so offt ich meine tobacks-pfeiffe mit gutem knaster angefüllt … inhaltliche und mediale aspekte...

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Deutsches Volksliedarchiv So offt ich meine Tobacks-Pfeiffe Mit gutem Knaster angefüllt …Inhaltliche und mediale Aspekte eines Flugblattliedes Author(s): Michael Fischer Source: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, 54. Jahrg. (2009), pp. 153-183 Published by: Deutsches Volksliedarchiv Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20685616 . Accessed: 21/06/2014 11:14 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Deutsches Volksliedarchiv is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.34.79.253 on Sat, 21 Jun 2014 11:14:17 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Deutsches Volksliedarchiv

So offt ich meine Tobacks-Pfeiffe Mit gutem Knaster angefüllt …Inhaltliche und medialeAspekte eines FlugblattliedesAuthor(s): Michael FischerSource: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, 54. Jahrg. (2009), pp. 153-183Published by: Deutsches VolksliedarchivStable URL: http://www.jstor.org/stable/20685616 .

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SO OFFT ICH MEINE TOBA CKS-PFEIFFE MIT GUTEM

KNASTER ANGEFULL T...

INHALTLICHE UND MEDIALE ASPEKTE

EINES FLUGBLATTLIEDES

MICHAEL FISCHER

Gotthold Ephraim Lessing

Der Taback

Dich, Taback, lobt der Medicus, Dich lobet der Philosophus,

Weil uns dein fleigiger Genuf Wenn er scharf meditiren mu,

An Zahn und Augen wohl curiret, Weil er, solang er dich genieet,

Und Schleim und Kolster von uns fahret. Des Geistes Flatterkeit vermisset.

Dich lobet der Theologus Ich lob an dir als ein Jurist,

Durch einen homiletischen SchluB, Was rechtens an dir lblich ist,

Wenn er in deinem Rauch entzncket DaB, wenigstens wie mir es diinket,

Ein Bild der Eitelkeit erblicket. Man mehr und 5ftrer bey dir trinket.'

Im 18. Jahrhundert wurde der Tabak nicht nur geraucht und geschnupft, sondern

er galt beinahe als medizinisches Wundermittel: Gepriesen wurde das Kraut in ge lehrten Traktaten genauso wie in poetischen Beschreibungen. Fast zahllos sind die

Publikationen, die sich dem Tabak widmen, ihn loben und gegen Angriffe von

verschiedener Seite verteidigen. Dabei ging es nicht nur urn die Frage des Genus

ses, urn Usus und Abusus, sondern es wurden auch ausfihrliche medizinische Dis

kurse gefahrt. Schlieflich wurden die Wirkungen auf die Verstandeskrifte und das

Gernit diskutiert - nicht zuletzt unter der Fragestellung. ob der Tabakgenuss in

1 Gotthold Ephraim Lessings s?mmtliche Schriften. Neue rechtm??ige Ausgabe. Bd. 1. Berlin 1838, S. 203f. - Das Gedicht wurde bereits 1747 in den ?Ermunterungen zum Vergn?gen des Gem?ts? gedruckt.

Lied und populare Kultur / Song and Popular Culture 54 (2009)

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Michael Fischer

erbaulicher Hinsicht von Nutzen sei.2 Kurzum: Es ging - in heutige Sprache nber

setzt - um den SpaBfaktor, die Gesundheit und die Frbmmigkeit. Der letztge nannte Punkt ist sicherlich der aberraschendste, da sich der alte Zusammenhang zwischen Lebensphilosophie, Medizin und Theologie bereits im 19. Jahrhundert

aufgelbst hat.

Ein Nachklang auf diese vielschichtigen Diskurse bietet das Gedicht von

Lessing, welches den mannigfachen Nutzen des Tabaks genauso geistreich wie

humorvoll umschreibt - und zugleich den vier klassischen Universitatsfakultaten

zuordnet.

In dem vorliegenden Beitrag sollen nun nicht alle Facetten des Tabakdiskur

ses beleuchtet werden, sondern inhaltliche und mediale Aspekte des Liedes So oft ich meine Tabakspfeife im Mittelpunkt des Interesses stehen. Ausgehend von der

Forschungsgeschichte (I.) und den unterschiedlichen Formen der Liedniberliefe

rung vor (II. ) und nach 1800 (III.) sollen am Schluss formale und inhaltliche

Gesichtspunkte erlautert werden (IV.). Das Tabakpfeifen-Lied steht nimlich in

einem poetologischen und motivgeschichtlichen Kontext, der eine solche Alle

gorese eines alltiiglichen Rauchutensils erst m5glich gemacht hat.

I. Forschungsgeschichte

Die Tabak- bzw. Tabakpfeifenpoesie erfuhr von wissenschaftlicher Seite seit der

Mitte des 19. Jahrhunderts Beachtung. Fnr die germanistische und kulturge schichtliche Forschung war der Beitrag Der Tabak in der deutschen Literatur von

Hoffmann von Fallersleben wegweisend, der 1855 im WeimarischenJahrbuchfir deutsche Sprache, Litteratur und Kunst verbffentlicht wurde.3 Seine Feststellung, Es gibt einen Zeitraum in unserer schanen Litteratur, etwa von 1690 bis 1730,

wo jedes Blatt nach Tabak riecht 4, wurde von Arthur Kopp im Jahr 1899 auf

2 Zum sp?tbarocken Forschungsstand mit zahlreichen Literaturverweisen vgl. den Artikel

?Nicotian? in: Grosses vollst?ndiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und K?nste.

Bd. 24. Leipzig und Halle 1740, Sp. 646-681. - Einen umfassenden ?berblick zur

Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Tabaks in der Fr?hen Neuzeit gibt: Annerose

Menninger: Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokokde in Europa (16-19. Jahrhundert). Stuttgart 2004.

3 Hoffmann von Fallersleben: Der Tabak in der deutschen Litteratur. In: Weimarisches

Jahrbuch f?r deutsche Sprache, Litteratur und Kunst. Hg. von Hoffmann von Fallersle

ben und Oskar Schade. Bd. 2. Hannover 1855, S. 243-260.

4 Ebd., S. 243.

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Aspekte eines Tabakliedes

die internationale Literaturproduktion ausgeweitet.5 In diesem Aufsatz ging

Kopp auch der Geschichte des Liedes So oft ich meine Tabakspfeife nach, das er

in die mitteleuropiische Tradition entsprechender Texte einordnet.' Neben ger manistischen Studien und Beitriigen zur Liedforschung im engeren Sinn7 war es

besonders die aufstrebende Bachforschung, die sich des Liedes angenommen hat.' Alfred Heu auferte sich im Jahr 1913 zu den Erbaulichen Gedanken eines

Tabakrauchers.9 Mehr als achtzig Jahre spiter wurde von Ingeborg Allihn einen

Bogen von der Bachexegese zur kulturgeschichtlichen Forschung gespannt.14 Einen ganz anderen Akzent setzt Wolfgang Martens im Rahmen seiner theolo

gie- und geistesgeschichtlich angelegten Studie zur Friihaufldarung." Ihn inte

ressiert die Umformung geistlicher Allegorese im 18. Jahrhundert - ein Thema,

das fir das Verstandnis und die historische Einordnung des Tabakpfeifen-Liedes zentral ist.

5 Kopp, Arthur: Internationale Tabakpoesie. In: Zeitschrift f?r vergleichende Litteratur

geschichte. Neue Folge 13. Berlin 1899, S. 51-74. Vgl. auch dessen reizende Anthologie: Die Friedenspfeife. In rhythmischen Ringelw?lkchen allen sinnigen Tabaksfreunden vor

geraucht durch Stieglitz in Steglitz. Steglitz [Selbstverlag] 1893. 6 Vgl. vom gleichen Autor: Deutsches Volks- und Studenten-Lied in vorklassischer Zeit. Berlin

1899, S. 149-151.; ferner: Ders.: Tabakspoesie. In: Euphorion. Zeitschrift f?r Litteratur

geschichte. Bd. 8. Leipzig und Wien 1901, S. 130-133. 7 B?hme, Franz Magnus: Volksth?mliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert.

Leipzig 1895, S. 482 (Nr. 649); Friedlaender, Max: Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. Quellen und Studien. Bd. 2. Stuttgart und Berlin 1902, S. 523 (vgl. Bd. 1, Abt. 2, S. 261 f. = Musikbeispiel Nr. 145); Meier, John: Kunstlieder im Volksmunde. Materialien und

Untersuchungen. Halle 1906, S. 82, Nr. 525.

8 Es ist im Klavierb?chlein f?r Anna Magdalena Bach enthalten (BWV 515 und 515a). 9 Heu?, Alfred: J.S. Bachs Aria ?Erbauliche Gedanken eines Tabakrauchers?. In: Bach

Jahrbuch 10 (1913), S. 128-144. 10 Ingeborg Allihn: Wie ?moralisch? ist das Toback-Rauchen? ?Erbauliche Gedanken? zu Jo

hann Sebastian Bachs Aria ?Sooft ich meine Tobacks-Pfeife? (BWV 515). In: ?ber Leben, Kunst und Kunstwerke: Aspekte musikalischer Biographie. Johann Sebastian Bach im Zen trum. Hg. von Christoph Wolff. Leipzig 1999, S. 194-209.

11 Martens, Wolfgang: Literatur und Fr?mmigkeit in der Zeit der fr?hen Aufkl?rung. T?bin

gen 1989, S. 214-238.

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II. Die schriftliche IOfberlieferung des Tabakpfeifen-Liedes im 18. Jahrhundert

1. Handschriftliche OJberlieferung

Das Tabakpfeifen-Lied ist mehrfach handschriftlich nberliefert. Kultur- und rezep

tionsgeschichtlich am bedeutendsten ist der Eintrag in das Notenbichleinfir Anna

Magdalena Bach, zumal von dort aus im Zusammenhang mit der Bachpflege im

20. Jahrhundert eine neue Rezeption angestogen wurde. In der Handschrift, die

1725 als musikalisches Familienalbum begonnen wurde, ist das Lied in drei Fas

sungen enthalten: zweimal als zweistimmige Komposition (BWV 515 und 515a) und einmal als separat beigelegtes Textblatt.12 Die musikalischen Sitze wurden

wohl kaum vor 1735 niedergeschrieben." Das Textblatt stammt aus noch spaterer

Zeit; vermutlich ist es erst erst in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts, also lin

gere Zeit nach Bachs Tod (t 1750), entstanden.4

Nicht nur die Bachfamilie, sondern auch Georg Philipp Telemann hat sich

(vermutlich) mit dem Lied beschiftigt. Es findet sich - untextiert - in der Sam

melhandschrift Neue Auserlesene Arien, Menueten und Mdrsche, so mehrentheils von

dem weltberiihmten Musico und Capell-Direktor, Monsieur Telemann [...] compo niert worden sind. Dieser Band wurde erst nach 1736 angelegt, wie Beriihrungs

punkte mit Sperontes' Singender Muse an der Pleifle deutlich machen.5

Etwa zwanzig Jahre spiter findet sich ein siebenstrophiger Liedbeleg in der

Crailsheimschen Liederhandschrift (Mitte 18. Jahrhunderts), die Albert Ernst

Friedrich Freiherr von Crailsheim seiner jugendlichen Tochter Christiane Wil

helmina zum Geschenk machte.16 Etwa aus der gleichen Zeit stammt das Lieder

Buch Vor die Stoll Berg Sanger Pande, jedenfalls wurde 1754 mit der Niederschrift

12 Vgl. Khvierb?chlein f?r Anna Magdalena Bach 1725. Hg. von Georg von Dadelsen. Kas sel 1959 (Aufl. 1981), S. XIII (Kommentar), S. XIXf. (Abbildung der beiden Komposi tionen) S. 68f. (Edition) und S. 127 (Nachtrag). Vgl. ferner Johann Sebastian Sebastian Bach. Neue Ausgabe S?mtlicher Werke. Serie V, Bd. 4. Kritischer Bericht von Georg von

Dadelsen. Kassel 1957, S. 60, 90f.; Schulze, Hans-Joachim; Wolff, Christoph: Bach

Compendium. Analytisch-biographisches Repert?rium der Werke Johann Sebastian Bachs. Bd. 1, Teil 4. Leipzig 1989, S. I649f.

13 Schulze; Wolf: Bach-Compendium (s. vorige Anm.), S. 1650. 14 Dadelsen: Khvierb?chlein (s. Anm. 12), S. 60.

15 Vgl. Georg Philipp Telemann. Thematisch-Systematisches Verzeichnis seiner Werke. Tele mann-Werkverzeichnis (TWV). Instrumentalwerke Bd. 1. Hg. von Martin Ruhnke. Kassel

1984, S. 75 u. 95. 16 Vgl. Kopp: Deutsches Volks- und Studenten-Lied (s. Anm. 6), S. 6 und 26 (Edition und

Kommentar des Liedes: S. I49ff).

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Aspekte eines Tabakliedes

begonnen (fortgefihrt bis 1812). Diese Handschrift diente als Vortragsbuch; es

enthslt vor allem Liebes- und Hochzeitslieder, aber auch Berufs- und Bergmanns lieder. Als 46. Lied ist das Tabakpfeifen-Lied in einer fiinfstrophigen Fassung ent

halten"; der Zeitpunkt der Niederschrift ist unbekannt.

Uber die genannten Belege hinaus verweist die Lieddokumentation des Deut

schen Volksliedarchivs (Freiburg) noch auf zwei spitere Handschriften: So ist das

Tabakpfeifen-Lied in handschriftlichen Liederbfichern aus der Zeit um 180018

und um 181519 belegt.

2. Die gedruckte O"berlieferung des 18. Jahrhunderts

Bisher konnten lediglich drei Lieddrucke ausfindig gemacht werden, die im 18.

Jahrhundert entstanden sind.20 Dabei handelt es sich einerseits um einen Abdruck

in einer Tabak-Schrift, andererseits um eine Liedflugschrift und um einen Ab

druck in einem Gebrauchsliederbuch. Diese wenigen Belege stehen - das sei jetzt bereits angedeutet

- im Kontrast zur reichen gedruckten O*berlieferung des frihen

19. Jahrhunderts.

Politische Erzehlungen 1740

Politische Erzehlungen Aus einer Lustigen Tobacks-Gesellschafft, Das ist:

Sonderliche Beschreibung des Edlen Toback-Krauts, Darbey allerhand lustige

Begebenheiten und licherliche Historien, so sich affiers bey dem Tobacks

Schmausen ereignen, vorgestellt werden Von Tobias Langenpfeiffen. Ost-Indien, 1740 (S. 74ff.). Sachsische Landesbibliothek, Staats- und Universitatsbibliothek Dresden: 4.A.1049

Mikrofilm-Ausgabe der Auflage Ost-Indien 1741: New Haven, Conn. [1973].

Erbauliche Gedanken, o.O., o.J. [1720-1750] Erbauliche Gedanken bey dem Toback-Rauchen / in einer Aria entworfen.

[o.O., o.J.] [1720-1750]. Universitatsbibliothek Erlangen-Niirnberg: H61/TREW.Kx 648a

DVA: BI 13362 (vollstindige Kopie, Tabakpfeifen-Lied vollstsndig)

17 Vgl. Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg i.Br. (im Folgenden: DVA): A 203867 und

Heilfurth, Gerhard: Das Bergmannslied. Wesen - Leben - Funktion. Kassel 1954, S. 57f. 18 DVA: HL 506. Handschriftliches Liederbuch ?Bassler und Gallisch? [o.O., o.J.].Der Ein

trag umfassst sechs Strophen mit Cantus und Gener?lhass.

19 DVA: E 16808. Handschriftliches Liederbuch um 1815. 20 Die im 1989 erschienenen Bach-Compendium (s. Anm. 12; S. 1649) abgedruckte Notiz,

der Text sei in ?zahlreichen Liedblattdrucken des 18. Jh. (Strophenzahl zwischen 6 und 10 schwankend)? enthalten, beruht offenkundig auf einem Versehen. Ingeborg Allihn hat diese Angabe ?bernommen (Allihn: Wie ?moralisch? [s. Anm. 10], S. 197).

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Michael Fischer

Liebesrose [um 1770]

Ganz neu zusammen getragene Liebes-Rose worinnen viele schiine Arien zum

Vergnigen der muntern lustigen Jugend befindlich sind. Gedruckt im Jahr, da

Geld rar war. [um 1770] Staatsbibliothek zu Berlin - Preuflischer Kulturbesitz: Yd 5161 (Kriegsverlust) DVA: Abschrift des Liedes in Dokumentationsmappe KiV 525

Bei der zuerst genannten Publikation handelt es sich um eine launige Schrift, die

im Jahr 1740 das erstemal und ein Jahr spiter, 1741, das zweite Mal aufgelegt worden ist. Der Name des Verfassers, >Tobias Langenpfeifflen]< ist ebenso wie der

phantastische Druckort Ost-Indien? fingiert. Wie Arthur Kopp belegen konnte,

weisen die Drucke von 1740 und 1741 ausser der Jahreszahl auf dem Titelblatt

keine wahrnehmbare Verschiedenheit im Druck aufe.21 Zugleich stellen die Politi

schen Erzehlungen lediglich die Neuauflage eines iteren Titels eines lutherischen

Dichters und Theologen dar2' - freilich mit einer bedeutenden Ausnahme: Die

Vorlage ist im Allgemeinen maglichst wortgetreu wiederholt, bemerkenswert ist

nur die Einschiebung einer neuen Liednummer im 14. Kapitel.2 2

Dabei handelt

es sich um das Gedicht So oft ich meine Tabakspfeife. Interessant ist hierbei die lite

rarische Einbettung des Liedes. Innerhalb der fiktiven Handlung geht es namlich

um einen sehr spezifischen Niitzlichkeitsdiskurs:

Hier movirete Herr Lysander die Frage: Ob es auch rathsam, bey einen

Patienten Toback zu schmauchen? dieser billigte es, ein anderer verneine

te es, und fihrete jeder seine sonderbahre Rationes und Ursachen an.

Aber endlich gab Herr Damon den Ausspruch, und sagte: was soll es

hindern, daf3 man nicht solte bey einen Patienten Toback schmauchen,

nberdifg, daf3 er aus angefihrten Ursachen seinen sonderbahren Nutzen

21 Kopp: Internationale Tabakpoesie (s. Anm. 5), S. 70. 22 Der Politische und Lustige Tobacks-Bruder, Das ist: Sonderliche Beschreibung des Edelen

Krautes des Tobacks, Darbey allerhand lustige Begebenheiten und l?cherliche Historien, so sich

?fters bey dem Tobacksschmauchen ereignen, der beliebten Tobacks-Zunft zu sonderbahren

Gefallen, und dem Curiosen Leser zur Gem?thserg?tzlichkeit mit allerhand neuersonnenen

und vormahls nie in Druck herausgegangenen Tobacks-Liedern vorgestellt Von Michael Kautzschen. Gedruckt im Jahr 1684. Weitere Auflagen erschienen 1685 und 1690

(Nachweis: www.vdl7.de). Hinter dem Pseudoym Michael Kautzsch verbirgt sich der Dichter und Theologe Johannes Riemer (1618-1714).

23 Kopp: Internationale Tabakpoesie (s. Anm. 5), S. 70.

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Aspekte eines Tabakliedes

schaffet, so kan sich der Patient seiner Schwachheit und Sterblickeit dar

bey erinnern."

Gleichsam als musikalisch-poetische Antwort ergreift der Sprecher seine Lauteno

und stimmt zunachst das folgende Lied an:

1. 2.

Taback hat diese Macht und Krafft, Der Rauch, der in die H6he fdhrt,

Daf er viel fromme Menschen schafft, Und in der Lufft sich gantz zerstbrt,

Weil sich daran ein jedermann, Dient blo zur Lust, zum Menschen-Brauch,

Der Sterblichkeit erinnern kan. So ist der Mensch auch nur ein Rauch.

3. 4.

Die Blitter, so man schneidet ein, Das Pfeiffgen wird aus Thon gemacht, Bald in die Asch verkehret seyn, Der Mensch aus Erden ward gebracht,

So ist der Mensch auch nur die Dufft, Und wie gar leicht die Pfeiff zerbricht, So sich verzehret in der Lufft. So bald ist auch ein Mensch vernicht.

5.

Drum ist das Kraut wohl rihmens werth,

Und wnrdig, daI man es begehrt,

Weil sich daran ein jedermann,

Recht seines Todes erinnern kan.

Im Anschluss an dieses Lied heigt es - ohne erkennbare ironische Distanz - Phi

lander habe sich dieses Lied wohl gefallen lassen, zumal er >durch sein Kranckheit

sich der Sterblickheit leicht erinnern konte .26 In der Erzshlung heit es weiter, der

Kranke habe urn ein zweites Lied gebeten:

24 Politische Erzehlungen, S. 73. 25 Ebd., S. 73f. - Dieses Gedicht wurde bereits 1738 von dem Benediktiner Willibald K?

b?lt (1676-1749) in seiner Schrift Die Gro?- und Kleine Welt nat?rlich-sittlich und poli tischer Wei? zum Lust und Nutzen vorgestellt (Augsburg 1738) aufgenommen. Dort wird es ausdr?cklich als ?Sitten-Lehr aus der Taback-Pfeiffen gezogen? (originale Anmer

kung 91) bezeichnet (vgl. www.zeno.org/Literatur/M/Kobolt,+Willibald/Werk, Abruf: 16. Juli 2008). Der Abdruck des Gedichts ist vor allem deshalb historisch bedeutsam, weil er die

konfessions?bergreifende Rezeption dieser Form der Tabak(pfeifen)-Allegorese belegt. 26 Ebd., S. 74.

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Michael Fischer

Worauf Damon, als ein, ohne dig in allen Fillen geschickter Mensch, noch

diese nachfolgende Zeilen zu seiner Lauten absunge:

1. 2.

So offt ich meine Tobacks-Pfeiffe Die Pfeiffe stammt aus Thon und Erde

Mit gutem Knaster angeffillt, Und ich bin gleichfalls draus gemacht Zu Lust und Zeitvertreib ergreiffe, ...]27

So ist sie mir ein Trauerbild,

Und ffigt mir diese Lehre bey, Dag ich derselben ihnlich sey.

Wieder wird ohne ironische Brechung geschildert, dass Philander und die gesamte Gesellschaft durch diese Sterbe-Gedancken in ein Aufmercken gerathen? waren.

Sie lobten alle den sinnreichen Einfall Damons und fiihrten - so will es die Ge

schichte - daraufhin noch weitere >angenehme< Tabakdiskurse.2s

Bei dem zweiten Druck aus dem 18. Jahrhundert handelt es sich urn eine vier

seitige Flugschrift, die n u r das Tabakpfeifen-Lied enthalt. Der Titel lautet: Er

bauliche Gedanken bey dem Toback-Rauchen / in einer Aria entworfen. Eine Datie

rung des Einzeldruckes ist nicht maglich; er ist wohl zwischen 1720 und 1750 ent

standen.9

27 Ebd. Es folgen acht weitere Strophen (S. 74-76). 28 Ebd., S. 76. 29 Der Verfasser dankt Eberhard Nehlsen (Oldenburg) sowie Sigrid Kohlmann und Evelyn

M?hlbauer (Universit?tsbibliothek N?rnberg-Erlangen) fur diesbez?gliche Ausk?nfte und fur die erteilte Abdruckgenehmigung. Der Druck ist in einem Sammelband der Universit?tsbib liothek N?rnberg-Erlangen enthalten, der dem N?rnberger Arzt und Botaniker Christoph Ja cob Trew (1695-1769) geh?rt hat. Das Konvolut enth?lt eine ganze Reihe von Tabak schriften aus den Jahren 1715 bis 1747, darunter auch die Politischen Erzehlungen.

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Aspekte eines Tabakliedes

'0oteb Md"rn ObafAwriff

u u nb3fifftrtb e, roriffg, No mir ti t rauerbert Unb ffzt Mir bif tbrt t)

b ea W$ berfelben 4Inlit fct.

2.

Ae t 7 4ife tlac - t R au h on nb in ben

Wie id) bin dcuid)feU briu s ymader;

T e o a eineswegria d efeife ne ausde ergnnnt chte,

i beide ugnisea, eend)e e-stui

Abb.: iedflgschrft Eraulich Gedaken by c/e Tobak-Ruche t n einerriAetzCOen

Wie in de Politishen Erzehungen au dem ~ Jah 1740174 ccit drFlgchit

Form der musikalischen Realisation verweisen: In den Politischen Erzehlungen wird

niimlich auf eine Auffiihrung mit Gesang und Begleitinstrument (Laute) hingewie

sen. Genau diese Praxis dnirfre auch mit dem Begriff Aria" der Flugschrift gemeint

sein, weicher im 17. und friihen 18. Jahrhundert stets Cantus mit Generalbass

voraussetzte.30

Die dritte aus dem 18. Jahrhundert stammende Schrift, die Ganz neu zusam

men getragenee Liebes-Rose, ist un 1770 entstanden.1 Das einzige bibliographisch nachweichre Exemplar s im Zweiten \Weltkerieg untergegangen. Der sechsstra

30 Indirekt bezeugen dies auch die beiden Versionen aus dem Notenb?chlein fur Anna

Magdalena Bach, die ebenfalls aus Cantus mit (unbeziffertem) Gener?lhass bestehen.

31 Spitta, Philipp: Sperontes' ?Singende Muse an der Plei?e.? Zur Geschichte des deutschen

Hausgesanges im achtzehnten Jahrhundert. In: Ders.: Musikgeschichtliche Aufs?tze. Berlin

1894, S. 213.

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Michael Fischer

phige Textbestand des Tabakpfeifen-Liedes ist jedoch durch die Lieddokumentati

on des Deutschen Volksliedarchivs erhalten."

3. Textsynopse Politische Erzehlungen 1740 -

undatierte Liedflugschrift [1720-1750]

Politische Erzehlungen 1740 Flugschrift o.j [1720-1750] Erbauliche Gedanken hey dem Toback-RauchenI in einer Aria entwoffen.

1. 1 So offt ich meine Tobacks-Pfeiffe So offt ich meine Tobackspfeiffe Mit gutem Knaster angefillt, Mit gutem Knaster angefilt

Zu Lust und Zeitvertreib ergreiffe, Zur Lust, und Zeitvertreib ergreiffe, So ist sie mir ein Trauerbild, So gibt sic mir em Trauerbild, Und ffigt mir diese Lehre bey, Und figt mir diese Lehre hey: DaE ich derselben ahnlich sey. Dag ich derselben ihnlich sey.

2. 2.

Die Pfeiffe stammt aus Thon und Erde, Die Pfeiffe stammt aus Thon und Erde, Und ich bin gleichfalls draus gemacht, Und ich bin gleichfalls draus gemacht;

Daher ich auch zur Erden werde, Daher ich auch zur Asche werde,

Sie fillt und bricht, eh ichs gedacht, Sie flt und bricht, eh' ichs gedacht, Mir offtmals in der Hand entzwey; Mir offtmals in der Hand entzwey. Mein Schicksahl ist auch mancherley. Mein Schicksal ist auch einerley.

3. 3.

Die Pfeiffe pflegt man nicht zu flSrben, Die Pfeiffe pfleg man nicht zu firben, Sic bleibet weif, drum sagt der Schlu&: Sic bleib nicht weis; drum folgt der Schlu,

Da ich auch dermaleinst im Sterben Dar ich auch dermahleinst im Sterben Dem Leibe nach erbiassen mu Dem Leibe nach verbiichen mu Im Grabe werd ich endlich auch, Im Grabe wird ich eben auch, So schwartz, wie sic, nach langen Brauch. So schwarz, wie sic, nach langem Brauch.

4. 4.

Wenn man die Pfeife angeziindet, Die Pfeiffe, wenn ihr Rohr versdhicimet, So sieht man, daf3 im Augenblick Und ganz verstopifet, so wird sic

Der Rauch in freycr Luit verschwindeU, Mit langen Borsten ausg gerumet; Nicht als die Asche bleibt zurijDk. So reissen auch die Medici So wird der Ruhm in Rauch veriehrS, Den Leib aus mancher Kranheitsnoth, Der Leib in Staub und Erd verkehrt. Zuletzt erfolget doch der Tod.

5. 5. Die Pfeiffen, wenn ihr Rohr verschumet, Die Pfeiffe, wenn sic angeziindet,

Und bleibt verstodrum snd, wde scoshun8: i uenlc DaMich angch Bdrlensgctmtrbenuhifee uvrchidt

So rstchwar ie ici Daangen Brauch.nr urick

DnLiaumacrKanhisNtSo wird der Cuhmpin auch verzehrt UD Lenich in ge itr o.Udbldi shn StaubunEr verkehr

32 Abschrift des Liedes aus der Ganz neu zusammen getragenen Liebes-Rose (DVA: Dokumen

tationsmappe KiV 525).

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Aspekte eines Tabakliedes

6. 6.

Wie nun das Tobacks-Kraut behende Wie oft verseh' ichs bey dem Rauchen, Durch Gluth in halbe Asche fillt, Wenn mir der Stopfer nicht zur Hand,

So eilet alles Fleisch zum Ende, Pfleg ich die Finger zu gebrauchen, Die gr65te Herrlichkeit der Welt Da denk ich, wann ich mich gebrannt: Wird einst des strengen Schicksals Raub, Macht diese Kohie so viel Peyn, Und ich auch selbsten Asch und Staub. Wie heig mug doch die Hdlle seyn!

7. 7. Der Rauch, der Augenblicks vergehet, Drum seht ihr Menschen, die ihr strebet,

Ist zwar ein Bild der schnellen Zeit, Nach Geld und Gut bey T nd Nacht, Doch wenn er sich im Circul drehet, Was ihr doch seyd, so lan ihr lebet,

So zeigt er die Bestandigkeit; Nichts, als der eitle Tand und Pracht. So hangt an einem Augenblick Drum denk em jeder stets zu Haug Unendlich Unglnck oder Glick. Wie bald ist Pfeiff und Leben aus.

8. 8.

Wie offt verseh ichs bey dem Rauchen, Ich kan bey so gestallten Sachen, Denn wenn der Stopffer nicht zur Hand, Mir hey dem Toback jederzeit

Pfleg ich die Finger zu gebrauchen, Erbauliche Gedanken machen Da denck ich, wenn ich mich verbrannt: Von meines Lebens Nichtigkeit; Ach! macht die Kohle solche Pein, Und rauch in stiller Ruh zu Haug Wie heiB mug wohl die H6lle seyn. Mein Pfeiffgen recht mit Andacht aus.

9. 9.

Ich kan bey so gestalten Sachen, Dagegen hag ich solchen Lermen, Mir bey dem Toback jederzeit, Wo man gar oft hey Tag und Nacht

Erbauliche Gedancken machen, Mit Bier und Toback pfleg zu schwrmen, Von meines Lebens Nichtigkeit, Und selbst den Leib voll Unfall macht. Und rauch in stiller Ruh zu Haug, Unordnung, und der UeberfluE, Mein Pfeiffgen recht mit Andacht aus. Macht, dat~er Schaden bringen mug.

Die Textsynopse zeigt: Trotz zahireicher Abweichungen im Einzelnen entsprechen

sich Themna und Durchfiirung der beiden Liedfassungen. Emn neuer Gedanke wird lediglich in der neunten Strophe der Flugschrift eingefihfrt: Hier wird der iibermdi~ige Tabak- und Alkoholgenuss kritisiert und damit indirekt der rna1volle

gutgeheit~en. Als Legitimierungsstrategie fli den Tabakkonsum dient in beiden Versionen der geistliche Nutzen; die Erbaulichkeit des Rauchens scheint den Ge

nuss zu rechtfertigen und zu Tuberhahen.

III. Die Flugschriften-N asberlieferung urn und nach 1800

weitnacweibar fidetes sch usshliflhchruf dekLinedgerfte zu HundinZu sammehang it wetlichn undhumo iienl ieden.DPfrgeiff'sweiLebn aus

he Zah derachgeiesenn Drukesth kan Geygesatuen acenign, eee aus de 18. ahrhunert. uffalndMis ebeo dass Toac siehtderzeit rdiio

ErbauicheGedaken ache

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Michael Fischer

von Franz Magnus Bahme ab33 - der Text in keinem Liederbuch abgedruckt wor

den ist. Ebenso gibt es keinen Melodiebeleg auger dem von Bbhme mitgeteilten,34 und dem in einem handschriftlichen Liederbuch um 1800 dokumentierten.35

1. Verzeichnis der Lieddrucke (Liedflugschriften)

Folgende Lieddrucke (Flugschriften) lassen sich bibliographisch bzw. dokumenta

risch nachweisen (in alphabetischer Reihenfolge):

Acht sehr schbne neue Lieder, o.O., o.J.

Acht sehr schane neue Lieder. Das Erste: Jiingling, wenn ich dich von fern

erblicke [...] Das Achte: Erbauliche Gedanken eines Tabackrauchers. So

oft ich meine Tabacksfpeife [...] Ganz neu gedruckt. Staatsbibliothek zu Berlin - Preugischer Kulturbesitz: 7913.24

DVA: BI 3188 (Teilkopie, ohne Titelblatt, Tabakpfeifen-Lied vollstindig, siebenstrophig)

Arien, Berlin o.J.

Arien. 1. Es ist geschehn, sie hat gesiegt die Liebe. 2. Es ist geschehn, die

Lieb' hat uns verbunden. 3. Komm, ach komm! mein einz'ges Leben.

4. Ach traure nicht, scharmantes Kind! 5. Guter Mond, du gehst so stille.

6. So oft ich meine Tabacks-Pfeife. 7. Komm, komm! vergnnge meine

Brust. 8. Quast war ein gutes Kind. [Nr.] (39). [Berlin: Litfaf]. Staatsbibliothek zu Berlin - Preugischer Kulturbesitz: Yd 7904.39 DVA: B1 2693 (Teilkopie, Tabakpfeifen-Lied fehit)

Der Wahrsager oder Arienfreund, o.O., o.J.

Der Wahrsager oder Arienfreund! Drey schane Arien enthaltend. Die Ers

te: Ich komm aus dem Reich der Todten [...] Gedruckt in diesem Jahr. Staatsbibliothek zu Berlin - Preutischer Kulturbesitz: Yd 7910.25

Nachweis: Kopp, Internationale Tabakpoesie, S. 72

Fiinf neue Lieder, Hamburg [1818-1829] Fninf neue Lieder [Nr.] 12. Das Erste: Das liebende Midchen. Jiingling, wenn ich dich von Fern erblicke. Das Zweite: Guter Mond, du gehst so

stille. Das Dritte: So oft ich meine Tobackspfeiffe. Das Vierre: Ihr Sorgen

33 B?hme: Volksth?mliche Lieder (s. Anm. 7), S. 482 (Nr. 649). 34 Ebd. 35 Vgl. Anm. 18 (DVA: HL 506).

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Aspekte eines Tabakiedes

weicht, laLt mich. Das Fiinfte: 0 Leute! hdret die Geschichte. [Hamburg:]

J. M. Brauer, Dammthorwall No. 430 [1818-1829].36 Staatsbibliothek Hamburg, Drehorgellieder, Bd. 2 (Brauer), St. 12

DVA: BI 1695 (Teilkopie; Tabakpfeifen-Lied fehlt)

Fiinf schdne neue weltliche Lieder, o.O., o.J.

Fiinf schone neue weltliche Lieder. Das erste: So oft ich meine Tabacks

pfeife etc. Das zweyte: Komm, Bruder, nimm das Glaischen etc. Das dritte:

Noch einmal, Robert, eh wir scheiden etc. Das vierte: Ein Drache und ein

bdses Weib etc. Das flinfte: Im Kreise froher kluger Zecher etc. Nro. 17.

[o.0., o.J.]

Birgerbibliothek Luzern: H 18, 768, St. 48

DVA: BI 2172 (Teilkopie, Tabakpfeifen-Lied vollstindig, siebenstrophig)

Sch*ne Neue Lieder fur lustige Brider, Delitzsch o.J.

Schane Neue Lieder fir lustige Brider. 1. Das Solo-Spiel. Ich weiB ein

sch6nes Haus. 2. Die Tobaks-Pfeife. Ach wie ist mir doch so bange. 3. Wenn mein Pfeifchen dampft und glniht. 4. So oft ich meine To

baks-Pfeife. 5. Ueber die Beschwerden dieses Lebens. Delitzsch, zu finden

in dasiger Buchdruckerei [Nr.] 11 [o.J.]. Staatsbibliothek zu Berlin - Preugischer Kulturbesitz: Yd 7908.11

Schdne Neue Lieder fur lustige Briider, Delitzsch: Meyner o.J.

Schdne Neue Lieder fur lustige Brider. 1. Das Solo-Spiel. Ich weiB ein

schanes Haus. 2. Die Tobaks-Pfeife. Ach wie ist mir doch so bange, 3. Wenn mein Pfeifchen dampft und gliht, 4. So oft ich meine To

baks-Pfeife. 5. Ueber die Beschwerden dieses Lebens. Delitzsch, zu fin

den in Meyner's Buchdruckerei. [Nr.] 11 [o.J.] Staatsbibliothek zu Berlin - Preugischer Kulturbesitz: Yd 7919.73

DVA: BI 13364 (Kopie, Tabakpfeifen-Lied vollstiindig, zehnstrophig)

Sechs sehr sch*ne Lieder, o.O., o.J.

Sechs sehr schdne Lieder. Das Erste: In meinem Schlosse ists gar fein. Das

Zweite: Ja, wer ein holdes Weib gewann. Das Dritte. In Prag da steht ein

hohes Haus. Das Vierte. Tch hab meinen Waitzen an Berg- ges'ier. Das

36 Datierung nach der Adressangabe: ?Dammthorwall Nro. 430?. Dort war die Firma zwischen

1818 bis 1829 ans?ssig (Cropp, Friedrich August: Die Drucker der Hamburger Drehorgellieder. In: Mitteilungen des Vereins fur Hamburgische Geschichte 1879, S. 128).

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Michael Fischer

Fnnfte: So oft ich meine Tobackspfeife, mit. Das Sechste: Auf! auf! ihr

Brnder und seyd stark. Gedruckt in diesem Jahre. [o.O., o.J.] Staatsbibliothek zu Berlin - Preutlischer Kulturbesitz: YD 7906.45

DVA: BI 13363 (Kopie, Tabakpfeifen-Lied vollstandig, zehnstrophig)

Sieben ganz neue Lieder, Hamburg [vor 1822?]

Sieben ganz neue Lieder [Nr.] 28. Das Erste: Mama, ach sehn Sie doch den

Knaben! Das Zweite: So oft ich meine Tabackspf. [eife] Das Dritte: Ich wii

re so frahlich so gerne. Das Vierte: In meinem Schlosse ist's gar fein,

komm etc. Das Fninfte: Komm herein, mein holdes Liebchen. Das Sechste:

Einz'ge, dich zu seh'n und auch zu lieben. Das Siebente: Ein Liedchen der

Liebe verlangst du von mir. Riesweise, Buchweise und einzeln zu haben.

[Hamburg: Meyer vor 1822?] ". Staatsbibliothek Hamburg: Drehorgellieder, Bd. 3 (Meyer), St. 28

DVA: BI 1821 (Teilkopie; Tabakpfeifen-Lied unvollstindig)

Sieben Lieder, Leipzig o.J.

Sieben Lieder. Das Erste: Willst du dein Herz mir schenken [...] Leipzig:

Solbrig'schen Buchdruckerey. F. Staatsbibliothek zu Berlin - Preugischer Kulturbesitz: Yd 7912.5

Nachweis: Kopp, Internationale Tabakpoesie, S. 71; Kopp, Volks- und Studentenlied, S. 150

Sieben schone neue Lieder, Frankfurt a.d.O. und Berlin [nach 1828] Sieben schdne neue Lieder. Das Erste: Sind wir nicht freie Minner hier etc.

Das Zweite: Ich bin ja ein Deutscher und lebe. Das Dritte: Lebe wohl! Le

be recht wohl, geliebtes Midchen. Das Vierte: Wie's jetzt die Madel trei

ben. Das Fninfte: Ein Schlosser ist mein' schwache Seit. Das Sechste: So oft

ich meine Tabackspfeife. Das Siebente: Sieh, da trium ich wieder.

[Nr.] (251). Frankfurt a.d.O.; Berlin: Trowitzsch und Sohn [nach 1828].18 Staatsbibliothek zu Berlin - Preugischer Kulturbesitz: Yd 7926.42; Yd 7928.26 DVA: BI 3511 (Teilkopie; Tabakpfeifen-Lied fehir)

37 Nach Cropp, Die Drucker (s. vorige Anm.), S. 132, sind die Drucke Meyers vermudich alle vor 1822 entstanden.

38 Der Verlag Trowitzsch &c Sohn betrieb erst seit 1821 eine Niederlassung in Berlin. Seit 1828 war er in der Oberwasserstra?e 10 ans?ssig, so dass der Druck 1828 oder danach entstanden sein muss (vgl. Das Haus Trowitzsch & Sohn in Berlin. Sein Ursprung und seine

Geschichte von 1711 bis 1911. Berlin 1911, S. 45, 53, 60 u. 63.).

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Aspekte eines Tabakliedes

Vier schone neue Lieder, Berlin o.J.

Vier sch6ne neue Lieder. Das Erste. Der Pudel, als Retter eines dreijihrigen Kindes von der nahen Todesgefahr. Gerettet durch der Vorsicht Gnte. Das

Zweite. Der Greis. Jnngst, als ich in der Blumenzeit. Das Dritte. Tabacks

Lied. So oft ich meine Tabackspfeife. Das Vierte. Ich wnnschte mich zuri

cke. Berlin: Znrngiblsche Buchdruckerei [Nr.] (188) [o.J.] Staatsbibliothek zu Berlin - Preufischer Kulturbesitz: Yd 7903.106; Yd 7902.111.54

DVA: BI 2652 (Teilkopie, Tabakpfeifen-Lied fehlt)

Vier vortreffliche Schane Lieder, Oels o.J.

Vier vortreffliche Sch6ne Lieder. Nro. 35. 1. Linchen ging einmal spazie ren. 2. Ach, wenn ich nur kein Madchen. 3. So oft ich meine Tabacks

pfeife. 4. Carl und Emma, die vermahlet. Oels: A. Ludwig [o.J.]. Staatsbibliothek zu Berlin - Preugischer Kulturbesitz: Yd 7857.27

DVA Freiburg: BI 1383 (vollstindige Kopie, Tabakpfeifen-Lied vollstindig, siebenstrophig)

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Abb. Zwei Liedflugschriften mit dem Tabakpfeifen-Lied (Staatsbibliothek zu Berlin -

Preufischer Kulturbesitz, Abt. Historische Drucke: Yd 7919.73 und Yd 7906.45)

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Michael Fischer

2. Produktions- und Rezeptionsbedingungen der nachgewiesenen Liedflugschriften

Bei den wenigen Lieddrucken, die sich geographisch zuordnen lassen, ist die Kon

zentration auf das n6rdliche und 6stliche Deutschland auffllig (Berlin, Delitzsch,

Frankfurt, Hamburg, Leipzig, Oels). Unklar ist, ob diese eindeutige Verortung der

damaligen Verbreitung des Liedes entspricht - oder eher der Bestands- und Ober

lieferungsgeschichte der Flugschriften - immerhin stammen die meisten der biblio

graphisch nachweisbaren Drucke aus der Staatsbibliothek zu Berlin.39

Die auf den Liedflugschriften genannten Verlage waren zeitgen6ssisch als Pro

duzenten von populiren Lesestoffen und Lieddrucken bekannt: So produzierte

Solbrig in Leipzig Drucke wie >Leo Fernandez und Orlaska oder das unterbrochne

Auto-da-f& (1808), die Aphorismen nber den Kuss. Ein Weihnachtsgeschenk far

die kiisslustige und kussgerechte Welt? (ebf. 1808) oder aber das Liederbuch

Gesange zu frohlicher Unterhaltung fnr Gesellschaften der gebildeten Stande?

(21809). Der Berliner Verlag Znirngibl hatte eine ihnliche Produktpalette im Angebot:

1822 erschien Die Schoneberger Nachtigall, eine volkstrmlich angelegte Liedersamm

lung von Hoffmann von Fallersleben. Ohne Jahr wurden eine Sammlung auserle

sener Arien und Lieder zum Vergnnigen junger Leute< aufgelegt, ebenso wie der Ti

tel Die drey Schwestern. Eine Geschichte von vielen Abentheuern und Bezauberungen, auch deren Losung durch Reinaldgenannt das Wunderkind. Offenkundig war der Ab

satz der Lieder in Berlin so erfolgreich, dass die hausierenden Jungen kurzweg

Zirngiblers getauft wurden.4" Zeitgen5ssisch wurde gespottet, der Verlag ma

che die gebildeten [!] K6chinnen, Hakerinnen, Hausknechte und Stiefelputzer Deutschlands mit der poetischen Literatur Deutschlands vertraut.41 Uber man

gelnde Nachfrage konnte sich der Firmeninhaber nicht beklagen: Seine Drucke

39 Der Verfasser dankt der Abteilung ?Historische Drucke? (besonders Andreas Wittenberg und

Eva Rothkirch) der Staatsbibliothek zu Berlin - Preu?ischer Kulturbesitz f?r die freundliche

Mithilfe sowie f?r die Abdruckgenehmigung der Liedflugschriften Yd 7906.45 und

Yd 7919.73. 40 Richter, Lukas: Der Berliner Gassenhauer. Darstellung

- Dokumente - Sammlung. Mit

einem Register neu

herausgeben vom Deutschen Volksliedarchiv. M?nster 2004, S. 105 u.

S. 211.

41 Zit. nach ebd., S. 211 (Gla?brenner, Adolf: Zirngibler. In: Berlin wie es ist und - trinkt.

1832ft, 6. Heft).

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Aspekte eines Tabakliedes

rei ist fortwshrend beschaiftigt, und Hunderte von kleinen Individuen bieten seine

Verlagsartikel in allen Hiusern, auf allen Mirkten, auf allen LandstraBen feil [...I. 42

Auch dem Berliner Verlag Litfaf - der sich spiter im Plakatwesen (Litfasau

le!) engagierte - wird nachgesagt, er sei die Zentralstelle fur den Bezug von aller

hand Volksbichern, Bilderfibeln und Katechismen? gewesen.4'3 Die Druckerei

Meyner in Delitzsch produzierte ebenfalls Kalender und religiase Titel, etwa von

1831 bis 1892 den Neuen Anekdoten-Kalender.

Von einem anderen Drucker und Verleger popularer Literatur, naimlich Tro

witzsch & Sohn (Frankfurt a.d.O. und Berlin), hat sich eine stattliche Anzahl von

Lieddrucken erhalten: Allein das Deutsche Volksliedarchiv verfigt ilber zwei

Sammelbinde mit 126 Exemplaren (Sign. V1/1 137a,b). Diese Firma, >die nach

ihrer ganzen Eigenart auf Verbreitung volkstiimlicher Literatur angelegt war 44,

engagierte sich daneben im preugischen Kalenderwesen und brachte Jugendschrif ten sowie religiase Titel heraus.

Die beiden Hamburger Produkte schlielich stammen aus den Offizinen Mey er und Brauer, die - ihnlich wie die Hamburger Firmen Langhans und Kahlbrock - Moritaten und Lieddrucke verlegten.45 Von Hans Jacob Hinrich Meyer (1795

1858) sind insgesamt 111 Drehorgellieder-Drucke bekannt46; der acht

undzwanzigste enthilt das Tabakpfeifen-Lied. Das Repertoire der Lieder auf den nachgewiesenen Drucken umfasst neben

dem Tabakpfeifen-Lied thematisch vor allem Texte, welche die Liebe, den Lebens

genuss oder scherzhafte Aspekte des Alltags thematisieren. Typisch sind Liedan

finge wie Ein Liedchen der Liebe verlangst du von mir, Es ist geschehn, die Lieb' hat

uns verbunden oder Im Kreisefroher kluger Zecher. Selbstverstiindlich wird auch der

Tabakgenuss besungen (Wenn mein Pfeifchen dampft und gliht).4' Das bedeutet

42 Ebd. 43 Deutsche Buchh?ndler. Deutsche Buchdrucker. Beitr?ge zu einer Firmengeschichte des deut

schen Buchgewerbes [...]. Hg. von Rudolf Schmidt. Bd. 4. Eberswalde 1907, S. 629; vgl. Richter, Der Berliner Gassenhauser (s. Anm. 40), S. 105.

44 Das Haus Trowitzsch & Sohn in Berlin (s. Anm. 38), S. 43. 45 Vgl. Cropp, Die Drucker (wie Anm. 36). Vgl. ferner: Brednich, Rolf Wilhelm: Hamburg

ah Innovationszentrum popul?rer Lieder. In: Stadt-Land-Beziehungen. Verhandlungen des

19. Deutschen Volkskundekongresses in Hamburg vom 1. bis 7. Oktober 1973. Hg. von

Gerhard Kaufmann. G?ttingen 1975, S. 115-129. 46 Cropp: Die Drucker (wie Anm. 36), S. 130.

47 Vgl. B?hme, Volksth?mliche Lieder (wie Anm. 7), S. 481 (Nr. 648). Auch dort wird -

humoristisch eingef?rbt - der Verg?nglichkeit gedacht: ?Schwindet dann der Rauch im

Wald, fang' ich an zu lachen, denke: So verg?nglich sind alle, alle anderen Sachen.?

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Michael Fischer

jedoch nicht, dass ernsthafte und belehrende Aspekte fehlen: So wei ein Druck

aus Berlin von einem Pudel zu berichten, der - durch der Vorsicht Ginte? - ein

dreijihriges Kind gerettet hat.48 Auch andere Gesange warten mit schlichten Le

bensweisheiten auf. So tr*stet der Verstorbene seine Braut mit den Worten: Und

stellt sich Sturm und Wetter ein, so folgt doch einst der Sonnenschein? oder Es

kommt schon die frohe Zeit, die dir die sin*en Rosen streut. 49

Zusammenfassend lassen sich die Produktions- und Rezeptionsbedingungen der nachgewiesenen Lieddrucke im 19. Jahrhundert folgendermaen umreigen:

a) Produziert werden die Heftchen (Liedflugschriften) von Verlagen bzw. Dru

ckereien, die sich auf den Vertrieb von populiren Lesestoffen" konzentrieren. Da

zu zaihlen Broschnren der verschiedensten Art, Kalender, religidse Literatur und

eben verschiedene Formen des Lieddrucks. Die Firmen geh6ren nicht zu den

>grofen? angesehenen Literaturverlagen, sind aber durchaus - was Massenwirk

samkeit und Geschiftstichtigkeit betrifft - erfolgreich.

b) Zentral ist dabei der Aspekt der Unterhaltung ', zumal dann, wenn man

unter diesem Begriff nicht nur Amusement, sondern auch leicht verdauliche In

formation und Belehrung versteht: Neben humoristischen Liedern finden sich in

den Lieddrucken niimlich auch solche, die bestimmte Tugenden oder beispielhafte

Lebenshaltungen propagieren.

c) In diesen publizistischen Kontext ist das Lied So oft ich meine Tabakspfeife

eingebettet. Offenkundig war die - auch von der Kalenderliteratur bekannte und

bis heute verbreitete - Mischung von Heiterem? und Besinnlichen? von den

Abnehmern derartiger Flugschriften erwnnscht. Der Schluss, das Tabakpfei fen-Lied sei scherzhaft oder gar parodistisch gemeint, ist daher etwas voreilig und

lasst sich anhand der O*berlieferungslage nicht bestatigen.

48 Vier sch?ne neue Lieder. Berlin o.J. 49 Arien. o.O., o.J., Lied ?Ach traure nicht, scharmantes Kind!?

50 Vgl. hierzu die Studie: Schenda, Rudolf: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der

popul?ren Lesestoffe 1770-1910. Frankfurt 1970, die leider nur am Rande auf die

popul?re Liedproduktion eingeht. N?here Informationen hierzu bieten die Publikationen zum B?nkelsang. Vgl. etwa Petzoldt, Leander: B?nkebang. Vom historischen B?nkelsang zum literarischen Chansons. Stuttgart 1974.

51 Zum Begriff und seiner Konzeptualisierung vgl.: H?gel, Hans-Otto: Unterhaltung. In: Handbuch Popul?re Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen. Hg. von Hans-Otto H?

gel. Stuttgart; Weimar 2003, S. 73-82.

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Aspekte eines Tabakiedes

IV. Das Tabakpfeifen-Lied als moralisches Lied und als Vergainglichkeitsallegorie

1. Poetologische Aspekte

In seinem Beitrag iber die Tabakspfeife und andere erbauliche Matererien schreibt

Wolfgang Martens, man kannte, zumal wenn man einzelne Strophen isoliert be

trachtet, versucht sein, es [das Lied] ftr ein geistliches Gedicht zu halten. <2 Er

verweist dabei auf die Fillie der biblischen Anspielungen, etwa Alle Menschen

sind Erde und Staub? (Hes 28,18) oder Werden sie [die Feinde des Herrn] doch

vergehen, wie der Rauch vergeht (Ps 37,20). Allerdings, so Martens, entspreche die im Tabakspfeifen-Lied vorgetragene Lehre nur scheinbar dem Tenor christ

lich-weltfluchtiger Predigt." Die erbaulichen Betrachtungen eines Tabakrauchers

seien nuimlich nicht mehr im alten geistlichen Sinne erbaulich." Vielmehr hand

le es sich um ein scherzhaftes Gebilde, das Gedicht sei ein Produkt munterer

Laune 55, die Allegorese ziele nicht auf existentiellen Ernst, sondern Unterhaltung ab.

Folgt man dem Standpunkt Martens', ist das Tabakpfeifen-Lied eher in der

Sphire des Weltlichen zu verorten.56 Fraglich erscheint allerdings, ob dies - zumal

aus pro duktions i sthetischer Sicht - wirklich zutreffend ist.5" Das Ge

dicht So oft ich meine Tabakspfeife lasst sich nimlich mit Textgattungen in Verbin

dung bringen, die im 18. Jahrhundert als moralische Ode?, moralisches Ge

dicht? oder auch moralisches Lied bezeichnet wurden und z w i s c h e n den Po

len weltlich? und geistlich? anzusiedeln sind.

Publikationen, die den Begriff moralisch im Titel nennen, sind im 18. Jahr hundert Legion. So kann auf Benjamin Neukirchs Geistliche und moralische Ge

dichte (Dresden und Leipzig 1732), Friedrich von Hagedorns Moralische Gedichte

(Hamburg 1750), Benjamin Friedrich Kahlers Geistliche, moralische und scherzhaf te Oden und Lieder (Leipzig 1762) oder Gellerts Moralische Gedichte und Lieder

52 Martens: Literatur und Fr?mmigkeit (s. Anm. 11), S. 223.

53 Ebd. 54 Ebd. 55 Ebd., S. 224.

56 Ebd., S. 215: ?Zu den weltlichen Liedern [des Bach'schen Notenb?chleins] z?hlt auch die Aria von den erbaulichen Gedanken eine Tobackrauchers.?

57 Es wurde bereits verwiesen, dass die Politische Erzehlungen (1740f.) eine Neuauflage der Schrift Der Politische und Lustige Tobacks-Bruder (1684fF.) darstellen, erg?nzt um das Ta

bakpfeifen-Lied. Die ?ltere Schrift - und damit die literarische Einbettung des neu hinzu

gekommenen Liedes - stammt von einem lutherischen Dichter und Theologen, n?mlich

Johannes Riemer (vgl. Anm. 22).

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Michael Fischer

(Karlsruhe 1774) verwiesen werden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erscheinen

schlieglich noch die Moralischen Lieder zum Nutzen und Vergnigen des lieben

Landvolkes von Christoph Holm (Prag 1802), ebenso wie der Titel Religiose und

moralische Lieder von Johann Christoph Heise (Hamburg 1810).58 Zu verweisen

ist ferner auf das umfangreiche Werk Irdisches Vergnigen in Gott, Bestehend in

Physicalisch- und Moralischen Gedichten59 von Barthold Heinrich Brockes. In die

ser Sammlung werden - ihnlich wie im Lied So oft ich meine Tabakspfeife - All

tagserfahrungen und -gegenstainde allegorisch ausgelegt, auch wenn Brockes den

Ausgangspunkt in Naturerscheinungen (Feuer, Metall, Wasser, Fliege, Luft,

Tulpe etc.) sucht, nicht in menschlichen Artefakten wie der Tabakspfeife. Die in der Lyriktheorie des 18. Jahrhunderts n-bliche Unterscheidung zwischen

geistlichen, moralischen und weltlichen Liedern"6 bringt es mit sich, dass diese

Form der Lehrdichtung dem Vergnnigen und selbst dem Humor durchaus einen

Platz einriumen konnte. Die behaglichen Wendungen der Eingangsstrophe und

die Formulierungen der Schlussstrophe (etwa in stiller Ruh zu Haus )61 sind gera

de n i c ht dazu angetan, dem Lied die Wirkabsicht des Erbaulichen abzuspre chen2 - auch wenn Martens uneingeschrinkt zuzustimmen ist, dass sich die Form

im Vergleich zu den Erfordernissen altfrommer Erbauung <6 entscheidend gean dert hat.

58 Titelnachweis: Karlsruher Virtueller Katalog (www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html).

59 Die Titelformulierung der Einzelb?nde schwankt; vgl. hierzu die Bibliographie in: Bar

thold Heinrich Brockes: Irdisches Vergn?gen in Gott. Naturlyrik und Lehrdichtung. Aus

gew?hlt und hg. von Hans-Georg Kemper. Stuttgart 1999, S. 243-246. 60 Johann Joachim Eschenburg unterscheidet in seinem Entwurf einer Theorie und Literatur

der sch?nen Wissenschaften. Zur GrundUge bei Vorlesungen (Neue, umgearbeitete Ausgabe

Berlin und Stettin 1789) zwischen religi?sen, nationalen, moralischen, leidenschaftlichen

und gesellschaftlichen Liedern, wobei die moralischen ?zur Belebung edler sittlicher Ge

f?hle? dienen sollen (S. 156). Hunold spricht u.a. von ?moralischen / und zur Zufrieden

heit des Gem?ths dienenden Arien? (Die Allerneueste Art, Zur Reinen und Galanten Poesie

zu gehngen. Allen Edlen und dieser Wissenschaft geneigten Gem?thern, zum Vollkommenen

Unterricht, [...] Von Menantes [i.e.: Christian Friedrich Hunold]. Hamburg 1722,

Vorrede, O.S.).

61 Martens: Literatur und Fr?mmigkeit (s. Anm. 11), S. 223. 62 Streng schreibt Martens, die Allegorese habe sich von ?ihrer urspr?nglichen religi?sen

Verpflichtung? gel?st und sei autonom geworden: ?Sie benutzt zwar im vorliegenden

Falle noch alle Schablonen geistlicher Deutung, aber es bleiben eben nur Schablonen. Die

fromme Sinndeutung unterliegt parodistischem Scherz? (ebd., S. 224).

63 Ebd., S. 223.

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Aspekte eines Tabakiedes

Letztlich wirkt bei den moralischen Dichtungen die Horazische Formel des

PRODESSE ET DELECTARE in besonderer Weise weiter: So sollte nach August Buch

ners (1591-1661) wirkungsgeschichtlich bedeutsamer Poetik (1665 postum verdf

fentlicht) jegliche Dichtung sowohl lieblich und anmuthig als auch nnitzlich

und ersprielich? sein." Die friihe Aufldirung hat diesen Doppelaspekt ausgebaut: Christian Friedrich Hunold (1680-1721) legt beispielsweise allergr68ten Wert

darauf, dass die Weisheit in der Poesie die Absicht und die Wirkung habe, die

Menschen zu erbauen." Mehr als gelehrte Bncher gelinge es ihr, eine heilsame

Wirkung zu entwickeln. Dieser Nntzlichkeitsaspekt wird von Johann Christoph Gottsched (1700-1766) weiter zugespitzt, indem er - allerdings in Bezug auf die

Fabel - normativ vorgibt: Zu allererst wihle man sich einen lehrreichen morali

schen Satz, der in dem ganzen Gedichte zum Grunde liegen soil, nach Beschaffen

heit der Absichten, die man sich zu erlangen, vorgenommen. 66 Gottsched fahrt

fort: Die Poesie [...] ist so erbaulich, als die Morale, und so angenehm, als die

Historie; sie lehret und belustigt, und schicket sich far Gelehrte und Ungelehrte [...]. 67 Dass die von Hunold und Gottsched formulierte Wirkabsicht von den

Dichtern beherzigt wurde, belegt wiederum Barthold Heinrich Brockes (1680

1747), der nach eigener Auskunft die Objecta? seiner Dichtkunst so gewshlt hat,

damit die Menschen nebst einer erlaubten Belustigung zugleich erbauet werden

magten. 68

Mit anderen Worten: Asthetik und Ethik wurden im 17. und 18. Jahrhundert

als eine Einheit gedacht: Im Gewande des Schdnen und Angenehmen sollte die

Moral Triumphe feiern, wobei in der Theorie das PRODESSE als Endzweck und das

DELECTARE als Mittel diente."

64 Vgl. Jung, Werner: Kleine Geschichte der Poetik. Hamburg 1997, S. 56. 65 Menantes: Die Allerneueste ?rt (s. Anm. 60), Vorrede, o.S.

66 Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst durchgehends mit den Ex

empeln unserer besten Dichter erl?utert. Vierte, sehr vermehrte Auflage Leipzig 1751, S. 161.

67 Ebd., S. 167. 68 Selbstbiographie. Zit. nach: Gro?e, Wilhelm: Aufkl?rung und Empfindsamkeit. In:

Geschichte der deutschen Lyrik. Vom Mittehlter bis zur Gegenwart. Hg. von Walter Hind erer. W?rzburg 22001, S. 150. Vgl. Brockes Hauptwerk, das nicht umsonst mit Irdisches

Vergn?gen in Gott betitelt ist.

69 Pikulik, Lothar: ?sthetik und Moral. In: Popul?re Kultur (wie Anm. 51), S. 115. - Typisch ist

die Formulierung bei Menantes [Christian Friedrich Hunold], der die Problematik folgen derma?en umschreibt: ?Also verzuckern kluge Aertze ein heilsames Mittel durch einen s?ssen

Saffi: / damit der Kranke durch die Bitterkeit des Geschmacks nicht abgeschreckt werde.?

(Menantes: Die A?erneueste Art [s. Anm. 60],Vorrede, O.S.).

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Michael Fischer

FUr das Tabakpfeifen-Lied bedeutet dies: Es ist weder als geistliches noch als

weltliches Gedicht zu begreifen, sondern als moralisches.71 Die gefalige Einklei

dung enthalt einen ernsthaften Kern, namlich die Thematisierung der menschli

chen Verganglichkeit, die ausdrnicklich als Lehre? (erste Strophe) verstanden wird.

Die letzte Strophe Ich kan bey so gestallten Sachen (Fassung der Politischen Er

zehlungen) fnhrt dabei unterschiedliche Nutzanwendungen zusammen, niimlich

Beschaftigung des Geistes (aErbauliche Gedancken?), Bedenken des Todes

( Lebens Nichtigkeit?), Selbstgenngsamkeit und Zufriedenheit (astiller Ruh<), Hiuslichkeit (azu Hauf?) und religibse Haltung (aAndacht).7'

Die humorvolle bzw. gemithafte Einkleidung bzw. ein entsprechendes publi zistisches Umfeld bezeugt der spielerische Umgang mit der Tabak-Allegorese. Si

cherlich deutet sich hierdurch auch die zunehmende Briichigkeit derartiger Moral

didaxe an, die - wie die Liedflugschriften zeigen - urn bzw. nach 1800 deutlicher

und breiter zur Geltung kommt als in der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts. Dass

dieses Lied aber dennoch auf ernstgemeinte Vergiinglichkeitsdiskurse zurnickge fnhrt werden kann, wird durch historische Vorbilder und Parallelen in Malerei,

Druckgraphik, Dichtung und Traktatliteratur unterstrichen.

2. Vorbilder und Parallelen

Die allegorische Auslegung der Tabakspfeife war Ende des 17. und zu Beginn des

18. Jahrhunderts alles andere als ungewohnlich -

ganz zu schweigen davon, dass

auch Tabakspfeifen und Schnupftabakdosen eine entsprechende Ausstattung und

Kontextuierung erfuhren. Als friihe Belege eines solchen Zusammenhangs kann

auf die niederlandische Malerei des 17. Jahrhunderts verwiesen werden. Dort ist

die Tabakspfeife als Symbol der Verganglichkeit prasent:

70 Auch eines der Flugbl?tter aus dem fr?hen 19. Jahrhundert nennt das Lied ausdr?cklich Moral beym Tabackrauchen {F?nfsch?ne neue weltliche Lieder. o.O., o.J., S. 2.).

71 Vgl. Allihn: Wie ?moralisch? (s. Anm. 10), S. 203f.

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Aspekte eines Tabakiedes

Abb.: Willem Claeszoon Heda (1594-1680/82): Vanitas-Stilleben (1628)

..nn

Abb.: Adriaen van Utrecht (1599-1652): Vanitas-Stil/eben (1642; Ausschnitt)

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Michael Fischer

Abb.: David Bailly (1584-1657): Selbstportrait mit Vanitas-Stulleben (1651; Ausschnitt)

Emiihnlicher Zusammenhang wie im Bild angedeutet, wurde auch in der Trak

tatliteratur und in Tabakgedichten ausformuliert. Ein prominentes Beispiel stelit

die Schrift Das beliebte und gelobte Krautlein Toback dar, die 1719 in Chemnitz unter dem Autorenknirzel ~J. G. H.~ aufgelegt worden ist.72 Dort wird nicht nur

der Nutzen, weicher der Tabak dem menschlichen Leibe schaffet?, bedacht,

sondern auch diejenigen Vorznige, die auf das Gemut wirken:73

Denn will man den Geist einsperren / den Verstand in tieffe Beschauung /

in Untersuchung der Warheit / in Nachspaihrung der Tugend und Wissen schaiften weyden / so ist der Toback das beste Mittel hierzu / weil er den

Verstand schirfft / den Geist auch munter macht / die Werckzeuge der

Sinnen anfrischt / ja den ganzen Leib in action erhilt, Zu geschweigen /

daB~ uns der aus der Tobacks-Pfeife geschwind in die Hohe steigende

72 Das beliebte und gelobte Kr?utlein Toback, oder Allerhand auserlesene Historische Merkw?r

digkeiten Vom Ursprung I Beschaffenheit I W?rckung, sonderbaren Nutzen, Gebrauch und

Mi?brauch des Tobacks, aus Ber?hmter M?nner Schrifften gesammlet, und allen seinen Lieb habern zur erg?tzenden Vergn?ngung und Zeitvertreib mitgetheikt von ]. G. H. Chemnitz: Conrad St??el 1719 (Neudruck Leipzig 1971).

73 Ebd., S. 30.

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Aspekte eines Tabakliedes

Dampff eine deutliche Abbildung der menschlichen Nichtigkeit vorstellet I

und zu andern guten Gedancken Gelegenheit giebet.74

Als Zeuge dieser erstaunlichen Wirkungen wird der Poet? in Anspruch ge nommen, der die Menschen daran erinnere, wie unser Leben / und mit dem

selben alle eingebildete Herrlichkeit und Ehre wie ein solcher Rauch verschwin

de<."1 Im Anschluss daran zitiert der Autor ein Gedicht von Friedrich Rudolph

Ludwig Freiherr von Canitz (1654-1699)76, in dem es heit:

Da die Luft und Pracht der Erden und ich selbst zu nichts mug werden,

Hat mich der Toback gelehrt; Wenn sein zarter Dampff sich zeiget,

Der hoch in die Liffte steiget, Und sich bald in Nichts verkehrt.77

Canitz fihrt weiter aus, es habe den Satan verdrossen, dass ein rauchender Mensch

in sich selbst vergnniget sei. Aber gerade deshalb raucht der Sprecher im Gedicht

weiter - und zwar ausdrnicklich als ein frommer Christo .8 Offensichtlich wird bei

Canitz das Rauchen als eine Art Meditation begriffen, die Zufriedenheit - wohl

verstanden als bescheidene und reflektierte Selbstgenngsamkeit - einschliet.

74 Ebd., S. 31. 75 Ebd., S. 31. Es folgt ein zweizeiliges lateinisches Epigramm, das dem Schluss endet: ?Fumus

& umbra sumus.? Danach folgt eine vierzeilige, sinngem??e deutsche ?bertragung. 76 Ebd., S. 32f.: ?Sonn und Licht hat sich verkrochen, / Und die Nacht ist angebrochen?.

Vgl. Des Freyherrn von Caniz Gedichte, Mehrenteik aus seinen eigenh?ndigen Schriften ver

bessert und vermehret [...] von Johann Ulrich K?nig Leipzig und Berlin, 1727, bey Am

brosius Hauden, S. 79f. (unter der ?berschrift ?Lob des Tabacks?). 77 Ebd., S. 33. 78 Ebd.

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Michael Fischer

Abb.: Verginglichkeitsallegorie des Kupferstechers Martin Engelbrecht (1684-1756)79

In der Schrift Das beliebte und gelobte Kriiutlein Toback wird noch ein zweiter Autor

herangezogen (Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau; 16 16-1679), der je

doch nicht namentlich genannt wird. In dessen Gedicht Wer will, der mag sich ergot zen /An Tuberosen undfesmin80 wird ebenso wie bei Canitz die Vergiinglichkeit des

Irdischen thematisiert und mit dem Meditationsthema kombiniert:

Die Asche, die mein Pfeiffgen zeiget, Lehrt mich die Eitelkeit der Welt.

Der Rauch, der in die Hohe steiget, Fnihrt meinen Geist ins Sternen Feld.

79 Aus: Der Menschen Zung und Gurgel Weid zur Notturfft und Erg?tzlichkeit vorgestellet, um

1740. Neudruck Vaduz um 1969. Das Gedicht lautet: ?Taback, wann ich dich schmauch, so merkt mein tieffer Sinn, / So Lust al? Andacht voll, was ich wahrhaftig bin, / Ein umbgetr?h ter Rauch, ein leichter Wind, ein Schatten, / die irrdne Pfeiffe ist des Leibes Fleisch Ger?st. /

Wer will dir nicht den Prei? in dem Getr?nck verstatten / Da du zugleich so gut, zugleich so

geistlich bist?? 80 Das beliebte undgebbte Kr?utlein Tobacky (wie Anm. 72), S. 33f.

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Aspekte eines Tabakliedes

Durchs Feu'r, so jede Pfeiff erneu'rt,

Wird auch mein Geist mehr a[n]gefeu'rt.81

Offenbar bilden auch hier erbauliche Betrachtungen, Lob des Tabaks, Betonung von

Genuss und Lebensfreude keinen Gegensatz. An einer anderen Stelle druckt der Herausgeber der barocken Toback

Publikation das franz6sischsprachige Sonnet Doux charme de ma solitude ab. Arthur

Kopp hat sich in seinem Aufsatz Internationale Tabakpoesie ausfihrlich mit diesem

Gedicht, seiner Herkunft, Verbreitung und Oi*bersetzungen beschiiftigt und zahllose

deutsche Cbertragungen nachgewiesen. In Das beliebte undgelobte Kriutlein Toback

wird eine Nachdichtung von Johann Georg Graevius (1632-1703) wiedergegeben. Diese lautet:

Du, meiner Einsamkeit Ergdtzen, Geliebtes Pfeiffgen, meine Lust,

Das mir erleichtert Haupt und Brust,

Und meinen Geist in Ruh kann setzen.

Toback, der mir kan Freude geben, Wenn ich dich seh im Rauch aufgehn Gleichwie der Blitz; So kann ich sehn

Ein wahres Bild von meinem Leben,

Da mir wird klarlich vorgestellet Das Ende dieser kleinen Welt,

Der mit der Seel begabten Asche,

Und mercken in verwirrter Ruh,

Dal, der ich nur nach Rauch stets hasche,

Ich eben so vergeh, wie du.82

Die Dokumente, in welchen das Tabakrauchen als Allegorie der Verginglichkeit

aufgefasst wird, lief~en sich fast beliebig vermehren. Anzufiihren waren etwa diverse

Stellen aus der 1715 in Leipzig erschienenen Publikation Auserlesene Ergtzlichkei ten Vom Tabac, in der gleich mehrfach das Verginglichkeitsthema entfaltet wird.3

81 Ebd., S. 34. Vgl. Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bisher ungedruckter Gedichte dritter theil Franckfurt und Leipzig, Verlegts Michael

Blochberger, 1737, S. 348f. (unter der ?berschrift ?Ruhm des Tobacks?). 82 Ebd., S. 79. 83 Vgl. Auserlesene Erg?tzlichkeiten Vom Tabac I Worinnen nicht nur Desselben Ursprung I W?r

ckungl medicinischer Nutzen I Annehmlichkeit und Zierde auf eine anmuthige Weise in allerhand

poetischen und andern aus Ber?hmter M?nner Schriften gesamieten Gedancken vorgestellet [...] Al len seinen Liebhabern zur Vergn?gung mitgetheikt von einem best?ndigen Tabacs-Freunde. Leip zig / Auf Kosten der Compagnie. 1715, S. 40, 43f. (Doux charme de ma solitude), S. 44f.

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Michael Fischer

In diesem Buch befindet sich auch das Gedicht Tabac hat diese Macht und Kraffl /

Daf er vielfromme Menschen schaff, das in den Politischen Erzehlungen - wie oben

gezeigt wurde - dem Tabakpfeifen-Lied vorangeht.84 Zuletzt soll nicht unerwahnt bleiben, dass in Blankenburg bei Heinrich

Adolph Pape ein undatierter Einblattdruck erschienen ist, der - ihnlich wie das

Tabakpfeifen-Lied im undatierten Separatdruck - mit dem Titel Erbauliche

Gedancken Ubers Toback-Schmauchen versehen ist.85 Allerdings wird dort

nicht das fragliche Lied, sondern ein kunstvolles Gedicht mit ihnlicher Thema

tik geboten.86

3. Schluss

Oberblickt man die angefiihrten Zeugnisse, ergibt sich folgender Tabak-Diskurs:

Die allegorische Ausdeutung des Tabakrauchens war im 17. und zu Beginn des 18.

Jahrhunderts eine spezielle, aber durchaus verbreitete Angelegenheit. Entsprechen de Zeugnisse sind in der Malerei, der Traktatliteratur sowie der Poesie nachzuwei

sen. Auffallend ist bei den schriftlichen Dokumenten, dass sich ernst- und scherz

hafte Erwiigungen abwechseln. So ist in dem Buch Auserlesene Ergdtzlichkeiten Vom

Tabac (Leizpig 1715) nicht nur Platz far Vergiinglichkeitsbetrachtungen und me

dizinische Erwigungen, sondern auch fnr geistreich-frivole Dichtung.87 Ahnliches

(?bersetzung des vorstehenden Gedichts von Tenzel), S. 45f {Sonn und Liecht hat sich verkro chen von Canitz), S. 62f. (Gedicht Du s?sser Zeitvertreib der stillen Einsamkeit).

84 Ebd., S. 64f. Vgl. Politische Erzehlungen, S. 73f. 85 Erbauliche Gedancken Ubers Toback-Schmauchen. Blankenburg, druckts Heinrich Adolph

Pape [o.J.]. Dieser gro?formatige Druck misst etwa 40 auf 30 cm (Herzog August Biblio thek Wolfenb?ttel: Gn 4? Kapsel 7 (4)). Der Verfasser dankt der Bibliothek f?r die ?ber

lassung eines Scans.

86 Die erste Strophe lautet: ?Indem ich jetzt allhier in Einsamkeit, / Und stiller Ruh,

vergn?gt zu bring die Zeit, / Seh ich ein Zeichen, / Wann ich mit Lust ein Pfeiffgen sitz und schmauch; / Mein Leben kan mit einem eitlen Rauch / Gar wol vergleichen.?

87 Vgl. ?Rathe / was ist es? Das Schneewei? vom Leibe / R?thlich vom Kopffe / rund /

l?nglich und steiff / Das auch im Tunckeln kann treffen die Scheibe / Stecket in L?cher den spitzigen Schweiff / Darinn innsgleichen ein L?chlein zu schauen / Daraus was Lie bliches pfleget zu dauen. Diese Grufft / drinn man di? Dinglein mu? halten / Ist mit den wehrtesten Haaren umschrenkt / Und wie die Muschel der VENUS gespalten / Wenn

denn die R?hre dahin wird gelenckt / Dadurch die M?nner den Lebens-Safift giessen /

Pflegt auch aus dieser was Nasses zu fliessen.? (ebd., S. 36f). Das h?bsche R?tsel wird ?ber mehrere Strophen fortgef?hrt.

- Vgl. ebs. Das R?tsellied ?Ach wie ist mir doch so

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Aspekte eines Tabakiedes

gilt fnr die Schrift Politische Erzehlungen (1740). Bemerkenswert dirfte aus heuti

ger Sicht auch sein, dass sich Allegorese und Verginglichkeitsmahnung einerseits

und Vergnigen bzw. Ergdtzen andererseits nicht ausschliegen - weder poetisch noch der Sache nach. Ganz im Gegenteil, der rechte Gebrauch der Schapfungs

dinge ist zulissig, insbesondere dann, wenn daraus ein religibser oder moralischer

Nutzen gezogen wird.88

Das bedeutet: Die Tabak-Allegorese im Lied So oft ich meine Tabakspfeife darf, so legen es die eingesehenen Quellen nahe, keineswegs als Humoreske oder gar als

Satire wahrgenommen werden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine ernst ge meinte, aber gemitvoll daherkommende Moraldidaxe. Damit deckt sich der Ta

bakdiskurs des 18. Jahrhundert mit dem poetologischen der Zeit: Niitzen und er

freuen wollten nicht nur die Dichter, sondern auch diejenigen, die den Wert des

Tabaks herausstellen. Noch einmal in eine andere Richtung gewendet: Durch das

Tabakpfeifen-Lied wurde eine Konsumgewohnheit und die Gestaltung von

Freizeit? (in der Terminologie der Zeit Miifiggang) versittlicht und zugleich in

tradierte moralisch-religidse Vorstellungen eingebunden. Ohne Zweifel andert sich

die theologische und geistesgeschichtliche Situation im Laufe des 18. Jahrhunderts.

Die erbauliche Allegorese eines Alltagsgegenstandes verlor mit der Zeit an Ansehen

und wich anderen Betrachtungen - etwa der Natur und ihren Wirkungen. Bemer

kenswert ist, dass aber gerade an der Wende zum 19. Jahrhundert die breite Ciber

lieferung in Liedflugschriften erst einsetzt. Bestitigt dieser Befund die These vom

gesunkenen Kulturgut?89 Wurde das Lied erst dann im eigentlichen Sinne popu

lir, als die isthetisch und theologisch Geschulten bereits die Nase rnmpften und

sich anderen Gegenstaiinden und Modi der Erbauung zuwandten? Mit dieser These

liefue sich auch erklaren, warum das Tabakpfeifen-Lied zwar durch Liedflugschrif ten, nicht aber durch Gebrauchsliederbiicher verbreitet wurde. Es steht zu vermu

ten, dass hier oft andere, strengere isthetische, moralische und religi*se Mafstabe

angelegt wurden.

bange, da? ich von dir scheiden soll!? (Sch?ne Neue Lieder fur lustige Br?der. Delitzsch

o.J.).

88 Zeitgen?ssisch dr?ckt sich dies in der Vorstellung vom ?zul?ssigen Vergn?gen? aus. Vgl. hierzu etwa den Gedichttitel Zul??ige Verk?rtzung m??iger Stunden von Joachim Beccau

(Hamburg 1719) oder die bekannte Formulierung Bachs, die im Bezug auf die Musik von der ?zul?ssigen Erg?tzung des Gem?ths? sprach (zit. nach: Blankenburg, Walter: Bach y Johann Sebastian. In: Theologische Realenzyklop?die. Hg. von Gerhard Krause und Gerhard M?ller. Bd. 5. Berlin 1980, S. 92).

89 Naumann, Hans: Grundz?ge der deutschen Volkskunde. Leipzig 1922, S. 5. Vgl. ebd.:

?Volksgut wird in der Oberschicht gemacht.?

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Michael Fischer

Ober die Rezeption des Liedes wissen wir wenig, auger dass es um und nach

1800 seine Kiiufer fand. Ob die Leser und Singer das Lied aufgrund seines publi zistischen Kontextes parodistisch empfanden oder nicht, ob sie sich belustigt zeig ten oder in einer angenehmen Melancholie schwelgten

- wir wissen es nicht. Zum

Schluss muss noch darauf hingewiesen werden, dass seit der Mitte des 18. Jahr

hundert auch andere Tabakpfeifen-Lieder Konjunktur hatten - insbesondere sol

che, welche weltzugewandter daherkamen. Besonders hervorzuheben ist dabei das

Lied So lang ich meine Tobackspfeiffe Bey jeglicher Gelegenheit, Mit gutem Appetit

ergreife, das Sperontes in die zweite Ausgabe seiner Singenden Muse an der Pleisse

aufgenommen hat. Wie schon der Incipit und die Form nahelegen ist dieses hu

morvolle Lied wohl ganz bewusst in Anlehnung an die Tabakpfeifen-Allegorie an

gelegt worden. Daffir sprechen auch die lustbetonte Diesseitigkeit und der Rick

griff auf den Zeit-Begriff:

1. So lang ich meine Tabackspfeiffe, Bey jeglicher Gelegenheit, Mit gutem Appetit ergreife, So lange bin ich, Zeit vor Zeit,

Bey allem was sich mit mir figt, Gesund und munter und vergniigt.

4.

Vor Kummer, Sorg und Leibesschmerzen

Ist es mein bestes Recipe. Es geht mir nichts so sehr zu Herzen,

Wenn ich mein Pfeifgen rauchen seh.

Man glaubt es kaum, wie bald, wie leicht

Drauf aller Unmuth von mir fleucht.

6.

So komme denn, belobte Pfeiffe! Komm theurer Knaster! kommt doch her,

Und stilt, indem ich euch ergreiffe Mein sehnlich Wiinschen und Begehr! Die Zeit wird mir drauf schon zu lang: Drum eil und schlnRf ich den Gesang.0

90 Sperontes [Scholze, Johann Sigismund] : Singende Muse an der Pleisse in 2. mahl 50 Oden derer neuesten und besten musicalischen St?cke [...] anjetzo viel ver?ndert und verbessert auch

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Aspekte eines Tabakliedes

Hier muss der Tabakgenuss nicht mehr durch seine erbauliche Wirkung gerecht

fertigt werden. Ein weiteres Tabakpfeifen-Gedicht erfreute sich im 19. Jahrhun

dert grofer Beliebtheit, nimlich Gottlieb Conrad Pfeffels Die Tobakspfeife.91 Auch

dieser Text geh6rt jedoch der Gattung moralischer Lieder an - dort wird nam

lich ganz im Sinne der Aufklarung die Tugend eines Soldaten noch im Diesseits

durch Wohlergehen belohnt. Freilich wird hier keine Allegorese betrieben, son

dern die Pfeife dient als Unterpfand der Treue.

Zuletzt ist noch auf das Lied Pfeifchen, wer hat dich erfunden, wem verdankst du

dein Bestehn? zu verweisen. Bei diesem, Ende des 19. Jahrhundert verbreiteten Lied

wird auch das Sterben thematisiert, allerdings in einem ganz anderen Ton als in

dem Tabakpfeifen-Lied aus dem Barock:

1.

Lieg ich einst im Sterbebette, Reicht mir meine Pfeife her! Rauch mit Jedem in die Wette

Zug fir Zug, Zug fir Zug mein Pfeifchen leer.

o wie schan, wie schdn [..]

4.

Lieg ich einst im Schoog der Erde, Reicht mir meine Pfeife her!

Leg ich meine Pfeif zur Seite, Meine Pfeife schmeckt nicht mehr.

o wie schdn, wie sch6n [...192

vermehrter ans Licht gestellet. Leipzig 1747, Nr. 99 (Melodiezuweisung: Nr. 61 ?Prei?t, r?hmt und lobt nur nach Gefallen?; vgl. Allihn: Wie ?moralisch? [s. Anm. 10], S. 199f.).

91 Die Tobakspfeife (Inititum: Gott gr?? euch Alter! - schmeckt das Pfeifchen?). In: Pfeffel, Gottlieb Conrad: Poetische Versuche. Zweiter Theil. T?bingen 1802, S. 101-104. Das Gedicht stammt aus dem Jahr 1782 und wurde 1784 vertont. Als Lied wurde es oft

gedruckt; nach Franz Magnus B?hme (Volksth?mliche Lieder [s. Anm. 7], S. 438) konnte man es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts h?ren.

92 Erk, Ludwig; B?hme, Franz Magnus: Deutscher Liederhort. Auswahl der vorz?glicheren Deutschen Volkslieder, nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart gesammelt und erl?utert. Bd. 3. Leipzig 1894, S. 256? (Nr. 1388).

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