hat“, sagt Zerr lachend. aber Lickfett sporne nur im sportlichen Sinn zu höchstleistungen an, er sei immer fair gewesen und habe nie jemanden persön-lich beleidigt. In seinem tagebuch habe er, Zerr, den Eintrag gefunden: „Ich ken-ne keinen anderen Menschen, der mich den ganzen tag zusammenscheißen kann und mir am abend trotzdem noch sympa-thisch ist!“

Vielleicht kann er deshalb so viel for-dern, weil sich der Kapitän selber nicht schont. „Wenn Sie eine Mannschaft 20 Stunden am tag aufwirbeln wollen“, so Zerr, „dann müssen Sie selber die ganze Zeit an Deck stehen. Das fahren Sie nicht aus der Kammer.“ Ein Kraftwerk, dessen Energie daraus resultiert, dass er in seiner aufgabe aufgeht. Eine aufgabe, für die er lebt. „Er ist der beste Seemann, den ich je kennengelernt habe“, sagt Zerr: „Ihm ist in der gesamten Zeit, in der ich an Bord war, nie auch nur ein einziger Fehler un-

terlaufen.“ Das ist nicht selbstverständlich auf einem Schiff mit mechanischem Ma-schinentelegraf, das nur träge reagiert. Zahlreiche Beulen mussten deshalb schon aus dem rumpf geklopft werden. Von Lickfett stammt keine.

Vor allem, wenn er bei Segelmanövern die gesamte Besatzung gleichzeitig einge-spannt hat, das Schiff für außenstehende ein heilloses Durcheinander sei und Lick-fett seinem Ersten ins ohr flüstere: „Wir werden alle sterben!“, habe er seine Sinne doch überall gleichzeitig und das Gesche-hen im Griff.

Wiedersehen mit der „Passat“, Lü-beck-travemünde. Der Schiffsjunge von einst kehrt als erfahrener Kapitän zu dem heutigen Museumsstück zurück. Gerhard Lickfett blickt versonnen in den gigan-tischen Mastenwald. „Ich kann so viele Geschichten erzählen, wie hier nieten im rumpf sind!“

Er scheint dem Schiff auf einmal Le-ben einzuhauchen, beschreibt den teer-geruch an Bord, erzählt lachend von den schmutzigen Liedern bei der Decksarbeit, von den dreiwöchigen Landaufenthalten und von der arbeit im rigg bei stürmi-schem Wetter. Begeisterung schwingt in jeder Silbe mit. Doch es klingen auch nach denkliche, leise töne an. Wenn er erzählt, dass beim ankerauf für jedes Ket-tenglied eine runde am Gangspill fällig war, wenn er Unfälle an Bord mit töd-lichem ausgang andeutet und wenn er die Bootsleute in „Gute“ und „Böse“ einteilt. In diesen Momenten ist zu ahnen, was für eine Knochenarbeit, was für ein hartes Leben es an Bord gewesen sein muss.

Ein Leben, das ihn in seinen Bann ge-zogen hat. Bis heute. Wenn er auch mit 70 Jahren nicht mehr an Deck steht, ist er doch immer noch im Dauereinsatz für die segelnde Berufsschifffahrt. Verschiedene Beraterjobs halten ihn auf trab. Wann immer seine Zeit es zulässt, ist der passio-nierte Leichtathlet in der Sporthalle beim training zu finden.

am liebsten aber verbringt er Zeit zu-sammen mit seiner Partnerin, die mit ihm verreist und tanzt und auf der alster Jolle segelt, „bis die Knie bluten“. Mit einem augenzwinkern verrät er, dass sie eine echte Meerjungfrau sei. Die er selber auf-gefischt habe. Mitten auf dem atlantik.

Lasse Johannsen

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Porträt Gerhard Lickfett

„Ich sage meinen offizieren immer: tragt nachts Shorts, dann spürt ihr den Wind an euren Beinen!“ Gerhard Lickfett

nach mehr als 50 Jahren ist Lickfett, mitt-lerweile erfahrener Kapitän, auf die „Passat“ zurückgekehrt. an Bord steigt er noch mal in sein Ölzeug von damals (oben). Bild aus früheren tagen: als Matrose (r.) mit dem Bootsmann Götz Bleininger in Buenos aires vor der „Passat“

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