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Skript Strafrecht Rechtskunde für Pflegeberufe Stand: 05.2010 Seite 1 von 27 © Rechtsanwalt Christian Stangl Inhaltsverzeichnis A. .... Aufgaben des Strafrechts ................................................................................... 2 Sanktionen 2 Ausschließlich Zivilrecht 2 Bußgeldverfahren (OWiG) 2 Strafrecht (StGB) 2 Strafzwecke 3 Spezialprävention 3 Generalprävention 3 Täter-Opfer-Ausgleich 3 B. .... Straftatbestand.................................................................................................. 4 Objektiver Tatbestand 5 Subjektiver Tatbestand 5 Rechtswidrigkeit 6 Exkurs Notwehr 6 Exkurs Notstand 6 Exkurs Einwilligung 7 Verschulden 9 Schuldfähigkeit 9 Schuldform 9 C. .... Täterschaft und Teilnahme .............................................................................. 10 Haupttäter 10 Mittäter 10 Mittelbare Täterschaft 10 Exkurs: Bewusste Alkoholisierung des Täters 11 Anstiftung und Beihilfe 11 D. ... Tun und Unterlassen........................................................................................ 12 „Echte“ Unterlassensdelikte 12 „Unechte“ Unterlassensdelikte 13 E. .... Versuch und Vollendung.................................................................................. 13 F. .... Ausgewählte Straftatbestände in Pflegeberufen ............................................. 14 Datenschutz und Privatsphäre 15 Körperliche Integrität 16 Schutz des Lebens 17 Aktive Sterbehilfe 18 Indirekte Sterbehilfe 19 Passive Sterbehilfe 19 Behandlungsabbruch 19 Beihilfe zum Suizid/Selbstmord 21 Freiheitsentziehende Maßnahmen (FeMe) 23 Schutz des Rechtsverkehrs 24 G. ... Kompetenzteilung im Pflegebereich ................................................................ 24 H. ... Prozessrecht – die Strafprozessordnung .......................................................... 26 Ermittlungsverfahren 26 Zwischenverfahren 26 Hauptverhandlung 27 Strafvollzug 27

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S k r i p t S t r a f r e c h t Rechtskunde für Pflegeberufe Stand: 05.2010

Seite 1 von 27 © Rechtsanwalt Christian Stangl

Inhaltsverzeichnis

A. .... Aufgaben des Strafrechts ................................................................................... 2

Sanktionen 2Ausschließlich Zivilrecht 2Bußgeldverfahren (OWiG) 2Strafrecht (StGB) 2

Strafzwecke 3Spezialprävention 3Generalprävention 3Täter-Opfer-Ausgleich 3

B. .... Straftatbestand .................................................................................................. 4

Objektiver Tatbestand 5

Subjektiver Tatbestand 5

Rechtswidrigkeit 6Exkurs Notwehr 6Exkurs Notstand 6Exkurs Einwilligung 7

Verschulden 9Schuldfähigkeit 9Schuldform 9

C. .... Täterschaft und Teilnahme .............................................................................. 10

Haupttäter 10

Mittäter 10

Mittelbare Täterschaft 10Exkurs: Bewusste Alkoholisierung des Täters 11

Anstiftung und Beihilfe 11

D. ... Tun und Unterlassen ........................................................................................ 12

„Echte“ Unterlassensdelikte 12

„Unechte“ Unterlassensdelikte 13

E. .... Versuch und Vollendung .................................................................................. 13

F. .... Ausgewählte Straftatbestände in Pflegeberufen ............................................. 14

Datenschutz und Privatsphäre 15

Körperliche Integrität 16

Schutz des Lebens 17Aktive Sterbehilfe 18Indirekte Sterbehilfe 19Passive Sterbehilfe 19Behandlungsabbruch 19Beihilfe zum Suizid/Selbstmord 21

Freiheitsentziehende Maßnahmen (FeMe) 23

Schutz des Rechtsverkehrs 24

G. ... Kompetenzteilung im Pflegebereich ................................................................ 24

H. ... Prozessrecht – die Strafprozessordnung .......................................................... 26

Ermittlungsverfahren 26

Zwischenverfahren 26

Hauptverhandlung 27

Strafvollzug 27

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A. Aufgaben des Strafrechts Abb. 1: Aufgaben des Strafrechts

© RA Christian Stanglwww.anwaltskanzlei-stangl.de 16

Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Aufgaben des Strafrechts

Sanktion

Strafzweck

Ordnungswidrigkeiten

Kriminalstrafe Strafe

Maßregel

Geldstrafe

Freiheitsstrafe

Entzug der Fahrerlaubnis

Unterbringung

Bußgeld

schuld-unabhängig!

Generalprävention

Spezialprävention

Schuldausgleich

Sanktionen Ein Staat muss zur Erfüllung seiner Schutzfunktion, aber auch zur Aufrechterhaltung seiner Werteordnung und Rechtsordnung gewillt und in der Lage sein, auf Fehlverhalten zu reagieren. Dabei muss er sich aber nicht immer und ausschließlich auf die Mittel des Strafrechts beschränken. Der Kreis der Personen, die durch ein Fehlverhalten betroffen sind, und der Grad, in dem ihre Interessen beeinträchtigt werden, unterscheiden sich stark.

Ein bestimmtes Verhalten ist je nach Intensität des Eingriffs1 mit einer bestimmten Sanktion belegt. Diese Sanktionen schreibt das Gesetz als Rechtsfolge vor.

In manchen Fällen, bei geringer Intensität des Eingriffs, sieht der Gesetzgeber davon ab, ein an sich relevantes Verhalten mit einer strafrechtlichen Sanktion zu belegen.

Ausschließlich Zivilrecht

In diesen Fällen kommen ausschließlich zivilrechtliche Ansprüche, wie beispielsweise Schadensersatzansprüche, in Betracht.

In Fällen mittlerer Intensität, beispielsweise dem Überfahren einer roten Ampel ohne Unfall oder einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr ohne Unfall ordnet der Gesetzgeber lediglich ein Bußgeld und/oder möglicherweise den Eintrag von Punkten im Verkehrszentralregister, welche zum Entzug der Fahrerlaubnis führen können, an.

Bußgeldverfahren (OWiG)

Diesen Bereich bezeichnet man als Ordnungswidrigkeitenrecht. Die maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen finden sich im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)2 oder in den entsprechenden Fachgesetzen, welche teilweise ebenfalls Tatbestände von Ordnungswidrigkeiten enthalten.

Bei schweren Fehlverhalten oder Eingriffen von großer Intensität, beispielsweise einem Eingriff in die körperliche

Strafrecht (StGB)

1 Eingriff: Beeinträchtigung und Verletzung von Rechtsgütern (Interessen) – „Schwere der Tat“ 2 http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/owig_1968/gesamt.pdf

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Integrität (Körperverletzung), kommt das sogenannte Kriminalstrafrecht

zur Anwendung. Das Kriminalstrafrecht unterscheidet sich zu den beiden vorgenannten Bereichen durch die Intensität der angedrohten und angeordneten Sanktion.

Im Bereich der Kriminalstrafe kann sowohl eine Geldstrafe, als auch eine Freiheitsstrafe verhängt werden. Die Freiheitsstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden und mit einer Bewährungsauflage3

verbunden werden; auch dann handelt es sich aber um eine „Freiheitsstrafe zur Bewährung“.

Neben diesen "Strafen" besteht jedoch auch die Möglichkeit, sogenannte Maßregeln zu verhängen; dies auch für den Fall, dass beim Täter ein Verschulden nicht vorliegt - somit ist die Maßregel verschuldensunabhängig. So kann beispielsweise der geisteskranke und geistesgestörte Täter, welcher einen anderen Menschen getötet hat, aufgrund fehlenden Verschuldens nicht wegen des Tötungsdelikts bestraft werden. Jedoch kann das Gericht die geschlossene Unterbringung des Täters anordnen. In diesem Falle handelt es sich nicht um eine Freiheitsstrafe, sondern um eine verhängte Maßregel, welche die Allgemeinheit vor dem (wenn auch schuldunfähigen) Täter schützen soll.

Strafzwecke Aus den vorher genannten Sanktionen, welche durch das Gesetz angeordnet werden können, kann man erkennen, dass die angeordnete Sanktion verschiedene Zwecke erfüllen soll. Diesen Zweck umschreibt der Begriff "Strafzweck".

3 Beispielsweise verpflichtende Teilnahme an Gewaltpräventionsschulung oder Suchtberatung

Als grundlegende Zwecke sind die Ahndung eines Fehlverhaltens, eine Einwirkung auf die Allgemeinheit und eine Einwirkung auf den einzelnen Betroffenen zu nennen.

Die Einwirkung auf den Täter zur Vermeidung einer künftigen Wiederholung von Straftaten wird als sogenannte Spezialprävention bezeichnet. Die Spezialprävention verfolgt also das Ziel, durch die Strafe beim Täter einen solchen Eindruck zu erreichen, dass er schon aus Angst vor neuer Strafe in Zukunft straffrei leben wird. Wäre die Spezialprävention jedoch der einzige Strafzweck, so müsste eine Bestrafung des Täters immer dann unterbleiben, wenn keine Wiederholungsgefahr bestünde. Ein Mörder könnte somit nicht bestraft werden, da eine Wiederholung der Tat an der bereits(!) ermordeten Person ausgeschlossen werden kann.

Spezialprävention

Eine Bestrafung des Täters dient aber auch noch der Generalprävention und dem Schuldausgleich.

Generalprävention bedeutet, dass allein durch die Bestrafung des einen Täters die Allgemeinheit davon abgehalten werden kann und soll, gleichartige Taten zu begehen. Denn wer entsprechende Absichten hat, soll von vornherein wissen, dass er auch bestraft werden wird.

Generalprävention

Schuldausgleich bedeutet, dass dem Täter für sein Verhalten gegenüber dem Opfer ebenfalls ein Nachteil zugefügt werden soll. Zur Erhaltung des Rechtsfriedens wird diese Aufgabe allein dem Staat übertragen. Dies soll Selbstjustiz des Opfers vermeiden.

Täter-Opfer-Ausgleich

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Die beiden letztgenannten Strafzwecke führen dazu, dass auf eine Bestrafung auch bei fehlender Wiederholungsgefahr der Tat durch den Täter nicht verzichtet werden kann.

Das Zusammenspiel der Strafzwecke erfordert Strafe schon dann, wenn nur einer der Strafzwecke erfüllt ist. Umgekehrt begrenzt es die Höhe der Strafe nach oben hin, weil es auch die für den Täter sprechenden Umstände der Einzeltat angemessen zum Tragen kommen lässt.

Merke:

B. Straftatbestand Abb. 2: Der Straftatbestand

© RA Christian Stanglwww.anwaltskanzlei-stangl.de 17

Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Der Straftatbestand (Grundstruktur)

a.)Handlung

1. Objektiver Tatbestand

2. Subjektiver Tatbestand

4. Verschulden

5. Rechtsfolge: Strafe

Schuldfähigkeit

Verschuldensform VorsatzFahrlässigkeit

TunUnterlassen

Täterschaft und Teilnahme

3. Rechtswidrigkeit indiziert!Rechtfertigungsgründe Notwehr, Notstand, GoA ...

Einwilligungausdrücklichemutmaßliche

b.) Erfolg

VorsorgevollmachtPatientenverfügungBetreuer

...) (weitere Tatbstandsmerkmale ...)

Gesetzliche Grundlage des Strafrechts ist das Strafgesetzbuch (StGB)4

mit dem allgemeinen und besonderen Teil. Daneben existieren noch verschiedene Nebengesetze, die gleichfalls Straftatbestände enthalten, wie beispielsweise das Betäubungsmittelgesetz, das Straßenverkehrsgesetz, das Arzneimittelgesetz und das Infektionsschutzgesetz.

4 http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/stgb/gesamt.pdf

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Allen diesen Gesetzen ist gemeinsam, dass ein von der Gesellschaft missbilligtes Fehlverhalten mit Geld- oder Freiheitsstrafen geahndet wird (Kriminalstrafe). Es gilt im deutschen Strafrecht der Grundsatz, dass eine Strafe ohne geschriebenes Recht, das heißt ohne Gesetz, nicht möglich ist (§ 1 StGB). Eine Straftat liegt aber nur unter der Voraussetzung vor, dass eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung (Prüfung Straftatbestand!) erfolgt. Jede Straftat setzt sich aus diesen drei Elementen zusammen (vgl. Abb. 2!). Dabei spielt der objektive und subjektive Tatbestand die wesentliche Rolle, da dieses Element das strafrechtlich relevante Verhalten des Täters konkretisiert und entsprechendes Verhalten mit Strafe bedroht.

Objektiver Tatbestand Der objektive Tatbestand ist die Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes der Tat. Der objektive Tatbestand ist erfüllt, sofern das Handeln des Täters der Beschreibung im Gesetz entspricht. Das Strafgesetzbuch legt die wichtigsten Straftatbestände fest. Die dort genannten Taten werden von der Gesellschaft als diejenigen angesehen, vor denen die Rechtsgüter der Allgemeinheit geschützt werden sollen. Es werden beim Tatbestand zwei Formen der Tatbegehung unterschieden. Ein Tatbestand kann entweder durch aktives Tun oder durch Unterlassen verwirklicht werden. Darauf soll später näher eingegangen werden.

Handeln mehrere Täter gemeinschaftlich und mit einem gemeinsamen Plan (beispielsweise gemeinsamer Bankraub), so kann bei isolierter Betrachtung des jeweiligen Täters eine eigenständige strafbare Handlung beim einzelnen Täter fehlen. Dies deshalb, weil die strafbare Handlung alleine durch den Mittäter begangen wurde. In diesem Bereich spielt die Fragestellung eine zentrale Rolle, ob die Handlung des einen Täters dem anderen Täter zugerechnet werden darf und kann, da dieser die Handlung des anderen Täters wollte und ebenfalls unterstützte. Mit dieser Frage beschäftigt sich der Bereich „Täterschaft und Teilnahme" als Begehungsform. Auch darauf wird an späterer Stelle einzugehen sein.

Subjektiver Tatbestand Das Spiegelbild zum äußeren Erscheinungsbild einer Tat ist der innere Wille und die verfolgte Absicht des Täters. Die inneren Vorgänge im Täter werden vom subjektiven Tatbestand erfasst. Dazu zählen der Vorsatz bei Vorsatzdelikten und die Fahrlässigkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten. Es gibt in den einzelnen Straftatbeständen daneben noch weitere subjektive Merkmale, wie die Absicht des Betrügers, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Sofern das Gesetz nichts anderes regelt, ist jedoch nur vorsätzliches Handeln strafbar. Mit Vorsatz handelt derjenige, der den objektiven Tatbestand mit Wissen und Wollen verwirklicht. Fahrlässig handelt derjenige, der die gebotene Sorgfalt bei der tatbestandsmäßigen Handlung außer Acht lässt.

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Schwierig kann die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit im Einzelfall dann sein, wenn der Täter zwar nicht ausdrücklich einen bestimmten Erfolg (beispielsweise die Tötung eines Menschen) herbeiführen wollte, jedoch dieses Ergebnis/Erfolg billigend in Kauf nahm. Ist Letzteres der Fall, so spricht man von Eventualvorsatz, welcher als Handeln mit Vorsatz anzusehen ist.

Rechtswidrigkeit Eine Handlung ist nur dann strafbar, wenn zusätzlich zur Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit der Tat vorliegt. Im Normalfall (Ausnahmen gibt es) ist eine Tat, die einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, auch rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit wird somit vermutet (indiziert). Dies gilt aber nicht in denjenigen Fällen, in denen ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Derartige Rechtfertigungsgründe sind Notwehr, Nothilfe, Notstand und Einwilligung.

„(…) wird die Rechtswidrigkeit der Tat vermutet, weil objektiver und subjektiver Tatbestand verwirklicht wurden. Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Notstand oder Einwilligung liegen vor / liegen nicht vor, weil … (…)“

Prüfung/Formulierung:

Zur Abwehr des Angriffs im Rahmen der Notwehr muss stets das mildeste Mittel gewählt werden. Selbst bei einem zulässigen Gegenangriff muss die Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Somit darf keine unangemessene gefährliche Abwehrmaßnahme ergriffen werden. Auch ist die Notwehr dann unzulässig, wenn überhaupt keine Abwehrhandlung erforderlich ist. Die Erforderlichkeit liegt dann nicht vor, wenn beispielsweise der Angegriffene durch ein Ausweichen sich selbst schützen kann. Dies gilt insbesondere bei

Angriffen durch Kinder und unter Umständen auch bei (körperlich) behinderten Menschen. Schließlich ist die Notwehr nur bei einem gegenwärtigen Angriff zulässig. Ist der Angriff erst zu befürchten oder ist er bereits abgeschlossen, fehlt das Recht für Abwehrmaßnahmen.

Exkurs Notwehr

Notwehr oder Nothilfe sind also zur Abwehr eines gegenwärtigen Angriffes zulässig, jedoch darf die Maßnahme nicht rechtsmissbräuchlich eingesetzt werden. Sobald eine Pflegerin von einem Bewohner mit einem gefährlichen Gegenstand angegriffen wird, darf sie selbst angemessene Gewalt anwenden, um den Angriff abzuwehren. Der Gegenangriff ist gestattet, nicht jedoch eine eventuelle Misshandlung des Bewohners nach der Abwehr als Rache oder "Erziehungsmaßnahme". Bei der Abwehr eines Angriffs kommt es zu einer Situation erheblichen psychischen Drucks. Aus diesem Grund kann es bei der Abwehrhandlung zu einer Überreaktion kommen. Dies hat der Gesetzgeber berücksichtigt (§ 35 StGB). Sofern die vorgenannten Grenzen überschritten werden und aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken mehr als die gebotene Verteidigung angewendet wird, muss der Angegriffene also keine oder nur mildere Strafe fürchten.

Ein weiterer Rechtfertigungsgrund ist der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB).

Exkurs Notstand

Voraussetzung ist eine Notstandslage und somit eine gegenwärtige Gefahr, die nicht mit anderen Mitteln als dem Eingriff in ein anderes Rechtsgut, das heißt dessen Verletzung, abwendbar ist. Eine Gefahr liegt immer dann vor, sobald die konkrete Möglichkeit des Eintritts eines Schadens besteht. Sie ist gegenwärtig, wenn die gefahrdrohenden Umstände jederzeit in den Schaden umschlagen

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könnten. Beim Notstand muss eine Interessenabwägung erfolgen. Jenes Rechtsgut, das durch die Notstandshandlung geschützt werden soll, muss höherwertig sein, als das beeinträchtigte Rechtsgut. Das Mittel, das zum Schutz eines Rechtsgutes eingesetzt wird, muss angemessen sein. Auch beim Notstand gilt daher die Verhältnismäßigkeit, das Prinzip des geringsten möglichen Eingriffs. Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, bleibt eine tatbestandsmäßige Handlung, wie im Beispiel die Freiheits-beraubung, straflos.

Ein Pfleger beobachtet, wie ein Bewohner nur mit dem Schlafanzug bekleidet, das Heim bei winterlicher Kälte verlässt. Er hält ihn zurück. Der Bewohner wird dadurch geschützt, so dass die Einschränkung der persönlichen Freiheit, die Freiheitsberaubung, wegen der Gefahr für das Leben des Bewohners gerechtfertigt ist. Es liegt eine Notstandslage vor. Das Rechtsgut Leben ist höher zu bewerten als die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Beispiel:

Die Anwendung dieses Rechtfertigungsgrundes muss allerdings auf kurzzeitige Eingriffe in fremde Rechtsgüter beschränkt bleiben. Längere Eingriffe in die Freiheitsrechte oder die körperliche Unversehrtheit erfordern die Einschaltung des Vormundschaftsgerichtes mit der Einholung einer entsprechenden Genehmigung.

Abb. 3: Exkurs Einwilligung

© RA Christian Stanglwww.anwaltskanzlei-stangl.de

Einwilligung

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

3. Rechtswidrigkeit indiziert!Rechtfertigungsgründe Notwehr, Notstand, GoA

Einwilligungausdrücklichemutmaßliche

Bevollmächtigter

Patientenverfügung

Betreuer

Patientenverfügung Betreuer Bevollmächtigter

Wer erstellt/bestellt? Patient Amtsgericht Patient

Form schriftlich Beschluss Gericht(Betreuungsbeschluss)

Vorsorgevollmacht

Als letzter, wohl wichtigster Rechtfertigungsgrund im Pflegebereich, ist die Einwilligung zu nennen.

Exkurs Einwilligung

Diese Einwilligung muss grundsätzlich vom Betroffenen, das heißt, vom Bewohner oder Patienten, selbst erklärt werden. Dritte Personen, wie Angehörige, können keine wirksame Einwilligung erteilen. Es ist folglich nicht möglich, dass die Mutter einer medizinischen Maßnahme zustimmt, die an der volljährigen Tochter erfolgen soll.

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Angehörige sind nur dann zur Einwilligung berechtigt, wenn sie gleichzeitig gesetzliche Vertreter, wie Betreuer, sorgeberechtigte Eltern oder bestellter Vormund sind, und der Betroffene nicht einwilligungsfähig

ist.

In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, dass die gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen die Eltern gemeinschaftlich sind. Beide Elternteile üben die elterliche Sorge gemeinsam aus; die Zustimmung eines Elternteils reicht somit nicht oder nur unter ganz bestimmten einschränkenden Umständen. Die Einwilligungsfähigkeit kann jedoch nicht mit der Geschäftsfähigkeit gleichgesetzt werden.5

Trotz fehlender oder eingeschränkter Geschäftsfähigkeit (vgl. § 104 ff. BGB6

) ist ein Bewohner einsichtsfähig und damit einwilligungsfähig, wenn er in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zu erfassen.

Der erwachsene Sohn soll operativ behandelt werden. Der Arzt befragt dazu die Eltern, da der Sohn "es doch nicht verstehen kann", ohne dass eine Betreuung besteht. Die Eltern stimmen der Einweisung in das Krankenhaus zu, der Sohn wird nicht um Zustimmung gebeten. Da er selbst in der Lage gewesen wäre, die Notwendigkeit der Operation zu verstehen, hätte nur er die Einwilligung erteilen können. Diejenigen medizinischen Maßnahmen, die ohne seine Zustimmung erfolgten, sind rechtswidrig und erfüllen den Tatbestand der Körperverletzung.

Beispiel:

Selbst bei ständig einwilligungsunfähigen, volljährigen Personen sind die Angehörigen nicht zur Zustimmung berechtigt. Es müssen immer der Betreuer oder bei Minderjährigen die Eltern oder der Vormund entscheiden. 5 BGHZ 29, 33 = BGH NJW 1959, 811 [Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen in Operation ohne Zustimmung Eltern] 6 http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/BJNR001950896.html#BJNR001950896BJNG001202377

Lediglich bei dringenden Maßnahmen, beispielsweise der Lebensgefahr, darf nach dem mutmaßlichen Willen gehandelt werden, sofern der Betroffene nicht selbst einwilligen kann und auch kein Betreuer vorhanden oder erreichbar ist bzw. bestellt werden kann. Bei dem mutmaßlichen Willen muss ermittelt werden, welche Maßnahmen im Interesse des Patienten liegen. Hier können, um den mutmaßlichen Willen zu ermitteln, auch die Angehörigen befragt werden. Im Zweifel ist gar eingehend zu prüfen, ob es im Interesse des Bewohners liegt, seine Schmerzen zu lindern und seine Gesundheit wiederherzustellen beziehungsweise sein Leben zu retten. Es empfiehlt sich, die Gründe für die Entscheidung zu einer medizinischen Behandlung ohne Einwilligung, insbesondere den Grund für die Annahme eines mutmaßlichen Willens und die fehlende Möglichkeit, die Einwilligung einzuholen, schriftlich niederzulegen (Dokumentation!). Sobald der Bewohner das Bewusstsein verliert, können und müssen alle erforderlichen Maßnahmen zu seiner Lebensrettung unternommen werden. Sein mutmaßlicher Wille, gerettet zu werden, wird vorausgesetzt. In diesem Zusammenhang wird die Patientenverfügung in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen. Wurde eine Patientenverfügung (fälschlicherweise auch oft als Patiententestament bezeichnet) in einwilligungsfähigem Zustand durch den Patienten selbst erstellt und enthält diese eine Verweigerung einer bestimmten ärztlichen Behandlung,, so muss dies grundsätzlich beachtet werden. Die Erforschung des mutmaßlichen Willens des Patienten durch Anhörung von Angehörigen oder Eltern und damit die Konstruktion

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einer mutmaßlichen Einwilligung in eine Behandlung oder ärztlichen Eingriff sind aufgrund der ausdrücklichen Verfügung des Patienten (Patientenverfügung) versperrt. Wird der Patient trotz seines entgegenstehenden Willens, welche in der Patientenverfügung festgehalten wurde, einer ärztlichen Behandlung unterzogen, so ist dies als rechtswidrig anzusehen. Dies führt in der Regel zur Strafbarkeit des beteiligten medizinischen Personals. Es muss beachtet werden, dass ein Bewohner, für den eine Betreuung besteht, nicht allein aufgrund der Betreuung schon einwilligungsunfähig ist. Es gelten trotzdem noch die obigen Grundsätze, so dass der natürliche Wille des Patienten maßgebend ist. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Dies ist zu beachten, sofern nicht eine Notsituation vorliegt. Nach dem Widerruf sind freiheitsbeschränkende oder medizinische Maßnahmen rechtswidrig und damit strafbar.

Verschulden Das letzte Merkmal einer Straftat, das als Voraussetzung für die Bestrafung vorliegen muss, ist die Schuld. Es ist hier die Frage zu beurteilen, ob dem Täter die rechtswidrige Tat persönlich vorzuwerfen ist. Zum Zeitpunkt der Tat muss die Schuldfähigkeit vorliegen. Davon ist grundsätzlich auszugehen. Einschränkungen ergeben sich nur in den nachfolgend genannten Umfang:

Bei Kindern besteht bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres eine Schuldunfähigkeit. Sie können vorher nicht bestraft werden, gleichgültig welche Straftat begangen worden ist. Selbst nach dem 14. Lebensjahr ist eine Sonderbehandlung vorgesehen. Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gilt das Jugendstrafrecht, welches in Sonderfällen (Reifeverzögerung) auch für "junge" Volljährige bis zum 21. Lebensjahr Anwendung findet.

Schuldfähigkeit

Schuldunfähig sind nach § 20 StGB Personen, die wegen einer schweren psychischen Erkrankung oder schweren geistigen Behinderung nicht in der Lage sind, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Bei einer weniger starken psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung kann verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorliegen. Die Strafe wird dann gemildert. Menschen mit geistiger Behinderung können daher nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie durch die Behinderung nicht Einsichts- und Steuerungsfähig waren.

Schuldform

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C. Täterschaft und Teilnahme Abb. 4: Täterschaft und Teilnahme

© RA Christian Stanglwww.anwaltskanzlei-stangl.de 18

Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Täterschaft

Haupttäter

Mittäter

Mittelbarer Täter

Beihilfe

Anstiftung

Tathandlung wird von Täter selbst vorgenommen

Gemeinschaftlicher Tatplan und Tatbegehung

Täter benutzt andere Person als willenloses Werkzeug

Täter unterstützt Haupttäter bei strafbarer rechtswidriger Haupttat und hilft diesem bewusst (Doppelvorsatz)

Täter stiftet Haupttäter zu strafbarer rechtswidriger Haupttat an und will Tat herbeiführen (Doppelvorsatz)

Teilnahme

Haupttäter Die Haupttäterschaft ist der Regelfall der Tatbegehung. Bei der Haupttäterschaft begeht der Täter die Tathandlung selbst. Fragen und Probleme der Zurechnung der Tathandlung und der Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestandes bestehen somit nicht.

Werner stielt seinem Arbeitskollegen Fritz die Armbanduhr aus dessen Schrank. Beispiel:

Mittäter Bei der Mittäterschaft begehen mehrere Täter gemeinschaftlich auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplanes eine Straftat, wobei sie arbeitsteilig zusammenwirken und den gewünschten Erfolg durch gesonderte Tatbeiträge anstreben. Da die Täter auf Grundlage eines gemeinschaftlichen Plans handeln und die Tat gemeinschaftlich begehen, werden ihnen die Handlungen des/der jeweils anderen Täter wie eigenes Handeln zugerechnet (§ 25 Abs. 2 StGB lesen!)).

Anton und Bert planen einen Bankraub. Anton besorgt die Strumpfmütze und das Fluchtfahrzeug. Bert organisiert eine Sporttasche und eine Pistole. Beide begeben sich an einem Donnerstagabend zur Bank, wobei Anton das Fluchtfahrzeug steuert und vor der Bank mit diesem wartet. Bert begibt sich mit Strumpfmaske und Pistole in die Bank und erbeutet 50.000 €. Danach rennt er aus der Bank, steigt in das Fluchtfahrzeug und fährt mit Anton davon.

Beispiel:

Der eigentliche Bankraub wurde nur von Bert begangen. Jedoch hat sich auch Anton des Bankraubs strafbar gemacht, da er den Tatplan billigte und an der Tatbegehung selbst unmittelbar mitwirkte. Die Handlung des Bert wird dem Anton entsprechend zugerechnet, so dass der objektive Tatbestand des Bankraubs auch durch Anton erfüllt wurde.

Mittelbare Täterschaft Bei der mittelbaren Täterschaft begeht der Täter die Tat nicht selbst, sondern benutzt eine andere Person gleichsam als williges und meist unwissendes Werkzeug zur Tatbegehung. Zwischen dem mittelbaren Täter und dem Werkzeug (unmittelbarer Täter) herrscht meist ein Über-/Unterordnungsverhältnis. Der mittelbare Täter verfügt in der Regel über ein übergeordnetes Wissen oder übergeordnete

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Intelligenz. Der unmittelbare Täter als (meist schuldunfähiges) Werkzeug nimmt die eigentliche Tathandlung vor.

Anton möchte seine Freundin Sieglinde töten, da er vermutet, dass ihn diese mit seinem Freund Fred betrügt. Als es bei einem Abendessen Suppe gibt, fasst er den Entschluss, Sieglinde einzureden, dass geringe Mengen eines Pflanzenschutzmittels bei Einnahme eine wahre Wunderwirkung als Diät hätten. Nach Einnahme könne man sofort 10 Kilo abnehmen. Sieglinde, die sich ständig über ihr Körpergewicht beklagt, ist von der Vorstellung begeistert, schnell und erfolgreich Körpergewicht zu verlieren. Sie gibt das Pflanzenschutzmittel in die Suppe und isst von der vergifteten Suppe, aber verstirbt - ohne vorher abzunehmen - sofort.

Beispiel:

In dem Beispielsfall benutzt Anton seine Freundin Sieglinde als Werkzeug, um die Tötung von Sieglinde zu erreichen. Aufgrund des Wissensvorsprungs und der (greifbaren) mangelnden Intelligenz seiner Freundin erreicht er, dass diese die Tötungshandlung (Zugabe des Pflanzenschutzmittels und Essen von der Suppe) an sich selbst vornimmt. Eine Handlung führt Anton selbst nicht aus. Könnte man Anton die Handlung von Sieglinde nicht wie eine eigene Handlung zurechnen, hätte Anton den objektiven Tatbestand der Tötung nicht erfüllt, da es schon an einer eigenen Handlung des Anton fehlt. Im Beispielsfall wurde auch das Gift (Pflanzenschutzmittel) durch Sieglinde selbst in die Suppe gegeben. Eine fehlende Zurechnung würde somit zur Straffreiheit des Anton führen. Da jedoch dem Anton als mittelbaren Täter die Handlung von Sieglinde wie eine eigene Handlung zugerechnet wird, ist der objektive Tatbestand erfüllt. Subjektiv hat Anton mit Vorsatz gehandelt. Anton ist somit strafbar.

Über die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft löst der Bundesgerichtshof auch die Problematik, wenn ein Täter einen Tatplan fasst, sich durch Alkoholkonsum in einen schuldunfähigen

Zustand bringt und in diesem schuldunfähigen Zustand die beabsichtigte Tat begeht.

Exkurs: Bewusste Alkoholisierung des Täters

Gelöst werden derartige Fälle durch die rechtliche Konstruktion, dass sich der (nicht alkoholisierte) Täter seiner eigenen Person als Werkzeugen in alkoholisiertem Zustand bedient (unmittelbarer Täter), um die Tat zu begehen. Dem (nicht alkoholisierten) Täter werden die Handlungen in alkoholisiertem Zustand zugerechnet. Schuldfähigkeit liegt im Zeitpunkt des Tatentschlusses aufgrund des nicht alkoholisierten Zustandes des Täters vor. Konsequenz ist die Strafbarkeit des zu Beginn nicht alkoholisierten Täters.

Anstiftung und Beihilfe Von der Täterschaft ist die Teilnahme abzugrenzen. Als Teilnahmeformen kommen die Anstiftung und die Beihilfe in Betracht. Bei der Beihilfe (§ 27 StGB) unterstützt der Täter vorsätzlich den Haupttäter bei einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat, und will den Taterfolg vorsätzlich herbeiführen. Die Beihilfe ist meist von der Mittäterschaft abzugrenzen. Liegen die Voraussetzungen der Mittäterschaft (gemeinsamer Tatplan und gemeinsame Tatbegehung) vor, so scheidet Beihilfe aus. Bei der Anstiftung (§ 26 StGB) stiftet der Täter den Haupttäter zu einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat an, um bewusst und gewollt (also mit Vorsatz) den Taterfolg herbeizuführen. Die Anstiftung ist meist von der mittelbaren Täterschaft abzugrenzen. Liegt mittelbare Täterschaft vor, scheidet Anstiftung aus. Die Täterschaft verdrängt somit die Teilnahme.

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Der Täter als Teilnehmer ist ebenfalls strafbar. In der Regel und in der Praxis wird der Teilnehmer eine geringere Strafe zu erwarten haben als der angestiftete beziehungsweise unterstützte Haupttäter. Nach dem Gesetz kann jedoch der Anstifter mit der gleichen Strafe gelegt werden, wie der angestiftete Haupttäter! Bei der Beihilfe ist die Strafe im Vergleich zum Haupttäter in der Regel zu mildern.

D. Tun und Unterlassen Abb. 5: Unterlassen

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Unterlassen

„echte“Unterlassensdelikte

„unechte“Unterlassensdelikte

Rechtspflicht zum Handeln

aus Gesetz (nicht Strafnorm selbst)

aus Vertrag

aus Ingerenz(vorangegangenem Tun)

StGB § 212 Totschlag(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

StGB § 323 c Unterlassene HilfeleistungWer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten ist, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Eine strafbare Handlung kann nicht nur durch aktives Tun begangen werden. Vielmehr kann die strafbare Handlung auch durch Unterlassen vorgenommen werden. Man unterscheidet im Bereich des Unterlassens und der sich daraus ergebenden Strafbarkeit die sogenannten „echten“ Unterlassungsdelikte und „unechten“ Unterlassungsdelikte.

„Echte“ Unterlassensdelikte Bei den echten Unterlassungsdelikten wird in der Strafnorm selbst die Handlung des Unterlassens beschrieben und unter Strafe

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gestellt, ist also ausdrücklich Tatbestandsmerkmal. Ein Beispiel hierfür ist die unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c StGB), in welcher ausdrücklich von Unterlassen gesprochen wird.

„Unechte“ Unterlassensdelikte Bei den sogenannten „unechten“ Unterlassungsdelikten ist nach dem Wortlaut der Strafnorm nur das aktive Tun strafbar. Im allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches (§ 13 StGB) wird der Herbeiführung des Erfolges durch aktives Tun das Unterlassen bei Vorliegen einer Rechtspflicht zum Handeln

gleichgestellt.

Eine Gleichstellung von aktivem Tun und Unterlassen findet jedoch nur statt, wenn der Täter/Handelnde eine Rechtspflicht zum Handeln hatte. Die Rechtspflicht zum Handeln kann sich aus verschiedensten Gesetzen, aus geschlossenen Verträgen oder Rechtsgeschäften, aus Obhutspflichten oder aus vorausgegangenem gefährlichem Tun7

ergeben.

Die Rechtspflicht zum Handeln aus vorangegangenem Tun umfasst die Fälle, in welchen der Täter durch eine Tathandlung (vorausgegangenes Tun) das Risiko der Erfüllung einer Strafnorm (zum Beispiel Tötung) herbeiführt und in der Folge keine weiteren Handlungen unternimmt, um den Erfolg zu verhindern.

Der Geschäftsführer eines Reifenherstellers weiß von einem Mangel des verkauften Produkts. Da er den Ansehensverlust einer Rückrufaktion verhindern will, unternimmt er weiter nichts. Es ist jedoch bekannt, dass der Reifen platzen könnte und sich somit schwere Unfälle mit Todesfolge ereignen könnten. Ein Käufer des Reifens erleidet dieses Schicksal und verstirbt an der Unfallstelle.

Beispiel:

7 Fremdwort: Ingerenz

In dem Beispielsfall hat der Geschäftsführer das Risiko „Tod des Käufers“ durch den Vertrieb des Reifens erhöht (vorausgegangenes Tun). Daraus ergäbe sich die Verpflichtung des Geschäftsführers, eine Rückrufaktion anzuordnen. Dies wird unterlassen, so dass sich der Geschäftsführer zumindest der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen strafbar macht.

E. Versuch und Vollendung Abb. 6: Versuch und Vollendung

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Versuch und Vollendung

Abgrenzungsmerkmal: Erfolg Der Taterfolg, wie beispielsweise die Tötung eines Menschen, konnte nicht verwirklicht werden, aber der Täter hat erkennbar mit der Tatverwirklichung begonnen.

ZeitTatplan

Erfolg (-)

straflose Verbereitungshandlung

unmittelbaresAnsetzen

strafbarer Versuch

Rücktritt vom Versuch

Strafbarkeit: Strafe in gleichem Umfang wie bei vollendeter Tat möglich!

Beim strafbaren Versuch setzt der Täter unmittelbar zur Verwirklichung des Taterfolges an. Der gewünschte und beabsichtigte Erfolg tritt jedoch nicht ein.

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Gibt der Täter nach dem unmittelbaren Ansetzen seinen Tatplan freiwillig auf, ohne den gewünschten Erfolg herbeizuführen, so tritt er vom Versuch erfolgreich zurück und bleibt straffrei.

Anton möchte die örtliche Bank überfallen und diese berauben. Er besorgt sich ein Fluchtfahrzeug und eine Pistole und begibt sich mit einer Strumpfmaske zur Bank. Von seinem Tatplan hat er seiner Freundin erzählt, welche es mit der Angst zu tun bekommt, und die Polizei über den Plan informiert. Als Anton aus dem Fluchtfahrzeug mit einer Strumpfmaske maskiert und mit einer Pistole bewaffnet aussteigt, wird er von Polizeibeamten in Zivil zu seiner Überraschung in Empfang genommen und festgenommen.

Beispiel:

In genanntem Beispielefall hat Anton unmittelbar zur Tat angesetzt, wobei die Tat durch die informierte Polizei verhindert wurde. Der Tatplan wurde somit durch Anton nicht freiwillig aufgegeben, sondern konnte nur durch die Polizeibeamten verhindert werden. Anton ist wegen versuchten Bankraubes strafbar. Hätte Anton auf dem Weg zur Bank seinen Tatplan freiwillig aufgegeben und wäre er wieder nach Hause zu seiner Freundin gefahren, würde ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch vorliegen. Beim Rücktritt vom Versuch kommt es vor allem darauf an, dass der Täter seinen Tatplan aus freien Stücken und ohne Beeinträchtigung geschützter Rechtsgüter aufgibt. Der Täter kann beim Versuch gleich einem erfolgreichen Täter bestraft werden. In der Regel und in der Praxis wird der Versuchstäter eine geringere Strafe zu erwarten haben, als wenn er den Taterfolg herbeigeführt hätte.

F. Ausgewählte Straftatbestände in Pflegeberufen

Abb. 7: Geschützte Rechtsgüter

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Besonderer Teil: Straftatbestände / geschützte Rechtsgüter

Datenschutz undPrivatsphäre

Körperliche Integrität

Leben

Rechtsverkehr(Beweisführung und Urkunden)

Freiheit

Für den Bereich der Pflegeberufe sind vor allem Straftatbestände von Interesse, welche die Privatsphäre und persönlichen Daten, die körperliche Integrität, das Leben, die Freiheit und den Rechtsverkehr (Beweisführung) schützen. Anhand der geschützten Rechtsgüter können die Straftatbestände eingeordnet und systematisiert werden.

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Datenschutz und Privatsphäre Abb. 8: Datenschutz und Privatsphäre

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Besonderer Teil: Datenschutz und Privatsphäre

§ 201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes

§ 202 Verletzung des Briefgeheimnisses

§ 203 Verletzung von Privatgeheimnissen

Im Bereich der Kranken- und Altenpflege werden dem Pflegepersonal aufgrund der Nähe zum Patienten und dessen Hilflosigkeit regelmäßig Informationen bekannt, die aus dem persönlichsten Bereich des Patienten stammen. Diese Informationen unterliegen einer besonderen Geheimhaltungsverpflichtung, welche vom Pflegepersonal zu beachten sind. Von besonderer Bedeutung ist die Strafnorm der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB), welche ausgewählten

Berufsgruppen wie auch Ärzten und Pflegepersonal eine besondere Verpflichtung zur Verschwiegenheit auferlegt und die Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung unter Strafe stellt. Dabei ist zu beachten, dass bereits das Bestehen eines Behandlungsverhältnisses zu dem Bereich der geschützten Information zu zählen ist. Eine Auskunft, dass sich eine konkrete Person in Behandlung befindet, ist daher schon als unzulässig anzusehen. Ausnahmen gelten insoweit, als lediglich der Aufenthaltsort einer Person bekanntgegeben wird und ein Rückschluss aus dieser Information auf die erfolgte Behandlung und das Bestehen eines Behandlungsverhältnisses nur schwer möglich ist. § 203 StGB lesen!8

8 http://bundesrecht.juris.de/stgb/__203.html

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Körperliche Integrität Abb. 9: Körperliche Integrität

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

StGB § 223 Körperverletzung

StGB § 224 Gefährliche Körperverletzung

StGB § 225 Mißhandlung von Schutzbefohlenen

Besonderer Teil: Körperliche Integrität

StGB § 226 Schwere Körperverletzung

StGB § 228 EinwilligungRechtfertigungsgrundkein Straftatbestandgilt für alle Strafnormen

Ärztlicher Eingriff erfüllt immer denobjektiven Tatbestand der KpVltzg

Jeder Eingriff durch einen Arzt oder durch Pflegepersonal in die körperliche Integrität eines Patienten (beispielsweise die Durchführung einer Operation oder die Entnahme von Blut mittels Spritze) erfüllt den Straftatbestand der Körperverletzung. Dies gilt auch, falls der Eingriff durch den Arzt oder das Pflegepersonal fachgerecht und nach „Grundsätzen der ärztlichen Kunst“ durchgeführt worden ist. Bei der Strafbarkeit kommt es daher regelmäßig darauf an, ob der Eingriff in rechtswidriger Weise erfolgt ist (vgl. Grundstruktur des Straftatbestandes!).

Hier vor allem, ob eine ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten beziehungsweise die Einwilligung eines dazu ermächtigten Vertreters vorlag. Auf die Ausführungen im Bereich der Rechtswidrigkeit (Exkurs Einwilligung) wird ausdrücklich verwiesen. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hingewiesen, dass bei Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung oder ausdrücklichen Verweigerung derselben, es auf die mutmaßliche Einwilligung nicht ankommt und der Straftatbestand der Körperverletzung als erfüllt anzusehen ist. Da medizinische Eingriffe regelmäßig mit entsprechenden Gerätschaften wie Skalpell oder Spritze vorgenommen werden, wird in der Regel der Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung mit einer beträchtlichen Strafandrohung in Frage stehen.

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Schutz des Lebens Abb. 10: Leben

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Besonderer Teil: Leben

StGB § 211 MordStGB § 212 Totschlag

StGB § 216 Tötung auf VerlangenStGB § 218 SchwangerschaftsabbruchStGB § 219b Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der SchwangerschaftStGB § 221 Aussetzung

Im Bereich des Schutzes des Lebens stellt vor allem die Sterbehilfe ein äußerst umstrittenes Thema im Pflegebereich dar. Es ist insbesondere in der Rechtsprechung immer noch nicht abschließend geklärt, wann die Bemühungen um die Verhinderung des Todeseintritts eingestellt werden dürfen. Die Problematik der Sterbehilfe wird deutlich in dem Zitat: "Das Recht darf nicht zu viel riskieren, wo es um das heute höchste Gut,

das Leben, geht." Es darf auch nicht zu streng sein, wo es um Würde, Selbstbestimmung und Barmherzigkeit geht.9

Die Sterbehilfe muss beurteilt werden vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes des Lebens und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Patienten sterben zu können. Ferner muss die ethische Verantwortung jedes Menschen berücksichtigt werden, das Leben anderer zu achten und zu schützen. Außerdem ist in unserer Rechtsprechung ein strafrechtlicher Schutz des Lebens vorgesehen. Im Rahmen der Sterbehilfe muss jedoch andererseits gelten, dass das Lebensrecht kein Lebenszwang ist und daher jeder Mensch das Recht auf einen würdigen Tod hat; somit jedem ein menschenwürdiges Sterben ohne die Verlängerung des Leidens ermöglicht werden soll. Die Frage des Sterbens in Würde sollte jedoch nur dort Bedeutung haben, wo der betroffene Mensch selbstbestimmt über den Abbruch oder das Unterlassen von lebensverlängernden Maßnahmen entscheidet. Die von manchen Philosophen befürwortete Tötung von sogenannten „Nicht-Personen“ verstößt gegen elementare ethische Grundsätze der Gesellschaft und ist daher in keinem Fall zu rechtfertigen. Auch die holländische Lösung mit der Zulassung von aktiver Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen bietet erhebliche Möglichkeiten des Missbrauchs.

9 Süddeutsche Zeitung vom 14.09.94

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Vor diesem Hintergrund und Überlegungen soll nachfolgend der derzeitige Rechtszustand dargestellt werden. Im Rahmen der Sterbehilfe müssen

• Aktive Sterbehilfe • Indirekte Sterbehilfe • Passive Sterbehilfe • Behandlungsabbruch und • Beihilfe zum Selbstmord (Suizid)

unterschieden werden. Abb. 11: Sterbehilfe und Behandlungsabbruch

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Besonderer Teil: Sterbehilfe

AktiveSterbehilfe

PassiveSterbehilfe

IndirekteSterbehilfe

Behandlungs-abbruch

FormTäterschaft

JuristischeBezeichnung

ZustandPatient

Einwilligung

Prognose

Strafbarkeit

Aktives Tun Unterlassen Tod alsNebenfolge

Tun/Unterlassen

TötungTötung auf Verlangen

Tötungdurch Unterl.

egal unmittelbareTodesnähe

unmittelbare Todesnähe

keine unmittelbare Todesnähe

ja ja (mutmaßlich)

egal neg. Prognose

ja nein nein nein

egal

egal

egal

neg. Prognose

Tötung Tötung

Die aktive Sterbehilfe ist nach § 216 StGB als Tötung auf Verlangen stets strafbar.

Aktive Sterbehilfe

Sie stellt ohne den Wunsch des Betroffenen, dessen ausdrücklichem und ernstlichem Verlangen, einen Totschlag gemäß § 212 StGB dar, oder es ist im Extremfall sogar ein Mord nach § 211 StGB gegeben. Erfolgt die Tötung auf den ernstlichen Wunsch des Betroffenen hin, so liegt die (strafbare) Tötung auf Verlangen vor, welche mit niedrigerer Strafe bedroht ist. Der Wunsch ist nicht als ernstlich anzusehen, wenn der Betroffene nicht einsichts- und urteilsfähig ist10. Deshalb ist beim Vorliegen von psychischen Erkrankungen mit Wahnvorstellungen oder Depressionen ein ernstlicher Wunsch nicht vorhanden, so dass die Tötung zumindest als Totschlag anzusehen ist. Das Tötungsverlangen muss auch ausdrücklich in nicht missverständlicher Weise erfolgen. Es muss nicht in Worten erfolgen, jedoch muss zumindest eine unzweideutige Geste vorliegen11

.

Die Tötung auf Verlangen hat trotzdem eine, wenn auch gegenüber dem Totschlag und Mord geringere, Freiheitsstrafe zur Folge.

Ein Bewohner bittet um eine erlösende Spritze mit der tödlichen Dosis eines Schmerzmittels. Dieses muss in jedem Fall verweigert werden, da insoweit immer strafbare Sterbehilfe nach § 216 StGB vorliegt.

Beispiel:

10 BGH, NJW 1981, S. 932 11 BGH, NJW 1987, S. 1092

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Bei der indirekten Sterbehilfe wird der Tod des Heimbewohners oder Patienten bei der Gabe von hoch dosierten Schmerzmitteln in Kauf genommen.

Indirekte Sterbehilfe

Inzwischen ist die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung in der Literatur, dass der Arzt, um das Leiden seines Patienten zu verringern, Schmerzmittel auch so hoch dosieren darf, dass dadurch eine Verkürzung des Lebens erfolgt. Der Wunsch des Patienten, dass seine Schmerzen beseitigt oder soweit möglich gelindert werden, geht in jedem Fall vor.

Bei der passiven Sterbehilfe werden Maßnahmen unterlassen, die den natürlichen Todeseintritt verhindern. Diese Form der Sterbehilfe bedeutet somit das Unterlassen von lebenserhaltenden bzw. verlängernden Maßnahmen. Hierzu zählt das Abschalten von technischen Geräten, beispielsweise eines Beatmungsgeräts.

Passive Sterbehilfe

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe! Eine aktive Sterbehilfe (Tötung oder Tötung auf Verlangen) liegt vor, wenn dadurch der Sterbevorgang erst in Gang gesetzt wird. Bei der passiven Sterbehilfe hat der Sterbevorgang bereits begonnen, und es wird lediglich nichts unternommen, um das Sterben aufzuhalten, das heißt in der Regel, das Leben und das Leiden zu verlängern. Die passive Sterbehilfe ist nicht strafbar. Es sind dies Fälle, in denen bei einem tödlich Kranken (negative Prognose), dessen Grundleiden mit ungünstiger Prognose einen irreversiblen Verlauf

genommen hat und dessen Tod in kurzer Zeit (= unmittelbare Todesnähe) eintreten wird12

.

Ein Patient bittet darum, das Beatmungsgerät abzuschalten, nachdem ein Leben ohne dieses Gerät nicht mehr möglich ist. Der Arzt entspricht seinem Wunsch. Der Patient stirbt durch passive Sterbehilfe.

Beispiele:

Der Heimbewohner bittet seine Tochter darum, ihm ein Gift zu beschaffen und ihm bei der Einnahme zu helfen. Die Tochter muss sich weigern, da es aktive und damit strafbare Sterbehilfe wäre. Der Heimbewohner kann noch längere Zeit leben, so dass mit dem Gift erst ein Sterben ermöglicht würde.

Wird der Tod durch lebenserhaltende Maßnahmen lediglich verzögert und ist eine Heilung nicht mehr möglich, hat jeder Mensch das Recht, ein Abschalten von medizinischen Geräten beziehungsweise einen Behandlungsabbruch zu fordern

Behandlungsabbruch

13

.

Dies wird inzwischen auch von der neuen Berufsordnung der Ärzte anerkannt14. Sofern ein Angehöriger auf Wunsch des Patienten oder Bewohners das Abschalten vornimmt, ist sein Verhalten nicht strafbar15

.

Der Bewohner weiß, dass medizinische Maßnahmen nur zu einer Verlängerung des Lebens, nicht zu einer Heilung führen können. Er bittet deshalb darum, zukünftig nur noch seine Schmerzen zu lindern, aber keine lebensverlängernden Arzneimittel zu verabreichen. Die Pflegekräfte sind in diesem Fall dazu verpflichtet, die Entscheidung des Arztes herbeizuführen. Es ist nicht zulässig,

Beispiel:

12 BGH 40, 257 [Kemptener Fall] = NJW 1995, 204, BGH 37, 379 13 BGH Beschluss 08.06.2005 Az. XII ZR 177/03 = BGH NJW 2005, 2385 [Kiefersfeldener Fall] 14 Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung: Deutsches Ärzteblatt 2004, S. A 1298 f. 15 LG Ravensburg, MedR 1987, 196

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selbst darüber zu entscheiden. Der Arzt muss aber den Willen des Bewohners respektieren. Beim Behandlungsabbruch wird die medizinische Behandlung, dabei auch die künstliche Ernährung (beispielsweise über eine PEG - Magensonde), eingestellt. Er unterscheidet sich von der passiven Sterbehilfe dadurch, dass keine "unmittelbare Todesnähe"16

vorliegt, das heißt, kein Sterbevorgang eingesetzt hat. Der Tod wird vergleichbar mit der aktiven Sterbehilfe erst durch die Einstellung der Behandlung, insbesondere künstlichen Ernährung, herbeigeführt.

Sie ist nach der derzeitigen Rechtsprechung17

zulässig, wenn keine Prognose auf Heilung besteht und der tatsächliche oder der mutmaßliche Wille des Patienten einen Wunsch zum Abbruch der Behandlung erkennen lässt.

Eine wesentliche Rolle spielt im Rahmen des Behandlungsabbruchs und auch der passiven Sterbehilfe die Patientenverfügung. Die Patientenverfügung ist eine Erklärung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, welcher für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festlegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt18

.

16 OLG Frankfurt/M, NJW 1998, S. 2747, 2748 17 Vgl. insbesondere Urteil OLG Frankfurt/M. a. a. O. 18 Vgl. § 1901 a BGB

Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts19

wurde die Patientenverfügung erstmals ausdrücklich gesetzlich geregelt und die zu diesem Thema bisher ergangene Rechtsprechung und Rechtsmeinung in der Literatur damit in Gesetzesform gegossen.

Die gesetzliche Regelung bewegt sich in dem Spannungsfeld zwischen absoluter Autonomie und Selbstbestimmung des Patienten und Schutz des Lebens sowie ärztlicher Einschätzung. Liegen die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Patientenverfügung vor, so ist diese Patientenverfügung und der darin enthaltene Wille des Patienten/Betreuten bindend, sowohl für Betreuer als auch Bevollmächtigten. Eine unmittelbare Einwilligung bzw. Untersagung einer ärztlichen Maßnahme kann aus der Patientenverfügung im Einzelfall jedoch nur hergeleitet werden, wenn diese hinreichend konkretisiert formuliert wurde und die Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen. Der Bevollmächtigte oder Betreuer hat nach der gesetzlichen Regelung die Aufgabe (§ 1901 a Absatz 1 BGB), einer wirksamen Patientenverfügung zur Geltung und Durchsetzung zu verhelfen und entsprechende Erklärungen abzugeben. Sofern eine wirksame Patientenverfügung nicht vorliegt (z.B. schriftliche Erklärung eines Minderjährigen) hat der Bevollmächtigte bzw. Betreuer den Willen des Patienten unter Berücksichtigung der Patientenverfügung sowie durch Anhörung von Angehörigen und Dritten zu ermitteln und entsprechende Erklärungen im Einzelfall abzugeben (§ 1901 a Absatz 2 BGB).

19 Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts mit Gesetzesbegründung und Erläuterung

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Kann zwischen Bevollmächtigten bzw. Betreuer und Arzt oder Bevollmächtigten bzw. Betreuer und Dritten (z.B. Angehörige) keine Einigkeit erzielt werden, kann das Vormundschaftsgericht gem. § 1904 BGB angerufen werden. In die neue gesetzliche Regelung wurde ausdrücklich die Rechtsprechung des BGH zur Patientenverfügung aufgenommen20. Ebenso wurden die Erklärungen des 63. Und 66. Deutschen Juristentages entsprechend miteinbezogen21

.

Für eine existenzielle Entscheidung wie den Abbruch einer Behandlung ist aus einem Bedürfnis des Betreuungsrechts heraus zusätzlich die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich22

. Dieses hat unter anderem den mutmaßlichen Willen zu berücksichtigen. Bei Minderjährigen haben die Sorgeberechtigten die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich lebensverlängernder Maßnahmen, wobei sie zum Wohl des Kindes entscheiden müssen.

Fraglich ist auch, wie die Beihilfe zum Suizid rechtlich zu werten ist. Beihilfe zum Suizid/Selbstmord

Der Suizid ist straffrei, da die Rechtsprechung nur die Tötung eines anderen Menschen unter Strafe stellt. Aus diesem Grund ist auch die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich

straffrei.

Es kann jedoch die Untätigkeit nach Beginn des Suizides unter bestimmten Voraussetzungen strafbar sein. Dies könnte rechtlich als eine Tötung durch Unterlassen oder eine unterlassene 20 Beschluss des XII. Zivilsenats vom 17.3.2003 - XII ZB 2/03 [Lübecker Fall] = BGHZ 154, 205 = NJW 2003, 1588: Die Entscheidungszuständigkeit des Vormundschaftsgerichts ergibt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 1904 BGB, sondern aus einem unabweisbaren Bedürfnis des Betreuungsrechts. 21 Taupitz Verhandlungen des 63. DJT 2000 Gutachten A 41 22 OLG Frankfurt/M, NJW 1998, S. 2747 = MedR 1998, S. 519

Hilfeleistung angesehen werden. Die Tötung durch Unterlassen setzt voraus, dass durch eine Untätigkeit der Tod eines Menschen verursacht wird und dass derjenige, der den Todeseintritt nicht verhinderte, eine Garantenstellung hatte (vgl. Tun und Unterlassen)23

.

Eine Garantenstellung haben im Behinderten- und Pflegebereich insbesondere der Arzt und das Pflegepersonal. Sie müssen somit alle notwendigen Maßnahmen zur Rettung eines Suizidenten ergreifen. Eine unterlassene Hilfeleistung ist gegeben, wenn in einer Gefahrensituation, zum Beispiel bei einem begonnenen Suizid, kein Rettungsversuch unternommen wird. Die Verpflichtung zur Hilfe trifft jedermann, somit nicht nur denjenigen, der eine Garantenstellung hat. Ein Suizidversuch stellt nach herrschender Ansicht eine derartige Krisensituation, einen Notfall, dar, in dem jeder im Rahmen der Zumutbarkeit zur Hilfeleistung verpflichtet ist. Straflos ist daher lediglich die Beihilfe vor dem Suizid. Später trifft jeden eine Hilfspflicht, der bei der Ausführung anwesend ist oder hinzu kommt.

Die Pflegekraft Anton beobachtet, dass der Bewohner Bertram in einer Schublade verschiedene Tabletten sammelt. Aufgrund früherer Äußerungen des Bertram muss davon ausgegangen werden, dass er einen Suizid plant. Anton muss daher die Tabletten entfernen, obwohl er in den persönlichen Bereich des Bertram eindringt.

Beispiel:

23 Vgl. BGH NJW 1984, 2639 [Fall Wittig], OLG München NJW 1987, 2940 [Fall Hacketal]

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Sofern Bertram bereits eine tödliche Dosis der Tabletten eingenommen hat, muss Anton Soforthilfe leisten, insbesondere den Notarzt rufen. Anton ist dazu selbst dann verpflichten, wenn Bertram vorher seinem Wunsch zu sterben mitgeteilt und um Unterlassung von Hilfsmaßnahmen gebeten hat. Kommt Anton diesem Wunsch nicht nach, liegt unter Umständen strafbare Tötung durch Unterlassen vor. Besonders problematisch ist die Beihilfe zum Suizid bei einem Suizidenten, der aufgrund einer psychischen Erkrankung, beispielsweise einer Psychose, nicht mehr in der Lage ist, sachgerechte Entscheidungen zu treffen. In diesem Falle liegt aufgrund der Erkrankung die Entscheidung über Tod oder Leben hauptsächlich bei demjenigen, der Beihilfe leistet, wodurch der Selbstmörder aufgrund seiner krankheitsbedingt eingeschränkten Steuerungsfähigkeit Täter und gleichzeitig Opfer wird. Aufgrund der Tatherrschaft des Helfers könnte bei dieser Fallgestaltung Totschlag in mittelbarer Täterschaft vorliegen, so dass der Helfer eine strafbare Handlung begeht (vergleiche dazu Ausführungen zur mittelbaren Täterschaft). Zum Abschluss sei ausdrücklich hervorgehoben, dass im Zweifel alle notwendigen Maßnahmen zur Lebensrettung getroffen werden müssen, um eine strafrechtliche Haftung und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. Die letzte Entscheidung hat in der Mehrzahl der Fälle der Arzt zu treffen24

.

Eine besondere Form der Sterbehilfe ist die sogenannte Sterbebegleitung, das heißt, die Betreuung schwerkranker und sterbender Bewohner. Dazu erforderlich ist jedoch eine

24 Da diese Entscheidung von Rechtsunsicherheit geprägt ist, entscheiden sich eine Vielzahl von Ärzten (gerade im Bereich der Intensivmedizin) zur Behandlung auch gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten. Dies kann jedoch ebenso eine gefährliche Körperverletzung des Patienten darstellen.

Unterstützung der Pflegekräfte seitens der Einrichtung, auch um eine Auseinandersetzung mit der Todesproblematik zu ermöglichen25

.

Nur mit Unterstützung des Heimes oder der Anstalt kann ein Pfleger diese ethische Verpflichtung erfüllen und den Bewohner dadurch eine letzte Betreuung zukommen lassen.

25 Stoffel, Altenpflege (1992), Seite 227

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Freiheitsentziehende Maßnahmen (FeMe) Abb. 12: Entzug der Freiheit

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Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Besonderer Teil: Freiheit

§ 239 Freiheitsberaubung

§ 240 Nötigung

•Obj. TB: Freiheitsbeschränkung des Patienten•Subj. TB: Wissen und Wollen des Täters•Rechtswidrigkeit wird vermutet

nicht sofern RechtfertigungsgründeNotstand, Notwehr, Einwilligung, Gefahr im VerzugVerhältnis vonBetreuter, Bevollmächtigten und PatVerfügung

Merke:für dauerhafte Fixierung vormundschaftsgerichtlicheGenehmigung!!! (auch bei Vollmacht nach § 1906 BGB)

Der Tatbestand der Freiheitsberaubung und Nötigung sielt gerade im Zusammenhang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen (FeM) im Pflegebereich eine gewichtige und bedeutende Rolle. Gerade im Bereich der Fixierung durch technische Hilfsmittel (Bettgitter, Bauchgurt, Riemen usw.) wie auch durch Medikamentengabe (Sedativa) sind die strafrechtlichen Grenzen und Einschränkungen zu beachten. Der Tatbestand der Freiheitsberaubung setzt voraus, dass der Patient überhaupt über Bewegungsfreiheit verfügt und sich einen Willen bilden kann, über seine Freiheit zu verfügen. Die Bettgitter

am Bett eines Komapatienten stellen somit keine Maßnahme der Fixierung dar. Insbesondere stellen Bauchgurte zur Sicherung eines Bewohners bei Gebrauch eines Rollstuhles keine Fixierung dar, da der Bewohner durch die sichere Benutzung des Rollstuhles mit Hilfe des Bauchgurtes erst an Bewegungsfreiheit gewinnt. Merke: Freiheitsentziehende Maßnahmen sind in der Pflegedokumentation mit Grund und Anlass, Art der Fixierung sowie zeitlichem Umfang genau zu dokumentieren. Tathandlung der Nötigung ist die rechtswidrige Durchsetzung einer Handlung, Duldung oder einer Unterlassung. Dabei muss entweder Gewalt angewendet oder mit einem Übel gedroht werden. Dieser Tatbestand ist beispielsweise dann erfüllt, wenn ein Bewohner widerrechtlich zur Einnahme eines Medikaments veranlasst wird. Eine Nötigung kann gleichfalls vorliegen, wenn ein behinderter Mensch zum Essen oder zu einem Spaziergang gezwungen wird. Eine Nötigung liegt allerdings nicht vor, sofern Gehhilfen entfernt werden, um den Bewohner im Rahmen der Therapie zu selbständigen Gehen anzuhalten. Insoweit liegt auch keine Freiheitsberaubung vor, wenn er dazu in der Lage ist; die selbständige Fortbewegung lediglich am fehlenden Willen scheitert.

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Schutz des Rechtsverkehrs Abb. 13: Schutz des Rechtsverkehrs (Beweissicherung)

© RA Christian Stanglwww.anwaltskanzlei-stangl.de 28

Gesetzeskunde nach Rechtsgebieten: Strafrecht

Besonderer Teil: Rechtsverkehr & Beweissicherung

§ 267 Urkundenfälschung§ 268 Fälschung technischer Aufzeichnungen§ 269 Fälschung beweiserheblicher Daten§ 277 Fälschung von Gesundheitszeugnissen§ 278 Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse§ 279 Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse

Auch die Urkundsdelikte spielen im Pflegebereich eine herausragende und wichtige Rolle. Die Dokumentationspflichten und die Mitwirkung der Pflegeberufe daran haben an Bedeutung gewonnen. Bei entsprechenden Dokumenten wie Patientenakten oder Stations- und Schichtprotokollen der Pflegestation handelt es sich um Urkunden. Wer diese Urkunden unterdrückt, in falscher Weise herstellt oder in unrichtiger Weise abändert oder ergänzt, macht sich der Urkundenfälschung strafbar.

Bei den dokumentierten Messergebnissen von medizinischen Geräten handelt es sich um technische Aufzeichnungen, die ebenfalls Urkundencharakter haben und durch Strafvorschriften entsprechend geschützt sind. Auch deren unrichtige Herstellung, nachträgliche unrichtige Veränderung oder Unterdrückung und Vernichtung sind mit Strafe bedroht. Gerade bei aufgetretenen Behandlungsfehlern und Zwischenfällen ist festzustellen, dass nachträglich durch das damit befasste Pflegepersonal aus Angst vor Strafe oder Nachteilen gegenüber dem Arbeitgeber Änderungen an entsprechenden Dokumenten vorgenommen werden bzw. diese vernichtet werden. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass auch die Ausstellung eines unrichtigen ärztlichen Attestes den Straftatbestand des § 278 StGB erfüllt. Wird einem Arbeitnehmer somit ein ärztliches Attest unrichtig ausgestellt und dieses von dem Arbeitnehmer in Kenntnis der Unrichtigkeit verwendet, so machen sich sowohl Arzt als auch Patient/Arbeitnehmer strafbar.

G. Kompetenzteilung im Pflegebereich Eine gesetzliche Regelung, unter welchen Umständen eine Berufsgruppe Injektionen, Venenpunktionen und andere Tätigkeiten durchführen oder an eine andere Berufsgruppe delegieren darf, gibt es nicht. Dennoch gibt es vielfältige Rechtsprechung zu diesen Themen. Es gibt viele Gerichtsurteile zu den Themen, jedoch keine gesetzliche Regelung, so dass lediglich von Empfehlungen gesprochen werden kann.

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Injektionen, Infusionen, Transfusionen und Blutentnahmen gehören in erster Linie zum Aufgaben- und Verantwortungsbereich der ärztlichen Berufsgruppe. Im Rahmen der ärztlichen angeordneten Maßnahmen zur Diagnostik und Therapie ist aber eine Delegation von Injektionen und Blutentnahmen möglich, wenn dazu die Einwilligungen des Patienten und der Pflegekraft vorliegen. Grundsätzlich sollte die Anordnung von Injektionen schriftlich und nur an adäquat ausgebildete Pflegekräfte erfolgen, die für die jeweilige Aufgabe qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen können26

.

Die Durchführungsverantwortung liegt dann bei der Pflegekraft, die deshalb auch eine persönlich nicht zu verantwortende Maßnahme ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen ablehnen kann.

Die Durchführungsverantwortung der Injektionen liegt bei der ausführenden Pflegekraft.

Merke:

In folgender Übersicht soll ein Überblick über die Delegationsmöglichkeit bei verschiedenen Eingriffsarten und deren Zulässigkeitsvoraussetzung gegeben werden:

26 Hingewiesen darf hierbei auf verschiedene neuere Modellprojekte an deutschen Großkliniken werden, in denen Infusionen von speziell geschultem Pflegepersonal nach ärztlicher Anordnung vorgenommen werden.

Abb. 14: Übersicht Kompetenzverteilung im Pflegebereich Art des Eingriffs Zuordnung des

Tätigkeits-bereichs

Delegation möglich?

Voraussetzung

Intramuskuläre Injektion

Pflegerische Tätigkeit

Ärztliche Anordnung, entsprechende Ausbildung

Subkutane Injektion

Pflegerische Tätigkeit

Ärztliche Anordnung, entsprechende Ausbildung

Intravenöse Injektion

Ärztliche Tätigkeit

Ja Ärztliche Anordnung, entsprechende Aus- und Weiterbildung (Intensivstation, Anästhesie), Notfall

Anlegen einer Fusion

Ärztliche Tätigkeit

Ja Ärztliche Anordnung, entsprechende Aus- und Weiterbildung (Intensivstation, Anästhesie), Notfall

Injektionen in den Infusionsschlauch

Ärztliche Tätigkeit

Ja Ärztliche Anordnung, entsprechende Aus- und Weiterbildung (Intensivstation, Anästhesie), Notfall

Wechseln der Infusion

Ärztliche Tätigkeit

JA Ärztliche Anordnung, entsprechende Aus- und Weiterbildung

Injektionen in ZVK, PDK oder Port

Ärztliche Tätigkeit

Ja Ärztliche Anordnung, entsprechende Aus- und Weiterbildung

Venöse Blutentnahme

Ärztliche Tätigkeit

Ja Ärztliche Anordnung, entsprechende Aus- und Weiterbildung

Transfusion von Blut oder Blutbestandteilen

Ärztliche Tätigkeit

Nein ---

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H. Prozessrecht – die Strafprozessordnung Das Prozessrecht im Bereich des Strafrechts wird bestimmt von der Strafprozessordnung (StPO). Das Prozessrecht bestimmt die Befugnisse der Ermittlungsbehörden, die Rechte der Beschuldigten und Zeugen im Strafverfahren sowie den Ablauf des Gerichtsverfahrens. Im Strafverfahren unterscheidet man verschiedene Verfahrensabschnitte. Als Verfahrensabschnitte sind

• das Ermittlungsverfahren • das Zwischenverfahren • und die Hauptverhandlung

zu nennen.

Ermittlungsverfahren Im Ermittlungsverfahren ermittelt die zuständige Staatsanwaltschaft die Umstände und Sachverhalt der Tat. Dabei bedient sie sich sogenannten Hilfsbehörden wie Polizei oder Kriminalpolizei, aber auch Zoll (bei Schwarzarbeit und Schmuggel) sowie Finanzverwaltung und Steuerfahndung. Die Hilfsbehörden haben in Abstimmung mit der zuständigen Staatsanwaltschaft Beweise zu sammeln, Zeugen und Beschuldigte zu vernehmen und verschiedene Ermittlungs-maßnahmen durchzuführen wie Hausdurchsuchung, Sicherstellung oder Beschlagnahme. Dazu räumt die StPO den Hilfsbehörden und der Staatsanwaltschaft selbst die Befugnisse hierzu ein. Einige Maßnahmen, wie das Abhören von Telefon oder Hausdurchsuchungen, bedürfen, bevor sie durchgeführt werden können, der gerichtlichen Überprüfung und Zustimmung. Dafür ist der sogenannte Ermittlungsrichter zuständig, welcher die

beabsichtigten Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und Polizei, wenn sie der Zustimmung bedürfen, überprüft und genehmigt. Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob Anklage erhoben werden soll, Strafbefehl ergeht oder das Verfahren eingestellt wird.

Zwischenverfahren Im Zwischenverfahren reicht die Staatsanwaltschaft den Entwurf ihres gefertigten Strafbefehls oder der Anklageschrift beim zuständigen Strafgericht ein. Haben sich die Vorwürfe gegen den Täter als nicht nachweisbar bzw. von untergeordneter Bedeutung erwiesen, so verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens (möglicherweise auch gegen Geldzahlung als Auflage). Letztere Variante kommt vor allem bei Taten und Tätern in Betracht, wo die Tat nur geringe Intensität hat und der Täter bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Sollte sich die Staatsanwaltschaft (auch Anklagebehörde genannt) entscheiden, den Täter bestrafen und anklagen zu wollen, so beantragt sie beim zuständigen Strafgericht den Erlass eines Strafbefehls oder per Einreichung einer Anklageschrift die Durchführung einer Hauptverhandlung. Der Strafbefehl kommt nur in Betracht, wenn als Strafe folgende Sanktionen verhängt werden sollen: Geldstrafe, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot, Verfall, Einziehung, Vernichtung, Unbrauchbarmachung, Bekanntgabe der Verurteilung und Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung, Entziehung der Fahrerlaubnis, bei der die Sperre nicht mehr als zwei Jahre beträgt, sowie Absehen von Strafe. Hat der Angeschuldigte einen Verteidiger, so kann auch Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr

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festgesetzt werden, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Höhere Sanktionen sind durch Strafbefehl nicht möglich. In diesen Fällen muss beim Strafgericht durch Einreichung der Anklageschrift die Durchführung einer Hauptverhandlung (Strafverhandlung) beantragt werden. Gegen einen dann vom Strafgericht erlassenen Strafbefehl kann vom Angeschuldigten innerhalb einer Frist von 2 Wochen ab Zustellung Einspruch eingelegt werden. Wird Einspruch vorgenommen, kommt es ebenfalls zur Hauptverhandlung vor dem Strafgericht. Mittels der Anklageschrift beantragt die Staatsanwaltschaft die Durchführung einer Hauptverhandlung. Dies in den Fällen, wo eine Bestrafung des Angeklagten in einem Umfang erfolgen soll, welche über die Zulässigkeit eines Strafbefehls hinausgeht. Das zuständige Strafgericht prüft die Anklageschrift und seine Zuständigkeit und lässt die Anklageschrift zu oder lehnt die Anklage ab. Wird die Anklageschrift zugelassen, kommt es zur Hauptverhandlung.

Hauptverhandlung In der Hauptverhandlung trägt die Staatsanwaltschaft die Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren vor, indem sie entsprechende Dokumente und Unterlagen vorlegt und Zeugen für die Tat benennt. Der Angeklagte und dessen (Straf-)Verteidiger nehmen dazu Stellung und bringen entsprechende Gegenargumente oder Verfahrensrügen vor, wenn Verfahrensverletzungen im Ermittlungsverfahren begangen wurden.

Das Strafgericht, welches aus einem Strafrichter, einem Strafrichter mit Schöffen (Schöffengericht) oder einer Kammer (mehrere Richter und Schöffen) bestehen kann, entscheidet über Verurteilung des Angeklagten und zu verhängender Strafe. Für die Hauptverhandlung herrscht der Grundsatz der Öffentlichkeit. Das bedeutet, dass alle Beweismittel und Argumente, welche der späteren Verurteilung zugrunde liegen, in die öffentliche Hauptverhandlung eingebracht werden müssen. Eine Absprache zwischen den Verhandlungsbeteiligten (Staatsanwaltschaft, Angeklagter und Verteidiger sowie Strafgericht) ist zulässig und mittlerweile gebräuchlich. Diese Absprache wird als „Deal“ im Strafprozess bezeichnet und selbst vom Bundesgerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig betrachtet.

Strafvollzug Nach erfolgter Verurteilung beginnt der Strafvollzug, für welchen die Strafvollzugsbehörden (in der Regel Gefängnisverwaltungen und Staatsanwaltschaft) zuständig sind. Rechte und Pflichten der Strafvollzugsbehörden sowie der Verurteilten sind im Strafvollzugsgesetz geregelt.