skriptum zur vorlesung · 1 fachdidaktiker tum nach empfehlungen des kulturausschusses bayern 1968...
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Fachdidaktik Arbeitslehre - Skriptum zur Vorlesung -
Dr. Herbert Rausch, LfE, TUM
Pestalozzi in der Schule, 1799
Ausgabe SS 2016
Vorbemerkungen Das Skriptum enthält Hinweise auf die wichtigsten Inhalte und ersetzt nicht intensives Literaturstudium. Die
Vorlesung setzt fachwissenschaftliche Kenntnisse aus den berufskundlichen, arbeitswissenschaftlichen und
wirtschaftswissenschaftlichen und technisch orientierten Lehrveranstaltungen des Studiengangs und allgemeine
erziehungswissenschaftliche Kenntnisse, die im Rahmen des erziehungswissenschaftlichen Grundstudiums
erworben werden voraus.
Test:
Erläutern Sie die Begriffe:
Ausbildungsrahmenplan, Berufswahlreife
Dauerleistungsgrenze, Jobenlargement
Markt, Bruttosozialprodukt
Wirkungsgrad, Werkzeug
Ziele der Vorlesung Definition der Fachdidaktik:
"Die Fachdidaktik führt sowohl in fachwissenschaftliche Fragestellungen, als auch in sachadäquate und
schulgerechte Vermittlung bildungsrelevanter Inhalte und Methoden ein."1
Die Fachdidaktik soll einerseits helfen gezielt bildungsrelevante Inhalte eines Faches auszuwählen und
andererseits die Vermittlung dieser Inhalte unterstützen.
Didaktischer Aspekt
Die normativen Vorgaben der Gesellschaft, bzw. des Staates in Form von Gesetzen und Verordnungen und die
vorherrschende Ethik lassen den akademisch ausgebildeten Lehrkräften bewußt weite Freiräume, um
schülergerecht und aktuell Lerninhalte auszuwählen und zu gewichten. Im Rahmen der Fachdidaktik sollen
Fachinhalte, Methoden und Maßstäbe vorgestellt werden, die im Rahmen der vorgegebenen Normen und Ideale
eine effektive Auswahl der Lerninhalte für den Arbeitslehreunterricht erleichtern.
Methodischer Aspekt
Die wirkungsvolle Vermittlung dieser Inhalte unterstützt die Fachdidaktik durch wissenschaftliche
Hintergrundinformation und konkrete Entscheidungshilfen. Kenntnisse aus der Lernpsychologie, der
Verhaltensforschung und der Pädagogik liefern Begründungen für beobachtbare Phänomene im Unterricht, die
gemeinsam mit Erfahrungen hervorragender Pädagogen bis hin zu einfachen Tips und Regeln eigene,
zielgerichtete und immer erfolgreichere Lehrversuche ermöglichen.
Grenzen
Die Fachdidaktik kann und will nicht eigene Erfahrungen ersetzen, sie liefert die Anleitung, Werkzeuge und
teilweise das Baumaterial um einen soliden Unterricht zu konstruieren und Maßstäbe, um diesen zu beurteilen.
LPO I
§ 40 LPO I (2008)
(2) Inhaltliche Prüfungsanforderungen 5. Fachdidaktik
a) Ziele, Gegenstandsfelder und Konzeptionen des Lernfeldes Arbeitslehre,
b) Interaktionspartner und Lernorte im Lernfeld Arbeitslehre
c) Methoden und Medien im Lernfeld Arbeitslehre.
Aktueller Lehrplan
„Lehrplan PLUS Fachprofil Wirtschaft und Beruf: Ziele und inhaltliche Schwerpunkte
Die Schülerinnen und Schüler der Mittelschule treten in der Regel früher als andere in das Berufsleben ein.
Vorrangiges Bildungsziel des Faches Wirtschaft und Beruf ist es, sie auf jene von Arbeit geprägten Bereiche
vorzubereiten, in denen sie in Zukunft als Erwerbstätige, als Produzenten von Gütern und Dienstleistungen, als
Verbraucher und Wirtschaftsbürger leben werden. Das Fach Wirtschaft und Beruf beginnt in Jahrgangsstufe 5
und knüpft an Themenbereichen der Grundschule an. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler besonders in
grundlegenden und fachspezifischen Methoden bzw. Arbeitstechniken wie Beobachten, Befragen, Interviewen,
Beschreiben, Auswerten und Erkunden geschult. Somit legt das Fach Wirtschaft und Beruf die Basis für ein
Methodencurriculum an der Mittelschule. Der Blick auf den eigenen Lebensbereich der Schülerinnen und
Schüler wird geschärft und inhaltlich kontinuierlich weitergeführt. “Die Schülerinnen und Schüler erwerben ein
grundlegendes Verständnis in den Bereichen Arbeit, Wirtschaft, Technik, Berufsorientierung und Recht und
begreifen Arbeit als Grundphänomen menschlichen Daseins. 2
1 Fachdidaktiker TUM nach Empfehlungen des Kulturausschusses Bayern 1968 2 Lehrplan PLUS „Fachprofil“: Wirtschaft und Beruf
Inhalt Die Vorlesung gliedert sich in zwei Hauptabschnitte, die systematisch aufbauend die wesentlichen Grundlagen
für einen wirkungsvollen Arbeitslehreunterricht liefern. Dabei werden wissenschaftliche Erkenntnisse mit
Zielvorgaben verknüpft und für die Unterrichtsplanung aufbereitet.
Vorbemerkungen .................................................................................................................................................. 2
Ziele der Vorlesung ................................................................................................................................................. 2 LPO I ............................................................................................................................................................... 2 Aktueller Lehrplan .......................................................................................................................................... 2
Inhalt ...................................................................................................................................................................... 3
Didaktik: Welche Inhalte sollen vermittelt werden? ......................................................................................... 4
Fachinhalte ............................................................................................................................................................. 4
Kompetenz, Schlüsselqualifikationen, ..................................................................................................................... 5 Literatur ........................................................................................................................................................... 7 Kontrollfragen ................................................................................................................................................. 7
Auswahl der Inhalte aus geschichtlicher Sicht ........................................................................................................ 8 Historische Entwicklung der Arbeitslehre bis 1945 ........................................................................................ 8 Die Entwicklung des Faches Arbeitslehre von 1964 bis heute ..................................................................... 14
Darstellungsformen der Lerninhalte (Lehrpläne) ................................................................................................. 26 Gesetze und Verordnungen ........................................................................................................................... 26
Auswahl der Inhalte für eine Unterrichtseinheit ................................................................................................... 29 Vorgaben ....................................................................................................................................................... 29 Sachuntersuchung ......................................................................................................................................... 29 Adressatenanalyse ......................................................................................................................................... 29 Grundsätze der Didaktik ............................................................................................................................... 29 Didaktische Reduktion .................................................................................................................................. 30 Problemanalyse ............................................................................................................................................. 31 Didaktische Analyse...................................................................................................................................... 31 Feinziele einer Unterrichtseinheit ................................................................................................................. 32 Kontrollfragen ............................................................................................................................................... 33
Methodik: Wie sollen diese Inhalte vermittelt werden? .................................................................................. 34
Handlungsorientierter Unterricht ......................................................................................................................... 34
Gestaltung von Unterrichtseinheiten .................................................................................................................... 35 Artikulation ................................................................................................................................................... 35 Methoden ...................................................................................................................................................... 36 Lernzielkontrollen ......................................................................................................................................... 38
Unterrichtsverfahren ............................................................................................................................................. 39 Die Betriebserkundung .................................................................................................................................. 39 Das Betriebspraktikum .................................................................................................................................. 43 Pro- und Contradebatte ................................................................................................................................. 53 Brainstorming ................................................................................................................................................ 54 Das Experteninterview .................................................................................................................................. 57 Die Fallstudie ................................................................................................................................................ 59 Simulationsspiele als Unterrichtsverfahren ................................................................................................... 61 Planspiele ...................................................................................................................................................... 61 Das Rollenspiel ............................................................................................................................................. 63 Projekte ......................................................................................................................................................... 66 Zukunftswerkstatt .......................................................................................................................................... 71 Leittexte ........................................................................................................................................................ 74
Didaktik: Welche Inhalte sollen vermittelt werden? Problematisch erweist sich die Erschließung und die Auswahl der Fachinhalte. Besonders für Arbeitslehre kann
nicht auf eine einzelne Fachwissenschaft mit anerkannten Sachstrukturen verwiesen werden, da entsprechend
den lebensnahen Aufgabenstellungen viele unterschiedliche Quellen herangezogen werden müssen. Dabei
besteht die Gefahr oberflächlich mit unverbindlichen Phrasen Wissenslücken zu kaschieren.
Die Lerninhalte gliedern sich in Fachinhalte einzelner Bezugswissenschaften und in die so genannten
„Schlüsselqualifikationen”, die in unserer modernen Welt eine erhebliche Bedeutung haben.
Fachinhalte
Die Fachinhalte können in sich
teilweise überschneidende Bereiche
gegliedert werden
(s. Bild 1):
Beruf,
Wirtschaft,
Technik,
Recht
Haushalt
[s. KMK 1969], wobei Arbeit stets
übergeordnet als Leitkategorie dient.
Bild 1: Gegenstandsbereiche der Arbeitslehre
Arbeit
bestimmt das menschliche Leben sowohl im eigenen Haushalt, als auch im Beruf.
Berufsorientierung umfasst als Gegenstandsbereich Bedingungen und Formen von Arbeit, die vorwiegend Erwerbszwecken
dient und auf die meist in Ausbildungsgängen vorbereitet wird sowie die Entwicklung einer
Berufswahlfähigkeit.
Wirtschaft:
umfasst als Gegenstandsbereich wirtschaftliche Bedingungen und Verfahren zur Produktion, zum
Austausch von Waren und zur Bereitstellung von Dienstleistungen, insbesondere Verteilung und
Verbrauch unter Berücksichtigung sozialer Verpflichtungen.
Technik:
umfasst als Gegenstandsbereich technische Mittel und Verfahren zur Herstellung und Verwendung von
Waren und zur Erbringung von Dienstleistungen.
Recht
vermittelt Kenntnisse über einschlägige rechtliche Bestimmungen. Im Vordergrund stehen
Rechtsthemen mit denen Schüler in naher Zukunft – als Einsteigerinnen und Einsteiger in die Berufs-
und Arbeitswelt – betroffen sind.
Diese Gegenstandsbereiche bedingen und durchdringen sich wechselseitig; sie sind grundsätzlich offen und
können in bestehende Unterrichtsfächer hinein wirken. Sie bedürfen der ständigen Reflexion, um neueren
Wirklichkeitsanforderungen Raum zu geben. So werden z. B. die für Unterricht und Erziehung allgemein
Arbeit:Zielgerichtetes
Handeln...
Technik:Technische Mittel
und Verfahren zur
Herstellung und
Verwendung von
Waren und zur
Erbringung von
Dienstleistungen.
Wirtschaft: Wirtschaftliche
Bedingungen und Verfahren zur Produk-
tion, zum Austausch von Waren und zur
Bereitstellungen von Dienstleistungen,
insbesondere Verteilung und Verbrauch
unter Berücksichtigung sozialer
Verpflichtungen.
Beruf: Bedingungen und For-
men von Arbeit, die vorwiegend
Erwerbszwecken dient und auf die
meist in Ausbildungsgängen vor-
bereitet wird...
Fachinhalte der Arbeitslehre
Haushalt, Freizeit...
anerkannten Herausforderungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der
Ökologie auch in diesen Gegenstandsbereichen berücksichtigt.
Arbeit hat bei der inhaltlichen Bestimmung des Lernfeldes, bei der Formulierung von Anforderungen sowie bei
der für den Unterricht notwendigen didaktischen Verknüpfung der Gegenstandsbereiche besondere
Bedeutung.”[KMK 1969]3
Kompetenz, Schlüsselqualifikationen, Durch den technischen Wandel (Beispiel: Computer) und die zunehmende Globalisierung werden von den
Arbeitnehmern neben fachspezifischen immer mehr Berufsfeld übergreifende Kenntnisse und Fähigkeiten
sowohl kognitiver als auch manueller Art verlangt. Wenn sich nun, wie die letzten Jahre zeigen, diese
berufsbezogenen Inhalte "selbst überholen" (technisch veralten), dann muss der Berufstätige oder der Fach-
Auszubildende über ein Instrumentarium (Methoden) verfügen, welches ihn im Laufe seines Arbeitslebens
(eventuell mehrmals) befähigt, sich den neuen technischen, ökonomischen als auch sozialen Herausforderungen
erfolgreich zu stellen. 1974 definierte Mertens (Bundesanstalt für Arbeit) Schlüsselqualifikationen als „solche
Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche nicht unmittelbaren und begrenzten Bezug zu bestimmten,
disparaten praktischen Tätigkeiten erbringen”. [Mertens, 19744] Schelten konkretisiert sie als Qualifikationen
hoher Reichweite, die sowohl zeitlich über Jahre ein Berufsleben lang als auch inhaltlich Berufsfeld übergreifend
gelten (s. Tabelle 1).
Sie gewinnen an Bedeutung, weil
Kenntnisse und Fertigkeiten zunehmend schneller veralten und
die heutigen Arbeitsanforderungen und Arbeitsorganisationen einen flexiblen Mitarbeiter notwendig
machen. [nach Schelten, 1991]
Tabelle 1: Schlüsselqualifikationen nach Schelten5
Schlüsselqualifikationen Qualifikationen mit hoher Reichweite
Materiale Kenntnisse und Fertigkeiten
1. Berufsübergreifende, d.h. allgemeinbildende Kenntnisse und Fertigkeiten: z.B. Kulturtechniken, Fremdsprachen, technische, wirtschaftliche und soziale Allgemeinbildung
2. Neu aufkommende Kenntnisse und Fertigkeiten: z.B. Elektronische Datenverarbeitung, Mikroelektronik, Pneumatik, Hydraulik, neue Technologien
3. Vertiefte Kenntnisse und Fertigkeiten, d.h. Ausbau von Grundlagen, die wenig veränderbar sind: z.B. höherer Messlehrgang, Fachfremdsprache
4. Berufsausweitende, d.h. über den Einzelberuf hinausgehende Kenntnisse und Fertigkeiten: auf Berufsfeldbreite, auf weitere inhaltlich und funktional verwandte Gebiete
Breitenelemente (n. Mertens) Vintagefaktoren (n. Mertens) Tiefenelemente (nach Bunk) Konzentrische Elemente (nach Bunk)
Formale Fähigkeiten kognitiver und psychomotorischer Art
1. Selbständiges, logisches, kritisches Denken 2. Gewinnen und Verarbeiten von Informationen, Informiertheit über
Information 3. Selbständiges Lernen, das Lernen lernen, sich etwas erarbeiten können 4. Anwendungsbezogenes Denken und Handeln, Einsatz der eigenen
Sensibilität und Intelligenz, z.B. bei Umstellungen und Neuerungen, im Vorschlags- und Erfindungswesen
5. Entscheidungsfähigkeit, Führungsfähigkeit, Gestaltungsfähigkeit, z.B. Selbständigkeit bei Planung, Durchführung und Kontrolle
Basis-Qualifikationen (n. Mertens) Horizontal-Qualifikationen (n. Mertens) Lern-Qualifikationen (nach Bunk) Handlungs-Qualifikationen (nach Bunk)
Personale Verhaltensweisen (und soziale
Fähigkeiten)
1. Verhaltensqualifikationen, mit einzelpersönlicher Betonung: u.a. Selbstvertrauen, Optimismus, Wendigkeit, Anpassungsfähigkeit, Gestaltungskraft, Leistungsbereitschaft, Eigenständigkeit
2. Verhaltensqualifikationen mit zwischenmenschlicher Betonung: u.a. Kooperationsbereitschaft, Fairness, Verbindlichkeit, Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Dienstbereitschaft, Teamgeist, Solidarität
3. Verhaltensqualifikationen mit gesellschaftlicher Betonung: u.a. Fähigkeit und Bereitschaft zu wirtschaftlicher Vernunft, technologischer Akzeptanz und zum sozialen Konsens
Werthaltungs-Qualifikationen (nach Bunk)
3Konferenz der Kultusminister, KMK-Empfehlung zum Lernfeld Arbeitslehre, Bonn, 8. Oktober 1987 4 Dieter Mertens: MittAB, 1/1997, S.40 5 Andreas Schelten: Arbeitspädagogik, Carl Hanser Verlag, München 1987
4. Arbeitstugenden, u.a. Genauigkeit, Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Exaktheit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Ordnungssinn, Konzentration, Ausdauer, Pflichtbewusstsein, Fleiß, Disziplin, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme
Schlüsselqualifikationen veralten im Zuge der technischen Entwicklung nicht. Im Unterschied zu
Qualifikationen mit geringer und mittlerer Reichweite sind sie nicht schon nach wenigen Jahren überholt. Sie
bilden eine Basis für die berufliche als auch für die soziale Existenz. Schlüsselqualifikationen bedürfen
allerdings immer konkreter Inhalte mit geringer bzw. mittlerer Reichweite.
Der Begriff „Kompetenz“ wurde von Heinrich Roth 19716 in der Erziehungswissenschaft eingeführt und wird in
der Berufspädagogik als Weiterentwicklung der Schlüsselqualifikationen synonym verwendet. Bildungspolitisch
hat der Begriff vor allem durch die Pisastudien an Bedeutung gewonnen. Franz Weinert definiert Kompetenz als
„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um
bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen
Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und
verantwortungsvoll nutzen zu können“7. Unterschieden werden im Sinne beruflicher Handlungsfähigkeit
(Handlungskompetenz) folgende Teilkompetenzen:
Entscheidungskompetenz
personale Kompetenz
soziale Kompetenz
Sachkompetenz/Fachkompetenz
Methodenkompetenz
Das Konzept der aktuellen Lehrpläne für alle Schularten in Bayern basiert konsequent auf der Vermittlung von
Kompetenzen. „Die Mittelschule als weiterführende Pflichtschule stärkt die Schülerinnen und Schüler in
fachlichen, methodischen, personalen und sozialen Kompetenzen sowie im Bereich der Berufsorientierung.“
[LehrplanPlus, S. 12 ]
Der LehrplanPLUS verwendet die Kurzfassung des Kompetenzbegriffs von Weinert:
„Kompetent ist eine Person, wenn sie bereit ist, neue Aufgaben- oder Problemstellungen zu lösen, und dies auch
kann. Hierbei muss sie Wissen bzw. Fähigkeiten erfolgreich abrufen, vor dem Hintergrund von Werthaltungen
reflektieren sowie verantwortlich einsetzen.“ [Weinert, F. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen –
eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: F. Weinert (Hrsg): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim)]
LehrplanPLUS steht für ein umfangreiches Lehrplanprojekt, in dem zeitgleich und inhaltlich abgestimmt die
Lehrpläne für alle allgemein bildenden Schulen sowie die Wirtschaftsschulen und die beruflichen Oberschulen
überarbeitet werden. ..
Die Lehrpläne sind kompetenzorientiert ausgerichtet. Sie geben Auskunft über die im Unterricht nachhaltig
aufzubauenden Kompetenzen und beschreiben, an welchen Inhalten diese erworben werden. Diese Kompetenzen
gehen über reines Wissen hinaus und haben stets konkrete Anwendungssituationen im Blick. Die Schülerinnen
und Schüler schaffen sich also „Werkzeuge“, die sie zur Lösung lebensweltlicher Problemstellungen, zur aktiven
Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und an kulturellen Angeboten sowie nicht zuletzt zum lebenslangen
Lernen befähigen. Durch die Orientierung am Erwerb von Kompetenzen berücksichtigt der neue bayerische
Lehrplan die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz.
Wissen allein ist noch keine Kompetenz, stellt jedoch die Grundlage für jeden Kompetenzerwerb dar. Deshalb
verbindet der LehrplanPLUS den aktiven Erwerb von Wissen und Kompetenzen im Unterricht. Dies wird u. a.
dadurch deutlich, dass die bayerischen Lehrpläne auch in Zukunft explizit Inhalte ausweisen werden, an denen
verschiedene Kompetenzen erworben werden können.
[ISB: http://www.lehrplanplus.bayern.de/seite/lehrplanplus, 9.5.16]
6 Heinrich Roth (1971): Pädagogische Anthropologie. Bd. 2, Hannover. S.180 7 Franz E. Weinert (Hrsg.)(2001): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim und Basel: Beltz, 27f.
Literatur
Andreas Schelten: Arbeitspädagogik, Carl Hanser Verlag, München 1987
Heinz Dedering: Einführung in das Lernfeld Arbeitslehre. Oldenbourg Verlag, München, Wien 1994,
S. 95 – 101
Gmelch, Andreas, R. Dörfler: Praxis 5 Arbeit-Wirtschaft-Technik, Hauptschule Bayern, Lehrerband
mit Kopiervorlagen. Westermann, Braunschweig 2004
Dieter Mertens: MittAB, 1/1997, S.40
Lothar Retz, Reitmann, Thomas (Hrsg.): Schlüsselqualifikationen. Dokumentation eines Symposiums in
Hamburg. Feldhaus Verlag Hamburg, 1990
Roman Dörig: Das Konzept der Schlüsselqualifikationen. Dissertation, Hochschule St. Gallen 1994
Kontrollfragen
1. Welche inhaltlichen Schwerpunkte nennt der LehrplanPlus für das Fach Wirtschaft und Beruf (s.
Fachprofil)?
2. Nennen Sie für die Gegenstandsbereiche des Fachs jeweils ein konkretes Lernziel!
3. Warum werden Lehrkräfte bei uns akademisch ausgebildet?
4. Wie unterscheiden sich „materiale Kenntnisse“ von „formalen Fähigkeiten“? Nennen Sie jeweils ein
konkretes Beispiel!
5. Nennen Sie eine Problemstellung, bei der neben der Handlungskompetenz mindestens drei weitere
Kompetenzbereiche erforderlich sind! Skizzieren Sie welche Kompetenzen im Rahmen Ihrer
Problemstellung wofür erforderlich sind!
8
Auswahl der Inhalte aus geschichtlicher Sicht Anhand eines geschichtlichen Rückblickes soll gezeigt werden, wie in der Vergangenheit Schüler auf die
Arbeits- und Wirtschaftswelt vorbereitet wurden und wie die einschlägigen Lehrpläne bis zum heutigen Stand
entwickelt wurden. Dies erleichtert die fachgerechte Interpretation der aktuellen Zielsetzung und hilft konkrete
aktuelle Inhalte aber auch Methoden verantwortungsbewusst auszuwählen.
Historische Entwicklung der Arbeitslehre bis 19458
Der lebenspraktische Bezug und die Hinführung zur Berufs- und Wirtschaftswelt waren in der Vergangenheit
stets Ziele der schulischen Bildung. Exemplarisch werden im Folgenden wesentliche Lehrer-
Tabelle 2 : Zeittafel9
Pädagogik Geistesleben Politische Geschichte und
Gesellschaft
Wirtschaft und Technik
Johannes Amos Comenius (1592-1670)
John Locke (1632-1704)
Pietismus in Deutschland:
Jakob Spener (1635-1705)
August Herm. Francke
(1663-1727)
Rene Descartes (1595-
1650)
Gottfr. Wilh. Leibniz
(1646-1716)
1750 Jean Jacques Rousseau (1712-1778) Philantropen:
Basedow (1724-1790)
Salzmann (1744-1811)
Campe (1746-1818)
Trapp (1745- 1818)
Rochow (1734-1805)
Johann Winckelmann
(1717-1768)
Enzyklopädie (1752-
1771)
Friedrich d. Gr. (1740-1786)
Rousseaus Contrat Social (1762)
Watts Dampfmaschine (1769)
1775 Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) Imanuel Kant (1724-
1804)
Amerikanische Unabhängig-
keitserklärung (1776)
Französische Revolution (1789)
Adam Smith begründet die
klassische Nationalökonomie
(1776)
Cartwrights mech. Webstuhl
(1786)
Ecole Polytechnique (1794)
1800 Johann Friedrich Herbart (1776-1841) Neuhumanismus:
Herder (1744-1803)
Humboldt (1767-1835)
Jean Paul (1763-1825)
Romantik:
Fröbel (1782-1852)
Weimarer Zentrum der
deutschen Klassik:
Joh. W. v. Goethe (1749-
1832)
Fr. Schiller (1759-1805)
Georg Wilh. Hegel (1770-
1831)
Napoleon (1797-1815)
Preußens Niederlage;
Befreiungskriege (1813/15)
Deutscher Bund (1815)
System Metternich
Kontinentalsperre (1806)
Krupps erste Gußstahlfabrik (1812)
Harkorts erste Maschinenfabrik
(1818)
1825 Wichern gründet das Rauhe Haus (1832)
Kolping gründet Gesellenvereine (1845)
Adolf Diesterweg
(1790-1866)
Pestalozzianer Soziale Utopisten
Karl Marx (1818-1883)
Juli-Revolution in Frankreich
(1830)
Weber-Unruhen (1844)
Februar-Revolution (1848)
National-Versammlung
(1848/49)
Erste deutsche Technische
Hochschule in Karlsruhe (1825)
Gründung des Zollvereins (1834)
Friedrich List
(1789-1844)
1850 Stiehlsche Regulative (1854)
Abitur der preuß. Realgymnasien verleiht
Hochschulberechtigung (1859)
Herbartianer
Schulpädagogen
Bismarck (1862-1890)
Genfer Konvention (1864)
Deutsches Reich gegründet
(1871)
Erste Weltausstellung in London
(1851)
1875 Bodelschwingh gründet Bethel (1872)
staatl. Schulaufsicht in Preußen (1872)
Experimentelle Pädagogik
William Preyer
(1841-1897)
Wilh. Aug. Lay
(1862-1926)
Ernst Meumann
(1862-1915)
Wilhelm Wundt (1832-
1920)
Friedrich Nietzsche
(1844-1900)
Daimler-Benz: Benzinkraftwagen
(1885)
Röntgenstrahlen entdeckt (1895)
1900 Pädagogik vom Kinde aus:
Ellen Key (1849-1926)
Berthold Otto (1859-1933)
Maria Montessori (1870-1952)
Abitur der Oberrealschulen verleiht
Hochschulberechtigung (1900)
Geisteswissensch. Pädagogik:
Wilh. Dilthey
(1833-1911)
Hermann Nohl
(1879-1960)
Theod. Litt (1880-1962)
Eduard Spranger
(1882-1963)
Wilh. Flitner (1899.)
Erich Weniger
(1894-1961)
Otto Friedr. Bollnow (1903..)
Vierjährige Grundschule obligatorisch
(1920)
anschließend Schulreform durch Hans
Richert
Reformpädagogik:
Jugendbewegung:
Wandervogel (1898)
Hoher Meißner (1913)
Kunsterz. Bewegung:
Alfr. Lichtwark (1852-
1914)
Landerziehungsheim-
bewegung:
Herm. Lietz (1868-1919)
Peter Petersen
(1884.1952)
Rudolf Steiner (1861-
1925 Anthroposoph)
Produktionsschulbe-
wegung:
Pawel Blonskij
Arbeitsschulbeweg.:
John Dewey
(1859-1923)
Georg Kerschensteiner
(1854-1932)
Hugo Gaudig (1860-
1920)
Max Planck (1858-1947)
Sigmund Freud (1859-
1933)
Albert Einstein (1879-
1955)
Oswald Spengler (1880-
1973)
Paul Klee (1879-1940)
Pablo Picasso
(1881-1973)
Wilhelm II.
(1888-1918)
I. Weltkrieg
(1914-1918)
Weimarer Republik (1919-1933)
3. Reich
Tonfilm entwickelt (1923)
Inflation (1923)
Rundfunk in Deutschland (1923)
persönlichkeiten bestimmter Zeitabschnitte und pädagogischer Richtungen erläutert. Tabelle 2 liefert zunächst
eine Übersicht mit Hinweisen auf das Geistesleben, die politische Geschichte und wichtige Ereignisse aus
Wirtschaft und Technik der Zeitabschnitte.
8 nach Paul Kupser: Arbeitslehre zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1986 und Dauenhauer, Erich: Einführung in die Arbeitslehre. Uni-Taschenbücher 471, Pullach 1974 9 nach U. v.d.Burg: Geschichte der Pädagogik. August Bebel Verlag 1979
9
Johann Amos Comenius (1592 - 1670)
Im Zeitalter des Absolutismus und den Wirren des 30-jährigen
Krieges dominierte das Streben nach straffer Führung und
Systematisierung des Lebens. Beeinflusst von den Erfolgen der
Wissenschaft (z.B. Descartes) erkannte Comenius die Macht des
Wissens und Verstehens. Wenn man die Begriffe, in denen die Welt
präsent ist, beherrscht, beherrscht man die Welt. Dies schlug sich
auch in den Idealen und Lerninhalten von Comenius nieder. Im
Mittelpunkt seines Weltbildes stand der fromme Mensch mit
umfassenden, gründlichen Kenntnissen für das Leben. Nach den
christlichen Idealen und dem Glauben an Gott ordnete Comenius
alles umfassende, „nutzbringende” Lerninhalte aus dem Alltag,
handwerklich geprägter Arbeit und künstlerischem und
philosophischem Streben an (s. Bild 2). Für den muttersprachlichen
Unterricht forderte er: „Zweck und Ziel der muttersprachlichen
Schule soll sein, daß die gesamte Jugend zwischen dem 6. und 12
(oder 13.) Altersjahr alles erlerne, wovon sie für das Leben
bleibenden Nutzen haben kann. Nämlich:...soviel von den
wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen wissen, als zum
Verständnis dessen, was sie täglich im Haus und Gemeinde vorgehen
sehen, nötig ist;... Schließlich sollen sie von den Handwerken
allgemeine Kenntnis erwerben, sei es nur zu dem Zweck, daß sie auf
keinem Gebiet des menschlichen Lebens völlig unwissend bleiben,
sei es dazu, daß man die natürliche Neigung eines jeden leichter zu
erkennen gibt, wohin es ihn am meisten drängt.” [Comenius, zitiert
nach Flitner10, 1985, S. 195 f] Die Lerninhalte beziehen sich also auf
die Systematik, die Ordnung der Dinge im Besonderen auf das Schreiben und Lesen der Muttersprache, das
Rechnen, die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse und allgemeine Kenntnisse von den Handwerken.
Seine methodischen Überlegungen basieren auf der Erkenntnis, dass Lernen zunächst mit der Anschauung, der
eigenen Erfahrung und dem „Begreifen“ mit möglichst vielen Sinnen beginnt, worauf dann das Verstehen und
schließlich das selbständige Urteil folgt. Die Lernorganisation soll dem Verlauf der Natur folgen. Er verfasste
ein Aufsehen erregendes dreisprachiges Lehrbuch (Orbis sensualum pictus), worin Texte mit vielen Bildern
veranschaulicht sind.
Jean Jacques Rousseau (1712 - 1778)
Das Zeitalter der Aufklärung stellt den freien und selbstverantwortlichen Menschen in
den Vordergrund. Rousseau's Ideal, des von der ursprünglichen Natur aus den Händen
des Schöpfers geprägten Menschen, demonstriert diesen Zeitgeist und steht im
Gegensatz zu den von der Zivilisation geformten Menschen. Nach seinen
Vorstellungen sollen Kinder erst im 12. Lebensjahr nützliche, handwerkliche
Erfahrungen machen und systematisch lernen. Dabei spielt die Art des Handwerks
keine Rolle. Wichtig ist ihm, dass das Kind etwas "nützliches" tut. "Ich will unbedingt,
daß Emile ein Handwerk lernt.. Wählen wir also .. ein ehrbares Handwerk, aber
bedenken wir, daß es nur ehrbar ist, wenn es nützlich ist. ... oder vielmehr nicht wir
wollen ihn wählen, sondern er selbst. Denn da er eine gründliche Abneigung gegen
alles Unnütze hat, wird er seine Zeit nicht mit wertlosen Beschäftigungen verbringen
wollen. Er kennt keinen anderen Wert der Dinge als den ihres wirklichen Nutzens. Er braucht ein Handwerk, das
Robinson auf seiner Insel dienen könnte. ... Wenn man alles überdenkt, so wäre es mir am liebsten, wenn Emile
an der Tischlerei Gefallen fände. Sie ist sauber, nützlich und kann im Hause ausgeübt werden. Sie hält den
Körper genügend in Bewegung und verlangt Geschicklichkeit und Kunstsinn. Sind auch die Formen der
Werkstücke zweckbestimmt, so sind doch Schönheit und Geschmack nicht ausgeschlossen."[Rousseau, 1978 11]
In seinem Buch "Emile" beschreibt er auch seine Methoden. Der Erzieher stellt lediglich Erfahrungssituationen
bereit, in denen die Kinder frei und ungezwungen Erfolg und Misserfolg erleben. "Die Natur oder die Menschen
oder die Dinge erziehen uns. Die Natur entwickelt unsere Fähigkeiten und Kräfte; die Menschen lehren uns den
10 Johann Amos Comenius: Große Didaktik. Hrsg. von A. Flintner. Stuttgart 1985, S. 195. 11 Jean Jaques Rousseau: Emile oder Über die Erziehung. Vollständige Fassung in neuer deutscher
Fassung, 4. Aufl. Paderborn, 1978, S. 196 f
Bild 2 : Johann A. COMENIUS: DIDACTICA OPERA OMNIA 1592
10
Gebrauch dieser Fähigkeiten und Kräfte. Die Dinge aber erziehen uns durch Erfahrung, die wir mit ihnen
machen, und durch die Anschauung."12
Johann Herrmann Basedow (1724 - 1790) - Die Philanthropen
Die Philanthropen (Basedow, Campe, Salzmann, Trapp u.a. ) wollten für die
bürgerlichen Mittelschichtkinder eine Allgemeinbildung mit arbeitspädagogischem
Einschlag. Basedow beschreibt die Lerninhalte: ”Verständlich lesen, leserlich schreiben,
nach den Anfangsgründen, ohne demonstrative Kenntnis, rechnen; für den großen
Haufen gehörige Sittenlehre; soviel Einsicht von der Seele und der Ordnung der Natur,
als bei dem großen Haufen zur Grundlage dienen muß, wenn eine wirkliche, nicht in
bloßen Worten bestehende Erkenntnis der Religion erbauet werden soll, und als auch
sonst etwa zu ihrem Hauswesen und Gewerbe nützlich und unentbehrlich sein möchte;
und endlich eine ebenso eingeschränkte Kenntnis der Landesgesetze.”[Basedow13, 1768,
S. 40 u. 51].
Die Philanthropen (Menschenfreunde) streben nach der Bildung des Intellekts, ebenso
wie nach Naturnähe und der Einfachheit der Lebensverhältnisse. Im Gegensatz zu Rousseau wollen sie auch den
Erwerbssinn wecken und die Berufstüchtigkeit steigern. Der Mensch soll möglichst schnell zum tüchtigen,
praktischen, fleißigen und aufgeklärten Bürger in der Gesellschaft werden. Realien sind wichtiger als alte
Sprachen.
Methodisch gestalten sie spielerisches Lernen, Belohnungen haben Vorrang vor Bestrafung. Die Ziele sollen
kindgemäß und lebensnah erreicht werden. U. a. begründen sie eine neue Literaturgattung, das
Jugendschrifttum.14
Johann Heinrich Pestalozzi ( 1746 - 1827) und die Industrieschulen
Der Name der Industrieschulen leitet sich vom Lateinischen ”industria”: Fleiß,
Betriebsamkeit ab und darf nicht mit dem heutigen Industriebegriff verwechselt werden.
Im politisch zersplitterten, monarchischen Deutschland, das noch wirtschaftlich durch
den 30-jährigen Krieg und die preußischen Eroberungskriege geschwächt war, wuchs die
verarmte Landbevölkerung rasch an. Schulreformer versuchten sich der Not der Armen
anzunehmen und ihre Schüler besser auf die Lebensverhältnisse vorzubereiten.
Die Industrieschulen sollten ihre Schüler zunächst auf niedere Berufe, wie Tagelöhner,
vorbereiten und das verbreitete Bettelwesen (um 1700) eindämmen. Sextro (1746-1827)
und Kindermann (1740-1838) hoben die pädagogische Motivation hervor. Breite
Volksschichten sollten sowohl theoretisch als auch praktisch auf ihr künftiges
Erwachsenenleben vorbereitet werden. Die Schüler sollten durch Handarbeit ihr
Schulgeld, bzw. ihr Brot verdienen, ohne dabei ihre geistige Bildung zu vernachlässigen. Aus den
Industrieschulen kristallisierten sich zwei Richtungen ab, zum einen die mehr theoretisch orientierten
Bildungsgänge, die schließlich in die Realschulen und Oberrealschulen münden, und zum anderen die Schulen,
die mit handwerklicher bzw. industrieller Tätigkeit verbunden sind. Ihr Ideal war der leistungsfähige und
vielseitige Mensch, der sich auszeichnet durch Selbständigkeit, Sparsamkeit, Denkvermögen, Eigeninitiative,
Erwerbswillen und Arbeitsamkeit (das Ideal des frühkapitalistischen Menschen)15.[vgl. Iven 1929,S.50]
Die Hauptvertreter waren Kindermann (1740-1838) in Böhmen, Pestalozzi (1746-1827) und H. Ph. Sextro (1746
- 1838). Viele Schulen dienten um 1800 zunehmend der Produktion von Waren zum Verkauf, verwandelten sich
in Fertigungsbetriebe und der Unterricht wurde zurückgedrängt.
Ursachen der Auflösung waren:
• der Einfluss des Neuhumanismus,
• das fehlende pädagogische Konzept,
• Geldmangel,
• fehlende qualifizierte Lehrkräfte und
• die Mechanisierung des Arbeitsprozesses, der keine Kinderarbeit mehr erforderte.
12Jean Jaques Rousseau. A.a.O.S.9 13 Johann Bernhard Basedow: Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer über
Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt. 1768. In: Albert Rebele: Ausgewählte Schriften. Paderborn 1965.
14 nach Reble, Albert: Geschichte der Pädagogik. Ernst Klett Verlag Stuttgart, 5. Auflage, 1960, S. 148 f
15 vgl. Iven 1929,S.50
11
Pestalozzi strebte den allseitig gebildeten Menschen an, auch um damit eine Ursache der Not in der armen
Bevölkerung zu lindern. Allseitig bedeutet die Bildung von ”Kopf, Herz und Hand”, sie schließt kognitive,
affektive und psychomotorische Lerninhalte ein. Die Arbeit hat für ihn einen eigenen Bildungswert, der
praktische Fertigkeiten, Arbeitstugenden und Urteilsvermögen enthält. Sowohl die Neuhumanisten als auch die
Vertreter der Arbeitsschulbewegung können sich deshalb auf Pestalozzi beziehen. Er selbst schreibt an einen
Freund: „Indessen betrachtete ich schon in diesem Anfangspunkt die Arbeitsamkeit mehr im Gesichtspunkte der
körperlichen Übung zur Arbeit und Verdienstfähigkeit, als in Rücksicht auf Gewinnst der Arbeit. Und ebenso sah
ich das eigentlich so geheißene Lernen ebenso allgemein als Übung der Seelenkräfte an und hielt besonders
dafür, die Übung der Aufmerksamkeit, der Bedachtsamkeit und der festen Erinnerungskraft müsse der
Kunstübung zu urteilen und zu schließen vorhergehen, und die erstern müssen festgegründet sein, ehe die
letztern vor der Gefahr bewahrt werden können, durch Fertigkeiten äußerer, wörtlicher Erleichterungsmittel zur
Oberflächlichkeit und zum anmaßlichen, täuschenden Urteilen geführt zu werden, welches ich für das
Menschenglück und die menschliche Bestimmung für viel gefährlicher achte, als eine Unwissenheit in hundert
Dingen, die aber mit einer festen anschauenden Erkenntnis seiner wesentlichen nächsten Verhältnisse und durch
ein einfaches, reines , aber fest entwickeltes Kraftgefühl gesichert ist.” [Pestalozzi, 1799, S. 26316]
Methodisch orientiert er sich an dem Gang der Natur, wobei unter Natur zu verstehen ist was den Menschen als
Menschen ausmacht. Seine „Elementarbildung” baut Bildung auf Elementen, Grundformen oder Grundbegriffen
auf, die die Basis für seinen Rechen-, Geometrie- und Sprachunterricht liefern. „Die Idee der Elementarbildung
sey als die Idee der naturgemäßen Ausbildung der Kräfte und Anlagen des menschlichen Herzens , des
menschlichen Geistes und der menschlichen Kunst anzusehen.”[Pestalozzi, 1799, S.57]
Wilhelm von Humboldt (1767 - 1835) Die Neuhumanisten
Durch den Einfluss des Neuhumanismus wurden die Industrieschulen im
Volksschulbereich völlig verdrängt, es entstehen Volksschulen mit
allgemeinbildenden Charakter.
Die Französische Revolution, Napoleon und der Zusammenbruch der alten Staaten
führten zu allgemeinen Reformbestrebungen (Verstaatlichung, die Zentralisierung der
Aufklärung wird fortgesetzt, Schaffung eines Volksheeres, Verselbständigung der
Bauern, Selbstverwaltung der Städte).
Aus der Idee der Philosophie heraus wurde die Universität des 19. Jahrhunderts
geschaffen und im neuhumanistischen Sinne das Gymnasium gestaltet [Reble, 1960]17.
Der Neuhumanismus strahlte auf das gesamte Bildungswesen aus und beeinflusste
damit auch das Volksschulwesen.
Im Vordergrund stand die allseitige, individuelle, alle Kräfte weckende Menschenbildung, nicht nur die bloße
Selbstverwirklichung des Menschen im Beruf, sondern die „Schaffung einer idealistischen Individualität”
[Menze, 1975, 48 f]18. Die unmittelbare Vorbereitung auf die Arbeits- und Wirtschaftswelt, wurde für Jahrzehnte
aus den Schulen verbannt. Menschen- und Berufsbildung wurden streng getrennt. „Alle unmittelbare Rücksicht
auf Berufsbildung muß von dem Erziehungsunterricht schlechthin ausgeschlossen bleiben.”[Niethammer19, S.
188]
Wilhelm von Humboldt (1767-1835), Süvern, Schleiermacher in Preußen, Niethammer und Thiersch (1784-
1860) in Bayern u. a. waren die Hauptvertreter des neuhumanistischen Gedankengutes, das bis heute unsere
Schulen prägt.
Tabelle 3: Entwicklung im Neuhumanismus
1809 Humboldt übernimmt die neu geschaffene, zentrale Bildungsstelle in Preußen „Sektion für den
Kultus und öffentlichen Unterricht”
1810 Schaffung der Universität Berlin
1810 Schaffung eines Lehramtes an Gymnasien in Preußen (Lehre keine Vertreter der Kirche mehr)
1812 erste Reifeprüfungsordnung an Gymnasien in Preußen
1817 eigenständiges Kultusministerium in Preußen
1826 Gründung der Universität München
1834 Reifeprüfung allgemeine Voraussetzung zum Studium in Preußen
1840 bereits 45 Lehrerseminare in Preußen für Volksschulen
Turnen statt handwerklicher Ausbildung (Turnvater Jahn)
1849 Rückschlag nach der Revolution - Volksschulen und Lehrerseminare werden zurückgebildet
16 Johann Heinrich Pestalozzi: Grundlehren über Mensch, Staat, Erziehung. Seine Schriften in
Auswahl. In Verbindung mit Max Zollinger hrsg. von Hans Barth, Stuttgart 1956. 17 Reble,A.: Geschichte der Pädagogik. Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1960. 18 Menze, C.: Die Bildungsreform Wilhelm von Humboldts, Hannover 1975.
12
ab 1850 stärke Differenzierung in Fortbildungsschulen, Winterschulen aus denen schließlich die
Berufsschulen entstehen
In einer Streitschrift Niethammers „Philanthropinismus - Humanismus”[Niethammer19, 1968, S.76 ff] werden
die Gegensätze zwischen den Philanthropen und den Neuhumanisten hinsichtlich der Erziehungsziele (s. Tabelle
5) und Unterrichtsverfahren (s. Tabelle 6) deutlich.
Die Arbeitsschulbewegung
Die Bildungstheorie des Neuhumanismus hat die Arbeit aus den Schulen verdrängt. Die Pädagogik von Herbart
prägte die Volksschulen. Herbart folgt mit der „Bildsamkeit des Zöglings”, der Schüler wird mit
gesinnungsgeladenen Stoffen gefüllt. Die Vertiefung mit phasengerechten Formalstufen nach Herbart - keine
Synthese von Sinn und Geist, von Tun und Denken - führt zur Passivität der Schüler.
Mit einer Gegenbewegung durch die „Pädagogen vom Kinde aus” - wieder beeinflusst von Rousseau und der
Aufklärung wird das Ziel ”die Urnatur des Menschen zu fördern” angestrebt. Der Lehrer hält nur schädliche
Einflüsse der Umwelt fern und läßt den Menschen sich frei entwickeln. Das heißt aber auch, dass der Mensch
von den schädlichen Einflüssen der Industrie abzuhalten ist.
Aus den folgenden Versuchen mit Werkunterricht, Handarbeiten und Naturerkundungen unmittelbare
Wahrnehmungen als didaktische Hilfsmittel in den Unterricht mit einzubeziehen, entwickelt sich der
Arbeitsunterricht.
Die Hauptrichtungen des Arbeitsunterrichtes nach Kaiser sind:
„Arbeitsunterricht • als Pflege einer nützlichen Handarbeit, die zugleich auf den praktischen Lebensberuf
vorbereitet, • als eigenständiges Unterrichtsfach, • als Praktisches Tun, das zu theoretischen Erkenntnissen hinführt, • als praktischer Anwendungsunterricht für theoretische Erkenntnisse, • als gestaltende Darstellung (im Sinne Fröbels), • als Arbeit im Sinne der Erwachsenen, als ein Unterrichtsprinzip” [Kaiser 1974, S.35 f]20.
Gaudig (1860 - 1923)
Hugo Gaudig (1860-1923) vertrat in Sachsen- Anhalt die „geistige Form“ der Arbeitsschule. Ihr vornehmstes
Merkmal ist die freie Tätigkeit des Schülers. Manuelle Arbeit wird nur am Rande mit einbezogen. Es soll eine
Technik der geistigen Arbeit vermittelt werden, die auf immer neue Ziele angewandt werden kann. Eine Klasse
soll vollständig frei und doch planmäßig arbeiten.
19 Friedrich Emanuel Niethammer: Philanthropinismus - Humanismus, bearbeitet von Werner
Hillebrecht. Weinheim, Berlin, Basel 1968. 20 Kaiser, F.-J.: Arbeitslehre. Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1974
Tabelle 5: Vergleich der Erziehungsziele
Neuhumanismus - Philanthropen17
Erziehungsziele
Neuhumanismus - Philanthropismus
• Der Erziehungsunter-
richt hat einen eigenen
für sich bestehenden
Zweck, allgemeine Bil-
dung des Menschen.
• Es kommt bei dem
Erziehungsunterricht
nicht sowohl darauf an,
bestimmte Kenntnisse
zu sammeln, als viel-
mehr darauf, den Geist
zu üben.
• Der Erziehungsunter-
richt hat keinen eigenen
für sich bestehenden,
sondern nur den
relativen Zweck,
Bildung des Menschen
für seine künftige
Bestimmung in der
Welt.
• Es kommt bei dem
Erziehungsunterricht
nicht sowohl darauf an,
den Geist an und für
sich zu üben, als viel-
mehr darauf, ihn mit der
möglich größten Masse
brauchbarer Kenntnisse
auszurüsten.
Tabelle 4 : Vergleich der Unterrichtsverfahren Neuhumanismus - Philanthropen17
• Lernen als ernsthaftes
Geschäft, um an Fleiß
und Arbeitsamkeit zu
gewöhnen
• Nicht alles auf einmal
anfangen, sich auf
wenige eigentliche
Elementarübungen
beschränken
• Sich auf einzelne Kreise
des Wissens
beschränken
• Gedächtnis üben
• Lernen auf jede
mögliche Weise
erleichtern
• Alles mit Einemal
beginnen
• auf die ganze Sphäre
des Wissens ausdehnen
• Urteilskraft früh üben
Unterrichtsverfahren
Neuhumanismus - Philanthropismus
13
Die Kräfte der Jugendlichen sollen geweckt und gesteigert werden, so dass sie ohne fremde Hilfe zu
Persönlichkeiten heranreifen und aktiv in die Umwelt eingreifen. Ihr Wissen und Können soll auch außerhalb
des Unterrichts und nach der Schulzeit noch lebendig und wirksam bleiben.
Kerschensteiner (1854 - 1932)
Georg Kerschensteiner (1854-1932) beruft sich auf Pestalozzi, Dewey und knüpft damit an die
Industrieschulbewegung an.
Sein Ziel war der brauchbare Staatsbürger, der auf dem Boden seines Volkes und Berufs steht. Der Weg zum
idealen führt über den brauchbaren Menschen. „Kerschensteiner geht es darum, klarzumachen, daß in der alten
Lernschule zwar auch gearbeitet wird, diese Arbeit jedoch fast ausschließlich geistige Arbeit ist und sich damit
auf die intellektuelle Bildung beschränkt. Er will diese Einseitigkeit aufheben, indem er die intellektuelle Bildung
ergänzt durch die Möglichkeit zur Handarbeit: ‘Was die neue Arbeitsschule braucht, ist ein reiches Feld für
manuelle Arbeit, das nach Maßgabe der Befähigung des Schülers auch zum geistigen Arbeitsfeld werden kann’”
[Kaiser 1974, S. 37]. Er orientiert sich an den praktischen und sozialen Notwendigkeiten des Lebens. Das
Grundmotiv seiner Arbeitspädagogik ist sein stetes Bemühen, einen Brückenschlag zu schaffen zwischen Schule
und Leben. Er fordert
• einen starken lebenspraktischen Bezug des gesamten Unterrichts,
• den berufsvorbereitenden Unterricht,
• Arbeitsunterricht als Prinzip (nicht nur bloße Tätigkeit, sondern sinnvolle geistige und manuelle Arbeit, die
zu Erkenntnissen führt),
• systematischen Arbeitsunterricht als Fach, der sach- und fachgerechtes Arbeiten verlangt.
Sozialistische Arbeitsschule
Die Verbindung der produktiven Arbeit mit der Bildungsidee nach Marx prägt die sozialistische Arbeitsschule
von Blonskij (1884-1941). Seine Vorschläge sind Weiterentwicklungen der Ansätze Deweys und
Kerschensteiners.
Kenntnisse, Einsichten und kollektive Ordnung sollen durch Selbständigkeit und selbstschöpferisches Suchen
aus der Unordnung und Not heraus gewonnen werden. Der Erzieher soll nur unterstützen und behutsam lenken.
Blonskij setzt voraus, dass die guten Naturanlagen des Kindes mit dem Bewusstsein des klassenlosen Menschen
übereinstimmen und dass sich in der Kommune und in der Fabrik die Anlagen des Kindes zur kommunistischen
Lebenshaltung und Bewusstseinshaltung entwickeln.
Da erst die Arbeit das Wesen des Menschen hervorruft, vollziehen sich Bildung und Erziehung in der Arbeit und
durch die Arbeit. Daher muss der Unterricht aus der Industriearbeit erwachsen. Das Prinzip der politechnischen
Bildung läßt die Schule in ihrem Wesen zur Lebens- und Arbeitsstätte des Jugendlichen werden. Schule und
Leben stellen keine Gegensätze mehr dar, sie vereinigen sich zur Bildungsstätte für die Menschheit.
Literatur
Heinz Dedering: Einführung in die Arbeitslehre. Oldenburg Verlag, 1994. S. 177 - 194
Uwe Jenzen: Die Entwicklung arbeitsorientierter, technischer und ökonomischer Grundbildung. Dissertation
Uni-Bremen 1993.
Kupser, Paul: Arbeitslehre zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1986
Kaiser, F.-J.: Arbeitslehre. Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1974
Dauenhauer, Erich: Einführung in die Arbeitslehre. Uni-Taschenbücher 471, Pullach 1974
Spranger, E.: Zur Geschichte der deutschen Volksschule, Heidelberg 1949
Reble, A.: Geschichte der Pädagogik. Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1960
Menze, C.: Die Bildungsreform Wilhelm von Humboldts, Hannover 1975
Kontrollfragen:
1. Welche „Kerninhalte“ hat z. B. Kerschensteiner zum Thema „Berufsorientierung“ ausgewählt?
2. Welche Methoden hat er für diese Inhalte angewendet?
14
Die Entwicklung des Faches Arbeitslehre von 1964 bis heute
Tabelle 6: Zeittafel
1964 Hauptschulgutachten vom Deutschen Ausschuß zum Aufbau der Hauptschule
Neuordnung der Volksschuloberstufe: Arbeitslehre soll als eigenes Unterrichtsfach
eingeführt werden.
1969 Beschlüsse der ständigen Konferenz der Kultusminister
Arbeitslehre soll eingeführt werden.
1969 Einführung des 9. Schuljahres an Hauptschulen in Bayern
Arbeitslehre wird an den Hauptschulen in Bayern eingeführt.
1970-1974 vorläufige Lehrpläne ”Schulreform in Bayern”
Versuche an Modellhauptschulen mit Ausweitung der Arbeitslehre auf die 7. und 8.
Jahrgangsstufe.
ab 1974 Erarbeitung neuer Lehrpläne
1976 Curricularer Lehrplan für Arbeitslehre an Hauptschulen
Arbeitslehre wird eigenständiges Fach. Wirtschaftskundliche Inhalte dominieren.
1977 Für das Fach Arbeitslehre an den Berufsoberschulen (seit 1969/70) wird ein Lehrplan für
Berufsoberschulen eingeführt
1985 Lehrplan für Arbeitslehre an Hauptschulen
Betriebserkundung und Betriebspraktikum sind die dominierenden Methoden, weniger
wirtschaftliche Themen, mehr Berufskunde.
1987 Betriebspraktikum für alle Schüler in der 8. oder 9. Klasse verpflichtend vorgeschrieben.
1987 Material zum Lernfeld Arbeitslehre im Sekundarbereich I (KMK)
Einteilung in Gegenstandsbereiche: Technik, Wirtschaft, Haushalt, Beruf.
1997 Lehrplan Arbeitslehre
Schlüsselqualifikationen mit wirtschaftskundlich strukturierten Inhalten
2004 Lehrplan Arbeit/Wirtschaft/Technik
Arbeit-Wirtschaft-Technik ab der 5. Jahrgangsstufe
2018 ? Lehrplan PLUS Wirtschaft und Beruf
Die Entwicklung der Arbeitslehre in Bayern nach dem 2. Weltkrieg
Nach dem 2. Weltkrieg streben die katholische Kirche und die CSU die Humanisierung und Christianisierung
durch eine innere Reform der Schule an. Schulorganisatorisch wird an die Epoche vor 1933 mit der
Lehrerordnung von 1926 angeknüpft. Der Bildungsplan von 1955 festigt die Konfessionalisierung der
Volksschule auf der Basis einer „volkstümlichen, lebenspraktischen Grundlage”. Die Vorbereitung auf die
Berufs- und Arbeitswelt wird vernachlässigt.
Offenkundige Mängel der Volksschulbildung, wie Schwächen im Bildungsauftrag, übergroße Klassen (50- 60
Schüler!!), Schichtunterricht, Lehrermangel führen zu einem Verlust der Volksschule an Ansehen und Wert in
den Augen der Öffentlichkeit. Die Wirtschaft klagt über mangelnde Rechtschreib- und Rechenkenntnisse und
Lücken in der Allgemeinbildung. Ein Trend zur Restschule bahnt sich an.
Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen (DA)
Der DA konstituiert sich 1953.Seine 20 unabhängigen Sachverständigen haben die Aufgabe, das deutsche Bil-
dungswesen zu beobachten, Probleme aufzuzeigen und realisierbare Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die die
Neuordnung und Vereinheitlichung des Schulwesens betreffen.
15
1959 schlägt der DA einen Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden
öffentlichen Schulwesens vor und veröffentlicht 1964 seine Empfehlungen zum Aufbau der Hauptschule,
die eine breite öffentliche Diskussion auslöst.
Der DA weist dem Fach Arbeitslehre eine profilbildende Funktion in seiner Bildungskonzeption der Hauptschule
zu. Dabei soll Arbeitslehre
als vorberufliche Bildung auf die Berufswahl vorbereiten, die Berufswahlreife fördern,
auf die Arbeitswelt vorbereiten und
dies durch praktisches Tun erreichen. (s. a. Gmelch 1995)
Aus heutiger Sicht orientierte sich der damalige Berufsbegriff stark an handwerklichen Arbeiten und bezog
berücksichtigte kaum Arbeitsplatzwechsel.
Die KMK reagiert 1969 mit ihren Empfehlungen der KMK zur Hauptschule und zur Arbeitslehre.
Folgende Bildungsaufgaben waren für das Fach Arbeitslehre vorgesehen:
• Allgemeine Orientierung über die Wirtschafts- und Arbeitswelt (Strukturen, Leistungsanforderungen
unter technischen, wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen betrachten);
• Erziehung zum Arbeitsverhalten (Konzentration, Genauigkeit, Fähigkeit zur Umstellung und zur
Zusammenarbeit sowie wirtschaftliches Denken und planvolles Handeln entwickeln und üben);
• Hinführung zur Berufswahl.
Diese Bereiche sind auf der Grundlage praktischen Tuns und theoretischer Durchdringung zu erschließen. Dies
erfordert eine Umorientierung der praktischen Fächer und der Betriebserkundung bzw. der Betriebspraktika.
In den KMK-Empfehlungen finden sich die wesentlichen Gedanken des DA wieder und werden weiter
präzisiert. Stärker betont ist die gesellschaftspolitische Komponente und die Bedeutung der Wirtschaft. Offen
wird erstmalig von einem Fach “Arbeitslehre” gesprochen, das aber nicht weiter schulorganisatorisch ausgeführt
wird. Damit ist der Rahmen für die Entwicklung der Arbeitslehre in den einzelnen Ländern abgesteckt. Bayern
führt daraufhin das “Unterrichtsgebiet Arbeits- und Soziallehre” in der neuen 9. Jahrgangsstufe 1969 ein. In
Nordrhein- Westfalen wird AL in den drei Fächern (Haushaltslehre, Technik, Wirtschaftslehre vereint im
Bereich Technik/Ökonomie) eingeführt.
Der erste AL-Lehrplan von 1969
AL wird neben Englisch in der neuen 9. Jahrgangsstufe grundgelegt. Das Fach heißt Arbeits- und Soziallehre.
Tabelle 7: Arbeits- und Soziallehre (Kern- und Kursunterricht) Lehrplan von 1969
Arbeits- und Soziallehre (Kern- und Kursunterricht)
Arbeits- und Soziallehre
(Allgemeiner Teil)
Kernunterricht
Arbeits- und Soziallehre
(Praktischer Teil)
Kursunterricht
Allgemeine Arbeitslehre
(Hinführung zur Wirtschafts-
und Arbeitswelt)
Soziallehre
(Staat und Gesellschaft)
Technisches Werken
Technisches Zeichnen
Hauswirtschaft
Handarbeit und Textiles
Gestalten
Kurzschrift
Maschinenschreiben
2 2 2 x 2 Wochenstunden
Wie Tabelle 7 zeigt, nimmt der Arbeitslehreunterricht acht Wochenstunden in Anspruch, das bedeutet ein Drittel
bei insgesamt 33 Wochenstunden Unterricht. Die Betriebserkundung spielt eine tragende Rolle.
In Zusammenarbeit mit den anderen Unterrichtsfächern soll die Arbeitslehre folgende vier Funktionen erfüllen:
Sie soll einen Beitrag zur grundlegenden Allgemeinbildung leisten,
sie soll zu einer besseren Berufswahlreife hinführen,
sie soll zu einer guten Arbeitshaltung erziehen,
sie soll ein Vorverständnis für die Wirtschafts- und Arbeitswelt liefern.
Wesentliche Übereinstimmung mit den KMK-Empfehlungen von 1969 bestehen im politischen Aspekt
(Soziallehre) und bei der Erziehung zum Arbeitsverhalten. Nur die Anordnung der Inhalte weichen ab.
16
Tabelle 8: Inhalte des Lehrplans 1969
1. Bedürfnisse der Verbraucher Vielfalt der Bedürfnisse, Aufgaben der Wirtschaft,
Ökonomisches Prinzip
2. Gliederung der Wirtschaft
Urerzeugung
Weiterverarbeitung
Verteilung der Güter durch den Handel
Dienstleistungen in der modernen Wirtschaft
Verbrauch
Bodenanbau, Rohstoffabbau, einschlägige Berufe
Handarbeit - Maschinenarbeit, Arbeit und Kapital, Kapi-
talbildung, Lohn,
Lohnkonflikte, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, betriebliche
Mitbestimmung
Berufe in Handwerk und Industrie, Außenhandel, Groß-
handel und Einzelhandel, Berufe im Handel
Dienstleistungsbetriebe und soziale Einrichtungen, Dienst-
leistungsberufe
Warentest, Preisvergleich
3. Preisbildung Faktoren der Preisbildung, Angebot und Nachfrage, Käufer
und Verkäufer, Lohn und Preis
4. Probleme der Datenverarbeitung Aufgaben und Möglichkeiten, Hilfsmittel, Berufsaussichten
Die Arbeitslehrediskussion, die aufgrund dieses Lehrplanes entstand, wurde ausschließlich von Praktikern, die
im Schuldienst tätig waren, geführt, da es das Fach Arbeitslehre an den Pädagogischen Hochschulen noch nicht
gab. Diese bemühten sich, bei Veröffentlichungen Zielsetzungen und methodische Schwerpunkte zu formulieren
und den Lehrern unterrichtspraktische Hilfen zu geben. Sie wollten damit versuchen, unklare Vorstellungen über
das Fach Arbeitslehre zu beseitigen und fehlende praktische Erfahrung anzugleichen.
Schulreformpläne 1970
In diesen Plänen wurde das Unterrichtsgebiet “Arbeits- und Soziallehre” auf die Jahrgangsstufen 7 - 8
erweitert. Dies bedeutete eine Erneuerung der Inhalte gegenüber dem Lehrplan von 1969. Hierzu wurde
erstmals eine Systematik im Konzept deutlich (z. B. von der einzel- zur gesamtwirtschaftlichen
Betrachtungsweise, aufbauend von der 7. bis zur 9. Jahrgangsstufe) [vgl. Kupser, S. 132]. Der didaktische
Schwerpunkt des Arbeitslehreunterrichts lag eindeutig bei den Betriebserkundungen. Diese waren in jeder
einzelnen Jahrgangsstufe (7. - 9. Jahrgangsstufe.) in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen vorgesehen.
Die Probleme, die Jahre nach Einführung der Arbeitslehre vorhanden waren, wie die fehlende Qualifizierung der
Lehrer, die fehlenden Unterrichtsmittel, die langsame Forschung und die mangelhafte Verbindung von Haupt-
und Berufsschulen mußten bei einer Neukonzeption beseitigt werden.
Der curriculare Lehrplan Arbeitslehre von 1976
Mit dem neuen, curricularen Lehrplan wird die Hauptschule als weiterführende Schule etabliert. Die
Jahrgangsstufen 7 mit 9 bilden eine Einheit. Arbeitslehre ist u. a. als profilbildendes Fach der Hauptschule
vorgesehen, das eng mit anderen Fächern in Verbindung stehen soll. Formal ist der Lehrplan in vier Spalten
gegliedert, wobei die Lernziele und Lerninhalte verbindlich vorgeschrieben werden (siehe Tabelle 9).
Tabelle 9: Beispiel aus der 7. Jahrgangsstufe Lernziel 3.4
Lernziel Lerninhalt Unterrichtsverfahren Lernzielkontrolle
Überblick über die
wichtigsten Marktformen im
Hinblick auf ihre
preisbeeinflussende Wir-
kung
Marktformen:
Monopol, Oligopol, Polypol
Information durch Lehrer:
Monopol, Oligopol, Polypol
Fallstudie:
a) Angebot und Nachfrage
beim Monopol
b) ... beim Oligopol
c) ... beim Polypol
Bezeichnen
verschiedener
Marktformen anhand
von Fallbeispielen
Der Aufbau ist nach didaktischen Prinzipien ausgerichtet:
“das Prinzip der Entwicklung allgemeiner abstrakter Begriffe aus anschaulich-konkreten Beispielen;
das Prinzip der Ausweitung von der einzel- zur gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise;
das Prinzip der Kooperation zwischen dem theoretischen Fach Arbeitslehre und den dazugehörigen prakti-
schen Fächern (vgl. Handreichungen 1976, S. 31)”.21
In Tabelle 10 sind die Themen der einzelnen Jahrgangsstufen aufgeführt.
21 Kupser, Paul: Arbeitslehre zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Klinkhardt 1986, S. 171
17
Tabelle 10: Inhalte des curricularen Lehrplans von 1976
7. Jahrgangsstufe: 1 Wochenstunde
Bedürfnisse - Bedarf
Grundzüge des wirtschaftlichen Handelns
Der Markt
8. Jahrgangsstufe: 2 Wochenstunden
Vorbereitung der Berufswahl
Betrieb - Arbeit - Beruf
(Handwerk, Industrie, Handel, Dienstleistungssektor)
Grundtatsachen des Wirtschaftens
9. Jahrgangsstufe: 2 Wochenstunden
Stellung des Einzelnen in Ausbildung und Beruf
Geld - Geldinstitute - Wirtschaftskreislauf - Wirtschaftssysteme
Schwerpunkte staatlicher Wirtschafts- und Sozialpolitik
Begrüßt wird der systematische Aufbau und die klare Zielsetzung des neuen Lehrplans.
Die Kritik greift Teilprobleme auf, er sei
inhaltlich zu theoretisch, abstrakt und lebensfremd,
stofflich überladen und mit inhaltlichen Überschneidungen zu Geographie und Geschichte angelegt,
mit der Berufsorientierung in der 9. Jahrgangsstufe zu spät und zu gering ausgestattet.
ungenügend mit handlungsorientierenden Methoden, wie Fallstudie, Rollenspiel u. ä. versehen.
Trotz der Stofffülle fehlen allgemein-technische Aspekte der Arbeitslehre, denn die wirtschaftskundlichen und
berufsorientierenden Themen prägen den Lehrplan.
Der Lehrplan von 1986
Der Lehrplan von 1986 wurde verbindlich ab dem Schuljahr 1987/88 eingeführt. Das Vorwort lautet:
“Ziele und Aufgaben Das Fach Arbeitslehre führt den Schüler an die Arbeits- und Wirtschaftswelt heran und bietet ihm Hilfe bei der Entscheidung
für einen Beruf und zum Eintritt in die Berufsausbildung. Der Schüler soll die Bedeutung von Arbeit und Beruf im
menschlichen Leben erkennen und Grundwissen und Einsichten über Arbeit, Beruf, Wirtschaft und Technik erwerben.
Kenntnisse über einzelne Berufe, Erscheinungsformen des Wandels in der Arbeitswelt und Gegebenheiten im heimatlichen
Wirtschaftsraum dienen der beruflichen Orientierung und dem Verständnis der Gegenwart. Bei Betriebserkundungen in den
verschiedenen Wirtschaftsbereichen, die durch ein Betriebspraktikum ergänzt werden können, soll der Schüler Gelegenheit
erhalten, den beruflichen Alltag zu erleben, Anforderungen und Möglichkeiten verschiedener Berufe sowie Beispiele für das
Wirtschaften im Betrieb kennenzulernen und gegebenenfalls auch Arbeitserfahrungen zu sammeln.
Der Schüler wird über Inhalte und Art der Berufsausbildung in Betrieb und Schule informiert. Er soll den Wert einer
qualifizierten Berufsausbildung erkennen und einsehen, wie sehr es im Beruf auf fachliches Können und Haltungen wie
Zuverlässigkeit, Genauigkeit, Kooperations- und Verantwortungsbereitschaft ankommt. Er soll begreifen, dass Mobilität und
Weiterlernen über die Erstausbildung hinaus für seinen beruflichen Werdegang von Bedeutung sind. An den gewonnenen
Erfahrungen soll er seine berufliche Eignung und Neigung überprüfen, um seine Berufswahl verantwortlich treffen zu
können. Die Einordnung der vermittelten Kenntnisse und Erfahrungen öffnet das Verständnis für wirtschaftliche Zu-
sammenhänge. Der Schüler gewinnt ein erstes Verständnis für Merkmale der sozialen Marktwirtschaft, das im Unterricht der
beruflichen Schulen erweitert und vertieft wird.
Der Lehrplan orientiert sich wieder mehr an der Erziehungswirklichkeit und betont den erzieherischen Aspekt. Die Heran-
führung der Schüler an die Berufs- und Arbeitswelt basiert auf praktischen Maßnamen, wie Betriebserkundungen und
Betriebspraktika. Im Unterricht sollen die dort gewonnenen Erfahrungen theoretisch verwertet werden, so daß der Schüler
seinen Standort in der arbeitsoffenen, demokratischen Gesellschaft erfassen kann. Damit soll dem Theorieüberhang des
vorangegangenen Lehrplans entgegengetreten werden und dem Schüler anschaulich und realistisch seine existentielle
Zukunft vor Augen geführt werden.
Unterricht Der Unterricht geht von lebensnahen Fragestellungen, Beispielen und Situationen aus. Kenntnisse und Einsichten werden auf
der Grundlage unmittelbarer Begegnung mit der Arbeits- und Wirtschaftswelt gewonnen. Bei den für alle Schüler
verbindlichen Betriebserkundungen stehen Formen des Erlebens, Beobachtens und gezielten Erkundens im Vordergrund. Das
Erproben und Erkennen der eigenen Fähigkeiten kann bei der Ableistung eines Betriebspraktikums oder beim praktischen
Tätigwerden in einer Berufsschule oder einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte der Kammern bzw. Innungen erfolgen.
In den Unterricht werden auch Erfahrungen aus dem eigenen Arbeiten und Gestalten einbezogen, die in Fächern wie
Werken/Technisches Zeichnen, Kunsterziehung, Textilarbeit und Hauswirtschaft gewonnen werden und für das Verständnis
von Arbeit und Beruf sowie die Berufsorientierung Bedeutung besitzen. Sachverhalte werden geklärt, Wertungsfragen
erörtert, fachliche Ausdrucksweisen und Begriffe gelernt und Ergebnisse entsprechend gesichert. Zusätzliche erzieherische
Möglichkeiten ergeben sich bei der Beteiligung der Schüler an der Planung des Unterrichts, der Durchführung von
Erkundungen und Praktika sowie im anschließenden Erfahrungsaustausch. Um eine sinnvolle Durchführung der
Betriebserkundungen zu gewährleisten, bedürfen diese einer eingehenden Vorbereitung und Nacharbeit. Bei allen Beteiligten
muss Klarheit über die Zielsetzung, die Wahl von Schwerpunkten, die Verteilung von Aufgaben und den Ablauf der
Erkundung herrschen.
Eine gründliche Einführung in die erste Betriebserkundung ist unerläßlich. Die Schüler sind über richtiges Verhalten im
Betrieb aufzuklären. Bei den anschließenden Erkundungen wird auf frühere Erfahrungen zurückgegriffen. Der Lehrer ist an
folgende Reihenfolge gebunden: Jahrgangsstufe 7: Erkundung in einem Betrieb der Urproduktion; Jahrgangsstufe 8:
18
Erkundung in einem Handwerksbetrieb. Von den Betriebserkundungen in der Industrie und im Dienstleistungssektor kann
eine der beiden aus der Jahrgangsstufe 8 in die Jahrgangsstufe 9 verlagert werden, falls es in der Jahrgangsstufe 8 zu einem
Betriebspraktikum oder einem praktischen Tätigwerden in der Berufsschule oder in einer überbetrieblichen Unterwei-
sungsstätte der Kammern bzw. Innungen kommt.
Der Tag der offenen Tür in der Berufsschule oder in einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte kann in den Jahrgangsstufen
8 oder 9 stattfinden.
Für das praktische Tätigwerden in der Berufsschule oder in einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte der Kammer bzw.
Innungen und für die Durchführung des Betriebspraktikums sind die hierfür erlassenen Richtlinien zu beachten.”22
Der curriculare Lehrplan von 1976 war sehr auf Effizienz ausgerichtet. Unterrichtsgrundsätze, wie
Zielorientierung, Motivierung, Strukturierung, Aktivierung, Angemessenheit (optimale Passung), und
Leistungssicherung betonen die inhaltliche Dominanz. Mit zunehmenden Unterrichtsschwierigkeiten im Alltag
musste im neuen Lehrplan der menschliche Bezug stärker herausgestellt werden und der Lehrer mehr
individuellen Handlungsspielraum erhalten. Der erziehende Unterricht geht von geplanten Erfahrungsräumen in
der Schule und in den Betrieben aus, die möglichst ganzheitlich betrachtet werden. “Für den erziehenden
Unterricht sind folgende Gesichtspunkte leitend:
Allgemeinwissen und Grundbildung
Kultur- und Gesellschaftsangemessenheit
Altersgemäßheit
Gewordensein der Gegenwart und Grenzen der technisch-industriellen Zivilisation
Verantwortlichkeit
Interkulturalität, Mentalitätspädagogik
Hinführung zur Arbeits- und Berufswelt
Anlehnung an allgemeine didaktische und methodische Grundsätze (Sachanspruch, Schülergemäßheit, Stoffbeschränkung, Konzentration, Vermeidung von Überforderung, Differenzierung, Individualisierung, Personalisierung, situativer und wertender Aspekt, Begriffs- und Verfahrensbezug, Realitätsorientierung, Klassenleiterprinzip, Epochalgedanke)
Planung durch den Lehrer”23
Arbeitslehre soll eine Schlüsselstellung im Unterricht einnehmen, um für die Erkenntnisse der anderen Fächer
den lebens- und berufspraktischen Bezug herzustellen. Die Themenbereiche des Lehrplans sind in Tabelle 11
zusammengefasst.
Tabelle 11: Themen des Lehrplans für die Hauptschule von 1986
Jahrgangsstufe 7
1. Überblick über Ziele und Inhalte des Faches
2. Bedeutung der Arbeit
3. Güter und Dienstleistungen werden erarbeitet
4. Betriebserkundung in der Urproduktion
5. Entscheidungskriterien für die Berufswahl Jahrgangsstufe 8 1. Betriebserkundung in einem Handwerksbetrieb
2. Betriebserkundung in einem Industriebetrieb
3. Betriebserkundung im Dienstleistungsbereich
4. Wichtige Bereiche des Dienstleistungssektors
5. Wandel in Arbeit, Technik und Beruf 6. *Freiwilliges Betriebspraktikum oder praktisches Tätigwerden in der Berufsschule oder in einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte
der Kammern bzw. Innungen
7. *Kennenlernen einer beruflichen Schule bzw. einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte der Kammern bzw. Innungen (Tag der offenen Tür)
22 Bayerisches Staatministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.): Lehrplan für die Hauptschule, Teil1
(KMBL I, So.-Nr. 13/1985). Jehle Verlag, München 1985, S. 251-519 23 Karg, Hans Helmut: Arbeitslehre heute. 1. Auflage, Prögel, 1986, S. 14
19
Jahrgangsstufe 9 1. Berufsbildungsgänge in Schule und Betrieb; Möglichkeiten beruflicher Fort- und Weiterbildung; regionale Wirtschafts- und
Berufsstruktur
2. Die wichtigsten Inhalte des Berufsausbildungsvertrages 3. *Freiwilliges Betriebspraktikum oder praktisches Tätigwerden in der Berufsschule oder in einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte
der Kammern bzw. Innungen
4. Betriebserkundung in einem Industriebetrieb oder im Dienstleistungsbereich 5. Lohn und Gehalt
6. Verantwortlicher Umgang mit Geld
7. Freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl und soziale Sicherung der Arbeitnehmer als Merkmale der sozialen Marktwirtschaft 8. Der Verbraucher in der Marktwirtschaft
9. Erschließung eines aktuellen Themas
10. *Kennenlernen einer beruflichen Schule bzw. einer überbetrieblichen Unterweisungsstätte der Kammern bzw. Innungen (Tag der offenen Tür)
Hinweis: Die mit * bezeichneten Maßnahmen sind nicht verbindlich
(Anm.: ab 1987 Betriebspraktikum verpflichtend eingeführt)
Material zum Lernfeld Arbeitslehre im Sekundarbereich I (KMK) von 1987
Die KMK verabschiede 1987 folgende Erklärung als “Material”, da man sich auf eine Empfehlung nicht einigen
konnte:
“Vorbemerkung:
Die vorliegende Empfehlung will die schulischen Inhalte und Verfahrensweisen für den Sekundarbereich I erneuern, die sich
aus der Veränderung der Arbeits-, Wirtschafts- und Berufswelt und der Bewegung im Sozialgefüge der Gesellschaft sowie
der Forderung an die Jugendlichen ergeben, als Bürger künftig Verantwortung zu übernehmen.
Diese Empfehlung ermöglicht unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten und schulartbezogene Umsetzungen entsprechend
dem föderativen Prinzip.
Zielsetzungen:
Die jugendliche Generation muß sich rechtzeitig auf Lebensbedingungen einstellen, die sich durch einen schnellen
technischen und ökonomischen Wandel ergeben haben. Die Schule will dabei im Unterricht und der Erziehung alle
Schülerinnen und Schüler befähigen, ihre gegenwärtige und zukünftige Lebensweise im Zusammenhang mit Arbeit, Technik,
Wirtschaft und Haushalt zu begreifen.
Ziel der Arbeitslehre ist es, die Jugendlichen auf ein verantwortungsbewußtes, selbstbestimmtes und soziales Handeln in der
Arbeitswelt vorzubereiten. Dabei sollen besonders technische, wirtschaftliche und ökologische Aspekte von Arbeit sowie
deren Zusammenhänge einsichtig gemacht werden.
Die Jugendlichen sollen durch neue, grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten in den Gegenstandsbereichen Technik,
Wirtschaft, Haushalt und Beruf urteils- und handlungsfähig werden.
Gegenstandsbereiche:
..."Das Lernfeld Arbeitslehre konkretisiert sich - unabhängig von seiner Organisationsform - in Gegenstandsbereichen. Diese
sind weder aus den Einzelwissenschaften direkt ableitbar noch allein Abbild praktischen Lebens. Aus verschiedenen
Wissenschaften und der Alltagswelt werden diejenigen Inhalte ausgewählt und verknüpft, an denen Schülerinnen und Schüler
Selbsterfahrung, Wissenserweiterung, Handlungs- und Urteilsfähigkeit entwickeln können.
Die folgenden Gegenstandsbereiche gehören heute zum Bildungsangebot für jeden Jugendlichen:
Technik:
umfaßt als Gegenstandsbereich technische Mittel und Verfahren zur Herstellung und Verwendung von Waren und zur
Erbringung von Dienstleistungen.
Wirtschaft:
umfaßt als Gegenstandsbereich wirtschaftliche Bedingungen und Verfahren zur Produktion, zum Austausch von Waren und
zur Bereitstellung von Dienstleistungen, insbesondere Verteilung und Verbrauch unter Berücksichtigung sozialer
Verpflichtungen.
Haushalt:
umfaßt als Gegenstandsbereich den Lebensbereich des privaten Haushalts und die in dieser sozio-ökonomischen Einheit
enthaltenen Bedingungen, Bedürfnisse und Verfahren.
20
Beruf:
umfaßt als Gegenstandsbereich Bedingungen und Formen von Arbeit, die vorwiegend Erwerbszwecken dient und auf die
meist in Ausbildungsgängen vorbereitet wird sowie die Entwicklung einer Berufswahlfähigkeit.
Diese Gegenstandsbereiche bedingen und durchdringen sich wechselseitig; sie sind grundsätzlich offen und können in
bestehende Unterrichtsfächer hineinwirken. Sie bedürfen der ständigen Reflexion, um neueren Wirklichkeitsanforderungen
Raum zu geben. So werden z. B. die für Unterricht und Erziehung allgemein anerkannten Herausforderungen im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Ökologie auch in diesen Gegenstandsbereichen berücksichtigt.
Arbeit hat bei der inhaltlichen Bestimmung des Lernfeldes, bei der Formulierung von Anforderungen sowie bei der für den
Unterricht notwendigen didaktischen Verknüpfung der Gegenstandsbereiche besondere Bedeutung.
Anforderungen:
Ausgehend von den Zielsetzungen werden nachfolgend - bezogen auf die Gegenstandsbereiche erstrebenswerte
Anforderungen benannt, die ohne Rangabstufung aufgereiht werden und keine Taxonomie darstellen. Sie entsprechen auch
einem inhaltlichen Kernbestand des Lernfeldes, wie er sich während der rund 20jährigen Entwicklung in Schulpraxis und
Fachdidaktik herausgebildet hat. Die weitere Differenzierung und Konkretisierung erfolgt im Rahmen der Lehrplanarbeit der
Länder.
Arbeit und Technik
- unterschiedliche Werkstoffe nach bewährten Regeln der Technik bearbeiten,
- elementare technische Verfahren und Problemlösungen kennen und anwenden,
- einfache Gegenstände mit Gebrauchswert planen, zeichnerisch darstellen, herstellen und beurteilen,
- technische Gebilde aus dem Erfahrungsbereich der Schülerinnen und Schüler nach ihrer Zweck-Mittel-Beziehung,
ihrem Gebrauchswert sowie ihren sozialen und ökologischen Auswirkungen analysieren,
- einsehen, daß Arbeiten sachgerecht, kreativ und kooperativ nach Kriterien der Übersichtlichkeit, der Genauigkeit und
der Sicherheit geplant und durchgeführt werden müssen,
- Einsichten in die Notwendigkeit der Gestaltung sach- und menschengerechter Arbeitsplätze gewinnen,
- Einblick in anwendungsorientierte Grundlagen und Folgewirkungen der Elektronik/ Mikroelektronik, insbesondere in
den Informations- und Kommunikationstechniken gewinnen.
Arbeit und Wirtschaft
- Grundtatsachen des Wirtschaftens erkennen und erklären,
- wesentliche Merkmale des Aufbaus und der Arbeitsorganisation eines Betriebes einschließlich der Interessenvertretung
kennenlernen,
- einzel- und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge von Arbeit, Beruf und Konsum erkennen, unter Beachtung der
regionalen Wirtschaftsstruktur,
- wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte des technischen Wandels kennenlernen,
- Einsichten in wirtschaftliche Aspekte der Informations- und Kommunikationstechniken erlangen,
- sozial- und wirtschaftspolitische Sachverhalte beurteilen lernen, soweit sie für den Einzelnen sowie für die Gesellschaft
von Bedeutung sind.
Arbeit und Haushalt
- hauswirtschaftliche Arbeiten analysieren, planen und durchführen,
- grundlegende Einsichten in Organisation und wirtschaftliche Führung eines privaten Haushalts gewinnen,
- Lösungsmöglichkeiten für Ver- und Entsorgungsprobleme des privaten Haushalts unter Kriterien des Umweltschutzes
kennen und aktiv unterstützen,
- ernährungsphysiologische Grundlagen kennen und die Bereitschaft zu gesundheitsgerechter Ernährung entwickeln,
- Konsumverhalten und Verbraucherpolitik und ihre Zusammenhänge auch unter Berücksichtigung neuer Kommu-
nikationssysteme kennen und beurteilen lernen,
- Verständnis für Bedingungen des Zusammenlebens in der Familie unter Einbeziehung der Pflege und Erziehung von
Kindern erwerben,
- Zusammenhänge von Hausarbeit, Erwerbsarbeit und Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit in ihrer Bedeutung für
die eigene Lebensgestaltung erkennen und beurteilen lernen.
Arbeit und Beruf
- Überblick gewinnen über schulische Bildungsgänge und berufliche Ausbildungsmöglichkeiten in der Region,
- Einflüsse von Familie, Umwelt und Schule auf die Berufswahl von Mädchen und Jungen erkennen und für die eigene
Entscheidung nutzen,
- individuelle Fähigkeiten und berufliche Erwartungen einschätzen lernen und mit Anforderungen beruflicher Tätigkeiten
vergleichen,
- eine Berufswegplanung entwerfen und dabei sowohl individuelle Voraussetzungen als auch Arbeitsmarktverhältnisse
berücksichtigen und die Dienste der Berufsberatung nutzen,
- Chancen und Gefahren beruflicher Flexibilität und räumlicher Mobilität erkennen,
- Beschäftigungschancen und -probleme im Hinblick auf soziale, technische und ökonomische Bedingungen erkennen und
sich mit ihren individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen auseinandersetzen,
21
- wichtige Bestimmungen aus dem Jugendarbeitsschutzgesetz und einige weitere Bestimmungen des Arbeitsrechts
kennen"...24
Der Lehrplan von 1997
Reformgründe Folgende Gründe führten maßgeblich zur Revision des Lehrplans:
Die bildungspolitische Revisionsvorgaben der KMK von 1987, mit der Gliederung des Lernfeldes
Arbeitslehre in die Gegenstandsbereiche Arbeit, Beruf, Technik, Wirtschaft und Haushalt und die
ebenfalls thematisierten Bereiche Ökologie, Informations- und Kommunikationstechnologien, Arbeit
und Freizeit.
Die veränderte Schülerschaft, geprägt durch starke Auslese, Ausländer, Aussiedler und Lerndefizite.
Die veränderte Arbeits- und Berufswelt mit Personalabbau, veränderter Arbeitsorganisation und dem
Wandel der Qualifikationsstruktur.
Reformziele Mittels induktivem, anschaulichen, ganzheitlichem, erfahrungs- und handlungsorientiertem Lernen sollen
Praxisbezug (anwendungsbezogenes Wissen)
Zukunftsrelevanz (für Leben und Beruf)
Lernbereitschaft
Motivation
Verantwortung
erreicht werden.
Generell steht der Erwerb von Schlüsselqualifikationen und Handlungskompetenzen im Vordergrund. Unter den
Handlungskompetenzen werden die Entscheidungs- und Methodenkompetenz besonders betont.
Die Wesensmerkmale der Hauptschule sind Differenzierung, fächerübergreifender Unterricht, Fremdsprachen-
unterricht, Kooperation mit anderen Sekundarschulen und eine engere Ausrichtung an der Realschule.
Die Stundentafel für die Hauptschule von 1993 enthält folgende Änderungen: Zusammengehörende Fächer sind in drei große Lernfelder (allgemeinbildende Fächer im eigenen Sinne, musische Fächer
und der Bereich Arbeit, Wirtschaft, Technik, Haushalt) fachsystematisch gegliedert.
spezifische Lernrückstände sollen durch klassenübergreifende Stütz- und Förderkurse gezielt behoben werden und
gleichzeitig begabte, leistungsfähige Schüler gefördert werden.
Englisch erhält den Status als Pflichtfach in der 8. und 9. Jahrgangsstufe.
Der Sachunterricht konzentriert sich in einem naturwissenschaftlichen und einen gesellschaftswissenschaftlichen
Fächerverbund, um ganzheitliches und projektorientiertes Lernen effektiver zu gestalten.
Der Leitfachcharakter der Arbeitslehre wird verstärkt.
Die arbeitstechnischen Fächer konzentrieren sich in drei Schwerpunkten, die auf das Leben und den Beruf abgestimmt
sind.
Die informationstechnische Grundbildung wird durch Integration der Inhalte in die Fachlehrpläne aufgewertet.
Durch die eingebrachten Individualisierungs- und Differenzierungsmaßnahmen soll die Hauptschule als
Erziehungsschule betont werden. Mit einem ausgewogenen Verhältnis von theoretischen und praktischen
Unterricht und der noch ausgeprägteren Hinwendung zu fächerübergreifenden, handlungs- und
projektorientierten Methoden sollen auch “schwierige” Schüler angesprochen werden können. Auch die
praktischen Fächer wurden erweitert, damit u.a. lernschwache Schüler Mißerfolge in mehr theoretischen Fächern
kompensieren können.
Die Leitlinien für die Weiterentwicklung des Lehrplans enthalten eine Reihe von Grundpositionen:
Solide Allgemeinbildung;
Berufsorientierung, Berufswahlvorbereitung;
ganzheitliches Lernen;
schülerangemessener Unterricht;
weiterführender Bildungsweg;
Lebenshilfe.
´
Die Lernziele der Lehrplans von 1997 Jahrgangsstufe 7
7.1 Die Arbeitswelt hat viele Gesichter
7.2 Arbeiten und Wirtschaften im privaten Haushalt
7.3 Schüler arbeiten und wirtschaften für einen Markt in der Schule - Projekt im Lernfeld Arbeitslehre
24 Konferenz der Kultusminister, KMK-Empfehlung zum Lernfeld Arbeitslehre, 8. Oktober 1987, Bonn,
unveröffentlicht.
22
7.4 Grundlagen der Berufsorientierung
Jahrgangsstufe 8
8.1 Der Betrieb als Ort des Arbeitens und Wirtschaftens
8.2 Die persönliche Berufsorientierung
8.3 Schüler arbeiten und wirtschaften für einen Markt im Schulumfeld - Projekt im Lernfeld Arbeitslehre
8.4 Lohn und Gehalt
Jahrgangsstufe 9
9.1 Beruf und Arbeit
9.2 Der Betrieb als Ort des Arbeitens und Wirtschaftens
9.3 Schüler testen Waren oder Dienstleistungen - Projekt im Lernfeld Arbeitslehre
9.4 Die Bedeutung der Geldinstitute im Einzelnen
9.5 Bausteine, Herausforderungen und Perspektiven der sozialen Marktwirtschaft
Jahrgangsstufe 10
10.1 Berufe mit dem mittleren Schulabschluss
10.2 Struktur und Entwicklung des regionalen Wirtschaftsraumes
10.3 Wirtschaft ohne Grenzen?
10.4 Die Schüler üben wirtschaftliches Handeln in einem Unternehmensplanspiel oder Die Aktienbörse
10.5 Bürgerliches Recht und Öffentliches Recht
Der Lehrplan von 2004
Die wichtigsten Änderungen sind:
Allgemein wurden P- und M-Klassen eingeführt, Wiederholungseinheiten festgelegt und wesentliches
Grundwissen definiert.
Der Name des Unterrichtsfaches wird in Arbeit ▪ Wirtschaft ▪ Technik (AWT) umbenannt.
In der erweiterten Stundentafel wird AWT jetzt bereits in der 5. und 6. Jahrgangsstufe je 1stündig
unterrichtet.
Das Gegenstandsfeld Arbeit und Technik wird explizit ausgewiesen.
Handlungskompetenz und Schlüsselqualifikationen werden besonders hervorgehoben.
Projekte sind in den Jahrgangsstufen 7-9 verpflichtend vorgeschrieben. Realitäts- und
Simulationsmethoden werden klarer angegeben.
Arbeit/Wirtschaft/Technik – Fachprofil
Leitfach Das Unterrichtsfach Arbeit/Wirtschaft/Technik und die Fächer Werken/Textiles Gestalten, Gewerblich-technischer Bereich, Hauswirtschaftlich-sozialer Bereich, Kommunikationstechnischer Bereich und Buchführung bilden in der Stundentafel für die Hauptschule das Lernfeld Arbeit – Wirtschaft – Technik. Arbeit/Wirtschaft/Technik hat darin die Funktion eines Leitfaches. Sie wirkt mit theoretischen und praktischen Inhalten und Lernzielen in die arbeitstechnischen Fächer und im fächerübergreifenden Sinn auch in die übrigen Fächer hinein. Ziel und inhaltliche Schwerpunkte Das Fach Arbeit/Wirtschaft/Technik beginnt in Jahrgangsstufe 5 und knüpft an Themenbereichen der Grundschule an. Zentrale Themen des Faches Arbeit/Wirtschaft/Technik in den Jahrgangsstufen 5 und 6 sind den Bereichen Arbeit, Konsum, Haushalt und Technik zuzuordnen. Dabei werden die Schüler besonders in Arbeitstechniken wie Beobachten, Befragen, Interviewen, Beschreiben, Auswerten und Erkunden geschult. Der Blick auf den eigenen Lebensbereich wird geschärft und inhaltlich kontinuierlich weitergeführt. Die Schüler der Hauptschule treten in der Regel früher als andere in das Berufsleben ein. Vorrangiges Bildungsziel des Faches Arbeit/Wirtschaft/Technik ist es, sie auf jene von Arbeit geprägten Bereiche vorzubereiten, in denen sie in Zukunft als Erwerbstätige, als Produzenten von Gütern und Dienstleistungen, als Verbraucher und Wirtschaftsbürger leben werden. Die Schüler sollen ein grundlegendes Verständnis in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Beruf und Haushalt erwerben und die Arbeit als Grundphänomen menschlichen Daseins begreifen. Dazu setzen sie sich mit wichtigen Tatsachen und Zusammenhängen der Arbeits- und Wirtschaftswelt auseinander. Sie beschäftigen sich mit Entwicklungen in diesen Bereichen und deren Auswirkungen auf das persönliche Leben und die Gesellschaft. Sie bemühen sich, dabei auch auf ökologische, soziale und politische Gesichtspunkte zu achten und lernen entsprechend zu handeln.
23
Übersicht Jahrgangsstufe 5 5.1 Arbeit im persönlichen Umfeld 5.2 Bedürfnisse, Werbung und Konsum 5.3 Mensch und Technik Jahrgangsstufe 6 6.1 Menschen in der Arbeitswelt 6.2 Geld und Konsum 6.3 Mensch und Technik im Arbeitsprozess 6.4 Erste Schritte: Die eigene Zukunft planen Jahrgangsstufe 7 / M7 7.1 Erster Zugang zu betrieblicher Erwerbsarbeit und Beruf 7.2 Wirtschaften im privaten Haushalt 7.3 Schüler arbeiten und wirtschaften für einen Markt 7.4 Arbeit und Technik im privaten Haushalt Jahrgangsstufe 8 / M8 8.1 Der Betrieb als Ort des Arbeitens und Wirtschaftens 8.2 Schüler arbeiten und wirtschaften für einen Markt 8.3 Die persönliche Berufsorientierung 8.4 Arbeit und Entgelt Jahrgangsstufe 9 / M9 9.1 Arbeit und Beruf 9.2 Der Betrieb als Ort des Arbeitens und Wirtschaftens 9.3 Wohnen – Wunsch und Wirklichkeit 9.4 Schüler testen Dienstleistungen oder Waren 9.5 Aufgaben und Bedeutung der Geldinstitute 9.6 Ausgewählte Merkmale und Problemfelder der sozialen Marktwirtschaft Jahrgangsstufe M10 10.1 Berufe mit dem mittleren Schulabschluss 10.2 Schüler gründen eine Schülerfirma 10.3 Struktur und Entwicklung des regionalen Wirtschaftsraumes 10.4 Die Aktienbörse 10.5 Wirtschaft ohne Grenzen? 10.6 Bürgerliches Recht und öffentliches Recht
Der LehrplanPlus von 2018
„Seit PISA (PISA 2000 - PISA2003/06 - PISA 2009 ) spielen sog. Bildungsstandards im Zusammenhang mit der
Qualitätsentwicklung von Schule bundesweit eine wachsende Rolle. Durch die Einführung bundeseinheitlicher
KMK-Bildungsstandards wird eine stärkere Outputorientierung von Schule forciert, wie sie in Bayern z. B. über
die Diskussion um Grundwissen und Leistungstests bereits seit einigen Jahren verfolgt wird. Die Kernidee dieser
Outputorientierung ist es, den Kompetenzerwerb der Schüler stärker in den Blick zu nehmen und Lernergebnisse
konsequent zu überprüfen.“ [ISP 2016 Kompas
http://www.kompas.bayern.de/index.php?Seite=1008&PHPSESSID=ecfa73dcecfb4aabd7d75619509b3c32 v. 1.3.2016]
24
[ISP 2016 http://www.kompas.bayern.de/index.php?Seite=1008&PHPSESSID=ecfa73dcecfb4aabd7d75619509b3c32 vom 1.3. 2016]
Ziele und inhaltliche Schwerpunkte [http://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/mittelschule/wib] „Die Schülerinnen und Schüler der Mittelschule treten in der Regel früher als andere in das Berufsleben ein.
Vorrangiges Bildungsziel des Faches Wirtschaft und Beruf ist es, sie auf jene von Arbeit geprägten Bereiche
vorzubereiten, in denen sie in Zukunft als Erwerbstätige, als Produzenten von Gütern und Dienstleistungen, als
Verbraucher und Wirtschaftsbürger leben werden.
Das Fach Wirtschaft und Beruf beginnt in Jahrgangsstufe 5 und knüpft an Themenbereichen der Grundschule an.
Dabei werden die Schülerinnen und Schüler besonders in grundlegenden und fachspezifischen Methoden bzw.
Arbeitstechniken wie Beobachten, Befragen, Interviewen, Beschreiben, Auswerten und Erkunden geschult.
Somit legt das Fach Wirtschaft und Beruf die Basis für ein Methodencurriculum an der Mittelschule. Der Blick
auf den eigenen Lebensbereich der Schülerinnen und Schüler wird geschärft und inhaltlich kontinuierlich
weitergeführt.
Die Schülerinnen und Schüler erwerben ein grundlegendes Verständnis in den Bereichen Arbeit, Wirtschaft,
Technik, Berufsorientierung und Recht und begreifen Arbeit als Grundphänomen menschlichen Daseins. Dazu
setzen sie sich mit wichtigen Tatsachen und Zusammenhängen der Arbeits- und Wirtschaftswelt auseinander. Sie
beschäftigen sich mit historischen und aktuellen Entwicklungen in diesen Bereichen und deren Auswirkungen
auf das persönliche Leben und die Gesellschaft. Sie achten dabei auch auf ökologische, soziale und politische
Gesichtspunkte und erwerben entsprechende Handlungskompetenz.
Durch diese komplexe Zielstellung trägt das Fach zur Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler
bei. Neben den Fach- und Methodenkompetenzen werden somit besonders auch die Personal- und
Sozialkompetenzen der Schülerinnen und Schüler weiterentwickelt.
Auf die individuellen Möglichkeiten abgestimmte Aufgabenstellungen und Medien eröffnen den Schülerinnen
und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf angemessene Zugänge zu den Fragestellungen des Faches
Wirtschaft und Beruf. Die spezifischen Gegebenheiten und Unterstützungsmöglichkeiten zur Sicherung des
Rechtes auf Teilhabe am Arbeitsleben finden dabei besondere Berücksichtigung. Kooperation mit den
zuständigen Beratungsstellen der Agentur für Arbeit sowie mit Diensten und Einrichtungen zur beruflichen
Eingliederung (z. B. Berufsbildungswerke, Berufsschulen zur sonderpädagogischen Förderung,
Integrationsfachdienste) bieten für Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte Impulse und Hilfestellungen im Rahmen
der Berufsorientierung und Berufswahlvorbereitung.“ [LehrplanPlus]
Literatur
Dörfler, Roland und Andreas Gmelch: Praxis 5, Arbeit-Wirtschaft-Technik. Hauptschule Bayern.
Lehrerband mit Kopiervorlagen. Westermann, Braunschweig 2004
Gmelch, Andreas: Zukunftsperspektiven der Arbeitslehre. In Pädagogische Welt, H 6. S. 265-271. 1995
Kaiser, F.-J.: Arbeitslehre. Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1974
Kupser, Paul: Arbeitslehre zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1986
Karg, Hans Helmut: Arbeitslehre heute. 1. Auflage, Prögel, 1986
Dauenhauer, Erich: Einführung in die Arbeitslehre. Uni-Taschenbücher 471, Pullach 1974
25
Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK): Material zum Lernfeld Arbeitslehre im
Sekundarbereich I. Beschlussfassung KMK vom 235. Plenum am 8./9. Oktober 1987 in Berlin. In: arbeiten
+ lernen 10/1988. H 57, S. 3-7
Schweizer, G., Selzer, H.-M.: Arbeit-Wirtschaft-Technik. Materialien zur Revision des Lehrplans im
Lernfeld Arbeitslehre. Röll, Dettelbach 1995
Lehrpläne und entsprechende Kommentare
Kontrollfragen
1. Warum wurde das Fach „Arbeitslehre“ eingeführt?
2. Wie hat sich die Gewichtung des Gegenstandsbereichs Technik in den verschiedenen Lehrplänen
verändert?
3. Wie berücksichtigt der aktuelle Lehrplan den raschen Wandel in der Berufswelt inhaltlich und
methodisch?
4. Warum werden im LehrplanPlus Kompetenzen vorgegeben?
26
Darstellungsformen der Lerninhalte (Lehrpläne) Von der Gesellschaft, bzw. vom Staat werden die Lernziele und Lerninhalte in Form von Gesetzen und
Verordnungen (Lehrpläne) vorgegeben.
Gesetze und Verordnungen
Verfassung
Ausgehend vom Art.7(1) GG:
Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
findet man die obersten Bildungsziele im Art.131 der Bayerischen Verfassung.
(Bildungsziele)
Artikel 131 Ziele der Bildung
(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.
(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt.
(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.
(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.
Bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG)
Art. 1: Bildungs- und Erziehungsauftrag
(1) 1Die Schulen haben den in der Verfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. 2Sie sollen Wissen und Können vermitteln sowie Geist und Körper, Herz und Charakter bilden. 3Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, vor der Würde des Menschen und vor der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt. 4Die Schüler sind im Geist der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinn der Völkerversöhnung zu erziehen. (2) Bei der Erfüllung ihres Auftrags haben die Schulen das verfassungsmäßige Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder zu achten.
Art. 2: Aufgaben der Schulen
(1) 1Die Schulen haben insbesondere die Aufgabe,
Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln und Fähigkeiten zu entwickeln,
zu selbständigem Urteil und eigenverantwortlichem Handeln zu befähigen,
zu verantwortlichem Gebrauch der Freiheit, zu Toleranz, friedlicher Gesinnung und Achtung vor anderen Menschen zu erziehen, zur Anerkennung kultureller und religiöser Werte zu erziehen,
Kenntnisse von Geschichte, Kultur, Tradition und Brauchtum unter besonderer Berücksichtigung Bayerns zu vermitteln und die Liebe zur Heimat zu wecken,
zur Förderung des europäischen Bewusstseins beizutragen,
im Geist der Völkerverständigung zu erziehen,
die Bereitschaft zum Einsatz für den freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat und zu seiner Verteidigung nach innen und außen zu fördern,
27
die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken,
die Schülerinnen und Schüler zur gleichberechtigten Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten in Familie, Staat und Gesellschaft zu befähigen, insbesondere Buben und junge Männer zu ermutigen, ihre künftige Vaterrolle verantwortlich anzunehmen sowie Familien- und Hausarbeit partnerschaftlich zu teilen,
auf Arbeitswelt und Beruf vorzubereiten, in der Berufswahl zu unterstützen und dabei insbesondere Mädchen und Frauen zu ermutigen, ihr Berufsspektrum zu erweitern,
Verantwortungsbewusstsein für die Umwelt zu wecken. 2Die sonderpädagogische Förderung ist im Rahmen ihrer Möglichkeiten Aufgabe aller Schularten. 3Sie werden dabei von den Mobilen Sonderpädagogischen Diensten unterstützt. (2) Die Schulen erschließen den Schülern das überlieferte und bewährte Bildungsgut und machen sie mit Neuem vertraut. (3) 1Bei der Erfüllung der Aufgaben der Schulen wirken alle Beteiligten, insbesondere Schule und Elternhaus, vertrauensvoll zusammen. 2Dies gilt auch für die Entwicklung eines eigenen Schulprofils. (4) 1Die Öffnung der Schule gegenüber ihrem Umfeld ist zu fördern. 2Die Öffnung erfolgt durch die Zusammenarbeit der Schulen mit außerschulischen Einrichtungen, insbesondere mit Betrieben, Sport- und anderen Vereinen, Kunst- und Musikschulen, freien Trägern der Jugendhilfe, kommunalen und kirchlichen Einrichtungen sowie mit Einrichtungen der Weiterbildung.
Art. 7: Die Grundschule und die Hauptschule (die Volksschule)
(1) Die Volksschule besteht aus der Grundschule und der Hauptschule. (2) 1In den Volksschulen werden die Schüler nach den gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen. 2In Klassen mit Schülern gleichen Bekenntnisses wird darüber hinaus den besonderen Grundsätzen dieses Bekenntnisses Rechnung getragen. (3) 1Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht. 2Damit kommt der Wille zum Ausdruck, die obersten Bildungsziele der Verfassung auf der Grundlage christlicher und abendländischer Werte unter Wahrung der Glaubensfreiheit zu verwirklichen. 3Wird der Anbringung des Kreuzes aus ernsthaften und einsehbaren Gründen des Glaubens oder der Weltanschauung durch die Erziehungsberechtigten widersprochen, versucht der Schulleiter eine gütliche Einigung. 4Gelingt eine Einigung nicht, hat er nach Unterrichtung des Schulamts für den Einzelfall eine Regelung zu treffen, welche die Glaubensfreiheit des Widersprechenden achtet und die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen aller in der Klasse Betroffenen zu einem gerechten Ausgleich bringt; dabei ist auch der Wille der Mehrheit, soweit möglich, zu berücksichtigen. (4) 1Die Grundschule schafft durch die Vermittlung einer grundlegenden Bildung die Voraussetzungen für jede weitere schulische Bildung. 2Sie gibt in Jahren der kindlichen Entwicklung Hilfen für die persönliche Entfaltung. 3Um den Kindern den Übergang zu erleichtern, arbeitet die Grundschule mit dem Kindergarten zusammen. (5) 1Die Grundschule umfasst die Jahrgangsstufen 1 bis 4. 2Sie vereinigt alle Schulpflichtigen dieser Jahrgangsstufen, soweit sie nicht eine Förderschule besuchen. (6) 1Die Hauptschule vermittelt eine grundlegende Allgemeinbildung, bietet Hilfen zur Berufsfindung und schafft Voraussetzungen für eine qualifizierte berufliche Bildung, sie eröffnet in Verbindung mit dem beruflichen Schulwesen Bildungswege, die zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung und zu weiteren beruflichen Qualifikationen führen können, sie schafft die schulischen Voraussetzungen für den Übertritt in weitere schulische Bildungsgänge bis zur Hochschulreife. 2Die Hauptschule spricht Schüler an, die den Schwerpunkt ihrer Anlagen, Interessen und Leistungen im anschaulich-konkreten Denken und im praktischen Umgang mit den Dingen haben. 3Das breite Feld von unterschiedlichen Anlagen, Interessen und Neigungen wird durch ein differenziertes Auswahlangebot neben den für alle Schüler verbindlichen Fächern berücksichtigt; hierfür ist die Bildung eigener Klassen und Kurse möglich, z.B. Praxisklassen, Klassen bzw. Kurse für Aussiedlerschüler und Schüler mit nicht deutscher Muttersprache. 4Für besonders leistungsstarke Schüler werden ab der Jahrgangsstufe 7 Mittlere-Reife-Klassen angeboten, in den Jahrgangsstufen 7 und 8 zur Vorbereitung auf Mittlere-Reife-Klassen auch Mittlere-Reife-Kurse. (7) 1Die Hauptschule baut auf der Grundschule auf und umfasst die Jahrgangsstufen 5 bis 9 und, soweit Mittlere-Reife-Klassen in der Jahrgangsstufe 10 angeboten werden, auch die Jahrgangsstufe 10. 2In der Jahrgangsstufe 9 verleiht sie, wenn die erforderlichen Leistungen erbracht sind, den erfolgreichen Hauptschulabschluss; die Schüler können durch eine besondere Leistungsfeststellung den qualifizierenden Hauptschulabschluss erwerben. 3In der Jahrgangsstufe 10 führt die Mittlere-Reife-Klasse zum mittleren Schulabschluss. (8) 1Die Hauptschule stellt auf Antrag das Zeugnis über den qualifizierten beruflichen Bildungsabschluss aus, wenn der qualifizierende Hauptschulabschluss, befriedigende Kenntnisse in Englisch, die dem Leistungsstand eines fünfjährigen Unterrichts entsprechen, sowie ein überdurchschnittlicher Berufsabschluss nachgewiesen werden; Art. 11 Abs. 2 Satz 2 Halbsätze 2 und 3 gelten entsprechend. 2Örtlich zuständig ist die Hauptschule, an der der qualifizierende Hauptschulabschluss erworben worden ist.
28
Lehrplan für die Mittelschule
Allgemein versteht man unter einem Lehrplan eine pauschale Unterrichtsplanung, die von übergeordneten
Globalzielen ausgeht und dem Lehrer ein Sammelpaket von Stoffen an die Hand gibt, das dieser selbständig
aufteilen und verwenden muss.25 Die im Lehrplan angegebenen Kompetenzen, Ziele und Inhalte sind
verbindlich, den Umfang und die Intensität der unterrichtlichen Umsetzung bestimmt eigenverantwortlich
der/die Lehrer/in.
Stoffverteilungsplan
Ein Stoffverteilungsplan beinhaltet die Themen eines Unterrichtsfaches. Dabei werden die Unterrichtsthemen
von der Lehrkraft schulintern oder klassenspezifisch nach Unterrichtsmonat oder -woche festgelegt.
Begriffsklärungen zu den Lehrplänen
Lehr- oder Lernziele Das Leitziel beinhaltet die (obersten) Bildungsziele nach Art.131 BV und ist schul- und fächerübergreifend;
Richtziele sind schul- u. fächerspezifisch ausformuliert und den Lernzielen eines Lehrplans vorangestellt; (s.
Fachprofil)
Groblernziele entsprechen den Lernzielen eines Lehrplans;
Feinlernziele werden im Unterrichtsentwurf des Lehrers selbständig festgelegt.
Unter einem Lernziel in allgemeiner Form versteht man nach einer Definition von Mager “die Beschreibung
eines Verhaltens, das der Lernende nach erfolgreicher Lernerfahrung erworben hat"26.
Lernzielarten Lernziele unterscheidet man nach drei Bereichen:
Kognitive (materielle) Lernziele, d.h. Lernziele aus dem Denk-, Wahrnehmungs- und Gedächtnisbereich, z.B.
Realitäten, Gesetze usw..
Affektive (formale) Lernziele, d.h. Lernziele aus dem Gefühls-, Interessen-, Einstellungs- u. Wertbereich, z.B.
Bewusstsein von Recht und Unrecht, Freude an, Interesse ... usw..
Psychomotorische Lernziele, d.h. Lernziele aus dem Bereich der manuellen Fertigkeiten, z.B. Vergaser eines
Motors einstellen können, Drehmaschine bedienen können, schreiben, zeichnen usw..
Lernzielklassen und ihre Anforderungsstufen Die verbindlichen Lernziele beschreiben Art, Umfang und Intensität dessen, was im Unterricht erreicht werden
soll. Man unterscheidet im Lehrplan vier Lernzielklassen :
Wissen (für kognitive Lernziele), Informationen,
Können (für kognitive u. psychomotorische Lernziele), Handlungen,
Erkennen (für kognitive u. affektive Lernziele), Probleme,
Werten (für kognitive u. affektive Lernziele), Einstellungen.
Wiederum gliedert sich eine Lernzielklasse in verschiedene Anforderungsstufen (Intensitätsstufen) auf, z.B.
Wissen in Einblick, Überblick, Kenntnis und Vertrautheit;
Können in Fähigkeit, Fertigkeit und Beherrschung;
Erkennen in Bewusstsein, Einsicht und Verständnis;
Werten in Bereitschaft und Interesse (Freude).
Dabei bedeutet:
Einblick: Erste Begegnung mit dem Wissensgebiet (flüchtiges Wissen);
Überblick: Ermöglicht die systematische Zuordnung von Begriffen und die Unterscheidung von
Lerngegenständen;
Kenntnis: Verankerung von Fakten (Wissen), die zu einer zutreffenden Beschreibung der Inhalte und der
Zusammenhänge befähigt;
Vertrautheit: Erweiterte, vertiefte, geläufig verfügbare Kenntnisse;
Fähigkeit: Dasjenige Können, das zur Durchführung einer Tätigkeit notwendig ist, welche aber noch der
Unterstützung bedarf;
Fertigkeit: Ein durch intensives Üben erworbenes, eingeschliffenes und müheloses Können;
Beherrschung: Souveränes (profihaftes) Verfügen (Können) über die eingeübten Fertigkeiten;
25 Vgl. Westphalen, K.: Praxisnahe Curriculumentwicklung, a.a.O. 26 Vgl. Westphalen, K.: Praxisnahe Curriculumentwicklung, a.a.O.
29
Bewusstsein: Es soll zum Weiterdenken anregen;
Einsicht: Erkenntnis einer bestehenden Problematik, die einer sachgerechten Lösung zugeführt und damit als
grundlegende Anschauung erworben und beibehalten wird;
Verständnis: Setzt verschiedene Einsichten voraus, die dann geordnet zu einem begründeten Urteil führt;
Bereitschaft: Die im Unterricht erworbenen (erfahrenen) Werte werden anerkannt und als eigene Ziele gesetzt;
Interesse: Eine sich aus der eigenen Motivation heraus erwachsende Aufgeschlossenheit und Neigung an
bestimmten Lerngegenständen27.
Auswahl der Inhalte für eine Unterrichtseinheit Um eine konkrete Unterrichtseinheit zu planen, müssen zunächst die Rahmenbedingungen und die Fachinhalte
geklärt und zusammengestellt werden. Anschließend werden relevante Inhalte ausgewählt und in Form von
Feinlernzielen dokumentiert.
Vorgaben
Ausgehend vom Lehrplan und Stoffverteilungsplan, den vorangegangenen Unterrichtseinheiten und der
aktuellen Situation in der Klasse läßt sich das Groblernziel und allgemein der angestrebte Lerninhalt festlegen.
Sachuntersuchung
Die Sachuntersuchung dient der fachlichen Vorbereitung. Der zu vermittelnde Stoff soll voll erschlossen und in
seiner fachwissenschaftlichen Struktur systematisiert werden. In Arbeitslehre helfen dabei Grundlagenwerke aus
den Bereichen Arbeit, Wirtschaft, Technik oder Berufskunde, die durch aktuelle Informationen (z.B. aus
Zeitungen, Zeitschriften, dem Internet u.ä.) zu ergänzen sind. Die Fülle der Informationen wird
fachsystematisch, hierarchisch geordnet, um durch Überbegriffe und Abschnitte einen möglichst umfassenden
Überblick der Sachstruktur zu erhalten. Bei den Recherchen werden auch Anschauungsmittel oder Beispiele
gesammelt, die im Unterricht eingesetzt werden könnten.
Adressatenanalyse
Um geeignete Inhalte auswählen zu können, braucht man möglichst genaue Informationen über die Schülerinnen
und Schüler, die Adressaten oder Zielgruppe und die zu erwartenden situativen Bedingungen.
anthropogene Voraussetzungen:
Fähigkeiten der einzelnen Schüler (z.B. Selbständigkeit, Fähigkeit zu Gruppenarbeit, Sprachkenntnisse,
Konzentrationsfähigkeit, Schauspielerfähigkeiten der Lehrkraft, ..)
sozio - kulturelle Voraussetzungen:
Herkunft (Ausländer: - Muttersprache - Aufenthaltsdauer..), Religion, Vorbildung, Elternhaus, Schulen,
Freundeskreis, Betrieb;..
situative Bedingungen:
Jahreszeit, Tageszeit, Wetterlage, Lage und Ausstattung des Unterrichtsraumes (Straßenlärm, Lüftung,
Beleuchtung..), vorausgegangener Unterricht (Sport, Probearbeit..), außerschulische Ereignisse (Fasching,
Fernsehen, Freizeit..).
Grundsätze der Didaktik
Diese Grundsätze basieren auf langjährigen, praktisch pädagogischen Erfahrungen. Die einzelnen Lerninhalte
werden so gewählt und geordnet, dass diese Prinzipien möglichst gut beachtet werden.
Das Prinzip der Ganzheitlichkeit
Lernziele sollten in ihrem natürlichen Zusammenhang verdeutlicht werden.
27 Vgl. Curriculare Lehrpläne für die Fächer Arbeitslehre und Informatik an Berufsoberschulen, S.
1014, KMBl I So.Nr. 33/1977
30
Das Prinzip der Anschaulichkeit
Anschauung bedeutet mit allen Sinnesorganen erfassen, begreifen. “ Der Unterricht ist anschaulich, wenn sich
der Schüler bei allen Worten, die im Unterricht auftreten, ein klares und deutliches Bild machen kann, so daß er
mit den auftretenden Worten und durch sie die gemeinten Sachen voll erfaßt” [Huber, 1963, S. 88].
Beispiele:
Die richtige Haltung beim Sägen ist sehr viel anschaulicher, wenn der Lehrer sie vormacht und nicht
nur beschreibt. Die Betriebserkundung ist ‘anschaulicher’ als Lehrerberichte. Ein Simulationsspiel
veranschaulicht bestimmte Situationen besser als Filme. Veranschaulichungen von Tabellen in
amerikanischen Medien. Veranschaulichung durch Gebärden, Schilderungen..
Das Prinzip der Aktualität
“Der Unterricht ist dann lebensnah (aktuell), wenn der Lehrer die ‘Individuallage’ seiner Klasse und seiner
Schüler beachtet” [Huber, 1963, S. 85].
Z. B.
die Erlebnisse und Erfahrungen der Schüler (nicht des Lehrers!),
der Lebenskreis der Klasse (Familie, Standort, Staat, Volk, Menschheit),
das gegenwärtige Geschehen im Umfeld der Schüler.
Aber: Lebensnähe nicht um jeden Preis! Nur treffende Beispiele verwenden!
Das Prinzip des Exemplarischen
Der Wesenskern soll nicht in der Stofffülle untergehen, sondern soll mit treffenden Beispielen erläutert werden
(lieber weniger aber intensiv)! Oberflächliches Wissen täuscht Bildung vor. Anhand der behandelten Beispiele
können die Schüler sich weitere Anwendungen erschließen (Transfer).
Das Prinzip der Schwierigkeitsstufung und - isolierung
Nicht alle Probleme zugleich angehen, vom Leichten zum Schweren aufbauen, der Stoff soll für die Schüler im
Zusammenhang überschaubar bleiben, durch die Stufung des Unterrichts, allgemein durch die Artikulation des
Unterrichts werden schwere, umfangreiche Aufgaben in fassbare Schritte geteilt.
Das Prinzip der Selbständigkeit
Die Schüler sollen selbst tätig werden, nicht nur geschäftig etwas ausmalen, sondern durch ihre Tätigkeit zu
neuen Erkenntnissen kommen. Das Schwergewicht wird auf Eigen- und Freitätigkeit sowie auf die Spontaneität
der Schüler gelegt. Was die Schüler selbständig machen können, soll er Lehrer nicht vormachen. (Siehe
Forderungen der ‘Arbeitsschulbewegung’.)
Das Prinzip der Abwechslung
Inhaltliche und methodische Abwechslung fördert die Motivation und hemmt die Ermüdung.
Das Prinzip der Erfolgssicherung (Leistungsprinzip)
Leistung schließt Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit ein. Mittel zur Leistungserzielung sind:
- Eindruck erzielen,
- Stoff einprägen und üben (z.B. Wettbewerb),
- Anwendung des Gelernten,
- häufige Wiederholung (unmittelbar, periodisch, gelegentlich) und
- Leistungskontrollen (Selbst- und Fremdkontrolle).
Das Prinzip der Innerlichkeit
“Echte Bildung wurzelt im Irrationalen, nicht im Rationalen.”[Huber, 1963, S. 99]
Die Gemütskräfte und die emotionale Seite der Bildung dürfen nicht vernachlässigt werden. Der Unterricht muss
auch Gelegenheit zur innerlichen Verarbeitung geben. Raumgestaltung, gegenseitiger Umgang, Klassengeist,
erlebnisstarke Einzelstunden und Feiern tragen zur Innerlichkeit bei.
Beispiel:
Besinnung, nicht Belehrung, nach einem Arbeits- (Schul-)unfall [Huber, 196328].
Didaktische Reduktion
28 Huber, F.: Allgemeine Unterrichtslehre. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1963
31
Ausgehend vom Prinzip des Exemplarischen und aus der Notwendigkeit, den Wesenskern zu vermitteln, muss
die Stofffülle reduziert werden. Grundsätzlich können gleichwertige Inhalte weggelassen werden (horizontale
Reduktion: nicht alle Ausbildungsberufe, nicht alle Anforderungen werden erwähnt) oder Inhalte werden
vereinfacht dargestellt (vertikale Reduktion: Aufbau eines Rechners im Blockschaltbild), eine Problemanalyse
soll ‘dem problemorientierten Unterricht’ vorausgehen.29
Horizontale Reduktion
Aus vielen Gegenstandsbereichen werden exemplarische Inhalte gewählt, die stellvertretend für alle gründlich
behandelt werden. Anschließend können die Erkenntnisse auf die anderen Bereiche mittels Transfer übertragen
werden.
Beispiel:
Informationstechnische Grundbildung - Textverarbeitungsprogramme
Es können nicht alle Textverarbeitungsprogramme erlernt werden, die wesentlichen Funktionen wie
Texteingabe, Formatierung, Hilfsfunktionen usw. können exemplarisch mit einem Programmsystem
dargestellt werden. Im Transfer können mehrere andere Programme im Überblick mit ihren
Besonderheiten angesprochen werden.
Vertikale Reduktion
[Grüner, 1967]
Schrittweise auf wesentliche Inhalte reduzieren. Hilfsfragen nach Grüner: Was ist wesentlich?
Problemanalyse
Die Problemfindung ist ein wichtiges Verfahren der didaktischen Aufbereitung und der Unterrichtsvorbereitung
[Gerstl, Allgemeine Unterrichtslehre Teil 1, 1981/82]. Ein Problem ist eine Aufgabe, deren Lösungsweg noch
gefunden werden muss. Problemanalyse heißt zum Lernen geeignete Probleme aus dem Lernstoff finden.
Die Probleme sollen so gewählt werden, dass sie
- die Schüler interessieren, motivieren, aktivieren und durch Praxisnähe überzeugen;
- am Beginn einer Unterrichtseinheit stehen und die Stunde didaktisch gliedern;
- die Überleitung zu einem Teilziel oder zur Stufe geistiger Verarbeitung bilden;
- wirklichkeitsnah und schülergerecht formuliert sind, Leitfragen können die Problemlösung steuern.
Beachte:
- keine zu schwierigen / einfachen Probleme stellen,
- keine unechten Probleme,
- keine zu zeitraubenden Probleme ...
Didaktische Analyse
Mit Hilfe der “didaktischen Analyse” nach Wolfgang Klafki kann der “Bildungsgehalt” eines Unterrichtsthemas
durch fünf didaktische Grundfragen erschlossen werden:
“I. Welchen größeren bzw. welchen allgemeinen Sinn- oder Sachzusammenhang vertritt und erschließt dieser Inhalt? Welches Urphänomen oder Grundprinzip, welches Gesetz oder Kriterium, Problem, welche Methode, Technik oder Haltung läßt sich in der Auseinandersetzung mit ihm ‚exemplarisch‘ erfassen?
1. Wofür soll das geplante Thema exemplarisch, repräsentativ, typisch sein?
2. Wo läßt sich das an diesem Thema zu Gewinnende als Ganzes oder in einzelnen Elementen - Einsichten, Vorstellungen, Wertbegriffen, Arbeitsmethoden, Techniken - später als Moment fruchtbar machen?
II. Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bzw. die an diesem Thema zu gewinnende Erfahrung, Erkenntnis, Fähigkeit oder Fertigkeit bereits im geistigen Leben der Kinder meiner Klasse, welche Bedeutung sollte er - vom pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen - darin haben?
III. Worin liegt die Bedeutung des Themas für die Zukunft der Kinder?
29 Vgl. Grüner, G.: Die didaktische Reduktion als Kernstück der Didaktik, Auszug aus dem vom
Verfasser am 24. April 1967 vor dem Ausschuß Pädagogik und Technik in Offenbach gehaltenen Vortrag "Grundlagen des werkkundlichen Berufsschulunterrichts", S. 421
32
IV. Welches ist die Struktur des (durch die Fragen I, II und III in die spezifisch pädagogische Sicht gerückten) Inhaltes?
1. Welches sind die einzelnen Momente des Inhalts als eines Sinnzusammenhanges?
2. In welchen Zusammenhang stehen diese einzelnen Momente? a) In einem logisch ‚eindeutigen‘ Zusammenhang? b) In einem faktischen Wirkzusammenhang, bei dem alle oder einige Momente in Wechselwirkung stehen, so dass die Reihenfolge ihrer Betrachtung nicht schon durch die Logik der Sache zwingend vorgezeichnet ist?
3. Ist der betreffende Inhalt geschichtet? Hat er verschiedene Sinn- und Bedeutungsschichten?
4. In welchem größeren sachlichen Zusammenhang steht dieser Inhalt? Was muss sachlich vorausgegangen sein?
5. Welche Eigentümlichkeiten des Inhaltes werden den Kindern den Zugang zur Sache vermutlich schwer machen?
6. Was hat als notwendiger, festzuhaltender Wissensbesitz (‚Mindestwissen‘) zu gelten, wenn der im Vorangegangenen bestimmte Bildungsinhalt als angeeignet, als ‚lebendiger‘, ‚arbeitender‘ geistiger Besitz gelten soll?
V. Welches sind die besonderen Fälle, Phänomene, Situationen, Versuche, Personen, Ereignisse, Formelemente, in oder an denen die Struktur des jeweiligen Inhaltes den Kindern dieser Bildungsstufe, dieser Klasse interessant, fragwürdig, zugänglich, begreiflich, ‚anschaulich‘ werden kann?
1. Welche Sachverhalte, Phänomene, Situationen, Versuche, Kontroversen usw., m.a.W.: welche ‚Anschauungen sind geeignet, die auf das Wesen des jeweiligen Inhaltes, auf seine Struktur gerichtete Fragestellung in den Kindern zu erwecken, jene Fragestellung, die gleichsam den Motor der Unterrichtsverlaufs darstellen soll?
2. Welche Anschauungen, Hinweise, Situationen, Beobachtungen, Erzählungen, Versuche, Modelle usw. sind geeignet, den Kindern dazu zu verhelfen, möglichst selbständig die auf das Wesentliche der Sache, des Problems gerichtete Fragestellung zu beantworten?
3. Welche Situationen und Aufgaben sind geeignet, das am exemplarischen Beispiel, am elementaren ‚Fall‘ erfasste Prinzip einer Sache, die Struktur eines Inhaltes fruchtbar werden, in der Anwendung sich bewähren und damit üben ( - immanent wiederholen -)zu lassen?”
[nach Klafki30, 1964, S.135ff]
Feinziele einer Unterrichtseinheit
Am Ende der Überlegungen können für die konkrete Unterrichtseinheit Feinziele formuliert werden, die das
Grobziel unter Berücksichtigung der Schüler, des Lehrers und der situativen Bedingungen interpretieren.
Besonders geeignet erscheinen hier ‚operationalisierte Lernziele‘, mit qualitativen und quantitativen Angaben.
Sie geben den Lerngegenstand und das befähigende Handeln an.
(Z.B. Die Schüler sollen...
... mindestens vier Sparformen aufzählen können,
... Sparformen hinsichtlich der Rendite, Sicherheit und Verfügbarkeit der Einlagen beurteilen können...
Diese Feinlernziele begrenzen und präzisieren die folgende methodische Planung und bilden die Grundlage für
Lernerfolgskontrollen.
30 Wolfgang Klafki: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beltz, Weinheim 1964
33
Kontrollfragen
1. Welche Ziele für das Fach WuB werden in Art. 7 EUG genannt?
2. Nennen Sie ein Grobziel, eine Kompetenzerwartung aus dem LehrplanPlus für das Fach Wirtschaft und
Beruf!
3. Die S. sollen…
a. … wichtige Ziele der Werbung aufzählen können
b. … einsehen, dass Werbung sie beeinflusst
c. … fachgerecht Preise vergleichen können
Ordnen Sie jeweils die Lernzielart, Lernzielklasse und die Anforderungsstufen zu!
1. Was bedeutet das Prinzip der „Aktualität“?
2. Nennen Sie ein operationalisiertes, kognitives Feinlernziel für eine Wirtschaft und Beruf
Unterrichtseinheit!
3. Formulieren Sie je ein Lernziel der Klasse Wissen mit den Anforderungsstufen Einblick, Überblick,
Kenntnis und Vertrautheit!
4. Wo (in welchen Quellen) können Sie effektiv die „Struktur des Inhaltes“ recherchieren?
(Erstellen Sie eine didaktische Analyse zum Thema „Sparformen“!)
34
Methodik: Wie sollen diese Inhalte vermittelt werden?
Handlungsorientierter Unterricht31 Handlungsorientierter Unterricht wird als eine wichtige methodische Lösung für aktuelle Probleme besonders im
Arbeitslehreunterricht betrachtet. „Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und schüleraktiver
Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer/der Lehrerin und den SchülerInnen vereinbarten
Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit der
SchülerInnen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden können.“32
Begründung
Aufgrund der Erfahrungen der Lehrer aus der eigenen Schulzeit (Prägung durch Vorbilder), der Machtstruktur
im Unterricht (Lehrer in der Führungsrolle), tradierter neuhumanistisch begründeter Werte in den Lehrplänen
und in der Schulorganisation erscheint „kopflastiger“, d.h. durch Worte und Begriffe gekennzeichneter
Unterricht als Regelfall. Die einseitige mentale Belastung der Schüler führt zu Ermüdungserscheinungen
(Konzentrationsabfall), zu Langeweile, dann zu Unterforderung und schließlich Kompensationshandlungen, die
oft als Unterrichtsstörungen aufgefasst werden. Schläfrige Schüler und Unterrichtsstörungen bedingen wiederum
erhöhte Lehreraktivität, so dass der Unterricht von Lehrerhektik und Schülerträgheit gekennzeichnet ist.
Abhilfe kann eine Arbeitsform leisten, die die einseitige mentale Belastung der Schüler mildert. Entsprechend
der Leistungsfähigkeit des Menschen soll der Unterricht Schüler emotional, mental und physisch zeitlich
wechselnd belasten.
Eine streng geführte Klasse läßt dem einzelnen wenig Handlungs- und Entscheidungsfreiraum, so dass die
Schüler folgerichtig auch die Verantwortung für den Unterricht und den Lernerfolg subjektiv eher als Leistung
des Lehrers empfinden. Schüler sollten eine Chance erhalten, selbst Verantwortung für ihr Lernen zu
übernehmen.
Im modernen Leben und besonders in der Berufs- und Wirtschaftswelt etabliert sich Anspruchs- und
Konsumdenken, Bedürfnisse können zunehmend durch Technik und Wohlstand bequem passiv befriedigt
werden (z.B. Video, Computer), so dass Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit oberflächlich betrachtet
nicht mehr lohnend erscheinen. Eine weitere Ursache der Passivität mancher Jugendlicher liegt in der
komplexen, oft unüberschaubaren Umwelt, die Erfolg versprechendes Handeln erschwert. Da werden z.B.
unverstandene Computer gestreichelt oder getreten, um gewünschte Ausgaben zu erhalten, leider meist ohne
Erfolg. Demzufolge müssen in der Schule Handlungsräume mit angemessenen Aufgaben geschaffen werden,
wo Schüler ihre Fähigkeiten erproben und vervollkommnen können.
Handelndes und problemlösendes Lernen sind besonders effektiv, die Lerninhalte werden leichter behalten.
„Denken geht aus dem Tun hervor und wirkt als Handlungsregulation auf dieses zurück.“33
Aebli beschreibt in „Denken: Das Ordnen des Tuns“34 die Verknüpfung von Denken und Handeln, wie aus dem
konkreten Handeln abstrakte Begriffe ableitet werden, sich kognitive (Denk-)Strukturen bilden und daraus
wieder Handlungsschemata entstehen. Piagets operative Didaktik deklariert Erkenntnis als individuelle operative
Konstruktion, d. h. Handeln liefert die Anschauungen, aus der sich der Mensch sich ein strukturiertes Bild der
Welt „konstruiert“. Lernen beruht danach auf kognitiven Strukturen und wird durch kognitive Konzepte des
Individuums repräsentiert. Der Lernprozess wird als permanente Anpassungsleistung interpretiert, bei der
erworbene Konzepte an veränderte Gegebenheiten angepasst werden, damit ein dynamisches Gleichgewicht
entsteht.
Merkmale
Ganzheitlicher Aspekt Der Schüler soll als Ganzes, mit seinen Gefühlen, seinen Händen und mit seinem Kopf dabei sein. Die
Lerninhalte umfassen als Ganzes die Problemstellung, nicht spezifische, fachsystematisierte Inhalte.
Schüleraktivität Die Schüler sollen möglichst viel selbst tun und damit auch Handeln lernen. Die Selbsttätigkeit nimmt mit dem
Lernerfolg zu, die Lehreraktivität nimmt entsprechend ab.
31 nach Werner Jank, Meyer, Hilbert: Didaktische Modelle. Cornelson Scriptor, Berlin 1994, S. 337 ff 32 Jank, Hilbert, 1994, S. 354 33 vgl. Gudjons, H.: Handlungsorientiert lehren und lernen. Bad Heibrunn 1997 34 vgl. Aebli, H.: Denken: Das Ordnen des Tuns, Band I: Kognitive Aspekte der Handlungstheorie. Stuttgart 1980. Band II: Denkprozesse, Stuttgart 1981
35
Handlungsprodukte „Handlungsprodukte sind die veröffentlichungsfähigen materiellen und geistigen Ergebnisse der
Unterrichtsarbeit“35, z.B. ein Rollenspiel, Spickzettel, Leserbrief, Experiment, Schülerbuch, Elternabend oder
Klassenausflug.
Subjektive Schülerinteressen Die Handlungen sollen möglichst von subjektiven Interessen der Schüler ausgehen. Schüler lernen zunächst ihre
inhaltlichen, personalen und sozialen Interessen zu erkennen, zu artikulieren und öffentlich zu behaupten.
Schüler gestalten den Unterricht Die Schüler sind von Anfang an an der Planung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts beteiligt. Der
Lehrer wechselt allmählich von seiner dominierenden, führenden Rolle mit wachsenden Lernfortschritten in eine
beratende Rolle.
Öffnung der Schule Innerhalb der Schule werden individuelle Lernwege, fächerübergreifende Bezüge und Zusammenarbeit mit
anderen Lehrkräften gepflegt. Kontakte nach außen (Betriebe, Institutionen, Arbeitsämter usw.) erweitern den
Handlungsraum.
Verbindung von Hand- und Kopfarbeit
Gestaltung von Unterrichtseinheiten Wenn die Frage „Was soll unterrichtet werden?“ beantwortet ist, folgen Überlegungen der Lernorganisation. In
diesem Abschnitt werden z.B. die Schritte oder Phasen einer Unterrichtseinheit entworfen, Methoden oder
Unterrichtsverfahren gewählt und Lernzielkontrollen vorgesehen. Allgemein sollen mit der methodischen
Planung die gewählten Feinlernziele möglichst sicher erreicht werden. Abhängig vom Inhalt, den Methoden und
dem Können des Lehrers und der Schüler wird der Unterricht mehr oder weniger detailliert festgelegt. Bei den
vielfältigen hier anfallenden Entscheidungen helfen wissenschaftliche Erkenntnisse aus
- der Lernpsychologie über Wahrnehmung, Gedächtnis, Behalten und Lernen,
- der Entwicklungspsychologie über Grundlagen und Phasen der typischen Entwicklung und die typische
Entwicklung einzelner Personenmerkmale,
- der pädagogischen Soziologie über Sozialkontakte, Sozialbeziehungen und Sozialgebilde
und Informationen über Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler und des Lehrenden, der Lernumgebung und
verfügbare Lehr- und Lernmittel. In Arbeitslehre sind darüber hinaus Kooperationsmöglichkeiten innerhalb und
außerhalb der Schule zu berücksichtigen.
Artikulation
Die Unterrichtsgliederung hat wesentlichen Einfluss auf den Lernerfolg. Deshalb haben schon sehr früh
Pädagogen Artikulationsschemata entwickelt, z.B.:
Rein: Vorbereitung - Darbietung - Verknüpfung - Zusammenfassung - Anwendung, Huxley: Observation - Generalproposition - Deduktion - Verifikation ,
Huber: Erschließung - Besinnung - Bewältigung ,
Roth, Corell, Klafki, Tausch u. v. m..36
Eine problemorientierte Unterrichtseinheit kann wie folgt logisch aufbauend gegliedert werden:
Hinführung (Motivation, Anknüpfung an Bekanntem, Überblick)
Zielangabe (Ausgangsproblem, Themenstellung)
1. Teilziel (Problemlösungsschritt 1)
Teilzielkontrolle
2. Teilziel (Problemlösungsschritt 2)
Teilzielkontrolle
...
Verknüpfung der Teillösungen zur Gesamtlösung (Zusammenfassung, Vertiefung)
Gesamterfolgskontrolle
Anwendung und Transfer der Ergebnisse
Schluss (Ausblick, Resümee)
35 Jank, Hilbert, 1994, S. 356 36 vgl. Göttler, J.: System der Pädagogik. Kösel Verlag, München 12. Aufl. 1964
Huber, F.: Allgemeine Unterrichtslehre. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 8. erw. Aufl.1963 Bach, H.: Die Unterrichtsvorbereitung. A.W. Zichfeldt, Hannover, 3. Aufl. 1962 Roth, H.: Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 9. Aufl. , Schroedel, Hannover 19
36
Methoden
Der charakteristische Unterschied zwischen den genannten Hauptformen besteht nicht in ihrem jeweiligen Maße
möglicher Schüleraktivität (denn diese läßt sich in allen Formen anregen), sondern vielmehr in dem
verschiedenen Maß an Selbständigkeit, welches dem Schüler gewährt wird.
Die Auswahlkriterien sind:
die gewählte Unterrichtsart,
die Erfordernisse der Lernziele,
die Berücksichtigung der einzelnen Phasen des Unterrichtes (Hinführung, Lernzielkontrolle..),
die Verfügbarkeit von Unterrichtsmitteln (ausreichend Arbeitsmaterial, Werkplätze) und
die Individuallage der Klasse (Leistungsfähigkeit, Gruppenarbeit geübt..).
Die Unterrichtsform muss auf die gewählte Unterrichtsart abgestimmt sein. So werden z.B. bei einem
differenzierenden oder individualisierenden Vorgehen im Allgemeinen die Formen des Führens oder Anleitens
angebracht sein37. Im Lehrplan sind vielerorts bereits Hinweise auf geeignete oder vorgeschriebene Verfahren
zu finden.
Darbietender Unterricht
Der Lehrer steht im Vordergrund, die Schüler empfangen, beobachten, hören zu, z.B. Vortrag, Vorführung,
Demonstration, Film- oder Tonaufnahmen... Die Darbietung muss Lernprozesse organisieren.
Vortragen Ein höchstens fünf Minuten langer Vortrag soll zunächst motivieren, also eine Lernlücke eröffnen, und ein
Ausgangsproblem aufwerfen. Durch knappe, klare Sätze werden die Schüler über die Sachlage informiert und
anschließend die Informationen im Sinne der Lerninhalte interpretiert, erklärt oder nachvollzogen (Operieren).
Schließlich folgen am Ende Kontrollfragen oder Beispiele, mit denen der Hörer sein Verständnis prüfen kann.
Der Vortrag soll mit vorbildlicher, prägnanter und modulierter Sprache, unterstützt durch die Gliederung, Gestik
und Mimik, Charisma und etwas Esoterik, die Aufmerksamkeit fesseln und Lernaktivitäten anstoßen.
Nicht immer und jedem gelingt dies, was ein alter Schülervers bezeugt: „Wenn alle schlafen, einer spricht, so
nennt man dieses Unterricht.“
Vorzeigen Beim Vorzeigen (Folien, Lehrbuch) wird der optische Informationskanal genutzt. Wahrnehmung und
Vorstellung liegen nahe beieinander. Die Aufmerksamkeit wird durch Zeigen, durch Vorgaben (z.B. von außen
nach innen betrachten) oder durch Aufgaben (z.B. worin unterscheiden sich die beiden Bilder?) gelenkt.
Vorführen Beim Vorführen werden Abläufe optisch veranschaulicht. Die Schüler können die Informationsflut nur durch
Beobachtungsaufträge bewältigen. Eine Filmvorführung ohne Beobachtungsauftrag ist meist für den Unterricht
wertlos.
Vormachen Die uralte erfolgreiche Lernfolge Vormachen-Nachmachen-Üben sollte zu folgender Organisationskette
erweitert werden: Aufgabenstellung - Gliederung in Einzelschritte - Vormachen - Nachmachen - Prüfen und
Werten des Ergebnisses. Der Lehrer muss beim Vormachen die Handlungen sicher beherrschen.
Entwickelnder Unterricht
Der Lehrer steuert laufend die geplante Schüleraktivität, z.B. Unterrichtsgespräch, impulsgesteuerter Unterricht,
Diskussion, Wettbewerb, Spiel, Hausaufgaben..
Frage Die Lehrfrage zeigt zunächst eine Lernlücke auf, die den Schwierigkeitsgrad kennzeichnet. Sie enthält
Informationen als Grundlage der Antwort und eine Richtung, in der die Antwort erwartet wird. Am geeignetsten
erscheinen schlussfolgernde Fragen, wie „Was folgt daraus? u. ä. .
Impuls Lernimpulse liefern lediglich Lernanstöße. Sie enthalten im Vergleich mit der Frage nur Informationen und
Richtung. Die geringere Organisationsdichte führt zu selbständigeren Denken und Handeln der Schüler aber
auch zu größeren Streuungen.
Gespräch / Diskussion Zunächst wird eine Gesprächsspannung durch eine Informationsfrage (Informationsgespräch) oder eine
überspitzte Behauptung (Streitgespräch)erzeugt. Anschließend berichten oder argumentieren die Schüler
während des Gesprächsverlaufs. Schließlich fasst der Lehrer, bzw. der Diskussionsleiter das Ergebnis
zusammen (Gesprächsertrag).
37s. Bach 1963
37
Aufgebender Unterricht
Nachdem der Lehrer die Aufgaben gestellt hat, hält er sich im Hintergrund, er hilft gelegentlich und überwacht
die selbständigen Schüleraktivitäten (Leittexte, Projekt, Freiarbeit...)
Arbeitsauftrag Der Arbeitsauftrag meint eine kleine, eng begrenzte, deutlich erteilte, sicher absehbare Lernarbeit [Reinhardt,
1994, S. 89]38. Er besteht aus der Zielangabe (Notiert alle körperlichen Anforderungen...), einer
Arbeitsgrundlage (z.B. Blätter zur Berufskunde), der Arbeitsanweisung (z.B. der Reihe nach..), einer
Arbeitshilfe (z.B. am besten mit Einmerkzetteln..) und Angaben zur Leistungskontrolle (z.B. möglichst viele
unterschiedliche Anforderungen..).
Projektorientierter Unterricht Der projektorientierte Unterricht ähnelt dem Projekt, enthält aber nicht alle Merkmale von Projekten. (s.
Projekt/Vorhaben)
Unterrichtsverfahren In Arbeitslehre werden häufig folgende Unterrichtsverfahren eingesetzt:
Betriebserkundung / Betriebspraktikum
Bei der Erkundung verlassen die Lernenden den Lernort Unterrichtssaal, um sich vor Ort nach eigener
Anschauung und im unmittelbaren Kontakt mit Menschen und Gegenstand über Sachverhalte zu informieren, die
in der Regel außerhalb ihres Lebens- und Erfahrungsbereiches liegen.
Brainstorming
„Latent im Gedächtnis enthaltene Vorstellungen zu einem Problem sollen durch aktuelle Stimuli aus dem
Gedächtnis aktiviert und mit dem Stimulus verknüpft (assoziiert) werden. Durch die (auch unkonventionelle)
Verbindung von Vorstellungen und Stimuli erhofft man sich neuartige Lösungswege für spezifische Probleme."39
"Der Einzelne erlebt seine eigene Ideenkapazität, die sonst kaum aktualisiert wird."40
Experteninterview
Das Experteninterview ist eine ermittelnde Befragung, bei der sich die Befragungsperson durch einschlägiges
Wissen auszeichnet und Zielobjekt der Informationsbeschaffung ist.
Pro- und Contra- Debatte
In einer Pro- und Contra- Debatte tauschen zwei Gruppen ihre Argumente für und gegen einen problematischen
Sachverhalt oder eine umstrittene Meinung nach festgelegten Spielregeln aus. Eine dritte Gruppe, die Jury,
bewertet den Verlauf der Debatte und vergleicht die entgegengesetzte Standpunkte vertretenden Gruppen.
Fallmethode
Die Fallstudie ist eine methodische Entscheidungsübung aufgrund selbständiger Gruppendiskussionen am realen
Beispiel einer konkreten Situation. Die Schüler suchen für einen problembehafteten, realen Fall in Gruppenarbeit
Lösungsmöglichkeiten und vergleichen ihre Ergebnisse mit den tatsächlichen Entscheidungen.
Simulationsspiel
Simulationsspiele repräsentieren komplexe und/oder schwer zugängliche Zusammenhänge und Prozesse in
inhaltlich reduzierter und zeitlich meist geraffter Form in einem Modell, das eine aktive Auseinandersetzung der
Schüler mit dem jeweiligen Lerngegenstand ermöglicht.
Rollenspiel
Das Rollenspiel ist ein Verfahren, das in simulierter Form Situationen aus dem Alltäglichen oder Fiktiven
darstellt, die entweder aus dem Erfahrungsbereich der Beteiligten stammen oder für sie erfahrungsvorbereitend
sind, somit die Interaktionsfähigkeit der Beteiligten anspricht bzw. fördern soll. (Varianten: Theaterspiel,
Psychodrama, Planspiel, Stegreifspiele, Rollengespräche)
Projekt - Vorhaben
Die Projektmethode sieht die weitgehend freie Wahl des Projektes durch die Schüler vor; eigene Planung und
eigene Durchführung; der Lehrer soll möglichst in den Hintergrund treten.
u.v.m (Zukunftswerkstatt, Schüler-Firma, Leittexte …)
38 Reinhardt: Grundlagen des Lernens. Winklers, Darmstadt 1994, S.89 39Modick, H.: Brainstorming. In a+l Nr. 10-10a/2.Jahrg./Juli,August 1980, S. 14 40Sader, M. u.a. : Kleine Fibel zum Hochschulunterricht. Beck, München 1970, S. 167
38
Tabelle 12: Methoden im LehrplanPlus
Jahrgangsstufe Lernbereich Methode/ Unterrichtsverfahren 5 1 Projekt Projektspezifische Arbeitsweisen (Planen, Durchführen,
Dokumentieren, Präsentieren, Reflektieren)
2 Arbeit Arbeitsplatzerkundung
3 Berufsorientierung
4 Wirtschaft
5 Recht Fallbeispiele (Fallstudie)
6 Technik Objektbetrachtung
6 1 Projekt Projektspezifische Arbeitsweisen (Planen, Durchführen,
Dokumentieren, Präsentieren, Reflektieren)
2 Arbeit Arbeitsplatzerkundung
3 Berufsorientierung Selbst- und Fremdeinschätzung
4 Wirtschaft
5 Recht Fallbeispiele (Fallstudie)
6 Technik Technikerkundung, Expertengespräche
7 1 Projekt Projektspezifische Arbeitsweisen Projekt
Leittexte
2 Arbeit Zugangserkundung
M: Leittextmethode
3 Berufsorientierung Berufswahlportfolio
Selbst- und Fremdeinschätzung
4 Wirtschaft (Pausenverkauf)
Markterkundung
M: Leittext
5 Recht
6 Technik Technikerkundung
8 1 Projekt Projektspezifische Arbeitsweisen
Projekt
Leittextmethode
2 Berufsorientierung Mind. 2 einwöchige Betriebspraktika (M: einwöchig)
Berufswahlportfolio
Vorstellungsgespräch (Rollenspiel)
3 Wirtschaft Betriebserkundungen
Projekt (Handel mit Gütern oder Dienstleistungen)
4 Recht
5 Technik Betriebserkundung
Betriebspraktikum
9 1 Projekt Projektspezifische Arbeitsweisen
Projekt
Leittextmethode
2 Arbeit
3 Berufsorientierung Berufswahlportfolio
M: einwöchiges Betriebspraktikum
4 Wirtschaft Betriebserkundung (Gruppenerkundung)
5 Recht Fallbeispiele (Fallstudie)
6 Technik Projekt (Wohnen oder Testen von Waren oder Dienstleistungen)
M 10 1 Projekt M: Projekt, Leittextmethode, Planspiel, Schülerfirma
2 Berufsorientierung M: Berufswahlportfolio
M: Vorstellungsgespräch (Rollenspiel)
3 Wirtschaft (Börsenspiel)
4 Recht
5 Technik
Lernzielkontrollen
Allgemein gilt, dass Lernerfolgskontrollen als Erfolgssicherung der vermittelten Inhalte des Unterrichts dienen.
Durch diese Rückmeldung lässt sich der Unterricht optimieren. Eine weitere Verwendung finden sie bei den
Schülerbeurteilungen. Dabei unterscheidet man zwischen Art und Form von Lernerfolgskontrollen.
Sowohl Schüler, Eltern und Betriebe haben Anspruch auf Rückmeldungen von Seiten des Lehrers, wobei diese
Information bei den Schülern lernmotivierend wirken soll.
39
Unterrichtsverfahren Die sach- und schülerorientierten Ziele des Unterrichtsfaches Arbeitslehre verlangen fachspezifische
Unterrichtsverfahren. Im Fachprofil werden Betriebserkundungen, Betriebspraktika, Simulationsmethoden, wie
Fallstudien, Rollen- und Planspiele, sowie Projektarbeit hervorgehoben. Die wichtigsten Verfahren werden im
Folgenden skizziert.
Die Betriebserkundung
Definition und Abgrenzung
Nach Klafki bedeutet Erkunden „...unter bestimmten Fragestellungen in methodisch durchdachter Form in
einem bestimmten Wirklichkeitsbereich Informationen einholen, um anschließend mit Hilfe der so gewonnenen
Informationen jene Ausgangsfragen beantworten und die Teilantworten zu einem (kleineren oder größeren)
Erkenntniszusammenhang weiterentwickeln zu können.“ [Klafki, 197941] Klebel konkretisiert für die Schule:
„Unter Erkundung verstehen wir didaktisch die bildende Begegnung der Schüler mit der Berufs- und
Arbeitswelt. Bildende Begegnung ist im Sinne H. Roth’s eine ‘originale Begegnung’“. [Klebel, 1972, S. 14]42
Verfahren zum Kennenlernen betrieblicher Realität
„Die Betriebsbesichtigung hat die Vermittlung eines Gesamteindruckes zum Ziel. In die Besichtigung ist der
Betrieb als Ganzes oder zumindest mit den Abteilungen einbezogen, auf deren Vorstellung der Betrieb selbst
Wert legt. Dem einzelnen Besucher bleibt es aufgrund seiner eigenen Wahrnehmungsstruktur überlassen,
welchen Gegenständen oder Vorgängen er im Einzelnen seine Aufmerksamkeit zuwenden will.
Der Betriebsdurchgang kann als erste Stufe einer Didaktisierung des Realkontaktes durch den Betrieb
bezeichnet werden. Wie bei der Betriebsbesichtigung wird auch hier der Gesamtbetrieb als konturierte Gestalt
vorgestellt. In den Einzelbereichen erfolgt jedoch eine gezielte Auswahl von Gegenständen oder Vorgängen, die
zumeist die spezifische Leistung oder den spezifischen Leistungserstellungsprozess - im Unterschied etwa zu
anderen Betrieben - darstellen.
Die Betriebserkundung als Aspekterkundung zielt ab auf die Kenntnisnahme eines bestimmten ausgewählten
Gegenstandes, Vorganges oder Teilprozesses an einer konkret angegebenen Stelle im Betrieb.
Die Betriebserkundung als Gesamterkundung erlaubt die Verbindung der in Aspekterkundungen näher
analysierten und fixierten Einzelelemente zum Betriebsganzen. Hier erfolgt ein Durchgang durch den Betrieb.
Die Betriebsbegehung beabsichtigt die vergleichende Kenntnisnahme bestimmter Betriebselemente unter
übergeordnetem Gesichtspunkt. Bei der Begehung erfolgt eine kritische Bestandsaufnahme vergleichbarer
Gegenstände, Vorgänge oder Teilprozesse.
Das Betriebspraktikum ist gerichtet auf die Auseinandersetzung des Praktikanten mit einer praktischen
Aufgabenstellung innerhalb eines durch Berufs- und Arbeitsteilung bestimmten, unter technisch-ökonomischen
und sozial-gesellschaftlichen Bedingungen erfolgenden Leistungserstellungsprozesses. Der Praktikant wird über
einen längeren Zeitraum selbst tätig.
Das Betriebspraktikum als Orientierungspraktikum ist gerichtet auf die Auseinandersetzung des
Praktikanten mit mehreren praktischen Aufgabenstellungen an einem Arbeitsplatz oder an mehreren
Arbeitsplätzen und/oder in mehreren Betrieben oder Wirtschaftsbereichen.
Das Betriebspraktikum als Erprobungspraktikum ist gerichtet auf die Auseinandersetzung des Praktikanten
mit praktischen Aufgabenstellungen, die dem Arbeitsfeld eines bestimmten Berufes entnommen sind, den der
Praktikant für sich selbst als möglichen oder gewünschten Eingangsberuf benannt hat.
Das Betriebspraktikum als Kontrastpraktikum ist gerichtet auf die Auseinandersetzung des Praktikanten mit
Aufgabenstellungen aus Berufsfeldern und betrieblichen Arbeitstätigkeiten, die mit dem gewünschten oder
ausgeübten Beruf oder der gewünschten oder ausgeübten Arbeitstätigkeit kontrastieren“43.
41Klafki, W.: Unterrichtsbeispiele der Hinführung zur Wirtschafts- und Arbeitswelt. August Bagel
Verlag, Düsseldorf 1970 42Klebel, H., Horner, A.: Die Betriebserkundung im Unterricht der Hauptschule. Auer Verlag, 1972 43 Platte, H.K.: Lernen vor Ort, Grundlagenband, Bonn-Bad Godesberg, 1986, S. 11
40
Zielsetzung
Hofer definiert die Ziele allgemein wie folgt:
„Die Erkundung in der Arbeitslehre zielt auf systematisches Einholen von Informationen über klar abgegrenzte
Sachverhalte oder Bereiche in Betrieben sowie anderen Einrichtungen der Wirtschaft und auf die gründliche
Analyse dieser Informationen in einem organisierten Lernprozeß ab."44
Klebel nennt die gedankliche Durchdringung der erlebten Realität das zentrale Ziel der Betriebserkundung.
Daneben spezifiziert er folgende Ziele:
- Einsichten, Kenntnisse und Fertigkeiten im technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen
Bereich ermöglichen;
- neue Impulse zur Mitarbeit im schulischen Unterricht geben;
- Hilfen für die Wahl eines Einstiegsberufs aufzeigen, d.h. auf die Berufswahl vorbereiten.45
Die Betriebserkundung verschafft dem Schüler einen praxisnahen Einblick in die komplexen Strukturen der
Arbeits- und Wirtschaftswelt. Erst auf diese praktische, außerschulische Weise wird Schülern die Arbeits- und
Berufswelt durchschaubarer, nachvollziehbarer und letztlich einsehbarer, auch wenn es sich bei
Betriebserkundungen nur um ausschnitthafte, dafür aber realitätsnahe Wahrnehmungen (Eindrücke) handelt.
Lehrplan
Fachprofil:
.. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler besonders in grundlegenden und fachspezifischen Methoden bzw.
Arbeitstechniken wie Beobachten, Befragen, Interviewen, Beschreiben, Auswerten und Erkunden geschult.
Somit legt das Fach Wirtschaft und Beruf die Basis für ein Methodencurriculum an der Mittelschule. Der Blick
auf den eigenen Lebensbereich der Schülerinnen und Schüler wird geschärft und inhaltlich kontinuierlich
weitergeführt
.. Von der Begriffsbildung „Arbeit“ in der Jahrgangsstufe 5 ausgehend werden relevante Arbeitsplatzmerkmale
reflektiert, an Arbeitsorten in der Schule, zu Hause sowie im Betrieb erkundet und mit den persönlichen
beruflichen Perspektiven verglichen, sodass am Ende der Schulzeit eine fundierte Berufswahl möglich ist. In
Jahrgangsstufe 8 der Regelklassen sowie in Jahrgangsstufe 9 der Mittlere-Reife-Klassen wird der Schwerpunkt
berufliche Orientierung mit den Makromethoden Betriebserkundung, Betriebspraktikum und Projekt gesetzt.
Zusammenarbeit mit externen Partnern findet in vielfältiger Weise statt.
Anwendungen
Folgende Erkundungen sind im Lehrplan verankert:
WiB 5 LB Arbeit - Arbeitsplatzerkundung in der Schule
WiB 6 LB Arbeit - Arbeitsplatzerkundung im privaten Haushalt
WiB 6 LB Technik - Technikerkundung
WiB 7 LB Arbeit - Zugangserkundung eines betrieblichen Arbeitsplatzes
WiB 7 LB Wirtschaft - Markterkundung
WiB 8 LB Wirtschaft und Technik - Betriebserkundungen
WiB 9 LB Wirtschaft - Betriebserkundung im Betrieb (Gruppenerkundung)
Didaktische Aufbereitung
Erkundungen erfordern vom Lehrer eine umfangreiche unterrichtliche Vorbereitung, eine geplante Durchführung
und Nachbereitung (dagegen ist eine Betriebsbesichtigung eine eher zufällige Einzelmaßnahme). Die curriculare
Anordnung lässt dem Lehrer Freiraum, um regionale und schülergerechte Schwerpunkte zu treffen.
Didaktische Grundsätze Folgende Grundsätze sollen beachtet werden:
Intensive Vor- und Nachbereitung
Aufgrund detaillierter theoretischer Vorinformationen durch den Lehrer sollten die Schüler
Erkundungsstrategien entwickeln, um gezielte Realerfahrungen zu erreichen. Die Erfolgssicherung und
Auswertung nach der Erkundung liefert Strukturen und Wertungen des Erlebten.
44 Hoffer, J.: Erkundung/Betriebserkundung. In: Kolb, G., (Hrsg.): Methode der Arbeits-, Wirtschafts-
und Gesellschaftslehre. Praktische Beispiele für Unterrichtsverfahren. Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, 1987, S. 64
45Klebel, 1972, a. a. O.
41
Selbsttätigkeit
Die Schüler sollen z.B. an der Feinzielformulierung beteiligt sein und mit dem Erkundungskatalog selbständig
und situationsgerecht umgehen können. Instrumentale Fähigkeiten, wie Fotografieren, Interviewen und
Protokollieren müssen vorher geübt werden.
Aspekterkundung
Der Lehrplan erfordert eine aspektorientierte Erkundung, um die Schüler nicht zu überfordern und um die
Effektivität zu erhöhen.
Kooperation
Schulintern
Zusammenarbeit in der Schule durch fächerübergreifende Vorbereitung, besonders mit den arbeitspraktischen
Fächern.
Grundsatz des Exemplarischen
Am Beispiel eines konkreten Betriebes werden gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge erhellt. Die Schüler
sollen das wirtschaftliche Prinzip erkennen. „Durch die Veranschaulichung am konkreten Beispiel ist vom
entwicklungspsychologischen Ansatz her berücksichtigt, dass der Hauptschüler seine Aufgaben vorwiegend nach
situations- und zweckgebundenen Denkkategorien angehen lernt, bevor mit Hilfe abstrakter Denkleistungen
übergreifende Zusammenhänge erfasst werden können.“ [Klebel, 1972, S. 19]
Einordnung in den Kontext des Arbeitslehreunterrichts
Mit Erkundungen können Fragen und Probleme der Projektarbeit geklärt werden.
Didaktische Transformation
„Der Sachverhalt soll im Sinne der didaktischen Transformation einen gezielten Ausschnitt der Realität
wiedergeben, ohne diesen zu verfälschen.“ [Klebel, 1972, S. 22ff].
Didaktisches Strukturmodell der Betriebserkundung
Das Strukturmodell liefert eine Anleitung zur Gestaltung einer Betriebserkundung. [Klebel, 1972, S. 30ff]
Folgende Phasen werden unterschieden:
Phase der Lernzielplanung Die Richtziele aus dem Lehrplan entnehmen und Grobziele entsprechend den zu erkundenden
Wirtschaftsbereichen formulieren. Die Feinziele sollen mit detailliertem Wissen über die spezifizierten Betriebe
erstellt werden.
Phase der Orientierung Durch frühzeitige Kontaktaufnahme mit dem Betrieb können die Feinziele auf die betrieblichen Gegebenheiten
abgestimmt werden. Repräsentative Einzelbereiche werden abgesprochen und Vorinformationen gesammelt.
Fragen zum zeitlichen Ablauf und Verhaltensregeln können geklärt werden.
Vorbereitungsphase Der Lehrer achtet auf die sachrichtige Vereinfachung der Informationsfülle, z. B. dass wesentliche Inhalte eines
Berufsbildes oder des Produktionsprozesses dargestellt werden. Unterstützend können Medien oder Pläne des
Betriebes (Produktionsstätten, Materialflussplan, Schema der Organisationsstruktur, Unterlagen der Arbeitsämter
usw.) eingesetzt werden. Die Feinziele sind vom Einfachen zum Komplexen in sachlogischer Reihenfolge
anzuordnen. Der Lehrer muss das Hintergrundwissen seiner Schüler kennen. Die Vorbereitung der Schüler
richtet sich auf die Instruierung der Mitarbeiter, die mit den Zielen der Erkundung vertraut gemacht werden und
bereit sein sollen, den Schülern Informationen weiterzugeben.
Die Schüler werden in dieser Phase über den Betrieb unterrichtet, sie lernen die wichtigsten Räumlichkeiten,
Verfahren, Arbeitsabläufe usw. vorab kennen. Die Verlaufsplanung und der Erkundungsbogen, der kurze
sachliche Fragen enthält, die sich auf die Interessen der Schüler beziehen und unter verschiedenen Aspekten
aufgegliedert sind, werden erstellt und Interviews, Fotografieren und Protokollieren geübt.
Erkundungsphase Man unterscheidet verschiedene Formen der Erkundung:
Grundform I:
Betrieb wird von der ganzen Klasse besucht. Gefahr der Betriebsbesichtigung!
Grundform II:
Die Klasse erkundet gemeinsam, trennt sich aber in Gruppen, die verschiedene Erkundungsaufträge erhalten. Die
Aufträge sind nach Aspekten gegliedert.
Grundform III:
Zu Beginn und am Ende wird gemeinsam erkundet. Dazwischen wird die Klasse geteilt und erkundet
aspektorientiert.
42
Grundform VI:
Ausschließliche Gruppenerkundung, z. B. Ergänzungserkundung. Die Gruppe arbeitet selbständig.
Verarbeitungsphase Die Ergebnisse werden z. B. an der Tafel zusammengefasst, grafisch veranschaulicht und im Heft festgehalten.
Es bietet sich an, eine Arbeitsmappe erstellen zu lassen. Eventuell aufgetretene Verständnisschwierigkeiten
müssen geklärt werden. Möglicherweise kann ein Fachmann aus dem Betrieb eingeladen werden.
Ergebnissicherung Die gewonnenen Ergebnisse sollen hinsichtlich weiterer Erkundungen ausgewertet werden (Manöverkritik). In
Arbeitsmappen kann das Ergebnis auch für Dritte (Schulausstellung) anschaulich aufbereitet werden. Die
Erkundungsbögen mit den beantworteten Fragen sollten unbedingt enthalten sein. Gut geeignet sind auch
Presseberichte in einer Schülerzeitung oder in der Lokalpresse.
Literatur zur Betriebserkundung
Gmelch, Andreas, R. Dörfler: Praxis 5 Arbeit-Wirtschaft-Technik, Hauptschule Bayern, Lehrerband
mit Kopiervorlagen. Westermann, Braunschweig 2004
Hofer, J.: Erkundung/Betriebserkundung. In: Kolb, G. (Hrsg.):Methoden der Arbeits-, Wirtschafts- u.
Gesellschaftslehre. Praktische Beispiele für Unterrichtsverfahren. Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn 1978,
S.64 ff..
Horner, A./Klebel, H.: Die Betriebserkundung im Unterricht der Hauptschule . Eine didaktische Grundle-
gung. Auer-Verlag, Donauwörth 1972.
Wilkening, F.: Unterrichtsverfahren im Lernbereich Arbeit und Technik. Otto Maier Verlag, Ravensburg
1980, S.180 ff..
43
Das Betriebspraktikum
Definition Beim Betriebspraktikum verlassen die Lernenden den Lernort Unterrichtssaal, um sich vor Ort nach eigener
Anschauung und im unmittelbaren Kontakt mit Menschen und Gegenstand über Sachverhalte zu informieren, die
in der Regel außerhalb ihres Lebens- und Erfahrungsbereiches liegen.
Das Schülerpraktikum ist ein Unterrichtsverfahren, welches den Übergang von der Schule in das Berufsleben
erleichtern und optimieren soll. (vgl. Beck/ Ipfling/Kupser) 45
Es sollen erste Einsichten in grundlegende ökonomische, sozial- und berufskundliche Phänomene der Arbeits-
und Wirtschaftswelt vermittelt werden. (vgl. Kaiser 46)
„Der junge Mensch, der sich Bildende, verläßt zeitweilig den Schonraum der Schule und stellt sich der
Ernsterfahrung, dem Engagement, der Verantwortung, der Bewährung; er kehrt dann wieder in den umhegten
Raum der Schule zurück, deren Aufgabe in dieser Hinsicht… in der strengen Reflexion auf die Erfahrung, in der
Beantwortung der im Engagement erwachten Fragen und in der Transposition der hier zu gewinnenden
Einsichten auf andere und weitere Zusammenhänge und Verpflichtungen besteht“ (W.Klafki47)
Bedeutung
"Das Schülerbetriebspraktikum bietet die Möglichkeit, die Berufs- und Arbeitswelt unmittelbar kennenzulernen
und die Schüler mit ihrer sozialen Wirklichkeit vertraut zu machen.
Diese Erfahrungen - im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit der Wirtschafts- und Arbeitswelt - sind
auch hilfreich für die Berufswahl. Sie können dazu beitragen, daß Schülerinnen und Schüler ihre Eignung für
bestimmte Tätigkeiten zutreffender einschätzen, so daß sie ihre bisherigen Berufsvorstellungen besser beurteilen
und gegebenenfalls Alternativen entwickeln. Praktika geben darüber hinaus oft positive Impulse für das
schulische Weiterlernen, z.B. für das Erreichen eines Abschlusses." [KM NRW]48
Vergleicht man in der Fachliteratur die Zielsetzungen für das Betriebspraktikum, so herrscht Übereinstimmung
bei den Autoren darüber, dass es als ein Unterrichtsverfahren unter mehreren in den gesamten
Arbeitslehreunterricht integriert sein muss, um dem hohen Stellenwert, der ihm als Mittel zur realen Begegnung
mit der Arbeitswelt zugeschrieben wird, gerecht zu werden [Beck, 1984, S.23; 15, S.37]49.
Einordnung im Lehrplan Praktika sind im LehrplanPlus verpflichtend vorgeschrieben für WiB R8 LB Berufsorientierung – mindestens
zwei einwöchige Betriebspraktika in einem Ausbildungsbetrieb sowie WiB M8 LB Berufsorientierung und WiB
M9 LB Berufsorientierung je ein einwöchiges Betriebspraktikum.
Lehrplan PLUS
R8: Die Schülerinnen und Schüler ...
• erproben in zwei jeweils mindestens einwöchigen Betriebspraktika unter Anleitung berufliche Tätigkeiten,
überprüfen dabei ihren persönlichen Berufswunsch und halten mit geeigneten Mitteln gemachte Erfahrungen
und Beobachtungen fest.
• dokumentieren und präsentieren ihre Beobachtungen und Tätigkeiten im Betriebspraktikum, das sie
inhaltlich und organisatorisch vor- und nachbereiten, und beziehen die gemachten Erfahrungen in ihren
persönlichen Berufswahlprozess ein.
Psychologische Grundlegung
Der kognitive Konflikt "Kognitive Schemata" müssen durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt ständig eingesetzt, angepaßt oder
verändert werden. Die Veränderung von kognitiven Schemata nennt man "Lernen" [Gmelch, 198750, S.200ff].
46 Franz-Joseph Kaiser: Arbeitslehre: Materialien zu einer didaktischen Theorie der vorberuflichen Erziehung;
Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1971
47 W. Klafki aus seinem Aufsatz „Engagement und Reflexion im Bildungsprozeß“; 344; 363f.
48Schülerbetriebspraktikum in der Sekundarstufe 1, RdErl. des Kultusministers vom 26.5.1987 (GABl.
NW. S. 320) des Landes Nordrhein-Westfalen. 49Beck H./Ipfling/Kupser (Hrsg.), Das Betriebspraktikum für Schüler und Lehrer, Verlag Julius
Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1984 50Andreas Gmelch, Erfahrungs- und handlungsorientiertes Lernen, Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt
1987
44
Bei der Veränderung eines Schemas werden meist auch benachbarte Schemata betroffen, d.h. die Stimmigkeit
der kognitiven Struktur wird gestört.
Nach Piaget ist das leitende Prinzip für das Handeln einer Person, die Stimmigkeit der kognitiven Struktur
aufrechtzuerhalten, bzw. wieder herzustellen. Unstimmigkeit wird erlebt, wenn z.B. eine Umweltinformation der
Erwartung widerspricht. Es entsteht ein kognitiver Konflikt. Jedes Individuum wendet sich der Lösung eines
kognitiven Konfliktes mit unterschiedlicher Ausdauer und Intensität zu, je nach der Bedeutsamkeit, die es dem
betroffenen Schema beimisst.
Zudem sagt die Reaktanztheorie aus, dass ein Mensch stets bemüht ist, seine persönliche Entscheidungsfreiheit
wieder herzustellen, wenn er sie bedroht sieht. Das bedeutet, dass von außen kommende Überredungstaktiken
(z.B. durch den Lehrer) nicht soviel bewirken können, wie das Gefühl, selbst entscheiden zu können.
Für den Unterricht folgt daraus, dass den Schülern ermöglicht werden muss, sich selbst zu entscheiden -
möglichst gemäß dem Ziel des Lehrers.
Das "Tun einer Sache" Lernen im Sinne einer Differenzierung und Ausweitung der kognitiven Struktur ist nur dann effektiv, wenn
innerhalb eines Individuums eine bestimmte Stufenfolge durchlaufen wird:
1. "Tun einer Sache"
Darunter versteht Aebli nicht nur das manuelle Tätigsein, sondern ebenso die
Erfahrungsmöglichkeiten, die durch die Wahrnehmungsorgane gegeben sind [Aebli, 197651, S.103ff).
2. Erfahrung durch eine bildliche Darstellung oder die Verwendung des entsprechenden sprachlichen
Zeichens veranschaulichen [Gmelch, 1984, S.213].
3. Sprachliche Darstellungen der Stufe 2 wieder konkretisieren.
Die Konkretisierung der psychologischen Stufenfolge des Lernprozesses ist eine Vereinfachung, doch kann sie
Denkanstöße zur Aufbereitung der Lernziele des Betriebspraktikums geben [Heegen, 1984, S.12 ff]52.
Grundsätzliche Folgerungen für das Betriebspraktikum
Grundsatz der Freiwilligkeit
Eine entscheidende Bedingungsvariable für den Ablauf effektiver Lernprozesse ist das Maß an persönlicher
Freiheit, das ein Individuum bei der Durchführung einer Handlung empfindet (Heegen, 1984, S.14ff).
Freiwilligkeit ist eine entscheidende Komponente für den Aktivierungsgrad der Jugendlichen. Für den Schüler
ist dabei wichtig, daß man ihm Vertrauen zur eigenen Problemlösungsfähigkeit entgegenbringt: Schüler können
beispielsweise selbständig Praktikumsplätze besorgen, Arbeitszeiten oder Kleidungsvorschriften erkunden.
Grundsatz der Aktivierung durch originale Begegnung
Selbsttätigkeit besitzt den höchsten Aktivierungsgrad und kann damit einen optimalen Lernerfolg hervorrufen.
Der Fachmann im Betrieb, der die Handlungsabläufe beherrscht, meint manchmal, daß eine sprachliche
Erklärung das praktische Tun ersetzen kann. In diesem Fall fehlt jedoch, lernpsychologisch gesehen, die erste
und wichtigste Stufe: das Handeln. Deshalb sollte man als Praktikumslehrer versuchen, den Betreuern im Betrieb
die Bedeutung des Selbsttätigwerdens der Schüler als Bestandteil des Lernprozesses zu verdeutlichen: Dem Tun
muß ein möglichst breiter Raum zugewiesen werden. Verbale Detail- und Zusammenhangserläuterungen sollten
auf das Notwendigste beschränkt bleiben.
Grundsatz der Passung
Die Verschiedenheit regionaler wirtschaftlicher Strukturen und der einzelnen Schulklassen lassen eine optimale
Passung nicht zu. Um jedoch ein möglichst hohes Maß an Angemessenheit zu erreichen, sollten die Lehrer drei
wesentliche Aspekte der optimalen Passung berücksichtigen:
Bei der geistigen Passung sollte der Lehrer das Abstraktionsniveau und die Begabungsschwerpunkte der
einzelnen Schüler in allen Phasen des Betriebspraktikums im Auge behalten.
Bei der Berücksichtigung der körperlichen Passung denkt der Lehrer auch an Schüler, die in der Schule
motorisch unterfordert sind und deshalb oft durch abweichendes Verhalten auffallen.
Ein dritter Gesichtspunkt ist die emotionale und soziale Passung: In jeder Klasse gibt es ängstliche, aber auch
vorlaute Schüler. Hat der Lehrer Einblick in betriebliche Sozialstrukturen, so kann er auch hier einen wichtigen
Beitrag zum erfolgreichen Ablauf des Praktikums leisten, indem er die Persönlichkeitsstruktur der Schüler bei
der Verteilung der Praktikumsplätze berücksichtigt.
Ziele
Richtlinien für das Betriebspraktikum Erfahrungen vor Ort sollen die Hinführung zur Arbeits- und Wirtschaftswelt unterstützen und Hilfe bei der
Berufswahl leisten.
51Hans Aebli, Grundformen des Lehrens, Stuttgart 1976 52Heegen, Franz, Rogler, Rolf: Betriebspraktikum konkret. Auer Verlag Donauwörth 1984
45
Bereits im Unterricht gewonnene Kenntnisse und Einsichten sollen überprüft, vertieft und ergänzt werden.
Eigenes Tätigwerden, Erleben und gezieltes Beobachten, sowie das Sammeln von Informationen sollen dem
Schüler Erfahrungen über das berufliche Leben vermitteln (z.B. praktisches Erfahren beruflicher
Grundtätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz, Erfahren des Betriebes als Sozialgebilde).
Der Schüler soll am Arbeitsplatz exemplarisch die Anforderungen einzelner Berufe eines Berufsfeldes
kennenlernen (z.B. Erleben körperlicher, geistiger und charakterlicher Anforderungen im Rahmen eines
Berufes ).
Der Schüler soll seine Vorstellungen von einem Beruf und seine Eignung hinsichtlich der eigenen
Berufswahl an der Wirklichkeit überprüfen.
Aspektorientierung bei der Zielsetzung des Betriebspraktikums Die Komplexität der modernen Arbeits- und Berufswelt und der Betriebsstrukturen macht eine Akzentuierung
des Betriebspraktikums notwendig. In der Fachliteratur haben deshalb die Autoren, wie z.B. Kupser (1984),
Ipfling et al. (1984), Kolb (1983) und Gattermann (1974) die oben genannten Lernziele nach Aspekten geordnet.
Sie unterscheiden den sozialen, den funktionalen (technisch-ökonomischen) und den berufskundlichen
Aspekt.
Lernziele unter berufsorientierendem Aspekt
Die Schüler sollen selbständig praktische Erfahrungen an einem konkreten Arbeits- /Ausbildungsplatz
sammeln.
Der Schüler soll berufstypische Tätigkeiten erproben. Im Service soll er Bestellungen aufnehmen, den
Tisch richtig decken, Speisen und Getränke servieren etc.
Die Schüler sollen berufstypische Anforderungen erfahren. Der Schüler soll körperliche, geistige und
charakterliche Anforderungen dieses Berufes erleben: körperliche Robustheit, anstrengende
Arbeitshaltung, Arbeit im Freien, Sorgfalt bei der Arbeit.
Die Schüler sollen ihre berufliche Selbsteinschätzungsfähigkeit durch Vergleichen der eigenen Leistung
mit den beruflichen Tätigkeitsmerkmalen und Anforderungen von Berufen verbessern. Der Schüler soll
seine beruflichen Wünsche und Vorstellungen überprüfen: "Besitze ich genügend handwerkliches
Geschick, um diesen Beruf erlernen zu können?"
Die Schüler sollen (soweit möglich) die berufliche und betriebliche Ernstsituation erleben.
Die Schüler sollen sich über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten einzelner Berufe informieren
(Köppl, 198653, S.40ff; 18, S.25ff; 17, S.27f). (Befragung des Betriebsrats, der Mitarbeiter etc.)
Lernziele unter dem sozialen Aspekt
Das Erfahren des Betriebes als Sozialgefüge steht im Zentrum der Lernziele unter sozialem Aspekt.
Die Schüler sollen hier zum Beispiel erkennen, daß in der heutigen Zeit Teamarbeit notwendig ist und daß es
verschiedene Formen der Zusammenarbeit gibt.
Weitere Lerninhalte nehmen beispielsweise auf Jugendarbeitsschutz, Arbeitsschutz, Arbeitsbelastungen,
Betriebsklima, die Mitbestimmung oder auch die Bewertung von Arbeitstugenden Bezug.
Lernziele unter funktionalem Aspekt
Unter diesem Aspekt werden Lerninhalte zusammengefasst, die sich mit der Organisation eines Betriebes und
seiner Stellung innerhalb der Gesamtwirtschaft auseinandersetzen.
Mögliche Lerninhalte sind die Beschreibung und Einordnung eines Betriebs in den betreffenden
Wirtschaftszweig, seine Organisationsstruktur, verschiedene Produktionsverfahren und Fertigungsverfahren,
Arbeitsplätze im Betrieb, Maschineneinsatz, sowie Sicherheitsbestimmungen.
Die Schüler sollen zum Beispiel einen ersten Einblick in einen Handwerksbetrieb erhalten, verschiedene
Fertigungsverfahren beobachten und wichtige Werkzeuge und Maschinen des Betriebs nennen bzw. beschreiben
können.
Organisationsformen
Man unterscheidet Stunden-, Tages- und Blockpraktikum (Gattermann, 197454, S.29). Eine Wiederholung des
Zeitraums, der die Einteilung bestimmt, ist durchaus üblich. So versteht man z.B. unter einem Tagespraktikum
auch ein Praktikum, bei dem die Schüler ein ganzes Schuljahr lang einen Tag in der Woche im Betrieb tätig sind.
Weitere Unterscheidungsmerkmale ergeben sich aus der inneren Gestaltung des Praktikums [Kolb, 198355,
S.117f]. Die Aufteilung der Schüler auf die Praktikumsplätze ist ein solches Kriterium. Es gibt folgende
Möglichkeiten:
Die ganze Klasse leistet ihr Praktikum im gleichen Betrieb ab;
Schülergruppen praktizieren in verschiedenen Betrieben;
53Köppl, Gerhard: Arbeitslehre, Roding 1986 54Gattermann, Heinz (Hrsg.): Betriebspraktikum. Hannover 1974 55Kolb, Gerhard: Arbeit, Wirtschaft, Technik. Ehrenwirth Verlag, München 1983
46
je ein Schüler bekommt einen Praktikumsplatz in einem Betrieb;
Schülergruppen und einzelne Schüler werden auf verschiedene Betriebe verteilt.
Auch der Einsatzort im Betrieb ist ein Differenzierungsmerkmal:
Der Praktikant bleibt während des gesamten Praktikums an einem Arbeitsplatz im gleichen Betrieb;
der Praktikant lernt mehrere Arbeitsplätze im gleichen Betrieb kennen (innerbetrieblicher Wechsel);
der Praktikant wechselt den Betrieb und damit auch den Arbeitsplatz (zwischenbetrieblicher Wechsel);
der Praktikant wechselt den Arbeitsplatz und gleichzeitig auch das Berufsfeld.
In den Richtlinien für das Betriebspraktikum an Bayerischen Hauptschulen wird die Dauer des
Unterrichtsverfahrens auf eine, längstens auf zwei Wochen festgesetzt. Sinnvollerweise wird es als
Blockpraktikum durchgeführt. Die Aufteilung der Schüler auf die Betriebe ist freigestellt, so daß diese Frage je
nach den örtlichen Gegebenheiten entschieden werden kann [KM-Bekanntmachung 1987].
Didaktisches Strukturmodell des Schülerbetriebspraktikums
Die meisten Veröffentlichungen zum Betriebspraktikum geben drei Artikulationsstufen an: Vorbereitungs-,
Durchführungs- und Auswertungsphase [Kupser, 198456, S.307ff; Kolb, 1983, S.121ff; 20, S.152ff; Heegen,
1984, S.21ff; Köppl, 1986, S.48ff].
Der Studienkreis Schule - Wirtschaft Bayern unterteilt die Vorbereitungsphase noch in Lernziel-,
Orientierungsphase und unmittelbare Vorbereitungsphase [Studienkreis Schule - Wirtschaft, 1984, S.15] 57.
Aus dem didaktischen Strukturmodell können betriebs- und bereichsspezifische Modelle entwickelt werden, die
auf eine bestimmte Klassensituation abgestimmt sind [Studienkreis Schule - Wirtschaft, 1984, S.12ff].
Lernziel- und Orientierungsphase Bevor mit der Planung des Betriebspraktikums begonnen werden kann, müssen die Schwerpunkte und Lernziele
festgelegt werden.
Auswahl der Praktikumsbetriebe und erste Kontaktaufnahme
Betriebspraktika können, je nach regionalen Bedingungen, grundsätzlich in Betrieben aller Wirtschaftszweige
durchgeführt werden.
Hilfestellung leisten:
Industrie- und Handelskammer;
Handwerkskammer;
Landwirtschaftsämter;
Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände der betreffenden Branchen,
Arbeitsamt und
Mitarbeit der Eltern.
Bereits vor der ersten Kontaktaufnahme mit möglichen Praktikumsbetrieben sollte ein ungefährer Bedarfsplan
für die Praktikantenplätze aufgestellt werden.
Das erste Gespräch kann telefonisch oder brieflich erfolgen. Ein telefonisches Nachfragen ist aber auf jeden Fall
sinnvoll. Karteikarten für die kontaktierten Betriebe verschaffen einen Überblick und können auch von mehreren
Kollegen benutzt und ergänzt werden.
Abklärung der Praktikumsziele und -inhalte mit den Betrieben
Der Betrieb soll nach der ersten Kontaktaufnahme in einem Vorgespräch mit einem verantwortlichen
Betriebsvertreter über die Ziele des Praktikums und die Vorstellungen der Schule informiert werden. Folgende
Bereiche sollten angesprochen werden:
Der Lehrer informiert über Ziele und Inhalte des Praktikums und erläutert seine Wünsche hinsichtlich Anzahl
der Praktikumsplätze, Zeitraum des Praktikums, Kennenlernen des Wunschberufs der Schüler;
der Betriebsvertreter erläutert seine Vorstellungen vom Praktikum, stellt die Möglichkeiten und Grenzen
seines Betriebs dar;
der Lehrer gibt Hinweise auf die geplante Vorbereitung und Aufarbeitung im Unterricht;
beide besprechen mögliche Tätigkeitsbereiche der Praktikanten;
der Lehrer erhält Informationen über den Betrieb (schriftlich und mündlich);
die Richtlinien für das Betriebspraktikum werden besprochen, da sie den verbindlichen Rahmen für das
Schülerbetriebspraktikum darstellen;
Fragen zum Versicherungsschutz der Schüler müssen geklärt werden. Die Schülerunfallversicherung gilt für
das Betriebspraktikum, eine Haftpflichtversicherung muß jedoch vor Praktikumsbeginn abgeschlossen
werden [KM-Bekanntmachung 1987];
56Kupser, Paul: Arbeitslehre zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Verlag Julius Klinkhardt, Bad
Heilbrunn 1984 57Studienkreis Schule - Wirtschaft: Das Betriebspraktikum für Hauptschüler. München 1984
47
den Schülern wird kein Entgelt bezahlt und die Regelungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes müssen beachtet
werden;
Betriebsvertreter weist auf betriebsspezifische Unfallverhütungsvorschriften hin.
Erarbeitung eines Praktikumsplans
Ist der Betrieb bereit, Praktikanten aufzunehmen, so gibt er eine schriftliche Einverständniserklärung ab.
Dann erarbeitet er auf der Grundlage der Vorgespräche mit dem Lehrer den Ablauf des Praktikums und die
Einsatzbereiche des Praktikanten. Außerdem soll ein betrieblicher Ansprechpartner benannt werden, der in
Kontakt mit der Schule bleibt und während des Praktikums für die Betreuung der Schüler zuständig ist
[Studienkreis Schule - Wirtschaft, 1984, S.20].
Vorbereitungsphase Der Vorbereitungsphase werden diejenigen organisatorischen und unterrichtlichen Maßnahmen zugeordnet, die
für die Durchführung des Betriebspraktikums notwendig sind.
Organisatorische Maßnahmen
.1 Kontakte zu den Eltern
Ein Einbeziehen der Eltern in das Vorhaben ist zu empfehlen: Sie können einerseits durch ihre Einflussnahme
auf die Schüler und andererseits durch ihre praktische Mitarbeit, z.B. bei der Beschaffung von fehlenden
Praktikumsplätzen, zum Gelingen des Unterrichtsvorhabens beitragen.
An einem Elternabend sollten zunächst die Ziele und Inhalte des geplanten Vorhabens durch den Lehrer erläutert
werden.
Zudem sollten die Eltern auch über die unterrichtliche Vorbereitung des Lehrers informiert werden. Der geplante
Zeitraum und Zeitpunkt des Praktikums wird bekannt gegeben.
Außerdem sollten Fragen zum Versicherungsschutz der Schüler sowie einer eventuell nötigen amtsärztlichen
Untersuchung geklärt werden.
Ein weiterer Punkt ist die Bitte um Mitarbeit der Eltern bei der Beschaffung von Praktikumsplätzen, falls noch
nicht alle Schüler einen Praktikumsplatz gefunden haben [Köppl, 1986, S.50f; 3, S.52].
.2 Auswahl der Praktikumsplätze
Bei der Auswahl der Praktikumsbetriebe ist zunächst die grundsätzliche Frage zu klären, ob die Schüler in ihrem
"Wunschberuf" praktizieren sollen. Im Großen und Ganzen wird diese Frage bejaht [Kolb, 1983, S.120f; , S.21;
21, S.18; ISB, 198458, S.23]. Berücksichtigt man den Berufswunsch der Schüler nicht, so besteht die Gefahr des
Motivationsverfalls [Platte, 198159, S.158]. Deshalb ist es üblich, zuerst im Berufswahlunterricht die
Berufswünsche der Schüler zu eruieren, die entsprechenden Berufsbilder zu besprechen und den jeweiligen
Berufsfeldern zuzuordnen.
Es spielen aber auch andere Aspekte bei der Auswahl von Praktikumsplätzen eine Rolle:
Mädchen sollten angeregt werden, auch in Frauen untypischen Berufen das Praktikum zu absolvieren;
Ziel des Praktikums ist es auch, Einblicke in Berufe verschiedener Berufsfelder zu bekommen. Gleichen sich
die Berufswünsche innerhalb einer Klasse zu sehr, so sollte dieser Gesichtspunkt berücksichtigt werden;
Betriebe, die keinen Einblick in den Fertigungsprozess oder den Arbeitsablauf ermöglichen, sind ungeeignet
[ISB, 1984, S.18ff];
die Schüler dürfen keinen besonderen Gefahren ausgesetzt werden;
die Lage der Betriebe sollte berücksichtigt werden: Die Fahrtkosten zum Betrieb werden in der Regel nicht
erstattet. Zudem ist die Betreuung der Schüler durch den Lehrer leichter durchzuführen, wenn keine weiten
Strecken zurückgelegt werden müssen [Platte, 1981, S.156].
Nach der Auswahl der Praktikumsbetriebe sollte den zuständigen Betreuern der Praktikumstermin und die
Anzahl der Praktikanten bekannt gegeben werden.
Im Anschluss daran wird für jeden Praktikumsplatz ein endgültiger Einsatzplan erarbeitet. Dieser wird,
zusammen mit der Zuweisung der Praktikanten, an die Betriebe verschickt [Heegen, 1984, S.50].
.3 Amtsärztliche Untersuchung
Kommt der Schüler während des Praktikums mit Lebensmitteln in Berührung, so muss nach §18 des
Bundesseuchengesetzes eine amtsärztliche Untersuchung durchgeführt werden.
Didaktisch-methodische Vorbereitung
58Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung: Handreichungen zum Betriebspraktikum für Hauptschüler, München 1984
59Platte, Hans Kaspar: Betriebspraktika in schulischen Bildungsgängen. Koblenz 1981
48
Praktikums - relevantes Vorwissen der Schüler
Im Unterricht sollte zunächst auf das individuelle Vorwissen der Schüler Bezug genommen werden. Auch der
Rückgriff auf Lernziele vorausgegangener Betriebserkundungen bietet sich an, z.B. Tätigkeitsmerkmale,
Anforderungen und Zukunftsaussichten eines Ausbildungsberufes, Zukunft des Dienstleistungsbereichs,
Fertigungsverfahren im Bereich der Industrie. Auch Berufserfahrungen der Eltern können zum Sammeln des
Vorwissens dienen.
Motivierung der Schüler für das Praktikum
Zuerst sollten den Schülern die Ziele des Betriebspraktikums verdeutlicht werden. Die unmittelbar
bevorstehende Berufswahl ist ein großer Motivationsfaktor, ebenso wie die Möglichkeit vor Ort verschiedene
berufliche Tätigkeiten kennen zu lernen und sogar selbst tätig zu werden.
Erarbeitung eines Fragen- und Beobachtungskatalogs
Die Erarbeitung eines Fragen- und Beobachtungskatalogs nimmt einen wichtigen Platz in der schulischen
Vorbereitung des Betriebspraktikums ein. Deshalb sollten die Schüler bei der Gestaltung des Fragebogens aktiv
beteiligt werden. Ein selbständiges Erstellen des Fragen- und Beobachtungskatalogs wird sie jedoch überfordern
[Köppl, 1986, S.86f].
Andere Autoren fordern selbständig gestaltete Fragekataloge, da die Schüler damit kompetenter und engagierter
umgehen würden [Reul, 198960, S.21ff). Vorgefertigte Fragebögen, wie sie im Handel erhältlich sind würden die
Schüler dazu verleiten, die Antworten gegenseitig abzuschreiben.
Die Schüler sollten sich bewusst werden, welche Fragen im Betriebspraktikum für sie wichtig sind. Eine
Ausformulierung und Strukturierung eines ganzen Fragenkatalogs wäre jedoch zu viel verlangt. Es empfiehlt
sich den Schülern ein vorgefertigtes Exemplare in die Hand zu geben, das gemeinsam den Bedürfnissen der
Klasse entsprechend modifiziert wird. (Bild Fragebogen)
Typische Inhalte des Fragen- und Beobachtungskatalogs sind:
typische Tätigkeiten, Arbeitszeiten, Arbeitsbelastung, Tagesablauf an einem Arbeitsplatz, Formen der
Zusammenarbeit, Maschineneinsatz, Einblick in wichtige Funktionen und Strukturen von Handwerks-, Industrie-
, Handels- und Dienstleistungsbetrieben sowie von Betrieben der Urproduktion.
Erarbeiten von Grundregeln des Verhaltens im Betrieb
Die Schüler sollen die Bereitschaft und Fähigkeit entwickeln, sich auf die neuartigen sozialen Situationen im
Betriebspraktikum einzustellen und geeignete Lösungsmöglichkeiten für ein angemessenes Verhalten finden.
So kann zum Beispiel im Rollenspiel geübt werden, wie sich der Schüler anderen Mitarbeitern vorstellt. Auch
die Belehrung über generelle Unfallverhütungsmaßnahmen oder über wichtige Bestimmungen des
Jugendarbeitsschutzgesetzes fallen in diesen Bereich.
Durchführungsphase
Aufgaben der Schüler
Die Schüler sollen die Bereitschaft und Fähigkeit haben, das Praktikum für sich erfolgreich zu gestalten: Sie
sollen durch Beobachten, Befragen und (Mit)arbeiten Erfahrungen in der realen Arbeits- und Berufswelt
sammeln. Anhand dieser Erfahrungen sollen sie Rückschlüsse auf Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit, Sorgfalt
und Sauberkeit, auf körperliche, charakterliche und geistige Anforderungen sowie auf mögliche Gefahren am
Arbeitsplatz ziehen [Köppl, 1986, S.106ff].
Die Schüler haben die Aufgabe, mit Hilfe der vorbereiteten Erkundungsbögen gezielt Informationen einzuholen,
einen Arbeitsvorgang zu beschreiben und verschiedenes Anschauungsmaterial im Betrieb zu sammeln. Ein
weiterer wichtiger Punkt ist das Erleben von menschlicher Atmosphäre im Betrieb.
Außerdem sollen sie bereit sein, sich von dem betrieblichen Betreuer anleiten zu lassen. Die Teilnahme am
Betriebspraktikum ist verpflichtend: Ein Fernbleiben muss sowohl im Betrieb als auch in der Schule gemeldet
werden.
Aufgaben der Betreuer
Die Betreuer im Betrieb haben die Aufgabe, den Praktikanten anzuleiten und für die Einhaltung des
Praktikumsplans zu sorgen.
Einführung am ersten Praktikumstag mit Informationen über den Betrieb und über bestehende Vorschriften (z.B.
Unfallverhütung, das Tragen von Schutzkleidung oder die Regelung der Arbeitszeit und der Pausen). .
Probleme:
mangelndes Interesse
fehlender Ernst der Schüler
60Reuel,G., Schneidewind, K.: Die Praktikumskartei. In: Arbeiten + Lernen, Heft 2, Velber 1989, S.35ff
49
Aufsicht über die Praktikanten ist eine große Belastung
Diese Problematik könnte durch eine engere Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Schule, zumindest teilweise,
aus dem Weg geräumt werden. Keine Lösung ist es, die Schüler in die Lehrwerkstatt aufzuräumen. Am letzten
Praktikumstag findet ein Abschlussgespräch im Betrieb statt: Ausgehend von den Erfahrungen der Praktikanten
sollen betriebliche Zusammenhänge erläutert werden.
Aufgaben des Betreuungslehrers
Der Lehrer ist während des ganzen Praktikums von seinen sonstigen unterrichtlichen Verpflichtungen
freigestellt (KM, 1987). Er muss Schülern, Eltern und Betreuern ganztags zur Verfügung stehen und sich durch
regelmäßige Besuche in den Betrieben davon überzeugen, dass das Praktikum planmäßig verläuft [Kreuchauf,
197961, S.24].
Trotz einer gezielten, intensiven Vorarbeit stehen manche Schüler der neuartigen Situation im Betrieb unsicher
und hilflos gegenüber. Aber auch selbstsichere Schüler sind meist froh, wenn der Lehrer sie regelmäßig
besucht: Im Gespräch mit dem Lehrer können die Schüler Erfahrungen mitteilen, die sie alleine vielleicht nicht
bewältigen könnten.
Außerdem kann der Lehrer auf Beobachtungsaufträge aufmerksam machen, die sonst vielleicht vergessen
werden. Grunderfahrungen werden so festgehalten und der Zusammenhang zwischen Erkundungsbogen und
Tätigkeit wird einsichtig.
Der Lehrer sollte seine Schüler also so oft wie möglich im Betrieb besuchen, auch um sich mit dem Betreuer
auszutauschen.
Neben den Besuchen im Betrieb wünschen sich manche Schüler die Gelegenheit zu einer Aussprache
außerhalb des Arbeitsplatzes: Gerade am Anfang stürmt so viel Neues auf die Schüler ein, dass der Lehrer an
den ersten beiden Abenden in der Schule zu einer Aussprache zur Verfügung stehen sollte. Außerdem ist es
wünschenswert, wenn er abends während des gesamten Praktikums zu festen Zeiten erreichbar ist. Diese
Stunden sollten Eltern, Schülern und betrieblichen Betreuern bekannt sein.
Auswertungsphase Die gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen müssen reflektiert, vertieft und ergänzt werden.
Kreuchauf et al. gliedern die Auswertungsphase in drei Bereiche: berichten, systematisieren und dokumentieren
[Kreuchauf, 1979, S.23f].
Spontane Berichte
Im ersten Unterrichtsgespräch äußern sich die Schüler spontan zu den Erfahrungen und Erlebnissen im
Praktikum. Dies kann z.B. in Form eines Sitzkreises, bei dem jeder Schüler ein Schlüsselerlebnis allen
Mitschülern mitteilt oder auch in Form von Gruppengesprächen erfolgen.
Die emotionale Beteiligung der Schüler spielt hierbei eine große Rolle: Im Vergleich mit den Erfahrungen der
Mitschüler erkennen sie, dass sich die Erfahrungen im Praktikum gleichen, z.B. dass es Situationen gab, in
denen sie sich unsicher fühlten. Auf der anderen Seite erkennen sie Unterschiede im Ablauf des Praktikums,
die sich aus den verschiedenen Wirtschaftsbereichen oder den unterschiedlichen Einsatzorten ergeben. Das
Interesse der Schüler mehr zu erfahren, auch über andere Betriebe als den eigenen Praktikumsbetrieb, steigt.
Die Motivation ist hoch und damit ist auch die Voraussetzung für die Vertiefung und Ergänzung der
Erfahrungen geschaffen.
Vorstellung und Vergleich verschiedener Praktikumsbetriebe
Auf der Grundlage der Erkundungsaufträge sollen die Schüler ihre Praktikumsbetriebe vorstellen. Von
Interesse sind hier z.B. der Wirtschaftsbereich, Gründung des Betriebs, Firmenprodukte, Beschäftigtenzahl,
Maschineneinsatz oder die Darstellung einzelner Abteilungen und die vorhandenen Ausbildungs- und
Anlernberufe. Hilfen können hierbei Bilder sein, die der Lehrer oder der Schüler im Betrieb aufgenommen
haben. Auch Tonmaterial kann verwendet werden, sowie das Bild- und Textmaterial, das von den Betrieben zur
Verfügung gestellt worden ist.
Beschreiben von im Praktikum kennen gelernten Berufsbildern
Auch hier bildet der Erkundungsbogen die Grundlage für die Absicherung und den Transfer der gewonnenen
Einsichten.
Die Vorstellungen von einem Berufsbild sollen überprüft und eventuell korrigiert und ausgeweitet werden.
Allerdings wird hier noch kein direkter Bezug auf die Berufswünsche der Schüler genommen: Die Schüler
sollen einige berufstypische Tätigkeiten nennen und beschreiben. Außerdem sollen sie Aussagen über die
körperlichen, geistigen und charakterlichen Anforderungen dieses Berufs treffen können. Ein weiterer Punkt ist
die Verbalisierung von unterschiedlichen Arbeitsbedingungen an verschiedenen Arbeitsplätzen. Wichtig sind
auch Kenntnisse über den Ausbildungsweg und die Weiterbildungsmöglichkeiten dieses Berufs.
61Kreuchauf, Klaus et. al.: Schüler im Betriebspraktikum, Weingarten 1979
50
Kritische Überprüfung des eigenen Berufswunsches
Die im Betrieb gesammelten Erfahrungen sollen mit den beruflichen Anforderungen, wie sie in
Informationsblättern dargestellt waren, verglichen werden.
Zudem soll die lokale Ausbildungssituation einbezogen werden, mit dem Ziel, die Berufswahlentscheidung zu
verbessern. Falls einzelne Schüler ihren Berufswunsch geändert haben, sollte hinterfragt werden, ob
betriebsspezifische oder berufsspezifische Gründe dafür ausschlaggebend waren.
Verbesserung der Tagesberichte
Zur Auswertung der Praktikumserfahrungen gehört auch die Verbesserung, Ergänzung und Reinschrift der im
Praktikum verlangten Tagesberichte.
Zu diesem Punkt werden kritische Stimmen laut: Gerade Hauptschüler lehnen im allgemeinen schriftliche
Arbeiten ab und haben große Schwierigkeiten damit. Nach einem langen Arbeitstag im Praktikum sind die
Schüler nicht motiviert, Berichte zu schreiben. Sie empfinden dies als lästige Pflicht der Rechenschaftsabgabe.
Deshalb sollten schriftliche Arbeitsaufträge im Praktikum beschränkt sein und den Schülern möglichst
Gelegenheit geben, sich zu den für sie interessanten Themen zu äußern. Ein Vorschlag wäre hier, einen Katalog
mit Aufsatzthemen zu erstellen, aus dem die Schüler zwei wählen können (24, S.35ff).
Anfertigen einer Praktikumsmappe
Der Erkundungsbogen sollte noch einmal überarbeitet und verbessert werden. In der Durchführungs- und
Auswertungsphase gesammeltes Text- und Bildmaterial muß ausgewählt und eingeordnet werden.
Nach Vervollständigung der Praktikumsmappe sollte jeder Schüler eine von ihm selbst erstellte Dokumentation
seines Praktikums in Händen halten [Köppl, 1986].
Einsicht in die Notwendigkeit einer gut funktionierenden Betriebsgemeinschaft
Durch Rollenspiele, Erfahrungsaustausch oder Fallstudie sollen die Schüler zur Einsicht gelangen, dass eine
harmonisierte Betriebsgemeinschaft sowohl für den einzelnen Mitarbeiter als auch für das Funktionieren des
Unternehmens notwendig ist.
Einordnen der Erfahrungen in den betrieblichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang
Die im Praktikum gewonnenen Einblicke in die Organisationsstruktur von Betrieben in den unterschiedlichen
Wirtschaftsbereichen bilden die Grundlage für die vertiefte Behandlung der Themen "Funktion eines Betriebes"
oder "ökonomisches Handeln, ökonomisches Prinzip" im Unterricht [Studienkreis Schule - Wirtschaft, 1984,
S.23; Heegen, 1984, S.92].
Einbeziehen der Praktikumsbetriebe in den Auswertungsprozess
Im Hinblick auf eine weitere Zusammenarbeit mit den Betrieben sollten auch die Betriebe in den
Auswertungsprozess mit einbezogen werden. Der erste Punkt ist hier ein Dankschreiben an die Unternehmen,
das im Unterricht von den Schülern verfasst wurde.
Im Allgemeinen wünschen die Betriebe auch eine Rückmeldung über den Praktikumsverlauf und die Eindrücke,
die die Schüler gewonnen haben. Hierzu können z.B. Berichte über das Praktikum erstellt werden oder die
Praktikumsmappen an die Betriebe verschickt werden. Es bietet sich auch eine Einladung der Betriebsvertreter
zu einem Abschlussgespräch oder zu einer Ausstellung an.
Dies sind Vorschläge, die nicht zwingend eingehalten werden müssen. Allerdings sollte man bedenken, dass
jedes Jahr neue Praktikumsplätze gesucht werden müssen und Wünsche und Vorstellungen der Lehrer um so
leichter erfüllt werden, je enger der Kontakt zu den Betrieben ist.
Weitere Maßnahmen
Es gibt noch eine Fülle von weiterführenden Maßnahmen. Im Folgenden sollen einige Anregungen gegeben
werden:
Die Schüler bereiten eine Praktikumsausstellung vor. Hier werden Werkstücke, Berichtsmappen, Collagen,
Schaubilder und Graphiken ausgestellt.
Die Schüler berichten Mitschülern der 7. Jahrgangsstufe über ihre Praktikumserfahrungen.
Die Schüler beantworten einen Fragebogen zu ihren eigenen Erfahrungen im Praktikum. Beispiel: "Bist du
mit deinen Kollegen gut ausgekommen? Welche Situationen waren für dich fremd?"
Die Klasse besucht ein Berufsinformationszentrum.
Der Berufsberater kommt in die Klasse (15, S.122f).
Zusammenfassung
Das Betriebspraktikum ist ein äußerst aufwendiges Unterrichtsverfahren, das langfristig geplant werden muss.
Die einzelnen Schritte des didaktischen Strukturmodells sind eine gute Hilfe, um ein Betriebspraktikum zu
planen, durchzuführen und auszuwerten. Die Vorgehensweise des Praktikumslehrers hängt immer von der
Methoden- und Sachkompetenz der jeweiligen Klasse ab. Das bedeutet, der Lehrer muss das bereits
51
vorhandene Wissen und Können der Schüler berücksichtigen: Inwieweit sind die Schüler mit Interviewtechniken
vertraut? Was wissen sie vom vorausgegangenen Stoff? usw.
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Zusammenarbeit der Lehrer untereinander: Die organisatorischen
Maßnahmen können durch Kooperation erleichtert und effizienter werden, wenn zum Beispiel ein reger
Erfahrungsaustausch zwischen Lehrern mit Praktikumserfahrungen stattfindet.
Auch auf der fächerübergreifenden Ebene kann Zusammenarbeit wertvoll sein: Lerninhalte aus dem
Betriebspraktikum können auch in anderen Fächern behandelt werden. So kann beispielsweise im
Deutschunterricht das Gesprächsverhalten der Schüler im Betrieb trainiert werden (Wie stelle ich mich vor?).
Die Praktikumsberichte können hier verbessert oder die Interviewtechnik eingeübt werden. Im
Mathematikunterricht finden Rechenbeispiele aus der Praxis Platz. Im Kunsterziehungs- bzw. Werkunterricht
kann die Handhabung von Werkzeugen demonstriert werden. Dies sind nur einige Beispiele für Kooperationen.
Es gibt sicherlich noch weitere Möglichkeiten zur Kooperation im Zusammenhang mit dem Betriebspraktikum.
Betrachtet man die drei Phasen Vorbereitung, Durchführung und Auswertung dieses Unterrichtsverfahrens, so
kommt der Vorbereitung und der Auswertung des Betriebspraktikums besondere Bedeutung zu:
In der Vorbereitungsphase müssen die Voraussetzungen für ein zielgerichtetes Beobachten und Befragen
geschaffen und die Schüler motiviert werden. Besonders wichtig scheint mir auch, dass die Schüler soweit wie
möglich in die vorbereitenden Maßnahmen mit einbezogen werden: Sie können Fahrtwege erkunden und bei der
Beschaffung von Praktikumsplätzen mitwirken. Die Betonung liegt hier auf dem "Selbsttätigwerden" der
Schüler.
Auch in der Auswertungsphase sollten die Schüler möglichst selbständig arbeiten. Die Nachbereitung ist
besonders wichtig und notwendig, damit das Betriebspraktikum nicht nur als Abwechslung zum Schulalltag
gesehen wird, sondern damit die Schüler über die gewonnenen Erfahrungen reflektieren und diese auch kritisch
betrachten.
Bei der Durchführungsphase ist vor allem die Betreuung durch den Lehrer wichtig: Für den Schüler ist er eine
vertraute Person, Anlaufstelle in einer sonst fremden Umgebung. Ich glaube, man darf die Neuartigkeit der
Situation, in der sich der Schüler während dem Betriebspraktikum befindet, nicht unterschätzen: Zum ersten Mal
verlassen die Schüler den Schonraum "Schule", d.h. sie müssen sich in einer völlig fremden Umgebung, wenn
auch auf Zeit, zurechtfinden. Der Lehrer muss deshalb der Vermittler zwischen Schüler und Betrieb sein.
Ob das Betriebspraktikum den hochgesteckten Zielen gerecht werden kann und sich der Aufwand lohnt, wird
unterschiedlich beurteilt (siehe Tabelle 13).
Tabelle 13: Pro- und Contra Betriebspraktikum
Contra-Argumente
Pro-Argumente:
Berufsfindung ist nicht möglich;
Berufsorientierung ist umstritten;
Gründe:
Ausschnitthaftigkeit der Erfahrungen;
zeitliche Begrenztheit;
reale Arbeitserfahrungen nicht möglich
(mangelnde Kenntnisse und Fertigkeiten der
Schüler);
der tradierte Berufsbegriff ist überholt;
Erfahrung des Betriebs als Sozialgefüge nicht
möglich, da Schüler kein Mitglied der
betrieblichen Hierarchie;
keine Steigerung der Rationalität bei der
Berufswahlentscheidung;
Berufsfindungsgedanke ist der größte
Motivationsanreiz für die Schüler;
Berufsorientierung ist in Bayern der dominierende
Aspekt;
berufskundliche Informationen können gesammelt
werden;
Arbeitstugenden und ihre Notwendigkeit können
erfahren werden;
potentielle Berater werden bei der Berufswahl
stärker in Anspruch genommen;
Schüler sammeln Erfahrungen über das
Miteinander im betrieblichen Arbeitsprozess;
Motivationssteigerung, Anregung zum
Weiterlernen;
Minderung des Praxisschocks;
Verhaltensänderungen im sozialen Bereich: z.B.
Verständnis für die Anspannung im Beruf,
gesteigerte Bereitschaft zur Mithilfe im Haushalt.
52
Vergleich Betriebspraktikum - Betriebserkundung
Betriebserkundung Betriebspraktikum
Übereinstimmung a) Verfahren der Realbegegnung
b) Anschauungs- und Erfahrungsgrundlage (Klammerfunktion zwischen Berufsorientierung und elementarer
Wirtschaftslehre im WuB-Unterricht)
c) obligatorisches Unterrichtsverfahren (7., 8. oder 9. Jgst. der Mittelschule)
d) Aspektorientierung
Ökonomisch
berufskundlich
technologisch.
berufsorientierend
funktional (ökon., techn.)
sozialer Aspekt
Unterschiede allgemeine, breite Orientierung des Schülers in den
verschiedenen Wirtschafts- und Berufsbereichen
(Urproduktion, Handwerk, Industrie, Dienstleistung,
produzierende Berufe, Dienstleistungsberufe, Berufe
im sozial/pflegerischen Bereich).
gezieltes Erfahren der Wirtschafts- und Berufswelt in
Form praktischen Tätigwerdens und Beobachtens bis
zu max. 2 Wochen an Ausbildungs- bzw.
Arbeitsplätzen in einem Betrieb.
Literatur zum Betriebspraktikum
Beck, Hartmut/ Ipfling, Heinz-Jürgen/ Kusper, Paul (Hrsg.): Das Betriebspraktikum für Schüler und Lehrer.
Konzepte - Erfahrungen - Arbeitshilfen. Bad Heilbrunn 1984
Feldhoff, Jürgen/ Otto, Karl A./ Simoleit, Jürgen/ Sobott, Claus: Projekt BetriebspraktikumDüsseldorf 1985
Geiger, Friedrich/ Kunder, Hans: Betriebspraktikum für Hauptschüler. Donauwörth 21985
Platte, H. K.: Lernen vor Ort. Anleitungen, Informationen und Fakten zum Schülerbetriebspraktikum. Bad
Godesberg 1986
im Anhang:
KWMBL I Nr. 16/19 - Betriebspraktikum für Hauptschüler in Bayern.
Kontrollfragen
1. Ihre Schülerinnen und Schüler planen in der R7 einen Pausenverkauf mit Getränken. Welche nützlichen
Informationen können Sie dazu bei einer Markterkundung erfahren?
2. Formulieren Sie eine konkrete Teilaufgabe für eine Schülerin, die in der 8. Klasse in einem
Malerbetrieb praktiziert! egründen Sie den Unterschied zu einer Aufgabenstellung für das Praktikum
in der M9!
Nennen Sie die wichtigsten „Produkte“, die die Schülerinnen und Schüler mit ihren Erfahrungen im
Praktikum erstellt haben könnten!
4. Wie unterscheiden sich Betriebserkundungen von Betriebsbesichtigungen?
5. Wann sind im Lehrplan welche Betriebserkundungen vorgesehen?
6. Welche Bedeutung haben
der Grundsatz des Exemplarischen und
die didaktische Transformation
bei Betriebserkundungen?
7. Welche Ziele sollen mit dem Schülerbetriebspraktikum erreicht werden?
8. Durch welche Faktoren kann die Lernleistung im Praktikum besonders hoch sein?
9. Wie können negative Erfahrungen eines einzelnen Schülers im Praktikum korrigiert werden?
53
Pro- und Contradebatte
Definition
Zwei Gruppen tauschen Argumente für und gegen einen kontroversen Sachverhalt nach festgelegten Spielregeln
aus. Eine dritte Gruppe, die Jury, bewertet den Verlauf und vergleicht die entgegengesetzte Standpunkte
vertretenden Gruppen. Dadurch werden Standpunkte deutlich herausgearbeitet und ein Thema umfassend
ausgeleuchtet. [nach Schoof, 198062]
Zielsetzung
Die Pro- und Contra-Debatte dient neben einer Einübung der Diskutierfähigkeit, der Belebung des Unterrichts
und der Beteiligung möglichst vieler Schüler vor allem der Meinungs- und Urteilsbildung.
Dazu gehört weiter die Auseinandersetzung mit zur eigen Meinung gegensätzlichen Argumenten und ein
größeres Verständnis für die Meinung anderer und ein besseres Verständnis der eigenen Meinung in
kontroversen Debatten.
Anwendung
Im Lehrplan wird die Pro- und Contradebatte im Lernziel WiB 10 LB 3 „Regionale Wirtschafts- und
Infrastruktur“ erwähnt, eignet sich aber für viele Themen, wie z. B. WiB 5 LB 4 Schülerarbeit (Soll Kinderarbeit
verboten bleiben?), WiB 7 LB 3 Persönliche Sichtweisen von Arbeit und Beruf (Soll man überhaupt einen Beruf
erlernen?), WiB 8 LB 3 (Brauchen wir noch die Tarifautonomie?),WiB 9 LB 4 (Die gesetzliche
Rentenversicherung ist unverzichtbar?) usw.
Die Methode kann sowohl als Einstieg als auch als Abschluss einer Unterrichtseinheit eingesetzt werden. Sie ist
besonders für affektive Lernziele geeignet.
Durchführung
Die Spielregeln
Die Einteilung der drei Gruppen muss nicht nach der tatsächlichen Meinung der Schüler vorgenommen werden,
damit die Schüler auch zur eigenen Meinung gegensätzliche Argumente kennen lernen.
Einem „Pro“ Argument folgt stets ein „Contra“ Argument, es wird abwechselnd debattiert. Auf das Argument
eines Vorredners ist einzugehen! Die Jury fällt ein Urteil mit Begründung. Anschließend findet eine Diskussion
statt.
Vorbereitung, Durchführung und Beurteilung der Debatte
Das Thema soll klar formuliert sein und keine Alternativen begünstigen. Es empfiehlt sich vorab die
Gesprächsregeln zu wiederholen. Damit in der Vorbereitungsphase alle Schüler Argumente sammeln, soll die
Klasse in eine gerade Anzahl von Gruppen mit gleich vielen Mitgliedern geteilt werden. Dadurch wird auch die
spätere Jury sachkundig. Jedes Gruppenmitglied sollte mindestens ein Argument ausführlicher begründen
können.
Die Pro- und Contra-Gruppe wird bestimmt, die restlichen Schüler zur Jury zusammengefasst. Der
Diskussionsleiter (Lehrer oder Schüler) erteilt abwechselnd das Wort und beendet die Debatte. Die Jury sollte
die Diskussionsgruppen nach Inhalt und Darstellung vergleichen und beurteilen. Jedes Jurymitglied muss nach
jedem Wortwechsel z. B. Punkte für die bessere Mannschaft vergeben und notieren.
Inhaltliche Kriterien können sein:
Waren Argumente und Gegenargumente sachlich richtig?
Gehörten die Argumente zur vertretenen Position?
Fehlten wichtige Argumente?
Waren die Argumente überzeugend?
Kriterien für die Darstellungsweise:
War die sprachliche Darstellung korrekt bzw. geschickt gewählt, waren die Gesprächsregeln
eingehalten?
Werden Gegenargumente schlagfertig und originell vorgebracht?
Wird auf die Gegenargumente eingegangen? [nach Schoof, 1980]
Wenn alle Argumente gefallen sind oder die Zeit drängt, beendet der Diskussionsleiter die Debatte. Jede Gruppe
erhält die Möglichkeit zu einem Schlusswort. Anschließend zieht sich die Jury zurück und bildet ein begründetes
Urteil. In dieser Zeit können die übrigen Schülerinnen und Schüler der Pro- und Contra-Gruppe ihre Argumente
an der Tafel übersichtlich zusammenstellen.
62Schoof, Dieter: Die Pro- und Contra-Debatte. In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980,
S. 70-71.
54
Nachdem die Jury ihr Urteil verkündet und begründet hat, diskutieren die Schülerinnen und Schüler das Urteil.
Dabei sollte der Gruppenzwang aufgehoben werden, d.h. jetzt kann jeder seine eigene Meinung artikulieren. Der
Diskussionsleiter fasst am Ende das Ergebnis der Diskussion zusammen und hält es an der Tafel fest.
Literatur zur Pro- und Contra-Debatte
Sader, M. u.a.: Kleine Fibel zur Hochschuldidaktik, C.H. Beck Verlag München 1971.
Kontrollfragen
1. Nennen Sie eine geeignete Problemstellung für eine Pro- und Contra-Debatte! Begründen Sie Ihre
Auswahl!
2. Welche fachlichen und methodischen Kompetenzen werden in der Vorbereitungsphase einer Pro- und
Contra-Debatte verbessert? Nennen Sie jeweils ein Beispiel!
Warum sollten in der abschließenden Diskussion die Schülerinnen und Schüler ihre eigene Meinung
und nicht die ihrer Gruppe vertreten?
Brainstorming
Definition
Das Anfang der fünfziger Jahre vom amerikanischen Werbefachmann Osborn entwickelte Verfahren ist eine
Methode der kreativen Problemlösung. Es soll latente Vorstellungen zu einem Problem oder einem Oberbegriff
aktivieren und möglichst viele, neuartige Lösungsvarianten liefern. Nachdem die Aufgabenstellung und die
Regeln erläutert wurden, nennen die Schüler möglichst freizügig ihre Assoziationen zum Thema. Jeder Beitrag
wird gut sichtbar und ohne jegliche Bewertung notiert. Das Thema und die bereits eingebrachten Beiträge liefern
Stimuli für weitere Ideen. Anschließend werden die gefundenen Vorschläge sortiert, kombiniert, bewertet und
ausgewählt. (vgl. Modick) 59
Zielsetzung
Brainstorming dient der Ideenfindung und dem Erlernen und Einüben von kreativen Problemlösungstechniken.
Außerdem erleben die Schüler ihre eigene Ideenkapazität. Die Phantasie und Kreativität der Schüler wird
gefordert und gefördert. Schlüsselqualifikationen, wie Toleranz und Gruppenarbeit können geübt und gesteigert
werden.
Anwendung
Dieses Unterrichtsverfahren eignet sich besonders als Hinführung und kann bei wichtigen Planungen, Konflikten
und Problemen eingesetzt werden. Es wird in der Regel Teil einer größeren Unterrichtseinheit sein, da ein
Thema nicht vollständig bearbeitet wird und es verhältnismäßig wenig Zeit beansprucht (ca. 10-30 Minuten).
Das Thema sollte mit dem Kenntnisstand der Schüler vielfältige Lösungsmöglichkeiten zulassen.
Verfahrensweise
Nach der Präsentation des Themas sollen zunächst der Ablauf und die Regeln des Verfahrens vorgestellt werden
(s. Bild 3).
55
- Keine Kritik
In der ersten Phase der
Ideenfindung dürfen die
einzelnen Beiträge nicht
bewertet werden. Weder
abfällige Bemerkungen,
Gesten oder sonstige
Äußerungen sind erlaubt.
Besonders der Lehrer muss
sich in dieser Phase
zurückhalten, da er
normalerweise im Unterricht
laufend Rückmeldungen
(Lob und Tadel) gibt.
- Notizen
Alle Aussagen werden für
jeden gut sichtbar notiert. Mit
der Visualisierung können
weiterführende Ideen
angeregt werden, die z.B. auf
den bisherigen Beiträgen
beruhen.
- Abschauen erlaubt!
Vorschläge anderer Schüler dürfen und sollen weiterentwickelt werden. Es gilt kein Urheberrecht.
- Quantität vor Qualität
Es sollen möglichst viele und auch ausgefallende Ideen gesammelt werden. Je mehr Gedanken festgehalten
werden, desto größer ist die Chance verwertbare Vorschläge zu erhalten.
Brainstorming kann im Klassenverband oder in Gruppen stattfinden. Die Schüler werden aufgefordert sich zum
Thema zu äußern. Auch „unmögliche“ oder ungewöhnliche Ideen sind erwünscht. In der Phase der Ideenfindung
notiert der Lehrer oder ein Schüler stichpunktartig die vorgebrachten Einfälle an der Tafel. Durch eigene
Beiträge kann der Lehrer die Gedanken der Schüler evtl. anregen und lenken.
In der zweiten Phase der Ideenbewertung können die Einfälle nach Überbegriffen oder Schwerpunkten
systematisiert, nach Kriterien sortiert und schließlich ausgewählt werden. Als Kriterium eignet sich z.B. die
Verwendbarkeit (sofort, evtl. später, kaum verwertbar). Auch „wegfallende“ Punkte liefern oft noch im späteren
Unterricht belebende Impulse.
„Erst in dieser Phase werden die Ideen geordnet und auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft. Zunächst werden die
Doppelnennungen gestrichen. Dann werden die Ergebnisse nach drei Typen sortiert:
Ergebnisse, die
1) schnell anwendbar sind bzw. eindeutig zum Thema gehören,
2) erst nach eingehender Prüfung anwendbar sind bzw. nicht auf den ersten Blick zum Thema gehören
(Ideen dieses Typs sind besonders sorgfältig zu prüfen, weil hier häufig interessante und weiterführende
Anregungen versteckt sein können), und solche, die
3) nicht oder zur Zeit nicht anwendbar sind bzw. nicht zum Thema gehören.
Anschließend werden die als brauchbar und weiterführend angenommenen Gedanken in eine bereinigte und
verkürzte Liste übernommen" [Modick, 198063].
Für Brainstorming als Unterrichtsmethode läßt sich feststellen:
Es kann zur Problemlösung bei vielen inhaltlichen Zusammenhängen eingesetzt werden.
Brainstorming ist eine einfache, problemlose Methode. Sie erfordert eine treffende Problemstellung, ein
gewisses Maß an eigener Flexibilität und ein "Ernstnehmen" von Schülerbeiträgen.
Gute Ergebnisse lassen sich meist erst dann erzielen, wenn unter Anwendung der Regeln das Brainstorming
systematisch und wiederholt im Unterricht angewandt wurde.
Literatur zur Methode des Brainstormings
Hans-Eberhard Modick: Brainstorming. In a+l Nr. 10-10a/2. Jahrg., Juli, August 1980, S. 14 - 16;
63Modick, H.E.: Brainstorming; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, S. 14.
Bild 3 : Brainstorming
Phase IIdeenfindung
(15 min)
Phase 2Ideenbewertung
Unstrukturiert
Spielregeln:
Unzensierte,
unbewertete
Ideensammlung
Einordnung,
Bewertung
Thema des Unterrichts(Lerninhalte)
Ideen
Problem, Thema
Systematisierung,Untersuchung,
56
Birgit Weber: Handlungsorientierte Methoden. In: Handlungsorientierte Methoden in der Ökonomie, Hrsg:
Steinmann, Weber. Kieser, Neusäß, 1995, S. 18 - 19;
Clark, C.H.: Brainstorming. Verlag Moderne Industrie, München 1967;
Ulmann, G.: Kreativität. Beltz-Verlag, Weinheim, 1970;
Sader, M., Clemens-Lodde,B.: Kleine Fibel zum Hochschulunterricht. Beck-Verlag, München 1970
Kontrollfragen
1. Nennen Sie eine geeignete Problemstellung für ein Brainstorming! Begründen Sie Ihre Auswahl!
2. Welche psychologischen Effekte unterstützen die Kreativität der Schülerinnen und Schüler beim
Brainstorming?
Wie kann der Schwierigkeitsgrad der Problemstellung reduziert werden?
57
Das Experteninterview
Definition
Das Experteninterview ist eine zielgerichtete Befragungssituation, wobei sich der Befragte durch einschlägiges Wissen
auszeichnet. Es dient der Informationsbeschaffung.
“ Die Befragung von Experten gehört zu der Gruppe der Erkundungsmethoden. Mit Hilfe solcher Methoden werden
Schüler in die Lage versetzt, Informationen, die sie für das Verständnis eines Vorganges oder Sachverhaltes benötigen,
möglichst selbstständig dort aufzuspüren, wo sie ihre lebensbedeutsame Funktion innehaben. Dazu gehört unverzichtbar
die Aufgabe, zwischen sinnvollen und überflüssigen Informationen graduelle Unterschiede auszumachen und möglichst
rationell und effektiv jene Wissensinhalte zu erfassen, die von erkenntinisbildender Bedeutung sind. Da dieser Prozess
stets in konkreten Lebenszusammenhängen abläuft, ist er an praktische Handlungen gebunden.“ (G. Klenk64)
Ziel
Der Erfahrungsschatz des Experten soll die Fragenden zu neuen Informationen, Einsichten und besserem Verständnis
verhelfen, so dass diese dann zu einem eigenen, wohlbegründeten Urteil fähig sind. Gleichzeitig sollen die gewonnenen
Informationen die Basis für neue, möglichst selbständige Schüleraktivitäten bilden.
Anwendungsbereich
Experteninterviews eignen sich für Themen aus dem politisch-sozialen und ökonomischen Bereich wie
Rationalisierung, Mitbestimmung, Tarifvertrag, Tarifautonomie, Arbeitslosigkeit, Berufsorientierung u.ä.. Im Lehrplan
sind Hinweise auf Expertenbefragungen gegeben, z.B. WiB 7 LB 1 Projekt, WiB 9 LB 4 Aufgaben und Bedeutung der
Geldinstitute, WiB 9 LB 4 Arbeitnehmervertretung und WiB 10 LB 3 regionale Wirtschafts- und Infrastruktur.
Durchführung
Auswahl der Experten Den „Experte“ sollte man nicht als allwissend und überhöht darstellen, damit seine Aussagen nicht von vornherein als
„wahr“ oder grundsätzlich richtig interpretiert werden. Auf diese Weise sind auch subjektive Aussagen des Experten
möglich, die Raum für Diskussionen und eigene Urteile lassen. Bei den ersten Interviews könnten beispielsweise
Elternteile oder ehemalige Schüler als „Experten“ eingeladen werden, um die Distanz zwischen Fragern und Befragten
möglichst klein zu halten.
Interviewformen Bei der Expertenbefragung lassen sich drei Formen der Interviewtechnik unterscheiden: das strukturierte, das
teilstrukturierte und das nichtstrukturierte Interview.
„Das strukturierte Interview
Die Fragen, die an den Experten gestellt werden sollen, werden vorab in ihrer Reihenfolge und Formulierung
detailliert festgelegt, ebenso die Schüler, die die Fragen stellen sollen. Der Vorteil dieser Strukturierung ist, daß das
Interview planmäßig ablaufen kann. Ein Nachteil besteht in der starren Festlegung, die eine Vertiefung oder
Ausweitung der Diskussion kaum ermöglichen.
Das teilstrukturierte Interview
Die wichtigsten Inhalte, die vorgesehenen Frageformulierungen und die Reihenfolge werden als Interviewleitfaden
festgelegt. Der Vorteil hierbei liegt in der flexiblen Anwendungs- und Umsetzungsmöglichkeit. Die endgültigen
Formulierungen und die Themenabfolge können, der jeweiligen Situation entsprechend, flexibel gestaltet und
eingebracht werden. Hierbei ist auch der Gefahr weitgehend begegnet, daß sich das Gespräch in Nebengleisen verliert.
Das unstrukturierte Interview
Bei der unstrukturierten Befragungsmethode wird nur noch das Ziel festgelegt. Die Reihenfolge der anzusprechenden
Problemkreise und die Einzelfragen dazu bleiben variabel und offen. Dadurch kann an bestimmten Punkten spontan
eine vertiefende Diskussion zustande kommen. Zusätzliche Informationen, die in der Planung noch nicht berücksichtigt
wurden, können eingebracht werden. Ein solches Gespräch kann jedoch auch von der ursprünglichen Zielsetzung
abweichen, es sei denn, der Experte gibt dem Gespräch trotz fehlender Strukturierung die aus seiner Sicht erwünschte
Richtung" [Frackmann, 198065].
64 Gerald Klenk: „Experten befragen“ in Schweizer/Selzer: Methodenkompetenz lehren und lernen Band 3 –
S. 89; 65Frackmann, M.: Experteninterview, In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/ August 1980
58
In der Hauptschule sollte aufgrund der Sach- und Methodenkompetenz der Schüler und der didaktischen Funktion
innerhalb des Unterrichts vor allem das strukturierte und seltener das teilstrukturierte Interview gewählt werden.
Unterrichtsablaufplanung 1. Phase Vorbereitung des Experteninterviews
Sachinformationen sammeln und vermitteln,
Grunddefinitionen ausarbeiten,
Sach- und Strukturprobleme herausstellen,
Überprüfung der Phase 1 (Lernzielkontrolle).
2. Phase Inhaltliche Bestimmung der Fragen
Erstellen eines Fragenkataloges,
Interne Beantwortung der Fragen durch die Fragenden.
3. Phase Überprüfung der Interviewsituation
Rollenspiel,
(Eventuell Korrektur des Fragenkataloges),
Einladung der (eines) Experten (mit zumindest teilweiser Angabe der vorausgeplanten Fragen zwecks
Vorbereitung und Bereitstellung von Anschauungsmaterial).
4. Phase Interview
Der Lehrer übernimmt die Diskussionsleitung und erläutert die Grundsätze seiner Gesprächsführung.
Ein Schüler stellt anschließend nochmals die Ausgangslage dar.
5. Phase Auswertung des Experteninterviews
Die gesammelten Erkenntnisse werden schriftlich zusammengefasst, neue
Informationen und Einsichten herausgestellt und vertieft.
Literatur zum Experteninterview
Scheuch, E.K.: Das Interview in der Sozialforschung. In: König, R.(Hrsg.), Handbuch der empirischen
Sozialforschung. Bd.1, Stuttgart 1973, S.66-190.
Tempel, K.-H.: Experimentelle Erfahrungen im politischen Unterricht. In: Endlich, H.(Hrsg.): Politischer
Unterricht in der Haupt- und Realschule. Beiträge aus Theorie und Praxis. Diesterweg, Frankfurt a.M. 1972.
Klippert, Heinz: Der Berufsberater in der Schule. In: Arbeiten und Lernen, Heft 56, April 1988, Friedrich-Verlag,
Seelze, S. 9 - 15.
Kontrollfragen
1. Nennen Sie eine geeignete Problemstellung für ein Experteninterview! Warum ist diese Problemstellung am
besten mit einem Experteninterview zu lösen?
2. Welche Anforderungen sollte der/die „Experte/Expertin“ erfüllen?
3. Warum sollte die Lehrkraft nicht als Experte in einem Experteninterview auftreten?
59
Die Fallstudie Angeregt durch die Kasuistik der Juristen, wurde die Fallmethode im Jahre 1908 an der Harvard Business School
(daher auch Harvard-Methode) eingeführt.
Definition und Zielsetzung
Die Fallstudie ist „eine methodische Entscheidungsübung aufgrund selbständiger Gruppendiskussionen am
realen Beispiel einer konkreten Situation“. [Kaiser, 1976, S.5666] Sie wird im Rahmen des handlungsorientierten
Unterrichts angewandt (entspricht mehr der Idee der Arbeitsschule). Die Aneignung des Wissens und die
Problembearbeitung erfolgen stets in selbständiger Arbeit. Den Schülern wird ein konkreter Fall aus der
Wirtschafts- und Arbeitswelt vorgestellt. Sie sollen nach Lösungsmöglichkeiten suchen, sich für eine Lösung
entscheiden und diese begründen können. Dann erfolgt ein Vergleich mit Entscheidungen der Realität und ihren
Bedingungen. Die Fallstudie soll Impulse zu eigenständigen Nachforschungen erzeugen.
Anwendungen
Fallstudien eignen sich z. B. für Lernziele aus der Rechtslehre, z.B. rechtliche Rahmenbedingungen der
Berufswahl, der Arbeit oder z. B. dem Verbraucherschutz.
Tabelle 14: Methodische Varianten der Fallstudie67
Die Phasen der Fallstudie
Der Fall sollte real, schülernah und überschaubar sein und mehrere Lösungsmöglichkeiten offenlassen.
Die Konfrontation mit dem Problemfall (im Klassenverband) Den Schülern soll bewusst werden, dass der entsprechende Fall unmittelbar mit ihrem gegenwärtigen und zu-
künftigen Leben zusammenhängt, und dass die Entscheidungsfindung wesentlich von den Wert- und
Zielvorstellungen der beteiligten Personen abhängig ist.
Die Information (in Gruppen) Die verfügbaren Informationen be- und auswerten, bei Bedarf müssen die erforderlichen Informationen beschafft
werden.
Die Exploration (in Gruppen) Möglichst viele unterschiedliche Lösungsvarianten sollen erarbeitet werden.
66 F.-J. Kaiser: Entscheidungstraining. Bad Heilbrunn, 1976. 67A+L, Heft 10-10a, 1980, S. 41
60
Die Resolution (in Gruppen) Vor- und Nachteile sowie Konsequenzen der alternativen Lösungen müssen in Betracht gezogen werden. Die
Gruppe entscheidet sich für eine Variante.
Die Disputation (im Klassenverband) Vorstellung und Diskussion der Gruppenergebnisse im Gesamtverband. Erneute Diskussion unter veränderter
Perspektive. Abschätzen, inwieweit sich die Lösungen realisieren lassen.
Die Kollation (im Klassenverband) Vergleich der unterrichtlichen Lösung mit der in der Wirklichkeit getroffenen Entscheidung.
Literatur zur Fallstudie:
Kaiser, F.-J.: Entscheidungstraining. Die Methoden der Entscheidungsfindung. Klinkhardt Verlag, Bad
Heilbrunn/Obb. 1976.
Kolb, G. (Hrsg.): Methoden der Arbeits-, Wirtschafts-, und Gesellschaftslehre. Maier Verlag, Ravensburg
1978.
Hastenteufel, P.: Fallstudien aus dem Erziehungsalltag, Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn, 1980.
Kosiol, E.: Organisation des Entscheidungsprozesses, Duncker & Humbolt, Berlin, 1975.
Knapp, R.: Die Fallmethode - ein Modell zur Artikulation von Unterricht, Dissertation, Paderborn, 1976.
Heinze, K.: Anwendung der Fallmethode im beruflichen Unterricht, Volk und Wissen, VEB-Verlag, Ost-
Berlin, 1967
Kontrollfragen:
1. Welche Entscheidungen müssen die Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Phasen einer Fallstudie
treffen?
2. Welche Bedingungen muss ein Fall erfüllen, um im Unterricht sinnvoll behandelt werden zu können?
3. Warum sollte ein „realer“ Fall gewählt werden?
4. Wie gehen Sie im Unterricht damit um, wenn die Schülerinnen und Schüler eine „falsche“ Lösung
gefunden haben?
61
Simulationsspiele als Unterrichtsverfahren
Für Simulationsspiele als weit gefasster Überbegriff finden sich in der Literatur vielfältige Begriffe und
Bezeichnungen, wie Rollenspiel, Planspiel, Konfliktspiel, Konferenzspiel, Computersimulation, Börsenspiel und
Entscheidungsspiel.
Aus den Wortbestandteilen lassen sich keine klaren Abgrenzungen, wohl aber Gemeinsamkeiten und
wesentliche Elemente erkennen. Der gemeinsame Begriff „Spiel“ verweist auf den Spielcharakter und
„Simulation“ auf ein dynamisches Modell.
Planspiele
Definition
Kaiser definiert allgemein das Planspiel als „eine strategisch orientierte Methode zur Vermittlung von Einsichten
in gesellschaftliche Konfliktsituationen, die modellhaft simuliert und handelnd erfahrbar werden“68. Andere
Autoren erweitern die Anwendung auch auf komplexe gesellschaftliche, wirtschaftliche oder technische
Probleme, die in einem dynamischen Modell dargestellt werden und von Spielern handlungs- und
interessensorientiert zu lösen sind. In dieser erweiterten Form ist der Begriff des Planspiels im Lehrplan zu
verstehen.
Durch die Verwendung von Planspielen können die Konsequenzen von (riskanten oder kostspieligen)
Entscheidungen zunächst im Spiel gefahrlos ermittelt und bewertet werden.
Der Modellcharakter ist nach Kaiser69 von fünf Merkmalen gekennzeichnet:
Reduktion: Die Komplexität der Realität wird auf bedeutsame Merkmale und Grundstrukturen reduziert.
Akzentuierung: Bestimmte Bezüge, Faktoren, Gesetzlichkeiten werden hervorgehoben.
Transparenz: Wesentliche Phänomene der Realität werden durch die Reduktion und Akzentuierung
transparent, durchschaubar.
Perspektivität: Im Modell können einseitige Sichtweisen durch das Betonen bestimmter Strukturmerkmale
geschaffen werden. Durch diese unterschiedlichen Aspekte können Sachverhalte leichter erschlossen
werden.
Produktivität: Die mit den vereinfachten Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Modells gefundenen
Erkenntnisse müssen immer wieder in der Realität auf Nützlichkeit überprüft und korrigiert werden.
Den Spielcharakter bestimmen folgende Merkmale:
Die Schüler übernehmen während des Spiels Rollen.
Sie handeln nach den Regeln des Modells. Die Wirklichkeit wird für die Dauer des Spiels durch das Modell
ersetzt.
Sie treffen selbsttätig Entscheidungen, deren Konsequenzen sie im Spiel erleben.
Planspiele sind im weiteren durch eine Gliederung in Zeiteinheiten gekennzeichnet, die im Gegensatz zu
Fallstudien die Spieler unter Zeitdruck setzen und damit Spannung und Ernsthaftigkeit erzeugen.
Anwendungen
Der Lehrplan für die Mittelschule sieht z. B. für
Aufgaben und Bedeutung der Geldinstitute (WiB 9 LB 4),
Struktur und Entwicklung des regionalen Wirtschaftsraumes (WiB 10 LB 3) und
die Aktienbörse (WiB 10 LB 3)
Simulationsspiele vor.
Anforderungen an das Simulationsspiel/Planspiel
Dieses soll:
die Konfrontation mit komplexen und/oder schwer überschaubaren 'Lebens'-situationen (Prozessen) in
inhaltlich reduzierter Form widerspiegeln,
Einblick in mögliche Denk- und Entscheidungsprozesse ermöglichen,
die Durchführung von unterschiedlichen Lösungsvarianten ermöglichen,
die Darsteller (Spieler) in ihrer Handlungs- und Entscheidungskompetenz fördern und damit der Erziehung
zur Selbständigkeit in komplexen Lebenssituationen dienen,
mit seinem Spielthema (Intention) die verbindlichen Lernziele/Lerninhalte abdecken,
keine vorschnellen Lösungen nach kurzer Spieldauer zulassen,
68 Hoppe, M.: Planspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, Friedrich Verlag,
Seelze, S. 57. 69 Kaiser, Franz-Josef: Arbeitslehre. Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 19974. S. 230
62
durch seinen formalen Spielbezug (Regeln) die
Darsteller nicht zu stark in einen Handlungsrahmen
einzwängen, um möglichst viele Variationen von
Problemlösungen zuzulassen.
Der Darsteller/Spieler/Lernende darf das Simulationsspiel
nicht als Realität missverstehen. Es muss die Einsicht
vorhanden sein, dass der Modellcharakter des Spiels kein
Ersatz für das verantwortungsvolle Handeln in
'Ernstsituationen' ist. Ferner verlangt die Simulation von
allen Teilnehmern ein gewisses Maß an Spontaneität und
Phantasie.
Die Qualität eines Simulations- oder Plansspieles (daraus
ergeben sich dann auch die Grenzen des methodischen
Einsatzes im Unterricht) hängt davon ab,
„welche Verkürzungen, Vereinfachungen und
Hervorhebungen bei der Konstruktion des Modells
vorgenommen wurden und welche gesellschaftlichen
Teilperspektiven das Spielmodell demzufolge betont,
ob das Spielmodell von den Spielern durchschaut
werden kann,
welche Handlungsfreiheiten es den Spielern
gewährt, bzw. wie stark es deren Handlungsfreiraum durch
Regeln einengt,
inwieweit der Reaktionsbereich auf die Aktionen
der Spieler angemessen reagiert und kalkulierbares
Spielhandeln ermöglicht“70.
Didaktische Funktionen
An Hand eines Simulationsspiels ist es möglich, genau die
Konsequenzen von Fehlern zu erleben, die jeder von uns
im Leben häufig macht. Das Simulationsspiel ist somit ein
sehr gutes Training für die Handelnden, was natürlich keine
Gewähr dafür ist, solche Fehler in Zukunft ein für allemal
zu vermeiden. Die Handelnden lernen aber mit
Handlungsdruck und Misserfolg umzugehen. Kurz: die
Erziehung zu komplexem Denken, einfallsreichem und
spontanem Handeln kann gefördert und trainiert werden.
Das Planspiel im engeren Sinne
In dieser Form handeln die Schüler als Mitglieder von
gesellschaftlichen Interessengruppen. Sie kommunizieren
dabei ausschließlich in schriftlicher Form. Wie auch das
allgemeine Simulations- oder Planspiel, bietet das Planspiel
im engeren Sinne den Schülern die Chance, sich durch die
Auseinandersetzung mit einer simulierten Wirklichkeit auf
das "zukünftige" Leben vorzubereiten. Da sich die
Spieler/Schüler im Planspiel vorrangig als Mitglieder von
Interessengruppen, die sie spielen, identifizieren, eignet
sich diese Methode besonders zur Bewusstmachung der
Verhaltensweisen gesellschaftlicher Gruppen.
Im Unterschied zum Simulationsspiel wird hier das Spiel
zwischen mehreren Gruppen über eine Spielleitung, der
auch der Lehrer angehört, ausgetragen. Ein direkter
Kontakt der einzelnen Spielgruppen ist in der „Spielphase“
bis auf wenige Ausnahmen (kurze Besprechungen
70 Buddensiek, W.: Simulationsspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980,
Friedrich Verlag, Seelze, S. 82-83
Bild 4: Idealtypisches Verlaufskonzept von Simulationsspielen [Buddensiek, 1980]
63
zwischen Vertretern von Gruppen) untersagt. Alle Entscheidungen und Handlungen der Gruppen werden
schriftlich ausformuliert und mit mindestens drei Durchschlägen (je ein Exemplar für die Absender-,
Empfängergruppe und die Spielleitung) der Spielleitung zugeleitet. Diese vermerkt die Reihenfolge der
eingehenden Positions- oder Argumentationspapiere und leitet erst im Anschluss daran einen Durchschlag der
vorbestimmten Empfängergruppe zu. Die Spielleitung hat aufgrund ihrer damit gewonnenen Übersicht zum
Spielverlauf auch die Konsequenzen der einzelnen Gruppenentscheidungen zu überdenken und muss, wenn
nötig, korrigierend (sozusagen als gesellschaftliche Umwelt) in das Spiel eingreifen. Dies kann geschehen durch
zusätzliche Informationseingaben an einzelne oder in Form einer "Pressemitteilung" an alle Spielgruppen.
Literatur zum Planspiel
Buddensiek, W.:
Pädagogische
Simulationsspiele im
sozio-ökonomischen
Unterricht der
Sekundarstufe 1.
Theoretische Grundlegung
und Konsequenzen für die
unterrichtliche Realisation.
Klinkhardt Verlag, Bad
Heilbrunn 1979.
Lehmann, J.:(Hrsg.):
Simulations- und
Planspiele in der Schule.
Reihe: Forschen und
Lernen, Bd.3, Hrsg.: F.-J.
Kaiser. Klinkhardt Verlag,
Bad Heilbrunn 1977.
Helmut Keim:
Planspiel, Rollenspiel,
Fallstudie. 1. Aufl.,
Wirtschaftsverlag Bachem,
Köln 1992
Tabelle 15: Verlaufsphasen beim Planspiel
Kontrollfragen:
1. Nennen Sie ein für Mittelschüler geeignetes Planspiel/Simulationsspiel im WuB Unterricht, das im
Internet verfügbar ist!
2. Erläutern Sie die „Produktivität“ dieses Spiels!
3. Welche Kompetenzen verbessern die Schülerinnen und Schüler bei Simulationsspielen?
4. Welche Vorteile bietet die schriftliche Kommunikation zwischen den Gruppen beim Planspiel im
engeren Sinne?
Das Rollenspiel
Definition:
„Das Rollenspiel ist ein Verfahren, das in simulierter Form Situationen aus dem Alltäglichen oder Fiktiven
darstellt, die entweder aus dem Erfahrungsbereich der Beteiligten stammen oder für sie erfahrungsvorbereitend
sind, somit die Interaktionsfähigkeit der Beteiligten anspricht bzw. fördern soll“71.
Gerade die vorberuflichen und beruflichen Themen des Arbeitslehreunterrichts bieten dem Rollenspiel ein
geeignetes Einsatzfeld (z.B. Verhalten während des Betriebspraktikums; Rollenverteilung von Mann und Frau
im Betrieb; welchen Beruf soll ich ergreifen (Berufswahl)?).
71 Behrens, G.: Rollenspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, Friedrich Verlag,
Seelze, S. 73-74.
64
So unterscheidet man hier nach dem spontanen und dem angeleiteten Rollenspiel.
„Im spontanen Rollenspiel werden Konfliktsituationen der Beteiligten aufgegriffen, die im unmittelbaren
Zusammenhang mit ihrem Umfeld stehen, wie z.B. Familiensituation, Freundeskreis, Schulprobleme usw.. Da
diese Situation den Beteiligten bekannt und vertraut ist, kommt es beim spontanen Rollenspiel außer einer
kurzen Einstimmung zu keiner größeren Vorbereitung. Vorgegeben ist nur die Situation, während der Ablauf und
die einzelnen Rollen flexibel gehandhabt werden können.
Beim angeleiteten Rollenspiel steht das Erarbeiten und Lösen von Situationen im Vordergrund, die nicht aus
dem Alltagserleben der Beteiligten stammen, sondern im Vorgriff auf zukünftige Situationen thematisiert werden.
Diese, dem Spieler bisher nicht geläufigen Rollen, können je nach Unterrichtsfach und Lernziel:
aus anderen gesellschaftlichen Bereichen genommen werden,
der Geschichte entstammen,
aus dem eigenen Bereich sein, aber mit fiktiven Verhaltensweisen,
die Zukunft betreffen.
Bei dieser Darstellung ist zu beachten, dass die einzelnen Abgrenzungen und Übergänge nicht immer eindeutig,
sondern fließend sein können“72.
Im Wesentlichen geht es hier nicht um die Vermittlung von Faktenwissen, sondern die Schüler sollen:
Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse anderer gewinnen,
die Fähigkeit erhalten, unterschiedliche Sprechstrategien situationsgerecht einzusetzen,
die Fähigkeit erlangen, übernommene Normen bei veränderten Situationen infrage stellen zu können,
Bereitschaft zeigen, divergierende Erwartungen und Bedürfnisse zu tolerieren und
Handlungsfähigkeiten und soziale Komponenten stärken und erweitern (z.B. ihr Verhalten in
Konfliktsituationen).
„Hieraus lassen sich folgende Lernziele ableiten:
Der Schüler
erkennt seinen eigenen Informationsstand,
erkennt den Informationsstand seiner Kommunikationspartner,
erkennt seinen eigenen Standpunkt,
setzt sich kritisch mit seiner später zu erwartenden Rolle auseinander,
gewinnt Abstand zu seinem eigenen Rollenverhalten,
entwickelt Problemlösungsverhalten und
erfährt die Veränderbarkeit von angeblich festgelegten Fakten.
Aus diesen Zielen kann man ableiten, dass es einerseits darum geht, den Schüler mit seiner eigenen Verhal-
tensweise zu konfrontieren, andererseits ihm mögliche Verhaltensweisen seiner Kommunikationspartner zu prä-
sentieren, mit denen er sich auseinandersetzen muss. Konflikte, die aus diesem Interaktionsprozess entstehen,
machen es möglich, z.B. durch Aufzeigen von Handlungsvarianten, dem Schüler ein Instrument an die Hand zu
geben, das es ihm ermöglicht, mit diesen Situationen umzugehen bzw. sie zu verändern...“73.
Anwendungen
Rollenspiele sind im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben für WiB 8 LB 2, WiB 9 LB 3 und WiB 10 LB 2:
„Vorstellungsgespräch“.
Der Einsatz des Rollenspiels im Arbeitslehreunterricht
Vorbereitung Die Problemstellung bzw. die Ausgangssituation wird erarbeitet und die Ziele des Rollenspiels festgelegt. Je
nach Lernprozess und Lerngruppe können engere oder weiterreichende Situationen und Rollen vorgegeben
72 Kolb, G. (Hrsg.): Methoden der Arbeits-, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre, Farber-Hense: Das
Rollenspiel, S. 27-30, O. Maier Verlag, Ravensburg, 1978. 73 Behrens, G.: Rollenspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, Friedrich Verlag,
Seelze, S. 73-74.
65
werden. In Arbeitsgruppen, die identisch mit den Spielgruppen sein können, werden die Situationsdefinition, die
Rollencharakteristika und eventuell Argumentationen vorbereitet. Die Rollenverteilung kann im Plenum oder in
den Kleingruppen selbständig geschehen. Die ganze Lerngruppe, die Zuschauer oder spezifische Beobachter
erarbeiten Beobachtungskriterien bzw. Leitfragen, die sich auf die Problemstellung beziehen.
Durchführung Ausgehend von den erarbeiteten Kriterien oder den Vorgaben wird das Rollenspiel dargestellt. Nach dieser
ersten Spielszene kann es zu einer weiteren Darstellung mit anderen Mitspielern, aufgrund einer Diskussion aber
auch zur Veränderung des Ablaufs kommen.
Auswertung Für eine Auswertung stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
1 Nach jeder kurzen Spielszene kann eine Auswertung stattfinden, Vorschläge der Zuschauer und Spieler
können sofort in der nächsten Spielszene aufgenommen werden, wobei primär die emotional-soziale
Komponente der Rolle in den Vordergrund rückt.
Diskussions- und Auswertungsgrundlage können sein:
Aus der Sicht der Spieler:
Wie habe ich mich erlebt?
Ist mir die Rolle leicht gefallen?
Wie habe ich meinen Interaktionspartner erlebt?
Aus der Sicht der Beobachter:
Wie habe ich die einzelnen Spieler erlebt?
Wie hat die Situation auf mich gewirkt?
Wie wurde aufeinander eingegangen?
Was hätte ich anders gemacht?
Diese Form wird angebracht sein, wenn die Anleitung nur als Einstieg gedacht ist, der weitere Verlauf
des Rollenspiels aber offen bleiben soll.
2 Die Auswertung kann nach einer abgeschlossenen Spieleinheit nach den vorher erarbeiteten oder
vorgegebenen Beobachtungskriterien stattfinden. Spezifische Rollencharaktere, Abhängigkeiten und
Determinanten der Interaktion können herausgearbeitet werden.
Beim Einsatz des Rollenspiels in der Klasse sollten von der Lehrkraft folgende Kriterien beachtet werden:
Es darf nicht inhaltlich überladen sein;
die einzelnen Spielszenen dürfen nicht zu lange dauern;
beim erstmaligen Einsatz sollten kleinere Spieleinheiten eingebracht werden und
es sollten nicht zu viele Schüler in einer Szene mitspielen“74.
Literatur zum Rollenspiel
Kolb, G. Hrsg.) Klaus Farber, Friedrich W. Hense: Methoden der Arbeits-, Wirtschafts- u.
Gesellschaftslehre, O. Maier-Verlag, Ravensburg, 1.Auflage,1978.
Coburn-Staege, U.: Lernen durch Rollenspiel, Theorie u. Praxis für die Schule, Fischer-Verlag,
Frankfurt/M.,1977
Kontrollfragen:
1. Nennen Sie je ein Beispiel für ein spontanes und ein angeleitetes Rollenspiel!
2. Nennen Sie mögliche Beurteilungskriterien für die „Beobachter“ eines Rollenspiels!
3. Wie können Sie den Schwierigkeitsgrad eines Rollenspiels für extrem introvertierte Schülerinnen und
Schüler stark reduzieren?
74 Hoppe, M.: Planspiel; In: Arbeiten und Lernen, Heft 10-10a, Juli/August 1980, Friedrich Verlag,
Seelze, S. 57.
66
Projekte
Kaiser und Kaminski definieren die Projektmethode als eine Unterrichtsform, „die getragen von einer Sichtweise
des Unterrichts, bei der von einem zunehmend gleichberechtigten Rollenverständnis von Lehrenden und
Lernenden ausgegangen wird und die Projektgruppe im Sinne einer gemeinsamen Zielsetzung ihre Lern- und
Arbeitsschritte gemeinsam plant, durchführt und reflektiert.“75 Die klassische Form des handlungsorientierten
Unterrichts ist durch eine Reihe von Merkmalen gekennzeichnet. Wenn nur einige dieser Merkmale auf den
Unterricht zutreffen, spricht man vom projektorientierten Unterricht.
Merkmale
Die folgenden Merkmale wurden von Gudjons76 zusammengetragen und liefern eine ausführliche Beschreibung
von Projekten. Manche Autoren fassen einzelne Positionen zusammen, stimmen aber inhaltlich mit Gudjons
größtenteils überein..
Situationsbezug Die Lerninhalte werden nicht fachsystematisch sondern aufgabenbezogen ausgewählt. Maßgeblich ist ihrer
Bedeutung für die Lösung der Aufgabe, so wie sie die Schüler in der Wirklichkeit erleben.
Orientierung an den Interessen der Beteiligten Die Aufgabenstellung soll aus dem aktuellen oder zukünftigen Leben der Schüler entnommen sein und von den
Schülern als bedeutsam anerkannt werden. Die Schüler sollen das Thema mit auswählen und während der
Bearbeitung gegebenenfalls flexibel verändern können, um eine hohe Motivation zu erreichen.
Gesellschaftliche Praxisrelevanz Das Ergebnis dient nicht ausschließlich den Interessen der Schüler, sondern auch der Gesellschaft als Ganzes.
Gesellschaftliche Ziele und Wertvorstellungen dienen als Korrektiv zu willkürlichen Schülerentscheidungen und
fördern den Ernstcharakter. Die Aussicht auf öffentliche Anerkennung steigert die Motivation.
Zielgerichtete Projektplanung Die Aufgabe liefert das Ziel, die Erfolgskriterien und den Beurteilungsmaßstab. Die Schüler planen
Arbeitsschritte und prüfen alle auftretenden Entscheidungen anhand dieser Vorgaben.
Selbstorganisation und Selbstverantwortung Die Schüler sollen möglichst viele Entscheidungen selbst treffen. Besonders bei organisatorischen
Entscheidungen innerhalb eines Projekts mit klaren Erfolgskriterien können die Folgen einzelner
Entscheidungen schnell von den Schülern selbst erkannt und gegebenenfalls korrigiert werden. Die
Verantwortung für den Erfolg oder Misserfolg übernehmen die Schüler nur bei selbsttätigen Entscheidungen.
Einbeziehen vieler Sinne Natürliche Handlungen beziehen viele Sinne ein und verursachen nachhaltige Eindrücke, die das Behalten
fördern. Wenn, wie bei Projektarbeit, sich geistige und manuelle Arbeit notwendigerweise ergänzen, wird der
ganze Mensch gefordert und einseitige Belastung und Ermüdung reduziert.
Soziales Lernen Die gemeinsame Zielsetzung führt in den Gruppen zur Kommunikation zwischen den Schülern und dem Lehrer.
Effektive Verhaltensweisen, wie demokratische Verkehrsformen, unterstützen erkennbar den
Informationsaustausch, die Entscheidungsfindung und die Produktivität. Sie lernen kooperativ Konflikte zu
lösen.
Produktorientiertheit „Am Ende des Projektunterrichts stehen nicht wie im herkömmlichen Unterricht ein mit theoretischem Wissen
überfrachteter Schüler, sondern es stehen Ergebnisse, die Gebrauchs- und Mitteilungswert haben.“77
Vordergründig dienen die Produkte als Grundlage für die Beurteilung der Leistung durch die Schüler selbst, den
Lehrer und die Öffentlichkeit. Für den Lehrer ist aber oft der Weg zum Produkt letztendlich ausschlaggebend.
Als Produkte eignen sich
Aktions- und Kooperationsprodukte ( z.B. Hilfe für Katastrophengebiete)
Vorführungs- und Veranstaltungsprodukte (z.B. Theatervorführung)
Dokumentationsprodukte (z.B. Broschüre)
Ausstellungsprodukte (z.B. Wanderausstellung)
Gestaltungsprodukte (z.B. Schulhof, Klassenzimmer)
75 F.-J. Kaiser, H. Kaminski: Die Projektmethode. In: Methodik des Ökonomieunterrichts. Klinkhardt,
Heilbrunn, 1994, S. 267 76 Herbert Gudjons: Handlungsorientiert lehren und lernen. 4. Aufl., Klinkhardt, Bad Heibrunn, 1994 77 Ludwig Duncker, Götz, Bernd: Projektunterricht als Beitrag zur inneren Schulreform. 2. Aufl.,
Langenau Ulm ,1984, S. 139
67
Interdisziplinarität Durch den Systembezug sind die Lerninhalte des Projekts meist verschieden Schulfächern zugeordnet. Aus den
einzelnen Fächern werden die benötigten Informationen mit einbezogen, idealerweise arbeiten die „Fach“-Lehrer
mit. Auf diese Weise kann das Projekt Impulse für viele Fächer liefern und vertiefende Überlegungen anregen.
Die Rolle des Lehrers „Der Lehrer lenkt und leitet das Planen. Er greift ein, wenn Schüler Hilfe brauchen.“[Frey, 1990, S. 182]78 Je
nach Übungs- und Kenntnisstand der Schüler beteiligt sich der Lehrer ordnend und helfend an den Arbeiten.
Durch seine umfassenderen Kenntnisse und Fähigkeiten (Vorbereitung!) behält er den Überblick und kann
Fehlentwicklungen gegebenenfalls verhindern.
Ziele
Neben inhaltlichen Zielen stehen bei Projektarbeit vor allem Schlüsselqualifikationen im Vordergrund. Durch
handlungsorientiertes, problemlösendes Verhalten verbessern die Schüler effektiv ihre Handlungs- und
Entscheidungskompetenz.
Im Hinblick auf die zukünftige berufliche Tätigkeit sind drei Ziele hervorzuheben:
1. „Im Rahmen der Projektarbeit sollen die Schüler insbesondere Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, die
von ihnen als zukünftiger Facharbeiter verlangt werden.
2. Durch die Projektarbeit sollen extrafunktionale Qualifikationen wie Problemlösungsfähigkeit,
Teamfähigkeit, Denklebendigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Planungsfähigkeit, Kreativität, Kritikfähigkeit
und Verantwortungsbewußtsein gefördert werden, die für die Bewältigung der beruflichen Aufgaben an
Bedeutung zunehmen. Dies wird erreicht durch die Grundforderung der Projektarbeit, daß die
Projektgruppen ihre Arbeit so weit wie möglich selbständig und eigenverantwortlich planen und ausführen.
3. Überall dort wo schulisches Lernen in Routinearbeit zu erstarren droht, soll die Projektarbeit diese durch
besondere Aufgabenstellungen und Vorhaben durchbrechen und Arbeit initiieren, die von den Jugendlichen
besondere Denkanstrengungen, Kreativität, Phantasie und Eigeninitiative verlangen.“79
Durchführung
Die vier klassischen Projektschritte Zielsetzung - Planung - Ausführung - Beurteilung erweitern Kaiser u.a. auf
einen 5-stufigen Ablaufplan (s. Bild 5). Eingebaute „Fixpunkte“ sollen Teilabschnitte während des Projekts
markieren, bei denen die bisherigen Ergebnisse vorgestellt, überprüft und evtl. korrigiert werden und sich die
Gruppen neu abstimmen lassen. „Meta-Interaktionen“ (Zwischengespräche) innerhalb einzelner Gruppen helfen
auftretende soziale oder inhaltliche Probleme (Streit, Mutlosigkeit) zu überwinden.
78 Karl Frey: Die Projektmethode. 3. Aufl., Weinheim Basel, 1980 79 F.-J. Kaiser, H. Kaminski: Die Projektmethode. In: Methodik des Ökonomieunterrichts. Klinkhardt,
Heilbrunn, 1994, S. 271 f
68
Bild 5: Verlaufsstruktur der Projektmethode80
Beurteilung projektorientierten Arbeitens
Neben den abfragbaren kognitiven Lerninhalten kann auch die Handlungs- und Entscheidungskompetenz
einzelner Schüler beurteilt werden. Probleme bereitet hier
die individuelle Bewertung, da die Schüler meist in Gruppen arbeiten und aufgrund der Aufgabenstellung
das gemeinsame Produkt im Vordergrund steht, das die individuelle Leistung oft nicht mehr erkennen läßt;
die Wirkung der Beurteilung auf die Motivation einzelner Schüler, da der Freiraum wieder eingegrenzt
wird;
der möglicher Leistungsdruck, der kontraproduktiv zu sozialem Lernen stehen kann und
fehlende Standardisierung und Grundlegung der Beurteilung von Handlungs- und
Entscheidungskompetenzen im Unterricht und in den Zeugnissen.
80 Kaiser, Brettschneider, Flottmann: , 1993, S. 136
3. Projektplan Hier sind die konkreten Pläne zu schmieden. Was soll tatsächlich von wem in welcher Form und Zeit angepackt werden?
1. Projektinitiative Betätigungsvorschlag - inhaltlich noch nicht mehr als höchstens skizziert. Kann von einem Außenstehenden, einem Mitglied der Lerngruppe, dem Lehrer kommen.
2. Auseinandersetzung mit der Initiative Verwerfen oder Aufgreifen der Initiative innerhalb eines zuvor vereinbarten Zeitrahmens. Skizzierung möglicher Inhalte und Tätigkeiten.
5. Abschluss des Projektes Je nach Gegenstand des Projekts:
• bewußter Abschluß durch eine Aufführung, Ausstellung o. ä.
• es kann auslaufen
• es kann bereichernd in den Alltag münden (z.B. Wenn das Projekt eine Änderung des Sozialverhaltens zum Gegenstand hatte)
• es kann durch eine Rückkopplung mit der Initiative beendet werden, etwa durch den Vergleich der erworbenen mit den zuvor vorhandenen Fähigkeiten
4. Projektdurchführung Die zuvor geplanten Schritte sind nun ‚aufzuarbeiten‘. Dabei können, bzw. müssen im Laufe der Durchführung je nach Bedarf die nebenstehenden Zwischenschritte eingebaut werden.
4.1 Fixpunkt Er dient dazu, Teilergebnisse vorzustellen und abzustimmen, den Zeitverlauf zu überprüfen, ggf. Revisionen vorzunehmen usw.
4.2 Zwischengespräch Hier sollen Fragen der Zusammenarbeit der Gruppe, auftretende und unvorhersehbare Probleme des Umgangs miteinander geklärt werden.
2. Auseinandersetzung mit der Initiative Verwerfen oder Aufgreifen der Initiative innerhalb einer zuvor vereinbarten Zeitspanne. Skizzierung möglicher Inhalte und Tätigkeiten. (Ideensammlung)
Nach Kaiser/ Brettschneider/ Flottmann 1993, S. 136
69
Um die Methoden-, Sach- und Sozialkompetenz zu beurteilen, müssen die Bewertungsmerkmale dem
Schüleralter, der Schülerpersönlichkeit und den schulischen Anforderungen des einzelnen Projektes entsprechen.
Bild 6 zeigt ein Beispiel eines Beurteilungsbogens, bei dem den einzelnen Projektphasen Bewertungskriterien
zugeordnet sind. Die Bewertung muss mit den Schülern abgesprochen werden und sollte nur bei größeren
Projekten, die länger als zwei Wochen dauern, angewandt werden.
Lehrkraft, Eltern und Schüler erhalten mit Hilfe dieser Bögen eine Rückmeldung über die Stärken und
Schwächen des Schülers während des gesamten Projektverlaufs.
Beurteilungsbogen für den Projektunterricht
Name, Vorname: Projekt
Beurteilungszeitraum: bis Klasse
Beurteilungsmerkmal Merkmalsausprägung (zutreffende Punktzahl einrahmen)
Informieren alle Informationen werden selbständig besorgt
wesentliche Informationen werden alleine erarbeitet
Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung
selbständige Informationsbeschaffung fehlt
3
2
1
0
Hinweise:
Planen, Entscheiden plant systematisch und zielorientiert
plant meist zielorientiert
verliert häufig den Überblick
Planung fehlt
3
2
1
0
Hinweise:
Ausführen hält sich an die geplanten Arbeitsschritte und arbeitet zügig
(auch schriftlich)
hält sich im allgemeinen an die geplanten Arbeitsschritte
benötigt noch zusätzliche Anweisungen
benötigt durchwegs Hilfestellungen
3
2
1
0
Hinweise:
Qualität, Kontrolle Arbeitsergebnis entspricht voll den Anforderungen; Arbeit wird
selbständig überprüft
Arbeitsergebnis entspricht den Anforderungen
Anlaß zu Beanstandungen
Ergebnis entspricht nicht den Anforderungen
3
2
1
0
Hinweise:
Arbeitsstil, Teamarbeit bleibt bei der Sache, arbeitet mit anderen gut zusammen,
argumentiert überzeugend
bleibt meist bei der Sache, arbeitet mit anderen zusammen
bleibt noch nicht beständig bei der Sache
zu leicht ablenkbar, keine Teamarbeit
3
2
1
0
Hinweise:
Präsentation verbal und optisch (Medien) gut verständlich und kritisch
präsentiert
Wesentliches gut verständlich vorgestellt
die Arbeit wird nur in Teilbereichen vorgestellt
Präsentation fehlt
Hinweise:
Datum Gesamtpunktzahl Note
Bild 6: Beispiel eines Beurteilungsbogens für den Projektunterricht81
Literatur zum Projekt:
Franz-Josef Kaiser, Hans Kaminski, Methoden des Ökonomieunterrichts, Bad Heilbrunn 1994
Herbert Gudjons: Handlungsorientiert lehren und lernen. 4. Auflage. Bad Heilbrunn 1994
81 Innovative Formen des Lehrens und Lernens. - Handreichung - . Hrsg: Studienkreis Schule-
Wirtschaft Bayern. Schrifenreihe des bbw Band 23. München 1993, S. 37
70
Karl Frey: Die Projektmethode. 3. Auflage. Weinheim, Basel 1990
Dagmar Hänsel, Müller. H.: Das Projektbuch Sekundarstufe. Weinheim 1988
Roland Dörfler, Andreas Gmelch: Praxis 7 Arbeit – Wirtschaft – Technik, Lehrerband mit Kopiervorlagen.
Westermann. Braunschweig 2005.
Kontrollfragen:
1. Nennen Sie je ein Beispiel für ein Projekt im WuB - Unterricht!
2. Formulieren Sie eine geeignete Problemstellung für dieses Projekt aus der auch die Qualitätskriterien
des zu erstellenden Produktes ersichtlich sind!
3. Wie können Sie den Schwierigkeitsgrad eines Projektes für besonders leistungsfähige Schülerinnen und
Schüler anheben?
71
Zukunftswerkstatt82
Die Zukunftsforscher und Friedenskämpfer Robert G. Jungk und sein Mitarbeiter Norbert Müllert entwickelten
in den 60iger Jahren die Methode (hier Unterrichtsverfahren) der Zukunftswerkstatt. Die Ansätze der
amerikanischen und europäischen Studentenbewegungen wurden von Bürgerinitiativen aufgegriffen, um
konstruktive Lösungen für soziale und ökologische Probleme zu liefern. Die Zukunftswerkstatt wurde 1997 im
bayerischen Hauptschullehrplan erstmalig erwähnt.
Merkmale
Nach Apel (1996) handelt es sich bei Zukunftswerkstätten um Zusammenkünfte von Bürgerinnen und Bürgern
bzw. Betroffenen, die mit Hilfe kreativer, moderierter Workshoptechniken gemeinsam versuchen, Strategien zur
Lösung eines Problems im Sinne einer besseren Zukunft zu erarbeiten. Dies geschieht gedanklich, verbal und
handwerklich.
Zukunftswerkstätten bestehen aus mindestens 3 Phasen:
Die Kritikphase, in der bestehende Missstände aufgedeckt werden,
der Utopie- bzw. Fantasiephase, in der ideale zukünftige Zustände kreativ entwickelt werden und
der Realisierungsphase, in der Unsetzungsstrategien der Utopien entwickelt werden83.
Anwendungen
Die Zukunftswerkstatt ist im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben für WiB 8 LB 2 Berufswegplanung und
WiB 8 LB 2 Reflexion des eigenen schulischen Leistungsvermögen.
Ziele
„In Zukunftswerkstätten sollen Menschen alternative Zukunftsvisionen und Strategien zur Realisierung
entwickeln. Auf diese Weise soll Zukunft als offen und gestaltbar erlebt werden und nicht als schicksalhafte
Fortschreibung gegenwärtig gefährdender Entwicklungen …“84
Im Hauptschullehrplan ist eine Zukunftswerkstatt im Rahmen der Berufs- und Lebensplanung in M-Klassen
(M8) vorgesehen. In Haupt- und Förderschulen bieten sich darüber hinaus viel komplexe Themenbereiche an,
die mit Zukunftswerkstätten thematisiert werden können, z. B.:
Arbeits- und Berufswelt, z. B. arbeiten in der im Jahr 2040 (Automatisierung, Globalisierung)
Soziale Gesellschaft, z. B. Leben im Alter und bei Krankheit (Dienstleistungen, Finanzierung)
Umwelt, z. B. Energieversorgung, Elektrosmog, Abfallentsorgung
Durchführung85
Das Strukturmodell einer Zukunftswerkstatt kann nach Weinbrenner/Häcker86 in fünf Abschnitte gegliedert
werden.
Vorbereitungsphase In der Vorbereitungsphase wird das Thema festgelegt. Es soll alle Beteiligten betreffen, als lösungsbedürftig und
auch als grundsätzlich lösbar angesehen werden. Als Raumausstattung werden ein Sitzkreis, Tafeln, Stellwände,
Platz zum Aufhängen von Plakaten und evtl. Rückzugsmöglichkeiten zur Entspannung bereitgestellt. Ideal
wären z. B. die Räumlichkeiten in einem Schullandheim. Als Arbeitsmaterial benötigt man Schreibzeug, große
Papierbögen für Plakate, Klebeband zum Aufhängen, einen PC mit Drucker und evtl. eine Kopiermöglichkeit.
Die ideale Gruppengröße beträgt 20 Personen. Sind es mehr Teilnehmer, sollten mehrere Moderatoren und
Gruppenräume organisiert werden. Kleingruppen bis zu drei Personen sollten sich in Nischen oder andere
Räume zurückziehen können. Die Zeitplanung muss sicherstellen, dass die drei Hauptphasen (Kritik-, Fantasie-
und Verwirklichungsphase) in jedem Fall durchlaufen werden. Gruppen mit unbekannten Teilnehmern sollten
sich zunächst einstimmen, d. h. sich kennen lernen können und die Geschichte, die Zielsetzung und den Ablauf
bzw. die Spielregeln der einzelnen Phasen des Verfahrens vorgestellt bekommen.
82 vgl. Kathrin Pfeufer: Das Unterrichtsverfahren der Zukunftswerkstatt. Zulassungsarbeit an der TU-
München, Lehrstuhl für Ergonomie, 2001 83 vgl. Weber, Birgit: Zukunftswerkstatt. In: Schweizer, G., Selzer, H.M. Hrsg.: Methodenkompetenz
lehren und lernen. Röll, Dettelbach 2001, S. 245 84 Weber, Birgit: Zukunftswerkstatt. In: Schweizer, G., Selzer, H.M. Hrsg.: Methodenkompetenz lehren
und lernen. Röll, Dettelbach 2001, S. 245-250 85 vgl. Dörfler, Gmelch 2005, S. 15 86 Peter Weinbrenner, Häcker, W.: Theorie und Praxis von Zukunftswerkstätten. In: Olaf-Axel Burow,
Neumann-Schönwetter, M.N. (Hrsg.): Zukunftswerkstatt in Schule und Unterricht. Bergmann+Helbig, Hamburg, 1997, S. 26ff
72
Kritikphase Hier sollen möglichst präzise und radikal bestehende Missstände und ungelöste Probleme in drei Schritten
aufgedeckt werden.
1. Kritiksammlung
Durch provozierende Leitfragen der Lehrkraft bzw. der Moderatoren sollen die Schüler Kritikpunkte und
Problem z. B. auf Handzetteln oder einem gemeinsamen Plakat in kurzen Stichworten sammeln.
Verschiedenste Ängste und Sorgen werden, angeregt durch die Äußerungen anderer Schüler, aufgedeckt und
bewusst gemacht.
2. Systematisierung und Bewertung
Die einzelnen Kritikpunkte werden zu Problembereichen zusammengefasst. Die Bereiche können
anschließend von der Klasse nach Dringlichkeit und Wichtigkeit bewertet werden, indem z. B. jeder 5
Punkte nach seinen Interessen vergeben kann.
3. Thematische Schwerpunkte bilden
Die als vorrangig bewerteten Problembereiche werden präzisiert und deutlich sichtbar, z. B. auf einem
großen Plakat als Ergebnis der Kritikphase zusammengestellt.
Fantasiephase In der Fantasiephase sollen möglichst kreative Lösungen für die aufgedeckten Probleme der Kritikphase
gefunden werden, um so eine positive Stimmung bei den Schülern zu erreichen. Die Spielregeln erlauben
ausdrücklich auch utopische Lösungen, so als ob beliebig viel Geld und Macht verfügbar wäre. Kritik ist nicht
erlaubt!
Es kann in vier Einzelschritten vorgegangen werden:
1. Kritikpunkte positiv umformulieren
Zu jedem Kritikpunkt wird eine positive Alternative formuliert. Diese Alternativen liefern Anregungen für
umfassendere, kreative Vorstellungen.
2. Brainstorming
Die Schüler sollen möglichst phantasievolle Vorschläge einer idealen Zukunft entwickeln, ohne an die
Machbarkeit oder Zwänge durch Vorschriften zu denken. Alles ist machbar, alles ist möglich (s. Kapitel
Brainstorming!).
3. Systematisierung und Bewertung
Die Ideen werden nun geordnet und, evtl. wieder durch Punktevergabe, bewertet.
4. Ausarbeitung und Konkretisierung eines utopischen Entwurfs
Dieser Schritt erfolgt in Kleingruppen, die die ausgewählten Ideen eines idealen Zustandes präzisieren und
ausarbeiten. Jede Gruppe stellt ihr Ergebnis möglichst eindrucksvoll (z. B. durch Rollenspiel,
Kurzgeschichte, Gedicht, Comic, Gruppenbild…) vor.
Verwirklichungsphase Hier sollen die utopischen Zukunftsentwürfe mit der Realität konfrontiert und Realisierungsmöglichkeiten
gefunden werden. Der ideale Zustand ist das (ferne) Ziel, das möglichst weitgehend erreicht werden soll. Mit
Fantasie und Einfallsreichtum sollen möglichst vielfältige, neuartige und Erfolg versprechende Wege gefunden
werden. Auch diese Phase ist in einzelne Schritte, die z. T. in Gruppenarbeit gelöst werden, gegliedert:
1. Kritische Prüfung der utopischen Entwürfe
In einer Recherche werden bereits bestehende Lösungsmöglichkeiten zusammengestellt und
Umsetzungsprobleme benannt. Fragen, wie „Was lässt sich heute schon realisieren?“ oder „Was wird bei
der Umsetzung Probleme bereiten?“ oder „Wie beurteilen Experten die Erfolgschancen?“, helfen bei der
systematischen Analyse.
2. Entwicklung von Durchsetzungsstrategien
Auch hier können Fragen, z. B. „Woran muss unbedingt festgehalten werden?“, Wie müsste vorgegangen
werden, um zumindest Teile zu retten?“87, helfen Strategien zu finden.
3. Planung eines gemeinsamen Projektes oder einer Aktion
Mit konkreten Handlungsplänen schließt die Zukunftswerkstatt. Die gefundenen Lösungen sollen als
Ergebnis (s. handlungsorientierter Unterricht!) gemeinsam in Angriff genommen werden.
Nachbereitungsphase Eine Zukunftswerkstatt ist der Beginn gezielter Aktionen, die in der folgenden Zeit durchgeführt werden. Es
empfiehlt sich, in gewissen Zeitabständen die Fortschritte immer wieder zu überprüfen und die in der
Zukunftswerkstatt gefundenen Überlegungen, Strategien und Ziele mit dem Erreichten zu vergleichen.
Literatur zur Zukunftswerkstatt:
Kathrin Pfeufer: Das Unterrichtsverfahren der Zukunftswerkstatt. Zulassungsarbeit an der TU- München,
Lehrstuhl für Ergonomie, 2001
87 weitergehende Fragen bei Robert Jungk, Müllert, N. R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen
Routine und Resignation. München. 1989, S. 129
73
Roland Dörfler, Andreas Gmelch: Praxis 7 Arbeit – Wirtschaft – Technik, Lehrerband mit Kopiervorlagen.
Westermann. Braunschweig 2005. S. 14-15
Robert Jungk, Müllert, N. R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. München.
1989
Olaf-Axel Burow, Neumann-Schönwetter, M.N. (Hrsg.): Zukunftswerkstatt in Schule und Unterricht.
Bergmann+Helbig, Hamburg, 1997
Weber, Birgit: Zukunftswerkstatt. In: Schweizer, G., Selzer, H.M. Hrsg.: Methodenkompetenz lehren und
lernen. Röll, Dettelbach 2001
Kontrollfragen:
1. Nennen Sie je ein Beispiel für eine Zukunftswerkstatt im WuB - Unterricht!
2. Formulieren Sie eine geeignete Problemstellung für diese Zukunftswerkstatt aus der auch die
Qualitätskriterien der zu erreichenden Lösungsvarianten ersichtlich sind!
3. Warum wird die Phantasiephase nach der Kritikphase durchgeführt?
74
Leittexte88
Definition „Leittexte sind schriftliche Anleitungen, mit deren Hilfe die Lernenden, durch Fragen geführt, weitgehend mehr
oder weniger komplexe Aufgaben oder Projekte bearbeiten.“ (Ulrich Müller)
Zielsetzung Die Leittexte leiten durch Fragen die Erkundung in der Realität oder die Erarbeitung mit verschiedenen Medien
an und führen so zu einem Lernerfolg durch `vollständiges Handel` (ein Handeln das alle Teilschritte von der
Planung über die Durchführung bis zur Kontrolle umfasst).
Zentrale Ziele sind: Förderung von Selbstständigkeit, Befähigung zur Teamarbeit Entwicklung von
Problemlösungskompetenzen.
Anwendung Die Leittextmethode kann eingesetzt werden um komplexe Sachverhalte zu vermitteln (z.B. Kenntnisse über
Organisationsstrukturen) und um Schlüsselqualifikationen wie Selbstständigkeit, Planungs- und
Problemlösungskompetenzen und Kooperationsfähigkeit erwerben zu lassen. (Alsheimer/ Müller/ Papenkort
1996, Lesekarte „Leittext“)
Die Leittextmethode ist im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben z. B. für WiB 7 LB 2 Erkundung eines
betrieblichen Arbeitsplatzes durch die Leittextmethode, WiB 7 LB 1, Markterkundung anhand der
Leittextmethode und im Falle einer Gruppenerkundung für WiB 9 LB 4, als Vorbereitung der
Gruppenerkundung.
Verfahrensweise
Die Leittexte sind entsprechend Hackers Theorie der „vollständigen Handlung“89 in sechs Phasen gegliedert:
1. Informieren: Klären der Aufgabenstellung und beschaffen der benötigten Informationen
2. Planen: Mit Hilfe der Leitfragen den Arbeitsablauf festlegen, d. h. einen Arbeitsplan erstellen.
3. Entscheiden: Absprache und Freigabe des Arbeitsplanes mit der Lehrkraft.
4. Ausführen: Selbständiges Lösen der Aufgabe mit „Unterstützung“ der Lehrkraft.
5. Kontrollieren: Möglichst selbständige Kontrolle der Ergebnisse durch die Lernenden. Die Lehrkraft
kann hier ebenfalls unterstützend mithelfen.
6. Bewerten: Lehrkraft und Lernende bewerten gemeinsam die Ergebnisse. Stärken und Schwächen
werden analysiert und das weitere Vorgehen (Weiterführung, Schließen von Lücken u. ä.) beschlossen.
Elemente des Leittextes
Leittexte enthalten meist folgende Systemelemente90:
- Leitfragen dienen zur Orientierung, Steuerung und Überprüfung der Planung und Durchführung der
Aufgabe.
- Leitsätze enthalten zusammengefasste Informationen, die die Bearbeitung erleichtern.
- Vorbereitete Arbeitsblätter, die den zu erstellenden Arbeitsplan (Ablaufschritte) vorstrukturieren.
- Kontrollbögen dienen mit ihren Fragen der selbständigen Erfolgskontrolle.
Vorteile: - eigenständiges methodisches Handeln der Schüler
- Entwicklung von selbstorganisiertem Lernen
- Erwerb von Schlüsselqualifikationen (Selbstständigkeit. Planungs- und Problemlösungskompetenzen)
Nachteile: - großer Aufwand für Einarbeitung in die Methode und Entwicklung von Leittexten
Literatur: - Ulrich Müller: Leittext-Methode, in: Gerd Schweizer, Helmut M. Selzer (Hgg.): Methodenkompetenz
lehren und lernen, Dettelbach 2001, S. 155-161.
- Finger, A./ Schweppenhäußer, A. (1996): Leittexte und minimale Leittexte, in: Greif/Kurtz 1996, S. 99-
108.
88 vgl. Ulrich Müller: Leittextmethode. In: Methodenkompetenz lehren und lernen. Hrsg.: Gerd
Schweizer, H.M. Selzer. Röll, Dettelbach, 2001. S. 155-159 89 W. Hacker: Arbeitspsychologie. VEB Verlag der deutschen Wissenschaften. Berlin 1986 90 vgl. Möller, D.: Die Leittextmethode – eine Methode zur Organisation selbständiger Lernprozesse?
Paderborn 1999
75
- Möller, D. (1999): Die Leittextmethode-eine Methode zur Organisation selbstständiger Lernprozesse?
Paderborn.
Kontrollfragen:
1. Durch welche Merkmale des Leittextes wird der Schwierigkeitsgrad einer Problemstellung reduziert?
2. In welcher Phase der Leittextmetode hat die Lehrkraft entscheidenden Einfluss auf den
Problemlösungsweg der Schülerinnen und Schüler?
3. Wie wird bei der Leittextmethode das „Feedback“ für Schülerinnen und Schüler unterstützt?
76
Schülerfirma91
Definition: Schülerfirmen sind von Schülern gegründete Firmen in Form eines Schulprojektes, in denen wie in einem
Betrieb gearbeitet wird. Schüler planen, produzieren und verkaufen Produkte und / oder bieten Dienstleistungen
an. Durch das Agieren in einer Schülerfirma sollen die Schüler auf den Beruf vorbereitet werden sowie
Eigeninitiative entwickeln.
Zielsetzung: „Es geht bei der Schülerfirma nicht darum, Schüler zu Unternehmern zu machen (…). Es geht darum Schüler zu
stimulieren, selbst aktiv zu werden, sich etwas vorzunehmen (…), dabei aber die Machbarkeit, die Kosten, die
Beschaffung der Mittel mit einzubeziehen. Die Durchsetzung, die Überprüfung an der Wirklichkeit, die
Bestätigung durch Erfolg wird angestrebt.“ (Rennie 1992)
Anwendung: Die Schülerfirma kann im Rahmen des Unterrichts vorbereitet und geplant werden, sollte sich dann jedoch zu
einem Projekt entwickeln, das über einen längeren Zeitraum (1 Schuljahr) außerhalb der Unterrichtszeit
umgesetzt aber weiterhin von einer Lehrkraft betreut wird.
Die Schülerfirma ist im Lehrplan verpflichtend vorgeschrieben für WiB 10 LP 1, Schüler gründen eine
Schülerfirma.
Verfahrensweise: Die drei Phasen einer Schülerfirma:
Planung: Entwicklung der Geschäftsidee, Schließen von Arbeitsverträgen, Suche einer Patenfirma, Marktanalyse,
Ablauforganisation, Aufbauorganisation/ Gehaltsstruktur, Lagerkarte (Was braucht/ hat man?), Anschaffung von
Geräten/ Materialien, Klärung der Rechtsfragen, Startkapital/ Aktienverkauf, Gewinnanlage,
Gesellschaftsversammlung, Werbung
Durchführung: Bekanntgabe der Firmengründung, Beginn der Produktion/ der Dienstleistungen, Umfragen, Firmensitzungen
(Was läuft wie geplant, was ist zu ändern, hat man sich verkalkulier? Ausarbeitung von Problemlösungen evtl.
auch mit Hilfe der Patenfirma), Hauptversammlung (mit den Aktionären),Auflösen der Schülerfirma
Endauswertung: Die Schüler berichten, ob sich die Firma entwickelt hat wie erwartet oder nicht und was die Faktoren der
Entwicklung waren. Rückblickend wird die Schülerfirma analysiert und bewertet und gegebenenfalls mit Lehrer/
Patenfirma Verbesserungsmöglichkeiten diskutiert.
Vorteile:
Vorbereitung auf die berufliche Wirklichkeit/ Berufswahl (Bewerbungsgespräch,
Arbeitsvertragsabschluss, Betriebsrat… können durchgespielt werden)
Vermittlung von ökonomischem Grundwissen
Kooperation von Schule und Wirtschaft vor Ort
Öffnung der Schule nach außen bewirkt neue Möglichkeiten des Lernens
Nachteile:
immenser Zeitaufwand v.a für Schüler in leitenden Positionen und die betreuende Lehrkraft
erfordert von allen Schülern ein sehr hohes Maß an Selbstständigkeit, Disziplin und Einsatzbereitschaft
bei schlechter Planung kann eine Schülerfirma zum totalen Fehlschlag werden
Literatur zur Schülerfirma:
Heinz Kociubski: Juniorfirma, in: Gerd Schweizer, Helmut M. Selzer (Hgg.): Methodenkompetenz
lehren und lernen, Beiträge zur Methodendidaktik in Arbeitslehre, Wirtschaftslehre,
Wirtschaftsgeographie, Dettelbach 2001, S. 137-147.
Die Schüler-Firma, Fit machen für`s Berufsleben, LBS Ordner
Reetz, L.: Konzeptionen der Lernfirma, in: Wissenschaft und Erziehung, H. 11, 1986
Institut der deutschen Wirtschaft (Hg.) Junior Projekthandbuch, S.7. 1996
91 Heinz Kociubski: Juniorfirma, in: Gerd Schweizer, Helmut M. Selzer (Hgg.): Methodenkompetenz lehren und
lernen, Beiträge zur Methodendidaktik in Arbeitslehre, Wirtschaftslehre, Wirtschaftsgeographie, Dettelbach
2001, S. 137-147.
77
Kontrollfragen:
1. Nennen Sie ein Beispiel für eine Schülerfirma!
2. Wie unterscheidet sich eine Schülerfirma von einer realen Firma?
3. An welchen Zielen sollen sich die Schülerinnen und Schüler während der Arbeit in einer Schülerfirma
orientieren?