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Sichtweisen von Sozialer Arbeit
auf benachteiligte jugendliche Migranten
Bachelorarbeit zur Abschlussprüfung an der Hochschule Darmstadt,
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit
Vorgelegt von
Tabea Christina Geiger
Matrikel-Nr. 719870
Erstreferentin: Prof. Dr. Susanne Spindler
Zweitreferent: Prof. Dr. Achim Schröder
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .................................................................................................................... 1
1.Thematische Annäherung ....................................................................................... 3
1.1 Migranten und der Begriff des Migrationshintergrunds ........................................ 3
1.2 Von Chancenungleichheit und sozialer Benachteiligung...................................... 5
2. Der Forschungsverlauf ........................................................................................... 7
2.1 Qualitative Sozialforschung ................................................................................. 8
2.2 Datenerhebung ................................................................................................... 9
2.2.1 Der Interviewleitfaden ................................................................................. 10
2.2.2 Beschreibung des Forschungsfeldes .......................................................... 12
2.3 Die Datenauswertung ........................................................................................ 14
3. Lebenssituation der Jugendlichen ...................................................................... 15
3.1 Schule und Bildung ........................................................................................... 15
3.2 Sprache ............................................................................................................. 19
3.3 Arbeitsmarkt ...................................................................................................... 20
3.4 Der Wohnort ...................................................................................................... 21
3.4.1 Segregation ................................................................................................ 23
3.4.2 Das soziale Umfeld: Freizeit, Peergroup und Clique ................................... 25
4.Gesellschaftliche Zuschreibungen ....................................................................... 28
4.1 Stigmatisierung ................................................................................................. 28
4.2. Ethnisierung ..................................................................................................... 29
4.3. Die Verbindung von Jugendkriminalität und Kriminalisierung ........................... 30
4.3.1 Kriminalisierung .......................................................................................... 30
4.3.2 Erklärungsansätze zu Jugendkriminalität und -gewalt ................................. 32
4.4 Rolle der Medien ............................................................................................... 35
5.Soziale Arbeit mit MigrantInnen............................................................................ 36
5.1 Mögliche Barrieren ............................................................................................ 36
5.2 Konzepte und Handlungsansätze ...................................................................... 39
5.3 Integration und Teilhabe .................................................................................... 43
6. Reflexion des Forschungsprozesses und Ausblick ........................................... 45
Fazit ........................................................................................................................... 48
Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 52
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ 57
Anhang ....................................................................................................................... 58
1
Einleitung
Im Zusammenhang mit Migration werden aktuell in Deutschland
unterschiedliche Inhalte diskutiert. Hierbei geht es häufig um Themen wie
Integration von MigrantInnen, sowie um religiöse und kulturelle Überzeugungen,
gesellschaftliche Benachteiligung und Vorurteile.
Speziell junge Menschen mit Migrationshintergrund rücken mit ihrem Verhalten
und den Bedingungen ihres Aufwachsens in das Blickfeld der Aufmerksamkeit.
Die Sichtweisen von MitarbeiterInnen aus dem Bereich der Sozialen Arbeit,
welche mit den beschriebenen Jugendlichen arbeiten, werden in den erwähnten
Öffentlichkeitsdebatten nicht ausreichend mit einbezogen. Da gerade
professionelle HelferInnen in den Bereichen Schule und Jugendhilfe die
Jugendlichen in der Sozialisation und Integration unterstützen, wäre ein
Augenmerk auf deren persönliche Sicht- und Handlungsweisen sinnvoll (vgl.
Leiprecht 2012, o.S.).
Die vorliegende empirische Arbeit möchte daher das Augenmerk auf
pädagogische Fachkräfte und deren Vorstellungen über die Zielgruppe richten.
Die SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen arbeiten dabei in
unterschiedlichen Bereichen der Sozialen Arbeit mit den Jugendlichen
zusammen.
Das Erkenntnisinteresse basiert hierbei auf der grundlegenden Fragestellung,
welche Sichtweisen auf jugendliche MigrantInnen bestehen. Einerseits wird
untersucht, worin die Fachkräfte Gründe für Benachteiligung von jungen
MigrantInnen sehen. Andererseits soll der Fokus darauf gerichtet werden, wie
sich die Arbeit mit dieser Zielgruppe gestaltet. Dabei wäre zunächst zu
vermuten, dass der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Migration sowohl
die Sichtweisen von VertreterInnen der Sozialen Arbeit, als auch deren
Handlungsweisen beeinflusst. Weiterhin könnte angenommen werden, dass
dadurch auch Konzepte oder Ansätze zum Tragen kommen, die speziell auf die
Arbeit mit MigrantInnen ausgerichtet sind, beziehungsweise kulturbezogene
Komponenten enthalten. Diesen und ähnlichen Hypothesen soll im Verlauf
dieser Arbeit nachgegangen werden.
2
Um theoretisch in das Thema der Arbeit einzuführen, werden zunächst die
relevanten Begrifflichkeiten ‚MigrantIn‘ bzw. ‚Migrationshintergrund‘ näher
definiert. Ebenso wird anschließend erläutert, was im Kontext dieser Arbeit
unter dem Begriff Benachteiligung verstanden wird.
Das zweite Kapitel beschreibt darauf aufbauend den Forschungsverlauf. Hier
wird zunächst die qualitative Forschung skizziert, um anschließend die
Beschreibung der Datenerhebung anzuführen. Das Erhebungsverfahren des
problemzentrierten Interviews, als Methode der qualitativen Sozialforschung,
wird darauf folgend kurz vorgestellt, um nachfolgend auf die Erstellung des
Interviewleitfadens einzugehen. Anschließend erfolgt die Beschreibung des
Forschungsfeldes. Der letzte Punkt dieses Kapitels stellt das verwendete
Auswertungsverfahren, die qualitative Inhaltsanalyse, vor und benennt die
daraus entwickelten Themenkategorien. Diese Kategorien bilden die Grundlage
für die weiteren thematischen Schwerpunkte dieser Arbeit.
Die folgenden Kapitel enthalten schließlich die Ergebnisse der
Interviewauswertungen. Hier werden die Sichtweisen der befragten Fachkräfte
dargestellt oder fließen mit ein. Die gewonnen Erkenntnisse aus den Interviews
werden mit theoretischen Ansätzen und Fakten verknüpft. Diese ermöglichen
einen übergeordneten Zusammenhang und ergänzen die Forschung.
Kapitel drei beschreibt zunächst die Lebenssituation der Jugendlichen. Es
werden die Aspekte von Schule und Bildung, Sprache, Arbeitsmarkt und
Wohnort, bezogen auf die Lebenswelt der Jugendlichen, behandelt. Darin
werden Faktoren und Zusammenhänge herausgearbeitet, die sich aus Sicht der
Fachkräfte benachteiligend auf das Leben und Aufwachsen von jungen
MigrantInnen auswirken können.
Das vierte Kapitel fokussiert den gesellschaftlichen Umgang mit MigrantInnen in
Deutschland und damit verbunden die Prozesse der ‚Ethnisierung‘ und der
‚Kriminalisierung‘. Damit zusammenhängend werden Erklärungsansätze zum
Thema Jugendkriminalität und –gewalt skizziert. Denn gerade unter dem
Gesichtspunkt der Kriminalität werden Migrantenjugendliche im öffentlichen
Diskurs vielfach thematisiert. Zusätzlich wird die Rolle der Medien in diesem
Prozess erklärt, die keinen geringen Einflussfaktor auf bestimmte Vorstellungen
darstellt.
3
Im fünften Kapitel geht es um die konkrete Arbeit mit MigrantInnen. Hier werden
zunächst mögliche Barrieren beleuchtet, die unter Umständen den Zugang zu
einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und Zielgruppe
erschweren können. Daran anknüpfend werden bestehende Konzepte und
Handlungsansätze migrationsbezogener Arbeit kritisch erörtert. In diesem
Kapitel fließen Haltungen und Umgangsweisen ein, die in der Praxis Sozialer
Arbeit zum Tragen kommen und von der Verfasserin dieser Arbeit als wichtig
erachtet werden. Im letzten Punkt wird die Bedeutung von Integration in Form
von Teilhabe diskutiert, da dies eine wesentliche Aufgabe der Sozialen Arbeit
ausmacht.
Das sechste Kapitel stellt eine Reflexion dar, in der das Vorgehen im
Forschungsprozess rückblickend kritisch betrachtet wird. Außerdem wird ein
Ausblick auf weitere mögliche Entwicklungen und Schritte gegeben, die aus den
Erkenntnissen der Arbeit resultieren.
Abschließend werden die Ergebnisse in einem Fazit zusammengefasst und
daraus die Konsequenz für eine übergeordnete Perspektive von Sozialer Arbeit,
auch in Bezug auf die öffentliche Diskussion, gezogen.
1.Thematische Annäherung
Um eine Vorstellung zu bekommen, was der Begriff des ‚Migranten‘ impliziert,
warum auch der Begriff des ‚Migrationshintergrunds‘ häufige Verwendung
erfährt und was unter dem Terminus ‚benachteiligt‘ im Rahmen dieser Arbeit
verstanden wird, ist es notwendig, diese Begriffe zunächst näher zu bestimmen.
1.1 Migranten und der Begriff des Migrationshintergrunds
Abgeleitet von dem Begriff der ‚Migration‘ wird ein Migrant als eine wandernde
Person bezeichnet (vgl. Treibel 2008, S.298). Mit dem Begriff MigrantIn wird
somit ein Mensch beschrieben, der aus seinem Heimatland auswandert und in
ein neues Land einwandert. Folglich besitzt dieser Mensch eine eigene
„Migrationsgeschichte“ (ebd.).
Unabhängig von der tatsächlichen Staatsbürgerschaft fasst die Umschreibung
‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ die heterogene Gruppe der MigrantInnen
und ihre Nachkommen zusammen (vgl. ebd.).
4
Dieser Begriff ist in Deutschland seit einigen Jahren allgemein gebräuchlich und
bietet eine weitgefasste Definition (vgl. Treibel 2008, S.298).
Der Begriff des ‚Migrationshintergrunds‘ schließt im rechtlichen Sinne neben
Ausländern auch Aussiedler sowie Staatsbürger, die durch eine Einbürgerung
die deutsche Nationalität erhalten haben, ein. So zählt das statistische
Bundesamt zu den Menschen mit Migrationshintergrund „alle nach 1949 auf
das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle
in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche
Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in
Deutschland geborenen Elternteil“ (Statistisches Bundesamt 2011, S.6).
Nach dieser Definition gehören demnach nicht nur Personen zu dieser Gruppe,
die selbst migriert sind, sondern auch diejenigen, die einen Elternteil haben, der
eingewandert ist, beziehungsweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt.
Seit dem Jahr 2000 und dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz ‚lus Soli‘ (lat.
‚Recht des Bodens‘) können in Deutschland geborene Kinder die deutsche
Staatsangehörigkeit erhalten, wenn ein Elternteil mindestens seit acht Jahren
legal in Deutschland lebt und weitere festgelegte Voraussetzungen erfüllt
werden. Demnach gehören also auch die Kinder ausländischer Eltern, welche
mit einer deutschen und einer ausländischen Staatsangehörigkeit geboren
wurden, zur Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund (vgl. Statistisches
Bundesamt 2011, S.399; Razum/Spallek 2009, o.S.).
Insgesamt haben, nach Angaben des statistischen Bundesamtes, 15,7
Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund. Diese Zahl
entspricht einem Anteil von 19,3 Prozent, also gut einem Fünftel der deutschen
Bevölkerung (vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S.6f).
Anhand der verschiedenen Definitionen zeigt sich bereits an dieser Stelle, wie
komplex die Begrifflichkeit der Migration ist. Zudem stellen ‚die MigrantInnen‘
alles andere als eine einheitliche Gruppe dar. Sie unterscheiden sich allein
aufgrund ihrer Herkunft stark voneinander (vgl. BAMF 2009, S.20).
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So haben MigrantInnen in Deutschland ihre Wurzeln beispielsweise in der
früheren Sowjetunion und der Türkei –das Herkunftsland der größten
MigrantInnengruppe in Deutschland-, aber auch in Süd- und Osteuropa, im
ehemaligen Jugoslawien oder in asiatischen und afrikanischen Ländern (vgl.
BAMF 2009, S.20).
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich primär mit den Sichtweisen
pädagogischer MitarbeiterInnen auf die Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Diese Jugendlichen müssen nicht notwendigerweise eine eigene
Migrationserfahrung haben, stammen aber aus einer Familie mit einer
Migrationsgeschichte. Ein derartiger Migrationshintergrund trifft auf
schätzungsweise 30 Prozent der in Deutschland aufwachsenden Jugendlichen
zu (vgl. Butterwegge 2009, S.92).
Bundesweit beträgt der Anteil der unter 25-jährigen Jugendlichen mit
Migrationshintergrund mehr als ein Viertel, also etwa 6 Millionen. Davon sind
zwei Drittel in Deutschland geboren (vgl. Deimann 2009, S.139).
Im folgenden Verlauf der Arbeit werden die Begriffe ‚junge MigrantInnen‘,
‚Migrantenjugendliche‘ und ‚Jugendliche mit Migrationshintergrund‘ synonym
verwendet.
1.2 Von Chancenungleichheit und sozialer Benachteiligung
Innerhalb einer Gesellschaft ist davon auszugehen, dass bestimmte
Bevölkerungsgruppen bessere Lebenschancen haben als andere. Als
Lebenschancen werden an dieser Stelle Möglichkeiten, bestimmte Ziele im
Leben zu verwirklichen, die von einer Gesellschaft generell als erstrebenswert
angesehen und hoch bewertet werden, verstanden. Hierzu zählen
beispielsweise eine gute Ausbildung oder ein sicherer Arbeitsplatz. Es geht also
um die Chance an bestimmten, möglichst günstigen Lebensbedingungen Anteil
zu haben, beziehungsweise ungünstige zu umgehen (vgl. Meyer 2004, S.25).
Unterschiede in Bezug auf die beschriebenen Chancen bestehen, da die
Lebensbedingungen oder die Ressourcenausstattung von Menschen innerhalb
einer Gesellschaft ungleich verteilt sind (vgl. Hradil 2012, o.S.).
6
Diese Unterschiede sind unter anderem durch die ungleiche Verteilung von
Ressourcen innerhalb der Bevölkerung, wie zum Beispiel Arbeitsstellen,
Lebensbedingungen sowie Wohnverhältnisse, zu erklären. Somit ist von
‚Verteilungsungleichheit‘ die Rede. Dazu divergieren die Möglichkeiten
zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen, an vorteilhafte Positionen
innerhalb solcher Verteilungen zu gelangen. Dies bringt der Begriff
‚Chancenungleichheit‘ zum Ausdruck (vgl. Hradil 2012, o.S.).
Chancenungleichheiten bestehen insbesondere zwischen: Bildungs- und
Berufsgruppen, Altersgruppen, den Geschlechtern und auch ethnischen
Gruppierungen. Bestimmende Faktoren wie Bildungsgrade, Berufe, Familien-
und Lebensformen sind für die Einzelnen mehr oder weniger frei wählbar. Das
Geschlecht, soziale Herkunft oder die ethnische Zugehörigkeit sind hingegen in
der Regel unveränderlich. Der formale Bildungsgrad, die Erwerbstätigkeit, die
berufliche Stellung und das Einkommen machen in modernen Gesellschaften
die wichtigsten Dimensionen sozialer Ungleichheit aus. Dabei scheint der
erreichte Bildungsgrad der Menschen heute das größte Ausmaß sozialer
Ungleichheit darzustellen (vgl. ebd.).
Nach Pierre Bourdieu ergibt sich die Konstellation sozialer Ungleichheit in einer
Gesellschaft aus Ansammlungs- und Verteilungskämpfen um ökonomisches,
soziales und kulturelles Kapital. Ökonomisches Kapital kann mit Geldbesitz
gleichgesetzt werden (vgl. Lessenich 2011, S.1430f.).
Soziales Kapital meint die Anzahl sozialer Beziehungen, die ein Mensch besitzt
und die ihm im Laufe seines Lebens Vorteile verschaffen können. Unter
kulturellem Kapital versteht Bourdieu das Maß an kulturellem Wissen und
Güter, die ein Mensch sich angeeignet hat, beziehungsweise besitzt. Neben
dem Erwerb bestimmter Werte und Verhaltensweisen einer
Gesellschaftsgruppe, beinhaltet kulturelles Kapital auch die Bildung einer
Person. Dies bedeutet also, dass der individuelle Erfolg einer Person durch
gesellschaftliche Mechanismen gefördert, aber auch beschränkt werden kann
(vgl. ebd.).
Es kann angenommen werden, dass die jeweiligen Ressourcen der
Herkunftsfamilie entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität von
Jugendlichen haben (vgl. Szydlik 2007, S.81).
7
So entscheidet das Vorhandensein von ökonomischem Kapital zunächst über
den Wohnort der Familie, sowohl über die Wohnform (Haus oder Wohnung) als
auch über die Wohngegend. Weiterhin beeinflusst es die jeweilige Ausstattung
der Wohnung (Größe, Garten, Möbel etc.). Das ökonomische Kapital führt
anschließend zu einer Form der sozialen Anerkennung, die es Kindern und
Jugendlichen in sozialen Kontexten einfacher macht, sozial integriert zu
werden, beispielsweise durch das Vorhandensein begehrter Kleidung, Tiere,
Taschengeld etc. (vgl. Szydlik 2007, S.81).
Weiterhin hat das ökonomische Kapital auch einen hohen Einfluss auf das
Vorhandensein von sozialem Kapital. Eine gut situierte Wohngegend, der
berufliche Status der Eltern und deren Freunde und Bekannte aus dem gleichen
Milieu führen dazu, dass auch das Kind bereits in die gleichen sozialen Kreise
integriert wird. Kulturelles Kapital ist eng an ökonomisches Kapital geknüpft, da
finanzielle Ressourcen notwendig sind, um sich kulturelles Kapital, zum Beispiel
Bücher oder Instrumente aneignen zu können (vgl. ebd.).
Verschiedenen Studien zufolge existieren in verschiedenen Bereichen des
sozialen und gesellschaftlichen Lebens, insbesondere im Bildungsbereich,
häufig erschwerte Zugänge für junge MigrantInnen. Diese erschwerten oder
auch verhinderten Zugänge werden als soziale Benachteiligung dieser
Zielgruppe verstanden.
Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird, neben den Bereichen Bildung und Arbeit,
daher auch die soziale Herkunft fokussiert. An dieser Stelle wird näher
betrachtet, inwiefern sich diese Faktoren negativ auf die Lebenssituation der
Jugendlichen auswirken können.
Vor den Ergebnissen der empirischen Untersuchung wird zunächst der Verlauf
sowie das Forschungsfeld vorgestellt.
2. Der Forschungsverlauf
Das Interesse dieser Arbeit ist es, eine Vorstellung davon zu bekommen,
welche Sichtweisen bei SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen aus
unterschiedlichen Arbeitsfeldern gegenüber jugendlichen MigrantInnen
bestehen. Mögliche Fragestellungen sind beispielsweise: Worin sehen die
Fachkräfte mögliche Gründe für Benachteiligung?
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Wie gestaltet sich ihre Arbeit mit dieser Zielgruppe? Und inwieweit beeinflusst
der gesellschaftliche Rahmen die eigene Einstellung?
Im Folgenden werden zunächst die für die Forschung verwendeten Methoden
näher erläutert. Anschließend werden die Datenaufbereitung und die Art der
Datenauswertung beschrieben.
2.1 Qualitative Sozialforschung
Forschungsmethoden sind einzelne Verfahren und Techniken, mit deren Hilfe
ein Erkenntnisgewinn erreicht werden soll. Durch das Verwenden
unterschiedlicher Methoden sollen nachvollziehbare und rationale Erkenntnisse
über verschiedene Zusammenhänge, Abläufe und Ursachen der Wirklichkeit
aufgestellt werden. Dies geschieht mit Hilfe von Theorien und Hypothesen (vgl.
Raithel 2008, S.7).
Qualitative Forschung will die besonderen Eigenschaften und Merkmale eines
sozialen Feldes, mit Hilfe verschiedener Methoden, so genau und differenziert
wie möglich erfassen. Sie möchte verstehen, was in ihrem jeweiligen
Objektbereich passiert, ohne die Informationen messbar zu machen. Im Fokus
steht die Sicht des Handelnden, welcher Gegenstand der Untersuchung ist (vgl.
ebd.).
Da es in der Arbeit darum geht, individuelle Einstellungen und Erfahrungen der
befragten Fachkräfte zu entdecken und zu analysieren, bietet es sich an
qualitativ zu forschen.
Im Vergleich zum quantitativen Ansatz zeichnet sich die qualitative Methode
durch eine sehr viel größere Offenheit und Flexibilität aus. So besteht die
Möglichkeit, während des Interviews auf die Befragten einzugehen. Dabei
beantworten die InterviewpartnerInnen die Fragen aus ihrer eigenen
Wirklichkeitsperspektive. Sie sind selbst die ExpertInnen für ihre eigenen
Bedeutungsgehalte (vgl. Lamnek 2005, S.348; Mayring 2002, S.66). Auf diese
Weise erhält man durch ein qualitatives Interview individuelle Sichtweisen,
Empfindungen und Handlungsmuster der Befragten.
Mittlerweile existiert eine Vielzahl qualitativer Interviewtechniken, die ganz
unterschiedliche Bezeichnungen tragen, wie etwa: Exploration, Offenes
Interview, Tiefeninterview, Fokussiertes Interview, Narratives Interview und
Problemzentriertes Interview (vgl. Mayring 2002, S.66f.).
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Sie ähneln sich in der Offenheit der Frageformulierungen und der Auswertung,
unterscheiden sich allerdings im Grad ihrer Strukturiertheit (vgl. Mayring 2002,
S.66f.).
2.2 Datenerhebung
Für die Fragestellung der Untersuchung, die Sichtweisen von
sozialpädagogischen Fachkräften zu erfahren und zudem den
gesellschaftlichen Einfluss zu beleuchten, bietet sich das Erhebungsverfahren
des problemzentrierten Interviews an.
Unter dieser, von Andreas Witzel geprägten, Bezeichnung, sollen alle offenen
und halbstrukturierten Befragungsformen zusammengefasst werden. Das
problemzentrierte Interview lässt die Befragten so frei wie möglich zu Wort
kommen, sodass es einem offenen Gespräch ähnelt. Dennoch ist es auf eine
bestimmte Problemstellung gerichtet, die vom Interviewer eingebracht wird und
auf die er durch eigene Intervention im Interviewprozess immer wieder
zurückgelangt. Die Problemstellung ist von der interviewenden Person zuvor
analysiert worden. Es wurden bestimmte Aspekte erarbeitet, die in einem
Interviewleitfaden zusammengestellt sind und die im Verlauf des Interviews
angesprochen werden (vgl. Mayring 2002, S.67).
Das problemzentrierte Interview kennzeichnet drei Grundgedanken. Diese
gestalten den gesamten Prozess der Forschung und beziehen sich
aufeinander:
1. Zentrales Kriterium ist die Problemzentrierung. Diese bedeutet, dass an
gesellschaftlichen Problemstellungen angesetzt wird, deren wesentliche
Aspekte bereits vor der Interviewphase erarbeitet wurden.
2. Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Gegenstandsorientierung im Verfahren.
Dies beinhaltet eine unvoreingenommene Herangehensweise an das
Untersuchungsfeld, um offen für dessen Besonderheiten zu bleiben.
3. Die Prozessorientierung beschreibt schließlich eine ständige Reflexion im
Prozess der Erhebungs- und Auswertungsphase, um offen für neue
Erkenntnisse zu bleiben (vgl. Witzel 1996, S.53ff.). Aufgrund dieser
Grundgedanken wurden im Rahmen des Interviews oder anschließend an
einigen Stellen Nachfragen gestellt.
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Nach Witzels Konzeption des qualitativen Interviews beinhaltet die
Datenerhebung einen vorgeschalteten Kurzfragebogen, den Leitfaden, die
Tonbandaufzeichnung und ein Interviewprotokoll (vgl. Schmidt-Grunert 1999,
S.42f.). Der Kurzfragebogen, der zur Erfassung der sozio-demografischen
Daten (wie Alter, Beruf und Familienstand) dient, war für den Interviewverlauf
und die Auswertung der Gesprächsdaten nicht relevant und wurde daher nicht
verwendet. Der Aspekt der Berufserfahrung im jeweiligen Arbeitsfeld wurde von
den Befragten im Verlauf des Gesprächs selbst thematisiert.
Nach den Interviews wurde jeweils ein Postskriptum verfasst. In diesen
Interviewprotokollen werden durch die Aufzeichnung nicht erfasste Eindrücke
schriftlich festgehalten, wie beispielsweise die Situation der Kontaktaufnahme,
eigene Zweifel beim Nachfragen, Anmerkungen zur Dynamik des Gesprächs,
zur Atmosphäre, nonverbale Reaktionen und Einflüsse der
Rahmenbedingungen. Diese Informationen sind in den Auswertungsprozess mit
eingeflossen (vgl. Schmidt-Grunert 1999, S.42f.).
2.2.1 Der Interviewleitfaden
Der Erstellung des Leitfadens ist die Beschäftigung mit verschiedenen, das
Thema betreffenden theoretischen Bezügen aus wissenschaftlicher Literatur
vorausgegangen. Die zentralen Aspekte für den Interviewleitfaden wurden aus
der genannten zentralen Fragestellung heraus zusammengestellt.
Auf die Reihenfolge der Fragen und die genaue Formulierung wurde während
der Interviews nicht geachtet. Die Fragen wurden so gestellt, dass sie in den
Gesprächsfluss passen und den InterviewpartnerInnen verständlich sind. Es
war lediglich wichtig, die Themen des Leitfadens während des Interviews mit
den GesprächspartnerInnen zu bearbeiten. Die Fragen sind offen formuliert,
was den GesprächspartnerInnen ermöglicht, ihre persönlichen Denkweisen frei
zum Ausdruck zu bringen und auch selbst Schwerpunkte zu setzen, die sie für
relevant erachten.
Auf Seiten des Interviewers dient der Leitfaden als Orientierungsrahmen und ist
für eine gewisse Vergleichbarkeit der Aussagen sinnvoll. Über die
Leitfadenfragen hinaus wurden auch spontan im Interviewprozess Nachfragen
und Ad-hoc-Fragen gestellt, um den Gesprächsfaden zu erhalten bzw. wenn es
für die Themenstellung von Bedeutung ist (vgl. Mayring 2002, S.70).
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Der Leitfaden wurde auf Realisierbarkeit mit der Erstreferentin abgesprochen
und gestaltet sich wie folgt:
1.) Inwieweit sind Ihrer Meinung nach Jugendliche mit Migrationshintergrund
benachteiligt und worin sehen Sie die Ursachen dafür?
Was verstehen sie unter einer gelungenen Integration, im Hinblick auf die
Lebenssituation der Jugendlichen?
2.) Können Sie beschreiben, was Ihre Arbeit mit der Zielgruppe kennzeichnet?
Gibt es ein bestimmtes Konzept/einen Ansatz, der im Leitbild Ihrer
Einrichtung verankert ist? Können Sie dies erklären?
Halten Sie dies für notwendig? Wenn ja, warum?
Können Sie eine persönliche Erfahrung damit beschreiben?
3.) Bestehen Barrieren bzw. Schwierigkeiten in der Arbeit mit jugendlichen
MigrantInnen?
Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen dabei?
Gibt oder gab es Situationen, in denen Sie sich selbst unsicher gefühlt
haben, bezüglich Handlungs- und Umgangsweisen?
4.) Steht die Soziale Arbeit unter dem Einfluss gesellschaftlicher Sichtweisen in
Bezug auf diese Zielgruppe?
Durch bestimmte Vorstellungen und Zuschreibungen durch Medien und
Politik?
Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie Sie das selbst in Ihrer
beruflichen Praxis erleben?
5.) Gibt es noch Ergänzungen und Wünsche Ihrerseits oder Bereiche, die Sie
für wichtig halten und die nicht angesprochen wurden?
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2.2.2 Beschreibung des Forschungsfeldes
Für die Forschung wurden drei unterschiedliche Arbeitsfelder ausgewählt: Ein
internationales Jugendzentrum, die Abteilung der Jugendgerichtshilfe und die
Gemeinwesenarbeit in einer Stadtrandsiedlung. Alle drei Einrichtungen
befinden sich in einer Großstadt in Hessen.
Durch die Wahl verschiedener Einrichtungen ist es möglich, ein breiteres
Spektrum an Informationen und Zusammenhängen zu erhalten, die das Thema
betreffen und die sich gegenseitig ergänzen. Kriterium für die Auswahl war,
dass der Arbeitsbereich Jugendliche als Zielgruppe miteinschließt, die zudem in
unterschiedlicher Form von sozialer Benachteiligung betroffen sind.
Arbeitsschwerpunkte und Zielgruppen der jeweiligen Einrichtung
Durch die unterschiedlichen Felder gestaltet sich die Arbeit mit den
Jugendlichen sehr unterschiedlich. Das Jugendzentrum arbeitet in Form von
Bildungs-, Beratungs- und Freizeitangeboten mit Jugendlichen ab zehn Jahren.
Zur Zielgruppe zählen vor allem Kinder und Jugendliche mit
Migrationshintergrund, AsylbewerberInnen und sozial benachteiligte Kinder und
Jugendliche. Die Angebote sind nicht speziell nur auf MigrantInnen ausgerichtet
und die AdressatInnen sind, beispielsweise in Schulklassen und Sozialtrainings,
sehr gemischt (vgl. Interview 1, Z.17-23; Z.375-397 u.a.).
In einem Gespräch zur Vorbereitung des Interviews konnte eruiert werden, dass
die Jugendgerichtshilfe Jugendliche und Heranwachsende zwischen 14 und 21
Jahren berät und betreut, gegen die ein Strafverfahren eingeleitet wurde.
Neben Beratungsgesprächen im Amt, Begleitung in der Gerichtsverhandlung
und Haftbesuchen, gibt es auch ambulante Angebote wie Soziale
Gruppenarbeit und Anti-Gewaltseminare.
Im Unterschied zu diesen Arbeitsfeldern, die hauptsächlich mit Jugendlichen
arbeiten, ist die Gemeinwesenarbeit weniger zielgruppenspezifisch. Als
AdressatInnen lassen sich hier besonders Menschen in benachteiligten
Lebenssituationen beschreiben. Für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit
wurden die MitarbeiterInnen jedoch nach Projekten gefragt, die sich speziell mit
den betroffenen Jugendlichen beschäftigen (vgl. Interview 3, Z.188-209, Z.236-
243).
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Interviewdurchführung und erste Eindrücke
Zunächst wurden die MitarbeiterInnen der verschiedenen Einrichtungen
schriftlich angefragt, ob sie zu einem Interview im Rahmen einer Bachelorarbeit
bereit wären. Hierbei wurde das Thema kurz skizziert. Nachdem von allen
Seiten eine positive Rückmeldung kam, wurden telefonisch Termine für ein
Gespräch vereinbart. Hierbei kam noch einmal zur Sprache, um was es in der
Arbeit geht. Außerdem wurde gefragt, ob die GesprächspartnerInnen mit einer
Aufzeichnung der Interviews einverstanden wären, was bei allen der Fall war.
Die Anonymisierung der Daten wurde ebenfalls zugesichert. Alle Gespräche
fanden im jeweiligen Büro am Arbeitsplatz der Befragten statt.
Das erste Interview mit der Sozialpädagogin des Jugendzentrums dauerte über
eine Stunde. Die Gesprächsatmosphäre war von Beginn an angenehm und
entspannt.
Bei der Jugendgerichtshilfe gab es eine kleine Änderung. Die
Gesprächspartnerin, die sich für das Interview bereit erklärt hatte, musste
kurzfristig zu einem Außentermin und so übernahm ein Kollege das Interview.
Anfangs wirkte er etwas angespannt und ungehalten. Dies änderte sich aber im
Laufe des Gesprächs deutlich und die Atmosphäre wurde entspannter.
Beim dritten Interview mit der Sozialpädagogin der Gemeinwesenarbeit gab es
zu Beginn eine Irritation. Obwohl im Voraus das Thema der Arbeit und um was
es sich ungefähr handele, benannt worden war, war sie im Gespräch sichtlich
überrascht, dass es um jugendliche MigrantInnen geht. Sie erklärte, dass in der
Siedlung, in der sie hauptsächlich arbeitet, wenige MigrantInnen wohnen,
sondern vor allem deutsche Sinti-Familien. Im direkt angrenzenden Wohngebiet
leben allerdings viele Migrantenfamilien. Dieses gehört jedoch gar nicht zum
Zuständigkeitsbereich und dort findet keine Gemeinwesenarbeit statt. Auch
wenn es folglich in diesem Gespräch nicht primär um die Zielgruppe dieser
Arbeit ging, konnten viele relevante Gesichtspunkte in Bezug auf die
Rahmenbedingungen vom Leben in einem benachteiligten Umfeld und eigene
Handlungskonzepte miteinfließen. Dadurch bildet es eine passende Ergänzung
zu den anderen Interviews.
Sowohl das zweite als auch das dritte Interview dauerten ungefähr eine halbe
Stunde. Im Anschluss an das letzte Interview wurde das Gespräch noch
persönlich weiterführend zum Thema und darüber hinaus fortgesetzt.
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2.3 Die Datenauswertung
Alle Interviews wurden mit Hilfe eines Aufnahmegerätes aufgezeichnet. Dies
dient als Grundlage zur Transkription, der Verschriftung des Gesprächs. Für die
Transkription existieren bestimmte Richtlinien, mit denen beispielsweise auch
nonverbale Äußerungen dargestellt werden können. In der vorliegenden Arbeit
wurde nach Richtlinien von Lamnek transkribiert (siehe Anhang).
Dies erfolgte in vereinfachter Form, was für die Auswertung als ausreichend
und sinnvoll erschien. Auf diese Weise entstanden die im Anhang aufgeführten
Transkripte, welche die Grundlage für die Auswertung bilden.
Für die Auswertung der gewonnen Daten existieren in der qualitativen
Sozialforschung unterschiedliche Methoden. Für die durchgeführten Interviews
empfiehlt sich das Analyseverfahren der qualitativen Inhaltsanalyse, die von
Philipp Mayring mitbegründet wurde. Mit dieser Technik soll das Material
schrittweise analysiert werden. Es wird in Einheiten zerlegt und nacheinander
bearbeitet.
Orientiert wurde sich an der zusammenfassenden Inhaltsanalyse. Ziel ist es,
das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben,
gleichzeitig aber überschaubar werden. Hierfür wird das Material paraphrasiert,
das heißt es werden weniger relevante und bedeutungsgleiche Paraphrasen
gestrichen und ähnliche zusammengefasst (vgl. Mayring 2002, S.115). Dadurch
wird ein Kategoriensystem entwickelt. Diese Kategorien werden in einem
Wechselverhältnis zwischen der Fragestellung und dem konkreten Material
entwickelt, ständig überprüft und überarbeitet (vgl. Mayring 2002, S.114f.;
Mayring 2010, S.59).
Im Auswertungsprozess entstanden die folgenden Kategorien:
- ‚Lebenssituation der Jugendlichen‘ mit den Unterkategorien ‚Schule und
Bildung‘, ‚Sprache‘, ‚Arbeitsmarkt‘ und ‚Wohnort‘.
- ‚Gesellschaftliche Sichtweisen‘ mit den Unterkategorien ‚Kriminalität und
Kriminalisierung‘ und die ‚Rolle der Medien‘
- ‚Soziale Arbeit mit MigrantInnen‘ mit den Unterkategorien ‚Mögliche Barrieren‘,
‚Konzepte und Handlungsansätze‘ und ‚Integration und Teilhabe‘.
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In den folgenden Kapiteln werden die in den Interviews erhobenen Daten
anhand der gebildeten Kategorien ausgewertet. Theoretische Bezüge werden
damit in Zusammenhang gebracht. Daher sind die ausgewerteten Kategorien
nicht vollständig deckungsgleich mit der nachfolgenden Gliederung.
3. Lebenssituation der Jugendlichen
Anhand der Betrachtung unterschiedlicher Bereiche der Lebenswelt von jungen
Menschen wird analysiert, wie bestimmte Faktoren sich nachteilig für die
Zielgruppe junger MigrantInnen in Deutschland gestalten können.
3.1 Schule und Bildung
In den Interviews wurde das Thema Bildung in Zusammenhang mit den
Ursachen von Benachteiligung erwähnt. Die Undurchlässigkeit des
Bildungssystems und die damit verbundenen schlechteren Bildungs-, Aufstiegs-
und Zukunftschancen werden mitunter als eine der Hauptursachen für die
Benachteiligung von MigrantInnen gesehen (vgl. Interview 1, Z.34-36.; Interview
2, Z.13-16).
Bildungsbenachteiligung lässt sich nicht, wie häufig angeführt, allein auf Defizite
von jungen MigrantInnen, wie etwa Sprachprobleme und Lernschwierigkeiten
zurückführen. Einflussfaktoren bilden unter anderem die frühe Selektion nach
Schulformen, länderspezifische Strukturen von Schulangeboten und bestimmte
Mechanismen von institutioneller Diskriminierung im Schul- und
Ausbildungssystem (vgl. Butterwegge 2009, S.101).
Nach Dubet/Lapeyronnie ist die Rolle der Schule durch ein Paradox
gekennzeichnet: Einerseits gilt sie als wichtigste Institution, die den am meisten
benachteiligten Gruppen die Möglichkeit zur Integration bietet. Andererseits hat
sie sich zu einem „Auslese- und Ausgrenzungsapparat“ (Dubet/Lapeyronnie
1994, S.32) entwickelt, der Ungerechtigkeit verstärkt (vgl. ebd.).
Selektion und Undurchlässigkeit des Schulsystems schränken somit die
Situation und Entwicklungsmöglichkeiten der Jugendlichen deutlich ein.
„Aber die Chancen dann aus ner Förderschule dann wieder rauszukommen und
mehr als nen Hauptschulabschluss zu erreichen, das geht ja wirklich gegen
Null“ (Interview 2, Z.54-56).
16
Durch das bestehende System werden SchülerInnen häufig auf einem
bestimmten Niveau gehalten und höhere Schulformen werden ihnen nicht
zugetraut. Sind sie erst einmal auf einer bestimmten ‚Schiene‘, ist ein hoher
Aufwand nötig, den eigenen Bildungsweg positiv zu beeinflussen (vgl. Interview
2, 47-53).
Zudem spielen auch das Wissen und die Kenntnis über verschiedene Formen
und Zugänge des Bildungssystems eine entscheidende Rolle. Dies hängt
letztendlich auch mit dem Bildungsniveau der Eltern zusammen. Wenn die
verschiedenen Bildungswege wie Abendrealschule oder Fachgymnasium bei
den Eltern nicht bekannt sind, werden sie ihr Kind auch nicht bei diesen
Schulformen beraten oder unterstützen können.
Wenn keine Kenntnis darüber besteht, wie das deutsche Schulsystem
aufgebaut ist und wie es funktioniert, da es von den Eltern selbst vielleicht gar
nicht durchlaufen wurde, müssen zunächst Wege gefunden werden, um an
Informationen zu gelangen. Folglich erschwert fehlendes Wissen die Zugänge
und kann zu weiterer Benachteiligung führen.
Neben der Wahl der Schulform kann auch fehlendes Wissen der Familien über
Studien- und Ausbildungsförderung, zum Beispiel in Form von BAföG oder
Bildungskrediten dazu führen, dass aus finanziellen Gründen ein Bildungsweg
nicht eingeschlagen wird (vgl. Interview 1, Z.53-60; Z.82-91).
Die Gründe für eine Benachteiligung in schulischer Hinsicht können weiterhin
durch die Kapitaltheorie nach Bourdieu untermauert werden (siehe Kapitel 1.2).
Allerdings ist es wichtig, die Gruppe der jugendlichen MigrantInnen und ihre
Bildungssituation nicht vorrangig als problembelastet und defizitär
wahrzunehmen, wie es sehr oft im öffentlichen Diskurs geschieht. Auch sich
verallgemeinernd auf ‚die MigrantInnen‘ zu beziehen, gestaltet sich als kritisch.
Zwischen den Jugendlichen mit verschiedener Herkunft lassen sich deutliche
Unterschiede feststellen, wie das folgende Schaubild verdeutlicht (vgl.
Arnold/Maier 2010, S.15f.).
17
Abbildung 1: Schulabschlüsse im Vergleich (nach Arnold/Maier 2010: S. 16)
Hieraus wird ersichtlich, dass Jugendliche türkischer Herkunft im Vergleich zu
anderen Migrantengruppen, hier im Vergleich zu jungen Spätaussiedlern,
schlechtere Schulabschlüsse erwerben. Trotzdem machen 18 Prozent der 20
bis 29 Jährigen das Abitur.
Deutlich höhere Abschlüsse erreichen die in Deutschland geborenen und
aufgewachsenen Jugendlichen mit türkischen Wurzeln als die in der Türkei
aufgewachsenen Gleichaltrigen (vgl. Arnold/Maier 2010, S.16).
Es ist zu berücksichtigen, dass es genauso auch erfolgreiche Bildungs- und
Berufslaufbahnen gibt: „Dieser Überbegriff ‚jugendliche Migranten‘ erfasst ja
dann auch gar nicht in ihrer Gesamtheit alle Menschen. Da gibt’s denk ich mir
aus bestimmten Ländern Migranten, die wunderbar, ich sag mal integriert sind,
in der Zwischenzeit. Die dritte, vierte Generation, die Abitur macht“ (Interview 3,
Z.15-18).
Oft werden diese erfolgreichen Bildungsverläufe allerdings noch als positive
Ausnahme und nicht als Normalität angeführt. „Wobei es natürlich Ausnahmen
gibt, ne. Wir haben ja auch Leute, die es schaffen über große Anstrengungen
auch letztendlich zu studieren. Aber die Mehrzahl derer, mit der wir es zu tun
haben, die einen Migrationshintergrund haben, sind eindeutig benachteiligt“
(Interview 2, Z.56-59).
18
Trotz der erschwerten Zugangsmöglichkeiten zur Bildung verfügen
MigrantInnen der dritten und vierten Generation im Durchschnitt über eine
bessere Bildung als ihre Eltern und Großeltern.
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes, wächst zudem der Anteil der
Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die den mittleren Schulabschluss oder
das Abitur schaffen (vgl. Arnold/Maier 2010, S. 15f.).
Er ist jedoch im Vergleich zum Anteil der deutschen Jugendlichen nach wie vor
niedriger. Viele der jungen MigrantInnen, hier etwa 31 Prozent, besuchen nach
wie vor die Hauptschule. Bei den deutschen Jugendlichen ohne
Migrationshintergrund ist der Anteil mit etwa 19 Prozent deutlich geringer (vgl.
Abbildung 1).
Auch wenn der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss insgesamt sinkt, sind
es dennoch mehr als doppelt so viele MigrantInnen wie deutsche SchülerInnen.
Die Ursache für dieses schlechtere Abschneiden liegt, Analysen zufolge, nicht
zuletzt an der sozialen Herkunft (vgl. BBMFI 2010, S.9f.). So konstatiert
Strohmeier, ähnlich wie Bourdieu, dass Einkommensarmut und Bildungsarmut
zusammenhängen (vgl. Strohmeier/Alic 2006, S.12).
Natürlich gilt dieser Zusammenhang nicht nur für Migrantenfamilien, sondern
ebenso für Familien ohne Migrationshintergrund.
Dennoch lässt sich feststellen, dass Migrantenfamilien in hohem Ausmaß davon
betroffen sind. Besonders bei Kindern und Jugendlichen besteht ein stark
erhöhtes Armutsrisiko. Beispielhaft soll hier der Sozialbericht 2007 von
Nordrhein-Westfalen genannt werden: Dort tragen knapp 43 Prozent der unter
18-jährigen MigrantInnen ein Armutsrisiko, bei der Vergleichsgruppe ohne
Migrationshintergrund sind es knapp 15 Prozent. Unmittelbar damit hängt
zusammen, dass Eltern mit Migrationshintergrund oft Geringverdiener sind und
häufig keinen in Deutschland anerkannten beruflichen Ausbildungsabschluss
haben (vgl. Deimann 2009, S.144).
Dass ein Zusammenhang zwischen schlechten Bildungschancen, niedriger
Schichtzugehörigkeit und Migrationshintergrund besteht, wurde durch die
Ergebnisse der PISA-Studie demonstriert. Diese Faktoren führen zusammen zu
einer unstrittigen Benachteiligung von Migrantenjugendlichen im Bildungssektor
(Spindler 2006, S.165).
19
3.2 Sprache
Ein weiterer Punkt, der eng mit der Bildungsbenachteiligung in Verbindung
steht, ist die Sprache. Dieser Aspekt wird von zwei der befragten
SozialpädagogInnen eingebracht.
Sprachbarrieren, speziell bei MigrantInnen, die noch nicht lange in Deutschland
leben, spielen auch eine Rolle in Bezug auf Benachteiligung in der Schule und
auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Interview 1, Z.40-42; Interview 2, Z.17f).
Eine gute Alternative zum übrigen Bildungssystem, das bestimmte Zugänge
verweigert, bildet die EIBE-Klasse, in der die Mitarbeiterin des Jugendzentrums
tätig ist. Es handelt sich hierbei um einen Lehrgang zur Eingliederung in die
Berufs- und Arbeitswelt an einer berufsbildenden Schule, an welcher der
Hauptschulabschluss absolviert werden kann. Es gibt eine Klasse für
SprachanfängerInnen, die nach Deutschland immigriert oder als AsylantInnen
gekommen sind (vgl. Interview 1, Z.17-34).
Aufgrund von Sprache bestehen oft auch große Unsicherheiten im Umgang mit
Behörden und beim Ausfüllen von Formularen. Hier wirkt sich unter Umständen
auch die mangelnde Sprachkenntnis der Eltern von Jugendlichen aus, die
schon länger in Deutschland leben. Wenn diese keine Unterstützung geben
können, müssen sich die Jugendlichen an bestimmte Anlaufstellen wenden (vgl.
Interview 1, Z.72-78). Im Vergleich zur Elterngeneration sind die
Sprachkompetenzen der Jugendlichen jedoch deutlich besser (vgl. DGB
Bundesvorstand 2010, S.8).
Sicherlich ist es wichtig, die Sprache der Mehrheitsgesellschaft zu erlernen und
gut zu beherrschen, gerade im Hinblick auf die persönliche Schul- und
Berufslaufbahn, aber auch auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dies
sollte auch ohne Frage ermöglicht und gefördert werden.
Beachtet werden muss allerdings auch, dass oft nur die einseitige Forderung
der Mehrheitsgesellschaft besteht, gutes Deutsch zu sprechen und die
Mehrsprachigkeit vieler Jugendlichen gar nicht als Bereicherung gesehen wird:
„Dass nur gefordert wird, die müssen ein gutes Deutsch sprechen, aber gar
nicht gesehen wird, dass sie auch noch ein gutes Türkisch sprechen oder
überhaupt Türkisch sprechen. Also diese Mehrsprachigkeit wird in der Form
auch gar nicht geschätzt“ (Interview 1, Z.247-250).
20
Zwei- und Mehrsprachigkeit, die viele junge MigrantInnen mitbringen, sollte
daher als eine Kenntnis und Ressource mehr wertgeschätzt werden und
erhalten bleiben.
An dieser Stelle ist die Unterstützung von pädagogischer Seite gefragt,
Jugendlichen diese Ressourcen aufzuzeigen.
Laut Erfahrung der Sozialpädagogin des Jugendzentrums sind sich
beispielsweise manche Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund gar
nicht darüber bewusst, dass die türkische Sprache, die sie teilweise fließend
beherrschen, auch eine Sprachkenntnis ist (vgl. Interview 1, Z.260-265).
Gerade bei der Arbeitsplatzsuche kann diese zusätzliche Sprachkompetenz
einen Vorteil darstellen.
3.3 Arbeitsmarkt
Doch auch beim Übergang in eine Ausbildung und anschließend auf den
Arbeitsmarkt haben Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland oft
schlechtere Chancen, als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Ursachen
hierfür sind einerseits die schon erwähnt durchschnittlich niedrigeren
Schulabschlüsse aufgrund der Chancenungleichheit im deutschen
Bildungssystem und die angespannte Situation auf dem Ausbildungsmarkt. Es
lässt sich jedoch nicht abstreiten, dass auch der Migrationshintergrund damit im
Zusammenhang steht.
Selbst bei gleichen Schulnoten und Schulabschlüssen haben jugendliche
MigrantInnen geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz, auch wenn sie in
Deutschland geboren sind (vgl. DGB Bundesvorstand 2010, S.10).
Gerade bei höher Qualifizierten mit gleichem Bildungsgrad wird dies deutlich:
90 Prozent der hochqualifizierten Männer ohne Migrationshintergrund zwischen
20 und 29 Jahren hatten im Jahr 2007 einen Arbeitsplatz, aber nur 81 Prozent
derjenigen mit Migrationshintergrund.
Jugendliche MigrantInnen können demnach neben direkter auch indirekter
Diskriminierung, in Form von derartiger Benachteiligung, ausgesetzt sein (vgl.
Ottersbach 2009, S.65; DGB Bundesvorstand 2010, S.10).
21
Aufgrund besserer Perspektiven im Ausland, gehen manche junge Erwachsene
in das Herkunftsland ihrer Eltern, auch wenn sie selbst es vielleicht nur aus dem
Urlaub kennen.
„[…] hab ich ganz viele junge, hier in Deutschland aufgewachsene Frauen und
Männer kennengelernt, die nach ihrem Studium in die Türkei gegangen sind,
weil sie da Topangebote bekommen haben. Ja mit ihrem Studium, mit ihrem
kulturellen und sprachlichen Hintergrund und diese Möglichkeiten, die ihnen
dort geboten wurden, diese Chancen hätten sie hier nie gehabt und nie geboten
bekommen. Und das find ich eigentlich ne traurige Sache“ (Interview 1, Z.230-
236).
Neben den erworbenen schulischen Qualifikationen, ist demnach auch der
Migrationshintergrund ein entscheidender Faktor beim Einstieg in das
Berufsleben. Die Chancen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt werden nicht nur
durch unterschiedliche Qualifikationen bestimmt, sondern Diskriminierung und
Vorurteile beeinflussen die Chancengleichheit.
Diese Sichtweise wird auch von Ergebnissen aus einem Pilotprojekt
untermauert: Anonymisieren junge Menschen mit Migrationshintergrund ihre
Bewerbungsunterlagen, zeigt sich eine deutliche Verbesserung von
Jobchancen, besonders für MigrantInnen. Gerade der Name spielt bei
Bewerbungen keine unbedeutende Rolle. Beim anonymisierten Verfahren, wo
lediglich die Qualifikation ersichtlich ist, ist davon auszugehen, dass sich die
Chance auf einen Arbeitsplatz erhöhen kann (vgl. Siems 2012, o.S.).
Nachdem die Bereiche der Bildung und Arbeit betrachtet worden sind, soll nun
das Wohnumfeld der Jugendlichen und dessen Einfluss auf das Aufwachsen
der jungen Menschen in den Blick genommen werden.
3.4 Der Wohnort
„Ich tendiere schon eher auch dazu zu sagen, es [die Benachteiligung, Anm.
der Verf.] hat auch was mit Schicht zu tun und es hat natürlich auch was […] mit
dem Milieu zu tun, in dem man aufwächst und in dem man sozialisiert wird. Und
in dem Leute sozusagen auch konzentriert werden“ (Interview 3, Z.29-33).
22
Nach Ottersbach und Zitzmann sind Jugendliche und MigrantInnen erst von
Exklusionsprozessen wie Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung betroffen,
wenn sie in einem bestimmten Milieu beziehungsweise in einem bestimmten
Stadtteil aufwachsen. Solche Sozialräume lassen sich oft in Randbezirken von
Städten finden. Sie sind wirtschaftlich, sozial und auch kulturell von der
restlichen Stadt separiert und haben keinen guten Ruf, das heißt sie sind
marginalisiert. Man spricht von ‚Sozialen Brennpunkten‘, neuerdings auch eher
von ‚marginalisierten Quartieren‘ und es existieren noch viele weitere
Bezeichnungen (vgl. Ottersbach/Zitzmann 2009, S.9).
Kennzeichen marginalisierter Quartiere sind unter anderem die wirtschaftliche
Schwäche, die eine hohe Arbeitslosenzahl und Sozialhilfedichte beinhaltet,
wenige kulturelle Einrichtungen, eine Häufung sozialer Probleme, eine
eindimensionale Sozialstruktur – wie ein hoher MigrantInnenanteil oder ein
hoher Anteil von HauptschülerInnen-, sowie ein schlechtes bzw. negatives
Stadtteilimage.
Nicht in jedem Quartier haben die einzelnen Aspekte das gleiche Ausmaß. Aber
gerade der letztgenannte Punkt, das Image des Wohnortes, ist
ausschlaggebend dafür, wie die Bewohner außerhalb des Quartiers
wahrgenommen werden (vgl. Ottersbach 2009, S.58f.).
So kann ein bestimmter Wohnort weitere Benachteiligungen mit sich bringen,
wenn er beispielsweise den Erfolg bei der Ausbildungs- und Stellensuche
schmälert: „Die Adresse A-Siedlung öffnet nicht gerade den Weg zur Deutschen
Bank“ (Interview 3, Z.83f.).
Das negative Image des Wohngebiets wird einerseits von außen aufgesetzt und
andererseits von Bewohnern des Stadtteils teilweise reproduziert. Das
bedeutet, dass negative Sichtweisen übernommen werden und sich dies
beispielsweise in einer abgrenzenden Haltung gegenüber bestimmten Gruppen
wie Migranten im Quartier äußert (vgl. Ottersbach 2004, S.69).
Die Jugendlichen selbst haben ein bestimmtes Bild von ihrem Umfeld, das sie
prägt. Dieses Bild kann sich negativ, aber auch positiv konstruieren.
„Wir hatten ne Zeit lang viele Jugendliche im Café unten aus K-Stadtteil, die
auch so ein bisschen in Anführungsstrichen ‚Ghettoleben‘, diesen Stolz drauf
haben […]“ (Interview 1, Z.101-103).
23
„Und ich musste letztens halt einfach schmunzeln, weil der [ein Jugendlicher,
Anm. d. Verf.] halt mit großem Stolz dieses K-Stadtteil Ghettoleben hervorhebt
[…] Also das wird auch so bisschen verherrlicht. […] Ich bin auch in K-Stadtteil
groß geworden, ja und auch in dieser Gegend. Und habe das nie als schlimmes
Ghetto empfunden […] Klar gibt es dort auch immer noch Handlungsbedarf und
das ist ein Stadtteil, der seine Schwierigkeiten hat. Aber ich würd‘s jetzt nicht so
sehen, wie das teilweise Jugendliche darstellen“ (Interview 1, Z.113-124).
Zum einen kann es also sein, dass die Jugendlichen ihr Stadtviertel selbst gar
nicht so negativ sehen, wie dies von der Bevölkerung außerhalb des Wohnortes
wahrgenommen wird. Andererseits kann das Quartier, wenn diesem schon der
Ruf eines ‚Ghettos‘ zugeschrieben wurde, auch idealisiert werden. Die
Jugendlichen identifizieren sich mit dem entsprechenden Image und bringen
dies beispielsweise in der Subkultur des Hip Hop zum Ausdruck.
Didier Lapeyronnie beschreibt die Situation in französischen Städten und stellt
fest: Wenn soziale Probleme und ein hoher MigrantInnenteil in einem
Stadtviertel zusammenkommen, gilt es aus der Perspektive der umliegenden
Viertel und der übrigen Stadtbevölkerung als Ghetto (vgl. Dubet/Lapeyronnie
1994, S.78). Dies kann auch auf deutsche Städte übertragen werden, ohne an
dieser Stelle einen Vergleich zu ‚Ghettos‘ in anderen Ländern ziehen zu wollen.
Der Begriff an sich wird auch im deutschen Raum im alltäglichen
Sprachgebrauch für manche Wohnorte verwendet.
In solchen Stadtvierteln wie von Lapeyronnie beschrieben, konzentrieren sich
bestimmte Gruppen von Menschen, die häufig mehrfachen Problemlagen
ausgesetzt sind. Man sagt auch, ein bestimmtes Quartier sei ‚segregiert‘.
3.4.1 Segregation
Segregation bezeichnet die räumliche Konzentration der Einwohner mit
bestimmten Merkmalen in bestimmten Teilen der Stadt (vgl. Strohmeier/Alic
2006, S.13). Die Stadtforschung unterscheidet hierbei soziale Segregation – die
räumliche Trennung von Arm und Reich, demografische Segregation – die
räumliche Trennung von Familienhaushalten und anderen Haushaltsformen und
ethnische Segregation – die räumliche Trennung von Einwanderern und
‚Einheimischen‘ (vgl. Strohmeier/Alic 2006, S.13).
24
Nach Klaus Strohmeier hängen die drei Dimensionen von Segregation
zusammen. Daraus ergibt sich: Wo die meisten Kinder in der Stadt leben, leben
die meisten MigrantInnen und die meisten Armen (vgl. Strohmeier/Alic 2006,
S.13).
Gewöhnlich wird nur die Segregation der ‚under class‘ als Problem angesehen,
weil sich hier die Problemlagen der Benachteiligten konzentrieren.
Ethnische Segregation erscheint immer als Effekt von freiwilligen und
unfreiwilligen Entscheidungen. Zum einen haben MigrantInnen in bestimmten
Wohnanlagen große Zugangsschwierigkeiten, sei es aus finanziellen Gründen
oder aufgrund von Diskriminierungsbarrieren des Wohnungsmarktes
beziehungsweise von Vermietern. Letzteres spielt überhaupt bei der
Entstehung von Segregation, auch ethnischen Gruppen, die entscheidende
Rolle. Zum anderen suchen mehrere MigrantInnen auch die Nähe zu
Landsleuten oder familiären Netzwerken, was sich unter „symbolischer
Identifikation“ (Strohmeier/Alic 2006, S.18) verorten lässt (vgl. ebd.;
Krummacher 2007, S.111).
Nicht jede soziale Segregation muss gleich ein soziales Problem darstellen.
Auch die räumliche Segregation von MigrantInnen ist nicht gleich
problematisch. Gebiete in denen viele Bewohner einer bestimmten Nationalität
leben, können auch einen Schutzraum bieten. Häußermann führt an, dass eine
gute Integration ‚nach innen‘, auch eine Integration in die Mehrheitsgesellschaft
ermöglichen kann. Entscheidend dabei ist, ob die Bewohner freiwillig oder
unfreiwillig in diesem Quartier leben. Wenn sie keine Wahl haben, kann die
‚ethnische Kolonie‘ eine erzwungene Isolation bedeuten (vgl. Häußermann
2001, S.42).
Wenn allerdings nur nach ethnischer Herkunft unterschieden wird, besteht die
Gefahr zu pauschalisieren und Stereotypen von ‚den Türken‘ oder den
‚Spätaussiedlern‘ zu bilden. Deshalb ist es hilfreich, einen Bezug zum jeweiligen
Milieu herzustellen, aus dem ein Jugendlicher stammt.
Die Zuordnung zu einem bestimmten Milieu umreißt den Lebensstil, die
Wertorientierung und damit die gesellschaftliche Identität des jungen Menschen
(vgl. Arnold/Maier 2010, S.11ff.).
25
Die Sinusstudie zum Thema ‚Was junge Migranten bewegt. Lebenswelten von
Jugendlichen und jungen Menschen mit Migrationshintergrund‘ zeigt, dass
Menschen des gleichen Milieus mit unterschiedlichen Migrationserfahrungen
oder –hintergründen mehr miteinander verbindet als mit dem Rest ihrer
Migrantengruppe aus anderen Milieus.
Normen und Werte unterscheiden sich zum Beispiel dahingehend, ob jemand
aus einer stark an der Heimatkultur orientierten Gruppe oder aus einer
statusorientierten Gruppe von MigrantInnen stammt. Mit diesem Hintergrund
hängt dann unter anderem auch zusammen, wie gehoben die Bildung und das
Einkommen einer Person sind (vgl. Arnold/Maier 2010, S.11-13).
Nach den Rahmenbedingungen für die Lebenssituation der Jugendlichen, soll
nun das soziale Umfeld betrachtet werden.
3.4.2 Das soziale Umfeld: Freizeit, Peergroup und Clique
„[…] vielleicht in B-Stadtviertel oder K-Stadtteil oder E-Stadtviertel, wo jetzt nicht
nur das Finanzielle und die Sprache, sondern auch die Wohngegend vielleicht
Einfluss auf meine Entwicklung haben. Weil ich vielleicht auch andere Sachen
vorgelebt bekomme, mit anderen Sachen in Kontakt komme“ (Interview 1, Z.97-
101).
Das Umfeld, in dem man aufwächst, beeinflusst die eigene Entwicklung und
Sozialisation entscheidend. Zu welchen Personen und Gruppen besteht
Kontakt? Von welchen Werten und Normen wird man geprägt?
Es ist anzunehmen, dass beispielsweise Jugendliche in einem Sozialraum mit
vielen SozialhilfeempfängerInnen und von Armut betroffenen Menschen andere
Erfahrungen machen, als in einem Viertel in dem überwiegend Familien der
Mittelschicht leben.
Geringe finanzielle Mittel wirken sich auf die Freizeitgestaltung und den Zugang
zu kulturellen Angeboten aus. Wenn es am Wohnort wenige Möglichkeiten gibt
und es gleichzeitig an Geld fehlt, an Angeboten und Vereinen außerhalb des
Viertels teilzuhaben und diese erst überhaupt zu erreichen, ist die Auswahl sehr
beschränkt.1 Jugendzentren findet man dagegen in fast jedem Stadtteil vor (vgl.
Interview 1, Z. 396-413).
1 Vgl. auch Ausführungen zu Bourdieu unter Kapitel 1.2
26
Sie werden entsprechend genutzt, besonders von Jugendlichen, die wenig
andere Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten haben. Sind diese allerdings
vorhanden, ist ein Jugendzentrum weniger relevant. Häufig zählen überwiegend
Jugendliche mit Migrationshintergrund zum Besucherpublikum. Welche
Nationalitäten vertreten sind, ist sicherlich auch vom jeweiligen Stadtteil
abhängig (vgl. Interview 1, Z. 396-413).
Jugendliche, die in benachteiligten Vierteln leben, verfügen meist über enge
soziale Netzwerke, die nicht über den Stadtteil hinausreichen. Diese Netzwerke
sind vom sozialen Milieu, aus dem sie kommen, geprägt (vgl. Ottersbach 2009,
S.64). Hier spielt die Peergroup, die Gruppe der Gleichaltrigen eine wichtige
Rolle. Sie ist wichtig für den Sozialisationsprozess der Jugendlichen und kann
unter Umständen auch als Familienersatz fungieren. In der Übergangszeit von
der Schule zur Arbeitswelt, der Loslösung von der Familie, der Neuorientierung
und der Suche nach Identität nimmt die Bedeutung der Peergroup generell zu
(vgl. Schröder/Leonhardt 2011, S.156f.; S.180).
In Bezug auf die Wahrnehmung von Freizeitangeboten und Konsumverhalten
wird davon ausgegangen, dass es keinen Unterschied zwischen jugendlichen
MigrantInnen und deutschen Gleichaltrigen aus einem ähnlichen Umfeld gibt.
Jedoch verbringen Migrantenjugendliche ihre Freizeit oft unter sich, das heißt
unter Landsleuten (vgl. Leiprecht 2001, S.101f.; Steinmetz 1987, S.53).
„[…] was wir auch immer wieder beobachten in den Problemstadtteilen, das
sind, ich sag mal jetzt die Russlanddeutschen bleiben unter sich und daneben
gibt’s die Gruppe der marokkanischen Jugendlichen und daneben gibt’s ne
andere Gruppe der türkischen Jugendlichen. Da findet vielleicht
zwischeneinander noch ein bisschen Austausch statt. Aber dass diese drei
Gruppen jetzt nen sehr ausgeprägten Kontakt zu in Deutschland geborenen
Jugendlichen ohne Migrationshintergrund haben, das ist selten“ (Interview 2,
Z.72-78).
27
Für die Zugehörigkeit zu einer jugendlichen Clique kann Herkunft
ausschlaggebend sein; beispielsweise stammen alle Mitglieder aus dem
gleichen Stadtteil und haben einen türkischen Migrationshintergrund. Dies kann
von Jugendlichen in homogenen Cliquen als identitätsstiftend erlebt werden.
Allerdings muss dies nicht zwangsläufig Bedingung sein, was Cliquen mit
Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft zeigen (vgl. Spindler 2006, S.250ff.).
Genauso wenig sollte daraus schlussgefolgert werden, dass sich
Migrantenjugendliche zwangsläufig allein aufgrund ihrer ethnischen Herkunft
einer Gruppe Jugendlicher desselben Hintergrunds anschließen.
Einerseits erfolgt die Bildung von Freundesgruppen jugendlicher MigrantInnen
oft an anderen Orten als denen, die von Deutschen genutzt werden. So
entstehen diese beispielsweise öfter in öffentlichen Räumen wie auf Spiel- und
Sportplätzen oder auch um Jugendzentren herum.
Zudem beeinflusst die Wahrnehmung der Freundesgruppe durch die
Öffentlichkeit und deren negative Zuschreibungen wie beispielsweise
‚gefährliche Gruppe von Ausländerjugendlichen, die Ärger machen‘, dass sich
die betroffenen Jugendlichen zusammenschließen, während sich andere
Jugendliche, beispielsweise ohne Migrationshintergrund, eher von diesen
Gruppen abgrenzen (vgl. Tekin 2003, S.171).
In diesem gesellschaftlichen Rahmen wird die Zugehörigkeit zur Clique für die
Jugendlichen noch wichtiger. Denn dieser Rahmen wird bestimmt „durch ihren
sozialen Status als Angehörige der Unterschicht und durch ihren Status als
Angehörige einer ethnischen Minderheit“ (Tekin 2003, S.171). Diese zweifache
Rahmung zwingt die Jugendlichen in ein doppeltes Konfliktfeld und bewirkt,
dass sie sich verstärkt an dieser Gruppe orientieren, mit der sie sich auch
identifizieren (vgl.ebd.).
Die beschriebenen Bereiche wirken sich in unterschiedlicher Form auf die
Lebenssituation von jungen MigrantInnen aus und können auch entsprechend
Benachteiligungen mit sich bringen. Einzelne Faktoren hängen meist
zusammen. Insbesondere der Wohnort und das soziale Umfeld sind eng
miteinander verwoben und lassen sich nicht losgelöst voneinander betrachten.
28
Die Ursachen und Gründe für Benachteiligungen lassen sich jedoch schwer
verallgemeinern und müssen individuell für einzelne Jugendlichen gesehen
werden.
4.Gesellschaftliche Zuschreibungen
Im nächsten Schritt wird die gerade erwähnte gesellschaftliche Wahrnehmung
beschrieben. Es wird dargestellt, wie bestimmte Vorstellungen für die Haltung
gegenüber und den Umgang mit Jugendlichen MigrantInnen verantwortlich sind
und welche Auswirkungen diese haben.
4.1 Stigmatisierung
„[…] du vermittelst ein Bild in der Gesellschaft und dementsprechend trittst du
den Jugendlichen gegenüber und das find ich schade, weil es einfach nicht die
Realität ist. […] Und einerseits brandmarkst du die Jugendlichen ja damit“
(Interview 1, Z.623-629).
In der öffentlichen Wahrnehmung herrschen nach wie vor bestimmte
eindimensionale Denkweisen zum Thema Jugendliche und Migration vor. Durch
die Pluralisierung von Lebenswelten in der modernen Gesellschaft wird dieser
Themenkomplex inzwischen ausdifferenzierter behandelt.
Dennoch werden jugendliche MigrantInnen oft problemzentriert
wahrgenommen, wie sich erneut durch die Thematisierung von so genannten
Parallelgesellschaften und Integrationsschwierigkeiten in der dritten und vierten
Generation zeigt (vgl. Geisen/Riegel 2007, S.15). Damit erfolgt gleichzeitig auch
eine Stigmatisierung.
Der Begriff ‚Stigmatisierung‘ beschreibt den Prozess, in dem einer Person
negativ bewertete Merkmale und Eigenschaften, wie ‚asozial‘ oder ‚gefährlich‘
von der Gesellschaft zugeschrieben werden. Dadurch wird sie, verbal oder
nonverbal, diskriminiert (vgl. Peuckert 2003, S.318).
Das wirkt sich auch auf die Interaktion der Mitmenschen mit dem
Stigmatisierten aus. Er wird abgewertet und hat keine Chance, sich mit seinen
Fähigkeiten zu beweisen, da er auf das negative Merkmal reduziert und alles
was er tut, im negativen Licht dessen beurteilt wird.
29
4.2. Ethnisierung
Wolf-Dietrich Bukow definiert den Begriff der Ethnisierung wie folgt:
„ ‚Ethnisierung‘ ist ein sozialer Ausschließungsmechanismus, der Minderheiten
schafft, diese (fast immer negativ) etikettiert und Privilegien einer dominanten
Mehrheit zementiert“ (Bukow 1996 zit. in: Butterwegge 2007, S.72).
In Teilen der deutschen Gesellschaft besteht eine Tendenz, Handlungen,
Verhaltensweisen und Probleme von MigrantInnen als ‚typisch‘ für die jeweilige
Herkunft oder Kultur zu interpretieren.
In diesen Prozessen der Ethnisierung werden Problemlagen als Folgen
kultureller Differenz oder ethnischer Besonderheit gesehen. Oft werden die
Ursachen in der familiären Erziehung und somit der Prägung durch die
Herkunftskultur vermutet. Das Augenmerk richtet sich gezielt auf die anderen
Traditionen, Lebensweisen, Normen und Werte und auf eine gesamte ethnische
Gruppe bezogen. So können dann beispielsweise auch schlechte
Schulleistungen von Migrantenjugendlichen einer ethnisierenden Deutung
unterliegen.
Dabei werden die eigentlichen Gründe, wie zum Beispiel Armut und soziale
Herkunft mehr oder weniger ausgeblendet. Anstatt die Lebensumstände, die
strukturellen Voraussetzungen und die Motive der Betroffenen entsprechend zu
analysieren, wird ein simpler Weg der Zuschreibung und Stigmatisierung
gewählt (vgl. Ritter 2011, S.44).
So entsteht ein „ethnisches Alltagswissen“ (Bukow et al. 2001 zit. in:
Spindler/Tekin 2003, S.239), das sich auf kulturellen Stereotypisierungen
gründet. Dadurch werden MigrantInnen von der Mehrheitsgesellschaft als
‚anders‘, auch als Problemfälle oder als mit Defiziten behaftet, wahrgenommen.
So werden ethnischen Minderheiten Bedeutungen zugeschrieben, weshalb sie
als solche überhaupt hervortreten (vgl. Tekin 2003, S.50; Spindler/Tekin 2003,
S.239).
Speziell von jugendlichen MigrantInnen werden in der Öffentlichkeit immer
wieder negative Bilder konstruiert. Die Jugendlichen werden mit gefährlichen
Cliquen, Gewalt, Kriminalität und auch Drogen in Verbindung gebracht. Im
Fokus stehen die Defizite der jugendlichen Lebenswelten (vgl. Geisen/Riegel
2007, S.15f.).
30
Diese Bilder verleihen den Jugendlichen demnach ein negatives Image und
können stigmatisierend wirken.
Bestimmte Gruppen wie männliche Jugendliche aus der Türkei, dem Kosovo
oder Albanien und junge Aussiedler, werden besonders aufmerksam betrachtet.
In Bezug auf weibliche und männliche Migrantenjugendliche, besonders mit
muslimischem Hintergrund, werden meist zwei unterschiedliche Bilder geformt:
Zum einen das Bild der Mädchen, die durch männliche Familienmitglieder
unterdrückt und in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Zum
anderen das Bild der problematischen Jungen, weil sie – von patriarchalen
Familienverhältnissen geprägt – auffällig und gewalttätig sind. Diese
Vorstellungen werden dabei verallgemeinernd auf den Großteil der
Angehörigen dieser Gruppe übertragen (vgl. Ottersbach/Zitzmann 2009, S.9;
Geisen/Riegel 2007, S.15f.).
4.3. Die Verbindung von Jugendkriminalität und Kriminalisierung
Im folgenden Kapitel soll nun dargestellt werden was passiert, wenn neben dem
Prozess der Ethnisierung noch eine Kriminalisierung der jungen Menschen
stattfindet.
4.3.1 Kriminalisierung
„[…] dieses Thema Jugendkriminalität, da schwingt dann natürlich auch immer
gleich die Frage rein, ob die Täter einen Migrationshintergrund haben oder
nicht“ (Interview 2, Z. 263-265).
In der öffentlichen Betrachtung von Jugendkriminalität wird die Situation der
Jugendlichen besonders prekär, wenn die begangene Tat von jungen
MigrantInnen verübt wurde. Kriminelle Delikte, aber auch insbesondere
Gewalttaten, werden oft mit kultureller Differenz in Zusammenhang gebracht.
Die Folge davon ist, dass ethnische Jugendgewalt schnell dramatisiert wird (vgl.
Liell 2007, S.269).
Noch nicht lange liegt die Debatte um den ehemaligen hessischen
Ministerpräsidenten Roland Koch und dessen Forderungen, kriminelle
Jugendliche härter zu bestrafen und straffällige AusländerInnen schneller
abzuschieben, zurück (vgl. Netzwerk Migration in Europa e.V. 2008, S.2).
31
Das Thema Jugendkriminalität und –gewalt, mit der Komponente ‚Migration‘,
wird immer wieder politisch genutzt und auch teilweise instrumentalisiert, um
gerade in Zeiten von Wahlkämpfen Aufmerksamkeit zu erregen (vgl. Interview
2, Z. 265-275).
In diesem Kontext wird gelegentlich die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zur
Erfassung von Straftaten angeführt um aufzuzeigen, dass nichtdeutsche
Jugendliche häufiger straffällig werden als deutsche Jugendliche. Anhand der
PKS können Aussagen darüber getroffen werden, inwieweit sich Gewalttaten
und andere kriminelle Delikte zwischen deutschen und nichtdeutschen
Personen2 unterscheiden (vgl. BMI 2011, S.35).
In der Betrachtung der Zahlen zeigt sich, dass der Anteil der Tatverdächtigen
bei nichtdeutschen jungen Erwachsenen bis 25 Jahren über dem der deutschen
Personen liegt. Bei Kindern und Jugendlichen dagegen ist der Anteil der
nichtdeutschen Tatverdächtigen dagegen geringer, als der von deutschen
Jugendlichen (vgl. ebd.).
In diesem Kontext muss die Begrenztheit der Aussagekraft der PKS durch
verschiedene Faktoren beachtet werden. Genannt werden soll hier besonders
der Einfluss des Anzeigeverhaltens der Bevölkerung und die polizeiliche
Kontrollintensität, die sich in verschiedenen (Wohn-)Gegenden stark
unterscheiden kann (vgl. BMI 2011, S.3).
Um die Ursachen von Jugendkriminalität und -gewalt zu erklären, existieren
zahlreiche theoretische Ansätze. Manche Erklärungsversuche weisen dabei
speziell auf mögliche Ursachen bei jugendlichen MigrantInnen.
An dieser Stelle wird auf eine umfassende Erläuterung verschiedener Theorien
verzichtet, um den Umfang dieser Arbeit nicht zu überschreiten. Nachfolgend
sollen allerdings die unterschiedlichen Deutungsmuster skizziert werden, um
die Bandbreite möglicher Erklärungsansätze darzustellen.
2 In der PKS wird lediglich nach deutsch und nichtdeutsch unterschieden. Zu den nichtdeutschen
Tatverdächtigen werden zum Beispiel auch Illegale und Touristen/Durchreisende gezählt. Ein eventueller Migrationshintergrund wird bei den deutschen Tatverdächtigen nicht berücksichtigt (vgl. BMI 2011, S.3; S.36).
32
4.3.2 Erklärungsansätze zu Jugendkriminalität und -gewalt
Zunächst fallen bestimmte Jugendliche in der Öffentlichkeit mehr auf als
andere, da sie mit ihrem Verhalten von bestimmten Wert- und
Normvorstellungen, die in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschen, abweichen.
Im Milieu der Jugendlichen können diese Verhaltensweisen stattdessen als
Norm gelten, da ihr Umfeld einen anderen Umgang damit vorgibt. Diese, aus
Sicht der Gesellschaft, devianten Verhaltensweisen lösen soziale Reaktionen
aus, die darauf zielen, die Betroffenen zu bestrafen, zu isolieren oder zu
bessern (vgl. Peuckert 2010, S.108).
Die Anomietheorie nach Merton, stellt einen Bezug zu sozioökonomischen
Benachteiligungen her. Demnach würden Jugendliche häufiger zu
abweichendem Verhalten und Kriminalität tendieren, wenn ihnen nur wenige
Ressourcen zur Verfügung stehen (vgl. Naplava 2010, S.233).
Hiermit vergleichbar ist auch der Desintegrationsansatz von Wilhelm Heitmeyer,
der oft benutzt wird, um die Gewalt junger Migranten zu erklären.
Desintegration meint an dieser Stelle das gleichzeitige Ablaufen verschiedener
Prozesse der Auflösung; beispielsweise die Auflösung verlässlicher
Familienformen und eines gemeinsamen Verständnisses von Werten und
Normen, besonders von Traditionen. Diese Auflösungsprozesse werden als
Verlust wahrgenommen. Nach Heitmeyer verarbeiten Menschen diese
Bedingungen auf verschiedene Weise und das könne zu Handlungen führen,
die Gewalt beinhalten. Er betont, dass gerade Jugendliche in Gruppen, auch in
Cliquen von Migrantenjugendlichen und anderer Peergroups, die eigenen
Erfahrungen in Gewalt ausdrückten. Dabei besteht allerdings die Gefahr,
wiederum Stereotype zu erzeugen und dadurch individuelle Gründe für
kriminelles Handeln oder Gewalttaten nicht zu beachten (vgl. Naplava 2010,
S.233; Spindler 2006, S.96ff.).
Zudem existieren weitere Ansätze, bei denen die Kulturdifferenz als
Ausgangspunkt genommen wird. Diese implizieren auch grundlegend andere
Wertvorstellungen: „[…] Weil bei denen das Wertesystem ein ganz anderes ist“
(Interview 2, Z. 148-158).
33
„Fakt ist, sie verstoßen hier gegen Gesetze und das geht nicht. Wenn sie sich
hier aufhalten, müssen sie diese Gesetze achten. Aber ähm, es ist natürlich
klar, dass ein türkischer oder marokkanischer Jugendlicher ganz empfindlich
reagieren wird, wenn man seine Familie beleidigt. Was sehr oftmals der
Hintergrund von Körperverletzungsdelikten auch ist. Während dem des
deutschen Jugendlichen, ja den wird’s auch stören, aber der wird nicht so
drastisch reagieren. Also da stoßen einfach zwei Welten aufeinander und ich
denk mal man muss dann schon hingucken […] also muss versuchen
nachzuvollziehen, warum diese Tat begangen wurde und kann das nicht alles
über einen Kamm scheren ja“ (Interview 2, Z. 148-158).
Sicherlich sollte die Herkunftskultur und damit verbundene Werte, wie
beispielsweise der Stellenwert der Familie, nicht außen vor gelassen, sondern
auch in die Zusammenarbeit mit einbezogen werden. Es stellt sich jedoch die
Frage, in wie weit andere Normen und Werte auf bestimmte Handlungsweisen
übertragen werden und dabei eventuell andere Gründe übersehen werden.
Gerade aus diesem Grund ist es notwendig, im pädagogischen Handeln
gleichzeitig den Einfluss der jeweiligen Kultur zu beachten, aber nicht darauf
fixiert zu sein.
Ansonsten könnte davon ausgegangen werden, dass sich die
Gewaltbereitschaft von männlichen Migrantenjugendlichen, aufgrund von einem
traditionellen Konzept von Männlichkeit und der patriarchalen Kultur, in der
mehr Gewalt in den Familien stattfindet, erhöht (vgl. Naplava 2010, S.233;
Spindler 2006, S.96ff.). Derartige Interpretationen sind jedoch kritisch
betrachten, da sie dazu neigen, klischeehaft zu verallgemeinern und zur
Stigmatisierung beitragen (vgl. ebd.).
Dagegen fokussiert der Labeling Approach, auch Etikettierungsansatz genannt,
von Fritz Sack, einen anderen Ausgangspunkt. Die Frage ist bei diesem, in
welchen Sozialbeziehungen, Interaktionen und Bedingungen die Jugendlichen
gewalttätig handeln. Wie wird die Gewalt von gesellschaftlichen Vorurteilen und
dem Suchen von Sündenböcken beeinflusst und wie sehen die Sanktionen aus
(vgl. Spindler 2006, S.103)?
34
Bei diesem Ansatz rücken somit auch die Vertreter der Kontrollinstanzen, deren
Erwartungen oder Alltagstheorien und die daraus resultierenden
Stigmatisierungen der Jugendlichen, in das Blickfeld.
Es geht somit darum, Kriminalität als soziale Erscheinung zu verstehen, die
nicht bestimmte Eigenschaften von Personen darstellt, sondern deren soziale
Beziehungen und gesellschaftlichen Bedingungen (vgl. Gransee/Stammermann
1992, S.24ff.).
Gesellschaftliche Zuschreibungsprozesse sind also nach diesem Ansatz für
abweichendes Verhalten von entscheidender Bedeutung. Auf diese
Zuschreibungen, sie seien kriminell oder gewalttätig, können die Jugendlichen
unterschiedliche Reaktionen zeigen. Wenn schon bestimmte Vorstellungen
existieren und festgefahren sind, ist es schwierig, aus der zugeschriebenen
Rolle wieder herauszukommen. So tendieren manche von ihnen dazu, dieses
Stigma anzunehmen und sich damit zu arrangieren: „Klar gibt es welche, die
sind stolz dann zu sagen, ‚Yeah, wir sind Gangster‘. Was bleibt ihnen auch
anderes übrig. Die kriegen den Stempel ab und entweder tragen sie es mit
dementsprechender Haltung. Dann sagen sie, wenn ich eh den Stempel hab,
dann verhalt ich mich auch so. Dann entsprech ich dem Bild, was jeder von mir
erwartet“ (Interview 1, Z.629-634).
Mit Hilfe der gerade skizzierten Labeling-Theorie könnte aufgezeigt werden,
dass die Stigmatisierung der ‚primären Abweichung‘, also die abweichenden
Verhaltensweisen der Jugendlichen aufgrund der ökonomischen und sozialen
Ungleichheit, eine ‚sekundäre Abweichung‘ provozieren kann. Dies bedeutet,
dass die gesellschaftliche Rollenzuschreibung entweder zu Resignation oder zu
Gewalt und Kriminalität führen kann. Dadurch wird das Stigma aufrechterhalten
und kann noch verstärkt werden (vgl. Ottersbach 2009, S.56f.).
Entscheidende Einflussfaktoren, die für bestimmte Vorstellungen und
Sichtweisen in weiten Teilen der Bevölkerung verantwortlich sind, bilden Politik
und Medien. Speziell auf letzteren Punkt soll nachfolgend näher eingegangen
werden.
35
4.4 Rolle der Medien
„Und was ich da im Freundeskreis hör, was wirklich mit Vorurteilen der
schlimmsten Art beladen ist, wo ich sage, woher habt ihr denn die Info und sie
sagen ‚Ahja, das kriegst du doch in den Medien mit‘. Ja eben, das kriegst du in
den Medien mit“ (Interview 1, Z.354-357).
Der Zusammenhang von Medien und vorherrschenden Sichtweisen über
Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund wurde im Gespräch
thematisiert (vgl. Interview 1, Z. 591-594). Viele Menschen kommen nicht selbst
mit Kriminalität und Gewalt in Berührung und haben trotzdem genaue
Vorstellungen davon, wie die Realität aussieht. Denn allem Anschein nach ist
die tägliche Berichterstattung davon in hohem Maß gefärbt Die Angst vor
Kriminalität beruht somit weniger auf eigenen Erfahrungen im Bekanntenkreis,
sondern wird von außen geprägt (vgl. Ronneberger 1998, S.31).
Diese Vorstellungen haben Einfluss auf den alltäglichen Umgang mit den
betroffenen Personengruppen, wie beispielsweise Jugendlichen. Sichtbar wird
dies schon an kleinen Alltagsbegegnungen: Aus Angst vor einer
unangenehmen oder gar gefährlichen Situation, trauen sich manche Menschen
sogar nicht, ein junges Mädchen, dass mehrere Plätze in der Bahn belegt,
darauf hinzuweisen, dass sie sich ebenfalls gerne setzen würden (vgl. Interview
1, Z.598-621).
Gerade Massenmedien berichten über Geschehnisse, bestimmte Personen –
auch bestimmte Personengruppen wie junge MigrantInnen- und beeinflussen
dadurch die Sichtweisen der Gesellschaft (vgl. Spindler 2003, S.71; Spindler
2006, S.86). Auf den Titelseiten der Medien erscheinen Schlagzeilen über ‚die
hohe Ausländerkriminalität‘ oder die ‚hohe Gewaltbereitschaft von
Jugendlichen‘. Berichte über ethnische Minderheiten handeln nicht selten von
Straftaten wie Raub, (Asyl-)Betrug oder auch Mord und Todschlag (vgl.
Butterwegge 2007, S.72). Hierbei sollte nicht aus dem Blick gelassen werden,
dass die Medien auch aus wirtschaftlichem Interesse operieren, da sie hohe
Auflagen beziehungsweise Einschaltquoten erreichen wollen. Daher besteht
auch ein grundlegendes Interesse an einer von Krisen und Konflikten geprägten
Berichterstattung, sowie an der Dramatisierung von Geschehnissen oder an
Verletzungen von Normen (vgl. Leenen/Grosch 2009, S.216f.).
36
Gerade auffällige Besonderheiten und mitreißende Geschichten sind
interessant und keine normalen Alltagsberichte. Männliche
Migrantenjugendliche sind als gefährliche Straftäter oder als klischeehafte
Machos in den Berichten gefragt, aber nicht als unauffällige BürgerInnen (vgl.
Leenen/Grosch 2009, S.216f.).
So tragen die Medien in besonderer Form zu einer negativen öffentlichen
Sichtweise auf jugendliche Migranten bei und damit zu deren Stigmatisierung.
Gleichzeitig beeinflussen sie dadurch auch direkt und indirekt die
Lebenssituation der jungen Menschen (vgl. Spindler 2006, S.90ff.).
5. Soziale Arbeit mit MigrantInnen
Nachdem nun unterschiedliche, die Lebenswelt der Jugendlichen betreffenden
Aspekte betrachtet wurden und anschließend dargelegt wurde, welche
Vorstellungen und Annahmen in Teilen der Gesellschaft über die Zielgruppe
bestehen, soll nun der Fokus gezielt darauf gerichtet werden, was sich daraus
an Konsequenzen für die Soziale Arbeit ergibt. Wie gestaltet sich die tägliche
Arbeit? Existieren Faktoren, die eine Zusammenarbeit erschweren? Gibt es
bestimmte Handlungsansätze? Welche Bedeutung kommt der Integrationsfrage
zu?
5.1 Mögliche Barrieren
Stefan Gaitanides spricht von einer Unterrepräsentation von MigrantInnen im
präventiven Bereich von sozialen Diensten, in den „Endstationen der Sozialen
Arbeit“ (Gaitanides 2006, S.225), wie Inobhutnahmen, Jugendgerichtshilfen und
Drogennotdiensten dagegen von einer Überrepräsentation (vgl. ebd.).
Trotz hoher Belastungen scheint es für viele Menschen mit Migrationserfahrung
Gründe zu geben, vorsorgende Maßnahmen weniger in Anspruch zu nehmen.
Gleichzeitig scheint es auf Seiten der Einrichtungen und ihrer pädagogischen
Fachkräfte Schwachstellen bei der Interaktion mit MigrantInnen zu geben.
Gaitanides hat im Laufe verschiedener Forschungen mehrere Möglichkeiten für
Zugangsbarrieren auf beiden Seiten zusammengestellt (vgl. ebd.).
37
So nennt er auf Seiten der potentiellen Nutzer unter anderem
Informationsdefizite und sprachliche Verständigungsschwierigkeiten als ein
Hindernis. Unter dem Punkt 3.2 wurde dieser Aspekt bereits angesprochen.
Des Weiteren könnte auf Seiten von MigrantInnen davon ausgegangen werden,
es bestünden ihnen gegenüber Vorurteile und ein Mangel an Akzeptanz
bezüglich ihrer Denk- und Handlungsweisen. Auch bestimmte Arbeitsweisen
und Beratungsansätze der Fachkräfte spielen möglicherweise eine Rolle. Hier
könnten geringe Erwartungen hinsichtlich einer lebenspraktischen Hilfe
bestehen, bzw. von Inkompetenz oder mangelndem Engagement der
BeraterInnen ausgegangen werden, wenn sich die Vorstellungen von Hilfe
unterscheiden. Schließlich kann auch eine generelle Angst vor Behörden und
Institutionen, einschließlich der Angst vor ausländerrechtlichen Folgen, den
Zugang erschweren (vgl. Gaitanides 2006, S.225).
Wichtig bei der Frage nach möglichen Barrieren ist, dass keine Fixierung auf
Zugangsprobleme von MigrantInnen stattfindet, sondern auch auf mögliche
ausgrenzende Einstellungen und Verhaltensmuster der Fachkräfte und des
institutionellen Rahmens geachtet wird. Denn „Nicht-Inanspruchnahme oder
geringerer Erfolg der Hilfeleistung sind immer auch das Ergebnis eines
Interaktionsprozesses“ (ebd., S.226).
Auf Seiten der MitarbeiterInnen kann es unter anderem vorkommen, dass
kulturelle Unterschiede überbetont und verallgemeinert und damit die
Individualität der KlientInnen verkannt wird. Möglich ist auch, dass
Kompetenzverlustängste bestehen und dadurch, mehr oder weniger bewusst,
eine Zusammenarbeit abgewehrt wird. Das kann auf der Annahme gründen,
dass im Umgang mit Migranten die erworbenen Qualifikationen entwertet
werden und dass die erlernten Methoden nicht funktionieren (vgl. ebd.).
In den durchgeführten Interviews wurden keine konkreten Barrieren oder
Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit thematisiert.
38
Im Gespräch mit dem Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe wurde allerdings
folgender Punkt angeführt: „Wo’s manchmal vielleicht ein bisschen
problematisch wird ist, wenn unsre Kolleginnen auf ´ne Familie treffen, die also
noch sehr äh hierarchisch strukturiert ist, ähm männerdominiert ja. Und dann
sitzt auf einmal ne Sozialpädagogin da und will sagen was richtig und falsch ist.
Aber ich mein das sind ja auch keine Berufsanfängerinnen und von daher. Aber
das mag gelegentlich ein Problem sein. […] Es existiert eigentlich weniger
gegenüber den Klienten direkt, als wenn die mit ihren Familien kommen und da
sitzt dann das Familienoberhaupt, der eindeutig das Sagen hat und äh dann ist
halt schon die Frage, wie ernst nimmt er das, was die Kollegin sagt“ (Interview
2, Z.186-201).
Hier wird eine mögliche Problemsituation angedeutet. Es wird eine
Migrantenfamilie aus einem traditionellen Milieu skizziert, bei welcher unter
Umständen Vorbehalte seitens des Vaters gegenüber weiblichen Fachkräften
bestehen, da eine bestimmte Vorstellung von Geschlechterrollen vorhanden ist.
So könnte sich während der Beratungssituation die Zusammenarbeit mit dem
Jugendlichen in Anwesenheit von Familienmitgliedern schwieriger gestalten.
Im Umgang mit unterschiedlichen KlientInnen wird allerdings auch immer
wieder auf Erfahrungswissen zurückgegriffen, da man bestimmte Muster in
verschiedenen Familien, beispielsweise türkischer oder marokkanischer
Herkunft, erneut antrifft (vgl. Interview, Z.215-217).
Hier ist zum einen wichtig, ein Verständnis vom jeweiligen kulturellen
Hintergrund zu haben, jedoch nicht jedes Verhaltensmuster unreflektiert darauf
zu übertragen.
In den Gesprächen wurde zur Sprache gebracht, dass es notwendig ist, sich
immer wieder auf neue Situationen und auf unterschiedliche Arten von
Personen offen einzulassen.
„Wenn es jetzt darum geht, Zugänge zu Jugendlichen zu bekommen, spielt es
keine Rolle was derjenige oder du bist. Sondern wie sind die Personen, die
aufeinander treffen, und daraus erschließen sich vielleicht Barrieren oder
Schwierigkeiten“ (Interview 1, Z.434-440).
39
„Aber wenn du natürlich nicht weißt, mit was für ´nem Publikum du arbeitest und
die dementsprechende Offenheit nicht mitbringst, kann das durchaus zu
Konflikten oder auch Schwierigkeiten führen“ (Interview 1, Z.434-440).
Es wird angedeutet, dass weniger Schwierigkeiten oder Zugangsprobleme
aufgrund kultureller Unterschiede existieren, die sich erschwerend auf die Arbeit
mit den Jugendlichen auswirken. Stattdessen spielt der generelle
zwischenmenschliche Umgang und die persönliche Einstellung und
Herangehensweise der Fachkräfte eine entscheidende Rolle.
5.2 Konzepte und Handlungsansätze
Wenn von Handlungsansätzen in Bezug auf die Arbeit mit MigrantInnen die
Rede ist, fallen schnell Schlagworte wie ‚interkulturelle Kompetenz‘,
‚interkulturelle Öffnung‘, ‚kulturelle Vielfalt und Differenz‘ oder
‚Migrationssensibilität‘. Teilweise könnte der Eindruck gewonnen werden, dass
die Vielzahl an Begrifflichkeiten immer unübersichtlicher wird. Gleichzeitig stellt
sich mehr denn je die Frage, was die Begriffe eigentlich implizieren und was
das für die Praxis der Arbeit bedeutet.
Die Reaktionen der Sozialen Arbeit sind von den wechselnden Formen der
Migration und den damit verbundenen Problemlagen bestimmt. Seit den 1950er
Jahren sind Konzepte, je nach Phasen der Migration und den politischen
Reaktionen, immer wieder verändert und weiterentwickelt worden. Ein
bedeutsamer Paradigmenwechsel hat Ende der 80er Jahre von der
sogenannten Ausländersozialarbeit zur interkulturellen Sozialen Arbeit
stattgefunden (vgl. Hamburger 2006, S.179; Yildiz 2011, S.32).
Eine grundlegende These dafür besagt, dass multikulturelles Zusammenleben
in einem Einwanderungsland wie Deutschland gesamtgesellschaftliche
Lernprozesse auslöst. Auf Seiten der MigrantInnen und auf Seiten der
deutschen Gesellschaft sollen in der Interaktion sowohl das eigene als auch
das fremde Handeln wahrgenommen und persönliche Standpunkte hinterfragt
werden. Dies schließt einen einseitigen Lern- und Veränderungsprozess auf
Seiten der Migrierten aus. Im Zuge dessen gewinnen auch landeskundliche,
fremdsprachliche und sozialkommunikative Fähigkeiten –oder kurz:
interkulturelle Kompetenzen- für Fachkräfte immer mehr an Bedeutung (vgl.
Yildiz 2011, S.38f.).
40
Dazu gehören besonders Interaktionsfähigkeiten durch das Aneignen von
Empathie, Toleranz, Offenheit, Kooperations-und Konfliktfähigkeit sowie
Selbstreflexion. Kulturelle Vielfalt soll nicht nur toleriert, sondern auch als
Bereicherung angesehen und genutzt werden (vgl. Yildiz 2011, S.38f.).
Inzwischen gibt es erweiterte Konzepte und kritische Weiterentwicklungen
innerhalb der interkulturellen Sozialen Arbeit. Von verschiedenen Seiten wird
am interkulturellen Ansatz unter anderem kritisiert, dass einerseits eine
Überladung mit vielen unterschiedlichen Gesichtspunkten vorherrscht und
andererseits die Differenzen und die Kulturfrage zu stark betont werden.
Hamburger spricht davon, dass „die einfachere Lösung, dass helfende
Interaktionen durch Freundlichkeit und persönliches Interesse am Wohlergehen
des Anderen hinreichend gesichert in Gang kommen können, […] hinter einem
Dickicht von abstrakten Kulturalisierungen unter[gehen]“ (Hamburger 2006,
S.182).
Es ist von „Reflexiver Interkulturalität“ (Hamburger 1999 zit. in Nick 2006,
S.242) die Rede. Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft soll nicht
unreflektiert hinsichtlich kultureller Deutungen und Zuschreibungen stattfinden.
In dem Zusammenhang ist es notwendig, die eigene gesellschaftliche und
kulturelle Prägung miteinzubeziehen (vgl. Nick 2006, S.242; Yildiz 2011, S.40f.).
„[…] dadurch, dass Soziale Arbeit von, ich sag mal Menschen ausgeübt wird,
die natürlich dem Einfluss von allen möglichen Faktoren auch ausgesetzt sind,
steht natürlich Soziale Arbeit immer in direktem Einfluss auch von
gesellschaftlichen Meinungen. Ich denk, professionell ist dann zu gucken, was
ist das was ich da gerade denke. Also ist das tatsächlich fachlich oder ist das
gerade meine eigene, also sind das meine eigenen Vorurteile“ (Interview 3, Z.
95-101).
Wichtig ist an dieser Stelle sowohl die eigene Reflexion der Arbeit, sowie der
kollegiale Austausch. Es erfordert ein genaues Hinschauen, um
unterschiedliche Dimensionen von Problemlagen zu erkennen und
nachvollziehen zu können (vgl. u.a. Interview 1, Z.506-514; 536-543; Interview
2, Z.237-241; 367-371).
41
Eigene und bestehende Handlungsweisen der Einrichtung müssen immer
wieder neu durchleuchtet und konfrontiert werden. Das Prinzip der Offenheit
und ein authentisches Interesse an seinem Gegenüber als Schlüssel für eine
erfolgreiche Interaktion zwischen pädagogischen Fachkräften und den
Jugendlichen, werden mehrfach thematisiert. Um nicht voreiligen, falschen
Interpretationen und Stereotypisierungen zu unterliegen, ist bei
nichtverständlichen Aussagen und Handlungen der jugendlichen KlientInnen
oder fehlender Kenntnis auf Seiten der SozialpädagogInnen über bestimmte,
vielleicht kulturelle Zusammenhänge, genaues Nachfragen angebracht (vgl. u.a.
Interview 1, Z.506-514; 536-543; Interview 2, Z.237-241; 367-371).
Die persönliche Sichtweise und die Haltung der Fachkräfte spielen eine
wichtige Rolle. Dazu zählt Respekt, zum Beispiel auch vor (kulturell)
unverständlichen Handlungsweisen, Empathiefähigkeit, die mit Authentizität
korrespondiert, sowie das Bemühen um eine unvoreingenommene
Herangehensweise. Auch Konfliktfähigkeit stellt eine wichtige Fähigkeit dar, die
bestehende Probleme nicht aus Angst vor Missverständnissen oder Verletzung
kultureller Besonderheiten tabuisiert (vgl. Freise 2011, S.194ff.).
In vielen Situationen wird auf das eigene Erfahrungswissen aus langjähriger
Arbeit zurückgegriffen. „Wir haben ja seit 25 Jahren mit Migrantenjugendlichen
zu tun. Also man eignet sich im Laufe der Zeit doch so einen gewissen Fundus,
so ein Backgroundwissen an“ (Interview 2, Z.158-160).
Gleichzeitig braucht es hier allerdings das Bewusstsein, dass kein Mensch frei
von bestimmten Vorstellungen und ‚Schubladendenken‘ ist, gerade auch bei
langer Praxiserfahrung. Durch das Eingestehen von bestehenden Denkweisen
kann verhindert werden, dass verdeckte klischeehafte Zuschreibungen und
damit auch unterschwellige Ausgrenzungspraktiken, welche das Gegenüber als
‚anders‘ oder als ‚nichtdeutsch‘ definieren, die Zusammenarbeit erschweren
(vgl. Interview 2, Z.338f.; Gaitanides 2006, S.228; Melter 2009, S.108).
Ebenso bestehen immer auch mehr oder weniger Sympathien gegenüber
unterschiedlichen Klienten, die Einfluss auf Handlungsweisen haben können.
Deshalb ist hier auch ein reflektierter Umgang damit erforderlich (vgl. Interview
1, Z.448-456).
42
Wie Auernheimer anmerkt, ist es eine „Gratwanderung zwischen Ethnisierung
und Differenzblindheit“ (Auernheimer 2006, S.198).
Pädagogische Fachkräfte können Gefahr laufen, ihr Klientel entweder durch
Stereotypisierung oder aber durch Blindheit und Nichtbeachtung von
bedeutenden kulturellen Besonderheiten zu verärgern (vgl. Auernheimer 2006,
S.198).
Daher ist die Reflexion eigener Fremdbilder und die Sensibilisierung für die
Situation und die Reaktionen von Personen, die eventuell
Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, in der Praxis Sozialer Arbeit
notwendig. SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen sollten sich darüber
bewusst werden oder bewusst sein, dass benachteiligende und teilweise
rassistische Strukturen und Traditionen ihr eigenes Denken, und somit ihre
Sichtweisen nicht unbeeinflusst lassen. Dies meint jedoch nicht, ständig mit
einem Schuldgefühl zu handeln (vgl. ebd., S.200).
Die Herausforderung besteht darin, eine bestimmte Ambivalenz nicht auflösen
zu können. Dies drückt sich in einem Zitat von Pat Parker aus: „Wenn Du mit
mir sprichst, vergiss, dass ich eine Schwarze bin. Und vergiss nie, dass ich eine
Schwarze bin“ (zit. in: Gemende et al. 2007, S.17).
Eine ‚migrationssensible Haltung‘ und damit auch eine Rücksichtnahme auf
bestimmte kulturelle Besonderheiten sollten wie selbstverständlich in einer
Arbeitsweise enthalten sein, die am einzelnen Jugendlichen und seiner
Lebenswelt orientiert stattfindet und dessen Interessen vertritt.
Diese Achtung des kulturellen Hintergrunds kann ganz praktische
Auswirkungen haben, indem beispielsweise auf das Essensangebot geachtet
beziehungsweise erfragt wird, welche Gewohnheiten bestehen (vgl. Interview 2,
Z.225-231).
43
5.3 Integration und Teilhabe
Immer wieder wird die Integration von MigrantInnen in die deutsche
Gesellschaft sehr kontrovers diskutiert. Gerade in der Sozialen Arbeit mit ihrer
Aufgabe der sozialen Integration von Menschen in die Gesellschaft ist dies ein
Dauerthema. Es existieren verschiedene Konzepte darüber, was Integration
beinhaltet, wie sie gestaltet werden soll und welche Ziele dieser Prozess
konkret verfolgt.
Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu überschreiten, können die
unterschiedlichen Dimensionen und Formen von Integration an dieser Stelle
nicht diskutiert werden. Der Integrationsprozess von Menschen mit
Migrationshintergrund soll hier primär als Möglichkeit zur Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben betrachtet werden. Gleichzeitig impliziert Integration in
diesem Sinn keine völlige Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft und somit
keine Aufgabe der eigenen kulturellen Identität: „Und ob der dabei in die
Moschee geht oder in die Synagoge, das ist dann relativ unwichtig. Also ich
denk man muss schon gucken, dass man Räume lässt, in denen die Menschen
auch noch die sein können und dürfen, die sie sind. Und trotzdem die
Möglichkeit haben, an dem was die Gesamtgesellschaft für wichtig erachtet,
auch teilhaben zu können“ (Interview 3, Z. 71-75).
Im Hinblick auf die Beteiligung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben,
müssen die Voraussetzungen in den verschiedenen gesellschaftlichen
Bereichen, wie etwa Bildung, Arbeit, Politik oder Freizeit betrachtet werden (vgl.
Geisen/Riegel 2009, S.9).
Ein wichtiger Faktor ist der Zugang zum Bildungs- und Ausbildungsbereich.
Doch wie schon unter 3.1 und 3.3 erörtert wurde, sind junge MigrantInnen
gerade hier Benachteiligungen ausgesetzt und werden zudem mit
Zuschreibungserfahrungen konfrontiert.
Ihre Zugänge soziale und gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen, sind also
eingeschränkt. Es ist eine widersprüchliche Situation: Jugendlichen mit
Migrationshintergrund werden Zugänge verwehrt und sie werden häufig als
‚anders‘ betrachtet und ausgegrenzt. Gleichzeitig werden aber auch
Integrationsanforderungen gestellt (vgl. Geisen/Riegel 2009, S.8).
44
Sicherlich kann eine Gesellschaft den Anspruch haben, dass Menschen
bestimmte Kenntnisse erwerben und sich fördern lassen, beispielsweise beim
Erlernen der Sprache. Dies ist auch wichtig und unumgänglich, um am
gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Frage ist aber, inwieweit das von
der Seite der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht wird und welche Chancen sie
dazu überhaupt gibt (vgl. Geisen/Riegel 2009, S.9f.; Interview 1, Z.155-163;
Interview 2, Z.65-71).
Gerade bei den Zugängen zu Bildung, Arbeitsmarkt, aber auch freier
Wohnungswahl besteht hier nach wie vor großer Verbesserungsbedarf.
Integration kann keine einseitige Angelegenheit sein. Sie ist immer auch von
der Anerkennung und Aufgeschlossenheit der Mehrheitsgesellschaft abhängig.
Wenn über eine mangelnde Integrationsbereitschaft von jugendlichen
MigrantInnen diskutiert wird, muss gleichzeitig berücksichtigt werden, dass
Teile der Gesellschaft dieser Teilhabe mit einer ablehnenden Haltung
gegenüberstehen (vgl. Geisen/Riegel 2009, S.9f.; Interview 1, Z.155-163;
Interview 2, Z.65-71).
Die Integration von jugendlichen MigrantInnen in die Gesellschaft hat zum einen
also die soziale und gesellschaftliche Teilhabe als Voraussetzung, zum anderen
erschließt sich durch Integration wiederum Teilhabe an verschiedenen
gesellschaftlichen Lebensbereichen (vgl. Geisen/Riegel 2009 S.9f.).
In der aktuellen Debatte geht es auch immer mehr in Richtung ‚Inklusion‘:
„[…] Vielfalt, dass jeder sozusagen so sein darf wie er ist. Und trotzdem an den
wichtigsten Dingen des Lebens partizipiert“ (Interview 3, Z.59-61).
Wenn Inklusion sich auf Menschen bezieht, die in irgendeiner Form
benachteiligt sind, sei es aufgrund von Herkunft, Behinderung, Alter oder
anderen Gründen, ist Soziale Arbeit auch immer an diesem Prozess beteiligt,
arbeitet demnach inklusiv.
Da dies momentan ein wichtiges gesellschaftliches Thema ist, muss sich
Soziale Arbeit verstärkt damit auseinandersetzen und Position beziehen (vgl.
Interview 1, Z.289-301; Interview 3, Z.56-59).
45
6. Reflexion des Forschungsprozesses und Ausblick
Im Hinblick auf die gewonnen Erkenntnisse der empirischen Untersuchung,
erwies sich die Kombination aus problemzentriertem Interview und dem
Auswertungsverfahren der qualitativen Inhaltsanalyse als sinnvoll.
Da sich für das vorliegende Forschungsmodell die Auswertungsmethode relativ
aufwendig gestaltet, sollte bei einer ähnlichen Arbeit zukünftig in Erwägung
gezogen werden, die Methode besser anzupassen, indem beispielsweise
einzelne Verfahrensschritte reduziert werden.
Der selbst konzipierte Leitfaden ermöglichte eine gute Orientierung während
des Interviews. Das Gespräch konnte dabei in Richtung der Fragestellung
weitgehend gelenkt werden, ohne dabei zu viele Vorgaben über den genauen
Verlauf des Interviews zu geben. Durch diese offene Form der
Gesprächsführung fielen die Antworten der Befragten sehr umfangreich aus
und es ließen sich anschließend die jeweiligen subjektiven Vorstellungen und
Sichtweisen gut herausfiltern.
Durch spezifisches Nachfragen während des Interviews wurde versucht,
genauere Informationen zu einzelnen Gesichtspunkten zu erhalten, auf welche
ansonsten nicht näher eingegangen worden wäre. Für eine vergleichbare Arbeit
würde es sich zukünftig anbieten, die Frage zu Kennzeichen der Arbeit mit der
vorliegenden Zielgruppe und bestehenden Handlungsansätzen präziser zu
stellen und an weiteren Stellen im Gespräch genauer nachzuhaken.
An dieser Stelle könnte beispielsweise auch in Erfahrung gebracht werden, ob
das Team multiethnisch zusammengesetzt ist und wie sich dies auf die
Arbeitsweise der MitarbeiterInnen auswirkt.
In Bezug auf Konzepte und Handlungsansätze wurden keine Konzepte oder
Methoden genannt, die sich speziell auf die Arbeit mit jugendlichen
MigrantInnen beziehen.
Bestehende Konzeptionen sind auf die generelle Arbeit mit Jugendlichen als
Zielgruppe ausgerichtet und implizieren beispielsweise Beziehungsarbeit (bei
der Jugendgerichtshilfe).
Von den drei befragten Fachkräften erwähnte die Sozialarbeiterin des
Jugendzentrums ihren eigenen, türkischen Migrationshintergrund.
46
Auf die Frage nach möglichen Barrieren oder Schwierigkeiten in der Arbeit mit
der Zielgruppe, reagierte sie sichtlich verblüfft und verneinte dies umgehend.
Anschließend kam sie auf die eigene Haltung zu sprechen, die im Umgang mit
dem Klientel unter anderem Respekt, Offenheit und Authentizität erfordert.Sie
merkte an, dass gerade zwischenmenschliche Sympathien und Antipathien eine
erfolgreiche Zusammenarbeit erschweren oder sogar verhindern können, wenn
diese unreflektiert bestehen bleiben. Der Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe
sprach als Einziger kulturell bedingt andere Norm- und Wertvorstellungen an;
sowohl als eine mögliche Ursache von Benachteiligung, als auch einer
möglichen Schwierigkeit in der Zusammenarbeit mit den Familien der
jugendlichen KlientInnen.
In allen Gesprächen wurde die Haltung, also die (innere) Einstellung der
Fachkräfte gegenüber dem jeweiligen Klientel, als Kompetenz thematisiert. Es
ist davon auszugehen, dass diese Haltungskompetenz, die unter anderem
Fähigkeiten wie Respekt, Empathie, Konfliktfähigkeit und
Unvoreingenommenheit beinhaltet, einen bedeutenden Stellenwert in der
interkulturellen Arbeit mit Menschen mit und ohne Migrationshintergrund hat
(vgl. Freise 2011, S.193).
Die Auswahl der drei Einrichtungen mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten
ermöglicht einen interessanten Überblick über die Arbeit mit jungen
MigrantInnen unter verschiedenen Gesichtspunkten. Die verschiedenen
Kontexte und somit auch differenzierte Kernpunkte der Arbeit tragen zu einer
übergeordneten Perspektive im Rahmen von Sozialer Arbeit bei. Eine ähnliche
Schwerpunktsetzung wäre somit auch in ähnlichen Forschungsarbeiten
denkbar.
Mögliche Erweiterung des Forschungsprozesses
Die einzelnen Arbeitsfelder könnten in einem weiterführenden Schritt explizit
miteinander verglichen werden, um zu weiteren Erkenntnissen zu gelangen.
Denkbar wäre beispielsweise, genauer zu untersuchen, inwiefern der
vorgegebene Rahmen der jeweiligen Einrichtung Einfluss auf die Arbeitsweisen
der MitarbeiterInnen hat.
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Interessant wäre außerdem, weitere Arbeitsbereiche wie Beratungsstellen oder
Schulsozialarbeit miteinzubeziehen. Im Rahmen einer weiterführenden
Forschungsarbeit könnte ebenso der Fokus auf ein bestimmtes Arbeitsfeld
gelegt und beispielsweise verschiedene Jugendzentren untersucht und
miteinander verglichen werden.
Die Bedeutung unterschiedlicher Herkunftsfamilien und ihre Rolle für die
Sozialisation der Jugendlichen wurden im Kontext dieser Arbeit ausgeklammert.
Ebenso wurde während der Untersuchung der Aspekt von Gender nicht
berücksichtigt, um den Rahmen der Arbeit nicht zu überschreiten.
So könnte ein weiteres Forschungsinteresse dahingehend konkretisiert werden,
dass speziell die Arbeit mit männlichen beziehungsweise weiblichen
Jugendlichen mit Migrationshintergrund betrachtet wird. Auch die Betrachtung
einer bestimmten Herkunftsgruppe, wie Jugendliche mit russischem oder
marokkanischem Hintergrund wäre denkbar.
48
Fazit
Ziel der empirischen Untersuchung war es herauszufinden, welche Sichtweisen
über junge MigrantInnen bei pädagogischen Fachkräften vorherrschen.
Genauer untersucht werden sollte, worin sie Gründe für Benachteiligung dieser
Zielgruppe sehen, wie sich die Arbeit mit ihnen gestaltet und welchen Einfluss
gesellschaftliche Vorstellungen haben.
Zunächst wurde verdeutlicht, dass die Gruppe der MigrantInnen alles andere
als homogen ist und daher nicht als homogene Gruppe zusammengefasst und
in eine ‚Kulturschublade‘ gesteckt werden kann. Folglich gestaltet es sich
schwierig, verallgemeinernde Ursachen für Chancenungleichheit und soziale
Benachteiligung festzuschreiben.
Aus der Analyse der Lebenssituation der Jugendlichen konnte herausgearbeitet
werden, dass Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und schlechten
Bildungs-, Arbeits- und Zukunftschancen bestehen. Davon sind MigrantInnen
überdurchschnittlich häufig betroffen.
Des Weiteren ließ sich feststellen, dass in weiten Teilen der Öffentlichkeit
bestimmte Ansichten und Vorurteile über junge MigrantInnen existieren, die
stigmatisierend und diskriminierend für die Betroffenen wirken können. Damit
einhergehend werden häufig die kulturelle Differenz und ethnische
Besonderheiten ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Diese dienen teilweise
als Erklärungsansätze im Bereich der Jugendkriminalität und –gewalt. Gerade
straffällig gewordene Jugendliche mit Migrationshintergrund wird eine große
öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. Mediale Darstellungen über betroffene
Personen und Gruppen beeinflussen diese nicht zuletzt. Auch in
wiederkehrenden politischen Debatten findet ein umstrittener Umgang mit dem
Thema Jugendkriminalität und Migration statt.
Soziale Arbeit steht immer auch unter dem Einfluss gesellschaftlicher
Denkweisen über die Zielgruppe. Die Arbeit kann durch einen überbetonten
Blick auf kulturelle Hintergründe und Unterschiede erschwert werden.
49
Barrieren können nicht nur auf Seiten von KlientInnen mit
Migrationshintergrund, sondern ebenso auf Seiten der pädagogischen
Fachkräfte ohne Migrationshintergrund bestehen.
Konkrete Barrieren und Schwierigkeiten in der Arbeit mit Jugendlichen aufgrund
des Migrationshintergrunds wurden von den befragten MitarbeiterInnen nicht
genannt. Auch wurden keine speziellen Konzepte oder Handlungsansätze in
Bezug auf die Arbeit mit der Zielgruppe thematisiert.
Dennoch ist davon auszugehen, dass die Vielfalt an verschiedenen KlientInnen
eine Herausforderung für die Soziale Arbeit in der Einwanderungsgesellschaft
darstellt. Durch neue gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen
werden neue Sichtweisen auf Verschiedenheit und Vielfalt, sowie Perspektiven
für den Umgang damit benötigt. Die persönliche Sichtweise und die Haltung der
Fachkräfte spielen hierbei eine wichtige Rolle.
Die persönliche Einstellung und die genannten Fähigkeiten, wie Offenheit,
Empathie- und Konfliktfähigkeit, beschränken sich natürlich nicht nur auf die
Begegnung und die Interaktion mit MigrantInnen. Gerade bei der Vielzahl an
Lebensentwürfen, unterschiedlichen Milieus und kulturellen Hintergründen, die
sich in einer Einwanderungsgesellschaft wie in Deutschland noch vielfältiger
gestalten, stellen diese Fähigkeiten allerdings eine wichtige Arbeitsgrundlage
dar. Ob von ‚interkultureller Kompetenz‘ oder ähnlichen Begrifflichkeiten die
Rede sein muss, sei dahingestellt. Gerade weil es keine eindeutige Definition
dieses Begriffs gibt und er oftmals inflationär benutzt wird, gestaltet es sich
schwierig, seine Bedeutung für die Praxis Sozialer Arbeit zu erfassen. Es ist
davon auszugehen, dass in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit
‚interkulturell‘ ausschließlich auf andere Nationalitäten bezogen wird und nicht –
wie in manchen Definitionen angedacht- ebenso die ‚deutsche‘ Kultur impliziert.
Wird von einem lebensweltorientierten Handlungsansatz ausgegangen, sollte
dieser ohne weiteres eine Sensibilität für Migration und Kultur beinhalten.
Das eigene pädagogische Handeln dabei genauer zu betrachten und individuell
nach Ursachen, Erklärungen und Lösungen für bestimmte Probleme oder
Handlungsweisen zu forschen, stellt dabei eine Notwendigkeit dar.
50
In der empirischen Untersuchung zeichnet sich eine gewisse Einstimmigkeit
darüber ab, dass in der Arbeit mit Jugendlichen das Ziel besteht alle gleich zu
behandeln und keinen Fokus auf die Herkunft, sondern auf den jeweiligen
Jugendlichen mit seinen Besonderheiten zu richten. Unter dem Druck in der
täglichen Arbeit professionell agieren zu wollen, ist es allerdings denkbar, dass
gerade dann Tendenzen bestehen, klischeehafte und kulturelle Zuschreibungen
zu benutzen. Die eigenen Denkweisen, die –auch unbewusst- immer vom
eigenen kulturellen Hintergrund geprägt sind und bestimmte Vorurteile
implizieren, haben Einfluss auf die Gestaltung der Arbeit mit dem Klientel.
In der Interaktion mit der Zielgruppe braucht es daher ein Bewusstsein der
MitarbeiterInnen sozialpädagogischer Einrichtungen für die eigenen (kulturellen)
Prägungen und verinnerlichten Vorstellungen und Sichtweisen, sowie eine
reflektierte Auseinandersetzung damit. In diesem Kontext sollte auch unbedingt
Supervision stattfinden.
Durch das Wegkommen von einer ‚kulturellen Fixierung’ kann soziale und
gesellschaftliche Teilhabe für (jugendliche) MigrantInnen erleichtert werden.
Denn Integration ist auch immer von der Aufgeschlossenheit der
Mehrheitsgesellschaft abhängig.
Seit dem Jahr 2005 und dem neuen Zuwanderungsgesetz ist Deutschland von
staatlicher Seite offiziell als Einwanderungsland anerkannt. Dies bedeutet für
die Soziale Arbeit weiterhin zu reagieren, neue Wege und Handlungsansätze im
Rahmen der Migrationsgesellschaft zu gehen und Konzepte und Ansätze in der
Fachwelt zu diskutieren. Es ist davon auszugehen und zu hoffen, dass dies in
den nächsten Jahren weiterhin stattfinden wird.
Im Rahmen des Studiums der Sozialen Arbeit, in der eigenen Position als
angehender Berufsanfänger, aber auch für pädagogische Fachkräfte mit langer
Berufserfahrung, ist die Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex
Migration und persönliche Sichtweisen bedeutsam. Denn die Arbeit mit
MigrantInnen ist nicht auf einen bestimmten Bereich beschränkt, sondern findet
sich prinzipiell in allen Arbeitsfeldern wieder. Daher stellt sie neben der
52
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57
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Schulabschlüsse im Vergleich (S.17)
nach Arnold/Maier 2010, S.16.
58
Anhang
Transkriptionsregeln
Zeichen im Transkript Erklärung
<Name> Anonymisierung
(30s) Besonders lange Pause ab ca. 1 Sekunde mit Angabe der genauen Dauer
[Telefon klingelt] vom Interview unabhängige Ereignisse
((lacht)) nonverbales Verhalten
A: Text Text [Textüberschneidung. B: Textüberschneidung] Text Text.
Kennzeichnung von besonders deutlichen Überschneidungen bei gleichzeitigem Sprechen
Mhm Bejahung
BEISPIEL Betonung
[…] Teil nicht transkribiert, da nicht relevant
59
Transkript zu Interview 1
Leitgedanke: Welche Sichtweisen gegenüber benachteiligten jugendlichen
Migranten bestehen bei SozialpädagogInnen unterschiedlicher Einrichtungen?
5
Abkürzungen: I= Interviewerin, B1= Befragte 1
I: Jetzt würde mich erst mal interessieren: Inwieweit sind Ihrer Meinung nach
viele Jugendliche mit Migrationshintergrund benachteiligt und worin sehen Sie 10
die Ursache dafür? 00:00:27-2
B1: Huh ((lacht)) 00:00:29-8
I: Erstmal überlegen ((lacht)) 00:00:29-6 15
B1: Ja. Also mit den Jugendlichen, mit denen WIR arbeiten ist ähm (2s) und
das ist auch in unterschiedlichem Rahmen in Form von Bildungsangeboten, wie
jetzt mit EIBE-Schulklassen. Das ist ein Lehrgang zur Eingliederung in die
Berufs- und Arbeitswelt, also der findet an ner berufsbildenden Schule statt und 20
da haben die Schüler und Schülerinnen die Möglichkeit ihren
Hauptschulabschluss zu absolvieren, den sie aus welchen Gründen auch
immer in der Schule zuvor nicht geschafft haben. 00:01:14-0
I: Ja 00:01:15-2 25
B1: Ähm (1s) da würd ich jetzt in diesem Rahmen. Andrerseits, es kommt
immer drauf an, wie lang sind die Jugendlichen hier. Wir haben da jetzt
unterschiedliche Schüler auch in den Klassen. Also wir haben eine Klasse nur
mit Sprachanfängern, das heißt die sind nach Deutschland geflüchtet, 30
immigriert und als Asylanten hier in Deutschland, da ist natürlich klar erst mal
die Sprache die Schwierigkeit dass sie überhaupt Zugänge bekommen oder so
ja, weils einfach diese Sprachbarriere gibt und da find ich diese Möglichkeit in
dieser EIBE-Klasse Fuß zu fassen überhaupt ne gute Chance, weil sie
60
anderswo in kein Bildungssystem, also in keine Schule aufgenommen werden 35
würden und auch keine großen Ansprüche haben ja. 00:02:19-1
I: Mhm 00:02:19-1
B1: Also es ist natürlich erstens Mal die Sprache, dann vielleicht auch bei 40
Schülern die länger da sind auch die Sprache der Eltern, also die
Sprachkenntnisse der Eltern. Hm ich find es schwer zu verallgemeinern ja. Also
ich denk mir es gibt immer unterschiedliche Gründe, das ist einmal die Sprache
der Jugendlichen selbst, der Eltern, dann auch was für finanzielle Mittel zur
Verfügung stehen der Familie. Aber das ist ja nicht nur bei Migranten so, das ist 45
ja bei allen Menschen so, also je nach Einkommen und Möglichkeiten zum
Bildungssystem oder zu kulturellen Zugängen und ähm entscheidet ja auch so
bisschen die Entwicklung, ja. Und kann ich mein Kind in nem Verein anmelden,
in nem Fußballverein oder eben nicht als Beispiel jetzt, hab ich dafür die
Finanzen, kann ich mir das leisten oder ja diese ganze Vereinsgemeinschaft; 50
Tennis, zum Reiten, freiwillige Feuerwehr, keine Ahnung ja also ((lacht)) sind da
Voraussetzungen und auch überhaupt das Wissen um die Zugänge da. Hängt
ja meistens mit Geld zusammen, dann aber auch das Wissen der Eltern, hängt
wiederum auch wieder davon ab wie lange sind sie hier, wie sehr kennen sie
das Bildungssystem hier. Dementsprechend, wie stark können sie ihr Kind auch 55
in diesem Bildungssystem unterstützen und wissen welche Wege sind zu
gehen. Also, wenns dann mit der Hauptschule nicht geklappt hat, was passiert
danach oder mit der Realschule ja, wenns nicht aufs Gymnasium kann, weiß
ich, dass es sowas wie Fachabitur gibt oder Abendrealschule und also
überhaupt diese Informationen über das Bildungssystem. Und ich glaub einfach 60
in vielen Sachen, das bekomm ich so in Form von der Bürgerberatung mit, die
hier gerade gegenüber ist. So Unsicherheiten in Formalitäten, also wenn ich
mich an meinen eigenen Bafög-Antrag erinnere, wo ich AUCH teilweise
gedacht hab, ohje, also ich bin der Sprache mächtig ((lacht)) aber trotzdem fällt
es mir schwer. Und bei meinem ersten Bafög-Antrag hab ich mir auch Hilfe 65
geholt, weil ich nicht wusste was wollen die genau und das verunsichert ja auch
also dieses, ja und ich denk das geht auch vielen Deutschen so ((lacht))
00:05:09-9
61
I: Ja 00:05:10-2 70
B1: Und wenn ich mir dann denk, dass das eben nicht meine Muttersprache ist
und irgendwie, obs jetzt nen Widerspruch schreiben ist oder diese ganze
Behördensprache oder Amtssprache verunsichert und da möcht man dann
auch nicht gern so viel mit zu tun haben ((lacht)) und weiß auch nicht damit 75
umzugehen. Und wenns dann da gewisse Einrichtungen oder Anlaufstellen
nicht geben würde, machts auch schwierig oder hat auch bestimmte
Konsequenzen ja. 00:05:57-3
I: Ja 00:05:57-3 80
B1: Wenn ich meinen Bafög-Antrag nicht ausgefüllt hätte, wenn ich mich der
Situation nicht gestellt hätte, hätte ich das Geld halt einfach nicht gekriegt. Das
hätte für mich bedeutet, ich hätte nicht studieren können ja. Und letztens saß
ich da mit nem Jugendlichen, den ich früher aus den Cafézeiten kannte, der so 85
Schritt für Schritt seinen Weg gegangen ist, erst Hauptschule, dann Realschule,
jetzt Fachabitur und jetzt will er studieren. Jetzt saß er letztens da mit mir mit
nem Bafög-Antrag und ich kam wieder in dieses "Oh Gott" und jetzt hab ich mir
gedacht, ich hab schon einige ausgefüllt. Wie muss es dem armen Kerl gehen
ja. Und das sind einfach so Sachen wo ich mir denk, das macht auch den einen 90
oder anderen Zugang schwierig einfach ja. 00:06:52-4
I: Ja 00:06:52-4
B1: Ja wie gesagt, ich finds immer sehr schwierig zu pauschalisieren oder von 95
wo komm ich auch ja. Also aus welchem Stadtteil oder leb ich, bin ich
aufgewachsen. Was weiß ich, vielleicht in B-Stadtviertel oder K-Stadtteil oder E-
Stadtviertel, wo jetzt nicht nur das Finanzielle und die Sprache, sondern auch
die Wohngegend vielleicht Einfluss auf meine Entwicklung haben. Weil ich
vielleicht auch andere Sachen vorgelebt bekomme, mit anderen Sachen in 100
Kontakt komme. Also ich seh da teilweise auch nen Unterschied. Wir hatten ne
Zeit lang viele Jugendliche im Café unten aus K-Stadtteil, die auch so ein
62
bisschen in Anführungsstrichen GHETTOLEBEN, diesen Stolz drauf haben, wo
ich gegenwärtig nen Jugendlichen hab, der hier aus dem M-Stadtviertel kommt
oder der vielleicht trotzdem sich mit Leidenschaft den ein oder anderen 105
Gangsterfilm anguckt oder auch Vorbilder drin sieht oder so was, aber nen
anderen Bezug dazu hat 00:08:13-4
I: Ja 00:08:13-4
110
B1: Also es gibt einen Jugendlichen, den wir früher hier im Café hatten, der
rappt jetzt so ein bisschen und kommt gerade wohl so in der Szene, sodass er
auch schon den einen oder anderen Auftritt da hat, also bekannt wird ja. Und
ich musste letztens halt einfach schmunzeln, weil der halt mit großem Stolz
dieses K-Stadtteil Ghettoleben hervorhebt, was ja seinem Rapper Image 115
entsprechen muss. Aber wo ich auch so, also das wird auch so bisschen
verherrlicht. Ich mein ich bin auch in K-Stadtteil groß geworden, ja und auch in
dieser Gegend, und habe das nie als schlimmes Ghetto empfunden oder wie
mans halt in amerikanischen Filmen mit den brennenden Mülltonnen, wo man
sagt 'Ohh, hier kommt man nicht mehr raus' oder sowas und so hab ich das nie 120
empfunden. Und das seh ich auch heute als Erwachsener nicht so und klar gibt
es dort auch immer noch Handlungsbedarf und das ist ein Stadtteil, der seine
Schwierigkeiten hat. Aber ich würds jetzt nicht so sehen, wie das teilweise
Jugendliche darstellen. 00:09:41-0
125
I: Mhm 00:09:41-0
B1: Aber es ist in ihrem Kopf ja ein festgefahrenes Bild. 00:09:46-8
I: Von den Jugendlichen? 00:09:47-1 130
B1: Ja, also egal ob das jetzt verherrlicht wird oder positiv gesehen wird oder
eben negativ. Aber es ist ja schon ein Bild, was sie von ihrem eigenen Leben
haben und ihrer eigenen Umgebung, ihrem eigenen Umfeld. Und das prägt ja
auch, dieses Bild, wo ich mir denk naja (2s) Ich sehs halt für mich persönlich 135
jeder so, jeder hat die Möglichkeit was zu tun aus seinem Leben ja. Wie geh
63
ichs halt an. Und klar kann auch jeder, wenn er weiß wo er seine Unterstützung
bekommt, Hilfe in Anspruch nehmen und gucken wie er seinen Weg gehen
kann. Also daher denk ich, das Thema Umfeld spielt halt auch einfach ne Rolle,
wo komm ich her und wie werd ich dort geprägt und was krieg ich da eben mit. 140
Das sind so die Hauptpfeiler, würd ich sagen. 00:10:49-2
I: Ja 00:10:49-2
B1: Also Umfeld, Sprache einfach der verschiedenen Generationen, 145
Bildungsmöglichkeiten, Wissen übers Bildungssystem und eben auch die
finanziellen Möglichkeiten oder Ressourcen, die zur Verfügung stehen.
00:11:07-9
I: Ja (1s). Und wenn es jetzt um diese benachteiligenden Aspekte geht, oder 150
auch Ausschließungsprozesse. Im Umkehrschluss oder was bedeutet es dann,
wenn man von einer gelungenen Integration spricht? Oder was verstehen sie
darunter, "gelungene Integration"? 00:11:24-7
B1: Hm ja. Also erstmal, Integration für mich, schon mal vorne weg, das ist nicht 155
ne einseitige Straße, ja. Klar gibt es bestimmte Voraussetzungen für jemanden,
der hierher immigriert gewünscht werden oder wo ich auch sag, das ist für mich
notwendig. Also wenn ich mir vorstelle in ein anderes Land zu gehen ist für
mich die Sprache natürlich das A und O und hängt mit vielem eben zusammen
und das die gefördert werden muss ist klar. Dass eine Gesellschaft vielleicht 160
auch den Anspruch an diese Menschen hat, dass die sich fördern lassen oder
dass diese Sprache eben erlernt werden soll find ich auch selbstverständlich.
Aber es ist immer die Frage wie, ja. 00:12:36-1
I: Hm 00:12:36-1 165
B1: Und wie ermögliche ich das jemandem, welche Chancen gebe ich
jemandem dazu. Wenn ich mir jetzt überleg als Beispiel, dass im Rahmen
dieser ganzen Integrationsdeutschkurse, die ja an sich ne schöne Sache sind,
ja ((lacht)), auch ein netter Gedanke so ((lacht)). Aber dass man dann heute 170
64
darüber diskutiert in der Politik, ob ein Asylbewerber, der jetzt schon vielleicht
jahrelang in einem Asylbewerberheim lebt, auch Anspruch auf einen
Integrationskurs hat oder man sich JETZT überlegt in der Politik, dass es doch
auch wichtig wär, dass die das lernen. Da frag ich mich, ja was habt ihr denn
die letzten Jahrzehnte über gedacht, also wie könnt ihr jetzt erst auf so ne Idee 175
kommen oder denken dass das jetzt ne Bombenerleuchtung ist, das wär für
mich was Selbstverständliches. Gerade für Menschen, die so stark auf
finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen sind und auch gar keine
anderen Perspektiven haben, weil sie eben nicht arbeiten dürfen ja. Da wär es
doch als Gesellschaft oder auch als Staat irgendwie selbstverständlich zu 180
gucken, wie hol ich diese Menschen aus dieser Abhängigkeit raus (1s) In die
sie sich nicht selber reingesetzt haben, die sie auch nicht wünschen. Wie schaff
ich das eben die da rauszubekommen, eben dass sie selbständig werden, dass
sie die Sprache sprechen, somit arbeiten können, auf eigenen Füßen stehen ja.
Da ist die Sprache einfach das A und O. Und sich jetzt hinzustellen und zu 185
überlegen ob das ne gute Idee wär, also da schüttel ich den Kopf. Was ist das
überhaupt für ne Frage, das müsste selbstverständlich sein, ja. Also ist doch
egal ob jemand freiwillig hierher kommen will oder eben im Rahmen von nem
Asylverfahren, weil er Kriegsflüchtling ist hierher kommt, die Ansprüche sind
doch dieselben. 00:15:51-3 190
I: Mhm 00:15:51-3
B1: Die sprechen beide kein Deutsch, um hier Fuß zu fassen, wär die Sprache
natürlich wichtig. Und das sind so Sachen, die ich einfach nicht verstehe. Wie 195
so Gedanken überhaupt zustande kommen können oder wie das in den
Rahmen von Integration einfach heute noch diskutiert werden kann ja. Es
müsste Standard sein und einfach Zugänge geben, die eben barrierenlos sind,
im Sinne dass sie eben nichts kosten oder nur nen geringen Beitrag, weil du
förderst die Menschen ja langfristig. Wenn die Deutsch sprechen, haben die 200
eben die Möglichkeit zu arbeiten und sind eben dann irgendwann mal nicht
mehr finanziell abhängig vom Staat. Und das müsste ja eigentlich im Interesse
des Staates liegen denk ich mir, oder auch der Gesellschaft. 00:16:26-8
65
I:Ja 00:16:26-8 205
B1: Und dann find ichs auch einfach, so die Vorurteile die damit verbunden
sind, gerade bei Asylbewerbern. So ja, die sitzen den ganzen Tag nur rum und
kassieren nur Geld.. Die wollen das nicht, die würden auch lieber arbeiten
gehen. Aber das bei vielen Menschen, wo diese Vorurteile bestehen, noch nicht 210
mal das Wissen da ist, dass die nicht arbeiten gehen DÜRFEN. Und selbst
wenn sie im Rahmen von eigenem Engagement ne Stelle finden würden, wo
jemand sagen würde, ich nehm dich, dann müssten die das beim Arbeitsamt
beantragen, ne Arbeitsgenehmigung. Und da wird erst mal geprüft, obs nen
Deutschen gibt, der dafür in Frage kommt, ein EU-Bürger gibt oder ein Nicht-215
EU-Bürger und wenn die ganze Kette nicht in Frage kommt, dann würde er den
Job bekommen. Also kannst du dir bei der heutigen Situation ((lacht))
überlegen, wie oft dass der Fall ist. 00:17:19-3
I: Hm 00:17:21-0 220
B1: Und ich nehm jetzt das Extrembeispiel Asylbewerber ganz bewusst, weil ich
finde, gerade an den Extremen sieht man auch wie ne gewisse
gesellschaftliche Haltung dazu da ist. Weil es sind eben auch nicht immer die
ganzen Migranten, die schon seit 30 Jahren da sind und kein Deutsch sprechen 225
ne. Ich denk mir das ist die Minderheit. Aber an den wirds ja viel so in den
Medien oder sowas festgemacht. Also dass DIE Gastarbeiter, die mal
gekommen sind, weiß nicht obs die überhaupt in der Form noch gibt. Und bei
bestimmten Sachen (2s) also ich hab ne türkische Mutter und in meinem letzten
Türkeiurlaub hab ich ganz viele junge, hier in Deutschland aufgewachsene 230
Frauen und Männer kennengelernt, die nach ihrem Studium in die Türkei
gegangen sind, weil sie da Topangebote bekommen haben. Ja mit ihrem
Studium, mit ihrem kulturellen und sprachlichen Hintergrund und diese
Möglichkeiten, die ihnen dort geboten wurden, diese Chancen hätten sie hier
nie gehabt und nie geboten bekommen. Und das find ich eigentlich ne traurige 235
Sache. Und das sind eigentlich Jugendliche oder junge Menschen, die in die
Fremde gehen, weil sie sind hier geboren. Da sind vielleicht schon die Eltern,
also das sind Türkischdeutsche oder Deutschtürken der dritten Generation, die
66
hier leben und die die Türkei auch nur aus ihrem Urlaub kennen und paarmal
dort gewesen sind. Der Vorteil ist natürlich, dass sie die Sprache noch 240
sprechen, auch nicht alle perfekt, aber sie sprechen die. Und sie kriegen dort
andere oder bessere Perspektiven, wie hier auf dem Arbeitsmarkt. 00:19:38-9
I: Mhm 00:19:38-9
245
B1: Und so Sachen, dass gerade im Rahmen von diesem Integrationsding die
Sprache auch nur einseitig gesehen wird. Dass nur gefordert wird, die müssen
ein gutes Deutsch sprechen, aber gar nicht gesehen wird, dass sie auch noch
ein gutes Türkisch sprechen oder überhaupt türkisch sprechen. Also diese
Mehrsprachigkeit wird in der Form auch gar nicht geschätzt. Außer in Städten 250
wie Berlin ((lacht)) oder Frankfurt, gerade im sozialen Bereich. Ne Freundin von
mir wohnt jetzt in Berlin, sucht ne Stelle als Sozialpädagoge, wo es überall heißt
"Können Sie türkisch sprechen?" Da denk ich mir, das kanns ja auch nicht sein,
dass nur in diesem Rahmen das gebraucht wird oder das auch anerkannt wird
und in dem Sinne dann gefordert wird. Oder gerade wenn jetzt jemand im 255
wirtschaftlichen Bereich arbeitet, als Beispiel mal Merck, Telekom, also die
müssten doch dankbar sein, wenn jemand mehrsprachig ist. Und gerade in dem
Bereich oder gerade auch in der Beziehung Deutschland-Türkei ist die türkische
Sprache doch gerade ne Sprache, die eine Bereicherung ist. Aber es wird eben
immer nur einseitig gesehen. Und das wird nicht nur einseitig von der 260
Gesellschaft gesehen, sondern auch von den Jugendlichen. Also wenn ich hier
Jugendliche hab, wo wir Bewerbungen schreiben und da stehen
Sprachkenntnisse, dann "Ahja Deutsch, Englisch". Und ich dann "Ja was ist mit
deinem Türkisch?" Auf die Idee zu kommen, dass mit anzuführen, also dass
das ne Kenntnis ist, da müssen die erstmal drauf gebracht werden. 00:22:02-3 265
[...]
I: Ja 00:25:33-6
270
B1: Ja und dass das eben nicht wertgeschätzt wird mit der Sprache, sondern
eben Integration auch auf die Sprache immer nur einseitig aufs Deutsche
67
bezogen wird, find ich schade. 00:25:44-9
I: Ja (1s). Jetzt haben Sie auch die gesellschaftlichen Denkweisen, Sichtweisen 275
angesprochen, was da so besteht an Vorstellungen etc. Würden Sie sagen,
dass die Soziale Arbeit aber auch unter diesem Einfluss steht, der von der
Gesellschaft vorgegeben wird, in Bezug auf Sichtweisen auf diese Zielgruppe?
00:26:13-2
280
B1: Ähm. Ich bin immer selber auch bei so Interviews, inwieweit ist das meine
persönliche Meinung und wieweit ist es auch, dass ich so die Meinung meines
Arbeitgebers vertrete. Und ich denk mir als Verein bei dem ich arbeite, also wir
haben ne Satzung, wo wir ne bestimmte Haltung vertreten und es gibt in vielen
Bereichen auch immer wieder wo wir in verschiedenen Fachkreisen, in 285
verschiedenen Gremien, in internen Arbeitskreisen immer wieder schauen, was
für ne Haltung, wie stehen wir dazu. Und das auch reflektieren und auch
gucken wo entwickelt sich was oder wie ist unsere Haltung dazu. Auch wenn
die vielleicht ne andere ist (2s). Also jetzt mal ein kleines Beispiel zum Thema
Inklusion. Ist ja jetzt im Moment in der Gesellschaft ein großes Wort. Es ist, wo 290
wir jetzt mittlerweile auch sagen (1s) Inklusion ist ja nicht nur auf Menschen mit
Behinderung bezogen, sondern auf Menschen mit Benachteiligung. Und
inklusiv arbeiten tun wir seit Jahren in Bereichen, was Benachteiligung angeht.
Da das jetzt einfach ein Begriff ist, mit dem sich in der Gesellschaft viel
auseinandergesetzt wird, im sozialen Bereich, in der Arbeit, also langsam auch 295
im Alltag, im Schulsystem, haben wir jetzt auch gedacht, wir müssten uns damit
intensiver auseinandersetzen. Wir haben zum Beispiel jetzt in einem kleinen
internen Arbeitskreis uns mit der Thematik befasst und gesagt, innerhalb dieses
Arbeitskreises wollen wir jetzt nen Fachtag für den Verein veranstalten, wo alle
Mitarbeiter ne Einführung zu der Thematik bekommen, dass wir so ne 300
einheitliche Haltung dazu bekommen. 00:28:43-3
I: Mhm 00:28:47-6
B1: Und so gibts dann bestimmte Sachen wo wir sagen ‚Wie stehen WIR als 305
Verein dazu?‘ Und das kann dann vielleicht mit gesellschaftlichen Sichtweisen
68
übereinstimmen oder aber auch sagen, wir haben da ne abweichende Haltung
dazu oder ne eigene einfach, die daran angrenzt oder eben auch nicht ((lacht))
oder wo wir sagen, da gehören eben auch noch andere Punkte dazu oder das
ist für uns in der Arbeit als Verein wichtig, wo wir unsere Prioritäten setzen. 310
00:29:30-5
I: Ja 00:29:30-5
B1: Und da geben wir uns sozusagen unseren Rahmen, unsere Haltung und 315
klar wird die bestimmt auch von der Gesellschaft mal vorgegeben oder
angestoßen oder gibt Inputs. Wo man dann einfach überdenkt, wie ist unsere
Haltung dazu. Aber es ist nicht so, dass wir von der Politik oder so irgendwas
vorgeworfen bekommen und dass dann einfach blind übernehmen. Klar ist man
dann in bestimmten Bereichen auch abhängig, wenns jetzt um Förderprojekte 320
geht, da gibts ja bestimmte Ansprüche, die ein Geldgeber hat, die dann
natürlich auch erfüllt werden müssen, ist ja klar. Aber wir bewerben uns dann
eben auch nur auf die, die für uns passend sind, aber es erschwert natürlich
auch die Arbeit, weil man natürlich dann auch gucken muss, wo passts eben
und wie finanziert man sich. 00:30:37-6 325
I: Hm 00:30:38-2
B1: Bei so kleinen Sachen irgendwie (1s). Es wurde jahrzehntelang
Mädchenarbeit gefördert und gefördert. In dem Rahmen wurden aber 330
Jungenprojekte wenig finanziert. Aber der Bedarf ist mittlerweile so stark,
Jungenprojekte zu finanzieren, dass die damals immer so an Fördermitteln ein
bisschen hinten runtergefallen sind. Das ist jetzt bei der Gesellschaft auch
angekommen ((lacht)), dass es jetzt wieder Projekte gibt, wo JUNGS gefördert
werden. Vorher gabs aber wenig Projekte, dementsprechend wenig Geld. Ja, 335
da hat die Gesellschaft ja auch ihre Highlights sag ich mal, wo sie gerade
investiert. Ob das eben Inklusionsumstellungen sind oder
Integrationssprachkurse, was weiß ich, gibts ja auch immer bestimmte Bereiche
wo man sagt, ok da setzt man jetzt sein Augenmerk. In der alltäglichen Arbeit
sieht man aber manchmal auch, dass der Bedarf manchmal woanders liegt 340
69
oder auch erweitert ist. Dass das auch wichtig ist, aber es gibt auch noch
anderen Handlungsbedarf ja. 00:32:47-8
[…]
345
B1: Und ja (2s) was vielleicht auch noch ein Punkt ist von so Vorstellungen der
Gesellschaft. Wenn ich mir mittlerweile Nachrichten über Jugendliche angucke,
da krieg ich so nen Hals. Wie gewalttätig die ganze Jugend geworden ist, was
einfach nicht der Realität entspricht. Und deshalb guck ichs mir schon gar nicht
mehr an. Oder wenn Freunde von mir im Privaten erzählen, wie schlimm die 350
Jugendlichen geworden sind ja (2s) Aufgrund meiner Arbeit, ich arbeite mit
Jugendlichen, ich mach Anti-Aggressions-Training, also ich bin auch in
Präventionsgeschichten drin, wo ich schon auch ein bisschen Einblick über
gewalttätige Jugendliche hab. Und was ich da im Freundeskreis hör, was
wirklich mit Vorurteilen der schlimmsten Art beladen ist, wo ich sage, woher 355
habt ihr denn die Info und sie sagen 'Ahja, das kriegst du doch in den Medien
mit'. Ja eben, das kriegst du in den Medien mit. Und seit fünf Jahren hacken die
auf der Jugend rum, wie faul sie ist, wie dumm und wie gewalttätig sie ist. Und
das find ich einfach ein trauriges Bild, ja. Es ist nicht alles auf die ganze Jugend
umsetzbar. Und wenn ich das dann im Bekanntenkreis hör und die haben 360
wirklich noch die Dreistheit MIR das zu erzählen, da denk ich mir ‚Hey Leute,
wann hast du denn das letzte Mal Kontakt gehabt mit nem Jugendlichen‘. Ich
bin da täglich mit denen zusammen und die sind auch nicht mehr in ne
Schlägerei verwickelt als der ein oder andere von uns früher oder in unsrem
Bekanntenkreis was mitgekriegt hat (1s) und das sind so Sichtweisen im 365
Privaten, wo ich mir dann denk, da ((lacht)) naja (3s)
I: Ja. Jetzt haben sie auch schon ein paar Bereiche angesprochen, wie sie
arbeiten, zum Beispiel das Anti-Aggressions-Training, EIBE-Klassen. Können
Sie beschreiben, was ihre Arbeit mit dieser Zielgruppe jugendliche Migranten 370
genau kennzeichnet? 00:41:15-0
B1: Ich will jetzt auch nicht sagen, dass die ganzen Gewaltpräventionsprojekte
nur für Migranten wären oder so ((lacht)). Ne also ich würd sagen, wir haben ne
70
lange Zeit (1s) also als ich hier angefangen hab, war mein Schwerpunkt in der 375
Offenen Jugendarbeit gewesen, also dieses typische Café mit Billard und
Kicker, kleineren Essens-und Getränkeversorgungen etc.. Da wir aber das Café
jetzt seit zwei oder drei Jahren geschlossen haben, haben wir natürlich
trotzdem andere Projekte am Laufen, also wir sind auch viel in
Schulkooperationen drin und machen da Präventionsgeschichten. 380
Entschuldigung ((steht auf)) [Telefon klingelt, kurze Unterbrechung] 00:42:05
I: Macht nichts. 00:42:06-1
B1: Ja (2s) Also viel Schulkooperation in Form von Sozialkompetenztrainings, in 385
Form von Sozialtrainings oder auch als Kompetenzfeststellungen, aber auch
zum Thema Mobbing und den Geschichten. Aber wir machen auch, also ich
habe zusammen mit meinem Kollegen die Weiterbildung gemacht zum
Antiaggressionstrainer, wo wir dann jetzt in kleiner Form mit der
Jugendgerichtshilfe zusammen so ein Antigewaltseminar für ein Wochenende. 390
Also es ist nicht der Standard eines Antiaggressionstrainings, aber es ist ein
kleines Paket sozusagen davon. Wo wir mit Mädels am Wochenende arbeiten,
so zehn Stunden. Und ja es ist sehr gemischt, also wenn du mit Schulklassen
arbeitest ist es eh ein sehr gemischtes Publikum, da ist alles an Nationalitäten
vertreten. Also da könnte man nicht sagen, dass wir speziell nur mit Migranten 395
arbeiten. In den Cafézeiten sah es anders aus. Also da hatten wir hier, wenn du
da mal zwei drei deutsche Jugendliche hattest, war das schon viel. Aber das
hat ja auch seine Gründe warum das so ist. Du findest in wenig Jugendzentren,
in Cafébereichen deutsche Jugendliche. 00:43:49-4
400
I: Was sind denn die Gründe dafür? 00:43:51-5
B1: Also entweder ist es dann ein Jugendzentrum, wo ein deutsches
Stammpublikum vertreten ist, also was einfach deutsche Besucher dominiert ist
ja. Weil das jetzt aber zum Beispiel ein bestimmtes Stadtgebiet ist. In K-Stadtteil 405
oder E-Stadtviertel wirst du einfach ein bestimmtes Publikum in den
Jugendzentren haben. Wenn du in nem Jugendzentrum in der A-Siedlung bist,
wirst du auch ne bestimmte Zielgruppe haben, von bestimmten Nationalitäten.
71
Und jetzt hier im M-Stadtviertel (1s) da wirds halt auch Eltern geben, die ihrem
Kind tatsächlich nen Verein oder andere Freizeitbeschäftigungen bieten 410
können, dass ein Jugendzentrum einfach nicht relevant ist. Und wenn ich diese
Möglichkeiten nicht hab, ist ein Jugendzentrum schon mal einfach interessanter
für die Zielgruppe, ja 00:45:22-5
I: Mhm (1s) Gibt es den auch Barrieren oder Schwierigkeiten in der Arbeit mit 415
der Zielgruppe? 00:46:31-7
B1: Inwiefern? ((irritiert)) 00:46:31-7
I: Vielleicht Situationen in denen man sich schon unsicher gefühlt hat wie man 420
handeln soll oder wie man mit irgendwas umgeht? 00:46:34-6
B1: Nö ((lacht)) Nö (2s). Also klar gabs als ich angefangen hab zu arbeiten und
ich so mit Ende 20 im Jugendcafé stand irgendwie als Frau unter den ganzen
Jungs hab ich mir am Anfang schon gedacht wie machst du das oder wenn mal 425
was passiert, wenns ne Schlägerei geben sollte. Also ich bin jetzt seit zehn
Jahren hier und hab in meinen ganzen, fast 12 Jahren sogar, zwei Schlägereien
miterlebt, also wo ich sag es ist fast nicht nennenswert ((lacht)). Und das waren
so Befürchtungen, wie reagierst du da. Aber ich glaub die hättest du in jedem
anderen Jugendzentrum, egal mit welchem Publikum, auch gehabt. 00:47:32-7 430
I: Ja 00:47:32.7
B1: Ja und bei bestimmten Sachen denk ich mir auch immer, wie bist du als
Person. Wenn es jetzt darum geht Zugänge zu Jugendlichen zu bekommen, 435
spielt es keine Rolle was derjenige oder du bist. Sondern WIE sind die
Personen, die aufeinander treffen und daraus erschließen sich vielleicht
Barrieren oder Schwierigkeiten. Aber (2s) wenn du natürlich nicht (4s) weißt, mit
was für nem Publikum du arbeitest und die dementsprechende Offenheit nicht
mitbringst, kann das durchaus zu Konflikten oder auch Schwierigkeiten führen. 440
00:48:26-5
72
I: Hm 00:48:26-5
B1: Aber so wurde ich einerseits nie erzogen und andererseits weiß ich ja 445
worauf ich mich in meiner Arbeit eingelassen hab und das ja auch mit Freude.
Von daher denk ich mir gibt es jetzt nichts an Schwierigkeiten oder Zugängen,
die jetzt speziell was mit Migrationshintergrund zu tun haben. Wenn dann was
mit menschlichen allgemein, weil man sich nicht sympathisch ist oder und mit
dem einen kannst du halt besser als mit dem andern. Das heißt jetzt natürlich 450
nicht, dass ich im Rahmen meiner betreuenden EIBE-Maßnahme den andern
dann zur Seite schiebe und nichts mehr mit dem zu tun hab oder den nicht
weiter förder oder unterstütze, sondern einerseits gehts ja um meine
professionelle Haltung und meine Arbeit und andererseits aber auch um
Sympathien. Und auch jemand, den ich persönlich nicht sympathisch finde, mit 455
dem muss ich ja trotzdem arbeiten. 00:49:40-6
I: Ja 00:49:40-6
B1: Wo es dann in meiner Professionalität liegt, dass eben einerseits ihm das 460
nicht deutlich zu machen, dass ich privat nichts mit ihm zu tun haben würde
((lacht)). Aber das liegt ja eben in der Kunst eines Sozialpädagogen, wie geh
ich damit um. Und natürlich, es sind einfach Sympathien da und jeder der sagt,
dass es nicht so ist, der lügt. Aber wie gesagt, es ist eben die Frage, wie gehst
du damit um und wie weit bist du immer noch offen zu denen. 00:50:40-5 465
I: Also spielt Offenheit eine wichtige Rolle? Auch um Schubladen denken zu
vermeiden? 00:50:40-5
B1: Auf jeden Fall, genau. Und sich das auch einzugestehen, dass es so ist. 470
Also ich weiß aus meiner eigenen Schulzeit, da hatte ich ne Lehrerin und wir
konnten überhaupt gar nicht miteinander. Wir konnten uns gegenseitig nicht
leiden, aber es hat sich auf meine Noten ausgewirkt, ist ja klar ((lacht)).. Und
sich dann einfach einzugestehen, es gibt so was wie Sympathien, dass man
jemanden mag und jemanden nicht. Und wenn du dir dessen bewusst wirst, 475
dass es so was gibt, kannst du dir auch drüber bewusst werden, wo du
73
aufpassen musst. Wo musst du an dir selber arbeiten, wo musst du auch
ehrlich zu dir sein und wo musst du dir auch eingestehen, dass der eben jetzt
einen abgekriegt hat, weil er eben nicht dein Liebling ist. Und wenn du in so ne
Falle getreten bist, wie gehst du anschließend damit um (1s) nur weil ich 480
erwachsen bin, seh ich mich trotzdem noch in der Lage, mich auch für
Fehlverhalten zu entschuldigen oder es wieder gut zu machen. 00:53:43-5
I: Ja 00:53:43-5
485
B1: Und auch das ist ne Sache, was ich in einer traurigen Erfahrung mit
Jugendlichen gemerkt habe, dass die das nicht kennen. Also ich war mal in der
Situation dass ich echt schlechte Laune hatte, gesundheitlich bedingt irgendwie.
Und dann bin ich in ne EIBE-Klasse gekommen und hab wirklich meine
schlechte Laune an denen ausgelassen. Hab die zusammengeschissen, hatte 490
null Toleranz gehabt und war nur am Nörgeln. Abends hab ich mir dann
gedacht, was hast du da eigentlich gemacht, voll das schlechte Gewissen
gehabt und bin mir dessen bewusst geworden, hab darüber nachgedacht und
hab gedacht, das musst du ansprechen nächstes Mal. Hab das dann auch
angesprochen und gesagt dass ich nicht einfach nur so schimpfen möchte und 495
schon gar nicht nur, weil ich schlechte Laune hab, die an euch auslassen und
es tut mir leid. Und dann hat ein Jugendlicher zum andern gemeint, 'ey merkst
du eigentlich was gerade passiert? Die entschuldigt sich bei uns! Wann hat sich
das letzte Mal ne Erwachsene bei dir entschuldigt. Die entschuldigt sich gerade
bei uns!' Und das hat mich gerührt, also da musste ich mit Tränen kämpfen. 500
Weil ich kann nicht da sitzen und mit denen Sozialtrainings machen, wenn ich
denen das nicht vorlebe ja. 00:56:21-3
I: Ja 00:56:26-5
505
B1: Und ich glaub in der Beziehung von der Gruppe und mir war das ein großer
Gewinn gewesen. Also wo ich einerseits viel gelernt hab und die aber auch
andererseits was für sich da rausnehmen konnten. Und es war eben auch für
mich da wichtig dieses Reflektieren. Also immer mal wieder zu gucken, was
mach ich, warum mach ich das so, könnt ichs anders machen und dann aber 510
74
auch zu sagen, ok das hast du jetzt nicht so.. hättest du anders machen können
und dann eben WIE machst dus anders. Und das ist einfach wichtig und das ist
auch so dieses, um nochmal auf diese Frage was so Zugänge angeht, ist das
Wichtigste, dass du authentisch bist. Dass du DU bist. Und das merken die
Jugendlichen ganz schnell. Also wenn es Menschenkenner gibt, dann sind es 515
Jugendliche ((lacht)) und ich glaub dass das mit einer der größten Punkte ist
(2s)ja (5s) 00:58:23-7
I: Mhm ja (5s) Haben Sie jetzt gerade noch Ergänzungen oder Wünsche
ihrerseits, was jetzt gar nicht angesprochen wurde, ein Bereich oder so, was 520
aber ihrer Meinung nach noch dazugehört? 00:58:34-2
B1: Hm (8s). Also wenn ich mir so meine EIBE-Klasse, mit der ich arbeite (2s)
was ja so meistens im Schulischen auch als das schwierige Klientel gesehen
wird, würd ich mir schon wünschen, dass einfach mehr Sozialpädagogen, mehr 525
Pädagogen, Lehrer mit ner größeren Offenheit auf eine solche Zielgruppe
zugehen. Weil ich finde, mit der Klassenlehrerin, mit der ich zusammenarbeite.
Wir arbeiten ziemlich lange und ziemlich gut miteinander und ergänzen uns
auch gut als Team würde ich so behaupten. Wir seufzen dann manchmal
schon, boah ist das anstrengend, aber dann im nächsten Satz sagen wir dann 530
auch, aber wie langweilig wärs, wenns nicht so wär. Wenn immer alles super
läuft 01:00:07-4
I: Mhm 01:00:07-4
535
B1: Wo ich mir denke, einfach ne Offenheit wünsche wirklich hinzugucken. Wer
ist mein Gegenüber, mit wem arbeite ich (2s) und wenn sie nervig sind, sich
auch mal zu überlegen warum sind sie so. Also ich will jetzt nicht so alles mit
der Erziehung und mit der Kindheit entschuldigen oder so, aber Menschen sind
einfach nun mal so wie sie sind, weil sie in irgendner Form geprägt sind. Das 540
heißt nicht, dass ich alles entschuldige und sag mach mal weiter so. Aber
derjenige ist so wie er ist, weil er geprägt wird von irgendwas und von
irgendwem und von irgendwo (1s) und da hingucken zu wollen. 01:01:16-3
75
I: Ja 01:01:16-3 545
B1: Nehm ich als Beispiel mal wieder ein Extrem. Wenn ich nen Asylbewerber
mir gegenübersitzen hab und der sitzt dann in der Schule und dann sagt zu mir
ein Lehrer, 'ei man, der ist so unmotiviert und der hängt da immer da wie ein
Sack Mehl und der könnt mal so ein bisschen in die Puschen kommen..', wo ich 550
mir denk, versuch dich doch mal ein bisschen in diesen Menschen
reinzuversetzen, was der vielleicht gerade in den letzten zwei Jahren, was der
durchgemacht hat. Der hat in seinem Leben ganz andere Themen, die für ihn
lebensnotwendig sind. Natürlich ist die Schule wichtig. Aber der kommt
vielleicht gerade aus nem Gebiet, wo er vielleicht gerade um sein Überleben 555
gekämpft hat. Ist es denn dann wirklich so wichtig, dass der wie ein
Energiezäpfchen jetzt in der Klasse sitzt und kann man nicht sagen, es ist erst
mal gut, dass er überhaupt da ist? Oder auch mal sagen, dass er vielleicht ein
bisschen Zeit hat, bis er sich an euch gewöhnt hat und mal ein bisschen aus
sich rauskommt. So Geschichten (2s) wen hab ich da sitzen und was bringt der 560
für ne Geschichte mit? Und wieweit kann ich etwas dafür tun, dass er sich
entweder öffnet, dass er vielleicht aktiv wird (3s) Also wirklich nochmal nen
anderen Blick und auch über dem Ganzen vielleicht ein wenig auch einen
herzlicheren Blick ((sehr leise werdend)) 01:03:17-1
565
I: Ja 01:03:18-7
B1: Ja das fänd ich schön (4s) Und wie gesagt, ich will das nochmal klarstellen.
Ich mein das nicht in diesem für alles Mitleid und Entschuldigung zu haben, mir
ist wichtig, dass das so nicht verstanden wird. Gerade in dieser EIBE-Klasse mit 570
diesen Asylbewerbern, da gibt es Lebensgeschichten wo ich DANKBAR dafür
bin, als Frau hier in Deutschland großgeworden zu sein und die Möglichkeiten,
die ich hab, einfach zu schätzen weiß, ja. Wenn ich seh, ich hab nen Schüler da
in der Klasse, der ist von seinem 14. bis zu seinem 18. Lebensjahr ist der auf
der Flucht gewesen, bis der hier angekommen ist, und wir uns immer überlegt 575
haben, ey der sieht immer so aus, als ob er mit seinen Gedanken woanders ist.
Jo klar ist der mit seinen Gedanken woanders. Den haben wir jetzt das zweite
Jahr in der Klasse und sehen JETZT ist er angekommen. Jetzt ist er da, in
76
allem, im Unterricht. Und dieses Verständnis dafür zu haben oder auch dieses
Bewusstsein, wo kommt das her, warum ist er eben da noch nicht da gewesen. 580
01:04:37-0
I: Hm 01:04:37-0
B1: Und ich denk mir, wär der in ner anderen Klasse mit anderen Menschen 585
oder auch mit ner anderen Klassenlehrerin, 'ja aus dem wird eh nichts', der wär
abgehakt gewesen. Und da einfach nochmal zu sagen, was gibts für
Möglichkeiten, wie setzt man sich für so nen Menschen ein oder wie fördert
man denjenigen und was zeigt man ihm für Wege auf (2s) mit Geduld. Einfach
jetzt nochmal so ein Extrem, aber das kannst du ja aber auf jeden Menschen 590
übertragen. Ob mit oder ohne Migrationshintergrund, find ich gerade bei
Jugendlichen wichtig. Weil du wirst geprägt in den Medien und in der
Gesellschaft von nem Bild über Jugendliche, was nicht realistisch ist und
dementsprechend verhältst du dich ja auch so. 01:05:30-4
595
I: Ja, vielleicht auch unbewusst 01:05:30-4
B1: Ja genau. Also ich bin letztens in die Straßenbahn gestiegen und dann saß
ein junges Mädchen da, auf so nem Vierersitz und die hatte die Füße auf dem
Sitz gegenüber ausgestreckt. Die ganze Bahn war voll und diese vier Plätze, bis 600
auf den Platz wo das Mädchen gesessen hat, waren leer. Und manche haben
nebendran gestanden. Und dann bin ich hin und hab dem Mädchen ganz
freundlich gesagt ‚ja Entschuldigung, kannst du bitte deine Füße runtertun, ich
würd mich hier gerne hinsetzen‘. Und sie so ‚kein Thema‘. Hat die Füße
runtergelegt, hat mich da hinsitzen lassen und mit ganz normaler Mimik. Auch 605
nicht böse oder irgendwas. Dann hab ich mich hingesetzt und zack, waren die
Plätze neben mir auch belegt, ja. Und ne etwas ältere Frau, 'ohh, sind Sie aber
mutig. Man weiß ja nicht heutzutage bei der Jugend.' Dann hab ich gemeint, 'ja
entschuldigen Sie bitte, aber wenn SIE mit so einer Angst, bzw. dieser jungen
Dame hier so viel Macht geben, klar warum soll sie irgendwas ändern. Aber SIE 610
geben ihr diese Macht in Form von Angst, in Form von 'oh, nicht dass die mich
auch am Bahnhof zusammenschlägt und ich sterb irgendwo und man lässt mich
77
da liegen und ich bin tot.' Aber durch die geprägten Bilder in den Medien hat die
Frau Angst gehabt und aus dieser Angst heraus hat die dem Mädchen so viel
Macht gegeben, dass sie sich nicht getraut hat, sie darauf aufmerksam zu 615
machen, dass sie sich eigentlich gerne setzen würde. Und nicht nur auf dem
Platz, wo ihre Füße lagen, sondern die Plätze daneben waren auch frei. Wär sie
patzig geworden, hätt ich immer noch überlegen können, wie ich reagier. Die
wär nicht sofort aufgesprungen und hätte mir ein Messer in den Hals gerammt
oder so was. Dann hat die Frau mich so verblüfft angeschaut und dann hat sie 620
gemeint, 'ja eigentlich haben sie ja Recht'. Und das ist so was, du bist geprägt
durch die Medien (3s) wie jetzt vor zwei Tagen ist doch wieder was passiert.
Wie das ausgeschlachtet wird (2s) also du vermittelst ein Bild in der
Gesellschaft und dementsprechend trittst du den Jugendlichen gegenüber und
das find ich schade, weil es einfach nicht die Realität ist. 01:08:56-5 625
I: Mhm 01:08:56-5
B1: Und einerseits brandmarkst du die Jugendlichen ja damit. Klar gibt es
welche, die sind stolz dann zu sagen, 'Yeah, wir sind die Gangster'. Was bleibt 630
ihnen auch anderes übrig. Die kriegen den Stempel ab und entweder tragen sie
es mit dementsprechender Haltung. Dann sagen sie, wenn ich eh den Stempel
hab, dann verhalt ich mich auch so. Dann entsprech ich dem Bild, was jeder
von mir erwartet. Warum soll ich immer dagegen ankämpfen. Ist ja auch
Energie, die verschwendet ist. Wenn ich mich immer wieder rechtfertigen muss, 635
'ich bin ja gar nicht so gewalttätig', aber jeder denkt das von mir, dann kann ichs
auch sein. Und das ist ja dann auch der Teufelskreis (2s) Eigentlich sind sie es
nicht, aber du gibst ihnen den Stempel und manche sagen, 'ok wenn ich ihn
schon hab, dann nutz ich ihn auch für mich'. 01:12:17-8
640
I: Ja 01:12:17-8
B1: Ja (2s) Und daher einerseits nicht von den Medien so beeinflussen lassen
und das auch einfach ein bisschen reflektierter sehen. Und dann einfach
gucken, wenn ich heute so was in den Nachrichten mitkriege, wie geh ich mit 645
dem Nächsten, dem ich auf der Straße begegne, um. Und ich denk mir als
78
Sozialpädagoge sollte man da ja reflektierter sein, als Nicht-Pädagoge, aber
vielleicht auch dann trotzdem mal darüber Gedanken machen und auch andere
darauf aufmerksam machen. Die eben nicht aus diesem Arbeitsfeld kommen.
01:12:59-8 650
I: Ja, kann ja was bewirken. 01:12:59-8
B1: Ja genau ((lacht)) 01:13:00-6
655
I: Ja ((lacht)) vielen Dank. 01:13:01-4
B1: Ja bitte, ich hoffe ich konnte dir ein bisschen weiterhelfen. 01:13:01-4
660
79
Transkript zu Interview 2
Leitgedanke: Welche Sichtweisen gegenüber benachteiligten jugendlichen
Migranten bestehen bei SozialpädagogInnen unterschiedlicher Einrichtungen?
5
Abkürzungen: I= Interviewerin, B2= Befragter 2
I: Inwieweit sind Ihrer Meinung nach viele Jugendliche mit
Migrationshintergrund überhaupt benachteiligt und wo sehen Sie die Ursachen 10
dafür? 00:00:26-6
B2: Also ich denk die Benachteiligung bei Migranten beginnt mit der
schlechteren Bildung die sie genießen, die schlechteren Aufstiegschancen, die
Undurchlässigkeit der Bildungssysteme. Da seh ich zunächst mal die 15
Hauptursache und natürlich wenn die relativ kurzfristig erst in Deutschland sind,
liegt das in allererster Linie zunächst mal an den mangelnden
Sprachkenntnissen (1s). Und dann natürlich was dazu beiträgt, der Wechsel
von Kulturkreisen ist bestimmt nichts was der, wie sagt man, Entwicklung eines
Jugendlichen förderlich ist. Also der muss sich ja erstmal vollkommen neu 20
orientieren, ne andere Werteskala für sich mal registrieren, die sich ja ganz
eindeutig von den Herkunftsländern oftmals unterscheidet. Diese Phase der
Neuorientierung was Werte und gesellschaftliche Normen anbetrifft, die
Sprachprobleme und dann, die ich schon angesprochen hab, hier
vorherrschenden undurchlässigen Bildungssysteme tragen halt schon dazu bei, 25
dass es eindeutig zu einer Benachteiligung dieses Personenkreises kommt.
Wenns um Zukunftschancen, wenns um berufliche Aufstiegsmöglichkeiten geht
(2s) 00:02:00-7
I: Mhm (5s) 00:02:00-7 30
B2: Wenn Ihnen das zu ungenau ist, müssen Sie nachfragen ((lacht)) 00:02:06-
2
80
I: ((lacht)) Nein genau, das ist ganz frei 00:02:06-9 35
B2: Ja (6s) 00:02:13-9
I: Was verstehen Sie denn unter einer gelungen Integration, jetzt im Blick auf
die Lebenssituation der Jugendlichen? 00:02:20-2 40
B2: Also ist ja jetzt die Frage, man muss ja unterscheiden zwischen Integration
und Assimilation. Also von Assimilation halt ich überhaupt nichts. Ich denke
schon, dass dieser Personenkreis, der aus anderen Ländern hierher kommt,
auch seine kulturellen Eigenheiten durchaus behalten darf. Wünschenswert ist 45
natürlich, dass die Jugendlichen hier entsprechende Startchancen haben. Das
ist für mich das Wesentliche, was Integration anbetrifft. Also das heißt, was ich
gesagt hab, man müsste dieses Bildungssystem irgendwie durchlässiger
gestalten, dass die nicht einmal in der Schiene sind und dann nie wieder
rauskommen. Weil sie zu Beginn der schulischen Karriere unter massiven 50
Sprachproblemen gelitten haben, werden sie dann später auf diesem Niveau
gehalten, obwohl sie zwischenzeitlich vielleicht die deutsche Sprache
ausreichend oder sogar sehr gut erlernt haben. Aber die Chancen dann aus ner
Förderschule dann wieder rauszukommen und mehr als nen
Hauptschulabschluss zu erreichen (2s) Das geht ja wirklich gegen Null, ne (3s) 55
Wobei es natürlich Ausnahmen gibt, ne. Wir haben ja auch Leute, die es
schaffen über große Anstrengungen auch letztendlich zu studieren. Aber die
Mehrzahl derer, mit der wir es zu tun haben, die einen Migrationshintergrund
haben, sind eindeutig benachteiligt (4s). 00:03:53-5
60
I: Ja (1s) Also darf die Integration, in Anführungsstrichen, nicht nur von der
einen Seite abverlangt werden, sondern muss auch von der Gegenseite
gegeben sein? 00:04:01-5
B2: Richtig. Es darf vor allem, wenn man unter Integration versteht, dass die 65
hier ich sag mal nur FUNKTIONIEREN, aber keinen Kontakt zur
Ursprungsbevölkerung haben und aufbauen können, dann wirds halt schwierig
von ner gelungenen Integration zu sprechen. Also so lang breite
81
Bevölkerungsschichten in Deutschland nem Menschen, der einen
Migrationshintergrund hat, ablehnend gegenüberstehen, kann meiner Meinung 70
nach Integration, ne gelungene Integration, nur schwer erreicht werden. Also
das ist das, was wir auch immer wieder beobachten in den Problemstadtteilen,
das sind, ich sag mal jetzt die Russlanddeutschen bleiben unter sich und
daneben gibts die Gruppe der marokkanischen Jugendlichen und daneben
gibts ne andere Gruppe der türkischen Jugendlichen. Da findet vielleicht 75
zwischeneinander noch ein bisschen Austausch statt. Aber dass diese drei
Gruppen jetzt nen sehr ausgeprägten Kontakt zu in Deutschland geborenen
Jugendlichen ohne Migrationshintergrund haben, das ist selten. 00:05:23-7
I: Hm (2s) ja (3s) Also Sie haben hier ja auch mit jugendlichen Adressaten zu 80
tun, die einen Migrationshintergrund haben. Können Sie beschreiben, was die
Arbeit mit dieser Zielgruppe kennzeichnet? Oder ist sie überhaupt besonders
gekennzeichnet? 00:05:33-7
B2: Also ich muss erstmal sagen zur Menge der Auffälligkeiten, wenn ich die 85
begangenen Straftaten, beziehungsweise die Verfahren, die gegen Jugendliche
mit Migrationshintergrund anhängig sind, in Relation setze zu der Anzahl der
Jugendlichen - jetzt sag ich mal aus der Türkei kommen - und wie viel
Verfahren gegen Jugendliche aus der Türkei sich richten. Dann sind die
Verfahren gegen diese Migrantengruppen prozentual gesehen niedriger als der 90
Anteil der Verfahren, die sich gegen, ich sag mal gegen Deutsche richten.
00:06:15-6
I: Ja. 00:06:15-6
95
B2: Also das die jetzt wahnsinnig überbordend auffällig werden, das kann ich
nicht sagen. Wir haben in der Vergangenheit das auch mal nach Nationalitäten
ausgewertet, aber wir sind mittlerweile, was die Statistik angeht so ein Stück
zurückgeworfen worden, weil wir ein neues Statistiksystem bekommen haben,
was für den Bereich Jugendgerichtshilfe nur in leeren Bausteinen vorsahen. Wir 100
mussten das, ja in mühevoller Eigenarbeit erstellen und mussten das auch
entwickeln. Und wir haben jetzt seit fünf Jahren, also gerade speziell auf
82
Migranten nicht mehr ausgewertet. Aber wir wissen natürlich aus der
alltäglichen Arbeit was passiert. Ich kanns vielleicht nicht genau in
Prozentzahlen fassen aber (2s). Also ja, was kennzeichnet die Arbeit mit denen 105
(3s) 00:07:14-5
I: Vielleicht auch so in die Richtung obs einen bestimmten Ansatz gibt oder ein
Konzept, was vielleicht auch im Leitbild verankert ist [B2: Also]
oder 00:07:21-2 110
B2: Von unsrer Konzeption her, wir sind einige der wenigen
Jugendgerichtshilfen, die sich mal hingesetzt haben, haben sich die Mühe
gemacht ne Konzeption für die Arbeit zu schreiben. Also Jugendgerichtshilfe
wird ja wahrgenommen, grade wie die Städte Lust haben. Die einen machens in 115
spezialisierter Form wie Darmstadt, andere lassens irgendwie im Sozialdienst
aufgeben. Mit der Folge dass Jugendgerichtshilfe dort überhaupt nicht mehr
wahrgenommen wird, weil ein Sozialarbeiter, der sich um ein Kind kümmern
muss, dass jetzt sag ich mal vernachlässigt wird. Der wird natürlich sich eher
um dieses Kind kümmern, als sich in ne Jugendgerichtsverhandlung zu setzen, 120
ja. Und ähm, jetzt hab ich den Faden veloren, was die Ausgangsfrage war
((lacht)) 00:08:03-6
I: Achso ((lacht)) 00:08:03-6
125
B2: Ich hab wieder zu weit ausgeholt. ((lacht))
I: ((lacht)) Also was die Arbeit kennzeichnet und [B2: Achso.]
obs da 00:08:09-6
130
B2: Also wir haben keine spezielle Konzeption, die sich jetzt auf die Arbeit mit
Migranten richtet. Also für uns ist jeder der hier reinkommt und der die Hilfe der
Jugendgerichtshilfe in Anspruch nimmt erstmal ein Jugendlicher, vollkommen
egal wo er herkommt, was er für ne Abstammung hat, was er für ne Nationalität
hat. Und es spielt auch keine Rolle was er an Straftaten begangen hat. Also 135
erst tritt hier mal ein Mensch in den Raum um den wir uns kümmern und für den
83
wir als Beistand in diesen Verfahren tätig sein wollen. Wir merken natürlich, da
wir nicht nur dieses Gerichtsgängertum hier haben, sondern auch, ich sag mal
ambulante Angebote, die verhindern sollen dass die Leute im Freiheitsentzug
landen. Da merken wir halt schon, dass wenn man ne Soziale Gruppenarbeit 140
mit acht Teilnehmern durchführt und hat da fünf Migranten drin, ähm (2s) dann
muss man sich schon auf diese Situation einstellen, ja. 00:09:15-3
I: Mhm 00:09:15-3
145
B2: Auf den Background den die mitbringen. Dann kann ich Dinge, die für einen
in Deutschland geborenen Jugendlichen gelten, auch Werte und Normen nicht
einfach zu 100 Prozent zu übertragen. Weil bei denen das Wertesystem ein
ganz anderes ist. Fakt ist, sie verstoßen hier gegen Gesetze und das geht nicht.
Wenn sie sich hier aufhalten, müssen sie diese Gesetze achten. Aber ähm (2s) 150
es ist natürlich klar, dass ein türkischer oder marokkanischer Jugendlicher ganz
empfindlich reagieren wird, wenn man seine Familie beleidigt. Was sehr oftmals
der Hintergrund von Körperverletzungsdelikten auch ist, während dem des
deutschen Jugendlichen, ja den wirds auch stören, aber der wird nicht so
drastisch reagieren. Also da stoßen einfach zwei Welten aufeinander und ich 155
denk mal man muss dann schon hingucken undundund muss sagen, also muss
versuchen nachzuvollziehen, warum diese Tat so begangen wurde und kann
das nicht alles über einen Kamm scheren ja 00:10:27-0
I: Ja. Brauch es irgendwie ein bestimmtes Wissen, Hintergrundwissen, oder ist 160
das [B2: Ja also]
einfach..
00:10:30-2
B2: Wir haben in der Abteilung jetzt, wir sind vier Sozialpädagogen, also zwei 165
Frauen zwei Männer. Drei dieser vier sind seit 25 Jahren Jugendgerichtshelfer.
Wir haben ja seit 25 Jahren mit Migrantenjugendlichen zu tun. Also man eignet
sich im Laufe der Zeit doch so einen gewissen Fundus, so ein
Backgroundwissen an. Man führt mit den Leuten ja auch intensive Gespräche
und man hinterfragt ja auch. Und aufgrund dessen, was man von denen 170
84
mitgeteilt bekommt, entwickelt man natürlich auch ein Gespür was geht, was
geht nicht oder wie muss man was werten (2s). Also diese Informationen
kriegen wir aus erster Hand, also die ziehen wir uns nicht aus irgendwelcher
Literatur raus sondern (1s) auch dieses Backgroundwissen haben wir von den
Klienten erworben. 00:11:22-8 175
I: Mhm 00:11:22-8
B2: Und ich denk das ist authentischer, als wenn ich das in irgendner
Fachliteratur nachles, die sich mit den Problemen von Migrantenjugendlichen 180
beschäftigt. Das ist auch wichtig, aber so direkt aus der Lebenswelt der
Betroffenen was mitzubekommen, das hat doch schon mehr Gehalt. 00:11:47-3
I: Mhm 00:11:47-3
185
B2: Also wir beziehen das ein in unsre Arbeit. Wos manchmal vielleicht ein
bisschen problematisch wird ist, wenn unsre Kolleginnen auf ne Familie treffen,
die also noch sehr äh hierarchisch strukturiert ist ähm (1s) männerdominiert ja.
Und dann sitzt auf einmal ne Sozialpädagogin da und will sagen was richtig und
falsch ist. Aber ich mein das sind ja auch keine Berufsanfängerinnen und von 190
daher. Aber das mag gelegentlich ein Problem sein, schade dass die Kollegin
jetzt nicht da is (3s) 00:12:29-8
I: Hm (3s) Ja das wär ja zum Beispiel ein Punkt, wo vielleicht Schwierigkeiten in
der Zusammenarbeit auftreten könnten. Gibt es sonst Barrieren oder 195
Schwierigkeiten in der Arbeit, die vorkommen? 00:12:34-9
B2: Also es existiert eigentlich weniger gegenüber den Klienten direkt als wenn
die mit ihren Familien kommen und da sitzt dann das Familienoberhaupt, der
eindeutig das Sagen hat und äh dann ist halt schon die Frage, wie ernst nimmt 200
er das, was die Kollegin sagt. Aber das es jetzt zu direkten Problemen
gekommen wäre oder dass jemand dann hingeht und sagt, er lehnt jetzt die
Unterstützung durch die Jugendgerichtshelferin ab und besteht drauf, dass
einer der Männer dieses Verfahren übernimmt, das (1s) also das würd ich auch
85
ablehnen. Da erwarte ich dann schon, dass man sich an die Gepflogenheiten in 205
diesem Land auch ein Stück weit annähert und wir haben ja ganz bewusst
diese Konstellation, dass wir paritätisch besetzt sind und vom Geschlecht
00:13:30-3
I: Mhm ja. Also gab es vielleicht dann auch mal Situationen, wo ne bestimmte 210
Unsicherheit besteht, bezüglich Handlungs- und Umgangsweisen? 00:13:46-8
B2: Ah ich denk man trifft ständig auf neue Personen, die auch immer ganz
unterschiedlich gestrickt sind, man muss sich auf jede Situation neu einstellen.
Vieles kommt einem altbekannt vor, weils halt so ein durchgängiges Muster ist 215
was dann in äh in türkischen Familien anzutreffen ist, was in marokkanischen
anzutreffen ist. Immer speziell auf diese kulturellen Hintergründe abgestimmt.
Es gibt sicherlich mal Situationen wo man schluckt und man überlegt was
macht man mit der Information jetzt ähm, aber dann muss man halt schauen
wie man damit umgeht ja, dann (1s) aber jetzt dass sich die Arbeit mit 220
Migrantenfamilien wesentlich anders gestaltet als mit Deutschen kann ich jetzt
nicht sagen. 00:14:36-0
I: Ja (3s) 00:14:34-3
B2: Wie gesagt, diese Rücksichtnahme auf diesen kulturellen Hintergrund das 225
hat ganz praktische Auswirkungen wenn wir in der Sozialen Gruppenarbeit
Wochenendmaßnahmen haben wo wir also wegfahren, dann ist es natürlich ne
Frage was wir da zu Essen anbieten. Ich käm natürlich nicht auf die Idee ähm
da nur Schweinefleisch anzubieten ja ((lacht)) wenn ich weiß, da hab ich drei
Türken und zwei Marokkaner die ich mitnehm. Also dann ist es für uns 230
selbstverständlich, dass wir das vorher abfragen. Es gibt welche, denen macht
das überhaupt nichts aus Schweinefleisch zu essen, die ham das auch
mittlerweile. hmm klar. 00:15:31-3
I: Mhm 00:15:31-3 235
B2: Also wie gesagt, es ist von Situation zu Situation verschieden, man muss
sich drauf einstellen, man muss auch nachfragen wenn man sich unsicher ist,
86
das halt ich für ganz wichtig. Auch das man offen nachfragt und nicht ja (1s)
irgendwas was geäußert wird schluckt und dann nicht damit umgehen kann, 240
sondern man hat ja die Möglichkeit miteinander zu reden. 00:15:42-8
I: Ja 00:15:42-8
B2: Man kann ja auch erklären, dass man vonvonvon ihrer Herkunft, von ihrer 245
ähm wie sie aufgewachsen sind, dass man eigentlich wenig Ahnung hat und
auch mal Interesse bekunden um mehr zu erfahren ja. Um gesellschaftliche
Hintergründe mitzubekommen, also ich denk das gehört für mich zu so nem
Ansatz von Jugendgerichtshilfe dazu, dass ich mich mit den Eigenheiten, die
jeder einzelne Klient mitbringt, auch auseinandersetze. Das gilt für Deutsche 250
auch, da haben wir auch ganz unterschiedliche Strickmuster ja. 00:16:19-1
I: Ja (3s) Sie haben vorhin ja auch angesprochen mit dieser Kriminalstatistik
und wie das auch schon ausgewertet wurde. Jetzt gibts ja gerade in der
Gesellschaft bestimmte Vorstellungen oder Sichtweisen, auch in Bezug auf die 255
Zielgruppe, was auch in den Medien mitspielt. Die auch bestimmte Bilder
prägen. Würden Sie sagen, steht die Soziale Arbeit unter dem Einfluss auch
dieser gesellschaftlichen Sichtweisen in Bezug auf jugendliche Migranten?
00:16:48-6
260
B2: Gut, für DIE Sozialarbeit kann ich nicht sprechen. Ich kann nur für mein
Arbeitsfeld sprechen und auch da nur für meine Abteilung in der ich arbeite ähm
(3s)Also unsere Sichtweise ist, dass dieses Thema Jugendkriminalität, und da
schwingt dann natürlich auch immer gleich die Frage rein, ob die Täter ein
Migrationshintergrund haben oder nicht. Das wird ja in allererster Linie benutzt 265
um in Zeiten von Wahlkämpfen Stimmung zu machen. Also ich kann ja wirklich
die Uhr danach stellen, wenn in Hessen Landtagswahlkampf ist, kommt das in
Hessen auf den Tisch und wenn Bundestagswahlkampf ist, was ja nächstes
Jahr ansteht, wird es garantiert auch wieder aufgefrischt. Weil Politik wohl der
Meinung ist, dass man damit gut als Rattenfänger auftreten kann. 00:17:38-3 270
I: Hm 00:17:38-3
87
B2: Wenn ich‘s mal ganz drastisch sagen soll, es kotzt mich an wie man da
versucht, so ne Sache zu instrumentalisieren, ne. Jugendkriminalität ist ein 275
Phänomen was es immer gab, was es immer geben wird. Es ist ne Phase, ne
Entwicklungsphase wo man Grenzen austestet. Das tun manche auch ganz
heftig, aber also das ist heute nicht schlimmer als es früher war. Wenn ich die
Zahlen, die absoluten Zahlen, miteinander vergleiche, haben wir in den letzten
Jahren sogar einen Rückgang zu verzeichnen. 00:18:17-3 280
I: Ja 00:18:17-3
B2: Was mich ein Stück weit verwundert, weil die na gut, sagen wir mal auf
Deutschland begrenzt, wir haben ja noch ne Phase wo wir ein wirtschaftliches 285
Wachstum haben. Wo mittlerweile auch auf dem Arbeitsmarkt, zumindestens
wenn man den statistischen Zahlen glaubt, eine Beruhigung eingetreten ist. Ich
mein das ist Augenwischerei weil die Leute in Minijobs landen ähm, das ist
herrlich die Leute an der Nase rumgeführt. Ähm ja also dieses Thema wird
immer in diesen Zeiten aufgegriffen, die Diskussionen die geführt werden halte 290
ich für ineffektiv, weil es geht wirklich nur um Wahlkampf, es geht nicht um
tatsächliche Lösungen und den Versuch, jetzt die Lebenssituation von
bestimmten Gruppen innerhalb der jugendlichen Straftäter zu verbessern,
sondern es geht nur um Stimmenfang. Deswegen beteilige ich mich ungern an
solchen Diskussionen oder reagier in der Art und Weise, wie ich jetzt hier 295
reagier. Und ich bin in den letzten Jahren auch dazu gekommen zu versuchen,
das Thema Jugendkriminalität nen Stück weit aus der Presse rauszuhalten.
Klar könnten wir hingehen und könnten sagen wir machen jetzt ne Artikelserie
über die D-Tageszeitung, stellen unsere ambulanten Angebote vor und
betreiben so ein bisschen Werbung in eigener Sache. Aber ich weiß doch, dass 300
das als Bumerang zurückkommt (3s) 00:19:54-9
I: Hm 00:19:54-9
B2: Also ich seh das so, es ist ne Pflichtaufgabe des Jugendamtes, wir nehmen 305
die wahr, wir nehmen die spezialisiert und qualifiziert war. Wir machen unsere
88
Arbeit aber ich mach sie lieber MIT den Jugendlichen im Verborgenen, als dass
ich meine Arbeit so in den Fokus rücke und dadurch wieder Gefahr lauf, dass
irgendjemand der gerade Langeweile hat meint, er müsste jetzt zu dem Thema
noch nen Leserbrief und dann kommt noch ein Leserbrief und auf einmal 310
bauscht sich irgendsowas auf, ja. 00:20:23-7
I: Ja 00:20:24-8
B2: Klar ist jede Straftat die begangen hat ne Straftat zu viel, gerade wenn sie 315
dann im Gewaltbereich passiert aber (3s) 00:20:35-5
I: Ja. Und gerade die bekommen aber wahrscheinlich die Aufmerksamkeit?
00:20:35-5
320
B2: Die kriegen die Aufmerksamkeit, ja. Wobei wenn man dann anschaut wie
sanktionierend gewirkt wird seitens der Gerichte, da werden Eigentumsdelikte
schwerer bestraft als Körperverletzungsdelikte. Also das ist so ne Perversion
des Denkens in diesem Land (2s) dass die Unantastbarkeit einer Person
weniger wert ist als irgendne Sache die zerstört oder gestohlen wird, die auch 325
ersetzbar ist. Also ich nehm das oft so war und denk ja, da hat jemand fünfmal
beim Karstadt was geklaut und der Wert ist unter zehn Euro gewesen
insgesamt. Und der kriegt genauso viel Arbeitsstunden wie einer der einem das
Nasenbein bricht. Und dann mach ich schon nen gewaltigen Unterschied..
Eigentlich müsste eine Gewalttat wesentlich stärker sanktioniert werden als ein 330
Eigentumsdelikt und ich beobachte eigentlich, dass es anders ist. 00:22:22-3
I: Hm (2s) ja (3s) Vorhin haben Sie auch erwähnt, dass man im Gespräch mit
den Jugendlichen vieles klären, beziehungsweise manche Dinge einfach
nachfragen kann. Lässt sich durch diese Offenheit auch eine Art 335
Schubladendenken bei sich selbst vermeiden? 00:22:49-4
B2: Ja also ich denk da sind wir alle nicht davor gefeit und jeder hat irgendwo
seine Leiche im Keller. Aber sagen wir mal so, wir haben bei uns in die
Konzeption reingeschrieben, wir versuchen das auch ein Stück weit so zu 340
89
leben, dass wir sagen Jugendgerichtshilfe ist nicht Verwaltung von
Jugendkriminalität, sondern ist auch Beziehungsarbeit. Und für mich gehört zu
ner Beziehungsarbeit dazu, dass ich da ein Stück von meiner Person einbringe
und auch sage, was ich von bestimmten Dingen halte und das auch offen tu.
Dass ich auch im gesamten Verfahren immer offen bin und nicht 345
irgendjemandem ausmale, ihm wird schon nicht viel passieren, wenn ich das
Gegenteil eigentlich weiß. Also dass ich auch jemanden darauf hinweise, wenn
er Auflagen vom Gericht bekommt, dass er die einzuhalten hat weil wenn ers
nicht tut, wird das und das und das passieren. Wir haben ja auch ne
Überwachungsfunktion, wir sind ja auch daran gehalten, dem Gericht zu sagen, 350
der hält sich nicht an seine Auflagen und das kann gravierende Folgen haben.
Aber dieses offene miteinander Umgehen und die Spielregeln erklären und
auch sagen, wir handeln konsequent anders als andere Sozialarbeiter, die die
vielleicht im Jugendzentrum oder sonst wo kennengelernt haben (1s) Wo man
ja immer als Sozialarbeiter auch so ein Stück weit der gute Kamerad sein mag 355
00:24:13-0
I: Mhm 00:24:13-0
B2: Die Linie fahrn wir nicht. Also hier wird erstmal mit Offenheit agiert, aber 360
auch mit Konsequenzen. Die Rückmeldung die wir bekommen, ich bin in 25
Jahren genauso wenig einmal bedroht worden wie meine Kollegen. Auch
wenns für Leute am Schluss da geendet hat, wovor wir immer die Leute
gewarnt haben, nämlich dass wir auch nichts anderes mehr sagen konnten, als
dass es keine erzieherischen Hilfestellungen, Maßnahmen, ambulante 365
Angebote mehr gibt, sondern dass es letztendlich nur hilft, dass jemand zwei
Jahre in den Jugendknast geht. Und ich denk, das ist zum einen die Offenheit
was die Konsequenz anbetrifft, dass wir mit offenen Karten spielen, dass wir
versuchen die Personen ernst zu nehmen. Wenn man die Personen ernst
nehmen, müssen wir halt auch nachfragen. Dann müssen wir auch ein Stück 370
weit dran interessiert sein, was der einzelne für nen Background hat. 00:25:08-
1
I: Mhm 00:25:09-2
90
375
B2: Und müssen auch versuchen zu verstehen, warum der so handelt. Nicht um
es zu entschuldigen, sondern um es vielleicht erklären zu können und dass das
Ganze dann vielleicht auch ein bisschen relativiert wird. 00:25:38-5
I: Ja (2s) Hm an dieser Stelle würde ich gerne ganz kurz nochmal auf das 380
Konzept Ihrer Abteilung zurückkommen. Können Sie einfach nochmal
skizzieren, was darin festgehalten ist? 00:25:38-5
B2: Gut der Überbegriff ist halt Jugendgerichtshilfe ist keine Verwaltung von
Jugendkriminalität, sondern das ist ein Stück weit Beziehungsarbeit und aus 385
diesem Begriff Beziehungsarbeit leiten wir das ab, was ich gerade gesagt hab.
Ich kann Beziehungsarbeit nur leisten, wenn beide Seiten gewillt sind ein Stück
von sich preis zu geben. Ich werd als Sozialarbeiter logischerweise mein
Privates nicht nach außen kehren im Umgang mit Klienten, aber er hat ein
Recht drauf mir, soweit das dienstliche Belange betrifft, alles zu erfahren. Und 390
auch schonungslos zu erfahren. Er soll ja auch ein stückweit dran gewöhnt
werden, was für Spielregeln gelten und da hilft halt nur Offenheit. Aber dann
halt auch auf der Kehrseite der Versuch IHN zu verstehen (3s) Das soll keine
Einbahnstraße sein was hier abläuft zwischen Klient und Sozialarbeiter. Das
mündet dann halt auch in diesen ambulanten Angeboten, was wir dort machen. 395
Dass wir halt in der sozialen Gruppenarbeit mit denen erlebnispädagogische
Wochenenden machen, wo es sonnenklar ist, dass nicht nur die Jungs abends
spülen gehen, sondern auch die Herren Sozialarbeiter mal das schmutzige
Geschirr mal abräumen und dass wir uns die Zelte nicht aufbauen lassen,
sondern dass wir das alle zusammen aufbauen. Dass wir ZUSAMMEN Boot 400
fahren und dass es nicht so ist, dass die Sozialarbeiter in einem sitzen die es
eh können und die Jungs fallen ständig ins Wasser, sondern dann nehmen wir
uns halt nen Jungen dazu und wenn wir reinfallen, dann haben wir beide im
Wasser gelegen. Sowas schmiedet zusammen ((lacht)) 00:27:25-7
405
I: Ja ((lacht)) (4s) Gibt es jetzt von Ihrer Seite gerade noch Ergänzungen oder
Wünsche, irgendein Bereich der jetzt nicht angesprochen wurde, den Sie aber
als wichtig empfinden, was da noch reingehört? 00:27:37-4
91
B2: Hm schwierig (3s) da hab ich jetzt gerade so nichts greifbar (3s)00:27:50-0 410
I: Ja (2s) 00:27:50-0
B2: Also ich mein, das war natürlich jetzt, ich sag mal so beschrieben wie der
Idealfall laufen sollte. Aber da wo viel gearbeitet wird, läuft auch manches Mal 415
etwas anders. Also ich hab das jetzt ziemlich idealistisch und ideal geschildert.
Wir versuchen das anzustreben. Es ist auch mal ein Fall dabei, wo es nicht
klappt, wo die Chemie nicht stimmt zwischen Sozialarbeiter und Jugendlichem,
da müssen wir halt schauen, ob wir den Sozialarbeiter austauschen, den
Jugendlichen können wir nicht austauschen (1s) Ja es ist ein Bemühen, 420
orientiert an unseren Grundsätzen zu arbeiten und dem Thema Rechnung zu
tragen. 00:28:33-7
I: Mhm ja. 00:28:31-4
425
B2: Also ansonsten klingt das wieder so, ja wir sind die perfekten Sozialarbeiter.
Wir tragen ja auch hier unsere internen Konflikte aus 00:28:40-3
I: Ja 00:28:40-3
430
B2: Also es soll keiner glauben dass es zwischen Sozialarbeitern keine
Konflikte gibt und äh ja ((lacht)) Aber sonst hab ich spontan keine Idee was ich
da noch sagen könnte. 00:28:56-0
I: Mhm ja okay (2s) 00:28:57-0 435
B2: Das wars schon? 00:29:00-5
I: Das wars schon, ja. Vielen Dank dafür. 00:29:01-3
440
B2: Prima. Ja ich hoff, dass Sie davon was gebrauchen können.
92
Transkript zu Interview 3
Leitgedanke: Welche Sichtweisen gegenüber benachteiligten jugendlichen
Migranten bestehen bei SozialpädagogInnen unterschiedlicher Einrichtungen?
5
Abkürzungen: I= Interviewerin, B3= Befragte 3
I: Inwieweit sind Ihrer Meinung nach jugendliche Migranten benachteiligt und wo
sehen Sie die Ursachen dafür? 00:00:17-9 10
B3: Hm (3s) Also so ganz allgemein gesprochen (3s) Das Problem ist ja, dass
wir jetzt hier im Stadtteil gar nicht so viele jugendliche Migranten haben und ich
denke tendenziell letztlich ist es oftmals ne Frage von Schicht und Bildung. Also
ich denk so dieser Überbegriff ‚jugendliche Migranten‘ erfasst ja dann auch gar 15
nicht in ihrer Gesamtheit alle Menschen. Da gibts denk ich mir aus bestimmten
Ländern Migranten, die wunderbar, ich sag mal integriert sind, in der
Zwischenzeit. Die dritte, vierte Generation, die Abitur macht, und wo die Eltern
sich ein Einfamilienhaus irgendwo gekauft haben ((lacht)) Und dann gibts eben,
ich sag mal die Gruppe von Migranten, die dann oft auch mal negativ in der 20
Presse auftauchen mit den entsprechend negativen Politikern wie der Sarrazin.
In Neu-Kölln zum Beispiel sag ich mal, die dann ganz andere Probleme haben.
Das wird ja dann auch so immer diskutiert, was ist es jetzt. Hat es was mit der
Migration zu tun, hat es was damit zu tun, dass es Ausländer sind, hat es was
mit der Schicht zu tun, wo die Leute herkommen. 00:01:35-1 25
I: Mhm 00:01:35-1
B3: Und ich tendiere denk ich mir (2s) also ich tendiere schon eher auch dazu
zu sagen, es hat AUCH was mit Schicht zu tun und es hat natürlich AUCH was 30
letztendlich dann irgendwann mit dem Milieu zu tun, in dem man aufwächst und
in dem man sozialisiert wird. Und in dem Leute sozusagen auch konzentriert
werden. Und hier in D-Stadt hat man das ja ein Stück weit am ehesten noch in
K-Stadtteil und in E-Stadtviertel. Wobei jetzt hier in der W-Siedlung hier auch
93
Migranten wohnen, also leben. Gezielt hier für die A-Siedlung kann man das 35
nicht sagen, wobei hier ja viele Sinti-Familien wohnen oder so genannte
jenische, also so Wanderfamilien, die letztendlich ja auch ausgegrenzt und
stigmatisiert wurden. 00:02:26-7
I: Mhm 00:02:25-3 40
B3: Die auch nicht, ich sag mal in Anführungszeichen als "Deutsche"
empfunden worden, obwohl die Sinti-Familien deutsche Sinti-Familien sind, die
über Jahrhunderte schon hier in Deutschland leben, nur eben halt nicht so, wie
man es gerne hätte (3s) und ja (4s) 00:02:47-5 45
I: Ja (3s) Jetzt haben Sie auch das "Integriert"-Sein angesprochen. Was
verstehen Sie denn unter einer gelungenen Integration in Anführungsstrichen,
jetzt so auf die Lebenssituation der Jugendlichen? 00:03:02-4
50
B3: Ne gelungene Integration? Du liebes bisschen ((lacht)) Das ist ja auch
immer ganz schwierig [I: Ja] ((lacht)) 00:03:05-0
I: ((lacht)) 00:03:05-0
55
B3: Da gibts ja dann auch im Moment ganz unterschiedliche Theorien von (2s)
also muss es überhaupt Integration sein. Ich denk der Begriff "Integration" ist ja
in sich auch schon immer sehr kontrovers diskutiert und es geht im Moment ja
auch alles in diese Richtung Inklusion (1s) Vielfalt, dass jeder sozusagen so
sein darf wie er ist. Und trotzdem an den wichtigsten Dingen des Lebens 60
partizipiert. Also ich denke ne gelungene Integration wär für mich, wenn jemand
Grundvoraussetzungen erwirbt, hier in Deutschland, um, sag ich mal, an den
Dingen die in einer Gesellschaft und zum Leben wichtig sind, teilhaben kann.
Also sprich, entsprechende Bildung, um ja am Leben teilnehmen zu können und
arbeiten zu können, was eben nach wie vor und egal wie man es bewertet, ein 65
wichtiger Faktor hier bei uns ist. Der ja auch wiederum Wohlstand verspricht
und damit dann wieder Teilhabe. Ja so (1s) 00:04:10-2
94
I: Ja 00:04:10-2
70
B3: Und ob der dabei in die Moschee geht oder in die Synagoge, das ist dann
relativ unwichtig. Also ich denk man muss schon gucken, dass man Räume
lässt, in denen die Menschen auch noch die sein können und dürfen, die sie
sind. Und trotzdem die Möglichkeit haben, an dem was die Gesamtgesellschaft
für wichtig erachtet, auch teilhaben zu können. Dazu gehört zum Beispiel auch 75
Sachen wie freie Wohnungswahl. Also das bestimmte Gruppen nicht in
irgendwelchen Räumen, Wohnräumen, konzentriert werden. 00:04:50-9
I: Mhm 00:04:49-1
80
B3: Und da dann unter Umständen auch aus bestimmten
Benachteiligungssituationen nicht mehr rauskommen (3s) Zum Beispiel wie hier
in der A-Siedlung. Die Adresse A-Siedlung öffnet nicht gerade den Weg zur
Deutschen Bank ((lacht)), um das jetzt mal so ein bisschen provokant zu sagen.
Und das hat ja nichts damit zu tun, dass die Jugendlichen hier dümmer sind 85
oder weniger Intelligenz hätten, also ja (6s) 00:05:14-7
I: Mhm. Ja jetzt gibts ja eben auch in der Gesellschaft, wie schon
angesprochen, Zuschreibungen, Stigmatisierungen, wenn man vielleicht aus
nem bestimmten Wohniertel kommt. Oder was da auch noch alles mit reinspielt. 90
Denken Sie, inwiefern steht die Soziale Arbeit unter diesem Einfluss von
gesellschaftlichen Sicht- und Umgangsweisen, jetzt in Bezug auf diese
Zielgruppe benachteiligte Jugendliche? 00:05:44-1
B3: Hm (4s) Also ich denk dadurch, dass Soziale Arbeit von, ich sag mal 95
Menschen ausgeübt wird, die natürlich dem Einfluss von allen möglichen
Faktoren auch ausgesetzt sind (1s) steht natürlich Soziale Arbeit immer in
direktem Einfluss auch von gesellschaftlichen Meinungen. Ich denk,
professionell ist dann zu gucken, was ist das was ich da gerade denke. Also ist
das tatsächlich fachlich oder ist das gerade meine eigene, also sind das meine 100
eigenen Vorurteile. Also ich denk wichtig für MICH in der Sozialen Arbeit als
Sozialarbeiter, ist immer das selbstreflexive Moment, das austauschende
95
Moment, dass man einfach mit Kollegen sozusagen auch in Kontakt steht. Um
immer wieder zu überprüfen, ist das jetzt Käse, was ich da gerade fabriziere
oder hat das irgendwie Sinn und eben halt den theoretischen Hintergrund zu 105
haben. 00:06:55-3
I: Ja 00:06:53-5
B3: Also sozusagen in der wissenschaftlich-theoretischen Fachdiskussion 110
einfach zu sehen, bin ich da gerade irgendwie am Puls dieser Diskussion oder
denk ich da komplett dran vorbei (2s) Und ich denk was viel stärker ist, in der
Sozialen Arbeit sozusagen, immer in diesem Kontext steht von staatlichem
Erfüllungsauftrag. Weil der steht letztlich ja oft dahinter. Also wenn ich
Gemeinwesenarbeit ausübe, gibts auf der einen Seite mein Finanzieren, 115
nämlich die Stadt zu nem großen Teil. D-Stadt hat natürlich, ich sag mal als
Stadt, ne gewisse Erwartung an das was sie für Soziale Arbeit hält, was ich zu
erfüllen hab. Ich hab aber unter Umständen ne ganz andere Auffassung davon,
was ich für richtig halte ((lacht)) 00:07:45-4
120
I: Ja 00:07:45-4
B3: Und was mein Auftrag ist und da muss man glaub ich immer ganz genau
gucken (2s) ja auf welcher Seite steht man. Manchmal kann man auf gar keiner
Seite stehen, sondern steht in der Mitte und wo (1s) werden da unter
Umständen meine Klienten auch noch entsprechend gut, in Anführungszeichen, 125
versorgt. 00:08:09-2
I: Mhm 00:08:09-2
B3: Oder wie kann ich mit diesem Doppelauftrag umgehen (3s) 00:08:13-6 130
I: Ja (3s) Haben Sie da vielleicht ein Beispiel für? 00:08:23-7
B3: Mhm. Also ich sag mal so, Gemeinwesenarbeit hat ja schon immer den
Auftrag, Leute zu beteiligen. Das ist ja eine so dieser Kardinalsaufgaben von 135
Gemeinwesenarbeit. Und da Gemeinwesenarbeit sich sehr häufig ja auch in
96
Quartieren aufhält mit Menschen, die sag ich mal, nicht so gute
Zugangschancen haben oder die vielleicht auch nicht genau wissen, aus
Erfahrung der politischen Bildung, wie man sich korrekt in irgendwelchen
Gremien aufhält und äußert, versuchen wir auf niedrigschwellige Art einfach zu 140
gucken, wie kann man die Menschen beteiligen an den Dingen, die sie
betreffen. Und gucken auch, was sind für Bedarfe im Quartier. Und das kann
durchaus auch mal ne politische Komponente haben und das kann auch
durchaus mal sein, dass das entgegen der offiziellen Stoßrichtung geht.
00:09:14-4 145
I: Mhm 00:09:14-7
B3: Also ich kann ein kleines Beispiel nennen. Hier in der Siedlung gabs nen
kleinen Aufstand über die Situation, dass die Horte mittel- bis langfristig 150
geschlossen werden sollen. Also auch den Hort hier in der Siedlung, den die
Leute für die Leute ganz wichtig für sich und ihre Kinder erachten. Wo sie über
Jahrzehnte und Generationen selber ja auch schon durchgelaufen sind. Kita,
Hort und ähm (2s) dann gesagt haben, wir finden es aber wichtig, dass gerade
für unsere Kinder hier in der Siedlung ein Hort da ist und die nicht in die 155
Grundschulbetreuung gehen. Insbesondere Kinder, die tendenziell in der
Grundschule schon Probleme oftmals bekommen. Nicht wirklich mit ihrer
Bildung, aber mit ihrem Verhalten. Die dann auch noch in die Betreuung in die
Schule zu schicken, ob das wirklich so ne gute Idee ist (2s). Und das haben sie
an Gemeinwesenarbeit herangetragen und ich seh es durchaus als meine 160
Aufgabe, Menschen darin zu unterstützen sich in ihrem Protest auch zu
artikulieren. Was wir dann auch gemacht haben. Was dann dazu geführt hat,
dass die Stadt relativ empört war und gesagt hat, 'Wie könnt ihr, ihr wisst doch,
wir planen gerade die Grundschulbetreuung, die können doch dahin gehen.
Das hättet ihr doch sagen müssen den Leuten.' Und wo ich sage, ne, das ist 165
nicht meine Aufgabe hier städtische Positionen zu vertreten. Meine Aufgabe
wäre es im weiterführenden Prozess zu sagen, ‘Hier Stadt, wir haben ne
Bewohnerversammlung einmal im Vierteljahr und das ist ein toller Ort, kommt
und erklärt den Leuten, warum das in der Zukunft nicht anders sein wird und
warum ein Hort unter Umständen in der Zukunft nicht mehr existiert und ihr die 170
97
Grundschulbetreuung bevorzugt. Und ich geb euch den Raum und ich versuch
zu vermitteln zwischen Bewohnern und Stadt dann in einem NÄCHSTEN
Schritt. Aber es ist nicht meine Aufgabe, städtische Positionen zu vertreten‘.
Und das sieht die Stadt unter Umständen auch anders, weil sie sagt, 'Wieso, wir
bezahlen Gemeinwesenarbeit in dem Quartier, wir möchten hier gefälligst auch, 175
dass da in unserem Sinne agiert wird.' 00:11:24-6
I: Ja 00:11:24-6
B3: Das ist so ein Beispiel für dieses Spannungsverhältnis in dem man steht. 180
Und ich denke, dass haben viele an vielen Orten und ist jetzt nicht unbedingt
spezifisch in der Gemeinwesenarbeit. 00:11:34-4
I: Mhm (3s) ja (3s) Jetzt haben Sie im Bereich der Gemeinwesenarbeit nicht
speziell nur jugendliche Adressaten. Lässt sich trotzdem dazu etwas sagen, wie 185
sich die Arbeit mit dieser Gruppe gestaltet? 00:11:56-2
B3: Also Gemeinwesenarbeit richtet sich natürlich an alle, aber es ist nicht so
sehr zielgruppenspezifisch. Also ich hab natürlich auch Projekte, die ich mit
Jugendlichen durchführe, das haben wir jetzt gehabt. Da haben wir ne 190
Beteiligung an der Spielplatz- und auch Raumsituation gemacht mit Mädchen,
mit Teenagermädchen. 00:12:21-4
I: So ne Art Sozialraumanalyse? 00:12:21-8 00:12:20-8
195
B3: Genau, das war so ne kleine Sozialraumanalyse. Also es ging schon
konkret darum, dass die Mädchen immer gesagt haben, für uns gibt‘s hier keine
öffentlichen Orte. Also es gibt im öffentlichen Raum keine Orte für uns. Das
einzige was ist, ist der Bolzplatz sozusagen. Und dann haben wir halt gesagt
ok, nachdem das also die Spielplatzplanerin auch bemerkt hat und gesagt hat, 200
wo gehen eigentlich die Mädchen hier hin in der Siedlung. Da hab ich gesagt ok
gut, dann gucken wir einfach mal, was sagen die Mädchen denn dazu und wie
sieht das aus. Und dann haben wir unter drei Aspekten so ne Nadelmethode
gemacht. Weils so kalt war, wollten sie nicht raus, sonst hätten wir auch ne
98
Stadtteilbegehung machen können ((lacht)) also so ne Siedlungsbegehung. 205
Und das war schon super, weil die haben wirklich 20 Minuten ganz konzentriert
gearbeitet an dem Plan. Haben ganz genau auch benannt, wo gehen sie hin,
wo gehen sie nicht hin, was brauchen sie und wo soll das stehen. Und das war
ganz gut. Also da gabs zum Beispiel ne Aktion mit Jugendlichen. 00:13:31-9
210
I: Ja, aha 00:13:37-2
B3: Also so Einzelaktionen, das kann schon immer mal vorkommen. Oder klar
sind bei Bewohnerversammlungen die Jugendlichen natürlich auch eingeladen.
Von Kindern über Jugendliche können alle kommen und irgendwie ihre 215
Meinung sagen oder sich beteiligen. Wir wollen jetzt auch für einen neu
gegründeten Bewohnerarbeitskreis auch eine Wahl machen, also ne
Bewohnerwahl. Und dann haben wir alle beschlossen, wir möchten dass ab 16
gewählt wird. Also das heißt im Prinzip, es können sich jetzt auch Jugendliche
sich hier als Bewohnervertreter aufstellen lassen. 00:14:27-5 220
I: Hm 00:14:25-8
B3: Ja genau, das sind so Prozesse, die dann auch mit Jugendlichen
stattfinden. 00:14:43-6 225
I: Mhm (5s) Hm, gibt es denn ein bestimmtes Konzept für die Arbeit, einen
Ansatz in der Arbeit mit bestimmten Zielgruppen? 00:15:33-8
B3: Hm also da muss ich gerade mal überlegen (4s). Also 230
Gemeinwesenarbeitskonzepte, also die, da kannst du im Prinzip sozusagen
ganz Darmstadt mit vollpflastern ((lacht)) 00:15:27-0
I: Ok ((lacht)) 00:15:27-2 00:15:26-5
235
B3: Also es gibt einfach ganz viel. Aber also es ist ein Stück weit Zielgruppe
EHER im Sinne von benachteiligten Menschen oder Menschen in
benachteiligten Lebenssituationen. Das ist oft Zielgruppe von
99
Gemeinwesenarbeit, wobei auch nicht ausschließlich. Aber oft findet man
Gemeinwesenarbeit tatsächlich in Bereichen, in denen Menschen in 240
benachteiligten Lebenssituationen leben. Und in diesem Sinne, ob groß oder
klein, alt oder jung, Migrant oder Nicht-Migrant, Frau oder Mann, ist sozusagen
dieses die Zielgruppe, auf die sich unsere Arbeit auch richtet. 00:16:30-8
I: Ja 00:16:30-8 245
B3: Und ein Leitziel von Gemeinwesenarbeit ist wie gesagt immer auch die
Beteiligung der Menschen an den Dingen, die sie betreffen. Also sprich, ihr
komplettes Lebensumfeld. Das kann Wohnen sein. Gemeinwesenarbeit hat ja
ursprünglich mal sozusagen mit, ich sag mal engagierten Bewohnern aus 250
vornehmlich Obdachlosensiedlungen, so ein Stück weit so wie hier auch (3s).
Heute sind es unter Umständen ganz andere Themen, weil in der Regel
Sanierungen einfach auch stattgefunden haben. Das kann unter Umständen
auch Bildung bedeuten oder eben halt Betreuungs- und Hortsituationen, was ja
auch wiederum was mit der Situation von Alleinerziehenden zu tun hat, was mit 255
der Situation von Frauen zu tun hat. 00:18:03-5
I: Mhm 00:18:08-3
B3: Frauen sind sowieso in der Regel der Motor von Stadtteilentwicklung, weil 260
die in der Regel ganz oft diejenigen sind, die sich engagieren. Weil die
diejenigen sind, die in der Siedlung die meiste Zeit verbringen oft mit ihren
Kindern (3s) Und das ist auch heute noch so ein Thema. Frauen sind auch hier
und heute noch diejenigen, die am ehesten anzusprechen sind. Und die auch
am ehesten kommen und ihre Bedürfnisse und Bedarfe artikulieren (4s) 265
00:19:09-6
I: Mhm ja (5s) Und in der Zusammenarbeit mit den Siedlungsbewohnern, mit
den Jugendlichen oder eben Adressaten dieser Arbeit allgemein, gibt es da
auch bestimmte Barrieren oder Schwierigkeiten? 00:20:10-2 270
B3: Schwierigkeiten (2s) Also was ganz am Anfang ein bisschen war, als ich
100
hier anfing vor zwei Jahren (1s) Hier gibts ja Gemeinwesenarbeit noch nicht so
lang. In der R-Straße gibts die schon fast 40 Jahre und hier erst zwei. Also die
A-Siedlung hatte da so ein bisschen geblockt über Jahrzehnte hinweg auch. 275
Und als ich kam hat die Bewohnervertreterin hier zu mir gesagt, 'Naja, du weißt
schon, dass wir hier keine Gemeinwesenarbeit WOLLEN'. Also es war erstmal
so ein Stück Vorurteile abzubauen oder das Urteil vielleicht so ein bisschen zu
korrigieren. 'Gemeinwesenarbeit wollen wir nicht', weil eigentlich letztendlich
auch ganz klar war, dass kein Mensch weiß, was Gemeinwesenarbeit eigentlich 280
ist. Es war halt nur klar, man wills nicht ((lacht)) 00:21:12-3
I: Mhm 00:21:10-8
B3: Vor zwei, drei Jahren hat ja die Stadt mit den Sanierungen hier auch von 285
den Gebäuden begonnen. Also das Gemeinschaftshaus ist ja saniert worden,
Kindertagesstätte komplett neu mit Krippenplätzen gebaut worden,
Jugendzentrum wird jetzt noch erneuert. Also die Stadt hat gesagt, wir möchten
aber, dass hier Gemeinwesenarbeit reinkommt, die an der Entwicklung dieser
Siedlung hier mitarbeitet. Und wir denken eben, dass Gemeinwesenarbeit das 290
Instrument ist, mit dem Stadtteil- oder Siedlungsentwicklung vorangetrieben
werden kann. Insofern wars halt einfach so, dass ich da war. Und ja, da galts
auch erstmal Vorurteile auch abzubauen. Aber ich hab das Gefühl, dass das
sich in der Zwischenzeit ganz gut etabliert hat. Also das diese Vorbehalte in der
Form so jetzt an sich nicht mehr sind. 00:22:27-0 295
I: Ja 00:22:27-1
B3: Und dass man natürlich immer mal persönlich mit dem einen oder anderen
besser kann oder natürlich auch Erwartungen geweckt werden, vielleicht bei 300
Menschen, die sich dann beteiligen in irgendwelchen Themen. Oder dass sie
vielleicht das Gefühl haben, sie sind da nicht richtig vertreten worden oder sie
konnten ihre Meinungen nicht richtig sagen. Das hatte vielleicht auch etwas mit
mir zu tun, auch wie ich agiert habe. Ist halt immer schwierig, es lassen sich
nicht immer alle Erwartungen erfüllen. Aber (3s) tendenziell wüsst ich jetzt 305
erstmal keine größeren Schwierigkeiten oder Barrieren. 00:23:54-0
101
[...]
I: Gibt es denn noch Ergänzungen oder Wünsche Ihrerseits, was jetzt noch 310
nicht angesprochen wurde oder wo Sie denken, das sollte vielleicht noch
erwähnt werden. 00:25:51-4
B3: Hm, so spontan (4s) Also so ganz allgemein bezogen auf
Gemeinwesenarbeit, würde ich mir wünschen, dass das besser finanziert 315
würde. Weil das ist ja ein Bereich so in der Sozialen Arbeit, der zwar im
Moment so in unterschiedlichen Ausprägungen in aller Munde ist. Jeder schreit
nach Stadtteilentwicklung und Gemeinwesenarbeit und Stadtteilarbeit. Es wird
ja oft auch so ganz synonym so ganz unscharf benutzt und die Stadt will ja
auch Gemeinwesenarbeit und will ihre Siedlungen und Quartiere entwickeln. 320
Aber es wird halt echt kaum Geld dafür gegeben. Das ist glaub der Bereich in
der Sozialen Arbeit, der am schlechtesten rückfinanziert ist. Und das täte
wirklich, also ich sag mal ich arbeite hier offiziell mit ner halben Stelle in der
Gemeinwesenarbeit. Und das ist halt echt nicht viel. Das heißt, wir haben
nahezu,also auch eigentlich überhaupt keine Ressourcen für Projekte, für 325
Aktivitäten. Das muss immer so billig wie möglich gemacht werden. 00:28:01-6
I: Mhm 00:28:01-6
B3: Also ich würde mir wünschen, dass der Wert dieser Arbeit, auch allgemein 330
der Sozialen Arbeit, besser erkannt würde und besser finanziert würde und
dass er besser bezahlt würde. Ich mein, man leistet wirklich ne riesen Arbeit,
die gesellschaftsrelevant ist und bezahlt schlechter als ein Facharbeiter
((lacht)). Ja gut (2s) das ist so das, was ich mir so allgemein gesprochen
wünschen würde. 00:28:56-0 335
I: Ja (5s) okay (3s) Dann vielen Dank an dieser Stelle.
340
Erklärung
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig erstellt und keine
anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
Soweit ich auf fremde Materialien, Texte oder Gedankengänge zurückgegriffen
habe, enthalten meine Ausführungen vollständige und eindeutige Verweise auf
die Urheber und Quellen.
Alle weiteren Inhalte der vorgelegten Arbeit stammen von mir im
urheberrechtlichen Sinn, soweit keine Verweise und Zitate erfolgen.
Mir ist bekannt, dass ein Täuschungsversuch vorliegt, wenn die vorstehende
Erklärung sich als unrichtig erweist.
_____________________ ______________________ Ort, Datum Unterschrift
StudentIn
HauptreferentIn
Ich stimme der Aufnahme dieser Bachelorarbeit in die Bibliothek des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit zu.
zu
nicht zu
(bitte ankreuzen)
zu
nicht zu (bitte ankreuzen)
Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist
(3 Jahre) soll diese Bachelorarbeit
ausleihbar in die Bibliothek eingestellt
werden.
Ja
Nein (bitte ankreuzen)
__________________________
Unterschrift StudentIn
_______________________________
Unterschrift HauptreferentIn