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Spanen

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Berend Denkena • Hans Kurt Tönshoff

Spanen

Grundlagen

3., bearb. u. erw. Aufl.

1  3

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ISBN 978-3-642-19771-0 e-ISBN 978-3-642-19772-7DOI 10.1007/978-3-642-19772-7Springer Heidelberg Dordrecht London New York

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1995, 2004, 2011Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Über-setzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenver-arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg

Gedruckt auf säurefreiem Papier

Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)

Prof. Dr.-Ing. Berend DenkenaGottfried Wilhelm Leibniz Universität HannoverInstitut für Fertigungstechnik und WerkzeugmaschinenAn der Universität 230823 [email protected]

Prof. em. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. mult. Dr. h.c Hans Kurt TönshoffGottfried Wilhelm Leibniz Universität HannoverInstitut für Fertigungstechnik und WerkzeugmaschinenAn der Universität 230823 [email protected]

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Vorwort zur 3. Auflage

Seit 2003 hat sich auf dem Gebiet der Zerspanung – in der Forschung und auch in praktischen Anwendungen – Einiges getan. Wir hielten es daher für an der Zeit, eine 3. Auflage zu schreiben. Wir sind damit beim Springer Verlag sogleich auf Bereitschaft gestoßen. So legen wir Ihnen eine gründlich überarbeitete Auflage vor, die neuere wissenschaftliche Arbeiten des Instituts für Fertigungstechnik und Werk-zeugmaschinen der Leibniz Universität Hannover ebenso wie technische Entwick-lungen der Praxis berücksichtigen will.

Ein eigenes Kapitel über Modellierung und Simulation wurde eingefügt, da in-zwischen vielfältige leistungsfähige Möglichkeiten existieren, Prozess- und Wirk-größen nicht nur in einer Momentaufnahme sondern auch auf der Grundlage von ki-nematischen oder Bewegungssimulationen, die an tatsächliche Bearbeitungsabläufe angepasst sind also den laufenden Prozess abbilden, zu bestimmen. Dem Leser zu ermöglichen, sich in den verschiedenen Ansätzen und ihren Grenzen zu Recht zu finden, ist Anliegen dieses Kapitels. Dr.-Ing. Böß hat mit mathematischer Kompe-tenz die Erarbeitung dieses neuen Teils weitgehend übernommen.

Auch neue Erkenntnisse über die Bedeutung der Mikrogeometrie des Schneid-keils auf das Verschleißverhalten eines Werkzeugs, auf den Kraft- und Leistungs-bedarf beim Spanen und nicht zuletzt auf die Randzonenbeeinflussung wurden he-reingenommen. Das Kapitel Oberflächeneigenschaften und Randzoneneigenschaf-ten wurde von Dr. rer.nat. Breidenstein auf den neuen Stand der messtechnischen Möglichkeiten gebracht.

Wertvolle Informationen über eben in die Anwendung eingeführten neuen Ver-fahren zum Abrichten von Schleifscheiben verdanken wir Prof. Dr.-Ing. T. Lierse und der Kaiser GmbH, Celle. Die Kapitel Kräfte und Leistungen, Räumen, Verzah-nungsschleifen; Prozesskettenauslegung und Kühlschmierung wurden überarbeitet. Wieder haben zahlreiche Mitarbeiter des Institutes geholfen, diese neue Auflage fertigzustellen. Wir danken besonders den Herrn Dr.-Ing. V. Böß, Dr. rer.nat. B. Breidenstein, Dipl.-Ing. J. Henjes, Dipl.-Math. A. Schindler und Dipl.-Ing. V. Sell-meier für ihre engagierte und kompetente Mitarbeit.

„Spanen – Grundlagen“ liegt nun in einer 3. Fassung vor. Für Anregungen und Korrekturen sind wir dankbar.

Hannover im Dezember 2010Berend Denkena

Hans Kurt Tönshoff

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Inhalt

1 Einführung in die Zerspantechnik ............................................................ 11.1 Wirtschaftliche Bedeutung ................................................................... 11.2 Gliederung ............................................................................................ 31.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen ................................... 41.4 Zerspanprozess als System ................................................................... 81.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren ............................. 91.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen ............................... 15 Fragen ............................................................................................................ 18Literatur ......................................................................................................... 19

2 Spanbildung ................................................................................................. 212.1 Spanbildungsarten ................................................................................ 212.2 Spanwurzeluntersuchungen .................................................................. 252.3 Scherebenenmodell .............................................................................. 29 Fragen ............................................................................................................ 35Literatur ......................................................................................................... 36

3 Spanformung ............................................................................................... 373.1 Spanraumzahl und Spanformklassen ................................................... 373.2 Spanleitung ........................................................................................... 393.3 Werkstoffeinfluss .................................................................................. 423.4 Einfluss der Schnittbedingungen .......................................................... 46 Fragen ............................................................................................................ 47Literatur ......................................................................................................... 49Weiterführende Literatur ................................................................................ 49

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen ......................................................... 514.1 Empirische Modelle ............................................................................. 524.2 Modellierung der Vorschub- und Passivkraft ....................................... 614.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil ....................................................... 634.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik ...................................... 66

4.4.1 Theorie nach Ernst und Merchant ............................................ 66

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4.4.2 Theorie nach Hucks .................................................................. 674.4.3 Fließkurven und Stoffgesetze ................................................... 69

4.5 Numerische Theorie ........................................................................... 714.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren ................................. 744.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen ................................................... 79 Fragen .......................................................................................................... 82Literatur ....................................................................................................... 84

5 Energieumsetzung und Temperaturen .................................................... 875.1 Umsetzungseffekte ............................................................................. 875.2 Wärmeabfuhr ...................................................................................... 905.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur ............................................. 93

5.3.1 Temperaturmessung ............................................................... 935.3.2 Temperaturfelder ..................................................................... 100

5.4 Schneidkeiloptimierung ..................................................................... 106 Fragen .......................................................................................................... 107Literatur ....................................................................................................... 108

6 Modellierung und Simulation .................................................................. 1096.1 Kinematische Simulation ................................................................... 110

6.1.1 Darstellung des Werkstücks ................................................... 1126.1.2 Werkzeugmodell ..................................................................... 1206.1.3 Ermittlung von Prozessgrößen ............................................... 121

6.2 Numerische Simulation nach FEM .................................................... 1256.3 Molekulardynamische Modellierung ................................................. 129Fragen .......................................................................................................... 132Literatur ....................................................................................................... 133

7 Verschleiß ................................................................................................... 1357.1 Verschleißformen ............................................................................... 1357.2 Beanspruchungen ............................................................................... 1387.3 Verschleißursachen ............................................................................. 1447.4 Standzeit ............................................................................................. 1487.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit ........................................... 1537.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß ................................................. 156

7.6.1 Werkstoffzusammensetzung ................................................... 1567.6.2 Schmelzenführung .................................................................. 1587.6.3 Wärmebehandlung ................................................................. 161

7.7 Schneidenverrundung ......................................................................... 161 Fragen .......................................................................................................... 164Literatur ....................................................................................................... 165

8 Schneidstoffe .............................................................................................. 1678.1 Anforderungen an Schneidstoffe ........................................................ 1678.2 Werkzeugstähle .................................................................................. 171

Inhalt

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ixix

8.3 Schnellarbeitsstähle ............................................................................ 1718.4 Stellite ................................................................................................ 1748.5 Hartmetalle ......................................................................................... 1758.6 Cermets .............................................................................................. 1838.7 Schneidkeramik .................................................................................. 1858.8 Diamant .............................................................................................. 190

8.8.1 Monokristalliner Diamant ...................................................... 1918.8.2 Polykristalliner Diamant ........................................................ 191

8.9 Bornitrid ............................................................................................. 193 Fragen .......................................................................................................... 197Literatur ....................................................................................................... 198

9 Hochgeschwindigkeitsspanen ................................................................... 2019.1 Definition ........................................................................................... 2019.2 Spanbildung ........................................................................................ 2049.3 Anwendung ........................................................................................ 2069.4 Hochleistungszerspanung ................................................................... 2089.5 Hochleistungsbohren .......................................................................... 209 Fragen .......................................................................................................... 210Literatur ....................................................................................................... 211

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung ........................................................ 21310.1 Hartdrehen ........................................................................................ 21310.2 Hartbohren ........................................................................................ 22110.3 Hartfräsen ......................................................................................... 22210.4 Werkstoffe ........................................................................................ 22410.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur ............................................... 22510.6 Schneidstoffe und Werkzeugverschleiß ........................................... 231 Fragen .......................................................................................................... 232Literatur ....................................................................................................... 233

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität ............................................................ 23511.1 Makrogeometrische Abweichungen ................................................. 23511.2 Mikrogeometrische Eigenschaften ................................................... 23811.3 Physikalische Beeinflussung ............................................................ 23911.4 Wälzfestigkeit ................................................................................... 24211.5 Schwingfestigkeit ............................................................................. 24211.6 Dichtfähigkeit ................................................................................... 24411.7 Nachbehandlungsverfahren .............................................................. 245

11.7.1 Hartglattwalzen .................................................................. 245 11.7.2 Wasserstrahlen .................................................................... 247

Fragen .......................................................................................................... 248Literatur ....................................................................................................... 249

Inhalt

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x

12 Räumen ...................................................................................................... 251 Fragen .......................................................................................................... 260Literatur ....................................................................................................... 260

13 Schleifen ................................................................................................... 26313.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden ........................ 26313.2 Schleifstoffe .................................................................................... 264

13.2.1 Korund .............................................................................. 26513.2.2 Siliziumkarbid .................................................................. 26813.2.3 Kubisch kristallines Bornitrid und Diamant ..................... 26813.2.4 Korngrößen von Schleifstoffen ........................................ 270

13.3 Bindung .......................................................................................... 27013.4 Schleifscheiben ............................................................................... 27313.5 Sprengsicherheit von Schleifscheiben ............................................ 27613.6 Schleifprozesse ............................................................................... 279

13.6.1 Eingangsgrößen ................................................................ 28013.6.2 Prozessgrößen ................................................................... 29113.6.3 Ausgangsgrößen ............................................................... 294

13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen ......................................... 30113.7.1 Grundlagen ....................................................................... 30113.7.2 Konditionieren von konventionellen

Schleifwerkzeugen ........................................................... 30613.7.3 Konditionieren von hochharten Schleifscheiben .............. 308

13.8 Schleifkosten .................................................................................. 311 Fragen ........................................................................................................ 312Literatur ..................................................................................................... 313

14 Verzahnungsschleifen ............................................................................. 31714.1 Einleitung ....................................................................................... 31714.2 Diskontinuierliches Profilschleifen ................................................ 32214.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken .................. 32614.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen ......................................... 331 Fragen ........................................................................................................ 334Literatur ..................................................................................................... 335

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette ....................... 33915.1 Grundlagen der Prozesskettenauslegung ........................................ 33915.2 Prozessmodellbildung .................................................................... 34315.3 Prozessauslegung am Beispiel „Hartfeinbearbeitung“ ................... 34615.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“ ............. 34915.5 Prozessüberwachung ...................................................................... 356 Fragen ........................................................................................................ 360Literatur ..................................................................................................... 361

Inhalt

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xi

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften ......................................... 36316.1 Oberflächeneigenschaften .............................................................. 364

16.1.1 Bestimmung von Oberflächeneigenschaften .................... 36516.2 Randzoneneigenschaften ................................................................ 369

16.2.1 Bestimmung von Randzoneneigenschaften ...................... 37016.2.2 Wirkung spanender Verfahren .......................................... 376

Fragen ........................................................................................................ 384Literatur ..................................................................................................... 384

17 Kühlschmierung ...................................................................................... 38717.1 Anforderungen ................................................................................ 38717.2 Kühlschmierstoffe .......................................................................... 389

17.2.1 Nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe ....................... 38917.2.2 Wassermischbare Kühlschmierstoffe ................................ 39217.2.3 Additivierung von Kühlschmierstoffen ............................ 394

17.3 Kühlschmierstoffeinsatz bei der Zerspanung mit geometrisch bestimmten Schneiden ............................................... 397

17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen ........................................ 39917.4.1 Methoden zur Bestimmung der Kühlschmierstoff-

wirkung beim Schleifen .................................................... 40217.4.2 Anwendungen und Wirkungen ......................................... 404

Fragen ........................................................................................................ 409Literatur ..................................................................................................... 410

18 Anhang ..................................................................................................... 413

Allgemeine Literatur ....................................................................................... 417

Sachverzeichnis ............................................................................................... 419

Inhalt

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xiii

Formelzeichen und Abkürzungen

Formelzeichen

a Temperaturleitfähigkeit m2/sa Werkstückaufmaß mmA Spanungsquerschnitt mm2

Aφ Scherquerschnitt mm2

Ac rechnerische Kontaktfläche mm2

AD zerspante Stirnfläche beim Schleifen mm2

ae Arbeitseingriff, Schnittbreite mmAe wirkliche Kontaktfläche mm2

aed Arbeitseingriff beim Abrichten µmAg Kornquerschnitt im Eingriff mm2

Ak Kontaktfläche mm2

ap Schnittbreite, Schnitttiefe mmapd Eingriffsbreite beim Abrichten mmard radiale Abrichtzustellung mmAw Eingiffsquerschnitt mm2

Aw Zeitspanfläche, Flächenrate mm2/minaWZ Werkzeugbeschleunigung m/s2

b Spanungsbreite mmb Wärmeeindringkoeffizient W t1/2/m2

b Zahnradbreite mmb Spanbreite mmbL Spanleitstufenbreite mmbs Schleifscheibenbreite mmC Kornkonzentration -C Minutenschnittgeschwindigkeit m/minCµ Mittelwert der Minutenschnittgeschwindigkeit minc0 Gradient der Kornzahl mm-3

c1 Formzahl -cp Wärmekapzität J/(kg K)cx,y Federzahl in x,y-Richtung N/µm

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xivxiv Formelzeichen und Abkürzungen

d als Index: Abrichtend Mittenkreisdurchmesser mmD Fräserdurchmesser mmd0 Mittenkreisdurchmesser der Wälzschnecke mmda Außendurchmesser mmda Kopfkreisdurchmesser mmda0 Kopfkreisdurchmesser der Wälzschnecke mmdb Grundkreisdurchmesser mmdf Fußkreisdurchmesser mmdf0 Fußkreisdurchmesser der Wälzschnecke mmdFf Fuß-Formkreisdurchmesser mmdg Korndurchmesser mmdi Innendurchmesser mmdR Diamantabrichtrollendurchmesser mmds Schleifscheibendurchmesser mmdw Werkstückdurchmesser mmdy Durchmesser des Berührungspunktes mmE Elastizitätsmodul MPaE Gesamtstrahlungsintensität W/m2

ec spez. Schnittenergie J/mm3

eP0 Lückenweite des Stirnradbezugsprofils mmESλ Spektrale Strahlungsintensität W/m3

f Formabweichung µmf Vorschub mmF Kraft auf Eingriffsbreite bezogen N/mmfa Axialvorschub mmFa Aktivkraft NFc Schnittkraft NFc∞ asymptotische Schnittkraft NFcN Schnittnormalkraft NFcvar variable Schnittkraft Nfd Abrichtvorschub mmFd Drangkraft Nfe Eigenfrequenz HzFf Vorschubkraft NFmax maximale Zerspankraft NFn Normalkraft NF′n bezogene Normalkraft N/mmF′n KSS bezogene Flüssigkeitsnormalkraft N/mmFNγ Normalkraft a. d. Spanfläche NFNα Normalkraft a. d. Freifläche NFp Passivkraft Nfr radialer Vorschub µmFt Tangentialkraft N

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xvFormelzeichen und Abkürzungen

F′t bez. Tangentialkraft N/mmfw Walzvorschub mmFw Walzkraft Nfz Vorschub je Schneide mmFz Zerspankraft NG Schleifverhältnis -h Spanungsdicke mmh Spandicke mmh0 Bezugsgröße Spanungsdicke mmha0 Kopfhöhe der Wälzschnecke mmhcu.max maximale Einzelkornspanungsdicke mmheq äquivalente Spanungsdicke µmhf0 Fußhöhe der Wälzschnecke mmHK Knoop-Härte -hkl Flächenindizes -hm Mittenspandicke, mittl. Spanungsdicke mmhmin Mindestspanungsdicke mmhr Abstand vom Wälzkreis mmHV Vickers-Härte -id Anzahl Abrichthübe -k Seebeck-Koeffizient V/Kk Taylorexponent -K Festigkeitsparameter MPaK Kolkzahl -kγ Reibenergie J/mm3

kφ Scherenergie J/mm3

kc spez. Schnittenergie N/mm2

kc spez. Schnittkraft, N/mm2

kc0 Bezugsgröße der spez. Schnittkraft N/mm2 kc1.1 Hauptwert der spez. Schnittkraft N/mm2

kel Federenergie J/mm3

kf Formänderungsfestigkeit MPakf spez. Vorschubkraft N/mm2

kf,p1.1 Hauptwert der spez. Vorschub-, Passivkraft N/mm2

ki bez. Zerspankraftkomponenten NKIc Bruchzähigkeit, Spannungsintensitätsfaktor N/mm2 ·

m1/2

KL Kontaktlänge mmkM Umlenkenergie J/mm3

KM Kolkmittenabstand mmKML Maschinenzeitsatz €/minkp spez. Passivkraft N/mm2

kT Trennenergie J/mm3

KT Kolktiefe mmKWZ Werkzeugkosten €

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kγ Reibanteil der spez. Energie auf der Spanfläche N/mm2

kφ Umformanteil der spez. Energie N/mm2

l Länge mmL Wärmestrom Wlc Bohrweg mmlFZ Fräsweg pro Schneide mmLFZ Standweg pro Schneide mmlg geometrische Kontaktlänge mmlg.max maximale geometrische Kontaktlänge mmlk kinematische Kontaktlänge mmlk Kontaktbogen mmln ausgewerteter Teil der Messstrecke mmlP Profilausbildungslänge mmlr Einzelmessstrecke mmls Werkzeugteilung mmmc Anstiegswert der spez. Schnittkraft -mf,p Anstiegswert der spez. Vorschub-, Passivkraft -mn Normalmodul der Verzahnung mmmn0 Normalmodul der Wälzschnecke mmMx,y,z Momente im kartesischen Messsystem W/m2

NA Kornzahl je Fläche mm-2

nR Diamantabrichtrollendrehzahl min-1

ns Schleifscheibendrehzahl min-1

Nv Kornzahl eines Volumens mm-3

nw Werkstückdrehzahl min-1

p Druck MPaP Ausfallwahrscheinlichkei des Werkzeugs -P Spindelleistung WPα Reibleistung a. d. Freifläche WPγ Reibleistung a. d. Spanfläche WPφ Scherleistung WPφγ Scher- und Reibleistung a. d. Spanfläche WPc Schnittleistung WPch Leistungsanteil der Hauptschneide WPcq Leistungsanteil der Querschneide WPcvar variable Schnittleistung WPf Vorschubleistung WPL Leerlaufleistung Wpn0 Normalteilung der Wälzschnecke mmps Wasserstrahldruck MPaP′

v bez. Verlustleistung kW mm-1

pw Glattwalzdruck MPapxi Prioritätsfaktor -q Geschwindigkeitsverhältnis -

Formelzeichen und Abkürzungen

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xvii

q Radiusverhältnis Bohren -Q bez. Radius -q. Wärmestromdichte W/m2

Q0 Wärmestrom Wqd Geschwindigkeitsverhältnis beim Abrichten -qi Teilwärmeströme J/sQKSS Kühlschmierstoffvolumenstrom l/minQ′

KSS bezogener Kühlschmierstoffvolumenstrom l/min · mmQSpan bez. Spanvolumen mm3/sQw Zeitspanvolumen (Volumenrate) mm3/sQ′w bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wl lokales bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wm mittleres bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wmax maximales bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sQ′wmin minimales bezogenes Zeitspanvolumen mm3/mm · sr Radius mmR Krümmungsradius mmR Standzeitzuverlässigkeit -R Widerstand Ωrε Eckenradius mmr′ Biegeradius des Spans mmrε Schneideckenradius mmrβ Schneidkantenradius µmRa arith. Mittenrauwert µmrb Grundkreishalbmesser mmrc wirksamer Radius beim Bohren mmREK röntgenographische Elastizitätskonstanten 10-6 (N/

mm2)-1

req äquivalenter Radius mmrFa Kopfformkreishalbmesser mmrFf Fußformkreishalbmesser mmrh Radius der Hauptschneide mmri Vorbohrradius mmRm Zugfestigkeit N/mm2

Rmax maximale Rautiefe µros Wälzkreishalbmesser des Schleifrings mmrow Wälzkreishalbmesser des Zahnrads mmrPR Kantenradius der Diamantabrichtrolle mmrq Außenradius mmrq Radius der Querschneide mmrs Schleifscheibenradius mmRth theoretische Rautiefe µmRts Wirkrautiefe µm

Formelzeichen und Abkürzungen

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xviii

rw Werkstückradius mmRz gemittelte Rautiefe µmRZ Spanraumzahl -∆s Zahnflankenaufmass mmSbr Sprengsicherheit -sc Lastverhältnis Bohren -sP0 Zahndicke des Stirnradbezugsprofils mmsRP Diamantprofilrollenbreite am Teilkreis mmt Momentenverhältnis Bohren -t Zeit sT Oberflächenspannung N/mT Standzeit minTµ Mittelwert der Standzeit mintc Schnittzeit mintL Spanleitstufentiefe mmtWZ Werkzeugwechselzeit minu Verschiebung mmU Spannung VUd Überdeckungsgrad -V Zerspanvolumen cm3

vφ Schergeschwindigkeit m/minvax axiale Schnittgeschwindigkeitskomponente m/sVb Bindungsvolumen mm3

VB Verschleißmarkenbreite µm, mmVBi Verschleißmarkenbreite im Bereich i = B, C, N µmvbr Bruchgeschwindigkeit m/svc Schnittgeschwindigkeit m/minvcd Schnittgeschwindigkeit beim Abrichten m/svctrans Übergangsschnittgeschwindigkeit m/minvd Abrichtrollengeschwindigkeit m/sve Wirkgeschwindigkeit m/minvf Vorschubgeschwindigkeit m/minvfd Abrichtvorschubgeschwindigkeit mm/minvfr radiale Vorschubgeschwindigkeit mm/minvft tangentiale Vorschubgeschwindigkeit m/minVg Kornvolumen mm3

Vge Volumen je Korn mm3

vgr radiale Schnittgeschwindigkeitskomponente m/svHG Grenzgeschwindigkeit m/minVp Porenvolumen mm3

vs Geschwindigkeit des Schleifringes m/svs Schleifgeschwindigkeit m/sVs Scheibenvolumen mm3

V′s tang. Komponente Schleifringgeschwindigkeit m/s

Formelzeichen und Abkürzungen

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xix

vsp Spangeschwindigkeit m/minvw Walzgeschindigkeit m/minvw Werkstückdrehgeschwindigkeit mm/minV′w bezogenes Zerspanvolumen mm3/mmw Spanungslänge mmW′ Spanlänge mmx Profilverschiebung mmxi Normierte Zielgröße i -z Abstand von der Oberfläche µmz Schneidenzahl -z Zähnezahl des Zahnrads -z0 Gangzahl (Zähnezahl) der Wälzschnecke -zB Zahl der Bohrungen je Bauteil -zi maximaler Höhenwert µmzp Korneindringtiefe µmα Freiwinkel; Gradα Profilwinkel Gradαθ Temperaturkoeffizient 1/Kαn Normaleingriffswinkel Gradαn0 Normaleingriffswinkel der Wälzschnecke Gradαp Druckkoeffizient mm2/NαRP Diamantprofilrollenwinkel Gradβ Keilwinkel Gradβ Neigungswinkel Gradβ Schrägungswinkel der Verzahnung Gradβ0 Schrägungswinkel der Wälzschnecke Gradγ Spanwinkel Gradγ0 Mittensteigungswinkel der Wälzschnecke Gradγeff effektiver Spanwinkel Gradγh Spanwinkel der Hauptschneide Gradγq Spanwinkel der Querschneide GradγS Scherung -δ Drallwinkel (Bohrer) Gradδ Dicke der erwärmten Schicht mmδ Achskreuzungswinkel GradΔd Durchmesserfehler µmΔrs radialer Scheibenverschleiß µmδx Maßabweichung µΔx Bremsweg µmε bez. Fehler, Fräsen -ε bezogene Formänderung -ε Dehnung -•;. Formänderungsgeschwindigkeit s-1

εb Bruchdehnung -

Formelzeichen und Abkürzungen

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xx

εD Stauchung -εR Randdehnung -εZ Dehnung -η Wirkrichtungswinkel Gradη Viskositätsfaktor MPa sΘ Temperatur °C, Kϑ Temperatur °C, K2° Beugungswinkel Gradκ Einstellwinkel Gradκeff effektiver Einstellwinkel Gradλ Formfaktor -λ Wärmeleitfähigkeit J/(Kms)Λ Wellenlänge nmλb Spanbreitenstauchung -λc Grenzwellenlänge µmλh Spandickenstauchung -λi Wärmeleitfähigkeit J/(K m s)λw Spanlängenstauchung -μ Reibwert -ν Querzahl -ρ Dichte g/cm3

ρ Reibwinkel Gradρs Dichte des Schleifstoffes g/mm3

ρs Dichte der Schleifscheibe g/mm3

σ Normalspannung MPaσ Spitzenwinkel (Bohrer) Gradσ Stefan-Boltzmann-Konstante W/(m2 K4)σ⊥ Eigenspannungs quer zur Schleifrichtung MPaσ|| Werkstückeigenspannung parallel zur

BearbeitungsrichtungN/mm2

σaD Dauerfestigkeit MPaσb Bruchspannung N/mm2

σiso isotherme Fließspannung MPaσlogT log. Standardabweichung der Standzeit -σr Radialspannung MPaσt Tangentialspannung MPaσΦ Eigenspannung in Richtung φ N/mm2

τ Eindringtiefe µmτ Schubspannung MPaτφ Scherspannung MPaφ Eingriffswinkel Gradφ Umformgrad, logarithm. Formände-

rungφ Vorschubrichtungswinkel Grad

Formelzeichen und Abkürzungen

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xxi

Abkürzungen

AC Adaptive ControlASI Adaption, Substitution und IntegrationBN BornitridBY aus der Schmiedewärme abgekühltBY best yield strengthCAD Computer Aided DesignCAM Computer Aided ManufacturingCBN kubisch kristallines BornitridCNC numerische SteuerungCVD Chemical Vapor DepositionDLC Diamond Like CarbonDoE Design of ExperimentsDTI Design of Technological InterfacesEBSD Electron Back Scatter DiffractionELF explizite Lagrange’sche FormulierungEP Extreme PressureESU Elektroschlacke-UmschmelzverfahrenFEM Finite Elemente MethodeFEPA Vereinigung europ. SchleifmittelherstellerFGH functionally graded hardmetalHK Knoop HärteHM unbeschichtetes HartmetallHPC Hochleistungsspanen

φ Anstellwinkel zwischen Profilschleifscheibe und Wälzschnecke

Grad

•;. Formänderungsgeschwindigkeit s-1

Φ Scherwinkel Gradχ Verformungswinkel Gradψ Strukturwinkel Gradψ Neigungswinkel Gradψµ Einfluss Reibung -ψγ Einfluss Spanwinkel -ψ0 Einflussfunktion der spez. Schnittkraft -ψ1 Residuum der Einflussfunktion -ψv Einfluss Geschwindigkeit -ω Winkel im Mohrschen Spannungskreis Gradω Winkelgeschwindigkeit s-1

Ω Raumwinkel Gradωw Winkelgeschwindigkeit des Werkgrades rad/s

Formelzeichen und Abkürzungen

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xxii

HRC RockwellhärteHSC HochgeschwindigkeitsspanenHSS SchnellarbeitsstahlHV Vickers-HärteILF implizite Lagrange’sche FormulierungIT ToleranzfeldKSS KühlschmierstoffMD Molecular DynamicsMMS MinimalmengenSchmierungODF Orientation Distribution FunctionOVF OrientierungsverteilungsfunktionPACVD Plasma assisted CVDPEK Prozess, Prozesskettenelement und ProzesskettePKB Polykristallines BornitridPKD Polykristalliner DiamantPM pulvermetallurgischPVD Physical Vapor DepositionREM RasterelektronenmikroskopRT RaumtemperaturSPC Statistical Process Control

Formelzeichen und Abkürzungen

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1

1.1 Wirtschaftliche Bedeutung

Der industrielle Produktionsprozess wird entscheidend durch Fertigung und Mon-tage bestimmt; denn dort findet die reale Umsetzung geplanter Produkte durch die Herstellung von Teilen, Baugruppen und Aggregaten zu Erzeugnissen statt. Die Basis dieser Produktionsprozesse sind die Fertigungsverfahren, die sich nach DIN 8580 in sechs Hauptgruppen einteilen lassen [DEN10]. Spanende Verfahren sind Teil der Hauptgruppe Trennen. Sie werden hauptsächlich an metallischen Werkstof-fen eingesetzt und sind im Maschinen- und Fahrzeugbau, in der Luft- und Raum-fahrt, in der Geräte- und Antriebstechnik, in der Biomedizintechnik und in vielen anderen Produktbereichen wichtige Schritte im gesamten Produktionsprozess. Spa-nende Verfahren verfügen über ein unübertroffenes Spektrum an Möglichkeiten, Qualität, Mengenleistung und Formenvielfalt zu variieren. Vergleicht man sie mit benachbarten teilweise konkurrierenden Fertigungsverfahren wie dem Schmieden und dem Gießen, heben sie sich ab durch eine hohe Gestaltungs- und Formen-vielfalt sowie durch hohe Genauigkeit. In der Mengenleistung und Produktivität sind sie jedenfalls bei größeren Stückzahlen unterlegen. Da Spanen das Trennen von Spänen, also Stoffverlust bedeutet, sind sie unter dem Aspekt der Nachhaltig-keit im Sinne der Ressourcenschonung in Material und Energie eher unterlegen. Abbildung 1.1 gibt nur grob qualitativ einen Vergleich urformender, umformender und spanender Verfahren wieder.

Spanende Verfahren arbeiten im ISO-Qualitätsbereich von IT 2 bis IT 10. Sie werden in der Einzelfertigung von einem oder von wenigen Teilen (z. B. Herstel-lung von individuell angepassten Endoprothesen), in der Fertigung von kleinen und mittleren Serien (z. B. Triebwerksteile für Rennsportfahrzeuge und Flugzeugbau), in der Großserien- und in der Mengenfertigung (z. B. im Automobilbau) eingesetzt. Wegen ihrer spezifischen Eigenschaften sind sie häufig am Ende einer aus meh-reren oder vielen Fertigungsschritten bestehenden Arbeitsvorgangsfolge platziert. Daraus folgt eine besondere Anforderung an die Fertigungssicherheit, mit der spa-nende Verfahren bei finalen Arbeitsschritten arbeiten müssen. Allerdings ist – wie Abb. 1.1 andeutet – die Produktivität, gemessen als Mengenleistung, d.h. die Zahl der herstellbaren Teile je Zeiteinheit, verglichen mit umformenden und urformen-

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 1Einführung in die Zerspantechnik

Page 22: Spanen ||

2

den Verfahren meist erheblich geringer. Die Formenvielfalt ist kaum begrenzt. Da-bei ist besonders von Bedeutung, dass das Werkzeug nicht formgebunden ist, also nicht die Form des zu erzeugenden Werkstücks enthält, wie das bei Verfahren, die nach dem abformenden Prinzip arbeiten, der Fall ist, sondern dass die Form des Werkstücks durch die gesteuerte Bewegung zwischen Werkzeug und Werkstück er-zeugt wird (Abb. 1.2). Das bedeutet, dass die gesteuerte Bewegung eines spanen-den Werkzeugs direkt den Weginformationen eines Rechners entnommen und einer Werkzeugmaschine zugeführt werden kann. Das schafft eine hohe Flexibilität, d.h. die Fähigkeit, unterschiedliche Teile in ununterbrochener Folge bearbeiten zu kön-nen. Die Losgröße 1 in einem Auftrag ist so realisierbar.

Aber auch in der Serienfertigung wie dem Automobilbau ist die spanende Ferti-gung häufig von entscheidender Bedeutung, wie Abb. 1.3 zeigt.

Abb. 1.1 Vergleich einiger Fertigungsverfahren

Schmieden

Gießen

FormenQualität

Spanen

Mensch/UmweltProduktivität

Abb. 1.2 Formgebungsprinzipien

AbbildendesFormen

GesteuertesFormen

Werkzeug

Werkzeugbewegung

Werkzeugbewegung

Werkstück

Drehbewegung

Oberwerkzeug

Unterwerkzeug

Werkstück

Tö/18783 IFW

1 Einführung in die Zerspantechnik

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3

1.2 Gliederung

Spanen ist Fertigen durch Stofftrennen. Von einem Rohteil/Werkstück werden durch eine (beim Drehen), mehrere (beim Fräsen) oder viele (beim Schleifen) Schneiden eines Werkzeugs Stoffteile in Form von Spänen mechanisch getrennt. Beim Spanen mit geo-metrisch bestimmten Schneiden sind die Schneidenanzahl, die Form der Schneidkeile und ihre Lage zum Werkstück bekannt und beschreibbar (Abb. 1.4). Beim Spanen mit

Abb. 1.3 Herstellkostenstruktur einiger Triebwerksbauteile [TÖN10]

Pleuel Achsschenkel Getriebewelle

Ck45 41Cr4 20MoCr4

67%

42%

30%

57%

25%

100%

18%28%

11%

22%

mechanischeBearbeitung

Umformung

Material

Fertiggewicht

Schmiedegewicht

0,87 kg

1,24 kg

3,87 kg

5,00 kg

1,62 kg

2,19 kg

1.2 Gliederung

Abb. 1.4 Fertigungsverfahren: Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden (nach DIN 8589-0)

SonstigeVerfahren:

FräsenBohrenSenkenReiben

Drehen

Werkstück

Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide

Werkzeug

Werk-zeug

Werk-stück Werkstück

Werkzeug Hobeln, StoßenRäumenSägenFeilen, RaspelnBürstspanenSchaben,Meißeln

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4

geometrisch unbestimmten Schneiden lassen sich dagegen nur statistische Kenngrößen über die geometrische Ausbildung des Schneidenhaufwerks angeben.

Einordnung und Gliederung der spanenden Verfahren sind in der DIN 8589-0 festgelegt. Die Gruppen Spanen mit geometrisch bestimmten und unbestimmten Schneiden werden dort in einer Dezimalklassifikation in Untergruppen entspre-chend den Verfahren (3. Stelle: z. B. Drehen, Fräsen usw.) und weiter

• Nach der zu erzeugenden Fläche (4. Stelle: Plan-, Rund-, Schraub-, Wälz-, Pro-fil-, Form-),

• Nach der Richtung der Vorschubbewegung (5. Stelle: Quer-, Längs-) oder nach Werkzeugmerkmalen und

• Nach der Lage der erzeugten Fläche (6. Stelle: Außen-, Innen-) untergliedert.

Abbildung 1.5 zeigt typische Beispiele von Drehverfahren.

1.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen

Beim Spanen dringt der Schneidkeil in den Werkstoff (Stoff des Werkstücks) ein. Die Relativbewegung zwischen den Wirkpartnern lässt sich durch die Schnittbewe-gung mit der Geschwindigkeit vc und die Vorschubbewegung mit der Geschwindig-keit vf beschreiben (Abb. 1.61). Durch Schnitttiefe und Vorschubgeschwindigkeit wird der Spanungsquerschnitt A bestimmt.

1 Geschwindigkeitspfeile werden unabhängig von der in der Werkzeugmaschine realisierten Rich-tung so angezeichnet, als wenn das Werkstück fest steht und das Werkzeug die Bewegung ausführt. In den meisten Drehprozessen – durchaus nicht in allen – führt das Werkstück die Drehbewegung und das Werkzeug die Vorschubbewegung aus.

Abb. 1.5 Drehverfahren (nach DIN 8589-1)

WST: Werkstück WZ: Werkzeug Vorschubrichtung Drehrichtung

WZ

WST

Runddrehen

WZ

WST

Abstechdrehen

Gewindedrehen

WZ

WST

ProfildrehenWST-Kontur im WZabgebildet

WZ

WST

Formdrehen

WZ

WST

% 2345

N10 x.. z F

z

x

WZ

WST

Plandrehen

Drehen

:

:

1 Einführung in die Zerspantechnik

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5

Vorschub- und Schnittgeschwindigkeitsvektor spannen die Arbeitsebene auf (Abb. 1.7). Die vektorielle Summe aus Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeit ist die Wirkgeschwindigkeit ve. Schnitt- und Wirkgeschwindigkeit schließen den Wirkrichtungswinkel ein, Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeit den Vorschub-richtungswinkel . und sind beim Drehen und Bohren (bei allen Verfahren mit schraubiger oder gerader Wirkbewegung) konstant ( = 90°), beim Fräsen, Kreis-sägen und Schleifen (bei allen Verfahren mit zykloidischer Wirkbewegung) sind sie zeitlich veränderlich.

Abb. 1.6 Bewegungen beim Spanen

Schnittbewegung

Werkstück

vc

vfnw

apVorschubbewegung

Schnitttiefe

Werkzeug

1.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen

Abb. 1.7 Wirkrichtung in der Arbeitsebene beim Runddrehen und Umfangsfräsen

Drehen

Arbeitsebene

Werkzeug

tan =

vc = Schnittgeschwindigkeitve = Wirkgeschwindigkeitvf = Vorschudgeschwindigkeit

vevc

ArbeitsebeneFräsen

Werkzeug

n

vfvf

Werkstück(raumfest)

vcve

Werkstück(raumfest) sin

vc / vf + cos

WirkrichtungswinkelVorschubrichtungswinkel

Page 26: Spanen ||

6

Am Schneidkeil sind in der Keilmessebene (Ebene senkrecht auf Bezugsebe-ne und Schneidenebene) der Freiwinkel ( > 0 unverzichtbar), der Spanwinkel ( > 0, wenn Meißelspitze vorläuft) und der Keilwinkel = 90° – ( + ) mess-bar. In der Schneidenebene wird der Neigungswinkel ( > 0, wenn Meißelspitze vorläuft) gemessen. In der Bezugsebene sind der Einstellwinkel κ und der Ecken-winkel definiert. Die Schneidkeilrundung wird in der Keilmessebene mit dem Kantenradius r und der Eckenradius r in der Bezugsebene gemessen (Abb. 1.8)2.

Bei Verfahren, bei denen der Vorschubrichtungswinkel = 90° konstant ist (Dre-hen, Bohren, Räumen), das sind alle Verfahren mit gerader, schraubiger oder spira-liger Wirkbewegung, ergibt sich das Zeitspanvolumen (oder die Volumenrate) Qw, das ist das je Zeiteinheit abgespante Volumen, also die Volumenrate oder auch das Zeitspanvolumen, zu

(1.1)

bei Verfahren mit zeitlich veränderlichem Vorschubrichtungswinkel (Fräsen, Schleifen, Kreissägen) zu

(1.2)

Es wird überraschen, dass nach Gl. 1.1 für das Drehen die Schnittgeschwindig-keit, für das Fräsen dagegen nach Gl. 1.2 die Vorschubgeschwindigkeit in die Be-rechnung der Volumenrate eingehen. An Hand der Abb. 1.8 sei erklärt, dass das Drehen als ein Sonderfall des Fräsens aufgefasst werden kann und dass dann die Schnittbewegung bei feststehendem Werkzeug tatsächlich eine Vorschubbewegung ist (Abb. 1.9).

Der Spanungsquerschnitt A lässt sich in zwei Größensystemen angeben: in Ko-ordinaten, die aus den Bewegungen zwischen Werkzeug und Werkstück abgeleitet sind, das sind die Eingriffsgrößen ap (Eingriffsbreite) und ae (Arbeitseingriff) in

2 Zur Verdeutlichung wurden die Geschwindigkeitspfeile ausnahmsweise dem Werkstück zuge-ordnet

Qw = ap · f · vc,

Qw = ap · ae · vf .

Abb. 1.8 Drehen als Sonder-fall des Fräsens

Werkstück

vfF

vcF

Werkzeug

Fräsen : vcF >> vfF

Drehen: vcD = vfF

vcF = 0

1 Einführung in die Zerspantechnik

Page 27: Spanen ||

7

der Praxis als Zustellung ap und als Vorschub f = ae bezeichnet oder in den Größen, die für die Kennzeichnung des Spanbildungsvorgangs wesentlich sind; das sind die Spanungsgrößen b und h (Abb. 1.10). Der Vorschub folgt aus der Werkstückdreh-zahl nw

(1.3)

Die Schnittgeschwindigkeit vc wird üblicherweise für den maximalen Kontakt-durchmesser 2rmax angegeben:

(1.4)

f =vf

nw.

vc = 2π · rmax · nw.

Abb. 1.9 Bezeichnung am Drehwerkzeug (nach DIN 6580 und 6581 bzw. ISO 3002-1 und 3002-3)

Spanfläche

Hauptschneide

Hauptfreifläche

Schneidenecke

Vorschub-richtung

Neben-schneide

Neben-freifläche

Vorschub-richtung

κ Z

A

Bvf ε

Keilmess-ebene

Freifläche

Schneiden-ebene

SpanflächevC

ßα

γ

+

Schnitt A - B.

Bezugs-ebene

Ansicht Z

vC

Bezugsebene

1.3 Bewegungen, Schneidkeil und Eingriffsgrößen

Abb. 1.10 Drehen: Schnitt- und Spanungsgrößen

Werkstück

A = ap f = b · hh = f · sinκb = ap/sinκ

apb

vf

bf

Werkzeug

f

A = Spanungsquerschnittap = Schnittiefef = Vorschubb = Spanungsbreiteh = Spanungsdickeκ = Einstellwinkel

rmax

0/09020 IFW

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8

1.4 Zerspanprozess als System

Im systemtechnischen Sinne lässt sich der Zerspanprozess als „black box“ darstel-len, in den Eingangsoperanden hinein- und aus dem Ausgangsoperanden heraus-führen (Abb. 1.11). Die Eingangsoperanden lassen sich nach System- und Stell-größenunterscheiden. Systemgrößen beschreiben die Bedingungen des Prozesses, die unveränderlich oder jedenfalls über längere Zeit invariant sind. Sie sind von der Maschine (statische und dynamische Steifigkeit, Temperaturgang), dem Werk-stück (Festigkeit, Vorform, chemische Zusammensetzung, Gefügezustand) und dem Werkzeug (Stoff, Form, mechanische Eigenschaften) abhängig.

Stellgrößen werden in der Regel mit jedem Werkstück oder jedem Auftrag ma-nuell oder aus einem Programmspeicher abgerufen und verändert. Dazu gehören die Drehzahlen oder Schnittgeschwindigkeiten, die Vorschübe oder Vorschubge-schwindigkeiten und der Arbeitseingriff oder die Zustellung des Werkzeugs gegen-über dem Werkstück. Weiterhin können zu den einzustellenden Eigenschaften oder Größen die Zufuhr von Kühlschmierstoff oder auch die Spannkraft, mit der ein Werkstück gehalten wird, gehören.

Die Ausgangsoperanden bestehen aus den Prozess- und Wirkgrößen. Prozess-größen wie Zerspankräfte, Leistungen, Temperaturen in der Spanbildungszone, Schwingungen, die durch den Prozess verursacht sind, und akustische Emissio-nen, sind nur während des Prozesses wahrnehmbar. Sie können zur Überwachung oder Diagnose des Prozesses genutzt werden [TÖN01]. Wirkgrößen lassen sich am Werkstück (Maß-, Form- und Lageabweichungen, Mikrogeometrie, Randzonenbe-einflussung), am Werkzeug (Verschleiß), an der Maschine (Erwärmung, Verschleiß) und an den Hilfsstoffen (Erwärmung, Verunreinigung und chemische Veränderun-gen) ablesen.

Abb. 1.11 Zerspanprozess als System

Eingangsoperanden Ausgangsoperanden

Prozess

Systemgrößen Stellgrößen

MaschineWerkzeugSpannsystemWerkstoffRohteilform

Schnitt-geschwindigkeit

Vorschub-geschwindigkeit

ArbeitseingriffKühlschmierstoff

Prozessgrößen Wirkgrößen

Kräfte, LeistungenTemperaturenSchwingungenAkustischeEmissionen

Maße, Formendes Werkstücks

RauheitenRandzonen-beeinflussung

WerkzeugverschleißMaschinen-veränderungen

1 Einführung in die Zerspantechnik

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9

Die Eingangsoperanden werden durch den Prozess in Ausgangsoperanden über-führt. Der Vergleich von Eingangs- und Ausgangsoperanden kennzeichnet das Übertragungsverhalten des Prozesses. Zur Bewertung eines Prozesses sind vier Kriterien eingeführt:

• Zerspankraft,• Verschleiß des Werkzeugs,• Oberflächenausbildung des Werkstücks,• Spanform.

Dabei wird davon ausgegangen, dass die Eingangsgrößen vorgegeben sind, dass also die Haupttechnologie und die Mengenleistung (z. B. die Volumenrate) über das Verfahren, die Maschine und die Steuerung ihrer Bewegungen bestimmt sind [TÖN01a].

Die Zerspankräfte sind von Bedeutung für

• Die Auslegung der Maschinenantriebe,• Die Gestellauslegung bzw. die Gestellverformungen,• Den Energie- und Leistungsbedarf,• Die elastischen Verformungen von Werkstück und Werkzeug,• Die notwendigen Werkstück- und Werkzeugspannungen.

Der Verschleiß des Werkzeugs bestimmt wesentlich die Wirtschaftlichkeit des Pro-zesses. Die Abweichung der Oberflächenausbildung von der im Prozess angestreb-ten Idealform (Maß, Form, Lage, Rauheit, physikalische Randzoneneigenschaft) kennzeichnet die Werkstückqualität. Die Spanform ist wichtig für die Werkzeug-konstruktion (Spanlücken), für die Gestaltung des Arbeitsraumes der Maschine und für einen ungestörten Prozessablauf (Beitrag zur Prozesssicherheit).

1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren

Das Bohren ist ein spanendes Verfahren mit drehender Schnittbewegung. Abbildung 1.12 zeigt gebräuchliche Bohrverfahren. Die Werkzeuge haben meist eine komplexe Gestalt. Grundsätzlich weist das Bohren einige Merkmale auf, die bei seiner Anwendung kritisch sein können. Diese sind:

• Die Schnittgeschwindigkeit ist über dem Radius veränderlich, sie ist nämlich dem Radius eines Schneidenpunktes proportional. Sie ist auf der Drehachse also null. Hier kann kein Schneiden auftreten. Das hat Folgen für den Kraft- und Mo-mentenbedarf.

• Aus dem Bohrloch müssen Späne transportiert werden. Der Transportweg nimmt mit der Bohrlochtiefe zu, womit Probleme in der Späneabfuhr auftreten können (Entspänen).

• Zufuhr von flüssigen Kühlschmierstoffen wird mit zunehmender Bohrtiefe kriti-scher, was besondere Maßnahmen erfordern kann (Innenkühlschmierung).

• Bohrwerkzeuge sind maßgebunden. Der Bordurchmesser lässt sich also nicht über die Steuerung verändern.

1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren

Page 30: Spanen ||

10

Am Beispiel des Bohrens seien technologische Kenngrößen als bestimmende Ein-stellgrößen erläutert: Diese sind die Schnittgeschwindigkeit vc und der Vorschub je Schneide fz. Sie sind jede durch eine charakteristische Prozessgrenze determiniert. Die Schnittgeschwindigkeit wird durch die thermische Belastung und damit das Verschleißverhalten des Werkzeugs, der Vorschub je Schneide durch die mechani-sche Beanspruchung begrenzt. Aus diesen Kenngrößen folgen dann die abgeleiteten Einstellgrößen wie die Drehzahl nw mit dem Bohrerradius r

(1.5)

und die Vorschubgeschwindigkeit vf mit der Schneidenzahl des Bohrers

(1.6)

Zum Einbohren oder Bohren ins Volle wird meist ein Spiralbohrer (Wendelbohrer) mit z = 2 verwendet. Das Zeitspanvolumen beim Vollbohren ist

(1.7)

worin der Vorschub f des Bohrers ist

(1.8)

Der Spiralbohrer besteht aus Schaft (zylindrisch oder kegelig) und Schneidteil. Abbildung 1.13 gibt Bezeichnungen des Bohrers, die Eingriffsgrößen und die Win-kel am Schneidkeil wieder. Über den Schaft wird der Bohrer eingespannt und ge-führt. Der Schaft dient insbesondere der Drehmomenteinleitung. Der Schneidkeil

nw = vc/(2 · π · r)

vf = z · fz · nw

Qw =1

2· r · f · vc

f = z · fz

Abb. 1.12 Bohrverfahren (nach DIN 8589-2)

Bohren

Kernbohren Gewindebohren Reiben

EinbohrenBohren ins Volle Aufbohren Senken Zentrierbohren

Zentrier-bohrer

Profil-senker

Spiral-bohrer

Spiral-senkerDrei-schneider

Kern-bohrer

Gewinde-bohrer

Maschinen-reibahle

1 Einführung in die Zerspantechnik

Page 31: Spanen ||

11

weist eine komplexe Geometrie auf, über die ein Bohrer an die jeweilige Bearbei-tungsaufgabe angepasst werden kann. Das Profil des Spiralbohrers soll einerseits große Spannuten aufweisen, um dem Spantransport genügend Raum zu lassen. Andererseits muss der Bohrer ausreichend torsionssteif (polares Trägheitsmoment) und torsionsfest (Widerstandsmoment) sein. Der Drallwinkel δ der Spannuten (Stei-gungswinkel der Nuten) beeinflusst den Spantransport und bestimmt gleichzeitig den Spanwinkel des Schneidteils.

Der Spanwinkel am Bohrer ist für das Verformungsgeschehen und für die Kräfte am Schneidkeil wesentlich. Es muss zwischen dem Spanwinkel an der Querschnei-de q, der ohne weiteres aus geometrischen Gründen stark negativ ist, und dem Spanwinkel an der Hauptschneide h unterschieden werden (Abb. 1.14).

In der Nähe des Bohrerzentrums ist q = −/2. Im weiteren Verlauf der Quer-schneide nimmt er geringfügig zu, bleibt aber im Bereich von

(1.9)

Der Spanwinkel an der Hauptschneide entspricht außen (r = ra) dem Drallwinkel korrigiert um den Spitzenwinkel .

(1.10)

Nach Innen verändert er sich mit dem Radius (Abb. 1.10) zu

(1.11)

−σ

2≤ γq ≤ −

(1 −

rq

ra

)·σ

2.

γh(r = ra) = arctantan δ

sin σ/2.

γh = arctan(

r

ra

tan δ

sin σ/2

).

Abb. 1.13 Bezeichnungen und Wirkungsweise des Spiralbohrers (nach DIN8589-2)

Querschneide

Spannut

Fase derNebenfreifläche

Fasenbreite

Schneidenecke

HauptfreiflächeWerkzeugachse

Hauptschneide

Nebenschneide

Stegbreite

Nebenfreifläche

Fase der Neben-freifläche

Kern

Spanfläche

σ

Werkzeug

n

2raWerkstück

vc

ve vf

η ϕ

δ

326/10187c IFW 8894

1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren

Page 32: Spanen ||

12

Ein Schliff durch die Spanbildungszone vor den Bohrerschneiden zeigt in Abb. 1.15 den stark veränderlichen Spanwinkel entlang dem Bohrerradius.

Der Anschliff eines Spiralbohrers ist für die Schneidfähigkeit von großer Be-deutung, denn durch ihn wird der Freiwinkel bestimmt. Dabei ist zu beachten, dass sich das Verhältnis von Vorschub- zu Schnittgeschwindigkeit und damit der

Abb. 1.14 Spanwinkel am Bohrer

ra

0h

Steigung der Bohrernut

Vereinfachung: τ = 0

rq

rqr Bezugs-ebene Keilmess-

ebene

Schneiden-ebene

90°2

γq

γh

γ'h

γ'h

γ'h

γ'h

τ

2π ra

2π r

2π rq

σ

σ

Abb. 1.15 Spanbildung beim Bohren ins Volle

0,051 mm Radius 0,076 mm Radius

Quer-schneide

0,025 mm Radius 6,1 mm Radius

Haupt-schneide

0,13 mm Radius 3,6 mm Radius

1 Einführung in die Zerspantechnik

Page 33: Spanen ||

13

Wirkrichtungswinkel entlang der Schneiden mit dem Radius des Bohrers ändert (s. Abb. 1.14).

Wie in Abschn. 6.1 abgeleitet wird, muss der Freiwinkel eines Schneidkeils mit diesem Geschwindigkeitsverhältnis allein aus kinematischen Gründen steigen, um ein Drücken zu verhindern. Wegen der um den Einstellwinkel κ = –/2 geneigten Schneide gilt ohne Berücksichtigung von elastischen Abplattungen ein Mindest-freiwinkel min

(1.12)

wobei angenommen wurde, dass die Schneide nicht voreilt ( = 0).Umgekehrt lässt sich unter der Vorgabe eines minimalen Freiwinkels am Radius

des Kerns rq ein bezogener Grenzvorschub fgr/2ra ermitteln

(1.13)

Mit üblichen Werten ( = 118°, rq/ra = 0,2) und unter Annahme von min = 2° ergibt sich fgr/2ra = 0,026. Mit Rücksicht auf Abplattung und Verschleiß sollte höchstens die Hälfte dieses Wertes genutzt werden.

Der Anschliff eines Bohrers wird unter verschiedenen Kriterien ausgeführt:

• Der Bohrer soll ausreichende Zentriereigenschaften besitzen.• Es muss ein ausreichender Freiwinkel über der gesamten Schneidenlänge er-

reicht werden.• Der Schneidkeil soll andererseits möglichst stabil sein.• Die Querschneide soll wegen der ungünstigen Spanbildungsvorgänge möglichst

kurz sein.

Am weitesten verbreitet bei Spiralbohrern aus Schnellarbeitsstahl ist der Kegel-mantelschliff. Dazu wird der Bohrer gegenüber einer Schleiffläche um eine gegen seine Mittelachse gekippte Achse (Kippwinkel z. B. 20°) geschwenkt. Die Frei-fläche ist damit Teil eines Kegelmantels. Der Freiwinkel nimmt gegen die Bohrer-achse zu. Der Kegelmantelschliff lässt sich einfach kinematisch auf Spitzenschleif-maschinen erzeugen.

Daneben gibt es eine Reihe von Sonderanschliffen, die teilweise genormt (DIN 1412), teilweise herstellerspezifisch sind. Je nach Anwendungsfall wird da-bei eines der vorn angegebenen Kriterien besonders betont. Abbildung 1.16 zeigt Sonderanschliffe.

In Form A wird die Querschneidenlänge durch Ausspitzen etwa halbiert, wobei die Form der Ausspitzung dem Nutenprofil angepasst sein muss. Mit der verkürzten Querschneide lassen sich die Vorschubkräfte wesentlich herabsetzen, das Drehmo-ment wird dagegen kaum beeinflusst.

Nach Form B wird zusätzlich eine Spanwinkelkorrektur an den Hauptschnei-den vorgenommen. Damit ist die Bindung des Spanwinkels an den Drallwinkel der

tan αmin =vf

vc

· sinσ

2=

f · sin σ2

2π · r,

fgr

2ra=

π · tan αmin

sin σ2

·rq

ra.

1.5 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Bohren

Page 34: Spanen ||

14

Nut gelöst. Derartige Korrekturen können die Stabilität der Schneiden erhöhen und Spanformen günstig beeinflussen.

Der Kreuzanschliff nach Form C kann als besondere Art der Ausspitzung aufge-fasst werden. Die Querschneidenlänge wird auf etwa 6 % des Außenradius verrin-gert. Damit lassen sich an der Querschneide sogar positive Spanwinkel erreichen.

Beim Aufbohren und Senken wird eine Vorbohrung erweitert. Da keine Mitte mehr vorhanden ist, besteht die Schwierigkeit, das Werkzeug koaxial zu führen. Die Werkzeuge sind daher meist drei- oder mehrschneidig. Der Spänetransport ist jedoch einfacher als beim Bohren ins Volle. Daher werden Bohrungen mit großem Durchmesser häufig mit einem kleineren Spiralbohrer vorgebohrt und dann in einer oder mehr Stufen auf den Nenndurchmesser erweitert. Diese Vorgehensweise ist auch dann angesagt, wenn die zulässige Vorschubkraft und/oder das zulässige Dreh-moment einer Maschine nicht für das Bohren in einem Zug ausreichen. Das Zeit-spanvolumen beim Aufbohren ist mit dem Innenradius ri

(1.14)

Zentrierbohren ist erforderlich, wenn in ungünstige (raue, unebene oder geneigte Flächen) Oberflächen Bohrungen eingebracht werden sollen. Bei sehr steifer Füh-rung des Bohrers (kurze Einspannung des Bohrers, steife Spindel) oder bei Anwen-dung von Bohrbuchsen kann auf das Zentrieren verzichtet werden.

Kernbohren wird für große Bohrdurchmesser eingesetzt; denn dabei wird nicht das gesamte Material der Bohrung sondern nur ein Ring zerspant, was geringeres Drehmoment und geringere Leistung erfordert. Kernbohren setzt Durchgangsboh-rungen voraus.

Qw =1

2·(

r −ri

2

r

)· f · vc

Abb. 1.16 Anschliffformen gebräuchlicher Spitzenanschliffe (nach DIN 1412)

Form A Form B

Form C Form D

Ausgespitzte Querschneidemit korrigierte Hauptschneide

Ausgespitzte Querschneidemit facettierten Schneidenecken

Ausgespitzte Querschneide

Kreuzanschliff

1 Einführung in die Zerspantechnik

Page 35: Spanen ||

15

Gewindebohren erzeugt Innengewinde. Gewindebohrer müssen mit dem der Steigung entsprechenden Vorschub gefahren werden. Das kann bei maschineller Fertigung durch exakte Führung in einer NC-Maschine oder nach dem Anschneiden durch ein Ausgleichsfutter geschehen. Beim Gewindebohren muss die Drehrich-tung zum Herausfahren umgekehrt werden. Auf Mehrspindel-Stangendrehautoma-ten müssen dazu besondere Vorrichtungen (Abkoppeln der Spindel und Drehrich-tungsumkehr oder Überholspindel auf der Werkzeugseite) vorhanden sein. Große Innengewinde können durch Profildrehen in mehreren Durchgängen, durch das Strehlen, erzeugt werden. Dann erübrigt sich eine Drehrichtungsumkehr zum Her-ausfahren. Auch mit steuerbaren kollabierenden Gewindebohrern (collapsible tap) kann so gefahren werden.

Reiben ist ein Feinbearbeitungsverfahren, das dem Aufbohren mit mehrschnei-digen Werkzeugen bei geringer Schnitttiefe entspricht. Es dient dazu, maß- und formgenaue Bohrungen herzustellen. Die Lagegenauigkeit kann nicht beeinflusst werden. Toleranzbreiten von IT 7 – bei höherem Aufwand auch IT 6 – sind erreich-bar. Rautiefen liegen im Bereich von Rz = 5 µm. Bei konventionellen Reibahlen aus Schnellarbeitsstahl wird mit geringen Schnittgeschwindigkeiten von 10 bis 20 m/min und geringen Vorschüben von 0,08 bis 1,25 mm gearbeitet. In getaktet automatisier-ten Anlagen ist diese Art des Reibens in der Regel stark Taktzeit bestimmend. Daher wurden alternative Verfahren und Werkzeuge entwickelt.

1.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen

Beim Fräsen wird die notwendige Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück durch eine kreisförmige Schnittbewegung des Werkzeugs und eine senk-recht oder schräg zur Drehachse des Werkzeugs verlaufende Vorschubbewegung erzielt. Die Vorschubbewegung kann vom Werkzeug oder Werkstück oder kombi-niert von beiden ausgeführt werden. Die Schneide ist nicht ständig im Eingriff. Vor-schub- und Wirkrichtungswinkel sind während des Eingriffs zeitlich veränderlich (s. Abschn. 1.3). Abbildung 1.17 zeigt die wichtigsten Fräsverfahren. Diese sind nach der Herstellung verschiedener Formen geordnet, die durch die Vorschubbe-wegung bestimmt sind. Beim Stirnfräsen steht die Drehachse des Werkzeugs senk-recht aus der erzeugten Fläche, beim Umfangsfräsen liegt sie parallel dazu. Das Umfangs-Stirnfräsen ist die Kombination beider Verfahren, bei der zwei senkrecht zueinander stehende Flächen erzeugt werden. Das Schraubfräsen und das Wälzfrä-sen erzeugen Funktionsflächen, die schraubig oder Evolventen förmig ausgebildet sind. Das Profilfräsen überträgt die Werkzeugform auf das Werkstück; es ist also form- und maßgebunden. Die breiteste Formenvielfalt lässt sich mit dem Form-fräsen erreichen, die allerdings abhängig ist von den in einer Fräsmaschine verfüg-baren gesteuerten Vorschubachsen. Eine Fräsmaschine hat meist drei geradlinige Vorschubachsen, die bei üblicher numerischer Steuerung simultan und abhängig von einander gesteuert werden können (Bahnsteuerung). Damit lassen sich dann beliebige räumliche Bahnen mit dem Werkzeug fahren. In speziellen Maschinen

1.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen

Page 36: Spanen ||

16

werden den drei geradlinigen Vorschubachsen noch zwei Drehachsen zugefügt (Fünf-Achsen-Fräsen) womit dann in jedem Punkt der Bahn der Drehvektor der Fräserachse eine beliebige Richtung annehmen kann.

Wenn die Produktivität eines Fräsprozesses beim Schruppen betrachtet wird, wenn es also darauf ankommt möglichst rasch größere Volumina vom Werkstück zu trennen, zählt die Volumenrate (Zeitspanvolumen Qw):

(1.15)

Wenn eine möglichst große Fläche beim Schlichten bearbeitet werden soll, wird die Produktivität durch die Flächenrate (Zeitspanfläche) Aw bestimmt (gilt für das Stirnfräsen, für das Umfangsfräsen wird in Formel (1.16) ae gegen ap vertauscht)

(1.16)

Prinzip bedingt ist jede Schneide eines Fräsers maximal 180° oder weniger im Ein-griff, d.h. der Schnitt ist unterbrochen. Es entstehen dabei kommaförmige Späne. Die Eingriffsgrößen sind vom Eingriffswinkel abhängig (Abb. 1.18).

Häufig wird die Mittenspandicke hm zur Beschreibung des Fräsprozesses ver-wendet. Sie ist die über dem Eingriffsbogen gemittelte Spanungsdicke.

(1.17)

Qw = ap · ae · vf

Aw = ae · vf

hm =1

ϕc·

ϕA∫

ϕE

h(ϕ)dϕ =1

ϕc· fz sin κ (cos ϕE − cos ϕA)

Abb. 1.17 Fräsverfahren (nach DIN 8589-3)

Schraubfräsen Wälzfräsen

Frä

sen

Planfräsen

Stirn - Umfangs - Umfangs-Stirn-

WZ WZ WZ

WST WST WST

WST

WZ

Profilfräsen Formfräsen

WST

WZx z% 1234

N 5 X...Z...F...

.

...

.

.

WST WerkstückWZ Werkzeug

VorschubrichtungWST / WZDrehrichtungWST / WZ

WST

WZ

WST

WZ

1 Einführung in die Zerspantechnik

Page 37: Spanen ||

17

wobei gilt

(1.18)

Nach der Anschnittart ist zwischen dem Gleichlauf- (Bergab-Fräsen, Downhill) und Gegenlauffräsen (Bergauf-Fräsen, Uphill) zu unterscheiden (Abb. 1.19 und 1.20).

Beim Gleichlauffräsen greift die Schneide am dicken Ende des kommaförmigen Spans ein und baut die Zerspankraft stoßartig auf, die Maschine muss daher eine aus-reichende dynamische Steifigkeit aufweisen (ausreichend steif gegen Schwingungen sein). Beim Gegenlauffräsen beginnt die Spanbildung am dünnen Ende, am Anfang kommt es daher zum Drücken zwischen Fräser und Werkstück und damit zu ungüns-tigen Spanbildungsverhältnissen, da anfangs die Mindestspanungsdicke unterschrit-ten wird und kein Spanen stattfindet, sondern nur hohe Normal- und Reibkräfte ent-stehen, die stärkeren Verschleiß als beim Gleichlauffräsen bewirken. Wenn die Ma-schine und das Werkstück es zulassen, sollte Gleichlauffräsen bevorzugt werden. Die Maschine darf insbesondere kein Spiel im Vorschubantrieb aufweisen, was allerdings bei modernen NC-Maschinen ohnehin nicht der Fall ist. Das Gleichlauffräsen weist eine Kraftkomponente normal zur erzeugten Oberfläche auf, das Werkstück wird in der Regel auf seine Unterlage gedrückt. Das macht das Gleichlauffräsen auch zur Bearbeitung langer schlanker Werkstücke interessant, die beim Gegenlauffräsen eher von der Unterlage abgezogen würden. Beim Stirnfräsen kommt es je nach Lage der Drehachse zum Werkstück zum Gegen- und Gleichlauffräsen, wie Abb. 1.18 zeigt.

Nach Gl. 1.17 wird die gemittelte Spanungsdicke als Mittelwert über dem Ein-griffsbogen errechnet. In der Literatur findet man als Vereinfachung den Wert der Spanungsdicke über dem mittleren Eingriffsbogen. Da (1.10) den Bogen nichtli-near mit der Spanungsdicke verknüpft, sind die Definitionen nicht identisch. Beim Gleich- oder Gegenlauffräsen ist der Unterschied jedoch gering.

(cos ϕA − cos ϕE) = 2ae/D

Abb. 1.18 Eingriffsverhältnisse beim Stirnfräsen

ae

SchneideAustrittsebene

fz

D

Z

x ϕϕc

ϕE

y

i. Bahnkurve fc

ap b

Schnitt A - A

Werkstück

Ausschnitt Z

Werkzeug-schneide

fz

hi. + 1 Bahnkurveϕ = 0°

ϕ ϕ

180° – ϕ

κ

ϕA

nA fc

A

fz

z : Schneidenzahl

vf

n · zfz =

fc = fz · sinϕh = fz · sinϕ · sinκ

1.6 Verfahrensarten und Eingriffsgrößen beim Fräsen

Page 38: Spanen ||

18

Fragen

1. Geben Sie eine Gliederung der Gesamtheit der Fertigungsverfahren und der spanenden Verfahren an. Welche Ordnungsgesichtspunkte liegen den Systema-tiken zugrunde?

2. Beurteilen Sie die Fertigungsverfahren Gießen, Schmieden und Spanen unter verschiedenen Kriterien.

3. Geben Sie Maßzahlen für die Leistungsfähigkeit spanender Verfahren an, beim Schruppen und beim Schlichten.

Abb. 1.19 Gleichlauf- (a) und Gegenlauffräsen (b)

vcve

n

vf

1

3

Vorschubrichtungswinkel 90 < 180

2

a

vevc

vf

2

n

1

3

Vorschubrichtungswinkel 0 < 90b

Abb. 1.20 Spanungsdicke beim Fräsen h

hm

ϕE ϕA

Gegenlauf

ϕAϕC ϕE

ϕAϕE

Stirnfräsen

Gleichlauf

ϕ

1 Einführung in die Zerspantechnik

Page 39: Spanen ||

19

4. Wie können Sie die unterschiedlichen Faktoren zur Berechnung der Volumen-raten beim Drehen und beim Fräsen erklären?

5. Nennen Sie Verfahrensgrenzen für Schlichtverfahren. 6. Nennen Sie Verfahrensgrenzen für Schruppverfahren. 7. Wie unterscheiden sich Wirk- und Vorschubrichtungswinkel beim Drehen und

Bohren einerseits und beim Fräsen andererseits? 8. Wie lassen sich die Volumenraten für verschiedene Bohrverfahren ermitteln? 9. Wie ist die Bezugsebene zur Angabe der Winkel am Drehmeißel definiert; wie

liegen die Schneiden- und die Keilmessebene?10. Kennzeichnen Sie den Zerspanprozess im systemtechnischen Sinne.11. Welches sind die Eingangsgrößen (Einflussgrößen) eines Zerspanprozesses?12. Welche Wirkgrößen kann man angeben? Welches sind die Kriterien zur Beurtei-

lung eines Zerspanprozesses?13. Nennen Sie Prozessgrößen eines Zerspanprozesses.14. Geben Sie technologische Kenngrößen (weitgehend invariante Einstellgrößen)

für das Bohren an.15. Vergleichen Sie wichtige Eingangsgrößen des Drehprozesses mit denen des

Bohrens, Räumens und Fräsens.16. Ermitteln Sie die gemittelte Spanungsdicke beim Umfangs-Planfräsen und

beim Gleichlauffräsen.

Literatur

von Produkten II. Vorlesungsmanuskript, Leibniz Univ. Hannover 2010 [DIN1412] N.N.: DIN 1412 Spiralbohrer aus HSS. Hrsg. Deutsches Institut für Normung, Beuth

Verlag GmbH, Berlin, 2001[DIN6580] N.N.: DIN6580 Begriffe der Zerspantechnik. Hrsg. Deutsches Institut für Normung,

Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1985[DIN6581] N.N.: DIN 6581 Begriffe der Zerspantechnik. Hrsg. Deutsches Institut für Normung,

Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1985[DIN8589-0] N.N.: DIN 8589 Fertigungsverfahren Spanen; Einordnung, Unterteilung, Begriffe.

Hrsg. Deutsches Institut für Normung, Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2003[ISO3002-1] N.N.: ISO 3002-1 Basic quantities in cutting and grinding – Part 1: Geometry of the

active part of cutting tools. International Standard Organisation, 1992[ISO3002-3]N N.N.: ISO 3002-3 Basic quantities in cutting and grinding – Part 3: Geometric and

kinematic quantities in cutting. International Standard Organisation, 1984[TÖN01] Tönshoff, H.K.; Inasaki, I.: Sensors in Manufacturing. Sensors Applications, Volume 1.

Wiley-VCH, 2001[TÖN01a] Tönshoff, H.K.: Übersicht über die Fertigungsverfahren. Dubbel, Kap. S 1, 20.Auflage,

2001[TÖN10] Tönshoff, H.K.: Massivumformteile wirtschaftlich spa nen. Infostelle Industrieverband

Massivumformung e.V., Hagen, 2010

Literatur

Page 40: Spanen ||

21

Beim Spanen dringt ein Schneidkeil in den Werkstoff ein, wodurch dieser plas-tisch verformt wird und als Span über die Spanfläche des Schneidkeils abgleitet. Dieser Vorgang wird als Spanbildung bezeichnet. Die Spanbildung lässt sich in der Keilmessebene darstellen, das ist nach Abb. 1.9 die Ebene senkrecht zur Schneide, in der wesentliche Teile des Stoffflusses stattfinden (Abb. 2.1). Dabei kann von ebener Formänderung ausgegangen werden. Der ebene Formänderungszustand ist lediglich an den Rändern des Spanungsquerschnittes, an der freien Oberfläche und vor der Schneidenecke, gestört, weil an diesen Stellen durch die Bindung zum un-verformten Material bzw. durch die freie Oberfläche Stoff quer zur Keilmessebene fließt.

Bei der Spanbildung kommt es je nach Verformungsverhalten des Werkstoffs zu kontinuierlichem oder diskontinuierlichem Abfließen des getrennten Materials, d. h. zu unterschiedlichen Spanbildungsarten.

2.1 Spanbildungsarten

Je nach Werkstoff und Zerspanungsbedingungen lassen sich folgende Spanbil-dungsarten unterscheiden (Abb. 2.2):

• Fließspanbildung• Lamellenspanbildung• Scherspanbildung• Reißspanbildung

Fließspanbildung ist die kontinuierliche Spanentstehung. Der Span gleitet mit gleichmäßiger Geschwindigkeit in stationärem Fluss über die Spanfläche ab. Eine Begünstigung der Fließspanbildung erfolgt durch gleichmäßiges, feinkörniges Ge-füge und hohe Duktilität des Werkstoffs, durch hohe Schnittgeschwindigkeit und geringe Reibung auf der Spanfläche, durch positive Spanwinkel und geringe Spa-nungsdicke (Abb. 2.3).

Lamellenspanbildung ist ein gleichmäßiger, periodischer Spanbildungsvor-gang, welcher der Fließspanbildung ähnelt. Allerdings bilden sich Formänderungs-

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 2Spanbildung

Page 41: Spanen ||

22

schwankungen, die im Span mehr oder weniger deutliche Lokalisierungen oder sogar konzentrierte Scherbänder sichtbar werden lassen. Der Span weist durch ther-mische oder elasto-mechanische Vorgänge gebildete Lamellen mit hoher Bildungs-frequenz im kHz- Bereich auf. Solche Lamellenspäne sind bei gut verformbaren Werkstoffen höherer Festigkeit zu beobachten, insbesondere bei der Zerspanung mit hohen Schnittgeschwindigkeiten (s. a. Hochgeschwindigkeitszerspanung).

Abb. 2.1 Spanungsquer-schnitt und Schneidkeil Schnitt in der

Keilmessebene

Span

Werkzeug

SchnittflächeWerkstück

Draufsicht aufdie Spanfläche

Keilmessebene

Werkzeug

Spanungs-querschnitt

Oberfläche desWerkstücks

h

h

Abb. 2.2 Spanbildungsarten

Fließspanbildung Lamellenspanbildung

Werkzeug

Werkstück

WerkzeugWerkzeug

Werkzeug

WerkstückWerkstück

Werkstück

ReißspanbildungScherspanbildung

2 Spanbildung

Page 42: Spanen ||

23

Scherspanbildung ist die diskontinuierliche Entstehung eines noch zusammen-hängenden Spanes, der jedoch deutliche Unterschiede im Verformungsgrad entlang der Fließrichtung erkennen lässt. Zur Scherspanbildung kommt es vorzugsweise bei negativen Spanwinkeln, geringeren Schnittgeschwindigkeiten und größeren Spa-nungsdicken.

Reißspanbildung tritt auf, wenn der Werkstoff wenig plastisch verformbar ist oder aufgrund von starken Inhomogenitäten (z. B. Gusseisen mit Lamellengraphit) vorgegebene Gleitsysteme bildet. Teile des Werkstoffes werden weitgehend unver-formt aus dem Stoffverbund herausgerissen. Die Oberfläche des Werkstücks wird dann weniger durch die Spuren des Werkzeugs als durch die Reißvorgänge während der Spanbildung bestimmt.

Bei einer Fließspanbildung kann es zu Aufbauschneiden kommen (Abb. 2.4). Dabei lagern sich Werkstoffpartikel auf der Spanfläche und an der Schneidkante ab. Diese Partikel wurden stark verformt und kaltverfestigt. Sie sind weit härter als der Grundwerkstoff. Voraussetzungen für eine Aufbauschneidenbildung sind daher

Abb. 2.3 REM-Aufnahmen von Spanbildungsarten

2.1 Spanbildungsarten

Abb. 2.4 Aufbauschneidenbildung

Page 43: Spanen ||

24

• Die Fähigkeit zur Kaltverfestigung des Werkstoffs,• Eine stabile, weitgehend stationäre Spanbildung,• Eine Stauzone im Stofffluss vor der Schneidkante sowie• Ausreichend geringe Temperaturen in der Spanbildungszone, die keine Rekris-

tallisation zulassen.

Aufbauschneiden verändern die Schneidkeilgeometrie. Sie erleichtern in der Re-gel die Spanbildung (geringere Kräfte). Beim Abwandern von Aufbauschneiden kann es zum Mitreißen von Werkzeugpartikeln (adhäsiver Verschleiß) kommen. Harte, kaltverfestigte Teile der Aufbauschneide können sich in die neu entstehen-de Werkstückoberfläche einlagern. Aufbauschneidenbildung ist daher in der Regel unerwünscht. Sie tritt allerdings bei höheren Schnittgeschwindigkeiten und damit höheren Temperaturen in der Spanbildungszone nicht mehr auf, da es wegen der Umformung oberhalb der Rekristallisationstemperatur nicht zur Kaltverfestigung kommen kann.

Bei kontinuierlicher Spanbildung, d.h. bei Fließspanbildung, lässt sich der Pro-zess modellhaft durch fünf Verformungszonen beschreiben (Abb. 2.5). Die haupt-sächliche plastische Verformung findet in der primären Scherzone durch Schub-verformung (Scherung) statt. In den sekundären Scherzonen vor der Span- und der Freifläche wird der Werkstoff zusätzlich unter dem Einfluss hoher Reibung verformt. Vor der Schneidkante bildet sich eine Stauzone (Zone hohen allseitigen Druckes), die gleichzeitig die Zone ist, in der der Werkstoff getrennt wird. Schließ-lich lässt sich noch eine Verformungsvorlaufzone beobachten, in der geringe, aber bleibende Verformungen auftreten. Diese Zone ist bestimmend für die Eindring-

Abb. 2.5 Zonen der Spanentstehung [WAR74]

Scherebene

SpanVsp

h'Werkzeug

Schneidkeilrβ

hvc

Werkstück

1 : primäre Scherzone2 : sekundäre Scherzone an der Spanfläche3 : sekundäre Scherzone an der Stau- u. Trennzone4 : sekundäre Scherzone an der Freifläche5 : Verformungsvorlaufzone

γ : Spanwinkelα : Freiwinkelφ : Scherwinkeltv : Verformungstiefe

α

γ

φ

tv

1

4

2

3

5

2 Spanbildung

Page 44: Spanen ||

25

tiefe plastischer Verformungen in das Werkstück, also für die Randzonenbeein-flussung.

2.2 Spanwurzeluntersuchungen

Zur Analyse der Spanbildung und des Werkstoffverhaltens in der Wirkzone wurden Methoden entwickelt, die das Verformungsgeschehen vor dem Schneidkeil sichtbar machen können. Diese sind im Wesentlichen die

• Die Schnittunterbrechung• Die Mikrokinematographie und• Die Simulation mit finiten Elementen (FEM).

Diese Untersuchungen sollen Informationen über die Spanbildungsart, die plasti-schen Verformungen in der Spanbildungszone und die Lage der Scherebene liefern. Die Spanbildungsuntersuchungen bilden damit die Basis für die anschließenden Berechnungen von kinematischen, mechanischen und thermischen Verhältnissen in der Spanbildungszone.

Das Prinzip der Schnittunterbrechung beruht auf einer abrupten Trennung von Werkzeug und Werkstück. Hierbei wird der Verformungszustand „eingefroren" und kann nach metallographischer Präparation mittels Mikroskop analysiert wer-den. Trotz schneller Unterbrechung des Vorganges muss von gegebener Formände-rungsgeschwindigkeit bis zum starren Zustand abgebremst werden. Das bedeutet, dass tatsächlich nicht der Zerspanungsvorgang bei normaler, stationärer Schnitt-geschwindigkeit eingefroren wird, sondern ein in der instationären Phase des Ab-bremsens sich ergebender Zustand. Dennoch ist die Methode der Schnittunterbre-chung anerkannt, sollte aber bei stark zeitabhängigen Vorgängen, wie bei thermisch bestimmten Abläufen oder raschen, instationären Verformungen kritisch betrachtet werden.

Die Schnittgeschwindigkeit, bei der die Spanwurzel entnommen werden soll, ist für die Auslegung von Schnittunterbrechungsvorrichtungen ausschlaggebend. Insbesondere beim Einsatz hoher Schnittgeschwindigkeiten müssen Schnittunter-brechungsverfahren die Anforderung erfüllen, in einem minimalen Zeitintervall t0 den Spanbildungsprozess zu unterbrechen.

Stark vereinfachte Geschwindigkeitsverhältnisse bei einem Abbremsversuch sind in Abb. 2.2 dargestellt. Hierbei wird von einer konstanten negativen Beschleu-nigung a ausgegangen. Es gilt daher

(2.1)

und darüber hinaus mit vrel = 0 m/min nach t0 für den benötigten Bremsweg ∆x

(2.2)

vrel = vc − awz · t

x =1

2vct0.

2.2 Spanwurzeluntersuchungen

Page 45: Spanen ||

26

Aus diesen Beziehungen lässt sich für einen noch zulässigen Bremsweg die not-wendige Beschleunigung a ermitteln zu

(2.3)

Dieser Zusammenhang verdeutlicht, dass die Bremsbeschleunigungen bereits bei geringen Schnittgeschwindigkeiten und zulässigen Bremswegen, die 10 % der Spa-nungsdicke nicht überschreiten sollten, sehr groß sein müssen. Anzumerken ist ins-besondere, dass die Schnittgeschwindigkeit in der 2. Ordnung in Gl. 2.3 eingeht. Um die zur Beschleunigung notwendigen Kräfte in Grenzen zu halten, kommt es daher vor allem bei hohen Geschwindigkeiten darauf an, die zu beschleunigenden Massen möglichst gering zu halten (Abb. 2.6).

Zur Schnittunterbrechung, auch Quick-Stopp genannt, werden verschiedene An-ordnungen genutzt (Abb. 2.7). Grundsätzlich lassen sich Werkzeug oder Werkstück beschleunigen oder abbremsen.

aWZ =v2c

2x.

Abb. 2.6 Geschwindig-keitsverhältnisse bei der Schnittunterbrechung

v

0,5vc

0t0

t

vWZ

vcvrel = vc – vwzh

vc

vwz

Abb. 2.7 Prinzipien der schnittunterbrechung

beschleunigen bremsen

Werkstück

Werk-stück

Werkzeug-schlitten

Führung

Führung

Führung

dc

a b

Abrissstelle

Wer

kzeu

gW

erks

tück

vWz

vc

vc

vc

vc

Prallplatte

2 Spanbildung

Page 46: Spanen ||

27

Das Prinzip der Schnittunterbrechung durch Werkzeugbeschleunigung ist im Teilbild a) dargestellt [KLO93]. In der Regel werden hierbei ganze Werkzeug-einheiten mit dem Werkzeughalter beschleunigt. Die benötigte und zunächst ge-speicherte potentielle Energie wird innerhalb weniger Millisekunden in kinetische Energie umgesetzt. Als Energiespeichermedien dienen Federn, Druckluft oder auch Explosivstoffe. Zur Schnittunterbrechung durch Beschleunigung des Werkzeugs können auch mechanische Trennvorrichtungen eingesetzt werden [BAI88]. Ein sich mit dem Werkstück drehendes Hindernis wird während einer Umdrehung über das Werkzeug gestellt, so dass dieses aus dem Eingriff beschleunigt wird.

Im Teilbild b) ist das Werkzeug (eine beidseitig schneidende Platte) auf einem möglichst massearmen Schlitten gespannt. Der Schlitten wird z. B. durch Druckluft beschleunigt und trifft dann auf das Werkstück. Dort wird ein kurzes Stück gespant (durch Hobeln) und das Werkzeug mit Schlitten durch das Werkstück, das als Prall-ring ausgebildet ist, abgebremst.

Dem Teilbild c) entspricht eine Anordnung, die Ben Amor [BEN03] basierend auf einem Ansatz von Buda [BUD68] für hohe Schnittgeschwindigkeiten entwi-ckelte. Diese Methode beschleunigt nur minimale Massen. Details des Verfahrens sind in Abb. 2.8 dargestellt. In einen Steg wird eine Sollbruchstelle eingebracht. Dieser wird anschließend durch radiales Einstechen zerspant. Mit zunehmender Schnittzeit wird der verbleibende Restquerschnitt oberhalb der Sollbruchstelle schließlich so klein, dass die zulässige Bruchspannung überschritten wird, ein Bruch eintritt und das Segment vom Werkstück abreißt. Das abgerissene Segment samt anhaftendem Span wird daraufhin durch die Schnittkraft vom Werkstück weg beschleunigt und dient als Spanwurzel der Analyse der Spanbildung. Folgendes Zahlenbeispiel belegt die Wirksamkeit dieses Verfahren zur Schnittunterbrechung. Gegeben sei:

h(b = 0,2) (3 mm2), (vc = 300 m/min), Stahl C45, Fc = 1800 N, m = 3g.

Abb. 2.8 Schnittunterbrechung nach Ben Amor

Werkstücksegment mitSpanwurzel

Werkzeug Werkstück

Werkzeug

SollbruchstellenBolzen zur Vermeidungelastischer und plastischerVerformungen

Vorbearbeitung der Probendurch Fräs- und Bohr-operationen:Erzeugung von Sollbruchstellen

Werkstück

vCvf

2.2 Spanwurzeluntersuchungen

Page 47: Spanen ||

28

Es wird nun vorausgesetzt, dass die anfängliche Beschleunigungskraft über die Dauer des Trennvorgangs wirksam und damit auch die Beschleunigung konstant ist. Damit ist

(2.4)

Hieraus lässt sich ein Beschleunigungsweg entsprechend Gl. 2.3 von 21 µm er-rechnen.

Abbildung 2.9 zeigt eine Spanwurzel, die mit dieser Methode bei hoher Schnitt-geschwindigkeit gewonnen wurde. Die Beschleunigungsstrecke kann die 10 %-Be-dingung zwar nicht erfüllen. Dennoch zeigt sich hier ein gutes zur Analyse geeigne-tes Bild des Formänderungsgeschehens vor der Schneide.

Im Teilbild d) der Abb. 2.7 wird ein massearmes Werkstück in einem Führungs-schacht durch Druckluft beschleunigt und prallt, nachdem es einen kurzen Spanweg durchlaufen hat, auf eine Platte, durch die es rasch abgebremst wird. Mit einer ähn-lichen Einrichtung wurden Spanwurzeln bis zu ursprünglichen Schnittgeschwin-digkeiten bis 2.400 m/min aufgenommen (Abb. 2.10), wobei ein Bremsweg von weniger als 20 µm eingehalten werden konnte [HOW05].

Im Gegensatz zu den Verfahren der Schnittunterbrechung bietet die Mikroki-nematographie die Möglichkeit, Spanbildungsvorgänge im laufenden Prozess auf-zunehmen [WAR74]. Dazu wird eine polierte und geätzte Probe (Schwarz-Weiß-Gefüge) gegen eine Quarzglasplatte gepresst (Abb. 2.11) und durch Querdrehen spanend bearbeitet. Durch die Quarzglasplatte lässt sich der Vorgang mittels eines Mikroskops vergrößert beobachten. Die Methode bietet allerdings wegen der freien Werkstückfläche nur ein angenähertes Bild der Zerspanung im Inneren. Bewe-gungsscharfe Aufnahmen sind nur bis zu Schnittgeschwindigkeiten von 1 m/min möglich.

awz = Fc/2m

Abb. 2.9 Spanwurzel aus C15 bei hoher Schnittgeschwindigkeit

Scherzone

Spanhöhe: h = 191 µm

100 µm

50 µm

Spanwurzel

Spanhöhe: h = 183 µm

Spansegmentierungsfrequenz: fs = 635 kHzbei: Segmentbreite bs = 0,05 mm

und vc = 4000 m/minSpan

Verfahren:Orthogonal-EinstechdrehenKSS: trockenSchnittbedingungen:Vorschub: f = 0,1 mmSpanungsbreite: b = 2 mmWerkstoff : C15 unbehandeltSchneidstoff:HC P30-P40 Ti(C,N)

WerkzeuggeometrieSNGN 12 04 12

0° 0° 0°90°α γ εr κ

2 Spanbildung

Page 48: Spanen ||

29

2.3 Scherebenenmodell

Verschiedene Theorien zur rechnerischen Behandlung des Zerspanprozesses ge-hen von einem Scherebenenmodell aus. Die plastische Formänderung während der Spanbildung findet danach allein in der Scherebene statt. Je nach Verformungsver-halten des Werkstoffes und nach Prozessbedingungen bildet das Modell die Reali-tät ausreichend genau nach. Unter der Voraussetzung der Gültigkeit des Scherebe-nenmodells und ebener Formänderung (Orthogonalschnitt) lässt sich die Scherge-schwindigkeit vφ bestimmen (Abb. 2.12).

(2.5)vφ = vcsin (90 − γ )

sin (90 + γ − φ)= vc

cos γ

cos (φ − γ )

Abb. 2.10 Spanwurzeln aus TiAl6V4 [HOW05]

0 40 µm

0 40 µm

0 40 µm0 40 µm

0 40 µm

vc = 10 m/sh = 100 µm

vc = 5 m/sh = 100 µm

vc = 20 m/sh = 100 µm

vc = 40 m/sh = 100 µm

vc = 0 m/sh = 80 µm

Werkstoff : TiAl6V4Schneidstoff : HM K10Freiwinkel α0 : 15°Spanwinkel γ0 : 0°

© 408-37-01

Abb. 2.11 Versuchsstand zur Mikrozerspanung [WAR74] Keilriemen

Hohlspindel

BeleuchtungMikroskop

Ortsfest

vf

Werkzeug

poliertes/geätztesWerkstück

Quarzglasscheibe

2.3 Scherebenenmodell

Page 49: Spanen ||

30

Aus der bei großen plastischen Formänderungen hinreichend genau gegebenen Vo-lumenkonstanz folgt1

(2.6)

für die Stauchungen . Da ebene Formänderung vorausgesetzt wird, ist die Breiten-stauchung b = 1, und es folgt

(2.7)

Es gilt zudem

(2.8)

Folglich ist

(2.9)

Aus dem Geschwindigkeitsplan (Abb. 2.12) folgt dann

(2.10)

1 Im Gegensatz zur elastischen Formänderung gilt für große plastische Formänderungen Volumen-konstanz. Für den elastischen Fall lässt sich die Volumenänderung über die Formänderungen in Normal- und Querrichtung (elastische Querzahl ν) bestimmen: V/V = (1 − 2 v)ε. Dies gilt jedoch nur für elastisches Verhalten!

b′

h′

w′

w= 1 oder λb · λh · λw = 1,

λh · λW = 1.

λw =w′

w=

v sp

vc.

λh =vc

vsp=

1

λW.

λh =cos (φ − γ )

sin φ.

Abb. 2.12 Scherebenmodell und Schergeschwindigkeit

vc = Schnittgeschwindigkeitvsp = Spangeschwindigkeitvφ = Schergeschwindigkeit

φ

vsp

vc

cos (φ − γ )

γγ

sin φ λh =

φ h

w

b

b'vsp

h'

w'

Scherebene

vc

2 Spanbildung

Page 50: Spanen ||

31

Da sich die Spandickenstauchung h (kurz Spanstauchung) durch Messen der Span-dicke oder der Spanlänge (beim unterbrochenen Schnitt) und aus den Einstellgrö-ßen bestimmen lässt, kann so der Scherwinkel im Experiment ermittelt werden.

In der Plastomechanik (der Mechanik plastischer Verformungen) werden Form-änderungen als bezogene Größen behandelt. In Abb. 2.13 sind Stauchung, Dehnung und Scherung dargestellt.

Zur zahlenmäßigen Beschreibung plastischer Hauptformänderungen werden in der Literatur zwei Notationen verwendet. In den Werkstoffwissenschaften und über-wiegend auch im englischen Sprachraum arbeitet man mit der bezogenen Formän-derung , und zwar D für Druck und Z für Zug. Es gilt

(2.11)

und

(2.12)

In der Umformtechnik wird vornehmlich im deutschen Sprachraum arbeitet mit der logarithmischen Formänderung gearbeitet.2

(2.13)

B.A. Behrens führt gute Gründe an, die Notation der logarithmischen Formände-rung zu verwenden [DOB07, S.56 f]. Darauf sei verwiesen. Die Notationen sind unschwer ineinander zu überführen:

(2.14)

und

(2.15)

2 Mit der logarithmischen Formänderung wird nur die plastische Formänderung erfasst, nicht die elastische. Dies ist jedoch bei großen plastischen Formänderungen unerheblich.

εD =h0 − h

h0= 1 −

h

h0

εZ =h − h0

h0=

h

h0− 1

ϕ = lnh

h0

ϕ = ln (1 − εD)

ϕ = ln(εZ − 1)

2.3 Scherebenenmodell

Abb. 2.13 Formänderungen

Stauchung Dehnung Scherung

h hh0 h0 l0γs

Page 51: Spanen ||

32

Für kleine Formänderungen unterhalb = 0,1 sind die Zahlenwerte praktisch gleich. Damit sind auch die Notationen für die Formäderungsgeschwindigkeiten zu beachten. Für die Stauch- und Dehngeschwindigkeiten gelten:

(2.14a)

und

(2.15a)

(2.16)

und (2.17)

(2.16a)

und

(2.17a)

Für plasto-mechanische Rechnungen des Spanens ist der Grad der Formänderung im Werkstoff von Interesse. Unter folgenden Voraussetzungen

• Scherebenenmodell,• Volumenkonstanz,• Homogenität des Werkstoffs,• Isotropie des Werkstoffs,• ebene Formänderung,

εD = 1 − eϕ

εZ = eϕ − 1

εD =(

d

dϕ(1 − eϕ) ·

dt

dt

εZ =(

d

dϕ(eϕ − 1) ·

dt

dt

ϕ =1

1 − εD

× εDεD

ϕ =1

εZ − 1× εZεZ

Abb. 2.14 Verformungsgeo-metrie bei Orthogonalschnitt

Span

Schneidkeil

Werkst ck

vC

a

a

a

a

4

31

3'

4'

1'

2'

2

α

γ

χ

ψ

2 Spanbildung

Page 52: Spanen ||

33

lässt sich nach Abb. 2.14 die Scherung S als Tangens des Verformungswinkels bestimmen (der Begriff „Scherwinkel“ wäre passender, ist aber in der Literatur be-reits für den Winkel zwischen Schnittrichtung und Scherebene vergeben). Der Verformungswinkel wird gegen die Normale auf die Scherebene gemessen. Es folgt daraus

(2.18)

Das in Abb. 2.14 betrachtete Volumenelement wurde seitenparallel zur Scherebene gewählt, um direkt die Scherverformung tan sichtbar zu machen. Für die Ankopp-lung des Verformungsgeschehens an eine Vergleichsformänderung sind die bezoge-nen Formänderungen, die maximale Dehnung εZ und die maximale Stauchung εD des Werkstoffs nach Durchtritt durch die Scherebene von Interesse. Dazu wird ein ungerichtetes Volumenelement, d.h. ein kreisförmiges Element, betrachtet, das sich hinter der Scherebene zu einer Ellipse verformt (Abb. 2.15).

Die lange und die kurze Achse 2a und 2b bezogen auf den Kreisdurchmesser 2 r entsprechen der maximalen Dehnung und Stauchung. Die Dehnung und Stauchung sind demnach

(2.19)

und

(2.20)

(2.19a)

tan χ = tan (φ − γ ) +1

tan φ

εZ =2a

d− 1

εD = 1 −2b

d

2b

d

εZ =1

[tan (φ − γ ) +

1

tan φ

]− 1 +

√[tan (φ − γ ) +

1

tan φ

]2

+ 1

2.3 Scherebenenmodell

Abb. 2.15 Hauptformände-rungen beim Spanen

Werkzeug

Scherebene

2b

2a

2r

φ

γ

Page 53: Spanen ||

34

(2.20b)

Offenbar ist dann

(2.21)

In Abb. 2.16 sind die Verläufe der Dehnung εZ und Scherung S über dem Scherwin-kel aufgetragen für einen Spanwinkel von = 0°. Größere Spanwinkel verringern den Scherwinkel, die Dehnung und die Scherung.

Die bisher ermittelten Formänderungen und ihre Überführung ineinander be-ruhen allein auf geometrischen Zusammenhängen. In der Umformtechnik ist es üblich, sich Vergleichshypothesen zu bedienen, um mehrachsige Formänderungen und Spannungen in einachsige Vergleichswerte umzuwandeln [DOB07, S.153 f.].

εD =1

[tan (φ − γ ) +

1

tan φ

]+ 1 +

√[tan (φ − γ ) +

1

tan φ

]2

+ 1

εZ + εD = tan χ = γs

Abb. 2.16 Formänderungen und Scherwinkel nach Köhler [KÖH68]

4,0

5,0

3,5

2,5

3,0

2,0

1,5

1,0

0,5

00

10 20 604030 °

Sch

erun

g γ s

, Deh

nung

ε

Scherwinkel φ

ε

γS

2 Spanbildung

Page 54: Spanen ||

35

Die Rechnung nach Tresca nutzt die Schubspannungshypothese, die Rechnung nach von Mises die Gestaltänderungshypothese. Über einen Energieansatz folgen damit auch die Vergleichsformänderungen.

Die in Gl. 2.21 enthaltene Scherung S lässt sich in die einachsige Vergleichs-formänderung umrechnen. Es gilt

nach Tresca (2.22)

und nach von v. Mises (2.23)

Fragen

1. Was bedeutet „ebene Formänderung“, was „ebener Spannungszustand“? 2. Welche Möglichkeiten des orthogonalen Spanens kennen Sie? 3. Wie lassen sich einachsige Hauptformänderungen beschreiben? Geben Sie die

beiden Notationen an. 4. Leiten Sie die Formänderungsgeschwindigkeiten ab. 5. Welche Größen müssen zur Bestimmung des Winkels, um den ein Element in

der Scherebene schubverformt wird, bekannt sein, wenn das Scherebenenmo-dell zugrunde gelegt wird?

6. Wie kann man diese Größen messen? 7. Welche Methoden werden zur Untersuchung der Spanwurzel benutzt? Sie

geben den Umformvorgang nur angenähert wieder. Welche Einschränkungen bestehen?

8. Welche Umformzonen lassen sich bei der Spanbildung unterscheiden? 9. Erläutern Sie die Spanarten und grenzen Sie diese gegen die Spanformen ab.10. Was ist ein Lamellenspan? Wie lässt sich der Gleichförmigkeitsgrad bestimmen?11. Unter welcher Voraussetzung kann es zur Scherlokalisierung kommen?12. Was sind Aufbauschneiden?13. Warum treten Aufbauschneiden nur im Fließspanbereich auf?14. Welche Wirkungen hat die Aufbauschneide auf das Arbeitsergebnis am Werk-

stück und auf das Werkzeug?15. Bestimmen Sie unter der Voraussetzung des Scherebenenmodells die

Schergeschwindigkeit.16. Erläutern Sie über die bei Metallen übliche elastische Querzahl (Poissonzahl),

warum bei elastischer (nicht plastischer) Umformung keine Volumenkonstanz vorausgesetzt werden kann.

17. Wie lässt sich der Scherwinkel aus der Spanstauchung ermitteln?18. Errechnen Sie den Verformungswinkel ?

nach Tresca ϕ =1

2χS

und nach von v. Mises ϕ =1

√3χS .

Fragen

Page 55: Spanen ||

36

Literatur

[BAI88] Baik, M.C.: Beitrag zur Zerspanbarkeit von Kobaltlegierungen. Dr.-Ing. Diss., Universi-tät Dortmund, 1988

[BEN03] Ben Amor, R.:Thermomechanische Wirkmechanismen und Spanbildung bei der Hoch-geschwindigkeitszerspanung. Dr.-Ing. Diss., Universität Hannover, 2003

[BUD68] Buda, J.; Vasilko, K.; Stranava, J.: Neue Methoden der Spanwurzelgewinnung zur Untersuchung des Schneidvorganges. Industrie Anzeiger 90 (1968) 5, S. 78-81

[DOB07] Doege, E.; Behrens, B.-A.: Handbuch der Umformtechnik. Springer Verlag, 2007[HOW05] Hoffmeister, H.-W.; Wessels, T.: Thermomechanische Wirkmechanismen bei der Hoch-

geschwindigkeitszerspanung von Titan- und Nickelbasislegierungen. In [TÖN05, S. 470-491][KLO93] Klose, H.-J.: Einfluss der Werkstofftechnologie auf die Zerspanbarkeit niedriglegierter

Gusseisen. Dr.-Ing. Diss., Universität Hannover, 1993[TÖN05] Tönshoff, H.K.; Hollmann, F.: Hochgeschwindigkeits-spanen. Wiley-VCH-Verlag, 2005[WAR74] Warnecke, G.: Spanbildung bei metallischen Werkstoffen. München: Techn. Verlag

Resch, 1974

2 Spanbildung

Page 56: Spanen ||

37

Die Spanform ist eines der vier Kriterien der Zerspanbarkeit (s. Kap. 1.3). Gera-de bei automatisierten Prozessen ist ein ungestörter Spanablauf wichtig, um nicht dem Maschinenbediener die inhaltsleere und ermüdende Funktion der ständigen Überwachung der gesicherten Spanabfuhr zuzumessen und damit seine Bindung an die Maschine und den Prozess zu erzwingen (Verstoß gegen das Mensch-Umwelt-Kriterium). Das Problem der Spanform stellt sich nicht bei Verfahren, die prinzip-bedingt mit unterbrochenem Schnitt arbeiten (Fräsen, Kreissägen, Schleifen). Bei kontinuierlichen Prozessen, wie beim Drehen und Bohren, kann die Spanformung gegenüber anderen Zerspanbarkeitskriterien dominant sein, denn sie berührt ent-scheidend die Prozesssicherheit. Die Spanform kennzeichnet die nach dem Zer-spanprozess vorliegende Form des Spans. Sie ist das abschließende Ergebnis der Spanbildung und des Spanablaufs von der Wirkstelle. Zur Quantifizierung der Spanformung wurden Spanformklassen und die Spanraumzahl eingeführt [STA90].

3.1 Spanraumzahl und Spanformklassen

Je nach Spanform nimmt das Spanvolumen (Schüttvolumen der Späne) einen weit größeren Raum ein als der massive Werkstoff. Das Verhältnis der beiden Volumina oder Volumenströme ist die Spanraumzahl RZ

(3.1)

Sie kennzeichnet die Sperrigkeit der Späne und dient zur Bemessung von Arbeits-räumen der Werkzeugmaschinen, von Spantransporteinrichtungen und Spanräumen der Werkzeuge (Spanraum im Fräser, Spannut im Bohrer). Je nach Spanform kann die Spanraumzahl sehr unterschiedliche Werte annehmen (Abb. 3.1).

Durch die Entwicklung der Schneidstoffe wurde die mögliche und wirtschaft-liche Schnittgeschwindigkeit (s. Kap. 8.1) und das mögliche Zeitspanvolumen (=Volumenrate) stark erhöht. Je Dekade wurden im Mittel Steigerungen um den

RZ =QSpan

QW.

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen,DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 3Spanformung

Page 57: Spanen ||

38

Faktor 2 erreicht. Zugleich nehmen mit höherer Schnittgeschwindigkeit die Span-raumzahlen tendenziell ab. Das Zeitspanvolumen eines Drehprozesses z. B. wurde so stark gesteigert, dass die Spanformung zu einer wesentlichen Verfahrensgrenze werden kann. Auch die Tendenz zu festeren und zäheren Werkstoffen wirkt in die gleiche Richtung.

Zur Charakterisierung der Spanformen wurden acht Spanformklassen eingeführt (Abb. 3.1) [STA90]. Ihnen lassen sich Spanraumzahlen zuordnen. Lange Späne, wie Bandspäne, Wirrspäne und Flachwendelspäne, sind ungünstig und können Per-sonen, Werkzeuge, Werkstücke und Maschine gefährden. Kurze Spanstücke, wie Bröckelspäne und Spiralspanstücke, können Schwierigkeiten beim Abtransport von der Wirkstelle (z. B. beim Bohren) oder bei ungenügendem Schutz der Werker (Au-genverletzungen) machen. Wendelspanstücke und Spiralspäne sind günstig.

Um günstige Spanformen zu erreichen, muss der Span in Stücke oder Partikel zerlegt werden. Dies kann geschehen durch

• Primäre Spanformung oder• Sekundäre Spanformung.

Primäre Spanformung hängt allein von der nicht kontinuierlichen Spanbildung ab. Zu den zur primären Spanformung neigenden Werkstoffen gehören Gusseisen mit Lamellengraphit, Messinge mit geringem Kupfergehalt und eutektische oder über-eutektische Aluminiumsiliziumlegierungen, also spröde Werkstoffe, die nur ein geringes plastisches Verformungsvermögen haben und daher während der Spanbil-dung bereits reißen oder brechen. Sie sind die kurzspanenden Werkstoffe. Das Spa-nen erfolgt meist durch Reißspanbildung. Bei Scherspan- oder Fließspanbildung muss eine sekundäre Spanformung nach der eigentlichen Spanbildung erzwungen werden. Man spricht von langspanenden Werkstoffen.

Abb. 3.1 Spanformen (Stahl-Eisen-Prüfblatt 1178–1190)

Bandspäne

Wirrspäne

Flachwendel-späne

lange, zylindr.Wendelspäne

Wendelspan-stücke

Spiralspäne

Spiralspan-stücke

Bröckelspäne

SpanraumzahlRZ

Spanform-klasse

Beurteilung

ungü

nstig

gut

brau

chba

r

1

2

3

4

5

6

7

8

≥ 90

≥ 90

≥ 50

≥ 50

≥ 25

≥ 8

8

3

3 Spanformung

Page 58: Spanen ||

39

3.2 Spanleitung

Bei langspanenden Werkstoffen, d. h. bei Fließ- und Scherspanbildung, lassen sich für nicht zu geringe Vorschübe günstige Spanformen durch Spanleitung erreichen. Der Span wird entsprechend seiner Fließrichtung aus der Spanbildungszone abge-führt. Welche der beiden prinzipiell möglichen Fließrichtungen der Span einnimmt, hängt von den plastomechanischen Vorgängen an der Schneide ab (Abb. 3.2). Oku-shima und Minato haben dazu ein einfaches Modell entwickelt, das den Spanungs-querschnitt in Inkremente zerlegt und die inkrementellen Fließvektoren nach einem Seileckverfahren zu einer Resultierenden zusammensetzt [OKU59] (Abb. 3.3).

3.2 Spanleitung

Abb. 3.2 Fließrichtung des Spans

Werkstück

Werkstück

vf

vc

vc

Spanfläche

Spanfläche

Werkzeug(Draufsicht)

Werkzeug

Fließrichtungparallel zurSpanfläche

Fließrichtungnormal zurSpanfläche

Span

Span

Abb. 3.3 Seileck zur Bestimmung der Fließrichtung

Werkstück

Werkzeug

Resultierende(Fließrichtung)

Inkremente

Page 59: Spanen ||

40

Dabei wird jedes Inkrement gemäß seinem Flächeninhalt gewichtet. Dies ist ein rein geometrisches Verfahren, das die plastomechanischen Vorgänge nur näherungs-weise wiedergeben kann. Dem realen Prozess näherkommende Verfahren beruhen auf FEM-Rechnungen [MÜL93]. Hinzu kommt, dass nach dem Seileckverfahren eine Spanleitung durch Neigung der Spanfläche (um den Spanwinkel γ und den Neigungswinkel β) nicht zu berücksichtigen ist. Gerade die Formgebung der Span-fläche an Wendeschneidplatten durch Fortschritte in der Sintertechnik wird häufig genutzt, um die Fließrichtung des Spans zu beeinflussen. Durch geeignete Aus-bildung der Spanfläche kann der abfließende Span an die Schnittfläche des Werk-stücks, an die Werkstückoberfläche oder an die Freifläche des Werkzeugs gelenkt werden (Abb. 3.4). Das nachfließende Material sorgt dafür, dass der am Hindernis gehaltene Span aufgebogen wird. Dadurch wird dem Span eine zusätzliche plasti-sche Verformung aufgezwungen. Die dabei auf Zug beanspruchte Spanoberseite ist zudem meist von der Spanbildung her gekerbt und zerklüftet und bricht durch das Aufbiegen.

Spanleitung kann durch eingeschliffene oder eingesinterte Stufen oder durch aufgesetzte, in das Klemmsystem von Wendeschneidplatten integrierte, „Spanfor-mer“ (falscher Begriff, da sich die Spanform erst durch Anlaufen am Hindernis ergibt) erreicht werden (Abb. 3.5). Es wurden vielfältige Formen von eingesinter-ten Spanleitstufen entwickelt. Ihre Geometrie muss an die Einstellbedingungen, insbesondere an Vorschub, Schnittgeschwindigkeit und Schnitttiefe angepasst sein (Abb. 3.6).

Abb. 3.4 Wirkung von Spanleitstufen

Anlaufen anSchnittfläche

Anlaufen anFreifläche

Anlaufen anWerkstück-oberfläche

Vorschubrichtung

3 Spanformung

Page 60: Spanen ||

41

Bei geringen Vorschüben ist Spanformung durch Spanleitung kaum möglich, da die plastische Dehnung, die durch das Aufbiegen des Spans erreicht werden kann, nicht ausreicht. Abbildung 3.7 zeigt, dass die Randdehnung εR eines gebogenen Spans bei gegebenem Biegeradius r′ der Spandicke h′ proportional ist. Bei dünneren Spänen kommt es also nur zu geringen plastischen Dehnungen, die vom Werkstoff noch ohne Brechen ertragen werden können.

Ein ähnlicher Effekt, wie er mit der Vergrößerung der Spanungsdicke verbunden ist, lässt sich durch eine Wölbung des Spanungsquerschnitts entlang der Schneide erreichen (Abb. 3.8). Dadurch wird die Randdehnung partiell erhöht, und der Span wird steifer, was das Brechen unterstützt. Auch Abstech- oder Einstechdrehmeißel werden mit einer gewölbten Spanfläche versehen, wodurch das Einklemmen der Späne in der Nut verhindert werden soll.

Abb. 3.5 Ausführungen von Spanleitstufen [HIN09]

3.2 Spanleitung

Abb. 3.6 Bereich günstiger Spanform bei Werkzeugen mit Spanformstufen (Sandvik)

Vorschub f

Sch

nittt

iefe

ap

Page 61: Spanen ||

42

3.3 Werkstoffeinfluss

Während der Spanbildung wird der Werkstoff starken plastischen Formänderungen ausgesetzt. Das Formänderungsvermögen hängt wesentlich von der Zusammen-setzung des Werkstoffs ab. Ob es also zu primärer oder sekundärer Spanformung

Abb. 3.8 Gewölbte Spanfläche

Längsdrehen

b

vf

vf

Abstechen

Span

Abstechmeißel

Werkzeug

vc ω

3 Spanformung

dünner Span

dicker Span

r'

r'

2r'

h'/2

h'

h'2h'1

h'1h'2

∆l

∆l

∆l

εR1

εR

εR1εR2

εR2

l

l

l

=

=

=

=

neutrale Faser

ϕ

Abb. 3.7 Randdehnung eines Spans

Page 62: Spanen ||

43

als Folge der plastischen Verformung kommt, wird entscheidend durch den zu bearbeitenden Werkstoff bestimmt. Generell lassen sich kurz- und langspanende Werkstoffe unterscheiden. Zu den kurzspanenden, zur Reißspanbildung neigenden Werkstoffen gehören Gusseisen mit Lamellengraphit (Grauguss), spröde Messinge und Aluminiumgusslegierungen. Zu den langspanenden Werkstoffen zählen Stähle, Kupfer und Aluminiumknetlegierungen.

Bei Stählen lässt sich das Formänderungsvermögen durch Legierungselemente so beeinflussen, dass eher günstige Spanformen entstehen. Allerdings wirken sich diese Begleiter meist ungünstig auf die Zähigkeit des Stahls aus.

Kohlenstoff ist der wichtigste Eisenbegleiter (Abb. 3.9). Kohlenstoffstähle ent-halten Ferrit ( α-Mischkristall) und Perlit, der als Eutektoid aus Zementit (Eisenkar-bid Fe3C) und Ferrit besteht. Ferrit ist weich und gut verformbar, Zementit (ortho-rhombisch kristallin) ist hart, spröd und praktisch nicht verformbar. Mit höherem Kohlenstoffgehalt von > 0,2 % C bis zur eutektoiden Zusammensetzung (Perlit) von 0,8 % C nimmt das Formänderungsvermögen des Stahls ab. Einsatzstähle (<0,2 % C) wie C15, 16MnCr5, 18CrNi8 neigen dazu, Band- und Wirrspäne zu bilden. Stähle mit höherem Perlitanteil ergeben günstigere Spanformen (Abb. 3.10).

Abb. 3.9 Spanform und Gefüge

Ferrit<0,02%.

Ferrit +Perlit

1

8

0,20 0,40 0,60 0,80 %

Kohlenstoffgehalt

Gefügebestandteile HV

90

200

800

>1000

Här

te

Spa

nfor

mkl

asse

güns

tiger

For

män

deru

ngs-

verm

ögen

Zementit

Martensit

Perlit (Ferrit + Zementit)

Ferrit (α-Mischkristalle)

Perlit(Eutektoid)

Perlit +Zementit

3.3 Werkstoffeinfluss

Page 63: Spanen ||

44

Schwefel ist im Eisen wenig löslich. Abhängig von weiteren Legierungsbestand-teilen entstehen Sulfide. Eisensulfid bildet ein Eutektikum. Es führt im Temperatur-bereich von 800 °C bis 1000 °C zur Rotbrüchigkeit. Sauerstoff setzt die Tempera-turen des Sulfideutektikums herab und verstärkt damit die Neigung zum Rotbruch. Durch Mangan, das eine größere Affinität zum Schwefel hat als Eisen, bildet sich Mangansulfid (MnS). Es hat einen höheren Schmelzpunkt als FeS. Dadurch wird die Rotbruchgefahr beseitigt. Mangansulfide sind nach dem Walzen lang gestreckt und zeilig angeordnet. Sie bilden Störstellen im Stahl und verbessern dadurch die Spanform. Allerdings wird damit auch die Querzähigkeit der Stähle beinträchtigt. Automatenstähle werden mit extrem hohen Schwefelgehalten (9S20 oder 45S20) von ca. 0,2 % S legiert. Damit sind neben anderen Vorteilen der Zerspanbarkeit durchweg gute Spanformen verbunden. Durch neue Stahlherstellungsverfahren (Blastechniken) lassen sich Stähle mit besonders niedrigen Schwefelgehalten her-stellen. Sie weisen ungünstige Spanformen auf (Abb. 3.11).

Phosphor führt zu starken Entmischungen (Seigerungen) im Stahl, die sich kaum durch Wärmebehandlungen beseitigen lassen. Phosphor fördert die Spröd-brüchigkeit bei Raumtemperatur und die Anlasssprödigkeit. Phosphor gilt daher als Stahlschädling. Je nach Stahlgüte werden die Inhalte auf unter 0,05 % P oder weiter begrenzt. Durch Ferritversprödung sorgt Phosphor für günstige Spanformen.

Blei ist im Eisen praktisch unlöslich. Die Umwandlungspunkte des Eisens (im Eisen-Kohlenstoff-System) werden durch Blei nicht verändert. Blei lagert sich sub-mikroskopisch an den Korngrenzen ab. Dadurch werden die Späne kurzbrüchig.

Die Wärmebehandlung des Stahls beeinflusst über die Ausbildung des Gefüges die Verformungsfähigkeit und damit auch die Spanbildung und Spanformung we-

Abb. 3.10 Einfluss der Werkstoffeigenschaften auf die Spanform (Kohlenstoffstahl)

1

8

1

8

0 0,85C - Gehalt

güns

tiger

güns

tiger

Spa

nfor

mkl

asse

%

10 150 µm

Korngröße

1

8

Spa

nfor

mkl

asse

1

80 0,03

S - Gehalt

güns

tiger

güns

tiger

%

%

0,1

10 20

Bruchdehnung

3 Spanformung

Page 64: Spanen ||

45

sentlich [WIN82, PAT87]. Dabei gilt allgemein, dass umso günstigere Spanformen entstehen, je inhomogener und grobkörniger der Werkstoff ist. So wirkt sich bei Vergütungsstählen (z. B. C45, 42CrMo4, 36CrNiMo4) eine gesteuerte Abkühlung aus der Schmiedewärme (Abb. 3.12), genannt BY-Behandlung ( best yield strength)

Abb. 3.11 Einfluss des Schwefelgehalts auf die Spanform

Werkstoff:

Schneidstoff:

Spanformgeometrie:

Schnittgeschwindigkeit:Vorschub:

Schnittiefe:

Schneidkeilgeometrie:

SchruppenVorschub f = 0,25 mmSpanformgeometrie A

SchlichtenVorschub f = 0,1 mmSpanformgeometrie F

Spanform / Spanformklasse

3,4

3,4

8

5

C45 (± S) BY

TiC / TiN besch. HMA, Fvc = 160 m. min–1

f = 0,1 mm, 0,25 mmap = 2,5 mm

κ = 75° / β = 90° / α = 6° / rε = 0,8 mm

–S : +S :0,002 % 0,03 %

Schwefelgehalt : –S = 0,002 %, +S = 0,030 %

Abb. 3.12 Einfluss der Wärmebehandlung auf die Spanform

Schmieden SchmiedenHärten

V

Anlassen

Zeit t Zeit t

Tem

p.

Tem

p.

Ac3Ac1

Ac3Ac1

Korngröße28 µm

Korngröße102 µm

VBY

BY

0,8 mm

chem. Zusammensetzung

C Si Mn P S

0,45 0,2 0,77 0,019 0,035

Zerspanbedungungen

Schnittgeschw.:Schnittiefe :Vorschub :Schneidstoff : TiC-Al2O3- besch.HM

vc = 200 m.min–1

ap = 2,5 mmf = 0,315 mm

5° 6° 0° 90° 60°rεα γ λ ε κ

C45 V

10 mm

C45 BY

10 mm

3.3 Werkstoffeinfluss

Page 65: Spanen ||

46

günstig aus.1 Mit dieser Behandlung können durch Einsparen weiterer Wärmvor-gänge Kosten bei der Rohteilherstellung durch Schmieden (Fortfall der Erwärmung zum Härten und zum Anlassen, Verringerung von Richtkosten) verringert werden. Die BY-Behandlung erzeugt ein grobkörniges Gefüge, bei dem Perlitkörner von einem geschlossenen Ferritnetz umgeben sind. Die Spanformen sind günstiger als bei einem Vergütungs- oder Normalisierungsgefüge. Andere Wärmebehandlungen sind auf die Ausbildung besonderer physikalischer Eigenschaften gerichtet und werden nicht primär zur Verbesserung der Spanformung eingesetzt.

Das Weichglühen (G) von Stählen höheren C-Gehalts oder von legierten Stählen soll dem Werkstoff hohe Härte nehmen und damit die Zerspanbarkeit (Kräfte, Ver-schleiß) verbessern. Die Spanformen werden dabei ungünstiger wegen der Bildung höherer Ferritanteile.

Durch Normalglühen (N) bei Stählen mit C-Gehalten unter 0,9 % wird das Ge-füge umkristallisiert (Glühtemperatur wenig über GOS im Eisen-Kohlenstoff-Dia-gramm) und dadurch feinkörniger und gleichmäßiger verteilt. Die Spanformung wird kaum beeinflusst, allenfalls verschlechtert.

Durch Vergüten (V) lässt sich die Festigkeit eines Stahls erhöhen. Dazu wird durch Härten Martensit gebildet. Durch anschließendes Anlassen verliert der Stahl wesentlich an Härte, wird aber zäher. Hochvergütete Stähle (hohe Festigkeit) zeigen eher günstige Spanformen. Mit höherer Anlasstemperatur sinkt die Festigkeit und das Formänderungsvermögen steigt. Entsprechend werden die Spanformen ungünstiger.

3.4 Einfluss der Schnittbedingungen

Die Schnittbedingungen wirken sich durch Beeinflussung der Spanbildung (Schnitt-geschwindigkeit und Spanwinkel) und über sekundäre Effekte (sekundäre Spanfor-mung: Vorschub und Schnitttiefe) auf die Spanformen aus.

Der Vorschub bestimmt mit der Spanstauchung die Spandicke und damit die Verformungsfähigkeit des Spans (s. Abschn. 3.2). Das führt zu einer starken Abhän-gigkeit der Spanformen vom Vorschub (Abb. 3.13). Bei richtig ausgelegten Span-leitstufen können für große Vorschübe (Schruppen) günstige Spanformen erreicht werden, nicht dagegen für geringe Vorschübe.

Die Schnitttiefe wirkt sich nur wenig auf die Spanform aus. Bei großen Schnitt-tiefen nimmt die Neigung des Spans ab, durch Anlaufen an ein Hindernis zu bre-chen.

Die Schnittgeschwindigkeit bestimmt wesentlich die Temperaturen in der Span-bildungszone über Wärmeleitung und Konvektion (s. Kap. 5). Höhere Schnittge-schwindigkeiten führen zu höheren Spanbildungstemperaturen. Bei höheren Tem-peraturen sind die meisten Stähle stärker verformbar. Daher werden sie während

1 BY-Behandlung oder auch P-Behandlung führt zu einem schmiedeperlitischen Gefüge. Einge-setzt werden ausscheidungshärtende Stähle (AFP-Stähle). Die Bezeichnung BY entspricht nicht mehr europäischer Norm.

3 Spanformung

Page 66: Spanen ||

47

der Spanbildung weniger geschädigt. Höhere Schnittgeschwindigkeiten führen zu ungünstigeren Spanformen bis ca. vc = 400 m/min. Bei Vergütungsstählen wird die Spanbildung oberhalb dieses Geschwindigkeitsbereichs ungleichmäßig. Es wech-seln Bereiche starker mit solchen geringer plastischer Formänderung. Sowohl aus-gesprochene Lamellenbildung als auch feine Segmentierung des Spans (adiabate Scherung) können vorliegen.

Der Spanwinkel beeinflusst die Scherung bei der Spanbildung. Negative Span-winkel führen zu starker Verformung, die besonders bei geringer Schnittgeschwin-digkeit den Span vorschädigen und damit sekundäres Brechen erleichtern.

Eine umfassende Einflussanalyse hat Nakayama [NAK92] vorgenommen (Abb. 3.14). Er verknüpft die Spanbildung über den Scherwinkel (A), die Scherver-formung (D) und die Kaltverfestigung (G) mit der Spanformung. Der Einfluss des Werkstoffs wird über seine Zähigkeit (B), die Spantemperatur (C) und die Risse im Span (E) gekennzeichnet. Die Schneidkeilform (F, H) und die Wirkung des Werk-zeugverschleißes werden angegeben.

Fragen

1. Was verstehen Sie unter den Begriffen Zeitspanvolumen (Volumenrate) und Spanraumzahl, welcher Zusammenhang besteht zwischen ihnen?

2. Welche Bedeutung hat die Spanraumzahl? 3. Nennen und beschreiben Sie Ihnen bekannte Spanformen und beurteilen Sie

ihre Zweckmäßigkeit.

Abb. 3.13 Einfluss der Schnittbedingungen auf die Spanform (nach [DEG93])

1

1 1

8

8 8

1

8100 300 m.min–1 1000

Schnittgeschwindigkeit vc

Vorschub f

vc2

vc1

vc2 > vc1

Spa

nfor

mkl

asse

Spa

nfor

mkl

asse

Spa

nfor

mkl

asse

Spa

nfor

mkl

asse

Schnittiefe ap– γ + γ

Spanwinkel γ

Fragen

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48

4. Welche Möglichkeiten der Spanformbeeinflussung sind Ihnen bekannt? Erläu-tern Sie deren Vor- und Nachteile.

5. Erläutern Sie die Funktion einer Spanformstufe. 6. Wie wirken sich die wichtigsten Eisenbegleiter auf die Spanformung von Stahl

aus? 7. Wie lässt sich erklären, dass bei großen Spanungsdicken günstigere Spanfor-

men auftreten als bei geringen Spanungsdicken?

Abb. 3.15 Einsatz von Spanleitstufen. a Eingesinterte Spanleitstufe. b Annahme: Span wird von Krümmungsradius R auf R→∞ aufgebogen. c Spanungsgrößen beim Drehen

bL

a b c

tL

R0

ap

k h

b

f

R ∞

3 Spanformung

Abb. 3.14 Einflussgrößen auf die Spanform [NAK92]

Scherwinkel Spandicke Spanbruch

SpanbruchZähigkeit des Spans

Spantemperatur

Scherverformung

Risse im Span

Schneidkantenverschleiß

Kaltverfestigung des vorlaufenden Schnitts

effektiverSpanwinkel

KolkverschleißScherwinkel

effektiver SpanwinkelSpandicke Spanbruch

B

B

B

B

A

A

B

C

D

E

F

G

H

Page 68: Spanen ||

49

8. Wie wirkt sich Kolkverschleiß, wie Schneidkantenverschleiß auf die Spanfor-men aus?

9. Eine in der Praxis übliche Methode zur Spanformung beim Drehen ist der Ein-satz von Spanleitstufen. Ihre Aufgabe ist es, den abfließenden Span gegen ein Hindernis in Fließrichtung zu leiten und somit durch eine zusätzliche Mate-rialbeanspruchung den Span brechen zu lassen. Ist beim Einsatz einer ein-gesinterten Spanleitstufe (Abb. 3.15a) ein sicherer Spanbruch beim Drehen des Werkstoffs C45 gewährleistet, wenn angenommen wird, dass der Span von einem Krümmungsradius R auf R = ∞ aufgebogen wird (Abb. 3.15b)? Der Einstellwinkel beträgt κ = 90°, der Vorschub f = 0,1 mm, der Spanwin-kel γ = 10° und der Scherwinkel ø = 35° (Abb. 3.15c) für den Spanformer gilt: bL = 1,0 mm, tL = 0,3 mm. Die gegen die gekerbte Spanoberseite des Spans gemessene Bruchdehnung von C45 beträgt εb = 7,1 %.

10. Welche Möglichkeit besteht, unter Anwendung desselben Werkzeugs die Span-form zu verbessern?

Literatur

[DEG93] Degner, W.; Lutze, H.; Smejkal, E.: Spanende Formung – Theorie, Berechnung, Richt-werte. 13. Aufl., Carl Hanser Verlag, München, Wien 1993

[HIN09] Hintze, W.: Persönliche Mitteilung, 2009[MÜL93] Müller, M.; Hintze, W.: Werkzeugentwicklung zur Spanbeherrschung beim Drehen und

Bohren. VDI-Berichte 988 (1993) S. 331-344[NAK92] Nakayama, K: Persönliche Mitteilung, 1992[OKU59] Okushima, K.; Minato, K.: On the behaviour of chip in steel cutting. Bulletin of the

Japan Society of Mechanical Engineers, 2 (1959) 5, p. 58-64[PAT87] Patzke, M.: Einfluss der Randzone auf die Zerspanbarkeit von Schmiedeteilen. Dr.-Ing.

Diss. Universität Hannover 1987[STA90] Stahl-Eisen-Liste. Verein deutscher Eisenhüttenleute. Düsseldorf: Verlag Stahleisen 8.

Auflage 1990[WIN82] Winkler, H.: Zerspanbarkeit von niedriglegierten Kohlenstoffstählen nach gesteuerter

Abkühlung. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover 1982

Weiterführende Literatur

Crafoord, R.; Kaminski, J.; Lagerberg, S.; Ljungkrona, O.; Wretland, A.: Chip control in tube turn-ing using a high-pressure water jet. Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part B: Journal of Engineering Manufacture 218 (1999) 8, p. 761-767

Jawahir, I. S.; van Lutterfelt, C. A.: Recent developments in chip control research and applications. Annals of the CIRP 42 (1993) 2, p. 659-93

Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren Bd. 1: Drehen, Fräsen, Bohren. 8. Aufl. Springer Ver-lag Berlin, Heidelberg, New York 2008

Weiterführende Literatur

Page 69: Spanen ||

50

Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren Bd. 2: Schleifen, Honen, Läppen. 4. Aufl. Springer Verlag Berlin, Heidelberg 2005

Nakayama, K.; Arai, M.: Comprehensive chip form classification based on the cutting mechanism. Annals of the CIRP 41 (1992) 1, p. 71-74

Strenkowski, J. S.; Athavale, S. M.: A partially constrained Eulerian orthogonal cutting model for chip control tools. Journal of Manufacturing Science and Engineering, 119 (1997) 4B, p. 681-688

3 Spanformung

Page 70: Spanen ||

51

Zur Auslegung von Maschinen, Werkzeugen, Spannzeugen und überhaupt des ge-samten Prozesses ist die Kenntnis von Kräften und Leistungen, die beim Spanen auftreten, unerlässlich. Daher wurden verschiedene Ansätze entwickelt, diese Pro-zessgrößen vorherzubestimmen. Es sind dies

• Ansätze unter Nutzung empirischer Modelle, bei denen auf experimentellen Er-gebnissen aufgebaut wird,

• analytische Modelle auf der Grundlage der elementaren Plastomechanik• und Ansätze mit der Finite-Elemente-Methode (FEM).

Empirische Modelle sind geeignet, Leistungen und Kräfte in einem begrenzten Gül-tigkeitsbereich mit guter Genauigkeit wiederzugeben. Eine Schwierigkeit besteht im Allgemeinen darin, die Gültigkeitsgrenzen zu bestimmen. Dennoch haben sich in der Praxis die auf dieser Methode beruhenden Rechenverfahren weitgehend ein-geführt, weil sie einfach zu handhaben sind. Ob sie noch innerhalb gegebener Gül-tigkeitsgrenzen angewandt werden, sollte kritisch betrachtet werden.

Analytische Modelle auf der Grundlage der elementaren Plastomechanik können meist nicht den Anspruch erheben, im Einzelfall exakte Ergebnisse zu liefern. Sie haben aber den großen Vorteil, die Zusammenhänge der wichtigsten Eingangsgrö-ßen eines Prozesses in Form von Gleichungen wiederzugeben. Daraus lassen sich dann die „Stellschrauben“ zur Beeinflussung des Prozesses ableiten im Sinne einer Tendenzanalyse.

Mit der Finite-Elemente-Methode lassen sich Leistungen und Kräfte – und auch weitere Größen wie Verschiebungen, Bahngeschwindigkeiten, Dehnungen, Span-nungen und auch thermische Größen – weitgehend exakt ermitteln. Allerdings ist der Modellierungsaufwand und je nach Modellierung auch der Rechenaufwand er-heblich. Da inzwischen sehr leistungsfähige Rechenprogramme existieren, die den Modellierungsaufwand mindern, und weil mit schnellen Rechnern auch der Rechen-zeitaufwand begrenzt werden kann, wird die FEM in Entwicklungsabteilungen und in der Forschung zunehmend eingesetzt. Allerdings ist Voraussetzung für eine zu-verlässige Rechnung, dass das Stoffverhalten des Werkstoffes und die Kontaktbedin-gungen zwischen Werkstoff und Werkzeug ausreichend genau modelliert werden.

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 4Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 71: Spanen ||

52

4.1 Empirische Modelle

Der Werkstoff setzt dem Eindringen des Schneidkeils einen Widerstand entgegen, der durch Aufbringen einer Kraft, der Zerspankraft Fz, überwunden werden muss. Diese Zerspankraft steht im Allgemeinen schräg im Raum (Abb. 4.1). Sie wird zweckmäßig in einem rechtwinkligen Koordinatensystem zerlegt, das zwei Achsen in den Richtungen der Schnitt- und der Vorschubbewegung hat. Damit lassen sich die entsprechenden Kräfte und Leistungen unmittelbar den Bauteilen und Antrieben der Maschine zuordnen. In der aus Schnitt- und Vorschubvektor gebildeten Arbeits-ebene liegt die Aktivkraft Fa, also die vektorielle Summe aus Schnittkraft Fc und Vorschubkraft Ff,

(4.1)

senkrecht dazu liegt die Passivkraft Fp und folglich gilt

(4.2)

Die Passivkraft trägt nicht zur Leistungsumsetzung bei, da in ihrer Richtung keine Bewegung zwischen Werkzeug und Werkstück stattfindet. Sie ist jedoch für die Abdrängung von Werkzeug und Werkstück je nach Steifigkeit der im Kraftfluss liegenden Bauteile und damit für Maß- und Formfehler wesentlich.

Die für das Spanen erforderlichen Leistungen ergeben sich als Produkt aus den Geschwindigkeitskomponenten und den in ihrer Richtung wirkenden Komponen-ten der Zerspankraft. Damit erhält man die Leistungen zu:

Fa = Fc + Ff

Fz = Fa + Fp.

Abb. 4.1 Komponenten der Zerspankraft beim Drehen (nach DIN 6584)

Werkst ck

ArbeitsebeneFz

Werkzeug

ve

vc

vf

Fp

Ff

Fc Fa

0

η

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 72: Spanen ||

53

Schnittleistung (4.3)

Vorschubleistung: (4.4)

Üblicherweise gilt:

woraus folgt

Zur Ermittlung der für die Zerspanung notwendigen Antriebsleistung einer Werk-zeugmaschine sind daher die Schnittleistung und die Schnittkraft wichtig. Die Schnittkraft ist in der Regel größer als die Vorschubkraft. Da auch die Schnittge-schwindigkeit größer ist als die Vorschubgeschwindigkeit, ergibt sich durch Pro-duktbildung eine für die Zerspanung notwendige Schnittleistung, die sogar deutlich oberhalb der Vorschubleistung liegt.

Bei der Auslegung moderner Werkzeugmaschinen spielen allerdings die erfor-derlichen Schnitt- und Vorschubleistungen in der Regel eine untergeordnete Rolle. Die Anwender von Werkzeugmaschinen fordern geringe Nebenzeiten und damit kurze Beschleunigungszeiten der Antriebe. Die installierten Beschleunigungsleis-tungen liegen deshalb teilweise um ein Vielfaches über der allein für den Zerspan-vorgang nach Gl. 4.3 und 4.4 ermittelten Leistungen Pc und Pf

Üblicherweise wird die Schnittkraft auf den Spanungsquerschnitt A = ap ⋅ f bzw. b ⋅ h bezogen und als spezifische Schnittkraft kc bezeichnet. Dann ist

(4.5)

Die Schnittkraft hängt von einer Vielzahl von Größen ab. Dazu gehören

• Die Werkstoffeigenschaften (Festigkeit, Formänderungsvermögen, Fließkurve),• Die Schnittgeschwindigkeit,• Die Form des Spanungsquerschnittes (Verhältnis ap/f bzw. b/h),• Die Winkel des Schneidkeils und• Die Kontaktbedingungen zwischen Werkstoff und Schneidkeil,

wobei durchaus Wechselwirkungen zwischen mehreren der genannten Einflüssen und der Kraft bestehen. Der allgemeine funktionale Zusammenhang zwischen der spezifischen Schnittkraft und den Einflussgrößen wird angeschrieben zu

(4.6)

Darin ist kc0 die spezifische Schnittkraft, die für festgelegte Bezugsgrößen der Ein-flussparameter h, b, γ, vc, µ etc. gilt. Ψ0 ist eine Funktion, die die Einflüsse dieser Einflussparameter und die Wechselwirkungen zwischen ihnen berücksichtigt. Ψ0 ist dimensionslos.

Zum Trennen einer Volumeneinheit Vw ist die Schnittarbeit Wc zu verrichten. Die hierzu korrespondierende spezifische Schnittenergie ec ist

(4.7)

Schnittleistung : Pc = Fc · vc

Vorschubleistung : Pf = Ff · vf

Fc > Ff und vc vf

Fc = kc · A

kc = kc0 · 0(kc0; h; b; γ ; vc; µ . . . ..)

ec =Wc

Vw=

Pc

Qw=

Fc · vc

Qw=

kc · b · h · vc

b · h · vc

= kc

4.1 Empirische Modelle

Pc Pf

Page 73: Spanen ||

54

Wie aus dieser Gleichung hervorgeht, ist die spezifische Schnittkraft kc eine ener-getische Größe, was ihrer physikalischen Bedeutung korrekt entspricht; denn tat-sächlich ist kc nicht eine auf den Spanungsquerschnitt wirkende Kraft, also eine Spannung, sondern eine Energie je Volumeneinheit oder eine Leistung je Volumen-rate mit der Dimension J/mm3.

kc hängt von der Form des Spanungsquerschnittes ab, der durch die Spanungs-größen h und b oder die Schnittgrößen ap und f bzw. bei mehrschneidigen Werk-zeugen ap und fz definiert ist. Dass der Einstellwinkel κ in Gl. 4.6 nicht explizit berücksichtigt wird, geht auf eine Überlegung von O. Kienzle zurück [KIE54], die idealisierte plastomechanische Vorgänge beim Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide zu Grunde legt.

Abbildung 4.2 erläutere die Überlegung von O. Kienzle: Sie legt nahe, dass die Spanungsbreite b in guter Näherung proportional in die Schnittleistung eingeht; denn das Formänderungsgeschehen vor dem Schneidkeil ändert sich mit Variation von b nicht, solange b >> h ist, d.h. solange Randeinflüsse der Spanbildung an der freien Oberfläche und am unverformten Werkstückmaterial vernachlässigt werden können. Danach ändert eine Verdoppelung der Spanungsbreite b an der spezifischen Energie nichts. So lässt sich die Spanungsbreite b als proportionale Einflussgröße einführen. Zugleich ist damit der Einfluss des Einstellwinkels berücksichtigt, wie Abb. 4.2 zeigt.

Die Spanungsdicke h dagegen wirkt sich unmittelbar auf das Formänderungsge-schehen aus. Zum Beispiel ändert sich die Spanstauchung mit der Spanungsdicke. Linearität kann daher nicht unterstellt werden. Tatsächlich zeigen experimentelle Untersuchungen, dass der Faktor kc von der Spanungsbreite in guter Näherung un-abhängig ist aber nichtlinear von der Spanungsdicke h abhängt, wie über einen wei-ten Bereich von h und für verschiedene spanende Verfahren Abb. 4.3 festzustellen ist (logarithmische Teilung der Achsen).

Da die experimentellen Befunde im doppellogarithmischen Diagramm in gu-ter Näherung – jedenfalls abschnittsweise einen Verfahrensbereich überdeckend – durch eine ausgleichende Gerade wiedergegeben werden können (Abb. 4.4), lässt sich eine Potenzfunktion anschreiben1:

1 Im doppellogarithmischen Diagramm gilt die Geradengleichung: lg kc − lg kc1.1 = mc (lg h − lg h0) und damit folgt nach Delogarithmieren Gl. 4.6

Abb. 4.2 Spanungsquerschnitt mit Spanungsgrößen

b

bb

h

h h

vf

vfvf

κ = 0° κ = 90° 0 < κ < 90°

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 74: Spanen ||

55

Abb. 4.3 Spezifische Schnittenergie und Spanungsdicke für Stahlwerkstoffe

Polieren

Schleifen

Reiben

Drehen, Bohrenund Fräsen

spez

. Ene

rgie

kc

bzw

. Wc/

Vw

Spanungsdicke h10–6 10–4 10–3 10–2 1 mm10–110–5 101

103

2

4

68

104

2

4

6105

MPa

2

4.1 Empirische Modelle

Abb. 4.4 Spezifische Energie über der Spanungsdicke

Werkstückstoff : 20 MnCr 5 BGSchnittgeschw. : vc = 100 m.min–1

Schnitttiefe : ap = 3 mmSchneidstoff : Hartmetall P10

5° 0° 70°90°6° 0,8 mm

kc1.1 = 1510 MPamc = 0,24

mc = - lg(kc/kc1.1)

lg(h/ho)

spez

ifisc

he E

nerg

ie k

c

3,16

GPa

2,0

1,6

kc1.1

kc

1,25

1,00,16 0,25 0,4 0,63 1,0 mm 2,5

Spanungsdicke h

α γ λ ε κ rε

h ho

Page 75: Spanen ||

56

(4.8)

worin h0 eine Bezugsgröße ist. kc1.1 ist der Hauptwert, –mc der Anstiegswert der spezifischen Schnittkraft. kc1.1 wird seit der Schreibweise von Kienzle zu h0 = 1 mm angegeben.2 Das hat allerdings zur Folge, dass kc1.1 in der Regel nicht direkt zur Leistungsberechnung durch Multiplikation mit der Volumenrate angesetzt werden kann; denn selbst bei Schruppvorgängen ist h meist erheblich kleiner als 1 mm. Eine Umrechnung auf eine eher praxisgerechte Spanungsdicke erfolgt nach der Be-ziehung:

(4.9)

oder z. B. für hx = 0.5 mm kc1.0,5 = kc1.1 · ( 10.5 )−mc

Für wichtige Werkstoffe sind die spezifischen Schnittenergien für die Bezugs-größe h = 1 mm und der Anstiegswert –mc in Tab. 4.1 eingetragen [SAN05].

Nach Formulierung der spezifischen Energie durch die Kienzle-Gleichung lässt sich als Grundgleichung der Leistungsbestimmung für das Spanen anschreiben:

(4.10)

2 Die Schreibweise kc1.1 wurde von Kienzle gewählt, weil dies der kc-Wert bei den Bezugsgrößen b = 1 mm und h = 1 mm ist.

kc0 = kc1.1 ·(

h

h0

)−mc

kc1.x = kc1.1 ·(

h0

hx

)−mc

Pc = kc1.1 ·(

h

h0

)−mc

· Qw · 0

Tab. 4.1 Spezifische Zerspankräfte für das Drehen (nach Dubbel)

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 76: Spanen ||

57

Mit einem Produktansatz für Ψ0 werden weitere Größen erfasst:

(4.11)

Der Winkel am Schneidkeil, der das Verformungsgeschehen am stärksten beein-flusst, ist der Spanwinkel γ bzw. γr. Daraus ist zu schließen, dass auch der Leis-tungsbedarf vom Spanwinkel abhängt. Für die Stahl- und Gussbearbeitung wurde in Versuchen in guter Näherung eine lineare Abhängigkeit im praktisch üblichen Bereich des Spanwinkels festgestellt (Abb. 4.5).

Für Stahl Ck 45 gilt in guter Näherung

(4.12)

und für Gusseisen mit Lamellengraphit (GGL)

(4.13)

Aus dem Vergleich der Geraden in Abb. 4.5 kann man folgern, dass der Einfluss des Spanwinkels auf die spezifische Energie mit der Verformungsfähigkeit oder der Bruchdehnung wächst.

Auch über den Einfluss der Schnittgeschwindigkeit vc liegen experimentelle Befunde vor. Die Arbeiten über das Hochgeschwindigkeitsspanen [BEN03] haben gezeigt, dass sich die Leistung bei hohen Schnittgeschwindigkeiten oberhalb einer Grenzgeschwindigkeit vcc (siehe dazu auch Abschn. 8) in erster Näherung propor-

0 = ψγ · ψvc · ψµ · 1 (kc; h; b; γ ; vc; . . . ..)

ψγ =(

1.09 − 0.09 ·γ

γ0

)mit γ0 = 6

ψγ =(

1.03 − 0.09 ·γ

γ0

)mit γ0 = 2

Abb. 4.5 Einfluss des Spanwinkels

Stahl Ck45

Gusseisen GGL

0 10–5–10

1,4

1,3

1,2

1,1

1,0

0,9

0,8

Ein

fluss

gre

ψγ

Spanwinkel γ °

4.1 Empirische Modelle

Page 77: Spanen ||

58

tional zur Schnittgeschwindigkeit verhält, das heißt, ψv ist konstant. Zu geringeren Schnittgeschwindigkeiten hin steigt ψv an. Bei vc = 0 wird ψv = ψv0 gesetzt. Eine vereinfachte Darstellung gibt Abb. 4.6 wieder.

Daraus lässt sich eine Näherung für den Einfluss der Schnittgeschwindigkeit ableiten:

(4.14)

mit der Überhöhung der spezifischen Energie: α =ψv0

ψv.

(4.15)Die Kontaktbedingungen können sich z. B. durch unterschiedliche Reibung ändern. Untersuchungen zeigen, dass der Einfluss des Kühlschmierstoffs (Emulsion oder Mineralöl) nicht groß ist und vernachlässigt werden kann. Anders ist das für Be-schichtungen der Schneidkeile; denn durch sie kann sich der Reibwert gegenüber unbeschichtetem Hartmetalle µu deutlich ändern. Reibkontakt zwischen dem Werk-stoff besteht an der Freifläche und an der Spanfläche. Eine Abschätzung des Reib-einflusses ergibt

(4.16)

mit R = eγ/eΦ als dem Verhältnis der Reibenergie zur Umformenergie, µu als dem Reibwert ohne Beschichtung und µ als dem durch Beschichtung verringerten Reib-wert (siehe auch Abschn. 7: Schneidstoffe). In der Literatur werden Verhältnisse R = 0,15 bis 0,3 angegeben. Mit R = 0,15 ist ψµ maximal. Der Einfluss auf die spezifische Leistung ist vergleichsweise gering. Er liegt in der Größenordnung von +/– 0,10.

für vc < vcc gilt: ψv = (1 − α) · vc/vcc + α

für vc ≥ vcc gilt: ψv = 1

ψµ =1 + (µ/µu) · R

1 + R

Abb. 4.6 Schnittgeschwin-digkeitseinfluss

Ein

fluss

sgr

e ψ

υ

Schnittgeschwindigkeit

vcc vc

ψυ∞

ψυ0

ψυ

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 78: Spanen ||

59

Die in Gl. 4.9 angeschriebene Formel kann näherungsweise nach den Faktoren ψγ , ψv und ψµ abgebrochen werden. Das Residuum Ψ1 in Gl. 4.11 lässt sich in An-betracht der mit den experimentellen Befunden ohnehin begrenzten Genauigkeit vernachlässigen.

Nach Gl. 4.3 ist die Schnittkraft unmittelbar aus der Leistung zu berechnen. Es ist

(4.17)

Die Arbeiten von O. Kienzle hatten ursprünglich zum Ziel, die Schnittkraft und nicht die zum Spanen erforderliche Leistung zu ermitteln. kc wurde entsprechend Gl. 4.5 angeschrieben zu

(4.18)

und damit nach Gl. 4.8

(4.19)

Versuche zur Erfassung der Schnittkraft wurden von Kienzle und Victor mit Hilfe der in Abb. 4.7 abgebildeten Anordnung durchgeführt. Dabei wird das Drehmoment über Dehnmessstreifen aufgenommen, und daraus die Schnittkraft abgeleitet. Heute werden die Zerspankraftkomponenten meist piezoelektrisch aufgenommen.

Fc = Pc/vc

Fc = kc · b · h

Fc = kc1.1 · b · h0 ·(

h

h0

)1−mc

· 0

Abb. 4.7 Schnittmomenten-Messnabe (nach Kienzle und Victor)

Trägerscheibe 3 Dehnmessstreifen 6Biegestab als Mitnehmerbolzen 4

Drehherz 5

Körnerspitze auf Wälzlagern 2

Schleifring 7

Biegestab als Mitnehmer-bolzen 4

Drehherz 5

Dehnmessstreifen 6Anzeigegerät der Wheatstone'schen Brücke 9

Bürste 8

Werkstück

Schema

4.1 Empirische Modelle

Page 79: Spanen ||

60

Piezoelektrische Materialien wie bestimmte Kristalle, z. B. Quarz (SiO2) oder Keramiken, erzeugen bei mechanischer Belastung als Folge der elastischen Ver-formung Ladungen. Diese werden in geeigneten Verstärkern in Spannungssignale umgesetzt. Als Sensoren dienen häufig dünne Quarzkristallscheiben, die je nach ihrer kristallographischen Orientierung schub- oder drucksensitiv sind. Werden also drei entsprechend orientierte Scheiben aufeinander angeordnet und verspannt (um durch Reibung Schubkräfte und durch die Vorspannung auch Zugkräfte aufnehmen zu können), lassen sich mit einem derartigen Element Komponenten in 3 Raum-richtungen aufnehmen. Solche Pakete werden kompakt gebaut, weisen eine hohe Steifigkeit auf und haben damit auch eine hohe Eigenfrequenz, was für dynamische Untersuchungen wichtig ist. In Abb. 4.8 sind 2 Schubquarze über und unter einem Druckquarz angeordnet. Einer der Hersteller, die Kistler Instrumente AG, Winter-thur/Schweiz gibt für seine Produkte einen Übersprechfehler von weniger als 1 % an [KIS09].

Durch geschicktes Zusammenschalten von 4 Paketen, wie in Abb. 4.9 zu se-hen, gelingt es, 3 Kraftkomponenten und bis zu 3 Momente zu erfassen. Dabei wird jedenfalls bei der gezeigten Bauart erreicht, dass die Kräfte im Raum weit-gehend unabhängig von der Lage ihrer Wirkungslinie erfasst werden können, was den Mess- und Auswerteaufwand erheblich verringert. Das Zusammenschalten der 4 Pakete S1 bis S4, in denen jeweils 3 Kraftkomponenten Fx, Fy und Fz gemessen werden, ergeben die globalen Größen wie folgt [KIS09]

(4.20)

(4.21)

(4.22)

Fx = Fx1+2 + Fx3+4

Fy = Fy1+4 + Fy2+3

Fz = Fz1 + Fz2 + Fz3 + Fz4.

Abb. 4.8 Piezoelektrische 3-Komponenten-Kraftmes-sung (nach Kistler)

Fx

Fx

Fz

Fz

Fy

Fy

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 80: Spanen ||

61

(4.23)

(4.24)

(4.25)

Die Rechnungen lassen sich analog in einem Summier-Rechner oder in einem Digi-talrechner ausführen. Kistler gibt an, dass für eine genaue Momentenmessung eine Kalibrierung notwendig ist [KIS09].

4.2 Modellierung der Vorschub- und Passivkraft

Die beiden übrigen Komponenten der Zerspankraft sind zur Auslegung von Ma-schinenbaugruppen und aus Genauigkeitsgründen von Interesse. Für die Bemes-sung von Vorschubantrieben kann die Vorschubkraft Ff gefragt sein, obwohl in modernen automatisierten Maschinen meist die notwendigen Beschleunigungen

Mx = b × (Fz1 + Fz2 − Fz3 − Fz4)

My = a × (−Fz1 + Fz2 + Fz3 − Fz4)

Mz = b × (−Fx1+2 + Fx3+4) + a × (Fy1+4 − Fy2+3)

Abb. 4.9 Dreikomponenten Schnittkraftmesser (nach Kistler)

Fx1+2

Fx3+4Fy1+4

Fy2+3Fz1

Fz2

Fz3Fz4

Sensor 4

Sensor 3 Sensor 2

Sensor 1

Fx

FzMz

Mz

My

a

a

bb

4.2 Modellierung der Vorschub- und Passivkraft

Page 81: Spanen ||

62

die vom Prozess herrührenden Vorschubkräfte weit überwiegen. Die Passivkraft Fp geht – lineares Systemverhalten vorausgesetzt – proportional in die elastische Ab-drängung von Werkzeug und Werkstück ein und bestimmt damit Maß- und Form-fehler. Während z. B. beim Drehen aus der i. Allg. größeren Schnittkraft Fehler 2. Ordnung folgen

(4.26)

bewirkt die Passivkraft Fehler 1. Ordnung

(4.27)

Die Drangkraft Fd ist die vektorielle Summe aus Passiv- und Vorschubkraft

(4.28)

Bei üblichen Einstellbedingungen (h<<b, d.h. ohne Randeinflüsse des Spanungs-querschnitts) steht die Drangkraft aus Symmetriegründen senkrecht auf der Haupt-schneide. Damit liegt das Verhältnis von Passiv- zu Vorschubkraft fest

(4.29)

(4.30)

(4.31)

Als Richtwert zur Abschätzung der Drangkraft gilt

(4.32)

In Anlehnung an die Modellierung der Schnittkraft Fc lassen sich auch Potenzansät-ze für die Vorschub- und Passivkraft angeben, wobei allerdings auch hier unterstellt wird, dass die Spanungsbreite proportional in die Passiv- und Vorschubkraft ein-gehen, was hier weniger zutrifft als für die Schnittkraft.

(4.33)

(4.34)

Die Haupt- und Anstiegswerte der spezifischen Vorschub- und Passivkräfte für ei-nige wichtige Metalle sind in Tab. 4.1 enthalten.

d =2

d·(

Fc

cy

)2

d = 2 ·Fp

cx

→F d =

→Ff +

→F p.

Ff = Fd · sin κ

Fp = Fd · cos κ

Ff

Fp= tan κ.

Fd ≈ 0.7 · Fc (h b).

Ff = kf1.1 · b · h0 ·(

h

h0

)1−mf

Ff = kf1.1 · b · h0 ·(

h

h0

)1−mf

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 82: Spanen ||

63

Wie in Abschn. 4.1 erläutert, lassen sich auch hier andere Bezugsgrößen als h0 = 1 mm und b0 = 1 mm einführen. Es gelten dann entsprechende Beziehungen wie in Gl. 4.8.

4.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil

Mit den gezeigten Messanordnungen können die Zerspankräfte nur integral aufge-nommen werden. Die Messungen geben keinen Hinweis auf die Oberflächenkräfte, d.h. auf die Verteilung der Kräfte über die Kontaktflächen. Zum einen wird jedoch tatsächlich die Zerspankraft sowohl über die Spanfläche als auch die Freifläche ein-geleitet, zum anderen sind die Kräfte flächenmäßig verteilt. Abbildung 4.10 gibt eine Aufteilung auf Span- und Freifläche wieder, wobei quasi-orthogonales Spanen voraus-gesetzt ist. Zur Messung der Oberflächenkräfte werden folgende Methoden eingesetzt:

• Spannungsoptik (Schneidkeil aus aktivem Material),• Variation der Kontaktflächen,• Geteilte Schneidkeile.

Der Literatur [ZOD67, KAT57, UST60] lassen sich die in Abb. 4.11 dargestellten charakteristischen Verteilungen auf der Spanfläche für das Orthogonaleinstechdre-hen entnehmen.

Abb. 4.10 Oberflächenkräfte am Schneidkeil

Kontaktflächen:KL : Kontaktlänge auf SpanflächeVB : Kontaktlänge auf Freiflächeb : Breite des Keils

SchneidkeilBreite b

SchneidkeilBreite b

Fc = ∫ bσγy dx + ∫ bταy dy

Fp = ∫ bσαx dy + ∫ bτγx dx

KL

KL

KL

VB

VB

0

0 0

0

y

xz

Fp

Fc

VB

α

α

σγy

τγx

ταy

σαx

4.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil

Page 83: Spanen ||

64

Ziebeil nutzt einen geteilten Schneidkeil, so dass Kraftanteile auf der Spanflä-che bei unterschiedlich langen Kontakten KL im Orthogonalschnitt aufgenommen werden können [ZIE95]. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Schnittkraft nur über die Spanfläche eingeleitet wird. Kraftanteile in Schnittkraftrichtung an der Freiflä-che werden vernachlässigt. Abbildung 4.12 zeigt den Normalspannungsverlauf bei unterschiedlichen Schnittgeschwindigkeiten für eine Aluminiumlegierung.

Eine Abschätzung der Kraftanteile auf Span- und Freifläche kann alternativ zu diesen aufwändigen Messungen eine einfache Betrachtung diskreter Kräfte leisten

Abb. 4.11 Spannungsverteilungen auf der Spanfläche [ZIE95]

nach Zorev(Rechnung)

nach Kattwinkel nach Usui und Takeyama(Spannungsoptische Messungen an Blei)

Werkzeug Werkzeug Werkzeug

extrapoliertKL : Kontaktlänge

Nor

mal

- u

. Sch

ubsp

annu

ng σ

γ, τ γ

KL KL KL

α + γ α + γ α + γ

σγ

σγ

σγ

τγ τγ

τγ

Abb. 4.12 Normalspannungen auf der Spanfläche [ZIE95]

Kontaktlänge KL

Schnittbedingungen:

Werkstoff : Al Cu Mg PdSchneidstoff : Al2O3/ZrO2 f = 2 mm

vc = 800 m/min

vc = 200 m/min

vc = 100 m/min

Nor

mal

span

nung

1000

MPa

600

400

200

0

vc = 400 m/min

0 0,2 0,4 0,6 0,8 mm 1,2

γ = – 6°α = 6°

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 84: Spanen ||

65

(Abb. 4.13). Vorausgesetzt wird ein bekanntes Reibgesetz, z. B. das Coulombsche Gesetz, das an Frei- und Spanfläche gleichermaßen gilt.

(4.35)

(4.36)

Aus der Kräftesumme folgt weiterhin

(4.37)

(4.38)

Damit lassen sich aus gemessenen Kräften Fc und Fd die Normallkraftanteile auf die Span- und Freiflächen bestimmen:

(4.39)

und

(4.40)

Die Tangentialanteile ergeben sich nach Coulomb durch Einsetzen in Gl. 4.35 und 4.36.

Beispiel: Für einen Schrupp-Schlichtdrehprozess seien folgende Zahlenwerte angenommen:

Dann ergeben sich folgende Kraftanteile:

FγN = 0.9 Fc, FαN = 0.33 Fc oder FαN = 0.56 Fd, FγT = 0.27 Fc oder FγT = Fd und FαT = 0.1 Fc

FαT = µ · FαN

FγT = µ · FγN

FγN + FαT = Fc

FαN + FγT = Fd

FγN =1

1 − µ2× (Fc − µ × Fd)

FαN =1

1 − µ2× (Fd − µ × Fc)

µ = 0.3 und Fd = 0.7 Fc

Abb. 4.13 Diskrete Kraft-anteile auf der Span- und Freifläche

FγN

FαT

FαN

FγT

4.3 Oberflächenkräfte am Schneidkeil

Page 85: Spanen ||

66

Diese Zahlenwerte stimmen in guter Näherung mit den von Denkena [DEN92, SPA67] angegebenen überein.

4.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik

Die Theorie der Plastomechanik führt die Kraft- und Leistungsbestimmung auf werkstoffkundliche Grundgrößen und die allgemeine Beschreibung des Stoffver-haltens bei bildsamer Formgebung zurück. Die elementare Theorie, für die hier zwei Beispiele gegeben werden, verwendet stark vereinfachende Modelle der Ki-nematik (Verschiebungen und Formänderungen) und der Kinetik (Spannungen und Kraftwirkungen). Diese Ansätze gewinnen ihren Wert weniger dadurch, dass sie Kräfte und Leistungen exakt beschreiben können, sondern vielmehr dadurch, dass sie wichtige Eingangs- und Prozessgrößen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit dar-stellen.

4.4.1   Theorie nach Ernst und Merchant

Ernst und Merchant [ERN41] nehmen für ihre Theorie an, dass

• Orthogonales Spanen, d.h. ebene Formänderung vorliegt,• Die Zerspankraft senkrecht zur Arbeitsebene linienförmig in den Schneidkeil

eingeführt wird,• Coulombsche Reibung besteht,• Die Formänderung allein in der Scherebene stattfindet (Scherebenenmodell) und• Der Spannungszustand über der Scherebene konstant ist.

In Abb. 4.14 ist die zwischen Werkzeug und Werkstück wirkende Zerspankraft in drei Systemen auf rechtwinklig zueinander stehende Komponenten (Thaleskreis über Fz) zerlegt. Aus den eingetragenen Kräften lässt sich die Schubspannung in der Scherebene τφ berechnen:

(4.41)

Die Scherebene liegt dort, wo die Schubspannung τφ maximal ist. Der zugehörige Scherwinkel φ ergibt sich durch Nullsetzen der ersten Ableitung der Funktion τφ (φ)

(4.42)

nach einiger Umformung zu

(4.43)

τφ =Fz

b · h· cos (φ + ρ − γ ) · sin φ

dτφ

dφ= 0

cos (φ + ρ − γ + φ) = 0

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 86: Spanen ||

67

wobei nur Werte für φ < 90ˆsinnvoll sind. Folglich gilt die Scherwinkelbeziehung nach Ernst und Merchant

(4.44)

4.4.2   Theorie nach Hucks

Auch die Theorie von Hucks gibt die Voraussetzungen Orthogonalschnitt, Scher-ebenenmodell, Coulombsche Reibung (Reibwert µ) und konstante Schubspannung in der Scherebene vor [HUC54]. Weiter gilt, dass der Span frei über der Spanfläche abfließt, d.h. die Normalspannung auf der Spanfläche verschwindet (σTγ = 0). Die Ableitung der Scherwinkelbeziehung nach Hucks erfolgt nach Abb. 4.15.

Aus dem Mohrschen Spannungskreis folgt

(4.45)

und aus dem Richtungsfeld

(4.46)

φ =π

4−

ρ

2+

γ

2.

tan ω =2τy

σNy

= 2µ

π

2= φ +

π

4+ ω − γ

Abb. 4.14 Kräftegeometrie beim Orthogonalschnitt

Scherebene

Span

Schneidkeil

Werkstück

h vc

FpFz

FTγ

FNγ

Fc

FNφFTφ

α

γ

η

ρ – γ

φ

ρ

ϑ

4.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik

Page 87: Spanen ||

68

Es ergibt sich schließlich folgende Gleichung

(4.47)

Abbildung 4.16 stellt die Scherwinkelbeziehungen nach Ernst und Merchant sowie Hucks graphisch dar. Darüber hinaus sind ca. 20 weitere Scherwinkelbeziehungen bekannt, deren allgemeine Form sich wie folgt angeben lässt:

(4.48)

φ =π

4+ γ −

1

2arctan 2 µ

φ = f (ρ, γ , ...)

Abb. 4.15 Scherwinkelbeziehung nach Hucks

Spannungs-zustand in derScherebene

Scherebene

Richtungsfeld

1;3: Hauptnormal- spannungs- ebene

MohrscherSpannungskreis

ωγ

π4

π4

φvc

3

1ασNγσNγ

σTγ

σTγ

σ

σ1

σNγ

2ωσ3

τTγ

τmax

σTγ

τγ

γ

τγ

τγτγ

Abb. 4.16 Gegenüberstellung von Scherwinkelbeziehungen

Winkeldifferenz ρ – γ

Sch

erw

inke

l Φ

70

Grad

Grad

50

40

30

20

200–10–20 30 40 60

10

100

Lee und Shaffer / Krystof

Ernst und Merchant

Hucksπ4

12

π4 2

γ ρ2Φ = + –

π4

Φ = + γ – ρ

Φ = + γ – arctan(2 µ)

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 88: Spanen ||

69

Mit dem Scherwinkel lässt sich der schubverformte Querschnitt Aφ = b ⋅ h/sinφ bestimmen. Mit der Scherspannung τφ = τmax ergibt sich daraus die Scherkraft FTφ und mit den bekannten Winkeln φ und ρ die Zerspankraft und ihre Komponenten. Die Scherspannung lässt sich aus plastomechanischen Grundversuchen gewinnen [DOE86, ELM04].

4.4.3   Fließkurven und Stoffgesetze

Die Spannungen, die erreicht werden müssen, damit der Werkstoff sich plastisch verformt oder fließt, werden meist experimentell in einachsigen Grundversuchen, im Zug- oder Druckversuch, seltener im Torsionsversuch oder auch in dem Spanen technologisch näher liegenden Experimenten [ALS01] ermittelt. Die wichtigsten Einflussgrößen auf die Formänderungsfestigkeit sind die Temperatur, die Form-änderung (Dehnung, Stauchung oder Schub) und die Formänderungsgeschwin-digkeit. Während in der Umformtechnik wie z. B. beim Schmieden, Fließpressen oder Tiefziehen meist mit quasistationären Formänderungsgeschwindigkeiten bis φ = 50 s–1 gearbeitet wird, treten beim Spanen Formänderungsgeschwindigkeiten bis zu 104 s–1 und beim Hochgeschwindigkeitsspanen bis 106

s–1 auf. Daher lassen

sich Fließkurven, die für umformtechnische Analysen bestimmt wurden, nicht auf das Spanen übertragen. Fließkurven für hohe Geschwindigkeiten findet man inzwi-schen in der Literatur [z. B. TÖH05]. Für Kohlenstoffstahl CK45N sind beispielhaft Fließkurven bis zu φ = 5.000 s–1, φmax = 0.7 und θmax = 1.000 °C dargestellt. Abbil-dung 4.17 zeigt den Einfluss von Temperatur und Formänderungsgeschwindigkeit

4.4 Analytische Ansätze aus der Plastomechanik

Abb. 4.17 Formänderungsfestigkeit, Temperatur und Formänderungs-geschwindigkeit

1000

1000

MPa

600

600

400

400

200

2000

0Temperatur

For

män

deru

ngsf

estig

keit

Ck45Nϕ = 0,1

ϕ = 0,1 s–1

ϕ = 700–1000 s–1

°C

Page 89: Spanen ||

70

auf die Formänderungsfestigkeit. Als Folge der dynamischen Verfestigung (dyna-mische Reckalterung) steigt die Formänderungsfestigkeit bei diesem Werkstoff im Bereich von 250 bis 400 °C deutlich an.

Abbildung 4.18 gibt die Formänderungsfestigkeit in Abhängigkeit von der Formänderung bei einer Temperatur von 300 °C und 900 °C für eine Formände-rungsgeschwindigkeit von 5.000 s–1 wieder. Wie zu erwarten liegt die Formän-derungsfestigkeit bei 900 °C niedriger als bei 300 °C. Sie fällt mit zunehmender Formänderung ab, weil wegen annähernd adiabater Umformung die Temperatur in der Umformzone steigt.

Für numerische Rechnungen werden die Zusammenhänge von Formänderungs-festigkeit, Formänderungsgeschwindigkeit, Formänderung und Temperatur in komplexen Funktionen dargestellt, was wegen der Wechselwirkungen zwischen den Größen und dem unregelmäßigen Verlauf der Funktionen nicht trivial ist. Sol-che Funktionen heißen Stoffgesetze oder Fließgesetze. In den kommerziellen Pro-grammsystemen zur numerischen Rechnung plastischer Vorgänge wie MARC oder Deform sind häufig solche Stoffgesetze bereits implementiert. Meist wird das Stoff-gesetz von Johnson/Cook genutzt, nicht zuletzt wegen seiner Einfachheit [JOC85]. In [ELM04] sind Stoffgesetze für das Spanen mit hohen Geschwindigkeiten für Stähle, Titan und eine Aluminiumlegierung formuliert.

In den Fließkurven bzw. Stoffgesetzen wird die Fließspannung oder Formände-rungsfestigkeit kf angegeben, also die Fließgrenze bei einachsigem Spannungszu-stand. Mit Hilfe eines Fließkriteriums lassen sich mehrachsige Normalspannungs-zustände oder Schubspannungen in die einachsige Vergleichsspannung kf übertra-gen. Aus einer Energiebetrachtung ergibt sich daraus auch die Umrechnung von Formänderungen.

Nach dem Fließkriterium von Tresca (Schubspannungshypothese) gilt:

(4.49)τmax =1

2kf

Abb. 4.18 Formänderungsfestigkeit, Temperatur und Formänderung

1000F

orm

nder

ungs

fest

igke

it k f MPa

600

400

200

00 1,2 – 1,8

Form nderung ϕ

Ck45Nϕ = 5000 s–1

0,80,4

300 °C

900 °C

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 90: Spanen ||

71

(4.50)

und nach dem Fließkriterium von v. Mises (Gestaltenergieänderungshypothese):

(4.51)

(4.52)

Damit lassen sich dann die nach den in Abschn. 4.4.1 angeschriebenen Kräfte FTφ, Fz und Fc für den Orthogonalschnitt ermitteln. Die Tangentialkraft in der Scherebe-ne FTφ ist somit

(4.53)

Aus den Kräfteplänen in Abb. 4.13 folgen

(4.54)

und

(4.55)

4.5 Numerische Theorie

Mit der später in Abschn. A vorgestellten Methode der Finiten Elemente lassen sich Spannungen, Kräfte und Temperaturen während des Spanens berechnen. We-gen des numerischen Ansatzes können dabei komplexe Stoffgesetze berücksichtigt werden, worauf in Abschn. 4.4 bereits hingewiesen wurde. Beispielhaft seien hier zwei Stoffgesetze angeführt. Der Ansatz von Johnson/Cook enthält bereits einen dynamischen Anteil

(4.56)

(4.57)

Die fünf Parameter sind werkstoffspezifisch und werden aus Fließkurvenscharen bestimmt. ε und ε stehen für plastische Dehnungen und Dehngeschwindigkeiten. ε0ist eine Bezugsformänderungsgeschwindigkeit. Sie wird zu ε0 = 1s–1 gewählt. ϑ* ist die bezogene Temperatur mit ϑ0 = 293 K als Referenztemperatur und ϑm als Schmelztemperatur des Werkstoffs. Für Stahl Ck45N wird angegeben A = 500 MPa, B = 693 MPa, C = 0,0114, n = 0,36, m = 1 und ϑm = 1808 K [JOC83].

ϕ =1

2γS

τmax =1

√3

kf

ϕ =1

√3γS

FTφ = τmax ·b·h

sin φ.

Fz = FTφ ·1

cos (φ + ρ − γ )

Fc = Fz · sin 2φ.

kf (ε, ε, ϑ) = (A + Bεn) · (1 + C · ln(ε/ε0)) · (1 − (ϑ∗)m)

mit ϑ∗ =ϑ − ϑ0

ϑm − ϑ0.

4.5 Numerische Theorie

Page 91: Spanen ||

72

Ähnlich aufgebaut ist das Stoffgesetz von El-Magd [ELM04]. Es eignet sich für die numerische Behandlung spanender Prozesse deshalb besonders, weil es große Bereiche der Formänderungsgeschwindigkeit, der Formänderung und der Tempera-tur überstreicht. Wie oben erwähnt, treten beim Spanen anders als bei den meisten makroskopischen Umformvorgängen wie beim Walzen, Ziehen, Schneiden oder Tiefziehen um zwei bis drei Zehnerpotenzen größere Formänderungsgeschwindig-keiten auf. Die Formänderungen liegen in der gleichen Größenordnung und der Temperaturbereich, den ein Stoffteilchen während der Spanbildung durchläuft, reicht von Raumtemperatur bis zu 500 °C oder unter besonderen Bedingungen so-gar bis zur Schmelztemperatur.

Auch bei numerischen Rechnungen nach der FEM wird im Allgemeinen von einem Kontinuum ausgegangen, das sich isotrop verhält und das jedenfalls zu Be-ginn der Formänderung homogen ist. Auch Volumenkonstanz kann wegen der gro-ßen plastischen Formänderung vorausgesetzt werden.

Das Stoffgesetz macht die Fließspannung kf von der Formänderung ε, der Form-änderungsgeschwindigkeit ε und der Temperatur ϑ abhängig. Bei El-Magd setzt es sich multiplikativ aus einem isothermen Teil σiso und einem Faktor Ψ (ϑ), der den mit Formänderungsgeschwindigkeit steigenden adiabaten Anteil berücksichtigt, zu-sammen

(4.58)

Die isotherme Fließspannung muss für eine Bezugstemperatur angegeben werden. Häufig wird ϑ0 = 273 K gesetzt. Dann wird aufgrund umfangreicher experimentel-ler Untersuchung angenähert

(4.59)

Darin stecken der Festigkeitsparameter K [MPa] für die Festigkeit des Werkstoffs und die Exponenten n und m für die Verfestigung mit der Formänderung bzw. mit der Formänderungsgeschwindigkeit. η [MPa⋅s] ist ein Viskositätsparameter, der den Hauptteil des Geschwindigkeitseinflusses ausmacht.

Durch die schnelle Umformung in der Spanbildungszone wird die dem Prozess zugeführte Energie, die wie vorn bereits erläutert wurde, fast vollständig in Wärme umgesetzt wird, auf die Spanbildungszone konzentriert, die Umformung ist nahe-zu adiabat – und zwar umso mehr, je größer die Schnittgeschwindigkeit und je geringer die Temperaturleitfähigkeit des Werkstoffes ist. Die Umformung ist mehr oder weniger weit vom isothermen Fall entfernt. Dies kann nach El-Magd durch die Temperaturfunktion Ψ(ϑ) berücksichtigt werden

(4.60)

In dem Exponentialansatz sind zwei Bezugstemperaturen ϑ1 [K] und ϑ2 [K] sowie die dimensionslosen Größen Gewichtungsfaktor Ax und der Exponent µ enthalten. Diese Parameter müssen für jeden Werkstoff aus Versuchen gewonnen werden. Für

kf (ε, ε, ϑ) = σiso (ε, ε, ϑ0) · (ϑ).

σiso (ε, ε) = K · εn · εm + ηε.

ψ(ϑ) = exp

(−

ϑ

ϑ1

)+ Ax exp

(−

ϑ

ϑ2

.

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 92: Spanen ||

73

eine große Zahl von Werkstoffen sind sie tabelliert [ELM04]. Dabei ist einzuräu-men, dass insgesamt acht Parameter in dem hier angeschriebenen Stoffgesetz Auf-wand bedeuten, der aber durch den breiten Gültigkeitsbereich gerechtfertigt werden kann. Die Parameter für Stahl Ck45N sind K = 1341 MPa, n = 0,17, m = 0,01, η = 0,0242 MPa⋅s, ϑ1 = 1300 K, ϑ2 = 700 K, Ax = 0,33 und µ = 7. In Abb. 4.16 sind Fließkurven dargestellt, die von El-Magd aufgenommen wurden.

Daten für die Modelle von Johnson/Cook und El-Magd werden in Stauch- oder Scherversuchen ermittelt. Einen interessanten Ansatz zur Fließkurvenermittlung wählt Altan. Er lässt sich von der Überlegung leiten, sich mit der Datenaufnahme möglichst nahe an den Prozess anzulehnen, für den die Daten auch nachher benötigt werden. Er verzichtet daher auf die klassischen werkstoffkundlichen Grundversu-che und wählt einen Umfangsfräsprozess, mit dem er in einer Rückwärtssimulation aus gemessenen Zerspankraftkomponenten auf die Parameter eines Stoffgesetzes schließt. Von einem Ansatz des Stoffgesetzes nach Johnson/Cook ausgehend

(4.61)

werden die Startwerte (A0, B0, C0, D0, E0, m0 und n0) bestimmt. Dabei wird kf mit dem Algorithmus von Oxley aus den gemessenen Kräften bestimmt [OXL89]. Das Verfahren wird iterativ wiederholt, bis gemessene und aufgrund des Modells er-rechnete Kräfte ausreichend genau übereinstimmen [ALS01].

Mit Hilfe der Stoffgesetze lassen sich über die FEM Kräfte und Spannungen in der Spanbildungszone ermitteln. Abbildung 4.19 zeigt ein Beispiel. Im Teilbild links oben sind die Vergleichsspannungen nach von Mises in einem Moment der Spanbil-

kf = (A + Bεn) (1 + Clnε) (D − Eϑxm)

4.5 Numerische Theorie

Abb. 4.19 Kräfte in der FE-Simulation

Vergleichsspannungnach von Mises beiInkrement 82

PunktXn

PunktX0

Punkt X0Punkt Xn

Knoten K

konstanteSpannung

WerkstückPfad X

Kno

tenk

räfte

ent

lang

des

Pfa

des

X

Pfad X0...n

Kräfte inX-Richtung

Kräfte in X-Richtung

Kräfte inY-Richtung Kräfte in Y-Richtung

Kra

fte a

uf d

asW

erkz

eug

in X

–R

icht

ung

Krä

fte a

ufei

nen

Kno

ten

K

Zeit t

Zeit t

Y

X

Werkzeug

Page 93: Spanen ||

74

dung dargestellt. Die durchgezogenen Linien zeigen Knoten, in denen gleiche Span-nungen wirken. Rechts oben sind die Kräfte in Schnittrichtung über der Zeit bzw. über den Schnittweg nach Eindringen des Schneidkeils dargestellt. Im Teilbild rechts unten wird nur die Kraft an einem Knoten über der Zeit abgebildet (am Knoten K, s. links oben). Schließlich sind links unten die Kraftkomponenten in Schnittrichtung (x) und normal dazu (y) entlang dem Knotenpfad x0 → xn aufgetragen.

4.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren

Die beim Bohren aufzubringende Leistung ist Folge von Scher- oder Umformvor-gängen und von Reibung. Wie in Abschn. 1.5 beschrieben wurde, trennen beim Bohren ins Volle (mit einem zweischneidigen Spiralbohrer) zwei Haupt- und zwei Querschneiden je einen Span ab, wobei der Werkstoff unterschiedlich umgeformt wird. Vor den Hauptschneiden bilden sich Späne dem Drehen vergleichbar, aller-dings entlang der Schneide mit unterschiedlicher Schnittgeschwindigkeit und unter-schiedlichen Spanwinkeln. Die Querschneiden haben stark negative Spanwinkel (Abb. 1.13 und 1.14). Bis zur Mitte des Bohrers fällt die Schnittgeschwindigkeit auf null ab und der als Span getrennte Werkstoff muss zusätzlich zu seiner Bewegung normal zur Schneide eine Querverschiebung erfahren, um aus dem Bereich des Bohrerkerns in den Raum der Spannut zu gelangen. Diese Scher- und Quetschvor-gänge sind eher einem Fließpressvorgang als der freien Spanbildung beim Drehen ähnlich. Die Spanbildung und Spanverschiebung erfolgt hier unter hohem hydro-statischem Druck vor den Schneiden.

Reibvorgänge treten – wie beim Drehen – auf den Span- und Freiflächen auf. Zusätzlich reiben die Fasen der Nebenfreiflächen an der Bohrungswand und die von Quer- und Hauptschneiden gebildeten Späne in den Spannuten und an der Bohrungswand. Daraus folgt, dass die Kräfte und Momente beim Bohren über der Bohrtiefe nicht konstant sind, sondern ansteigen und zwar zunächst beim Eindrin-gen der Bohrerspitze annähernd proportional zum Bohrweg und dann mit geringe-rer Steigung der zunehmenden Reibung entsprechend.

Die Anteile, die Haupt- und Querschneide durch Scher- und Reibvorgänge zu Leistungen, Kräften und Momenten beitragen, lassen sich näherungsweise nach dem Dekompositionsprinzip ermitteln. Dazu wird der Bohrvorgang in Teile auf-gelöst (Abb. 4.20). Beim „freien Bohren“ (B) wird ein rohrförmiges Werkstück mit einem Außenradius geringer als dem Bohrradius und einem Innenradius größer als der Kerndurchmesser des Bohrers bearbeitet. Nur die Hauptschneiden spanen. Die Späne können frei abfließen. Die aufzubringende Schnittleistung, die Momente und die Kräfte in Schnitt- und Vorschubrichtung entsprechen in guter Näherung dem Drehen (A).

Auf die für diesen Fall geltende Schnittleistung Pch lässt sich die Grundgleichung nach Gl. 4.8 anwenden.

(4.62)Pch = kc1.1 ·(

h

h0

)−mc

· Qv · 0

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 94: Spanen ||

75

Beim Aufbohren (C) können die Späne nicht mehr frei abfließen. Es kommen Reib-kräfte hinzu. Ein Vergleich mit dem Bohren ins Volle lässt schließlich den Einfluss der Querschneiden erkennen (D). Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Schnittleis-tungsanteil von der Wirkung der Querschneide Pcq, so dass gilt

(4.63)

Diese Dekomposition setzt allerdings Unabhängigkeit der Teilvorgänge voraus, was streng nicht gegeben ist; denn z. B. tragen die von den Querschneiden erzeug-ten Späne zur Spanreibung bei.

Die Leistungsanteile lassen sich in Versuchen entsprechend Abb. 4.20 über ge-messene Momente bestimmen. Das Moment aus dem Eingriff der Hauptschnei-den sei Mch, aus der Querschneide Mcq und das Verhältnis beider sei tc = Mch/Mcq. Aus Messungen beim Bohren von Stahl C 45 ergibt sich ein Momentenverhältnis von ungefähr tc = 11 d. h. der Querschneidenanteil am Schnittmoment und an der Schnittleistung ist gering. Mit

(4.64)

ist die Gesamtleistung

Pc =(

1 +1

tc

)· Pch

und

(4.65)

mit h = ½ f sin σ/2 (f = Bohrervorschub)

Pc = Pcq + Pch

Mcq =1

tc· Mch

Pch =(

1 +1

tc

)· kc1.1 ·

(h

h0

)−mc

· Qv · 0

Abb. 4.20 Dekompositionsprinzip

Aufbohren Bohren ins Volle

Reibungdurch dieFührungsfase

Spanen undUmformenan derQuerschneide

Bohren ohne FührungsfaseneinflussOrthogonales Drehen

Reibung durchdie Späne

ah

hb b

b

c d

O

nw nw

4.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren

Page 95: Spanen ||

76

Abbildung 4.21 zeigt die Bohrerspitze und die an ihr angreifenden Kräfte, die hier als diskret wirkend angesetzt werden. Die Kräfte werden als Oberflächenkräfte über die Kontaktflächen eingeleitet, d.h. als Normal- und Schubspannungen. Für die folgende Betrachtung werden diese Spannungen zu längenbezogenen Strecken-lasten zusammengefasst. In Abb. 4.22 sind diese Streckenlasten, für die in eine Ebe-ne geklappten Quer- und Hauptschneiden, aus Schnitt- pc und Vorschubstreckenlast pf schematisch dargestellt. Die geringe Radiusabhängigkeit der bezogenen Schnitt-

Abb. 4.21 Spanungsgeometrie und Zerspankräfte beim Bohren

Kräfte Vollbohren

Werkzeug

Werkstück

* ) aus Versuchen an Stahl Ck45

Ff1

Fc1

Ff2

2rc

2rc

Fp1

Fp1

Fp2

Fp2

Fc2

d0 d0

apap

vc vcvf vf

fz fz

hhb bdi

rc = 0,41.ra*)

rc = (ra + ri)12

σ σ

κ κ κ κ

ω ω

Aufbohren

Abb. 4.22 Belastung von Haupt- und Querschneide

Streckenlastaus Vorschubkraft

Streckenlastaus Schnittkraft

HauptschneideQuer-schneide

0 rq ra

pch

pcq

pc

0 rq ra

pfh

pfq

pf

pc

pf

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 96: Spanen ||

77

kraft lässt zu, dass mit abschnittsweiser konstanter Streckenlast gerechnet werden kann. Es gilt folglich für das Bohrmoment

(4.66)

Es wird ein Lastverhältnisses sc = pcq/pch und ein Radiusverhältnis q = rq/ra einge-führt. Für Spiralbohrer des Typs N im Durchmesserbereich von 5 mm bis 20 mm ist ein Radiusverhältnis von q = 0,19 üblich.

(4.67)

oder das Verhältnis der einzelnen Momentenanteile

(4.68)

woraus sich das Lastverhältnis bestimmen lässt

(4.69)

oder in Zahlen für Stahl C45 sc = 2.4Für die Schnittkraft je Schneide ergibt sich

(4.70)

und mit sc und q ist

(4.71)

Mit Mc und Fc lässt sich für das Bohren ins Volle der wirksame Radius rc, an dem die diskret angenommene Schnittkraft angreift, errechnen.

(4.72)

Damit folgt in Zahlen für das Bohren ins Volle von Stahl C45 rc = 0.41 ra

(4.73)

Aus Gl. 4.65 und 4.67 lässt sich schließlich die Streckenlast auf die Hauptschneide und mit sc auch auf die Querschneide bestimmen, wobei ω die Winkelgeschwindig-keit des Bohrers ist.

Mc = 2 ·rq∫

0

pcq · rdr + 2 ·ra∫

rq

pch · rdr

Mc = pch · r2a · (1 − q2 + sc · q2)

tc =Mch

Mcq=

pch · (1 − q2)

pcq · q2

sc =(1 − q2)

q2·

1

tc

Fc =rq∫

0

pcq dr +ra∫

rq

pch dr.

Fc = pch · ra (1 − q + sc · q)

rc =Mc

2 · Fc

=1 + q2 · (sc − 1)

2 · [1 + q(sc − 1)]

Mc

2Fc

= 0, 41ra.

4.6 Leistungen, Momente und Kräfte beim Bohren

Page 97: Spanen ||

78

(4.74)

Die Vorschubkraft Ff je Schneide ergibt sich zu

(4.75)

Mit dem Kraftverhältnis sf = pfq/pfh gilt

(4.76)

Das Kraftverhältnis liegt bei sf = 4 und damit wird

(4.77)

Der erste Term in Gl. 4.77 steht für die Vorschubkraft an der Querschneide, der zweite für die an der Hauptschneide. Das bedeutet, der Querschneideneinfluss ist von gleicher Größenordnung wie der der Hauptschneide. Zu berücksichtigen ist, dass durch Verschleiß der Querschneide und zu einem geringeren Teil auch der Hauptschneiden die Vorschubkraft beim Bohren ins Volle bis zum Faktor 2 wachsen kann. Ein Verkürzen der Querschneide durch Anschliffe unterschiedlicher Art (s. Abb. 1.11) kann die Vorschubkraft wesentlich verringern, wie durch Minderung des Schneidenverhältnisses q aus Gl. 4.76 abzulesen ist.

Die bezogene Vorschubkraft für die Hauptschneiden lässt sich aus der Kienzle-Gleichung ermitteln. Es gilt

(4.78)

(4.79)

Die bisher angeschriebenen Ableitungen beziehen sich auf das Bohren ins Volle. Beim Aufbohren einer Vorbohrung mit ri > rq gilt dagegen Gl. 4.62 ohne einen Querschneideneinfluss.

Danach lassen sich ohne weiteres Momente und Kräfte errechnen.

Der Wirkradius rc wird

(4.80)

pch =Pc

ω × r2a ×

[1 + q2 (sc − 1)

]

Ff =rq∫

0

pfq dr +ra∫

rq

pfh dr.

Ff = (sf · q + 1 − q)pfh · ra.

Fh

pfh · ra= 0.76 + 0.81

pch = kc1.1h(1−mc)

sin σ/2 ·[1 − q(1 − sc)

] ; h = fz sin σ/2

pfh = kf 1.1 ·h(1−mf )

sin σ/2 · [1 + q (1 − sf )]

Mch =1

ω· Pch

rc =Mc

2 · Fc

=1

2(ra + ri).

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 98: Spanen ||

79

und

(4.81)

Die Vorschubkraft beim Aufbohren ergibt sich entsprechend Gl. 4.33 zu

(4.82)

In den bisher angeschriebenen Ableitungen ist der Reibungseinfluss der Späne und der Führungsfase (Fall C in Abb. 4.20) nicht einbezogen. Tatsächlich steigt das Bohrmoment mit der Bohrtiefe um ungefähr 10 % je 2 ra Tiefe an. Um die Reibung der Führungsfase nicht zu stark bis zum Klemmen ansteigen zu lassen, werden Spi-ralbohrer zum Schaft hin leicht konisch (um 0.2 bis 0.8 % des Bohrerdurchmessers) ausgeführt; was der Erwärmung des Werkzeugs während des Bohrens Rechnung trägt.

4.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen

Die vorn angeschriebenen Gl. 4.3 und 4.8 für die Schnittleistung sind grundsätzlich auch für das Fräsen gültig.

(4.83)

(4.84)

In Gl. 4.84 geht die Spanungsdicke h ein, die für den Einsatz eines mehrschnei-digen Fräswerkzeugs ermittelt werden muss, wie in Abb. 1.17 angegeben ist. Of-fenbar ist bei allen Verfahren, bei denen der Vorschubrichtungswinkel φ veränder-lich ist (also beim Fräsen und daraus abgeleiteten Verfahren sowie beim Schleifen) die Spanungsdicke nicht konstant, entsprechend sind es auch nicht die momentane Leistung und die momentane Zerspankraft.

Zur Bestimmung der mittleren Antriebsleistung, die an einer Frässpindel min-destens zur Verfügung gestellt werden muss, ist folglich der Mittelwert der Leistung über dem Eingriffsbogen zu bilden. Der Einfachheit halber wird unterstellt, dass der Einfluss der Spanungsdicke h auf die spezifische Energie kc in kc0 (Gl. 4.8) aus-reichend genau erfasst ist, so dass er in der Korrekturfunktion 0 vernachlässigt werden kann. Folglich kann angeschrieben werden:

(4.85)

In Gl.4.85 tritt ein Integral auf, das allgemein analytisch nicht zu lösen ist. Daher wird zur Ermittlung der mittleren Leistung meist mit der mittleren Spanungsdicke

Fc =Mc

2 · rc

.

Ff = kf 1.1 ·ra − ri

sin σ/2· h(1−mf )

Pc = Fc · vc

Pc = kc1.1 ·(

h

h0

)−mc

· Qw · 0

Pcm = kc1·1 · fz · sin k · Qw · ψ0 ·1

ϕc

ϕA∫

ϕE

sin−mc dϕ

4.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen

Page 99: Spanen ||

80

hm nach Gl. 1.16 gearbeitet, die dann über dem Eingriffswinkel φc als konstant an-genommen wird.

hm =1

ϕc

∫ ϕA

ϕE

h(ϕ)dϕ =1

ϕc· fz sin κ · (cos ϕE − cos ϕA) (1.17)

Daraus folgt dann

(4.86)

Allerdings ist damit nur eine Näherung angeschrieben; denn die Mittelung wurde nicht über der spezifischen Energie sondern über der Spanungsdicke durchgeführt. Der Fehler, der durch diese Näherung gemacht wird, lässt sich numerisch z. B. z. B. über MATLAB ermitteln. Für einen Exponenten von mc = 0.25 wurde der Fehler ε in Abb. 4.23 dargestellt.

(4.87)

Man erkennt, dass über die Näherungslösung zwar eine zu geringe Leistung errech-net wird (ε > 0), dass also die Berechnung über die mittlere Spanungsdicke für alle Kombinationen des Eingriffs- und Austrittswinkels unter dem Fräsintegral liegt, dass der Fehler aber äußerst gering ist.

Zur Ermittlung der notwendigen Antriebsleistung der Maschine sind der Wir-kungsgrad im Antriebsstrang und ein Zuschlag von 15 % für die Ungleichförmig-keit der momentanen Leistung gegenüber der eben angeschriebenen mittleren Leis-tung zu berücksichtigen.

P ∗cm =

1

ϕc

· kc1.1 · Qw ·(

hm

h0

)−mc

ε =P ∗

cm − Pcm

Pcm

Abb. 4.23 Fehler durch Mittelung des Fräsintegrals

0.12

0.08

0.06

0.04

0.02

0

0.1

200150

100

φ2[°] φ1[°]

50 500 0

100

Feh

ler

ε

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 100: Spanen ||

81

Das mittlere Drehmoment, das an der Frässpindel zur Verfügung gestellt werden muss, ergibt sich aus der mittleren Schnittleistung und der Winkelgeschwindigkeit ω der Frässpindel zu

(4.88)

Für die Auslegung von Maschinenkomponenten, Werkzeugen und Spannmitteln sind nicht die mittleren Werte der Prozessgrößen Drehmoment und Zerspankraft als vielmehr deren Maximalwerte von Interesse. Daher kann nicht von der mittleren Spanungsdicke ausgegangen werden sondern von ihrem Maximalwert. Dieser ist für

φE und φA < 90°: hmax = fz · sin κ · sin φA φE und φA > 90°: hmax = fz sin κ sin φE φE < 90° und φA > 90° hmax = fz sin κ

Für die Komponenten der Zerspankraft (Abb. 4.24) Schnittkraft Fc, Schnittnormal-kraft FcN und Passivkraft Fp (Tab. 4.2) gilt dann

(4.89)

Für die auf die Spindel insgesamt wirkenden Kräfte muss allerdings die Kraftwir-kung aller im Eingriff befindlichen Schneiden berücksichtigt werden.

Gegenüber der Drehbearbeitung ist die Messung der Kräfte, die am Fräserzahn angreifen, durch das rotierende Werkzeug schwieriger. Oft erfolgt die Messung der

Mc =1

ωPcm

Fi = ae · fz · ki1.1 ·(

hmax

h0

)−mi

mit i = c, cN , p

4.7 Leistungen und Kräfte beim Fräsen

Abb. 4.24 Eingriffs- und Kraftverhältnisse beim Stirnplanfräsen

Maschinenspindel

Messerkopf

Schneide

Einzelheit "Z"fc

TU

Vb Sb

S

κr

SaVa

a p

a ea p

ü

a e2

a e1

Werkstück

AustrittsebeneSchneide

Fp

vc

ϕcϕe

ϕa

fz

vf

vf vf

D

"Z"

x

Eintrittsebene

i.–1. Bahnkurve

i. Bahnkurve y

–Fa–FfN

Fx

x

–Fc

–FcN

–Ff

FaFy

vc

ϕ = 0°ϕ = 0°

z

ω

ω

ωϕ

ϕ

Page 101: Spanen ||

82

Zerspankraftkomponenten zwischen Maschinentisch und Werkzeug im ortsfesten Koordinatensystem (Ff, Fp, FfN) mit einer piezoelektrischen Dreikomponenten-Messplattform (s. Abb. 4.9). Anschließend ist eine Transformation in umlaufen-de Koordinaten notwendig, um die Zerspankräfte Fc und FcN zu erhalten. Aus der Differenzbildung zwischen großen Komponenten können sich dabei allerdings un-zulässige Messfehlerüberhöhungen ergeben. Die zur Umrechnung erforderliche Transformationsmatrix ergibt sich zu:

(4.90)

Für eine Zerspankraftmessung beim Fräsen wurde daher der in Abb. 4.25 dar-gestellte Einzahnfräser entwickelt [BUS91]. Die Kraftmessung erfolgt auch hier piezoelektrisch über drei Dreikomponenten Kraftmesszellen, die sehr dicht an der Wirkstelle angeordnet sind. Die entsprechende Einheit gewährleistet die direkte Er-fassung der Zerspankräfte Fc, FcN und Fp. Die Halterung der Schneidplatten erfolgt durch Kassettensysteme, so dass unterschiedliche Schneidengeometrien und Werk-zeugwinkel realisiert werden können. Festgelegt ist hierbei der Werkzeugdurch-messer des Fräsers zu 200 mm.

Fragen

1. Erläutern Sie die Möglichkeiten zur Modellierung der Schnittleistung bzw. der Schnittkraft.

2. Welchen Beitrag bringen die Zerspankraftkomponenten zur an der Wirkstelle umgesetzten Leistung?

Fc

FcN

Fp

=

sin ϕ − cos ϕ 0cos ϕ sin ϕ 0

0 0 1

·

Fx

Fy

Fz

.

Tab. 4.2 Spezifische Zerspankräfte für das Fräsen (Dubbel)

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 102: Spanen ||

83

3. Warum wird in der Kienzleschen Schnittkraftbeziehung der Einstellwinkel nicht berücksichtigt?

4. Geben Sie eine physikalische Deutung der Größe kc. Sehen Sie in der Dimen-sion “Kraft/Fläche“ die Bedeutung einer Spannung?

5. Die Kienzlesche Schnittkraftbeziehung ist scheinbar dimensionsunrichtig. Wie kommt es dazu?

6. Was bedeutet der Hauptwert der spezifischen Schnittkraft kc1.1? 7. Hängt die Schnittkraft Fc stärker von der Spanungsbreite b oder der Spanungs-

dicke h ab? 8. Wie verändert sich Fc wenn bei konstantem Spanungsquerschnitt h verringert

wird? 9. kc hat die Dimension einer Spannung. Welcher spezifischen Energie entspricht

sie?10. Geben Sie die Kienzle-Beziehung für beliebige Bezugsgrößen an.11. Wie wirkt sich das Formänderungsvermögen eines Werkstoffs auf den Einfluss

des Spanwinkels auf die spezifische Energie aus?12. Welche Möglichkeiten der Schnittkraftmessung sind Ihnen bekannt?13. Wenn höher frequente Zerspankraftkomponenten gemessen werden müssen,

welches Messprinzip wählen Sie?14. Erläutern Sie das Prinzip der Zerspankraftmessung, das weitgehend unabhän-

gig von der Wirkungslinie der Kraft ist.15. Auf welchem Extremalprinzip baut die plastizitätsmechanische Ermittlung der

Scherwinkelbeziehung von Ernst und Merchant auf?

Abb. 4.25 Ermittlung der Zerspankraftkomponenten mittels Einzahnfräser

Kassettenhalter

Schneidplatte

3 - Komponenten - Kraftmesselement

Schleifring

Ladungs-verstärker

Kassette Fc

FcN

Fp

Fz

ω

Fragen

Page 103: Spanen ||

84

16. Erläutern Sie Vereinfachungen oder nicht reale Voraussetzungen in der Theorie von Ernst und Merchant.

17. Die plastizitätsmechanischen Überlegungen von Hucks gehen vom Volumen-element aus. Welche Spannungen setzt er an und wie stehen sie zueinander in Beziehung?

18. Wie hängt der Scherwinkel von der Differenz zwischen Reibwinkel und Span-winkel aufgrund der Scherwinkelbeziehungen von Ernst/Merchant und Hucks ab (qualitativ)?

19. Welche Folgerungen kann man daraus bei einer Vergrößerung des Spanwinkels ziehen?

20. Welche Möglichkeit zur Messung der Scherspannung wird genutzt?21. Was ist die isotherme und was die adiabate Fließspannung?22. Altan entwickelte ein Verfahren der Rückwärtssimulation zur Bestimmung der

Fließkurve. Was ist damit gemeint ?23. Erläutern Sie das Dekompositionsprinzip bei der Drehmoment- und Vorschub-

kraftermittlung für das Bohren.24. Beim Bohren ins Volle ergibt sich das Moment aus der Schnittkraft Fc und dem

Radius rc, an dem man sich die Kraft Fc angreifend denken kann. Warum ist rc werkstoffabhängig?

25. Wie lassen sich rechnerisch die raumfesten und schneidteilfesten Fräskraft-komponenten ineinander überführen?

26. Berechnen Sie unter Zuhilfenahme der Scherwinkelbeziehung nach Ernst u. Merchant sowie unter Berücksichtigung des Fließkriteriums nach Tresca für Ck 45 N die Tangentialkraft FTφ in der Scherebene und die zugehörige Schnittkraft Fc für den Orthogonalschnitt.

gegeben: kf = 774 MPa, γ = –6°, h = 0,2 mm, b = 2 mm, µ = 0,2

Literatur

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[BEN03] BenAmor, R.: Thermomechanische Wirkmechanismen und Spanbildung bei der Hoch-geschwindigkeitszerspanung. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover 2003

[BUS91] Bussmann, W.: Formfehleranalyse beim Planfräsen gehärteter Bauteile. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1991

[DEN92] Denkena, B.: Verschleißverhalten von Schneidkeramik bei instationärer Belastung. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover 1992

[DIN6584] Begriffe der Zerspantechnik; Kräfte Energie, Arbeit, Leistungen. Hrsg. Beuth Verlag 1982

[DOE86] Doege, E.; Meyer-Nolkemper, H.: Fließkurvenatlas metallischer Werkstoffe. Hanser Verlag, 1986

[ELM04] El-Magd, E., Treppmann, C.: Spanen metallischer Werkstoffe mit hohen Geschwindig-keiten. In: Tönshoff, H.K. und Hollmann, F., Herausgeber Wiley-Verlag 2004.

[ERN41] Ernst, H.J.; Merchant M.E.: Chip formation, friction and finish. Trans. ASME 29, (1941), P. 299

4 Kräfte und Leistungen beim Spanen

Page 104: Spanen ||

85

[HUC54] Hucks, H.: Zerspanungskräfte und Werkstoffmechanik. Fort schrittliche Fertigung und moderne Werkzeugmaschinen, 7. Aachener Werkzeugmaschinen Kolloquium, Essen, 1954, S. 73–80

[JOC85] Johnson, G.R., Cook, W.H.: Fracture characteristics of three metals subjected to various strains, strain rates, temperatures and pressures. Eng. Frac. Mech., 21 (1985) 1, p 31–45

[JOC83] Johnson, G.R., Cook, W.H.: A constitutive model and data for metals subjected to large strains, high strain rates and high temperatures. 7th International Symposium on Ballistics, The Hague 1983

[KAT57] Kattwinkel, W.: Untersuchungen an Schneiden spanender Werkzeuge mit Hilfe der Spannungsoptik. Ind. Anz., (1957) 36, S. 29–36

[KIE54] Kienzle, O.: Einfluss der Wärmebehandlung von Stählen auf die Hauptschnittkraft beim Drehen. Stahl und Eisen, 74 (1954), S. 530–551

[KIS09] NN: Zerspankraftmessung. Firmendruckschrift 2009, Kistler Instrumente AG, Winter-thur/Schweiz

[LAP02] Lapp, Chr.: Indirekte Erfassung und Regelung von Bearbeitungskräften an direkt getrie-benen Vorschubeinheiten. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover, 2002

[OXL89] Oxley, P.L.B.: Mechanics of Machining, an Analytical Approach to As-sesing Machina-bility. Halsted Press/John Wiley & Sons Ltd. 1989

[SPA67] Spaans, C.: An exact Method to Determine the Forces on the Clearance Plane. CIRP Annals 15 (1967), S. 463–469

[UST60] Usui, E., Takeyama, H.: A Photoelastic Analysis of Machining Stress. Trans. ASME, J. Eng. Ind.. (1960) 11, S. 303–308

[ZIE95] Ziebeil, F.: Mechanische und thermische Belastung von Zerspan-werkzeugen. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1995

[ZOD67] Zorev, N.N., Del. G.D. e.al.: Spannungszustand in der Schnittzone. Annals of the CIRP, 14 (1967) S. 337–346

Literatur

Page 105: Spanen ||

87

5.1 Umsetzungseffekte

Dem Zerspanprozess wird mechanische Leistung zugeführt

(5.1)

Die Leistung aus der Vorschubbewegung ist vernachlässigbar und bleibt hier un-berücksichtigt (s. Abschn. 4). Diese Schnittleistung wird durch folgende physikali-sche Effekte in Wärme oder potentielle Energie umgesetzt:

• Umformung, Scherung,• Reibung,• Stofftrennung,• Stoffumlenkung,• Eigenspannungen

In der folgenden Darstellung werden diese Leistungsanteile auf das Zeitspanvolu-men oder gleichbedeutend die Energieanteile auf das abgespante Volumen bezogen. Damit lässt sich in einer Energiebilanz die spezifische Schnittenergie kc den be-zogenen Energieanteilen aus der Umformung kφ, der Reibung kγ, der Stofftrennung kT, der Stoffumlenkung kM und den durch die Eigenspannungen bedingten Anteil kel gleichsetzen:

(5.2)

Die Energieanteile sollen qualitativ abgeschätzt, damit ihre hauptsächlichen Ein-flussgrößen erkennbar werden. Es wird mit dem Scherebenenmodell gearbeitet, das analytischer Beschreibung zugänglich ist. Dies Modell setzt voraus, dass die gesam-te Umformung in der Scherebene stattfindet. Mit den in Abschn. 4.4 angeschriebe-nen Voraussetzungen gilt, dass in der Scherfläche Aφ die konstante Scherspannung τφ wirkt. Die auf das Zeitspanvolumen bezogene Scherleistung ist demnach

(5.3)

Pc = kc · Qw

kc = kφ + ky + kT + kM + kel

kφ =τφ · Aφ · vφ

Qw= τφ ·

cos γ

sin φ cos (φ − γ )

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen,DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 5Energieumsetzung und Temperaturen

Page 106: Spanen ||

88

Für den Reibanteil kγ wird nur die Energieumsetzung auf der Spanfläche, nicht die an der Freifläche berücksichtigt. Es wird das Coulomb’sche Reibgesetz vorausge-setzt mit µ = tan ρ (µ: Reibwert, ρ: Reibwinkel). Die Tangentialkraft, die auf die Spanfläche wirkt, ist nach Abschn. 4.4.1:

(5.4)

und folglich die spezifische Reibenergie

(5.5)

Zur Stofftrennung, d.h. zur Bildung neuer Oberflächen, muss Oberflächenenergie aufgewandt werden. Sie ergibt sich aus der Oberflächenspannung T des Werkstoffs gegen das umgebende Medium und ist proportional zu den gebildeten Flächen. Die Fläche je Zeiteinheit am Span und am Werkstück ist:

(5.6)

(5.7)

Daraus folgt für

(5.8)

Weiter folgt ein Energieanteil kM aus der Stoffumlenkung. Zu seiner Bestimmung wird die Spanbildung als eine Rohrströmung aufgefasst, die durch die Spanfläche umgelenkt wird. Dann ergibt sich der Impuls auf die Spanfläche zu:

(5.9)

mit der Impulskraft FM in Richtung der Schergeschwindigkeit vφ und dem Zeitin-krement ∆t bzw. der Masse m und der Dichte ρ (Achtung: ρ ist hier die Dichte und nicht der Reibwinkel). Daraus folgt:

(5.10)und

(5.11)

oder

(5.12)

FTγ= = τφ · b · h ·[cos (φ + ρ − γ ) · ( sin φ)]

sin ρ

ky = τφ ·[cos (φ + ρ − γ ) · ( sin φ)]

sin ρ

ASp = b ·vc

λh

AWSt = b · vc

kT =

(b · vc

λh+ b · vc

)· T

Qw=

(1 +

1

λh

)·T

h.

FM · t = m · vφ.

FM = ρ · QW · vφ

kM =FM · vφ

Qwρ · v2

φ

kM = ρ ·cos2γ

cos2(φ − γ )v2

c .

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 107: Spanen ||

89

Schließlich ist der Energieanteil, der als bezogene Federenergie kel infolge von Eigenspannungen gespeichert werden kann, abzuschätzen. Dieser Anteil wird als elastische Energie (potentielle Energie) in der Werkstückrandzone und im Span ge-speichert. Eine Abschätzung der maximal im Span und in der Werkstückrandzone verbleibenden Federenergie lässt sich über die Fließgrenze des Werkstoffs vorneh-men. Dazu wird vereinfachend vorausgesetzt:

• Eigenspannungen können die Fließgrenze nicht übersteigen, da sie andernfalls durch plastisches Fließen abgebaut würden.

• Bei Entlastung des Werkstoffs gilt das Hooke`sche Gesetz.• Die Abschätzung kann am einachsigen Spannungszustand vorgenommen wer-

den.

Abbildung 5.1 zeigt die Spannungsdehnungskurve für den einachsigen elastisch-plastischen Zustand und die spezifische Federenergie kel.

Die im Span und in der Randschicht des Werkstücks je Volumeneinheit maximal gespeicherte Energie ist

(5.13)

An einem Zahlenbeispiel für übliche Bedingungen sollen die Größenordnungen der Anteile bestimmt werden. Zerspant wird normalisierter Kohlenstoffstahl C45N mit Hartmetallwerkzeugen. Damit sind folgende Größen festgelegt:

E = 210.000 N/mm2, ρ = 7,8 g/cm3,kf = 2 τφ = 660 N/mm2, µ = 0,2, T = 40 mN/m,

Die Zerspanungsbedingungen seien:

Qw = 250 cm3/min mit vc = 250 m/min, h = 0,3 mm und b = 3,3 mm. Die Spanstau-chung wurde zu λ = 2,0 beobachtet. Der Spanwinkel beträgt γ = 6°.

kel =1

2

k2f

E

Abb. 5.1 Spannungs-Deh-nungskurve kf

tan α = E

kf = E.εf

kel

εf ε

α

5.1 Umsetzungseffekte

Page 108: Spanen ||

90

Aus Gl. 2.9 folgt

(2.9a)

Damit ergeben sich die Energieanteile

kφ = 760 N/mm2, kγ = 658 N/mm2, kT = 134 ⋅ 10–3 N/mm2, kM = 0,155 N/mm2, kel = 1,4 N/mm2

Diese Energiebetrachtung führt zu einem zahlenmäßigen Ergebnis, das ca. 40 % geringer ist als das nach der Kienzle-Formel, was auf die unterschiedlichen An-sätze zurückzuführen ist. Jedoch lässt sich ablesen, dass die Anteile kT, kM und kel für übliche Schnittbedingungen um Größenordnungen geringer als die Anteile kφ und kγ sind. Allerdings gewinnen kT und kM in der Ultrapräzisionszerspanung mit h ≈ 10 nm oder in der Hochgeschwindigkeitszerspanung mit vc ≈ 104 m/min er-heblich an Bedeutung. Ältere Arbeiten von Vieregge ergeben in Größenordnung vergleichbare Anteile (Abb. 5.2) der Energieumsetzung.

5.2 Wärmeabfuhr

Die über die dominanten Effekte (kφ und kγ) umgesetzte Schnittleistung wird im Wesentlichen als Wärme abgeführt. Kleinere Anteile werden als elastische Energie (potentielle Energie aus Eigenspannungen) in der Werkstückrandzone und im Span gespeichert.

arc tan φ =λ − sin γ

cos γ

Abb. 5.2 Aufteilung der Zer-spanarbeit [VIE53]

8000

6000

4000

2000

1,0

1,0

0,8

0,6

0,6 0,8

0,4

0,4

0,2

0,20

0

0

J

mm

Spanungsdicke h

Freiflächenreibung u. Trennarbeit

Freiflächenreibung u. Trennarbeit

Spanflächenreibung

Spanflächenreibung

Scherarbeit

Scherarbeit

Gesamtarbeit

Zer

span

arbe

it

Ant

eil d

erV

erfo

rmun

gsar

beit

und

der

Rei

bung

sarb

eit

an d

er Z

ersp

anar

beit

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 109: Spanen ||

91

Die abgeführte Wärme verteilt sich auf den Span, das Werkstück, das Werkzeug und die Umgebung. Der Wärmestrom in die Umgebung ist gering, wenn nicht mit flüssigen Kühlschmierstoffen gearbeitet wird. Die Aufteilung der Abflüsse ist stark von der Schnittgeschwindigkeit abhängig (Abb. 5.3). Das liegt an der „Festkörper-konvektion“, der mit dem Span abgeführten Wärme und der begrenzten Wärmelei-tung in den Schneidkeil und in das Werkstück. Der Wärmestrom in das Werkzeug ist bei stationärem Spanen, wenn also das Werkzeug dauernd im Eingriff ist, wegen deren hohen Temperaturen gering; der Wärmestrom in das Werkstück hängt von der Wärmeleitfähigkeit und von der Geschwindigkeit, mit der sich die Wirkstelle über das Werkstück bewegt ab, d.h. von der Schnittgeschwindigkeit.

Zur Abschätzung der Wärmestromaufteilung in Span und Werkstück wird das in Abb. 5.4. dargestellte Modell verwendet.

Das Modell geht von einem stationären Vorgang aus. In der Spanbildungszo-ne besteht die Wärmequelle kc Qv. Aus dem Volumen fließen drei Ströme, q1 in das Werkzeug, q2 in das Werkstück und q3 in den Span. Ein vierter Teilstrom in den Kühlschmierstoff bzw. in die umgebende Luft bleibt hier unberücksichtigt. Die Teilströme q1 und q2 entstehen durch Wärmeleitung. Für sie gilt allgemein

Abb. 5.4 Modell zur Wärmestromteilung

vc

Span

WerkzeugkcQw q3

Span

q2Werkstück

Werkstückh.

h

q1Werkzeug

5.2 Wärmeabfuhr

100

%80706050403020100

100 200 300 m/min 400Schnittgeschwindigkeit vc

0

Energieanteil im Werkzeug

Energieanteil imWerkstück

Energieanteil im Span

uuc

Abb. 5.3 Energieverteilung an der Wirkstelle

Page 110: Spanen ||

92

(5.14)

Mit λ als Wärmeleitfähigkeit, mit ∆x · "1" der Fläche, über die der Wärmestrom geleitet wird (die Erstreckung senkrecht zum Strom sei "1"), mit der Stärke der er-wärmten Schicht δ, den Temperaturen im Quellvolumen θ0 und im angrenzenden Körper θi.

(5.15)

Mit cp als der Wärmekapazität, ρ der Dichte und θ0 der Temperatur des Quellvolu-mens, von dem aus die Wärmeströme q1 und q2 in die angrenzenden Körper fließen und in deren Kontaktflächen die Temperaturen θ1 und θ2 bestehen. Dann sind

(5.14a)

(5.14b)

Und schließlich folgt aus der Wärmebilanz

(5.16)

Es werden nun einige Vereinfachungen vorgenommen. Bei modernen Schneidstof-fen heizen sich die Schneidkeile so stark auf, dass praktisch kein Temperaturgefälle zwischen dem Quellvolumen und dem Schneidkeil (θ1 = θ0) besteht. Das bedeutet, dass q1 = 0 ist. ∆x2 = λh × h heißt, für ∆x2 wird die Spandicke eingesetzt. Aus Gl. 5.14 bis 5.16 folgt dann

(5.17)

Mit praktisch üblichen Daten für Stahl C45N

kc = 2.500 N/mm2, vc = 240 m/min, λh = 1.5, cp = 0.465 103 J/(kg K), ρ = 7.8 g/cm3 und λ2 = 50 J/(K m s), δ = 0.1 h, h = 0.1 mm ergibt sich

(5.18)

also 512 K über Umgebungstemperatur. Man erkennt aus Gl. 5.18, dass von der Gesamtleistung kc ⋅ Qw = 1.000 J/s der Anteil, der in den Span durch „Festkörper-konvektion“ geht, größer ist als der Wärmestrom, der ins Werkstück eintritt. Er ist in diesem Beispiel

(5.19)

q1 = λ1 · x1 ·1

δ1· ′′1′′ · (θ0 − θi)

q3 = cp · ρ · Qw · θ0

q1 = λ1 · x1 ·1

δ1· ′′1′′ · (θ0 − θ1)

q2 = λ2 · x2 ·1

δ2· ′′1′′ · (θ0 − θ2)

kc · Qw = q1 + q2 + q3

θ0 =kc

cp · ρ + λ2 · x2δ2·Qv

θ0 =2.500 106

3.63 106 + 1.25 106 = 512K

q3 = cp · ρ · Qw · θ0 = 744J/s

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 111: Spanen ||

93

und entsprechend der Anteil, der ins Werkstück fließt q2 = 256 J/s. Allerdings ist in Gleichung Gl. 5.14 die Annahme der Schichtdicke δ sehr kritisch. Sie beeinflusst das Ergebnis der Rechnung stark. Daher kann diese Betrachtung nur einen Hinweis auf die Zusammenhänge geben. Die Energieaufteilung entspricht aber der Abb. 5.3 jedenfalls näherungsweise.

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Die Temperaturen im Schneidkeil sind wesentlich für den Verschleiß. Oxidations- und Diffusionsvorgänge, die Teilursachen für den Verschleiß des Werkzeugs sind, werden mit höheren Temperaturen stark beschleunigt. Die Temperaturen in den Randschichten des Werkstücks sind für die Randzonenbeeinflussung wie Härtever-änderungen, Eigenspannungen und Gefügeumwandlungen maßgebend.

5.3.1   Temperaturmessung

Daher wurden unterschiedliche Temperaturmessverfahren entwickelt, die jedoch sämtlich verfahrensspezifische Nachteile haben. Wegen des geringen Umfangs der erhitzten Kontaktzone (nur wenige mm2), der hohen Temperaturen (ϑ > 1000 °C), des steilen Temperaturgefälles (dϑ/ds > 500 K/mm), der hohen mechanischen Beanspruchung (über 1000 MPa) und der hohen Aufheizgeschwindigkeiten (dϑ/dt ≥ 106 K/s) gestalten sich die Messungen schwierig.

Abbildung 5.5 gibt einen Überblick über die bisher beim Spanen verwendeten Messverfahren. Nach der Art, wie die Wärmeübertragung auf den jeweiligen Mess-wertaufnehmer oder Sensor erfolgt, kann zwischen Wärmeleitung und Wärmestrah-lung unterschieden werden. Die verschiedenen Messmethoden haben unterschied-liche Eigenschaften, die sie je nach Anwendungsfall geeignet erscheinen lassen. Tabelle 5.1 gibt einen Vergleich der wichtigsten Methoden mit Kriterien.

Die Widerstandsmessung beruht auf dem Effekt, dass sich die elektrische Leit-fähigkeit von Leitern und Halbleitern mit Temperatur und Druck ändert. Metalle

Abb. 5.5 Temperaturmess-verfahren

Temperaturmessung

Wärmeleitung

Widerstandsmessung Gesamtstrahlungsmessung

Bandstrahlungsmessung

Quotiententhermometrie

Seebeck-Effekt

Stoffwandlung

Wärmestrahlung

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Page 112: Spanen ||

94

(Leiter) ändern ihren Widerstand weitgehend linear mit dem Temperaturkoeffizien-ten αθ und dem Druckkoeffizienten αp, wenn nur begrenzte Temperatur- und Druck-bereiche betrachtet werden. Allerdings ist die Druckempfindlichkeit erheblich ge-ringer als die Temperaturempfindlichkeit.

(5.20)

Für Platin- und Nickelelemente kann αp praktisch vernachlässigt werden. Dann lässt sich anschreiben

(5.21)

mit der Messtemperatur θ, der Raumtemperatur θ20, dem gemessenen Wider-stand R, dem Widerstand bei Raumtemperatur R20 und dem elektrischen Tempe-raturkoeffizienten bei Raumtemperatur α20. Für größere Temperaturbereiche muss der Widerstandskoeffizient angepasst werden. Die lineare Beziehung gilt nicht für Widerstände auf Halbleiterbasis (Thermistoren).

Grundsätzlich lassen sich nahezu alle Metalle zur Widerstandsmessung einset-zen. Um aber störende Oxidationen zu vermeiden, werden Edelmetalle, vor allem Platin als Widerstandsmaterial verwendet. Platin-Widerstandsthermometer lassen sich bis 900 °C nutzen. Sie sind als Draht von 0,9 bis 4 mm Durchmesser verfügbar. Ihre Zeitkonstanten liegen für derartige Abmessungen jedoch zwischen 2 bis 20 s. Wegen ihrer Größe und ihrer hohen Zeitkonstanten werden solche Elemente zur Temperaturmessung an spanenden Prozessen nur eingesetzt, wenn quasi-stationäre Verhältnisse vorliegen. Der Nachteil langer Zeitkonstanten kann weitgehend beho-ben werden, wenn als Widerstandselemente dünne Folien oder isolierte Schichten

R

R= αp · p + αT · θ.

θ = θ20 + (R/R20 − 1)/α20

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Tab. 5.1 Vergleich der Temperaturmessverfahren [DAV07]

Page 113: Spanen ||

95

verwendet werden; denn offenbar sind die Aufwärmzeit und damit die Zeitkonstan-te abhängig vom Querschnitt des Wärme leitenden Elementes.

Zur Bestimmung der Temperaturverteilung in den Kontaktzonen zwischen Werk-stoff und Schneidstoff sind Sensoren in Dünnschichttechnik entwickelt worden [TÖN94]. Die Sensordicke beträgt 0,2 µm, die Breite 20 µm. Um einen Kurzschluss mit dem ablaufenden Span zu vermeiden, sind die leitenden Schichten mit einer ca. 2 µm dicken Al2O3-Schutzschicht überzogen. Durch die Anordnung mehrerer Wi-derstandselemente dicht hintereinander gelingt es, die Temperaturverteilung auf der Span- bzw. Freifläche während des Spanens zu bestimmen. Das Messprinzip und einen einsatzbereiten Sensor, bei dem die Elemente auf der Spanfläche aufgebracht sind, zeigt Abb. 5.6.

Thermoelemente arbeiten nach dem Seebeck-Effekt. Das Prinzip ist in Abb. 5.6 dargestellt. Grundlage der Thermoelektrizität bilden frei bewegliche Elektronen, die die Oberfläche eines Metalls verlassen können, wenn ihre kinetische Energie mindestens gleich der Austritts- oder Ablösearbeit ist. Da diese materialabhängig ist, treten bei einer innigen Berührung zweier Metalloberflächen einige Elektronen von einem Metall mit niedriger Austrittsarbeit in das andere über. Es entsteht eine Berührungsspannung, deren Größe temperaturabhängig ist. Ein Thermoelement enthält zwei dieser Berührungsstellen. Besteht zwischen diesen keine Temperatur-differenz, so gleichen sich die beiden Berührungsspannungen aus. Haben die beiden Verbindungsstellen unterschiedliche Temperatur, so fließt als Folge der Thermo-spannung ein Thermostrom. Seine Größe hängt außer vom Stromkreiswiderstand von den beteiligten Stoffen, hier von Werkstoff und Schneidstoff, und der Tem-peraturdifferenz ab. Für begrenzte Messbereiche gilt näherungsweise die Thermo-spannung

(5.22)U = k · (θ1 − θ0)

Abb. 5.6 Dünnschichtmesswertaufnehmer

Messprinzip einsatzbereite Messwertaufnehmer

AnschlussfahnenSchutzschicht(Al2O3)

Werkzeug(Al2O3)

Aufnehmer(Ni oder Pt)

∆RR

= αp0 • ∆p + αϑ • ∆ϑ

αp : Druckkoeffizientαϑ : Temperaturkoeff.

p : Druck.

R : elektr. Widerstandϑ : Temperatur

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Page 114: Spanen ||

96

Darin ist k der Seebeck-Koeffizient, der von der Materialpaarung und von der mittleren Arbeitstemperatur abhängt. Typische Materialkombinationen sind Pt und Pt/Rh mit k = 10 µV/K oder NiCr und Ni mit 40 µV/K. Einige Möglichkeiten der Nutzung des Seebeck-Effektes beim Spanen zeigt Abb. 5.7

Beim Einmeißel-Verfahren werden Werkzeug und Werkstück unmittelbar als Messelemente genutzt. Die beiden Materialien bilden also das Thermopaar. Da der Seebeck-Koeffizient dieser Paarung nicht bekannt ist, muss die Empfindlichkeit durch Kalibrierung möglichst im Messbereich gewonnen werden. Abbildung 5.8 zeigt eine Anordnung in einer Drehmaschine.

Hauptschwierigkeiten beim Einmeißel-Verfahren sind die Isolation der Potential führenden Teile zur Ableitung der Thermospannung vom umlaufenden Werkstück und die Kalibrierung des Thermopaares [OPI52]. Kennzeichnend für die Messme-thode nach dem Einmeißel-Verfahren ist, dass sie nur einen Temperaturmittelwert über der Kontaktfläche liefert. Über die Art der Mittelung kann keine Aussage ge-

Abb. 5.7 Anwendung von Thermoelementen

ein Werkzeug zwei Werkzeuge

WerkstückMesspunktMesspunkt

Werkstück

V

Werkzeuge

Isolierung

Isolierung Thermoelement Thermoelement

Werkzeug

Werkstück

zvar

Halter

Schneidplatte

Werkzeugeinbau Werkstückeinbau

Thermoelement (zwei-Drath Methode)

V

Abb. 5.8 Temperaturmessung, Einmeißel-Verfahren [OPI52]

Hg - Abnehmer Werkstück Messstelle

V

I = 0

Vergleichsstellen

lsolierung

isolierterSchutzmantel

Werkzeug

stromloseSpannungsmessung

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 115: Spanen ||

97

macht werden. Ein weiteres Problem ist, dass die Kalibrierung für jede Stoffpaa-rung zu leisten ist; wenn also ein anderer Werkstoff untersucht oder ein anderer Schneidstoff eingesetzt wird, ist neu zu kalibrieren.

Die Notwendigkeit der Kalibrierung jeder Werkzeug-Werkstück Kombination und die Probleme bei der Ableitung der Thermospannung vom sich bewegenden Werkstück führten zur Entwicklung des Zweimeißel-Verfahrens. Dabei wird mit zwei aus verschiedenen Stoffen bestehenden Werkzeugen gleichzeitig und unter denselben Versuchsbedingungen zerspant, die Thermospannung wird zwischen den beiden Werkzeugen als Thermopaar gemessen.

Weitere Varianten des thermoelektrischen Prinzips arbeiten mit diskreten Ther-moelementen, die in das Werkzeug (Abb. 5.9) oder in das Werkstück eingebaut werden. Es können auch einzelne Drähte in elektrisch isolierende Schneidstoffe eingebracht werden. Der Draht bildet dann gemeinsam mit dem berührenden Span oder dem Werkstück ein Thermoelement. Das definierte Einbringen von Thermo-elementen ermöglicht die Bestimmung der Temperaturverteilung im Werkzeug oder Werkstück.

Der Effekt, dass alle Stoffe bei bestimmten Temperaturen ihr Gefüge und damit ihre physikalischen oder chemischen Eigenschaften ändern, ist die Basis weiterer Temperaturmessverfahren ( Stoffumwandlung). Dabei wird die Energie, die zur Än-derung notwendig ist, von der Umgebung aufgenommen oder an sie abgegeben. Die Temperaturen müssen somit eine gewisse Zeitdauer auf die Stoffe einwirken, damit der Energietransport zu reproduzierbaren Werten führt. Kurzzeitige Änderungen der Temperatur werden meist nicht ausreichend erfasst, deshalb sind die Messun-gen auf stationäre Temperaturfelder beschränkt. Aussagen über kurzzeitig höhere Temperaturen sind nicht ohne weiteres möglich. Kommerziell sind temperaturemp-findliche Farbanstriche, Flüssigkristalle und thermographische Kreiden erhältlich.

Abb. 5.9 Thermoelement im Drehmeißel

PtPtRh

Kaltlötstelle

Ausgleichswiderstand

V

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Page 116: Spanen ||

98

Inzwischen wurden diese umwandelnden Stoffe für einen Temperaturbereich bis 2.000 °C entwickelt [DAV07].

Die von einem Körper abgestrahlte Energie ist ein Maß für seine Temperatur. Die je Fläche abgestrahlte Leistung hängt nach dem Planck’schen Gesetz von der Wellenlänge λ der Strahlung und der Temperatur der strahlenden Fläche ab. Ein „schwarzer Körper“ strahlt nach dem Wien’schen Gesetz die Energie je Flächenein-heit und Wellenlänge ESλ ab (Abb. 5.10):

(5.23)

In Gl. 5.23 ist σ = 5,67 !0–8 W/m2 K4 der Strahlungskoeffizient. Wirkliche Körper emittieren weniger Leistung als ein schwarzer Körper. Daher ist die Emissionszahl ε zu berücksichtigen:

(5.24)

In der Kenntnis der Emissionszahl liegt die Schwierigkeit, sie muss für die am Pro-zess beteiligten Körper bekannt sein.

Strahlungsthermometer werden auch als Pyrometer bezeichnet. Mit Gesamt-strahlungsthermometern wird eine maximale Strahlungsleistung über einen gro-ßen Empfangskegel und über alle Wellenlängen aufgenommen. Sie können über einen weiten Bereich von Temperaturen ab 200 °C bis 1.800 °C verwendet werden. Bandstrahlungsthermometer nehmen Strahlung nur über einen definierten Wellen-längenbereich auf. Sie werden wegen ihrer relativ guten Handhabbarkeit häufig für Temperaturmessungen an spanenden Prozessen eingesetzt. Quotiententhermome-

ESλ = σ · θ4

E = ε · ESλ

Abb. 5.10 Emittierte Leis-tung und Temperatur

4,80

Wcm2 m

3,84

3,20

2,56

1,92

1,28

0,64

00 1 2

Wellenlänge 3 4 5 7

0

0,33

0,67

rel.

spek

tral

eE

mpf

indl

ichk

eit

1,00

1000 Ksp

ektr

ale

Str

ahlu

ngsi

nten

sitä

t Wb

Detektor

1100 K

1200 K

1300 K

900 K800 K700 K

m

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 117: Spanen ||

99

ter nehmen die Strahlung zweier Wellenlängen auf und können so weitgehend den Einfluss der Stoff abhängigen Emissionszahl eliminieren, indem der Quotient der aufgenommenen Strahlungsenergien gebildet wird und sich so die Emissionszahl heraus kürzt. Das setzt voraus, dass die Emissionszahl nicht Wellenlängen abhängig ist. Allerdings sind durch die Nutzung von nur zwei Wellenlängen die Strahlungs-energie und damit die Empfindlichkeit der Messung begrenzt. Auch dieses Verfah-ren wird zur Temperaturmessung an spanenden Prozessen eingesetzt.

Das Prinzip eines typischen Strahlungsthermometers ist in Abb. 5.11 dargestellt.Die Temperaturmessung über Strahlung hat eine Reihe von Vorteilen: Die Mes-

sung ist sehr schnell, sie dauert nämlich je nach Gerät weniger als 1s bis 10 µs. Der mögliche Messbereich ist groß, er liegt zwischen 300 °C bis 3500 °C. Das Messobjekt wird nicht beeinflusst und es lassen sich Temperaturen auch an be-wegten Messobjekten bestimmen. Nachteilig ist, dass die Emissionzahl vom Stoff, von seiner Oberflächenstruktur, von der aufgenommenen Wellenlänge und von der Temperatur selbst abhängt.

Als Strahlungsempfänger werden heute in der Regel infrarotempfindliche De-tektoren (Photowiderstand mit einer oberen Grenzwellenlänge) eingesetzt. Abbil-dung 5.12 zeigt schematisch eine Messanordnung zur Infrarotthermographie.

Mit diesem Verfahren können auch bewegte Bilder bei der Zerspanung erhalten werden. Abbildung 5.13 ist ein Infrarotthermogramm der Bandspanbildung beim Orthogonaleinstechdrehen von C45E. Bereits 1933 wurden von Schwerd und Kra-mer in Hannover erste Messungen nach diesem Verfahren zur Bestimmung von Temperaturfeldern beim Spanen gemacht [SCH33]. Dem Problem der Tempera-turabhängigkeit von Emissionszahlen, das Messfehler bei der Abtastung von in-homogenen Temperaturfeldern verursacht, kann durch Punktmessungen begegnet werden, wenn der potentielle Fehler durch Kalibrierung der Detektorspannung eli-miniert wird [DEN92].

Abb. 5.11 Strahlungsthermometer [DAV07]

Verstärker/Monitor

Winkel-Blende

LinseEmpfänger

Target-Blende

FilterdA

Target

System-antwort

R (

λ)

λ

ε(λ,φ,θ)Eλ,b

φθ

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Page 118: Spanen ||

100

5.3.2  Temperaturfelder

Mit der in Abb. 5.12 dargestellten Methode lassen sich Temperaturen auf der Span-fläche eines Werkzeugs im unterbrochenen Schnitt messen. Aus den Abkühlkurven über der Zeit kann bei Anwendung eines Modells zur instationären Temperaturver-teilung mit ausreichender Genauigkeit auf die Spanflächentemperatur im Moment des Schneidenaustritts geschlossen werden. Abbildung 5.14 zeigt Temperaturzeit-verläufe beim Drehen mit verschiedenen keramischen Schneidstoffen. Je nach Wär-meleitfähigkeit ergeben sich unterschiedliche Austrittstemperaturen.

Die Ausdehnung der erwärmten Zone sowie die Temperaturverteilung in diesem Gebiet sind wie das Temperaturmaximum abhängig von den thermischen Eigen-

Abb. 5.12 Anordnung einer Messeinrichtung zur Infrarotthermographie beim Drehen

Drehprozess

InfrarotkameraAufnahme von Einzelbildern und Verknüpfung zubewegten Bildern

Anzeige und Schnittstellen

t

Abb. 5.13 Infrarotbild beim Drehen von C45E

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 119: Spanen ||

101

schaften des Schneidstoffs, den Einstellbedingungen und aufgrund unterschied-licher Spanbildungsmechanismen vom Werkstoff. Bei einer Al2O3/ZrO2-Keramik ergibt sich für Grauguss eine Verteilung nach Abb. 5.15. Das Temperaturmaximum befindet sich in der Mitte der Kontaktzone zwischen Werkzeug und Span.

Abb. 5.14 Temperaturverlauf beim Fräsen mit unterschiedlichen Keramiken nach dem Austritt [DEN92]

800

Austrittstemperatur

Werkstoff : GG - 25: vc = 500 m/min

: ap = 2,0 mm

r Fase–6° –4°

0,3

90°

0,16Hauptschneide Nebenschneide

75° 1,2mm

1,00,2x20°

: f = 0,32 mmSchnittgeschw.VorschubSchnittiefe

°C

600

500

400

berechnete Werte

gemessene Werte300

2000 2 4 6 8 10 12 14 16 ms 20

Zeit t

Si3N4

Al2O3/TiC Al2O3/ZrO2Tem

pera

tur

ϑ

λ κεγ

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Abb. 5.15 Temperaturverteilung auf der Spanfläche von Al2O3/ZrO2-Schneidkeramik [DEN92]

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5mm

730°

Nebenschneide

Hauptschneide

Zeitpunkt : Austritt

y x

Messfleck.-Ø : 0,16 mm

500°C

0,8mm0,6

0,40,2

WerkstoffSchnittgeschw.VorschubSchnittiefe

–6° –4° 90° 75° 1,2mm 0,2×20°Faser

: vc = 500 m/min: f = 0,32 mm: ap = 2,0 mm

: GG - 25

λ κεγ

ϑ

Spanfläche

Page 120: Spanen ||

102

Der Einfluss der Schnittgeschwindigkeit und des Vorschubs auf die Spanflä-chentemperatur unterschiedlicher Schneidkeramiken ist aus Abb. 5.15 für die Guss-bearbeitung und aus Abb. 5.16 für die Stahlbearbeitung ersichtlich. Die Diagramme zeigen, dass die Temperaturen mit der Schnittgeschwindigkeit und mit dem Vor-schub ansteigen. Bei der Dispersionskeramik (Al2O3/ZrO2) bewirkt die Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit von 200 m/min auf 800 m/min eine Temperaturzu-nahme um durchschnittlich 100 K, die Erhöhung des Vorschubs von 0,1 mm auf 0,32 mm eine mittlere Temperaturzunahme um 150 K. Bei der Mischkeramik und der Siliziumnitridkeramik liegen die Schnittemperaturen deutlich niedriger als bei Al2O3/ZrO2-Keramik, wie bereits in Abb. 5.13 gezeigt.

Der Übergang von Grauguss zu Vergütungsstahl bewirkt, wie dem Vergleich der Abb. 5.16 und 5.17 zu entnehmen ist, einen Temperaturanstieg, der in Abhängigkeit von den Prozessparametern zwischen 50 und 100 K liegt. Bemerkenswert ist die Temperaturzunahme bei der Si3N4-Keramik, die sich ohne weiteres nicht für die Stahlbearbeitung eignet. Es treten hohe Verschleißraten als Folge der thermischen Beanspruchung auf.

Mit der IR-Kamera konnte die Temperaturverteilung auf der Nebenfreifläche des Werkzeugs aufgenommen werden [BAR88]. Im Orthogonalschnitt ist die Neben-freifläche ständig sichtbar, so dass genügend Zeit zur Verfügung steht, um ein Ge-samtbild (Abb. 5.18) aufzunehmen. Der Einfluss von Schnittgeschwindigkeit, Vor-schub und Werkstoff auf die maximale Nebenfreiflächentemperatur kann Abb. 5.19 entnommen werden.

Abbildung 5.19 stellt die Temperaturverteilung in einem Hartmetalldrehmeißel dar. Ermittelt wurde das Temperaturfeld auf der Spanfläche sowie in einer Ebene senkrecht und parallel zur Hauptschneide durch Einbringen von Thermoelementen in Bohrungen des Werkzeugs [KÜS56]. Der Übergang von Grauguss zu Vergü-

Abb. 5.16 Austrittstemperaturen bei der Fräsbearbeitung von Gusseisen [DEN92]

Al2O3/ZrO2 - KeramikTe

mpe

ratu

r ϑ

Tem

pera

tur

ϑ

800

600

500

400

°C

Al2O3/TiC - Keramik800

600

500

400

°C

0,32

0,10

0,32

0,10

0,32

0,10

Si3N4 - Keramik

Vorschub fz [mm]

0 200 400 600 1000m/min

0 200 400 600 1000m/minSchnittgeschwindigkeit vc

Schnittgeschwindigkeit vc

Werkstoff : GG - 25 Schnittiefe : ap= 2,0 mm

Hauptschneide Nebenschneide0,3

0,161,0

γ λ ε κ r Fase–6° –4° 75°90° 0,2×20°1,2mm

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 121: Spanen ||

103

tungsstahl bewirkt, wie dem Vergleich der Abb. 5.15 und 5.16 zu entnehmen ist, einen Temperaturanstieg, der in Abhängigkeit von den Prozessparametern zwischen 50 und 100 K liegt. Bemerkenswert ist die Temperaturzunahme bei der Si3N4-K-eramik, die sich ohne weiteres nicht für die Stahlbearbeitung eignet. Es treten hohe Verschleißraten als Folge der thermischen Beanspruchung auf. Beim Vergleich der Abb. 5.17 und 5.19 ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Vorschübe ver-wendet wurden.

An Abb. 5.20 ist erkennbar, dass sich auf der Spanfläche eines Schneidkeils die höchsten Temperaturen einstellen, was auf den Einfluss der Reibung zurückzufüh-

Abb. 5.17 Austrittstemperaturen bei der Fräsbearbeitung von Stahl [DEN92]

Al2O3/ZrO2 - Keramik

Al2O3/TiC - Keramik

Si3N4 - KeramikTe

mpe

ratu

r ϑ

Tem

pera

tur

ϑ

Schnittgeschwindigkeit vc

Schnittgeschwindigkeit vc

WerkstoffSchnittiefeVorschub

: Ck 45: ap = 2,0 mm: fz = 0,10 mm

γ λ ε κ r Fase–6° –4° 90° 75° 1,2mm 0,2×20°

0,3 1,00,16Hauptschneide Nebenschneide

0 200 400 600 1000m/min

800

600

500

400

°C

800

600

500

400

°C

0 200 400 600 1000m/min

Abb. 5.18 Isothermenverteilung auf der Nebenfreifläche bei der Stahlzerspanung [BAR88]

342342

280

280

228

230

342

280

230217

343281230217

544543 tc = 26 s

tc = 6 s

tc = 14 s

tc = 10 s tc = 11 s

167

166167

15412

9

154

Neben-freifläche

359

292255

217

542480505

Werkstoff : Ck 45 NSchneidstoff : Al2O3

Schnittgeschw. : vc = 200 m/minVorschub : f = 0,2 mmSchnittiefe : ap = 2,0 mm

90° –6° –0°rε

–0,4 mmκ γ λ

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Page 122: Spanen ||

104

Abb. 5.19 Maximale Temperatur an der Nebenfreifläche [BAR88]

600

°C

500

max

.Neb

enfr

eiflä

chen

tem

p. m

ax

400

300100 200 m.min 400 0 0,1 0,2 0,3 mm 0,5

Vorschub fSchnittgeschwindigkeit vc

vc = 300 m/min

f = 0,2 mm

f = 0,1 mm

Ck 45 N GGG - 40

Ck 45 N

Werkstoff : Ck 45 N/GGG - 40Schneidstoff : Al2O3

Schnittiefe : ap = 2,7 mm

Fase : 0,2 × 20°

90° –6° –0°rε

–0,4 mm

κ γ λ

Abb. 5.20 Temperaturfeld in einem HM-Drehmeißel [KÜS56]

SchnittA - B

900800700600500400

00

1

1

2

2

3

3

4

4

5

6mm

mm

1000

900

800700600500400300

°C

300°C

300°C

A

400

500

600

700

800

900

1000

°C

1000°C

D

B

C

Schnitt C - D

WerkstoffSchneidstoffvcb × hγ = 0°, λ = 0°, α = 4°, κ = 45°

: 30 Mn 4: HM P 20

4,25 × 2,52 mm2120 m/min

==

α

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 123: Spanen ||

105

ren ist. Da diese Temperaturen für das Verschleißverhalten der Werkzeuge von gro-ßer Bedeutung ist, wird eine analytische Abschätzung eingeführt, die jedenfalls die wichtigsten Einflussgrößen zeigen soll [BAE94, BEN03].

Der Schneidkeil wird wieder als einseitig unendlicher Körper aufgefasst. Nach Baehr gilt für die Spanflächentemperatur θγ :

(5.25)

mit der Wärmestromdichte q, Wärmeeindringkoeffizienten b und der Kontaktzeit t. Die Wärmestromdichte ergibt sich aus der Kontaktlänge KL und der Spanungsbrei-te "1", der Spangeschwindigkeit vSP und der Tangentialkraft auf der Spanfläche FTγ.

(5.26)

Mit den in Abschn. 5.1 genutzten Ableitungen ergibt sich schließlich die maximale Spanflächentemperatur zu

(5.27)

Abbildung 5.21 zeigt die Abhängigkeit der Spanflächentemperatur von der Schnitt-geschwindigkeit nach Gl. 5.24 [BEN03].

θγ = θ0 +q

2√

π

√t

q =FT γ · vSP

1 · KL

θSP = θ0 +FTγ · vc

b · 1 · KL·

sin φ

cos (φ − γ )·

2√

π·

√KL

vc·

cos (φ − γ )

sin φ

Abb. 5.21 Spanflächentemperatur und Schnittgeschwindigkeit (nach Ben Amor)

Analytisch

Finite VolumenMethode

einseitig unendilchausgedehnter Körper

1 mm

Numerisch

Spanfläche

400 µmFreifläche

Berechnungenvon Vieregge

ϑ(0,t)=ϑ0 +FTγ vc

vc

sin(φ)sin(φ)

2 KLπcos(φ – γ)

cos(φ – γ)b · bSt · KL

Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen

SpanungsbreiteWerkstoff Werkzeug

BeschichtungKSS

: HC P30-P40: Ti(C,N)/Al2O3: trocken

Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff

εr κ0°90°–6°6°–Vorschub

: Ck45N: b = 3 mm: f = 0,1 mm

°C

1200

1600

1000

800

600

400

200

00 500 1000 1500 2000 2500 3500m/min

Schnittgeschwindigkeit vc

Spa

nflä

chen

tem

pera

tur

ϑsp

v c =

200

0 m

/min

v c =

200

m/m

in

. . . .

vSp

680

400

800

140

1330

90

Tem

pera

tur

[°C

]T

empe

ratu

r [°

C]

5.3 Schneidkeil- und Werkstücktemperatur

Page 124: Spanen ||

106

5.4 Schneidkeiloptimierung

Die Schneidkeile spanender Werkzeuge müssen dem jeweiligen Einsatzfall ange-passt werden. Das gilt insbesondere für die Winkel des Schneidkeils. Eine Betrach-tung des Raumwinkels Ω, den die Spanfläche und die Freiflächen der Haupt- und Nebenschneide bilden, gibt Hinweise für die Optimierung des Schneidkeils. Aus thermischen und mechanischen Gründen wird man diesen Raumwinkel möglichst groß machen, um eine robuste und stabile Schneidecke zu erhalten, die zudem über einen großen Raumwinkel die Wärme im Schneidkeil schnell abführt und damit das Temperaturniveau im Werkzeug senkt. Ein großer Raumwinkel Ω wird nach Abb. 5.22 erreicht durch Verringerung des Spanwinkels γ, des Freiwinkels α und des Einstellwinkels κ bzw. durch Vergrößerung des Eckenwinkels ε. Dabei ergeben sich jedoch Grenzen durch gegenläufige Einflüsse:

Spanwinkel γ: Bei Verringerung von γ nehmen die Kräfte und Leistungen zu.Freiwinkel α: Eine Mindestgröße von α = 5–6° sollte nicht unterschritten

werden, da sonst die Reibkräfte an der Freifläche stark anstei-gen und somit höhere Leistungen bewirken, was gleichbedeu-tend mit höheren Temperaturen im Werkzeug ist.

Einstellwinkel κ: Der Einstellungswinkel wird üblicherweise nicht kleiner als 45° gewählt, weil – abgesehen vom Anwachsen der Passivkraft – auch die leistungsführende Schnittkraft bei gleichem Spanungs-querschnitt größer wird; denn die Spanungsdicke nimmt ab.

Eckenwinkel ε: Der Eckenwinkel sollte so groß ausgeführt werden, als nach den einsatzbedingten Schneidenlagen möglich ist. Ein minima-ler Einstellwinkel der Nebenschneide κN darf aus Gründen der Schnittstabilität nicht unterschritten werden.

Abb. 5.22 Optimierung des Schneidkeils

Spanfläche

Haupt-schneide

Neben-schneide

Draufsichtauf die Spanfläche

ε

−γ

−α

κ κN

Ω

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 125: Spanen ||

107

Aus dieser Grenzbetrachtung folgt, dass ein Schneidkeil entsprechend dem Einsatz-fall (Schruppen oder Schlichten, gleichmäßiger oder unterbrochener Schnitt, über-wiegend thermische oder mechanische Belastung) optimiert werden kann und so einen Kompromiss darstellt zwischen günstigem Wärmefluss und großer mechani-scher Tragfähigkeit durch einen großen Raumwinkel, einer breiten Vielfalt herstell-barer Formen durch geringen Eckenwinkel und geringer Reibbeanspruchung durch ausreichende Freiwinkel und Einstellwinkel der Nebenschneide.

Fragen

1. Welche Energiewandlungen finden an der Wirkstelle statt? 2. Welche Zonen der Energiewandlung sind zu unterscheiden? 3. Wie lassen sich die auf die Zonen entfallenden Energieanteile bestimmen,

wenn Ihnen ein 3-Komponenten-Schnittkraftmesser zur Verfügung steht? 4. Wie lässt sich der Energieanteil aus eingefrorener elastischer Verformung

(Eigenspannungen) abschätzen? 5. Wie erfolgt die Wärmeabfuhr von der Wirkstelle? 6. Skizzieren Sie den Ansatz des Modells zur Wärmestromabfuhr. 7. Nennen Sie einige Möglichkeiten der Temperaturmessung und diskutieren Sie

sie. 8. Was ist der Seebeck-Effekt? 9. Erläutern Sie das Zweimeißel-Verfahren. Welchen Vorteil bietet es gegenüber

dem Einmeißel-Verfahren?10. Geben Sie eine obere Grenze für die Spantemperatur an.11. Was verstehen Sie unter Festkörperkonvektion beim Spanen?12. Vergleichen Sie die Werkstückoberflächentemperatur beim Spanen mit hoher

und geringer Schnittgeschwindigkeit. Wann wird mehr Energie je Volumenein-heit umgesetzt? Wodurch sind die Temperaturunterschiede zu erklären?

13. Skizzieren Sie (schematisch) den Isothermenverlauf im Schneidkeil in der Keilmessebene und in einer Ebene parallel zur Schneidenebene im Abstand der 2-fachen Spanungsdicke von der Schneide.

14. Welche sind die wesentlichen Einflussgrößen auf die Temperatur im Schneidkeil?

15. Wodurch ist der Raumwinkel, der den Schneidkeil umschließt, begrenzt?16. Welche gegenläufigen Einflüsse bestimmen die optimale Schneidkeilform?17. Die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung (HSC) gewinnt immer mehr an Bedeu-

tung (s. auch Abschn. 9). Aluminiumwerkstoffe werden hierbei mit Schnitt-geschwindigkeiten bis vc = 10.000 m/min gegenüber vcmax = 3000 m/min bei konventioneller Zerspanung bearbeitet.

a. Um welchen Faktor erhöht sich hierbei der spezifische Energieanteil der Stoffumlenkung?

b. Welchen Einfluss haben die bestimmenden Größen?

Fragen

Page 126: Spanen ||

108

c. Geben Sie das Verhältnis der Energieanteile für die Stoffumlenkung zur Stoffumformung für beide Geschwindigkeitsbereiche an.

Literatur

[BAR88] Bartsch, S.: Verschleiß von Aluminiumoxidkeramik-Schneidstoffen unter sationärer Belastung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1988

[BAE94] Baehr, H.D.: Wärme und Stoffübertragung. Springer 1994[BEN03] Ben Amor, R.: Thermomechanische Wirkmecha nismen und Spanbil dung bei der

Hochge schwindigkeitszerspanung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 2003[DAV07] Davies, M.A..e.a.: On the Measurement of Temperatures in Material Processing. Annals

of the CIRP, 56 (2007), 2, p.581-604[DEN92] Denkena, B.: Verschleißverhalten von Schneidkeramik bei instationärer Belastung. Dr.-

Ing. Diss. Univ. Hannover 1992[KÜS56] Küsters, K. J.: Temperaturen im Schneidkeil spanender Werkzeuge. Dr.-Ing. Diss.

RWTH Aachen 1956[OPI52] Opitz, H.: Meßgeräte zur Ermittlung der Schnittkraft und Schnitttemperatur bei Zerspa-

nungsvorgängen. Werkstatt und Betrieb, 85 (1952) 2, S. 43-47[SCH33] Schwerd, F.: Über die Bestimmung des Temperaturfeldes beim Spanablauf. Zeitschrift

des VDI, 77 (1933) 9, S. 211-216[TÖN94] Tönshoff, H.K.; Wobker, H.-G.; Ziebeil, F.: Distribution of temperature and stress in the

contact zone of a cutting tool. Annals of the German Acadamic Soc. for Production Engeniee-ring, Vol.2, (1994)

[VIE53] Vieregge, K.: Die Energieverteilung und die Temperatur bei der Zerspanung. Werkstatt und Betrieb, 86 (1953) 11, S. 691-703,

konv.: vc = 3000 m/min λh,konv. = 1,6vf = 6000 mm/min kf,konv. = 155 MPa

HSC: vc = 10000 m/min λh,HSC = 3,5vf = 6000 mm/min kf,HSC = 147 MPa

Orthogonalschnitt: γ = 12° ρ = 2,8 kg/dm3

5 Energieumsetzung und Temperaturen

Page 127: Spanen ||

109

Die Anwendung von Simulationen im Bereich der Zerspanung baut im Allgemei-nen auf der Verbindung numerischer Methoden oder der algorithmischen Geometrie mit den in diesem Buch behandelten Verfahren auf. Entscheidend für die Aussage-kraft sind daher nicht nur die Eingangsdaten der Simulation, sondern auch die zu-grundeliegenden Modelle.

Auf der anderen Seite bieten rechnergestützte Verfahren die Möglichkeit, Daten in vielen Variationen und in einer Geschwindigkeit und Auflösung zu berechnen, die ohne sie undenkbar wären. Die Konsequenz hieraus sind Möglichkeiten für neue Modelle, die bislang notwendige Vereinfachungen vermeiden und daher eine deutlich gesteigerte Aussagekraft haben. Man darf jedoch, trotz der eindrucksvollen und anschaulichen bewegten Bilder, nicht vergessen, dass Simulationen die Realität stets nachbilden – und zwar basierend auf der durch die Modelle gefilterten Sicht der Realität. Vor einer Schlussfolgerung auf Basis der Ergebnisse einer Simula-tion ist demnach die Anwendbarkeit des verwendeten Modells auf die jeweilige Situation zu prüfen und ggf. mittels realer Experimente zu verifizieren. Ziel einer Simulation muss stets sein, ein Modell anzuwenden und durch das systematische Durchspielen zahlreicher Varianten zu verstehen.

Bei der Durchführung einer Simulation ist stets zwischen der Zeit, die durch die Simulation abgebildet wird – der Simulationszeit – und der tatsächlich benötigten Zeit für die notwendigen Berechnungen – der Realzeit – zu unterscheiden. Diese stimmen in den seltensten Fällen überein. Wird beispielsweise untersucht, wie viel Material bei einer Umdrehung eins Fräsers mit einer Drehzahl von 6.000/min ent-fernt wird, so beträgt die Simulationszeit hierfür eine hundertstel Sekunde, unab-hängig davon, welche Realzeit in der Zwischenzeit vergangen ist.

Im Bereich der Simulation des Zerspanprozesses werden zwei wesentliche Ansät-ze verfolgt, die sich durch ihre Zielsetzung und ihren Detailierungsgrad unterschei-den. Bei der geometrischen Simulation des Materialabtrags oder kinematischen Simulation wird die Form des am Werkstück zerspanten Bereiches in diskreten Zeitschritten und hieraus die jeweilige Gestalt des Werkstücks ermittelt. Moderne Systeme zur rechnergestützten Fertigungsplanung (engl.: Computer Aided Manu-facturing, CAM) enthalten häufig einfache Varianten solcher Simulationen, um die geplanten Bearbeitungsprozesse zu visualisieren und zu überprüfen. Darüber hinaus

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 6Modellierung und Simulation

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werden spezialisierte, kommerzielle Systeme angeboten, die virtuelle Ebenbilder von Werkzeugmaschinen inklusive Kinematik, Steuerung und Simulation des Ma-terialabtrags zur Verfügung stellen. Zielsetzung auch dieser Systeme ist bislang die Visualisierung und Überprüfung der Prozessplanung. In neuerer Zeit werden jedoch immer häufiger die ermittelten geometrischen Informationen zur Berechnung von technologischen Größen, wie z.B. Prozesskräften oder Temperaturen, verwendet.

Die kinematische Simulation zeichnet sich durch die Möglichkeit zur Abbildung komplexer Werkzeug- und Werkstückgestalten aus und ist zudem in der Lage, auch komplizierte Bewegungen der beteiligten Komponenten nachzubilden.

Im Gegensatz hierzu steht die numerische Simulation von Zerspanprozessen auf Basis der Finite-Elemente-Methode (FEM) oder der Molecular Dynamics (MD). Diese Ansätze betrachten die Vorgänge der Zerspanung sehr viel detaillier-ter, decken aber aus diesem Grund auch ein sehr viel kleineres zeitliches Intervall wie auch einen kleineren geometrischen Bereich ab. Die Berechnung für einen ein-zelnen Schneidendurchlauf kann hierbei bis hin zu mehreren Tagen dauern. Es ist offensichtlich, dass die Wahl eines geeigneten Simulationsansatzes von der Ziel-setzung der gewünschten Untersuchungen abhängt. Für jeden Anwendungsfall ist daher nach dem Grundsatz vorzugehen: So detailliert wie nötig aber mit so wenig Aufwand wie möglich.

6.1 Kinematische Simulation

Voraussetzung, um mit einem Rechner den Abtrag von Material am Werkstück nachzubilden, sind geometrische Modelle von Werkstück und Werkzeug sowie die Beschreibung der ausgeführten Bewegung. Geeignete Formate, um die Gestalt von beteiligten Komponenten zu beschreiben, finden sich im Bereich der rechnerge-stützten Konstruktion (engl.: Computer Aided Design, CAD). Tatsächlich werden diese Formate bereits bei der Planung der Bearbeitungsprozesse mittels CAM ver-wendet und bieten sich daher auch als Eingangsdaten für die Simulation an. Eine naheliegende Methode, um die Gestalt eines spanend bearbeiteten Werkstücks in einer Simulation nachzubilden, besteht darin, ein vorhandenes CAD-Modell des Werkstücks im Ausgangszustand durch das kontinuierliche Anwenden von geome-trischen Schnittoperationen mit dem Werkzeug zu modifizieren und dem Fortgang des Zerspanprozesses anzupassen. Dies kann grundsätzlich durch dieselben Me-chanismen erfolgen, die auch im CAD genutzt werden. In den meisten Fällen ist es jedoch sinnvoll, einen auf die Zielsetzung angepasstes Modell zu verwenden. Die Simulationszeit wird hierbei in Intervalle aufgeteilt, die nur näherungsweise be-trachtet werden, jedoch kurz genug sind, um die jeweilige Veränderung hinreichend genau zu betrachten. Da zur Berechnung nur der Zustand zu Beginn und zum Ende des Zeitabschnitts betrachtet wird, wird von Zeitschritten bzw. Zeit-Diskretisie-rung gesprochen.

Zwei wesentliche Kriterien für die Eignung eines Modells für eine konkrete An-wendung sind die zu erwartende Rechenzeit und der Speicherverbrauch. Wichtig

6 Modellierung und Simulation

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sind dabei weniger der absolute Wert für eine konkrete Simulation als das Verhalten des Modells bei zunehmendem Detaillierungsgrad. Je nach Modell, kann sich bei einer Halbierung des maximalen Fehlers der benötigte Speicherplatz verachtfachen (verdoppeln je Raumrichtung) oder überhaupt nicht erhöhen. Gleiches gilt für die benötigte Rechenzeit.

Für die Beschreibung der Bewegungen werden, je nach Komplexität, entweder direkte interaktive Eingaben oder der für die Programmierung der zu verwenden-den Werkzeugmaschine vorhandene NC-Code verwendet. Innerhalb der Simulation wird dieses Format in die resultierende Bewegung des Werkzeugs, bezogen auf das Werkstück transformiert. Sowohl das Modell des Werkstücks wie auch des Werk-zeugs bestehen aus Punkten, Kanten, Flächen und Körpern, die jeweils bezogen auf ein lokales Koordinatensystem beschrieben sind. Für Fräswerkzeuge wird der Null-punkt üblicher Weise in die Spitze, mit Ausrichtung der Z-Achse entlang der Ro-tationsachse gelegt und mit Werkzeugkoordinatensystem bezeichnet. Das lokale Koordinatensystem des Werkstücks wird mit Werkstückkordinatensystem be-zeichnet. Zur Beschreibung der Position einer Komponente ist es ausreichend, die Position und Orientierung des lokalen Koordinatensystems festzulegen (Abb. 6.1).

6.1 Kinematische Simulation

Abb. 6.1 Abbildung von Bewegungen über Transformation des lokalen Werkzeug-Koordinatensystems

X

Y

Z

X

Y

Z

X

Y

Z

globalesKoordinatensystem

Werkstück-koordinatensystem

Werkzeug-koordinatensystem

Werkzeug

Werkstück

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Dies geschieht durch eine räumliche Transformationsmatrix, die die Darstellung eines jeden Punktes oder Vektors im Zielkoordinatensystem beschreibt. Zur Dar-stellung einer Bewegung wird für jeden Zeitpunkt t eine solche Matrix festgelegt.

Für den Fall, dass als Eingangsdaten das NC-Programm für die Werkzeugma-schine verwendet wird, muss zur Berechnung der tatsächlichen Bewegung ein ma-thematisches Modell der Maschinenkinematik und eine Nachbildung der Maschi-nensteuerung herangezogen werden, um die Transformationsmatrix zu berechnen. Die Aufgabe der Maschinensteuerung ist es, die beschriebenen Bewegungen in der realen Maschine umzusetzen. Um die dabei auftretenden physikalischen Beschrän-kungen zu umgehen, ist es notwendig, Modifikationen an den Bewegungsbahnen vorzunehmen. Eine plötzliche Richtungsänderung wird beispielsweise durch Ver-rundungen ersetzt, da die Beschleunigung der physikalischen Maschinenachsen be-schränkt ist. Darüber hinaus, weicht eine Maschine aufgrund von Nachgiebigkeiten und Schwingungen von der Idealbahn ab. Die Untersuchung dieser Abweichungen ist häufig das Ziel der durchgeführten Simulationen. Je mehr Einflüsse nachgebildet werden sollen, desto größer ist der notwendige Aufwand. Zudem ist die Zielsetzung der kinematischen Simulation häufig auf die Verwendung der Ergebnisse in wei-teren Simulationen ausgerichtet, die das Maschinenverhalten nachbilden [SUR06, REH09]. An dieser Stelle soll jedoch nur die Funktionsweise der Berechnung der Werkstückgestalt zu den einzelnen Zeitpunkten beschrieben werden. Im Folgenden wird deshalb von einer gegebenen Beschreibung der Bewegungsfunktion ausge-gangen.

Um die räumliche Gestalt von Werkzeug und Werkstück zu beschreiben, ist ein geeignetes rechnerinternes Format, ein sogenanntes Volumenmodell, notwendig. Ungeachtet der Vielzahl der aus dem CAD bekannten konkreten Dateiformate, las-sen sich die Methoden der Darstellung in drei Klassen aufteilen. Volumetrische Modelle nutzen kleine, einfach zu beschreibende, aneinander grenzende, sich je-doch nicht schneidende Zellen, um diese zu einem Gesamtmodell zu kombinieren. Bei Verknüpfungsmodellen werden durch geschlossene Formeln beschreibbare räumliche Objekte wie Kugeln, Quader, Zylinder etc. durch sogenannte Boolesche Operationen miteinander verknüpft, d.h. durch Vereinigung, Durchschnitt oder Dif-ferenz der jeweiligen eingeschlossenen Teilmengen des kartesischen Raums. Bei den sogenannten Grenzflächenmodellen (engl.: Boundary Representation, B-Rep) werden die Objekte durch die sie einschließenden, aneinandergrenzenden Flächen beschrieben [STR06]. Dies können sowohl komplexe parametrisierte Flächen, wie auch eine Vielzahl von Dreiecken sein. Für die Simulation von Materialabtrag kom-men unterschiedliche, teils spezialisierte Varianten dieser Klassen zum Einsatz, die im Folgenden beschrieben werden.

6.1.1   Darstellung des Werkstücks

Bevor konkrete Modelle zur Darstellung des Werkstücks erläutert werden, soll zu-nächst noch ein Blick auf die Anforderungen aus Anwendersicht geworfen werden.

6 Modellierung und Simulation

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Diese hängen, wie bereits mehrfach erwähnt, von den Zielen der mit ihrer Hilfe durchgeführten Untersuchung ab. Daher müssen vor der Auswahl eines Modells zunächst die folgenden Fragen gestellt werden, nach denen die Modelle bewertet werden müssen.

1. Mit welcher Genauigkeit soll die Werkstückgestalt ermittelt werden? Diese Frage beeinflusst nicht nur die Auswahl des Modells an sich, sondern bei Nut-zung einer approximierten Gestalt die Wahl der Anzahl von Elementen bzw. der Element-Auflösung. Je nach Anwendung kann es hinreichend sein, lediglich eine Aussage über den Zeitpunkt des Kontaktes zwischen Werkzeug und Werkstück zu treffen oder die genaue Oberfläche mit sehr hoher Auflösung zu berechnen. Eine höhere Genauigkeit führt meist zu einem höheren Bedarf an Speicherplatz und wirkt sich negativ auf die Geschwindigkeit der Simulation aus.

2. Wird das ganze Werkstück oder nur ein Ausschnitt betrachtet? Nicht immer ist es von Interesse, die Bearbeitung eines kompletten Werkstücks abzubilden. Zudem ist es möglich, dass z.B. nur eine Seitenfläche des Werkstücks mit hoher Genauigkeit untersucht werden muss.

3. Welche zeitliche Auflösung und Dauer soll untersucht werden? Wie bereits bei der Abgrenzung der kinematischen Simulation von FEM und MD, spielt diese Frage auch hier eine Rolle. Eine höhere zeitliche Auflösung hat im All-gemeinen eine längere Rechenzeit zur Folge. Der Speicherbedarf für das Modell steigt zwar nicht an, dafür werden jedoch mehr Ergebnisdaten erzeugt.

4. In welcher Realzeit soll die Simulation durchgeführt werden? Es ist zu prü-fen, ob für die Dauer der Berechnungen zeitliche Einschränkungen bestehen. Dies ist insbesondere bei Simulationen der Fall, die parallel zum realen Prozess durchgeführt werden, um über diesen zusätzliche Informationen zu erhalten oder sogar regelnd auf ihn einzuwirken. Bei Simulationen zur Überprüfung von NC-Programmen ist es natürlich erwünscht, nur möglichst kurz auf das Ergebnis warten zu müssen.

5. Welche Art von Bewegungen des Werkzeugs wird erwartet und was bedeu-tet dies für die entstehende Gestalt? Ein 3-Achs-Fräsprozess ist in den meisten Fällen von vornherein auf die Oberfläche einer Seite eines Quaders beschränkt. Durch die Wahl eines geeigneten Modells kann die Aussagekraft der Simula-tion verbessert oder der Ressourcenverbrauch vermindert werden. Gleiches gilt für viele Prozesse, die sich aus translatorischen und rotatorischen Bewegun-gen zusammensetzen. Dies kann insbesondere bedeuten, dass das Werkstück, zumindest in Idealgestalt, rotationssymmetrisch aufgebaut ist, beispielsweise bei einem Dreh- oder Rundschleifprozess.

6. In welcher Art sollen die ermittelten geometrischen Daten weiterverarbei-tet werden? Je nach Ziel einer geometrischen Simulation und nach betrach-tetem Prozess sollen unterschiedliche Informationen ermittelt werden. Dies können beispielsweise Kräfte, Temperaturen, etc. sein. Die Eingangsdaten für die verwendeten technologischen Berechnungen müssen auf möglichst einfache Art und mit geringen Verlusten aus den Simulationsergebnissen ermittelt wer-den können. Unter Umständen sollen sie Eingangsdaten für andere Simulatio-

6.1 Kinematische Simulation

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nen sein. Umgekehrt sind ggf. die Ergebnisse anderer Simulationen auch die Eingangsdaten für das verwendete Abtragsmodell. Bei einigen Anwendungen erfolgt sogar ein stetiger Austausch zwischen verschiedenen Simulationssyste-men, um dynamische Effekte abzubilden. Der Datenaustausch beeinflusst dann besonders stark die Wahl des Werkstückmodells.

6.1.1.1 Voxelmodelle

Ein Voxelmodell ist die einfachste Form einer volumetrischen Darstellung räum-licher Objekte [HOU03]. Es ist vergleichbar mit Bitmapformaten für Grafiken. Durch dreidimensionale Felder kleiner Quader wird ein diskretisiertes Abbild des Werkstücks erzeugt (Abb. 6.2). Die Quader werden mit Voxel bezeichnet, einem Kunstwort für volume element (in einigen Quellen auch volumetric pixel). Da ein Voxel nur zwei Zustände kennt, nämlich Material vorhanden oder kein Material vorhanden, benötigt es nur ein Bit an Speicherplatz. Der Ort eines Voxels wird über die Position in der dreidimensionalen Speichermatrix festgelegt. Die Genau-igkeit eines Voxelmodells ist im günstigsten Fall durch den kleinsten, senkrechten Gitterabstand und im ungünstigsten Fall durch die Länge der Raumdiagonale des Voxels festgelegt. Da dreidimensionale Datenfelder verwendet werden, steigt der Speicherbedarf in dritter Potenz, d.h. bei einer Verdoppelung der Auflösung in jeder Hauptrichtung wird die achtfache Speichermenge benötigt. Für einen Würfel mit der Kantenlänge 200 mm und einen Gitterabstand von 0,1 mm würde demnach bereits ein Speicher von 1 Gigabyte benötigt (2000³ Bit). Der enorme Speicherver-brauch des Voxel-Modells lässt sich zwar durch eine flexible Variation der Auflö-sung in den unterschiedlichen Werkstückbereichen abschwächen – beispielsweise durch eine sogenannte Octree-Struktur – dies erhöht jedoch deutlich die Komplexi-tät der Berechnungen.

Abb. 6.2 Schematische Dar-stellung eines Voxelmodells

6 Modellierung und Simulation

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Insgesamt lässt sich festhalten, dass Voxelmodelle aufgrund ihrer Einfachheit schnell anwendbar sind und bei niedrigen Auflösungen eine sehr hohe Rechenge-schwindigkeit erreichen. Mit steigender Anzahl der Voxel stößt dieses Verfahren jedoch schnell an seine Grenzen.

6.1.1.2 Dexelmodelle

Ein im Prinzip dem Voxelmodell sehr ähnlicher Ansatz, das sogenannte Dexel-modell, stellt über einer zweidimensionalen Matrix von äquidistanten, diskreten X- und Y-Positionen die jeweilige Höhe der Ober- und der Unterseite des Werk-stücks dar. Die entstehenden Stäbchenelemente an den Matrixpositionen werden mit Dexel (depth elements) bezeichnet [STA06]. Dies ist anschaulich vergleich-bar mit auf einem Brett rechteckig angeordneten, parallelen Nägeln, die durch den Prozess beschnitten werden (Abb. 6.3). Für den Fall, dass die Höhenwerte für beide Seiten identisch sind, ist kein Material, also anschaulich kein Nagel vorhanden.

Durch die Beschränkung auf ein Dexel pro Position ergibt sich eine Einschrän-kung in der Darstellbarkeit beliebiger räumlicher Objekte. In Richtung des Verlaufs eines Dexels können keine Lücken im Material dargestellt werden. Dies lässt sich durch eine Erweiterung mit einer lokal variablen Zahl von Dexeln vermeiden, führt jedoch zu erhöhtem Speicherbedarf und einer komplexeren Datenstruktur.

Dexelmodelle haben gegenüber den Voxelmodellen den Vorteil, dass der Spei-cherbedarf nur in zweiter Potenz wächst. Zusätzlich ist die Genauigkeit in Rich-tung der Dexel sehr viel höher, da die Höhenwerte statt über ganzzahlige Werte

Abb. 6.3 Dexelmodell eines Quaders

6.1 Kinematische Simulation

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mit Fließkomma-Genauigkeit dargestellt werden können. Ein beliebiger Punkt auf einer näherungsweise senkrecht zur Stäbchenrichtung verlaufenden Oberfläche ist also über Interpolation zwischen den Höhenwerten der benachbarten Raster-punkte recht genau zu bestimmen. Liegt die betrachtete Richtung jedoch in der Ebene der Rastermatrix, so wird keine höhere Genauigkeit als beim Voxelmodell erreicht. Für ein allgemein anwendbares Materialabtragsmodell ist es jedoch nicht zufriedenstellend, wenn die Rechengenauigkeit stark von der betrachteten Rich-tung abhängt. Man kann diese Problematik umgehen, indem für jede Hauptachse des kartesischen Werkstück-Koordinatensystems ein eigenes Dexelfeld aufgebaut wird. Diese Vorgehensweise hat allerdings den Nachteil, dass zur Weiterverarbei-tung, beispielsweise zur Visualisierung, drei redundante Datenmengen zu einem Gesamtmodell zusammengefügt werden müssen, ein Vorgang der zum Teil recht aufwändig ist.

Der Speicherbedarf des bereits beim Voxelmodell verwendeten Beispiels eines Würfels mit 2000 Elementen pro Richtung liegt beim Dexelmodell − setzt man ein-fache Fließkommagenauigkeit (32Bit) in drei Raumrichtungen voraus − bei 2000² Elemente à 192 Bit, das ergibt 96 MByte. Selbst bei einer aufwändigeren Darstel-lung der Dexel ist also bereits bei dieser Werkstückgröße und Auflösung mit einem deutlich geringeren Speicherbedarf zu rechnen als beim Voxelmodell.

6.1.1.3 Polyedermodelle

Polyeder-Modelle gehören zur Gruppe der Grenzflächenmodelle, d.h. ein Körper wird komplett durch seine Oberfläche beschrieben. Im Fall des Polyedermodells besteht diese Fläche ausschließlich aus ebenen Polygonen (Facetten), die die tat-sächlich zu beschreibende Fläche mit einer im Allgemeinen vorher spezifizierten maximalen Abweichung bedecken (Abb. 6.4). Um eine konsistente Funktion si-cherzustellen, muss die Oberfläche geschlossen sein, darf also keine Lücken enthal-ten. Anschaulich bedeutet dies, dass die beschriebene Fläche „wasserdicht“ ist. Um

Abb. 6.4 Polyedermodell unter Verwendung von Dreiecken

6 Modellierung und Simulation

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dies zu erreichen, wird häufig die Datenstruktur für das Modell derart aufgebaut, dass ein hierarchischer Baum aus Körper, Flächen, Kanten und Knotenpunkten entsteht. Eine Fläche wird in diesem Baum durch Verweise auf die begrenzenden Kanten beschrieben. Diese bestehen aus Verweisen auf Anfangs- und Endknoten. Durch Mehrfachverweise auf gemeinsame Elemente wird die Gefahr von Lücken vermindert und die Überprüfbarkeit der Konsistenz des Modells erleichtert. Zwei benachbarte Flächen verweisen beispielsweise auf dieselbe Kante. Um grafische Darstellungen oder Rechenoperationen mit den beschriebenen Körpern zu verein-fachen, ist jeder Fläche zusätzlich ein Normalenvektor zugeordnet, der aus dem Körper herauszeigt.

Schnittoperationen zwischen zwei Körpern lassen sich im Polyedermodell auf eine Reihe von Schnittoperationen zwischen den miteinander in Kontakt stehenden Facetten beider Körper reduzieren. Getrennt durch die Polygonzüge der Schnittkan-ten beider Körperoberflächen, entstehen vier oder mehr Teilschalen, die je nach Art der Operation zum resultierenden Körper zusammengefügt werden. In der Praxis wird häufig auf Polyeder mit mehr als drei Ecken bzw. Seiten verzichtet. Hierdurch verringert sich die Anzahl der zu unterscheidenden Konfigurationen beim Schnitt. Elemente mit mehr Ecken lassen sich einfach in Dreiecke zerlegen.

Die Rechengenauigkeit des Polyedermodells ist abhängig von der Genauigkeit der Approximation. Bei der Durchführung von Schnittoperationen ist es jedoch teilweise schwierig, zwei identische Punkte als solche zu erkennen, da durch den vorhandenen Rechenfehler nicht identische Koordinaten, sondern nur zwei sehr dicht beieinander liegende Werte vorliegen. Dies wird durch die Einführung eines Schwellenwertes vermieden, der zwei Punkte unterhalb eines Mindestab-stands als identisch definiert. Trotzdem kann es bei ungünstigen Konfigurationen zu inkonsistenten Daten kommen, die entweder durch entsprechende Fallunter-scheidungen vermieden oder nach anschließender Überprüfung korrigiert wer-den müssen.

Die für eine Schnittoperation erforderliche Rechenzeit hängt von der Anzahl der Flächen der beteiligten Körper ab. Eine Verdoppelung der Flächenzahl an beiden Komponenten vervierfacht die Anzahl der notwendigen Vergleiche. Der Speicher-bedarf ist nicht, wie bei den volumetrischen Modellen, direkt berechenbar. Das Beispiel des Würfels mit 200 mm Kantenlänge lässt sich sehr einfach als Poly-eder-Modell darstellen – tatsächlich ist ein Würfel bereits ein durch die sechs Sei-ten mit Polyedern, nämlich Quadraten, beschrieben. Für eine Darstellung mit Drei-ecksflächen müssen jeweils nur Diagonalen in die Seiten eingefügt werden. Die so entstehende Darstellung des Würfels ist in jedem Punkt mathematisch korrekt und ohne Fehler und benötigt, unabhängig von der Größe des Würfels stets den gleichen Speicherplatz. Je komplexer die Gestalt eines Werkstücks wird, desto größer wird jedoch auch die benötigte Anzahl von Flächen. Hier wird auch ein Nachteil des Polyedermodells offenbar. Durch jede Verschnittoperation mit dem Werkzeug kom-men im Allgemeinen mehr Polyeder hinzu als entfernt werden. Der Speicherbedarf wächst also mit Fortschreiten der Simulation. Vorteil dieses Ansatzes ist, dass je nach Bedarf in verschiedenen Werkstückbereichen lokal sehr unterschiedliche Ge-nauigkeiten erzeugt werden können.

6.1 Kinematische Simulation

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6.1.1.4 CSG-Modelle (Constructive Solid Geometry)

CSG-Modelle [SUR06] werden durch Anwendung von Mengenoperationen auf eine Grundmenge einfach zu beschreibender Grundkörper, sogenannter Primitiva, gebildet und gehören damit zu den Verknüpfungsmodellen. Im Gegensatz zu den bislang beschriebenen Modellen, wird die Schnittoperation jedoch nicht zum Zeit-punkt der Definition durchgeführt, sondern die verwendeten Körper und Operatio-nen gespeichert (Abb. 6.5). Die Datenhaltung erfolgt als binärer Baum, dessen Blät-ter durch die einzelnen Primitiva und dessen Knoten durch die jeweilige Mengen-operation gebildet werden. In dieser Struktur ist eine Schnittoperation, wie sie bei Zerspanprozessen vorgenommen wird, sehr einfach hinzuzufügen. Darüber hinaus ist die resultierende Gestalt, abhängig von der Darstellungsgenauigkeit der Grund-elemente, analytisch exakt beschrieben. Bei der Weiterverarbeitung, beispielsweise zur grafischen Darstellung oder zur Berechnung von Prozessgrößen, muss jedoch der Baum der Operationen jeweils erneut ausgewertet und in ein anderes Modell

Abb. 6.5 CSG-Modell eines Kugelkopf-Fräsprozesses (oben), resultierende Werkstückgestalt (unten)

Werkstück

Werkzeug

Vf

6 Modellierung und Simulation

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konvertiert werden, da CSG-Modelle nur sehr eingeschränkt für die direkte Nut-zung geeignet sind. Der bereits mehrfach als Beispiel herangezogene Würfel er-zeugt im CSG-Modell einen Baum mit einem Knoten. Die Größe des Baums steigt mit der Anzahl der durchgeführten Operationen. Damit steigen auch der Speicher-bedarf und die Rechenzeit für die weiterführende Auswertung. Die Speicherung der Schnittoperation selbst kann jedoch sehr schnell vollzogen werden.

6.1.1.5 Höhenlinien

Ein weiteres Modell auf Basis von Grenzflächen ist das Höhenlinien-Modell (Abb. 6.6) [DEN07]. Ähnlich der Darstellung von landschaftlichen Erhebungen in Karten, wird das Werkstück hierbei mit parallelen Ebenen, üblicherweise parallel zu einer der kartesischen Hauptebenen, geschnitten und der Linienzug als zwei-dimensionales Modell gespeichert. Der Linienzug kann entweder als Polygonzug mit entsprechender Vorgabe für die maximale Abweichung angelegt werden oder als analytische Beschreibung in Form von parametrisierten Kurven. Im Fall von Polygonzügen erhält man auf diese Weise einen Spezialfall des Polygonmodells, da sich die Knoten benachbarter Ebenen leicht zu Dreiecken ergänzen lassen. Zum Schneiden des dargestellten Werkstücks mit einem Werkzeug genügt es, den Schnitt des Werkzeugs in der jeweiligen Ebene zu bestimmen und die entstehende Schnitt-kurve mit dem jeweiligen Höhenzug zu verschneiden. Die durchgeführte Operation ist sehr viel einfacher zu vollziehen als beim allgemeinen Polyedermodell, da es sich um eine zweidimensionale Schnittoperation handelt.

Ein weiterer Vorteil des Höhenlinienmodells liegt in dem geringeren Aufwand zur Aufbereitung bei der Weiterverwendung der Ergebnisse. Das beim Material-

6.1 Kinematische Simulation

Abb. 6.6 Höhenlinienmodell

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abtrag in einem Zeitschritt zerspante Volumen ist durch die Ebenen in Elemente zerteilt, die in einer Richtung durch parallele Ebenen begrenzt werden, was weitere Berechnungen vereinfacht.

6.1.2   Werkzeugmodell

Jedes der beschriebenen Modelle für das Werkstück ist darauf ausgerichtet, mit einem geeigneten Modell für das Werkzeug modifiziert zu werden, indem geomet-rische Schnittoperationen durchgeführt werden. Das für das Werkzeug verwendete Modell muss hierbei nicht zwangsläufig auf dieselbe Art aufgebaut sein wie das Werkstück. Vielmehr ist es, je nach Situation, von Vorteil, ein spezielles, auf das Bearbeiten des Werkstückmodells angepasstes Werkzeugmodell zu nutzen.

Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass bei Verwendung eines Werkstücks mit analytisch beschriebener Gestalt die Verwendung von diskretisierten Werkzeug-modellen den Vorteil der hohen Genauigkeit zunichtemacht. Insgesamt gilt, dass die Genauigkeit der Darstellung des Werkzeugs auf die des Werkstücks abzustimmen ist. Gleiches gilt für die Wahl der zeitlichen Auflösung.

Trotzdem ist es, abhängig vom Ziel der Simulation, oft sinnvoll, Vereinfachun-gen beim Werkzeugmodell vorzunehmen. Bei den meisten Anwendungen mit rotie-renden Werkzeugen ist es hinreichend, den durch die Rotation entstehenden Körper des Werkzeug zu betrachten, da die Bewegung der einzelnen Schneiden in den Zeit-schritten der Simulation nicht betrachtet werden. Daher werden keine CAD-Mo-delle des tatsächlichen Werkzeugs mit einer detaillierten Darstellung der einzelnen Schneiden verwendet. Die Werkzeuge werden stattdessen häufig über die Kontur-kurve des Rotationskörpers spezifiziert. Eine Darstellung mit sieben Parametern, mit der die meisten Fräswerkzeuge abgebildet werden können ist in DIN66215 an-gegeben [DIN66215].

Trotz der Reduzierung der Werkzeuge auf ihren Rotationskörper kann im Üb-rigen durchaus bei der Auswertung der Ergebnisse die Schnittrichtung und -ge-schwindigkeit oder die konkrete Gestalt der Schneiden berücksichtigt werden.

Ungeachtet des verwendeten Formats oder Detaillierungsgrads des Werkzeug-modells ist beim Schneiden des Werkstückmodells zu beachten, dass zur Bestim-mung des zu entfernenden Materials auch bei sehr hochauflösender zeitlicher Dis-kretisierung stets der vom Werkzeug durchlaufene Raum – die Spur – zu betrachten ist und nicht das Werkzeugmodell zu einem bestimmten Zeitpunkt. Daher ist aus dem Werzeugmodell und den Daten über die durchgeführte Bewegung durch eine weitere Operation ein sogenanntes Spurvolumen zu erzeugen. Dies ist insbesondere bei Werkzeugbewegungen, die durch Kombination von translatorischen und rotato-rischen Bewegungen abgebildet werden nicht trivial. Für viele Modelle existieren allerdings bereits Algorithmen, die Spurvolumina erzeugen können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Wahl eines geeigneten Werkzeugmodells ist die Konvexität. Bei der Berechnung von Schnitten zwischen Werkzeugen und Werkstück wird bei den meisten Verfahren jeweils nur der sichtbare Bereich der

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Werkzeugoberfläche von unterschiedlichen Seiten betrachtet und dieser mit dem Werkzeugmodell verschnitten. Befinden sich in der jeweils betrachteten Richtung Hinterschnitte im Werkzeug, d.h. ein Strahl in Blickrichtung würde mehr als ein-mal in das Material ein- und wieder austreten, so wird der verdeckt liegende Be-reich nicht erkannt Dieser Fall kann beispielsweise beim Schleifen mit profilierten Schleifscheiben (Abb. 6.7). Topfscheiben oder bei der detaillierten Betrachtung von Fräsprozessen inklusive der Einzelschneiden auftreten. Nicht nur aus diesem Grund ist es wichtig, bei der Auslegung von kinematischen Simulationen mit der Funk-tionsweise der Modelle und Algorithmen vertraut zu sein.

6.1.3   Ermittlung von Prozessgrößen

Bislang wurde beschrieben, wie aufgrund rein geometrischer Betrachtungen für ein vorher festgelegtes Zeitintervall die Gestalt des zerspanten Materials bestimmt wer-den kann. Die Eingangsgrößen der analytischen Methoden, wie sie in den voran-gegangenen Kapiteln beschrieben werden, beinhalten keine detaillierte Information über diese Gestalt, sondern müssen Verallgemeinerungen vornehmen. Im Gegen-satz hierzu bietet die Simulation die Möglichkeit, eine Darstellung der tatsächlichen Form des pro Zeitschritt entfernten Bereichs zu ermitteln. Dies erfordert einerseits, dass die ermittelten Daten zur weiteren Verwendung aufbereitet werden, anderer-seits bietet sich durch Einbeziehung von Wissen über weitere Prozessgrößen die Möglichkeit, ein sehr viel detaillierteres Bild des ablaufenden Prozesses zu erhalten.

6.1 Kinematische Simulation

Abb. 6.7 Berücksichtigung von konkaven Bereichen im Werkzeugmodell

ProfilierteSchleifscheibe(Werkzeug)

Nicht sichtbarerBereich

Strahl zur Schnitt-Bestimmung

Betrachtungs-richtung

Werkstück

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Einige der wichtigsten geometrischen Eingangsgrößen beim Zerspanen sind der Spanungsquerschnitt, die Kontaktfläche zwischen Werkzeug und Werkstück und das zerspante Volumen pro Zeiteinheit. Insbesondere bei wechselnden Eingriffs-bedingungen lässt sich zur präziseren Bestimmung dieser Größen der betrachtete Bereich in kleine Teilbereiche aufteilen. Die unterschiedlichen Verfahren zur Be-rechnung weiterer Prozessgrößen, wie beispielsweise Zerspankräften, können an-schließend separat, mit jeweils angepassten Parametern auf die Teilbereiche ange-wendet werden. Hierdurch können die in der Praxis lokal variierenden Größen, wie etwa Schnittgeschwindigkeiten besser berücksichtigt werden.

Als Beispiel für eine Anwendung der Berechnung der Gestalt der Spanfläche soll eine Kopplung der ermittelten Kräfte an eine Simulation des dynamischen Schwin-gungsverhalten der verwendeten Werkzeugmaschine erläutert werden. Ziel ist es, das Stabilitätsverhalten beim Nutenfräsen nachzubilden und die hierdurch entste-hende Beeinflussung der Bauteiloberfläche zu bestimmen. Aufgrund der Prozess-krafteinwirkung erfolgt während der Bearbeitung eine Abdrängung des Werkzeugs, was wiederum zu sich ändernden Eingrifffsverhältnissen und damit zu variiernden Kräften führt. In Verbindung mit dem Schwingungsverhalten der Maschine kommt es zu dynamischen Effekten, die sich als Unregelmäßigkeiten auf der Oberfläche des Werkstücks abbilden.

Um die Kräfte bei den wechselnden Eingriffsbedingungen zu bestimmen, sind rein analytische Betrachtungen nicht hinreichend. Auch eine Vereinfachung des Ab-tragprozesses, indem lediglich der Rotationskörper des Werkzeugs mit dem Werk-stück geschnitten wird liefert keine ausreichende zeitliche Auflösung des Kräftever-laufs. Vielmehr ist es notwendig, die Position der einzelnen Schneiden des Fräsers in die Simulation mit einzubeziehen und die Kraftverläufe bei rotierendem Werk-zeug zu ermitteln. Abbildung. 6.8 zeigt den Abtrag der zwei Schneidplatten eines

Abb. 6.8 Simulation des Materialabtrags einzelner Schneidplatten im rotierendem Werk -zeugsystem

Werkzeug

Abtragsbild dereinzelnenSchneidplatten

Schneidplatte 2

Schneidplatte 1

Werkstück

6 Modellierung und Simulation

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Torusfräsers. Die von den beiden Schneiden bearbeiteten Bereiche sind hier zum Zweck der Veranschaulichung unterschiedlich eingefärbt.

Zur Berechnung der Zerspankräfte für die Prozessbedingungen eines jeden Zeit-schritts wird zunächst die geometrische Gestalt des zerspanten Bereichs aus dem verwendeten Werkstückmodell ermittelt. Sie entspricht dem Durchschnitt des Spur-körpers des Werkzeugs von der Start- bis zur Endposition des betrachteten Zeit-schritts mit der Gestalt des Werkstücks vor zum Startzeitpunkt. Es ist zu beachten, das jedes Zeitintervall auch in der Rotationsbewegung des Fräsers ein Intervall ent-hält. Die Zeitschritte sind daher hinreichend klein zu wählen, damit der entstehende Sehnenfehler bei der Bildung des Spurkörpers vernachlässigt werden kann. In der Anwendung hat sich ein maximale Schrittweite von 10° der Werkzeugrotation als geeignet erwiesen.

Im nächsten Schritt wird aus dem ermittelten Volumenelement die Spanfläche ermittelt. Die für jeden Einzelpunkt relevante Information ist hierbei die Position in dem von der Fräserachse und dem Radius aufgespannten Bezugssystem. Daher wird im Raum der Zylinderkoordinaten über diesen Achsen eine Projektion des Körpers auf die durch den Radius und die Werkzeugachse aufgespannte Ebene vor-genommen.

Die so entstehende Fläche wird in Teilflächen zerlegt und für diese der jeweilige Anteil der Kraftkomponenten berechnet (vergl. Kap. 4)1. Sie Summe der Anteile ergibt jeweils die zu bestimmende Kraftkomponente (Abb. 6.9).

1 Im vorgestellten Beispiel wurde zur Ermittlung der Kräfte ein von Altintas eingeführtes semi-empirisches Kraftmodell verwendet. Vergleiche hierzu [ALT00].

6.1 Kinematische Simulation

Abb. 6.9 Berechnung der Zerspankräfte anhand der Spanfläche aus der Simulation

21

mm

mm

19

18

17

16

15

7,5 9,0 10,5Abstand zur Spindelachse h

Koo

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in S

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Integrationder Fläche

durchäquidistante,

umschließendeRechtecke

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Ein Anwendungsbeispiel, bei dem weniger die Querschnittsfläche, sondern mehr die Kontaktfläche zwischen Werkzeug und Werkstück eine wesentliche Rolle spielt, ist die Abstimmung von Schleifprozessen bei der Fertigung von Fräsern und Boh-rern aus Hartmetall [DEN08]. Die Nuten am Werkstück – in diesem Fall der Fräser oder Bohrer – werden durch eine profilierte Schleifscheibe erzeugt, die auf mehre-ren Helixbahnen um das zylindrische Werkzeug verläuft (Abb. 6.10). Bedingt durch den harten Werkstoff und die angestrebten hohen Zeitspanvolumina entstehen gro-ße Prozesskräfte. Diese führen, wie auch in dem ersten Beispiel, zu Abweichungen von der zu fertigenden Gestalt, in diesem Fall jedoch durch eine Abdrängung des Werkstücks. Ist die Art und Größe dieser Abweichung bekannt, so kann durch eine Anpassung der Zustellung der Fehler kompensiert werden.

Die analytische Betrachtung von geometrischen Eingangsgrößen (vgl. Kap. 12.7) führt Schleifprozesse auf das Planschleifen zurück, indem die einzelnen Grö-ßen zu äquivalenten Größen transformiert werden, beispielsweise dem äquivalen-ten Scheibenradius req oder der äquivalenten Spanungsdicke heq. Hierzu wird eine Verallgemeinerung vorgenommen, indem die tatsächlich lokal variierenden Größen durch einen durchschnittlichen Wert ersetzt werden. Dadurch, dass beim Werkzeug-schleifen die Achse der Schleifscheibe gegenüber der Vorschubrichtung angestellt ist, variieren auf der Kontaktfläche nicht nur die Schnittgeschwindigkeit, sondern auch die Kontaktlänge und Spanungsdicke. Hieraus folgt eine ungleichmäßige Kräfteverteilung, die Auswirkungen auf die Abdrängung hat. Eine Untersuchung mit Hilfe einer geometrischen Simulation liefert die notwendigen Daten für eine ge-nauere Betrachtung. Zur Auswertung wird die in der Simulation berechnete (nicht ebene) Kontaktfläche in kleinere Teilflächen zerlegt.

Anhand der, auf gleiche Art wie im ersten Beispiel bestimmten, berechne-te Gestalt des zerspanten Bereichs wird jeder Teilfläche das zerspante Volumen

Abb. 6.10 Simulation des Materialabtrags beim Werkzeugschleifen

6 Modellierung und Simulation

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im jeweils betrachteten Zeitintervall zugeordnet. Aus diesem lassen sich heq und die äquivalente Spanungsbreite beq respektive die äquivalente Querschnittsfläche Aeq = beq · hec bestimmen. Diese werden für jede Einzelfäche als Eingangsgrößen für die Berechnung der Kräfte verwendet, um auf diese Art die Normalspannungen an der Kontaktfläche zu ermitteln (Abb. 6.11). Mit dieser Verteilung als Eingangs-größe für eine Simulation der Durchbiegung des Werkstücks lassen sich sehr viel präzisere Aussagen über die Abdrängung erzielen. Wird die Berechnung der Kräfte mit einem geeigneten Modell gekoppelt, so lassen sich, ähnlich wie im ersten Bei-spiel, auch dynamische Effekte nachbilden [DEI10].

6.2 Numerische Simulation nach FEM

Mit leistungsfähigen Rechenanlagen wurden Simulationen aufgrund numerischer Verfahren möglich. Auch sie beruhen sämtlich auf Modellen, die das reale Verhal-ten des zu untersuchenden Systems nur in Abstraktionen wiedergeben (Abb. 6.12); allerdings ist man – abhängig vom Aufwand – freier in der Wahl der berücksich-tigten Effekte verglichen mit geschlossenen analytischen Methoden. Man darf sich aber nicht täuschen: Auch diese numerischen Simulationen müssen in Experimen-ten verifiziert werden. Der gelegentlich verwendete Begriff „Numerisches Experi-ment“ ist folglich verfehlt.

Unter den numerischen Verfahren hat sich die Methode der finiten Elemente (FEM) in vielen Bereichen der Mechanik, der Thermodynamik und insbesonde-re der Kontinuumsmechanik eingeführt, so auch in der Mechanik großer plasti-scher Formänderungen und so seit einigen Jahren auch in der Zerspanung [STR90, MEI88].

FEM-Simulationen lassen sich grundsätzlich auf zwei fundamentale Prinzipien zurückführen, auf die Lagrange- oder die Euler-Formulierung. Die Lagrange-For-mulierung lässt sich weiter in einer impliziten und einer expliziten Form unterschei-den. Simulationen des Spanbildungsprozesses werden bisher wegen des hohen Re-

Abb. 6.11 Durch Simulation ermittelte Verteilung der Normalspannungen an der Kontaktfläche bei gerader Nut (links) und bei einer Helixnut (rechts)

13.4

N/mm2

0

6.2 Numerische Simulation nach FEM

Page 144: Spanen ||

126

chenaufwandes überwiegend zweidimensional ausgeführt. Dieser Ansatz entspricht dem orthogonalen Spanen.

Eine Schwierigkeit bei der Simulation der Spanbildung nach Lagrange besteht darin, die starken Dehnungen an der Schneidkante nachzubilden. Dazu wurden zwei Wege entwickelt.

Bei der impliziten Lagrange’schen Formulierung (ILF) wird eine Trennlinie d eingeführt (Abb. 6.13).

Abb. 6.12 Allgemeine Formulierung von Ingenieuraufgaben

Frage-stellung

Frage-stellung

Verhaltendes realenSystems

Antwort

Ausschnittdes realenSystems

Experi-ment

mathematischesModell Lösung

Abb. 6.13 Darstellung der Verbindungselemente mit Trennlinie bei der ILF [ZHA94]

Span

Werkzeug

Werkstück

4-KnotenElement

vc

d

D

d ist in der Realität Null, zeigt aber dieVerbindungselementeD ist Auftrennkriterium

6 Modellierung und Simulation

Page 145: Spanen ||

127

Nur auf dieser Trennlinie ist eine Teilung des FE-Netzes zugelassen. Span und Werkstück werden durch eigene Netze repräsentiert, die bis zur eigentlichen Tren-nung durch Verbindungselemente verbunden sind. Der Trennweg ist als parallele Linie zur Werkstückoberfläche auf Höhe der Werkzeugspitze festgelegt. Jedes Ver-bindungselement besteht aus zwei Knoten, die dieselben Koordinaten haben, da ihre ursprüngliche Länge d gleich Null ist. Sie haben zwei Zustände: entweder die starre Verbindung oder die Trennung. Diese Zustände sind jeweils abhängig vom Abstand D zwischen der Werkzeugspitze und dem nächsten Element der Trenn-linie. Wenn D einen vorher definierten Wert erreicht oder unterschreitet, wird das Element aufgelöst und Span und Werkstück werden getrennt. Beim Fortschreiten des sich hier mit Schnittgeschwindigkeit vc bewegenden Werkzeugs wird dann der Span weiter ausgebildet. Der Vorgang der Spanbildung wird rein geometrisch be-trachtet. Vernachlässigt wird dabei der Einfluss der Schnittgeschwindigkeit. Auch bei Bestimmung des Zeitpunktes der Netzauftrennung wurden anfangs rein geo-metrische Größen angenommen. Erst später wurden materialspezifische Werte (z.B. maximale Dehnung) als Trennkriterium herangezogen [LIN93].

Bei der expliziten Lagrange’schen Formulierung (ELF) werden die Bewegungs-gleichungen direkt und explizit integriert. Im Gegensatz zu den impliziten Ver-fahren, in denen die FEM-Lösung über die Steifigkeitsmatrix erreicht wird, wird keine globale Steifigkeitsmatrix verwendet. Die Spannungen werden direkt aus den Elementspannungen nach jedem einzelnen Zeitschritt in der Integration berechnet. Der Vorteil dieser Formulierung ist, dass keine Trennlinie mehr vorgegeben werden muss. Um den Ort der Materialtrennung im Modell zu finden, werden in einer eige-nen Routine an jedem Knotenpunkt des FE-Netzes die maximalen Spannungen mit einem kritischen Wert verglichen; bei dessen Überschreiten wird eine Teilung durch Knotenverdopplung durchgeführt. Hier zeigte sich, dass die Dehnungsenergiedich-te ein realistisches Kriterium für die Knotenteilung darstellt [MEI88].

Die dritte Möglichkeit der Simulation ist eine Betrachtung nach der Euler-Formu-lierung, in der die untersuchte Struktur als kontrolliertes Volumen angesehen wird. Bei diesem Ansatz sind die Knotenpunkte stationär und nicht fest mit dem physi-kalischen Material der untersuchten Struktur verbunden. Das hat den Vorteil, dass an der Werkzeugspitze, dort wo die höchsten Spannungs- und Dehnungsgradienten auftreten, das Netz so stark verfeinert werden kann, wie es für die Genauigkeit notwendig ist. Wichtig ist, dass es bei der Euler-Formulierung kein Trennkriterium gibt, da bei dieser Methode die Spannungen und Geschwindigkeiten im Werkstück als Funktion der räumlichen Position berechnet werden und nicht als Funktion des einzelnen Materialpartikels. Da die Spangeometrie in der Euler’schen Darstellung nicht von vorn herein bekannt ist und die Materialeigenschaften zum Teil von der Umformgeschwindigkeit und der sich ändernden Temperatur abhängen, müssen die Gleichungen für das Zerspanmodell iterativ gelöst werden [STR90] (Abb. 6.14). Der Vergleich der Darstellung zeigt:

6.2 Numerische Simulation nach FEM

Page 146: Spanen ||

128

Eigenschaften der Euler-Formulierung:

• viskoplastischer Fließvorgang,• kein Trennkriterium notwendig,• Kräfte und Temperaturen im Kontakt Werkzeug-Werkstück werden realitätsnah

dargestellt,• es wird ein ortsfestes Netz verwendet, dessen Berandung auch an der sich frei

bildenden Oberfläche des Spanes (Randstromlinie) vorher bekannt sein muss,• es lassen sich nur stationäre Vorgänge und z.B. keine Lamellierungen oder

Scherlokalisierungen abbilden,• es treten keine extremen Verzerrungen im Schneidkantenbereich auf, so dass mit

gleichbleibendem Rechengitter gerechnet werden kann.

Eigenschaften der Lagrange-Formulierung:

• elastisch-plastischer Anlaufvorgang,• Trennkriterien erforderlich,• an der Schneidkante treten extreme Verzerrungen des Netzes auf, die aufwendige

Neuvernetzungen (Remeshing) erfordern,• Spangeometrie während und unmittelbar nach der Spanbildung ist Ergebnis der

Simulation und braucht nicht vorgegeben zu werden,• es lassen sich auch instationäre Vorgänge abbilden, d.h. die Simulation ist nicht

auf reine Fließspanbildung beschränkt, was insbesondere für Scherlokalisatio-nen bei Spanstauchung oder für die Darstellung von Abschnittvorgängen und veränderlichen Spanungsquerschnitten von Interesse ist,

• wegen der notwendigen Neuvernetzung und der Materialpunktbindung sind Lagrange-Simulationen erheblich aufwendiger als Euler-Rechnungen; sie bieten aber überhaupt erst die Chance, Materialinhomogenitäten zu berücksichtigen, was speziell im Mikrobereich interessant ist.

Die meisten FE-Modelle, die in der Literatur beschrieben werden, beruhen auf der Lagrange-Formulierung. Es sind auch Verknüpfungen von Lagrange-und Eu-ler-Formulierungen bekannt geworden, die Vorteile beider Rechenarten verbinden wollen [STR90].

Abb. 6.14 Iterativ ermittelte Ausgangs- und Endkontur bei einem Euler-Modell

Ausgangskontur Endkontur

6 Modellierung und Simulation

Page 147: Spanen ||

129

Während der FE-Analyse kommt es zu erheblichen Deformationen der Netz-struktur. Geometrisch stark verzerrte Elemente weisen eine geringe Ergebnisgüte auf und können zum Abbruch der Rechnung führen, wenn die Jacobi-Determi-nante des Verschiebungstensors negativ wird [MAR98]. Besonders im Kontakt-bereich, wo im Allgemeinen eine große Verformung stattfindet, können Zustands-größen aufgrund der Verzerrung der Elemente unrealistische Werte annehmen. So werden bei Analysen mit einem verzerrten Netz fälschlich größere Zustandsgrö-ßen erreicht als mit wiederholter Neuvernetzung. Für eine realitätsnahe Prozess-simulation ist daher ein robuster automatischer Vernetzungsablauf erforderlich, der nach vorher festgelegten Kriterien ohne ein Eingreifen des Benutzers ein neues Netz erzeugt.

Es gibt mehrere FEM-Programme, die zur Spanbildungssimulation geeignet sind. Davon werden folgende Programme häufig verwendet; SFTC/Deform, MSC/Superform, Thirdwave AdvantEdge und ABAQUS. SFTC/Deform und MSC/Superform sind FEM-Programme zur Lösung umformtechnischer Problemstellun-gen. ABAQUS ist ein Finite-Elemente Programm zur Behandlung strukturmecha-nischer, thermischer und akustischer Probleme. Die vorgenannten Programme müs-sen für die Zerspansimulation angepasst werden. Thirdwave AdvantEdge wurde speziell für Zerspansimulationen konfiguriert. Die genannten Programme basieren auf dem Lagrange’schen Ansatz. Sie unterscheiden sich in der Softwaregestaltung, der Programmierung und der Verwendung unterschiedlicher Algorithmen zur Neu-vernetzung stark verformte Werkstoffbereiche.

Ein für die Simulation der Spanbildung charakteristisches Problem, das in der Regel für allgemeine plastomechanische Probleme nicht existiert, ist die Stofftren-nung. Sie wird bei Lagrange’schen Ansätzen unterschiedlich gelöst:

• Entweder tritt die Trennung entlang von Elementkanten ein, womit auch die Richtung der Trennung eben mit diesen Kanten vorgegeben ist,

• oder es werden Elemente aus dem Netz entfernt.

Das vorstehende Beispiel demonstriert den Einsatz der FEM für die Spanbildung, d.h. das Formänderungsgeschehen oder die Spanbildungskinematik behandelt. Ab-bildung 6.15 zeigt die Momentaufnahme einer mit FE simulierten Spanwurzel. Ein besonderer Vorteil der FEM ist, dass mit ihr auch Spannungsverteilungen und damit Kontaktspannungen, der Kraft- und Leistungsbedarf, Wärmeflüsse und Tempera-turverteilungen und bei geeigneter Modellierung auch Randzonenveränderungen als Folge des Spanens berechnet werden können.

6.3 Molekulardynamische Modellierung

Während die vorangegangene Betrachtung phenomenologisch am isotropen und homogenen Kontinuum angestellt wurde, lassen sich inzwischen Verformungs- und auch Verschleißvorgänge auf molekularer und atomarer Basis (molecular dynamics (MD), minimum potential simulation (MPT)) behandeln [IKA92]. Die Wechsel-

6.3 Molekulardynamische Modellierung

Page 148: Spanen ||

130

wirkungen von Atomen oder Molekülen werden im Modell erfasst. So lassen sich mechanische und thermische Zustände in einem Atomgitter abbilden.

Abbildung 6.16 zeigt das generelle Konzept der Modellierung des Spanens nach der MD Methode [REN95, REN09]. Offenbar wird orthogonales Spanen an-gesetzt, was für zweidimensionale Analysen unerlässlich ist. Im Modell müssen die Materialeigenschaften, die Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen, die Kontakt- und Schnittstellenbedingungen zwischen Schneidkeil, Werkstück und Span sowie die Umgebungseigenschaften beschrieben werden. Weiterhin sind die Randbedingungen innerhalb des Modells (Oberfläche gegenüber dem Grundma-terial) und die Systemgrenzen zu der nicht modellierten Umgebung von Interesse. Ein Kern der MD Methode ist die Teilchen-zu-Teilchen Wechselwirkung des Mate-rials. Diese Wechselwirkung wird durch die potentielle Energie zwischen den Teil-chen beschrieben. Abbildung 6.17 zeigt die potentielle Energie als Funktion des

Abb. 6.16 Konzept der Modellierung des Spanens in MD (nach Rentsch)

SpanWerkzeug

Oberfläche

Ran

d

Ran

d

Rand

Atome

Werkstück

a

v

e

c

6 Modellierung und Simulation

Abb. 6.15 Simulation der Scherspanbildung

Span Scherband

Werkzeug

Werkstück

verformte Ebenen

Page 149: Spanen ||

131

Atomabstands und deren Ableitung nach dem Abstand. Rentsch weist darauf hin, dass diese Paarfunktion technische Metalle nicht korrekt abbilden kann. Dafür sind Modelle auf der Basis von Vielkörper-Wechselwirkungen erforderlich, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden kann [REN09].

Für die Modellierung des Spanens bedarf es einer Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück, beschrieben durch die Schnittgeschwindigkeit vc, die eingeführt werden muss. Weiterhin müssen die Kräfte und Momente, die über die Kontaktstellen zwischen Werkzeug und Werkstück in das Modell eingeführt wer-den, durch geeignete Reaktionen aufgenommen werden, um unrealistische Bewe-gungen des Systems zu vermeiden. In der Regel ist das Verformungsgeschehen vor der Schneide von Interesse. Um die Komplexität in Grenzen zu halten, wird daher das Werkzeug meist als starr angenommen. Grundsätzlich könne jedoch auch geeig-nete Teilmodelle eingeführt werden, die es zulassen, den durch Reibung und ther-mische Effekte verursachten Verschleiß zu simulieren. Da im Prozess Energie in Wärme umgesetzt wird, erhöht sich die Temperatur des Werkstoffs. Um realistische Verhältnisse in der Spanbildungszone zu bewahren, werden Temperatur steuernde Atome an den Rändern der modellierten Körper eingeführt.

Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die Simulationsrechnungen sehr zeitauf-wändig sind. Daher können nur begrenzte Volumengrößen bzw. Flächen modelliert und simuliert werden. Andererseits müssen die Volumina jedoch ausreichend groß sein, um Artefakte von Seiten der Ränder und durch elastische Effekte vernachläs-sigbar zu halten.

Abb. 6.17 Potentielle Energie als Funktion des Atomabstands [REN09]

Atomabstand

pote

ntie

lle E

nerg

ie φ

(r)

dφ (r)d r

φ (r)

r0

ε

r

6.3 Molekulardynamische Modellierung

Page 150: Spanen ||

132

Mit größeren Rechenleistungen kann diese Art der Modellierung gleichwohl das Potenzial enthalten, realistische Szenarien des Spanens abzubilden. Interessant ist auch, dass Ansätze verfolgt werden, MD-Modelle mit FE-Modellen zu kombinieren [HEI09]. Dabei wird ein auf atomarer Sicht beruhender Teil, der lokale elastische und plastische Verformungen berücksichtigt, ergänzt. Ein umgebender FE-Teil be-rücksichtigt elastische Vorgänge, wie das in der Realität des Spanens mit abklin-gender Wirkung in die fernere Umgebung der Wirkstelle ja tatsächlich der Fall ist.

Es konnte jedenfalls gezeigt werden [REN09], dass schon heute die MD Me-thode interessante Hinweise geben kann auf das Verformungsgeschehen vor einem Schneidkeil, auf die thermischen Vorgänge an der Wirkstelle und auf die Span-nungsverteilungen im Werkstoff beim Mikrospanen im Nanometerbereich von ein-kristallinen Werkstoffen.

Fragen

1. Erläutern Sie den Unterschied zwischen Simulationszeit und Realzeit. 2. Welche Überlegungen sollten der Auswahl von Modellen für die kinematische

Simulation vorangehen? 3. Worin unterscheiden sich die Modelle für die Darstellung des Werkstücks bei

der Simulation von Materialabtrag? 4. Warum ist die Abstimmung des Werkzeugmodells auf das Simulationsziel und

das verwendete Werkstückmodell wichtig?

Abb. 6.18 MD-Simulation des orthogonalen Spanens nach Rentsch [REN95]

–10 –100

100

100

50

10

0

0

z [A]

x [A] y [A]

freie Oberfläche

Werkzeug, starr

Span

Werkstückgefüge

vc

6 Modellierung und Simulation

Page 151: Spanen ||

133

5. Erläutern Sie die fundamentalen Prinzipien der FEM. 6. Was bedeutet implizite, was explizite Formulierung? 7. Welche prinzipiell verschiedenen Effekte sind bei der FE-Simulation des

Spanens nach Lagrange zu berücksichtigen verglichen mit konventionellen Umformvorgängen wie dem Tiefziehen oder Fließpressen?

8. Warum ist bei Nutzung der Euler-Formulierung ein Trennkriterium nicht erforderlich?

9. Nennen Sie typische Fragestellungen des Spanens, die mit der FEM bearbeitet werden können. Ordnen Sie diese nach der Komplexität oder dem Schwierig-keitsgrad und begründen Sie dies.

10. Vergleichen Sie FEM mit MD11. Wie wird in der MD Methode die Wechselwirkung zwischen Atomen

beschrieben?

Literatur

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[DEN07] Denkena, B.; Schmidt, C.: A Flexible Force Model for Predicting Cutting Forces in End Milling. Production Engineering, 2007, 1, S. 343-350

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Literatur

Page 152: Spanen ||

134

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6 Modellierung und Simulation

Page 153: Spanen ||

135

7.1 Verschleißformen

Spanende Werkzeuge verschleißen während des Einsatzes. Am Schneidkeil bilden sich typische Verschleißformen aus. Diese Verschleißphänomene hängen von den Stoffen des Wirkpaares und von den Bedingungen, unter denen der Zerspanprozess abläuft, ab. Von den Verschleißformen sind die Verschleißarten (auch Verschleiß-ursachen genannt) zu unterscheiden. Damit ergibt sich folgende Wirkungskette:

Die wichtigsten Verschleißformen sind in Abb. 7.1 dargestellt, zusammen mit den Größen, die sie quantitativ beschreiben.

Freiflächenverschleiß bildet sich an den Freiflächen von Haupt- und Neben-schneide; an diesen Verschleißflächen gleiten die gerade erzeugten Schnittflächen des Werkstücks vorbei. Es bildet sich eine deutliche Markierung. Ihre Ausdehnung in Schnittrichtung wird als Verschleißmarkenbreite VB bezeichnet. Da sich unter-schiedliche Verschleißmarkenbreiten entlang der Schneidkante ausbilden können, wird zwischen dem Verschleiß an der Eckenrundung VBC (dort Maximalwert, C für corner), an dem geraden Teil der Schneidkante VBB als Mittelwert und VBBmax als Maximalwert und an der Ausbildung einer Kerbe am Ende der Schneidkante, ge-kennzeichnet durch VBN (N für notch) unterschieden ( Kerbverschleiß).

Der Freiflächenverschleiß bildet sich in der Regel monoton. Das vom Schneid-keil abgetrennte Volumen VT bezogen auf die Schneidenlänge hängt bei konstant angenommenem Freiflächenverschleiß vom Freiwinkel des Werkzeugs ab

(7.1)

Ein kleiner Freiwinkel bewirkt einen stabilen Schneidkeil. Ein zu kleiner Freiwin-kel vergrößert jedoch die Reibfläche und verstärkt damit auch den Reibeffekt zwi-schen dem Wirkpaar. Prinzipiell ist ein Freiwinkel unverzichtbar, weil sonst das Werkzeug nur drücken und nicht spanen könnte. Aus den Geschwindigkeitsplänen in Abb. 7.2 folgt

Beanspruchung → Verschlei arten → Verschlei formen .

VT =1

2VB2 tan α.

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 7Verschleiß

Page 154: Spanen ||

136

(7.2)

Aus kinematischen Gründen muss der Freiwinkel α größer sein als der auf die Werkzeug-Orthogonalebene (Po) projizierte Wirkrichtungswinkel '. In dieser Be-trachtung sind allerdings noch keine Verformungen des Wirkpaares berücksichtigt. Tatsächlich liegen daher die Freiwinkel in der Praxis um ca. 4° höher als sie nach der oben angeschriebenen Beziehung errechnet werden.

tan αmin =vf

vcsin κ.

Abb. 7.1 Verschleißformen beim Drehen (nach ISO 3685)

Freiflächenverschleiß

VB

Kerbverschleiß

Kolkverschleiß

A

Kerbverschleißan der Neben-freifläche

KT = Kolktiefe

KT

Schnitt A -A

A

Abb. 7.2 Kinematisches Freiwinkelminimum. (nach DIN 6581)

Po

Pe

Vf

V'f

'

V'f

vc

Po

αmin

Schneidkeil

κ

Po = Werkzeug-Orthogonalebene, Keilmessebene

Spanfläche

Pe = Arbeitsebeneκ = Werkzeug-Einstellwinkel

Hauptschneide

7 Verschleiß

Page 155: Spanen ||

137

Abbildung 7.3 zeigt, dass die Verschleißmarkenbreite bei sehr geringen Frei-winkeln wegen der vergrößerten Reibung ansteigt; dies tritt aber auch bei höherer Belastung und großen Freiwinkeln ein, weil der Schneidkeil dann geschwächt ist.

Interessant ist, dass man durch eine geringfügige Rücknahme der Freifläche nach Abb. 7.4 eine deutliche Minderung des Verschleißes in der Anfangsphase und einen

Abb. 7.3 Einfluss des Freiwinkels auf den Freiflächenverschleiß

0,5

0,3

0,2

0,1

mm

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

00 2 4 6 8 10 14

Freiwinkel α

Stahl C60W3HM P20t = 10 min

f = 0,45

f = 0,05

°

7.1 Verschleißformen

Abb. 7.4 Freiflächenrücknahme und Verschleiß (Prinzip)

konventionelleWerkzeuggeometrie

Standzeitgewinn

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

c

Sb2

Sb1

A

A

B

B

Einfluss der Stegbreite sbsb1 < sb2

Schnittzeit tc

A B

Sb

St

My/48676 © IFW

Page 156: Spanen ||

138

Standzeitgewinn erreichen kann [DEN08]. Zudem wird hierdurch die Kontaktlänge zwischen der Freifläche und dem Werkstück über einer bestimmten Schnittzeit an-nähernd konstant gehalten. Dieses ist bspw. für die Hartbearbeitung bedeutsam, da hierdurch die Höhe der Passivkraft und der Eigenspannungszustand der Werkstück-randzone beeinflusst werden (siehe hierzu Abschn. 10 und 11).

Der Kolkverschleiß bildet sich als muldenförmiger Abtrag von Schneidstoff auf der Spanfläche aus (Abb. 7.1 bzw. Abb. 7.5). Er wird durch die Kolktiefe KT oder das Kolkverhältnis K = KT/KM als Quotient aus Kolktiefe und Kolkmittenabstand beschrieben. Das Kolkverhältnis ist ein Maß für die Schwächung der Kolklippe und damit für die Gefahr, dass sie ausbricht.

Weitere Verschleißphänomene, wie plastische Verformung des Schneidkeils, Rissbildung, Abschieferung und Bruch werden im Zusammenhang mit den Ver-schleißursachen erläutert.

7.2 Beanspruchungen

Die aktiven Teile spanender Werkzeuge, die Schneidkeile, werden mechanisch, thermisch und chemisch beansprucht (Abb. 7.6). Diese Beanspruchungen können zeitlich konstant (Drehen im glatten Schnitt oder Bohren) sein. Instationär, also zeitlich wechselnd ist die Beanspruchung beim Fräsen oder Drehen im unterbro-chenen Schnitt.

Die mechanische Beanspruchung des Schneidkeils folgt aus der Einleitung von Kräften über die Kontaktflächen auf den Span- und den Freiflächen der Haupt- und Nebenschneide. Die dadurch hervorgerufenen Spannungen lassen sich bspw. mit

Abb. 7.5 Einfluss der Schnittzeit auf den Verschleiß am Drehwerkzeug

× 1

000

× 100

Abtastung N NN

N

α

γ

20 µm

Verschleiß-marken-breite VBB =

Schnittzeitt=

0 min 0 µm

0,5 min 40 µm

1,5 min 90 µm

4 min 155 µm

5 min 181 µm

6 min 203 µmVBB

VBB

VBB

VBB

VBB

::

WerkstoffSchneidstoff

Ck 60HM P 30

ap × f = 1 × 0,2 mm2

vc = 150 m / min

= 45° , = 6°κ γ

7 Verschleiß

Page 157: Spanen ||

139

der Methode der finiten Elemente (FEM) errechnen. Voraussetzung ist, dass die Verteilung der Oberflächenkräfte auf den Kontaktflächen bekannt ist. Aus Messun-gen oder Rechnungen lassen sich i. Allg. nur die globalen Kraftkomponenten, deren Resultierende die Zerspankraft ist, angeben; die Oberflächenkräfte sind schwer zu ermitteln (Abschn. 4.5).

Am Beispiel eines Fräsvorganges seien der Rechengang und die notwendigen Annahmen erläutert [DEN92]. Aus der Zerspankraft oder ihren in einem Messko-ordinatensystem aufgenommenen Komponenten müssen die auf den Schneidkeil bezogenen, d.h. die normal und tangential auf die Kontaktflächen wirkenden Kraft-komponenten errechnet werden. Dies geschieht mit den in Abb. 7.7 eingezeichneten Größen und Winkeln durch eine Koordinatentransformation.

(7.3)

worin TFS die Transformationsmatrix ist, die trigonometrische Funktionen der Werkzeugwinkel , a und r enthält. Die sich mit dem Eingriffswinkel ändernden Kräfte für die Fräsbearbeitung von Ck45N mit Schneidkeramik sind in Abb. 7.8 dargestellt. Aus den so ermittelten Komponenten sind die Anteile, die über die Span- und Freiflächen übertragen werden (Abschn. 4.7), zu bestimmen. Hierzu kann bspw. auf die Untersuchungen von Spaans [SPA67] zurückgegriffen werden, der folgende Komponentenanteile für die Freifläche (F) und die Spanfläche (F) ermittelte:

(7.4)

(Fx, Fy, Fz)T = TFS · (Fc, FcN, Fp)T

Fαy = 0,1 Fy Fαx = 0,4 Fx

Fγ y = 0,9 Fy Fγ x = 0,6 Fx

Abb. 7.6 Beanspruchungen und Verschleißursachen von Schneidstoffen

Mechanisch

Thermisch

Chemisch

Beanspruchung Verschleißursachen

Abrasion

Adhäsion

Bruch

Abschieferung

Rissbildung

Diffusion

Oxidation

kurzzeit-wirkung

Langzeit-wirkung

StationäremechanischeLast

StationärethermischeLast

ChemischerEinflussim Innern

WechselndemechanischeLast

WechselndethermischeLast

ChemischerEinfluss an derOberfläche

7.2 Beanspruchungen

Page 158: Spanen ||

140

Die über die Freifläche der Nebenschneide übertragenen Anteile sind unter Schrupp-Schlicht-Bedingungen vernachlässigbar.

Nunmehr muss die Verteilung der diskreten Normal- und Tangentialkräfte über die Kontaktflächen nach Abschn. 4 bestimmt werden. Die Breite der Kontaktflä-

Abb. 7.7 Koordinatentransformation: Messerkopf – Schneidplatte

κ

Z

v (FcN)

Schneid-kante

Z3

Z1

Z2

SpanflächeSchneid-platte

X3

X2

X1

X

Y

w(Fp)

Y1Y2

Y3 γr

γa

u(Fc)

( u,v,w ) - Messerkopfkoordinaten

( x,y,z ) - Schneidplattenkoordinaten

Abb. 7.8 Zerspankraftkomponenten in Messerkopf- und Schneidplattenkoordinaten

0 10 20 ms 30Zeit t

0 10 20 ms 30Zeit t

160

120

500

N

0

–500

–1000

–1500

–2000

Zer

span

kraf

tkom

pone

nten

Fi

Fx

FyFc

FcN

Fp

Fz

Schnittgeschw.VorschubSchnittbreite

: vc = 315 m/min: f = 0,2 mm: ap = 2,0 mm

Fase0,2×20°

γa γr ε κ–7° –8°30' 90° 75°

7 Verschleiß

Page 159: Spanen ||

141

chen entspricht der Spanungsbreite b, die Kontaktlänge in Richtung des Spanflus-ses ist etwa 2,5 mal der Spanungsdicke h. Die Kontaktlänge kann sich allerdings bis zum Standzeitende verdoppeln [DEN92]. Deshalb empfiehlt sich eine experi-mentelle Bestimmung aus dem Kontaktabdruck am Schneidkeil. Auf diese Weise sind die Oberflächenspannungen ermittelt, die als Randbedingungen für eine FEM-Rechnung bekannt sein müssen.

Abbildung 7.9 zeigt die Hauptspannungen anhand ausgewählter Punkte der Schneidkeramik basierend auf der in Abb. 7.8 dargestellten Kraftbeanspruchung. Die berechneten Spannungen sind für den untersuchten Schneidstoff nicht kritisch. Sobald die Zerspankraft aber beispielsweise verschleißbedingt ansteigt, könnten sie kritische Werte annehmen.

Auch die thermische Beanspruchung eines Schneidkeils lässt sich mittels der FEM bestimmen, wenn der Wärmestrom, der in den Schneidkeil eintritt, und seine Verteilung bekannt sind. Die an der Schneide umgesetzte Leistung führt zu Wärme-strömen über Span, Werkstück, Werkzeug und Umgebung. Für den Schneidkeil, der anders als die drei anderen Elemente der Wärmeabfuhr ständig im Wärmestrom liegt, folgt daraus eine erhebliche Temperatursteigerung mit je nach thermophysika-lischen Eigenschaften großen Temperaturgradienten und damit großen Wärmespan-nungen. Für ihre Bestimmung bedarf es folgender Annahmen und Schritte:

1. Die insgesamt umgesetzte Leistung entspricht nahezu der zugeführten mechani-schen Leistung

2. Der über das Werkzeug abgeführte Anteil des Wärmestromes beträgt nur etwa 5 % bis 20 %. Die Kenntnis hierüber ist also für die Bestimmung der Wärme-spannungen kritisch.

3. Aus dem Wärmestrom, der durch die Kontaktfläche des Schneidkeils tritt, las-sen sich z.B. mit Hilfe der Finite-Elemente, Temperaturverteilungen ermitteln.

Abb. 7.9 Hauptspannungen während der Eingriffsphase

300

MPa

150

0

–150

–300

–4500 10 20 ms 30

Zeit t

600

MPa

0

–600

–1200

–1800

–24000 10 20 ms 30

Zeit t

C

C

Hau

ptsp

annu

ng

3

Hau

ptsp

annu

ng

1

A B

x xy

yz z

AB

ABC

0,3500 0

–0,2

–0,20,351,23,0

7.2 Beanspruchungen

Page 160: Spanen ||

142

Voraussetzungen dafür sind die Kenntnis der temperaturabhängigen thermo-physikalischen Daten und der Wärmeabfuhr über die Werkzeugoberfläche und in die Werkzeughalterung. Die Messung der Temperaturverteilungen wurde in Abschn. 5 behandelt. Wegen der schwierigen Datenlage kann im Allgemeinen auf Messungen nicht verzichtet werden.

4. Aus der Temperaturverteilung lassen sich wiederum über die FEM die Wärme-spannungen bei Kenntnis der temperaturabhängigen thermischen Ausdehnungs-koeffizienten und elastischen Konstanten errechnen.

Wärmespannungen müssen den aus mechanischen Belastungen folgenden Span-nungen überlagert werden. Solange es nicht zu plastischem Fließen, zu Rissen oder anderen nicht linearen Effekten kommt, lassen sich mechanische und thermische Spannungen addieren. Abbildung 7.10 zeigt Temperatur- und Spannungsverteilung bei thermischer Beanspruchung einer keramischen Wendeschneidplatte.

Von besonderem Interesse für die thermische Beanspruchung ist der instationäre Fall, weil es durch Temperaturwechsel zur Spannungsumkehr kommen kann. In Abb. 7.11 ist die Kontakttemperatur für einen Punkt auf der Spanfläche beim Fräsen dargestellt. Heiz- und Abkühlphasen im Wechsel führen über kurze Zeit zur Anhe-bung der mittleren Temperatur, bis sich ein eingeschwungener Zustand eingestellt hat. Für den betrachteten Punkt auf der Spanfläche ergeben sich die in Abb. 7.12 dargestellten Spannungsverläufe für eine Aufheiz- und Abkühlperiode.

Die Hauptspannung 3 verhält sich proportional zur Werkzeugtemperatur. Wäh-rend der Aufheizphase steigt ihr Wert degressiv auf das Spannungsmaximum am Ende dieser Phase an, danach fällt der Wert entsprechend dem Temperaturverlauf exponentiell ab.

Die andere Hauptspannung 1 verläuft deutlich anders. Während der gesamten Aufheizphase bleibt der Spannungswert annähernd konstant. Mit Einsetzen der

Abb. 7.10 Temperatur und Spannungsverteilung senkrecht zur Hauptschneide [DEN92]

Keramik : Al2O3/TiCKühlung : h = 20 W/m2K

Wärmestrom indas WerkzeugQ0 = 40 W

Temperaturverteilung A

A

B

B

C

C

D

D

E

E

F

F

G

G

H

H

I

I

J

J

K

K

L

L

A B C D E F G H I J

M

M

N

N

O

O

t1 = 16 ms

Spannungsverteilung J I H G F

EDCDE

A B C

588 547 507 466 426 385 345 304 204 224 183 143 102 62 21

281 216 152 88 23 –41 –105 –170 –224 –298

Temperat.°C

σ1(MPa)

2,0 mm

0,5 mm

xy

z

7 Verschleiß

Page 161: Spanen ||

143

Kühlung wechselt der Spannungswert vom Druck- in den Zugbereich, wobei das Zugspannungsmaximum 1 = 90 MPa etwa 4 ms nach Kühlungsbeginn vorliegt. Die Zuordnung der Normal- und Hauptspannungen zeigt, dass 3 im Wesentlichen zz entspricht, 1 dagegen xx [DEN92].

Für die Entwicklung und Auswahl von Schneidstoffen ist der Einfluss der ther-mischen Konstanten wie der spezifischen Wärmekapazität cp, der Wärmeleitfähig-keit und der Temperaturleitfähigkeit bzw. der Dichte von Interesse. Am Bei-

Abb. 7.11 Zeitlicher Temperaturverlauf an der Fasenkante [DEN92]

(0,2 / 0 / 0,9)

0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2s

Zeit t

1000

°C

800

600

400

200

0

Tem

pera

tur

ϑKeramikWärmestromKühlung

: Al2O3 /TiC: Q0 = 40 W: h = 20 W/m2k

yx z 840°C

240°C

∆ϑ=600°C

Abb. 7.12 Spannungen in der Oberfläche [DEN92]

(0,2/0/0,9)

σ1

σ3

0 20 40 ms 60Zeit t

300

MPa0

–300

–600

–900

–1200

–1500

–1800

Hau

ptsp

annu

ngen

σ1

und

σ 3

0 20 40 ms 60Zeit t

300MPa

0

–300

–600

–900

–1200

–1500

–1800

σxy

σzzσxx

σyy

σyz

Spa

nnun

gen

σ ii u

nd σ

ij

Kühlung

x zy

7.2 Beanspruchungen

Page 162: Spanen ||

144

spiel eindimensionaler Wärmeleitung, bei der ein Stab mit dem Querschnitt A an seiner Stirnseite mit dem Wärmestrom Qo beaufschlagt wird, lässt sich die Tempe-raturänderung über der Zeit wie folgt abschätzen:

(7.5)

Darin ist ϑ0,t die Oberflächentemperatur und ϑk,t die Temperatur im Inneren des Stabes. Abbildung 7.13 zeigt die Oberflächentemperatur über der Temperaturleit-fähigkeit , wobei einmal variiert wird ( ⋅ cp = const.) und im anderen Fall ⋅ cp variabel ist ( = const.).

Durch eine Erhöhung der Wärmeleitfähigkeit wird der Wärmetransport aus der Kontaktzone beschleunigt, die Oberflächentemperaturen sinken. Die Wärmekapa-zität · cp ist ein Maß für die Umsetzung von Wärme in Temperatur. Eine Erhöhung der Wärmekapazität wirkt sich daher auch temperaturmindernd aus [DEN92].

7.3 Verschleißursachen

Je nach Beanspruchung und ihrem zeitlichen Verlauf stellen sich unterschiedliche Verschleißursachen mit verschiedenen Verschleißmechanismen ein (Abb. 7.14).

Abrasion (Abrieb) tritt als Folge von Gleitung zwischen den Wirkpartnern durch harte Bestandteile des Werkstoffs auf (Abb. 7.15) [VIE70]. Es ist ein rein mecha-

ϑ0,t+1 =1

ρ · cp·

t

α·[

Q0

A+

λ

α

(ϑk,t − ϑ0,t

)]mit α =

λ

ρ · cp

Abb. 7.13 Schneidentemperatur über thermischen Schneidstoffeigenschaften [DEN92]

1200

°C

900

600

Tem

pera

tur

300

00 5 10 15 10–6m2/s 25

Temperaturleitfähigkeit α =λ

ρ.cp

(ρ.cp)

Hartmetall

Schneid-keramik

SK(0,2 / 0 / 0,9)

xy

zHM ρ.c p

λ

Wärmestrom :KeramikW.-leitfahigk.W.-kapaziät

Q0 = 50 WAl2O3/TiCλ1 = 17 W/mK

= 4,7 J/cm3Kbei 1 = 400°C

= f[λ,(ρ cp)1] λ = konst.

= f[(ρcp),λ1] ρ.cp = konst.

:::

7 Verschleiß

Page 163: Spanen ||

145

nischer Vorgang, einem Mikrozerspanen (Mikrofeilen) vergleichbar, der allerdings durch hohe Oberflächentemperaturen des Schneidkeils auf der Span- und Freifläche und die damit verbundene Entfestigung des Schneidstoffs unterstützt wird. Unter der Wirkung von Normal- und Scherkräften werden weichere Teile des Schneid-stoffs abgetrennt. Eine feinbearbeitete Oberfläche des Schneidkeils kann mit der Einsatzzeit rauer werden. Seine Mikrogeometrie beeinflusst den Verschleiß anfäng-lich, später nicht mehr.

Abb. 7.14 Verschleißmechanismen und -formen [DEN92]

Abrasion Adhäsion

TribochemischeReaktion

Oberflächen-zerrüttung

Werkstoff-ablagerungen

Freiflächen-verschleiß

Kolkverschleiß

Rissbildung

7.3 Verschleißursachen

Abb. 7.15 Schematische Darstellung des Werkzeugverschleißes durch Abrieb [VIE70]

a b

c

Page 164: Spanen ||

146

Adhäsiver Verschleiß liegt vor, wenn Teilchen des Schneidstoffs auf den Span bzw. die Schnittfläche durch Adhäsion, d.h. durch atomare Bindungskräfte an Mik-rokontaktstellen übergehen. Adhäsion beim Spanen wird dadurch unterstützt, dass durch permanentes Gleiten die Schneidkeilflächen von passivierenden Schichten freigehalten werden und die Schnittflächen oder die Spanunterseite als Oberflächen in statu nascendi ebenfalls von hoher Reinheit sind. Grundsätzlich lassen sich fol-gende zwei Vorgänge für den adhäsiven Verschleiß unterscheiden:

• Es kommt zu Kaltverschweißungen (Pressschweißungen) am Schneidkeil. Die damit gebildeten Ablagerungen werden später – nach weiterem Wachsen – aus dem Schneidstoff herausgerissen, was mit Stoffverlust verbunden ist.

• Schneidstoffteilchen verschweißen direkt mit der Schnittfläche und der Spanun-terseite und werden dabei getrennt.

Beide Effekte nehmen mit höherer Gleitgeschwindigkeit, d.h. mit der Schnittge-schwindigkeit ab.

Tribochemischer Verschleiß beim Spanen ergibt sich durch Diffusion. Mit steigender Temperatur eines Stoffes nimmt die Beweglichkeit seiner Atome und Moleküle zu. Es kann zu thermisch aktiviertem Wandern von Bestandteilen des Schneidstoffs in den Werkstoff oder auch zu Wanderungen in Gegenrichtung kommen. Aus den chemischen Reaktionen der eingewanderten Teilchen mit dem Schneidstoff oder aus der Entfernung von Bestandteilen können sich weiche Schichten bilden, die abgetragen werden. Beim Zerspanen von Kohlenstoffstahl mit Hartmetall, bestehend aus WC und Co, kommt es zu folgenden Reaktionen [KÖN89]:

• Fe diffundiert in die Bindephase Co. Es kommt zur Bildung von Fe-Co-Misch-kristallen.

• Co wandert aus dem Hartmetall heraus zum Fe und bildet dort Mischkristalle.• C wandert aus dem Stahl über die Kobaltphase in den Schneidstoff und führt zur

Auflösung des WC durch Bildung weicherer Eisen-Wolfram-Mischkarbide.

Eine weitere tribochemische Verschleißursache ist die Oxidation. Sie kann an den Rändern der Kontaktzonen auftreten, wenn die Oberflächentemperaturen und die Oxidationsneigung der Schneidstoffe hoch genug sind. Wie Abb. 7.16 zu entneh-men ist, ist Oxidationsverschleiß bei Stelliten wegen geringerer Oxidationsneigung und bei unlegierten Werkzeugstählen und Schnellarbeitstählen wegen der schon bei geringen Temperaturen auftretenden Erweichung ohne Bedeutung.

In Abb. 7.17 ist schematisch die Bedeutung der verschiedenen Verschleißarten für den Gesamtverschleiß von Hartmetall bei der Stahlzerspanung in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit und damit von der Schneidkeiltemperatur angege-ben.

Der Anteil der einzelnen Verschleißarten an der Werkzeugabnutzung ist nicht eindeutig feststellbar. Je nach Paarung Werkstoff – Schneidstoff und je nach Schnei-dentemperatur und Schnittgeschwindigkeit kann die eine oder andere Art im Vor-dergrund stehen.

7 Verschleiß

Page 165: Spanen ||

147

Zur Rissbildung kommt es besonders bei instationärer Schneidkeilbeanspruchung. Es lassen sich Risse parallel (laterale Risse) und normal zur Schneidkante unter-scheiden (Abb. 7.18). Normalrisse treten häufig mit regelmäßigem Abstand auf. Sie werden als Kammrisse bezeichnet und sind thermischen Ursprungs [BAR 88].

Dabei können rein elastische oder je nach Verformungsverhalten auch elastisch-plastische Vorgänge bestimmend sein. In der Schnittphase wird der Schneidkeil auf-geheizt. Unter der Flächennormale stellt sich ein typischer abklingender Tempera-turverlauf ein (Abb. 7.19). Während der Abkühlphase gibt es ein Temperaturgefälle zur Oberfläche des Schneidkeils, das bedeutet Zug-Wärmespannungen während der Abkühlphase. Wenn plastische Stauchungen ( < 0) in der Schnittphase auftreten, folgen daraus nach Abkühlung Zugeigenspannungen in der Oberfläche. Beide Ef-fekte können also zu Rissen führen. Die Regelmäßigkeit der Kammrisse ergibt sich daraus, dass die kritischen Zugspannungen aus Volumenveränderungen distanzab-hängig sind.

Abb. 7.16 Gewichtszunahme beim Glühen verschiedener Schneidstoffe

Glühzeit : 15 min

Stellit

S10-4-3-10

250

150

100

50

0

g/m2

300 400 500 600 700 800 900 °C 1100Temperatur T

Gew

icht

szun

ahm

e

K20

P1

0

Rei

neis

en

C60

7.3 Verschleißursachen

Abb. 7.17 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf die Verschleißarten

Gesamtveschleiß

Abrasion

Ver

schl

eiß

tribochem. Verschleiß

Adhäsion

Schnittgeschwindigkeit

Page 166: Spanen ||

148

7.4 Standzeit

Als Standzeit T bezeichnet man die Zeit, in der ein Werkzeug vom Anschnitt bis zum Erreichen einer vorher festgelegten Verschleißgrenze unter gegebenen Bedin-gungen Zerspanarbeit leistet.

Die Standzeit eines Werkzeugs hängt von der Schneidstoff-Werkstoffpaarung, von den Maschineneinstellbedingungen, unter denen das Werkzeug eingesetzt wird, und von der Schneidkeilgeometrie ab. Zur Beurteilung dieser zeitlichen Verände-rung des Werkzeugs und zur Bestimmung des Standzeitendes werden verschiedene Standzeitkriterien herangezogen.

Der Aufwand zur Bestimmung des zu verwendenden Standzeitkriteriums ist ab-hängig vom Einsatzfall und der zu fertigenden Losgröße. Allgemein gilt:

• Großserienfertigung:⇒Erprobung im Einsatzfall,• Einzel- und Kleinserienfertigung:⇒Erfahrungswerte.

Abb. 7.18 Verschleiß am Schneidkeil

Kammrisse

laterale Risse

Nebenfrei-flächeHauptfreifläche

Spanfläche

Abb. 7.19 Thermisch indu-zierte Rissbildung

ϑ ϑ0

0ϑ σ

σ

z zz

z z z

–ε

Schnittphase

Schnittphase

Abkühlphase

Abkühlphase

elas

tisch

-pla

stis

chel

astis

ch

Temperaturunter Span-fläche

Zug-spannung

plast. Ver-formung

Zugeigen-spannung

7 Verschleiß

Page 167: Spanen ||

149

Als Maximalwerte für die Größe der Verschleißmarkenbreite gelten nach Tab. 7.1:Für den Kolkverschleiß werden im Allgemeinen folgende Grenzwerte angenommen:

Kolktiefe: KTZUL = 1–1,5 mmKolkverhältnis: KZUL = 0,4

Die nach ISO 3685 maximal zulässige Kolktiefe ist jedoch abhängig vom einge-stellten Vorschub. Standzeiten beziehen sich auf ein bestimmtes Kriterium; z.B. bedeutet: TVB0,4 Standzeit bis zu einer Verschleißmarkenbreite von VB = 0,4 mm. Die zeitliche Entwicklung des Freiflächenverschleißes ist in Abb. 7.20 dargestellt.

Der Verschleiß ist abhängig von fixen oder optimierten, aber im Prozess i. Allg. nicht mehr beeinflussten Eingangsgrößen:

• Schneidstoff,• Werkstoff,• Werkzeuggeometrie,• Kühlschmierstoff,• dynamisches Verhalten von Werkzeug, Werkstück, Werkzeugmaschine,

und von wählbaren Einstellgrößen wie:

• Schnittgeschwindigkeit vc,• Vorschub f,• Schnitttiefe ap.

VBZUL Schnellarbeitsstahl/Hartmetall Schneidkeramik

Schruppen 0,8–1,0 mm 0,3 mmSchlichten 0,2–0,4 mm 0,3 mm

Tab. 7.1 Verschleißmar-kenbreiten

7.4 Standzeit

Abb.7.20 Zeitliche Entwicklung des Freiflächenverschleißes

Zeit t

degressiverVerschleiß

linearerVerschleiß

progressiverVerschleiß

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

Page 168: Spanen ||

150

Den stärksten Einfluss hat die Schnittgeschwindigkeit auf kontinuierlich fort-schreitende Verschleißformen wie den Freiflächen- oder den Kolkverschleiß. Bei variierten Schnittgeschwindigkeiten unter sonst gleichen Bedingungen ergeben sich ähnliche, aber verschieden steile Verschleiß-Einsatzzeit-Kurven, wie in Abb. 7.21 eingetragen. Beim Standzeitkriterium sind dann die jeder Schnittgeschwindigkeit zuzuordnenden Standzeiten abzulesen [TAY07].

F.W. Taylor (USA, 1856 bis 1915) fand durch experimentelle Untersuchungen einen exponentiellen Zusammenhang zwischen Schnittgeschwindigkeit und Stand-zeit bei gegebenen Verschleißkriterien Verschleißmarkenbreite VBZUL oder Kolk-tiefe KTZUL

(7.6)

Mit T0 = 1 min und der zugehörigen Minutenschnittgeschwindigkeit C (Schnitt-geschwindigkeit bei Standzeit von 1 min) wird die Beziehung im Allgemeinen als Zahlenwertgleichung angeschrieben.

(7.7)

Bei logarithmischer Achsteilung kann dieser Zusammenhang als Gerade dargestellt werden. Diese Geraden bezeichnet man als „Taylor- Geraden“ (Abb. 7.22).

Die Konstanten C und k können Tabellen (Tab. 7.2) entnommen werden. Die Steilheit der Geraden gibt die Empfindlichkeit einer Schneidstoff-Werkstoffkom-bination gegen Schnittgeschwindigkeitssteigerung an. Die Breite des Streubandes lässt Rückschlüsse auf die Standzeitzuverlässigkeit bzw. die Eintreffwahrschein-lichkeit des Standzeitkriterums zu (s. Abschn. 7.5). Dabei können der Freiflächen-

vc = C ·(

T

T0

)1/k

vc = C · T1/k

Abb. 7.21 Vergleich der Verschleißmarkenbreite bei der Guss- und Stahlzerspanung

Schnittzeit t0 10 20 30 40 50 60 80min

vc = 160 m.min–1

vc= 400 m.min–1

vc = 315 m.min–1

vc = 63 m.min–1

vc = 250 m.min–1

800

µm

600

400

200

0

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

α γ λ ε κ r

0,8 mm0,8 mm– 6°– 6°6°

6°5° 0° 90°90°

60°60°

SchnittiefeVorschubSchneidstoff

: ap = 2,5 mm: f = 0,25 mm: doppelbeschichtetes Hartmetall

SchneidengeometrieWerkstückstoff

GGG-3049 Mn VS 3

7 Verschleiß

Page 169: Spanen ||

151

oder der Kolkverschleiß je nach Schneidstoff-Werkstoffpaarung und nach den Ein-satzbedingungen kritisch sein. Wenn beide Verschleißformen auftreten, ist im All-gemeinen im geringeren Schnittgeschwindigkeitsbereich der Freiflächenverschleiß, bei höheren Schnittgeschwindigkeiten der Kolkverschleiß für das Standzeitende be-stimmend. Die Taylor-Gerade für den Freiflächenverschleiß ist flacher als die für den Kolkverschleiß.

Abb. 7.22 Entwicklung der Taylor-Geraden

40

min

16

6,3

2,5

0,4

To=1

160 250 400 630 C 1600 m. min–1

C = vc . T–1/k

Sta

ndze

it T

250

400

Standzeit-kriterium

1000 m. min–1

630

6 12 18 24 min 36Schnittzeit tc

Schneidstoff : Oxidkeramik

Schnittgeschwindigkeit vc

KonfidenzintervallVertrauen 95%

WerkstückstoffVorschubSchnittiefe

: 42 Mn Si VS 33 BY: f = 0,25 mm: ap = 1,5 mm

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

B

mm

0,3

0,2

0,1

00

7.4 Standzeit

Tab. 7.2 Koeffizienten zur Ermittlung der Taylor-Geraden

Page 170: Spanen ||

152

Abbildung 7.23 lässt den Einfluss des Werkstoffs auf die Lage der Taylor-Gerade erkennen. Höhere Festigkeit verringert die Standzeit, wie der Vergleich von Kugel-graphitguss GGG-60 und GGG-70 zeigt. Andererseits wirken sich Zusammenset-zung und Gefüge der Werkstoffe entscheidend aus, was man den Taylor-Geraden für GGG-70 und den mikrolegierten Stahl 49 MnVS 3 mit gleicher Festigkeit ent-nehmen kann.

Die Standzeit und die Schnittgeschwindigkeit lassen sich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimieren. Optimierungskriterien können sein:

• minimale Bearbeitungszeit,• minimale Stückkosten oder• minimale Periodenkosten.

Das Stückzeit-, Stückkosten- oder Periodenkostenoptimum ergibt sich aus gegen-läufigen Zeit- oder Kostenanteilen bezogen auf die Werkzeuge (mit vc steigend) und die Maschinenbelegung (mit vc fallend) (Abb. 7.24). Für die Stückkostenoptimie-rung der Schnittgeschwindigkeit gilt:

(7.8)vc,Kopt= C [(−k − 1) · (twz+KWZ/KML)]1/k

Abb. 7.23 Standzeitvergleich bei der Stahl- und Gussbearbeitung

GGG - 70

49 Mn VS 3

100

min

40

25

16

10

6,3

4

2,5

1,6

1,016 25 40 63 100 160 630m. min–1

Schnittgeschwindigkleit vc

Sta

ndze

it T

GGG - 60

SchnittiefeVorschubVerschleißkriteriumSchneidstoff

: ap = 2,5 mm: f = 0,25 mm: VB = 0,3 mm: TiC-Al2 O3 besch. HM

Werk-stoff

Schneidengeometrie

GussStahl

α γ λ ε κ r

0,8 mm0,8 mm–6°–6°6°

6°5° 0° 90°90°

60°60°

vcKopt vcPopt vcTopt

Minim. Stückkosten max. Gewinn HochkonjunkturNormalbeschäftigungLangfristig

geringe Markttranspa-renz, kurzfristig

Markt halten

Tab. 7.3 Optimie-rungskriterien für die Schnittgeschwindigkeit

7 Verschleiß

Page 171: Spanen ||

153

Die Schnittgeschwindigkeit für minimale Periodenkosten vc,Popt liegt zwischen vc,Topt und vc,Kopt. Die minimalen Periodenkosten ergeben sich aus einer Opti-mierung von Stückzeit und Stückkosten. Es bestehen folgende Zusammenhänge zwischen den nach unterschiedlichen Kriterien optimierten Schnittgeschwindig-keiten:

Bei schwacher Konjunktur ist es sinnvoll, die Schnittgeschwindigkeit zu senken, um die Werkzeugkosten zu minimieren, da die Maschine ohnehin nicht voll genutzt wird. Andere Kostenanteile, wie die Energiekosten gehen damit auch zurück. Die damit u.U. steigenden Personalkosten müssen allerdings beachtet werden.

In Abb. 7.25 ist der direkte Kostenvergleich zwischen zwei unterschiedlichen Drehwerkzeugen dargestellt. Die Wendeschneidplattentechnik hat eine Kostensen-kung gebracht.

Ein Kostenoptimum ergibt sich durch eine Minimierung der Werkzeugwechsel-zeit und der Werkzeugkosten je Standzeit. Der dargestellte Zusammenhang lässt sich nicht einfach generalisieren, besonders wenn man einen Kostenvergleich an Werkzeugen mit komplizierten geometrischen Formen vornimmt. Neben der Schnittgeschwindigkeit ist die Standzeit eines Werkzeuges – wenn auch weniger sensitiv – vom eingestellten Vorschub abhängig. Allerdings ist der Vorschub in vie-len Einsatzfällen nicht frei wählbar, z.B. wenn die Oberflächengüte vorgegeben ist.

7.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit

In der betrieblichen Praxis zeigt sich, dass die Verschleißentwicklung und damit die Standzeit starken Streuungen unterliegt, selbst wenn Werkstoffe gleicher Norm-bezeichnung mit gleichen Werkzeugen unter identischen Einstellbedingungen be-arbeitet werden [VOS76]. Die Ursachen liegen in Schwankungen der Eingangs-größen (Abb. 7.26). Dabei sind die Einstellgrößen in der Regel in engen Grenzen

Abb. 7.24 Fertigungs-kosten als Funktion der Schnittgeschwindigkeit Stückkosten K

maschinen-gebundeneStückkosten KM

werkzeug-gebundeneStückkosten

KWZ

vcKopt

Schnittgeschwindigkeit vc

Km

in

Stü

ckko

sten

K, K

M, K

WZ

7.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit

Page 172: Spanen ||

154

konstant zu halten, wenn auf derselben Maschine gearbeitet wird. Als wichtige

Störgrößen, die für Standzeitschwankungen bestimmend sind, haben sich geometri-sche Abweichungen der Rohteile [PAT87] und chemische und physikalische Eigen-schaftsschwankungen der Werkstoffe und Schneidstoffe herausgestellt.

Abb. 7.25 Kostenvergleich zweier Drehwerkzeuge

Anschliffgelöteter

Drehmeißel

neuer Dreh-meißel

neuer Halterneue WP

Halter mit Wende-schneidplatten

Zahl der Einsätze

Wer

kzeu

gkos

ten

200

Euro

150

100

50

01 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Abb. 7.26 Streuung von Standzeit und Schnittgeschwindigkeit [VOS76]

Sta

ndze

it T

Schnittgeschwindigkeit vc

σlgT = Standardabweichung des Logarithmus der Standzeit

σlgC = Standardabweichung des Logarithmus der Minuten- schnittgeschwindigkeit

1000

min

100

31

10

3,15

110 31,5 100 m/min 1000

σlgT

σlgC

7 Verschleiß

Page 173: Spanen ||

155

Die Standzeit ist somit eine Zufallsgröße. Aus Versuchen wurde ermittelt, dass sie in guter Näherung einer logarithmischen Normalverteilung folgt. Dann lässt sich die Dichte der logarithmischen Standzeit angeben

(7.9)

worin Tµ der Mittelwert und lgT die log. Standardabweichung der Standzeit ist. Von Interesse ist die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Werkzeugs P(A).

(7.10)

Durch eine mit |u| < 1 schnell konvergierende Reihenentwicklung lässt sich an-schreiben

(7.11)

mit

(7.12)

Die Standzeitzuverlässigkeit R(T) ist dann

(7.13)

Die logarithmische Normalverteilung der Standzeit kommt dem Einbau in die Tay-lor-Beziehung entgegen. Es ergibt sich in einfacher Weise

(7.14)

Dieser Zusammenhang ist in Abb. 7.26 dargestellt. Daraus folgt, dass für die voll-ständige Darstellung der Taylor-Beziehung unter Berücksichtigung des Zufallcha-rakters der Standzeit das Wertetripel ausreicht:

(7.15)

Die Standzeitgerade, deren Lage durch Cµ beschrieben ist, bedeutet eine Zuverläs-sigkeit gemessen am Standzeitkriterium von 50 %. Je weiter eine parallele Gerade nach links verschoben wird, desto größer wird die Zuverlässigkeit. In Abb. 7.27 sind die Verteilungsfunktionsgeraden im Wahrscheinlichkeitsnetz und die Stand-zeitgeraden im T-vc-Diagramm dargestellt. Für Cµ = 300 m/min beträgt die Aus-fallwahrscheinlichkeit 50 %, für C = 230 m/min bzw. 180 m/min dagegen nur noch 5 % bzw. 0,1 %.

f ( lg T) =1

σlg T√

2π· e

−( lg T − lg Tµ)2

2σ 2lg T

P(A) = P(T < Tµ) = F(lgT) =lg T∫

o

f ( lg T) d ( lg T)

P (A) =1

2−

1√

[|u| −

|u|3

6

]

u =lg T − lg Tµ.

σlg T

R(T) = 1 − P(A).

σlg C = −1

kσlg T.

Cµ, k und σlgC.

7.5 Standzeitstreuung und Prozesssicherheit

Page 174: Spanen ||

156

7.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß

Die Zerspanbarkeit eines Werkstoffs wird nach den Kriterien Werkzeugverschleiß, Zerspankräfte, Spanform und Oberflächengüte beurteilt. Sie hängt von der Werk-stoffzusammensetzung, der Schmelzenführung, der Umformung und der Wärmebe-handlung ab (Abb. 7.28) [VIE70, WIN83]. Die Einflüsse auf den Verschleiß werden am Beispiel untereutektoider und niedriglegierter Kohlenstoffstähle erläutert.

7.6.1   Werkstoffzusammensetzung

Der wichtigste Begleiter des Stahls ist Kohlenstoff. Der Kohlenstoff liegt im We-sentlichen in gebundener Form im Eisenkarbid, dem Zementit (Fe3C) vor. Zementit mit einem C-Gehalt von 6,67 % ist rhombisch kristallin und hat eine hohe Härte von HV ≈ 1000. Der weitere Grundbestandteil ist das -Mischkristall, das Ferrit, mit einem C-Gehalt von weniger als 0,02 %. Ferrit ist kubisch raumzentriert und hat nur geringe Härte um HV ≈ 90. Das Eutektoid Perlit (0,86 % C) besteht aus einem feinen Gemenge aus Ferrit und Zementit. Untereutektoide Stähle bestehen aus einer Mischung von Ferrit und Perlit, übereutektoide aus Sekundärzementit und Perlit.

Die Anteile an harten Bestandteilen geben einen Hinweis auf die Verschleißnei-gung der Stähle. Auch die Zerspankräfte nehmen mit dem C-Gehalt zu. Allerdings neigen Stähle mit geringen C-Gehalten (< 0,02 %) wie z.B. Einsatzstähle im weich-

Abb. 7.27 Standzeitzuverlässigkeit und Taylor-Gerade [VOS76]

100

31,5

3,15

1100 160 250 m/min 400

Schnittgeschwindigkeit vc

0,9990,990,90

Verteilungs-funktion R(T)= 0,5

Sta

ndze

it T

Streuung

0,50

Standzuverlässigkeit R(T)

10

R(T)=0,99

min

7 Verschleiß

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157

geglühten Zustand zum Kleben und zur Adhäsion, wodurch ihre Zerspanbarkeit wieder verschlechtert ist.

Sauerstoff gelangt bei der Herstellung in den Stahl. Er liegt ausschließlich in Form oxidischer Einschlüsse, z.B. Manganoxid, Siliziumoxide (Silikate) und Alu-miniumoxid, vor. Alle Oxide haben verschleißende Wirkung, besonders Alumi-niumoxid [WIN83].

Silizium verbindet sich mit Sauerstoff und ergibt harte Silikateinschlüsse. Es führt zu einer Steigerung der Ferritfestigkeit und erhöht den Werkzeugverschleiß.

Schwefel besitzt nur geringe Löslichkeit in Stahl und bildet stabile Sulfide. Seine Bindungsfreudigkeit gegenüber den Metallen nimmt in der Reihenfolge Ni-ckel (Ni), Kobald (Co), Molybdän (Mo), Eisen (Fe), Chrom (Cr), Mangan (Mn), Zirkonium (Zr), Titan (Ti) zu. Welche Sulfide entstehen, richtet sich daher nach den Legierungsbestandteilen des Stahls. Eisensulfid ist unerwünscht, weil es einen niedrigen Schmelzpunkt (1188 °C) hat und sich an den Korngrenzen ablagert. Bei der Warmumformung kann es so zu Rotbruch oder Heißbruch kommen. Durch Mangan, das eine größere Affinität zum Schwefel hat als Eisen, können Mangan-sulfide (MnS) gebildet werden, die einen höheren Schmelzpunkt als FeS aufweisen und daher Rotbruch- und Heißbruchgefahr beseitigen. Mangansulfide wirken ver-schleißmindernd.

Mangan bindet den Schwefel und verhilft dem Stahl dadurch auch zu besseren mechanischen Eigenschaften. Bei einem Mangan/Schwefel-Verhältnis größer als Mn/S = 1,7 wird der gesamte Schwefel zu dem bei 1600 °C schmelzenden Mangan-sulfid oder zu anderen manganhaltigen Sulfiden abgebunden. Bei Fließspanbildung können Mangansulfide darüber hinaus eine Schutz- und Schmierwirkung auf dem Schneidkeil der Werkzeuge übernehmen (s. Schmelzenführung).

Abb. 7.28 Einflussgrößen und Beurteilungskriterien der Zerspanbarkeit

Werkstoff-zusammen-

setzung

Werkzeug-verschleiß

Schmelzen-führung

Umform-vorgang

Wärme-behandlung

Zerspan-kräfte

SpanformOberflächen-

güte

Zerspanbarkeit von Werkstoffen

7.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß

Page 176: Spanen ||

158

Ein Phosphor-Gehalt bis zu 0,1 % wirkt sich günstig auf die Zerspanbarkeit da-durch aus, dass der Stahl versprödet wird und es damit zu günstigeren Spanformen kommt. Die Erhöhung der Härte kann jedoch die Werkzeugstandzeit mindern.

Abbildung 7.29 zeigt eine Übersicht über die Wirkung der Stahlzusammenset-zung auf den Werkzeugverschleiß bzw. die Standzeit.

7.6.2   Schmelzenführung

Durch die Zugabe von Desoxidationsmitteln wie z.B. Aluminium, Silizium oder Mangan, die eine hohe Affinität zu Sauerstoff besitzen, wird die starke Gasentwick-lung während des Erstarrens der Schmelze unterdrückt. Der freiwerdende Sauer-stoff wird als Oxid gebunden. Aluminiumoxid und Siliziumoxid sind harte Ein-schlüsse und nicht verformbar. Der Verschleiß wird besonders dann erhöht, wenn die oxidischen Einschlüsse in größeren Mengen oder in Zeilenform im Stahl vor-liegen. Durch die Wahl eines geeigneten Desoxidationsmittels kann das Verschleiß-verhalten günstig beeinflusst werden. Mit Calcium-Silizium oder Ferro-Silizium desoxidierte Stähle bilden beim Spanen verschleißhemmende oxidische und sulfi-dische Schutzschichten auf Hartmetall- und Keramikschneiden. In Abb. 7.30 ist der Mechanismus der verschleißmindernden Wirkung der Beläge dargestellt.

Der aus (Mn, Ca)S bestehende Belag (Dicke ca. 1 m) hat eine trennende und schmierende Wirkung, wodurch insbesondere der Kolkverschleiß deutlich verrin-gert wird. Durch Reduktion, der an der Schneide auftretenden Reibung, ergibt sich eine geringere thermische Belastung des Werkzeugs. Der Belag kann auch als Dif-fusionssperre zwischen Schneidstoff und Werkstoff wirken. Abbildung 7.31 zeigt

Abb. 7.29 Einfluss der Legierungselemente und der Härte auf die Werkzeugstandzeit

Leg.-elem.

Wir-kung

Wir-kung

Ursache, Bedingung

C T Twenn Rm über C eingestellt wird

Si T TFerritfestigkeit , Silikate

Ni T TZähigkeit steigt

Mn T TBei MnS > 1,7 Bildung vonMangansulfid, Parallel-verschiebung derStandzeitgeradeS T T

Ca T TBildung globularer nichtmet.Einschlüsse, Belagbildung

Te T TBildung globularer nichtmet.Einschlüsse

P TT Av nimmt ab

Leg.-elem.(Härte)

Cr

Mo

W

Pb

Bi

V

Ti

HB Spanflächentemperatur steigt

Festigkeit steigt durch feineCarbid und Carbonitrid-ausscheidungen

Bildung weicher nichtm. Einschl.

Bildung weicher nichtm. Einschl.

falls Carbide vorliegen

Ursache, Bedingung

angenommen ist jeweils eine Zunahme des Legierungsgehalts bzw. der HärteT = Werkzeugstandzeit

7 Verschleiß

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159

die Standzeit in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit für einen mit Cal-cium behandelten und einen unbehandelten Stahl.

Die Standzeitgewinne durch die Behandlung sind erheblich. EDX-Analysen zei-gen, dass bei Ca-behandeltem Stahl im Kolkbereich Ablagerungen mit Ca-Kon-

Abb. 7.30 Verschleißminderung durch Trennschlichten

unbehandelter Stahl(Ca - Gehalt : 0,0002 Gew.-%)

Frei-flächen-verschleißVB

Frei-flächen-verschleißVB

Trennschicht(Ca, S, Mn)

Kolkver-schleiß KT

Ca - behandelter Stahl(Ca - Gehalt : 0,0042 Gew.-%)

7.6 Werkstoffeinfluss auf den Verschleiß

Abb. 7.31 T-vc-Abhängigkeit

42 CrMo S4

42 CrMo S4 (Ca)

α γ λ ε κ rε

6° –6° –4° 90° 75° 0,8 mm

: Cermet E, SNGN 120408: f = 0,2 mm: ap = 1,5 mm: VBB = 0,3 mm

SchneidstoffVorschubSchnittiefeStandkriterium

1000

min

100

10

1

0,1

Sta

ndze

it T

200 300 400 500 m.min–1

42 CrMo S4 (Ca) : 0,0042 Gew. - % Ca

42 CrMo S4 : 0,0002 Gew. - % Ca

Schnittgeschwindigkeit vc

Page 178: Spanen ||

160

zentration und, insbesondere im Bereich des Kerbverschleißes, Anhäufungen von Schwefel und Mangan auftreten (Abb. 7.32 und 7.33) [TÖN89]. Ein Vergleich der EDX-Analysen für Eisen und Calcium zeigt, dass in dem von Calcium bedeckten Bereich nahezu kein Eisen vorliegt. Demnach wird durch den Belag der direkte Kontakt zwischen dem Eisen und der Schneidplatte verhindert.

Abb. 7.32 Elementverteilung nach Bearbeitung von Ca-behandeltem Vergütungsstahl

WerkstoffSchneidstoffSchnittgeschw.VorschubSchnittiefeStandzeitkriteriumStandzeitSNGN 120 408

α γ e k rε

6° –6° –4° 90° 75° 0,8 mm

. 42 CrMo S 4 (Ca): Cermet E: vc = 250m · min–1

: f = 0,2 mm: ap = 1,5 mm: VBB = 0,3 mm: T = 150 min

300µm

Verschleißbild Verteilung Fe

Verteilung Ca

Abb. 7.33 Elementverteilung nach Bearbeitung von unbehandeltem Vergütungsstahl

Verschleißbild Verteilung Fe

Verteilung Al

α6° –6° –4° 90° 75° 0,8 mm

γ e k rε

SNGN 120 408

Schneidstoff : Cermet EWerkstoff : 42 CrMo S 4

Schnittgeschw. : vc = 250 m · min–1

Vorschub : f = 0,2 mmSchnittiefe : ap = 1,5 mmStandzeitkriterium : VBB = 0,3 mmStandzeit : T = 26 min

100 µm

300 µm

7 Verschleiß

Page 179: Spanen ||

161

Bei der Bearbeitung von unbehandeltem Stahl liegt eine hohe Konzentration von Eisen im Bereich der Verschleißmarke, im Kolkauslauf und im Kerbverschleißbe-reich vor. Die Existenz eines Belages aus (Mn, Ca)S ist nicht nachzuweisen, so dass hier ein direkter Kontakt von Stahl und eingelagerten Karbiden (und auch Alumi-niumoxiden) mit der Schneide besteht, was einen erhöhten Verschleiß der Freiflä-chen und des Kolkbereichs zur Folge hat.

7.6.3   Wärmebehandlung

Durch die Wärmebehandlung lässt sich bei Stählen die Gefügeausbildung weitge-hend beeinflussen. Die nachfolgend aufgeführten Gefügebestandteile beeinflussen den Verschleiß zunehmend ungünstig:

• Ferrit,• Perlit mit eingeformtem Zementit,• grober Perlit,• feiner Perlit,• Bainit,• Martensit,• Zementit.

Bei gleicher Festigkeit lässt sich durch Grobkörnigkeit des Gefüges, wie sie z.B. durch BY-Behandlung (gesteuert aus der Schmiedewärme abgekühlt) erreicht wird, auch eine deutliche Verringerung des Verschleißes erzielen (Abb. 7.34). Als Ursa-che wird die grobe Kornstruktur des Gefüges angesehen [WIN83].

7.7 Schneidenverrundung

Neben der Makrogeometrie1 eines Zerspanwerkzeuges (Span-, Freiwinkel, etc.) bestimmt dessen Schneidengeometrie die Leistungsfähigkeit und das Verschleiß-verhalten. Besondere Bedeutung kommt der Schneidengestalt z.B. beim Hartdre-hen zu, wo hohe Anforderungen an die Werkstückoberfläche bestehen. Eine hoch-wertige Werkstückoberfläche setzt vor allem eine gut definierte Schneide voraus. Die Schneiden müssen in der Lage sein, hohe Kraft- und Temperaturbelastungen auf Dauer zu ertragen. Überscharfe Schneiden können diesen Anforderungen nicht gerecht werden und besitzen für diese Anwendung eine geringe Standzeit. Neben der geringen Kantenfestigkeit sind aus der Schleifbearbeitung resultierende kleine

1 Wenn von „Geometrie“ gesprochen wird, folgt diese Bezeichnung einem in der Technik fälsch-lich eingeführten Begriff, der in der Regel „Gestalt“ oder „Form“ meint. „Geometrie“ ist zutref-fend dagegen ein Teil der Mathematik.

7.7 Schneidenverrundung

Page 180: Spanen ||

162

Ausbrüche der harten Carbide aus der Bindung dafür ursächlich [TÖN01, DEN02] (Abb. 7.35, links oben).

Das gezielte Verrunden oder Anfasen der Schneide ermöglicht eine gleichmäßi-ge Qualität des bearbeiteten Werkstücks und eine Leistungs- bzw. Standzeitsteige-rung des Werkzeugs.

Zum Verrunden oder Anfasen der Schneide wird sie nach dem Schleifen einem zusätzlichen Bearbeitungsschritt unterzogen. Für diese Präparation werden ver-schiedene Verfahren eingesetzt. Hierzu zählen das Bürsten, Strahlen oder Polieren sowie verschiedene Schleifverfahren [FRIE02].

Eine Schneidenverrundung muss nicht notwendigerweise kreisförmig sein. Tat-sächlich kann wegen des gerichteten Eindringens des Schneidkeils damit gerechnet werden, dass ein bewusstes Abweichen von der Kreisform Vorteile bringt. Aller-dings bedarf es dann einer weitergehenden Definition der Schneidengeometrie. Um eine verbesserte Charakterisierung der Schneide vorzunehmen, werden 4 Charak-terisierungsparameter: ∆r, , Sα, Sγ, eingesetzt. Das Vorgehen bei der Vermessung ist in Abb. 7.35 dargestellt. Der Wert ∆r beschreibt die Größe der Schneidenverrun-dung, der Winkel die Verschiebung der Schneidenspitze entweder zur Span – oder zur Freifläche und die Parameter Sγ und Sα den scharfen oder stumpfen Verlauf zur Span – bzw. Freifläche. Diese Parameter lassen sich mit geringem Aufwand mit Hilfe eines Messtasters und eines Vermessungsprogramms oder auch optisch auto-

Abb. 7.34 Einfluss von Werkstoffmodifikation und Wärmebehandlung auf den Verschleiß [WIN83]

Schnittgeschw.SchnittiefeVorschubSchneidstoffSchneidengeometrie

: vc = 125 m min–1

: a = 2,5 mm: f = 0,25 mm: HM, P10

BY

BY

BY

V

V

N

BY

Ck

45 S

49 M

n V

S 3

Ck

45 M

o C

Ck

45

Ck

45

Ck

45

Ck

35

Schnittzeit t = 10 min

Schnittzeit t = 20 min

p

5° 6° 0° 90° 60° 0,8 mm

rκα γ λ ε

300

µm

240

180

120

60

0

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

7 Verschleiß

Page 181: Spanen ||

163

matisch ermitteln. Die so gemessenen Größen erlauben eine definierte Charakteri-sierung der Schneidengeometrien und eine systematische Ermittlung der Einfluss-größen für einen optimierten Zerspanprozess.

Abb. 7.35 Ausbrüche an der Schneide

19°

R25µm

Messtaster

Schneidplatte Prisma

Vorschubrichtung

Spanfläche

Freifläche

Kontur

scharfe Schneide

Sγ Sα

Kontur

Spanfläche FreiflächeWinkelhalbierende

∆r

−ϕ

Spanfläche Spanfläche

Freifläche Freifläche

Messung Charakterisierung

verrundete Schneideunbehandelte Schneide

7.7 Schneidenverrundung

Abb. 7.36 Schneidencharakterisierung mit neuen Parametern – Einfluss auf die Schnittkraft

rel.

Bea

rbei

tung

skrä

fte F

c

∆r

Schneidengeometrie:

Prozess:

Werkzeug:

Prozessparameter:Orthogonal-Einstechdrehen

WSP - SNGN 1204

vc = 250 m/min, f = var,ap = 2 mm

Werkstoff: Ck45 N

Schneidstoff: HW-K10

6° – 6° 90°90° 0°

Sα Sγϕ

var. var. var.

∆r

10µmKühlung: ohne

Sch

neid

enfo

rm

f = 0,05 mm

f = 0,1 mm

f = 0,2 mm

00

–10 –5 0 5 10 15 grad° 25

Winkel ϕ

B

B

C

D

A

1,25

FcFc,min

1,15

1,1

1,05

1

ϕ = 0°

ϕ

ϕ ϕ

ϕ = 21°ϕ = 13,5°ϕ = –13,5°

20 µm

Spanfläche

Freifläche

DCA

α β γ ε κ

Page 182: Spanen ||

164

Praxisübliche Schneidkantenverrundungen für die Stahlbearbeitung liegen im Be-reich ∆r = 10 bis 30 µm. Die Titanbearbeitung erfordert möglichst scharfe Schneid-kanten ∆r ≈ 0. Zerspanversuche, bei denen unterschiedliche Schneidenformen gezielt hergestellt wurden, zeigen beim Orthogonal-Einstechdrehen, dass die gleichmäßige Schneidenverrundung mit = 0 in allen Fällen die höchsten Bearbeitungskräfte be-wirkt (s. Abb. 7.36). Es zeigt sich weiterhin, dass mit Schneiden, die ungleichmäßige Formen aufweisen – ob in positiver oder in negativer Richtung ±- geringere Zer-spanungskräfte resultieren. Es ist zu erkennen, dass bei einem kleineren Vorschub die Kraftänderungen durch Variation des Winkels größer sind als bei höheren Vor-schüben. Dieses lässt auf einen gesteigerten Einfluss der Schneidengeometrie mit kleineren Vorschüben schließen und muss somit besonders bei der Schlichtbearbei-tung beachtet werden. Es wird deutlich, dass sich durch eine ungleichmäßig verrun-dete Schneide die Bearbeitungskräfte reduzieren lassen. Somit kann eine gesteigerte Qualität der Oberfläche erzielt und der Werkzeugverschleiß reduziert werden.

Fragen

1. Charakterisieren Sie die Wechselwirkung zwischen Verschleiß, Temperaturen und Kräften im Zerspanprozess.

2. Welche Verschleißformen kennen Sie? 3. Erläutern Sie den Einfluss des Freiwinkels auf den Freiflächenverschleiß. 4. Welche untere Schranke lässt sich für die Größe des Freiwinkels aus den Bewe-

gungsverhältnissen beim Zerspanen ableiten? 5. Welchen Einfluss hat der Verschleiß auf die Spanbildung und das

Arbeitsergebnis? 6. Welche Verschleißursachen sind Ihnen bekannt? 7. Warum nimmt der Verschleiß als Folge von Pressschweißungen mit hohen

Schnittgeschwindigkeiten ab? 8. Wie ist die Form des Kolkes zu erklären? 9. Warum wird beim Einsatz von Hartmetall Gusseisen mit Lamellengraphit mit

geringeren Schnittgeschwindigkeiten abgespant als Kohlenstoffstahl?10. Welche den Verschleiß beeinflussenden Oxidationsvorgänge sind Ihnen

bekannt?11. Welche Messprinzipien werden zur Verschleißmessung eingesetzt?12. Wie ist der Begriff „Standzeit“ definiert? Wie wird die Standzeit ermittelt?13. Welche Bedingungen können die Standzeit einschränken?14. Von welchen Bedingungen bzw. Größen ist der Werkzeugverschleiß abhängig?15. Skizzieren Sie den typischen Verlauf der Verschleißmarkenbreite abhängig von

der Zeit. Wie ändert sich der Verlauf bei Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit?16. Welche Abhängigkeit besteht zwischen Schnittgeschwindigkeit und Standzeit

bei gegebenem Standzeitkriterium und wie kann sie beschrieben werden?17. Welchen Einfluss haben Vorschub und Standzeitkriterium auf die Taylorbezie-

hung? Skizzieren Sie die Veränderungen.

7 Verschleiß

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165

18. Skizzieren Sie qualitativ die Veränderungen von Werkzeugkosten, Maschinen-kosten und Stückkosten, die sich bei spanender Bearbeitung abhängig von der Schnittgeschwindigkeit ergeben.

19. Wo liegt das Minimum der Stückkosten?20. Wo liegt das Minimum der Periodenkosten?21. Nach welchen Kriterien kann die Standzeit optimiert werden?22. Welche Größen bestimmen die zeitoptimale Schnittgeschwindigkeit?23. Wie liegen die Werte der optimierten Schnittgeschwindigkeit nach den Krite-

rien Stückkosten, Stückzeit und Periodenkosten zueinander?24. Für eine Bohroperation mit einem Spiralbohrer ist die zeitoptimale Schnitt-

geschwindigkeit zu bestimmen. Das Verschleißverhalten des Bohrers geht aus nachfolgendem Diagram (Abb. 7.37) hervor. Als Verschleißkriterium ist eine Verschleißmarkenbreite von 0,2 mm zu wählen. Weiter bekannt ist die Werk-zeugwechselzeit twz = 6 min.

Literatur

[BAR88] Bartsch, S.: Verschleißverhalten von Aluminiumoxid-Schneidstoffen unter stationärer Belastung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1988

[DEN92] Denkena, B.: Verschleißverhalten von Schneidkeramik bei instationärer Belastung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1992

[DEN02] Denkena, B., Friemuth, T., Fedorenko, S., Groppe, M: Neue Parameter zur Charak-terisierung der Schneidengeometrien an Zerspanwerkzeugen, Werkzeuge-Sonderausgabe der Zeitschrift Fertigung, S. 24-26, 2002

[DEN08] Denkena, B., Boehnke, D., Meyer, R.: Reduction of wear induced surface zone effects during hard turning by means of new tool geometries. Prod. Eng. – Res. + Devel. (2008) 2, S. 123-132.

Abb. 7.37 Freiflächenverschleiß in Abhängigkeit von der Bohrzeit

Literatur

Page 184: Spanen ||

166

[FRI02] Friemuth, T.: Herstellung spanender Werkzeuge. Habilitationsschrift, Universität Han-nover, 2002

[PAT87] Patzke, M.: Einfluss der Randzone auf die Zerspanbarkeit von Schmiedeteilen. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1987

[TAY07] Taylor, F.W.: On the Art of cutting metals. Trans. Am. Soc. Mech. Engrs. 28, (1907), S.31-279

[TÖN89] Tönshoff, H.K.; Kaestner, W.; Schnadt, R.: Metallurgische Auswirkungen der Calcium-behandlung von Stahlschmelzen auf die Bearbeitbarkeit. Stahl und Eisen 109, 13, (1989), S.651-660

[VIE70] Vieregge, F.: Zerspanung der Eisenwerkstoffe. 2. Auflage, Düsseldorf: Stahleisen M.B.H. Verlag, 1970

[VOS76] Voss, W.: Optimierung spanender Fertigung. München: Techn. Verlag Resch 1976[WIN83] Winkler, H.: Zerspanbarkeit von niedriglegierten Kohlenstoffstählen nach gesteuerter

Abkühlung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1983

7 Verschleiß

Page 185: Spanen ||

167

Schneidstoffe bestimmen wesentlich die Wirtschaftlichkeit eines spanenden Pro-zesses. Die Entwicklung der Zerspantechnik ist daher unmittelbar mit der Entwick-lung der Schneidstoffe verknüpft. Abbildung 8.1 zeigt die mit Neuentwicklungen möglichen Stundenschnittgeschwindigkeiten seit der Jahrhundertwende. Je Dekade zeigt sich etwa eine Verdopplung der möglichen Schnittgeschwindigkeit.

Neben den üblicherweise als Schneidstoffe eingesetzten Schnellarbeitsstählen (HSS) lassen sich gemäß DIN ISO 513 die folgenden Gruppen harter Schneidstoffe klassifizieren:

• Hartmetalle (Carbide)• Schneidkeramik• Diamant• Bornitrid

8.1 Anforderungen an Schneidstoffe

Schneidstoffe müssen verschleißfest (hart) und ausreichend zäh sein, um lan-ge Standzeiten und hohe Prozesssicherheit zu gewährleisten. Beide Forderungen gleichzeitig sind nicht zu erfüllen, harte Stoffe sind in der Regel nicht zäh und um-gekehrt (Abb. 8.2). Aus den Beanspruchungen und Verschleißursachen (s. Kap. 7) ergeben sich Anforderungen, denen folgende Eigenschaften entsprechen müs-sen [VIE70, TÖN90]: Härte, Warmhärte, Zähigkeit und chemische Beständigkeit (Tab. 8.1).

Härte: Die Härte ist ein Maß für die Verschleißfestigkeit des Schneidstoffes. Sie wirkt abrasivem und adhäsivem Verschleiß entgegen. Schneidstoffe können ihre Härte aus der Grundmasse, aus Hartstoffen, die in eine bindende Matrix eingelagert sind, oder allein über harte Kristallite, die direkt über Kongrenzen verbunden sind, erhalten. Entsprechend ist der Hartstoffgehalt verschieden (Abb. 8.3).

Warmhärte: Auch bei hohen Schneidkeiltemperaturen muss die Härte möglichst weit erhalten bleiben, um abrasivem Verschleiß und plastischen Verformungen ent-gegenzuwirken (Abb. 8.4).

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 8Schneidstoffe

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168

Zähigkeit: Die Fähigkeit der Schneidstoffe, der Ausbreitung von Rissen Wider-stand entgegenzusetzen, wird als Zähigkeit bezeichnet. Ein Maß für die Zähigkeit liefert die Bruchmechanik mit dem Spannungsintensitätsfaktor, dem KIc-Wert (auch Bruchzähigkeit genannt). Der KIc-Wert wird in einem technologischen Prüfver-fahren mit vorgeschriebener Probengeometrie nach einer Zahlenwertgleichung er-mittelt. Nach Abb. 8.5 wird ein Probenkörper mit einem definierten Anriss (z. B.

Abb. 8.1 Entwicklung von Schneidstoffen

1600m/min1000

400

160

63

25

10

4

1900 1920 1940 1960 1980 20001894 1904 1926 1938 1967 1990 2010

Entwicklungsjahr

Stu

nden

shni

ttges

chw

indi

gkei

t vc6

0

HSS

WZ-Stahl

PKB

1) GG-252) AISi-Legierung

PKD2)

Si3N41)

beschichtete Hartmetalle

Oxidkeramik

HM gesintertStellite

mittlere Stundenschnitt-geschwindigkeit für dieBearbeitung eines Stahlsmit 600 N/mm2 Festigkeit

Abb. 8.2 Schneidstoffe gemäß Verschleißfestigkeit und Zähigkeit [KLO08]

BN

PK

D

Al2O3-Keramik

Al2O3+ TiC

Si3N4-Keramik

beschichtetesCermet

Cermet beschichtetesHartmetall

idealer Schneidstoff

Hartmetall auf WC-Basis

Feinstkorn-und Ultrafeinkorn-Harmetall

beschichteter HSS

HSS

Zähigkeit und Biegefestigkeit (Vorschub)

Ver

schl

eiß

fest

igke

it, W

arm

fest

igke

it(S

chni

ttges

chw

indi

gkei

t)

8 Schneidstoffe

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169

Ermüdungsriss durch Zugschwellbeanspruchung eingebracht) im Zug- oder Drei-punktbiegeversuch soweit beansprucht, bis sich der Riss instabil, d. h. schlagartig ausbreitet. Die dabei auftretende Bruchspannung ist b; a ist die Risslänge; Y ist ein Kalibrierfaktor, der die Probengeometrie berücksichtigt. Der Spannungsintensitäts-faktor KIc der Schneidstoffe liegt zwischen 13 und 30 MPa m1/2 für Schnellarbeits-

Tab. 8.1 Eigenschaften von Schneidstoffen

Abb. 8.3 Hartstoffgehalt von Schneidstoffen

Hartstoff

90

%

70

60

50

40

30

20

10

Metall

Har

tsto

ffgeh

alt i

n V

ol. -

%

Schneidkeramik, PKB,PKD

Hartmetall I (karbidreich)

Hartmetall II (metallreich)

Stellite, Hartleglierungen

Schnellarbeitsstähle

legierte Werkzeugstähle

unlegierte Werkzeugstähle

WC - BasisTiCN - Basis

8.1 Anforderungen an Schneidstoffe

Page 188: Spanen ||

170

stähle, 8 bis 18 MPa m1/2 für Hartmetalle und 2 bis 7 MPa m1/2 für Schneidkera-miken.

Für Schneidkeramiken, die sprödes Bruchverhalten zeigen, gibt auch die Bie-gebruchfestigkeit einen Hinweis auf die Zähigkeit. Ihr Zahlenwert in MPa ist das 100 bis 200-fache des KIc-Wertes. Die Zähigkeit wirkt sich auf die Bruchneigung

Abb. 8.4 Warmhärte der Schneidstoffe

2500

2000

1500

1000

500

00 250 500 750 C 1000

Temperatur

C-Stahl

Här

te H

V

Al2 O3 / TiC-Keramik

Al2O3-Keramik

Si3N4-KeramikCermetskonv. Hartmetall

HSS-Stahl

Abb. 8.5 Definition der Bruchzähigkeit

a

b : Bruchspannung

KIC

Y ab :

KIC : kritischer Spannungs- intensitätsfaktor

Y : Geometriefaktor

8 Schneidstoffe

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171

des Schneidstoffs und auf die Verschleißfestigkeit bei instationären mechanischen und thermischen Beanspruchungen aus. Bei letzterer Beanspruchung spricht man beispielsweise von Thermoschock. Der Widerstand gegen Temperaturwechsel wird Temperaturwechselfestigkeit oder Thermoschockfestigkeit genannt.

Chemische Stabilität: Um tribomechanischem Verschleiß entgegenzuwirken, sollen Schneidstoffe chemisch inert sein gegenüber Werkstoffen und gegenüber Umgebungsstoffen wie Luft und Kühlschmierstoff. Chemische Stabilität ist eine Voraussetzung für den Einsatz eines Schneidstoffs bei hohen Temperaturen. Ein Maß für die chemische Stabilität ist die Bildungsenthalpie. Eine große negative Bildungsenthalpie einer Verbindung entspricht einer hohen chemischen Stabilität, d. h. es muss hohe Wärmeenergie zugeführt werden, um eine chemische Reaktion zu bewirken.

Einen idealen Schneidstoff, der alle genannten Anforderungen erfüllt, gibt es nicht. Für alle Schneidstoffe gilt der grundlegende Dualismus, entweder hart und verschleißfest oder zäh und gegen instationäre Beanspruchungen widerstandsfähig zu sein.

8.2 Werkzeugstähle

Es wird zwischen unlegierten und legierten Werkzeugstählen unterschieden. Un-legierte Werkzeugstähle (Kohlenstoffstähle) enthalten Kohlenstoff von 0,6 bis 1,3 %. Sie erhalten ihre Härte und den Verschleißwiderstand durch Härten, bei dem sich ein martensitisches Gefüge ausbildet. Legierte Werkzeugstähle für höhere Beanspruchungen enthalten zusätzlich bis 5 % Anteile von Cr, W, Mo und V. Sie besitzen gegenüber unlegierten Werkzeugstählen eine erhöhte Verschleißfestigkeit (Zusatz von karbidbildenden Elementen), eine höhere Anlassbeständigkeit (Legie-rungselemente) und eine größere Härte (in Lösung gegangener Kohlenstoff). We-gen der begrenzten Warmhärte von Werkzeugstählen (Abb. 8.4) sind nur geringe Schnittgeschwindigkeiten möglich, so dass Werkzeugstähle für die Metallbearbei-tung auf Werkzeugmaschinen kaum eingesetzt werden. Sie werden in erster Linie für spanende Handwerkzeuge (Feilen, Reibahlen) und für die Holzbearbeitung ver-wendet.

8.3 Schnellarbeitsstähle

Schnellarbeitsstähle (HSS: High Speed Steel) sind ledeburitische, hochlegierte Werkzeugstähle mit Legierungsgehalten bis 35 %. Sie werden für Werkzeuge zum Bohren, Fräsen, Räumen, Sägen und Drehen eingesetzt. Gegenüber Werkzeugstäh-len besitzen sie eine höhere Anlassbeständigkeit und eine Warmhärte bis 600 °C (Abb. 8.4). Bestimmend für die hohe Anlassbeständigkeit und Warmhärte sind nicht in Karbiden gebundene, sondern in der Matrix gelöste Legierungselemente. Die

8.3 Schnellarbeitsstähle

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172

Härte und der hohe Verschleißwiderstand ergeben sich aus dem martensitischen Grundgefüge und aus eingelagerten W-, W-Mo-, Cr-, und V-Karbiden. Die Eigen-schaften von Schnellarbeitsstählen werden in erster Linie von den Legierungsele-menten W und Mo bestimmt. Die Wolfram- und Molybdängehalte werden daher zur Klassifizierung der Schnellarbeitsstähle nach DIN EN 10027–1 in vier Gruppen ge-nutzt (Tab. 8.2). Sie werden mit HS für Schnellarbeitsstahl und den Prozentangaben der Legierungsbestandteile W-Mo-V-Co bezeichnet. Die Universalsorte HS6-5-2 deckt mehr als 50 % der insgesamt erzeugten Menge an Schnellarbeitstahl ab. Die in der 6 % W- und 5 % Mo-Klasse genannten Sorten überdecken ungefähr 90 % der Erzeugnismenge [HAB88].

Die Legierungselemente beeinflussen spezifische Eigenschaften der Schnell-arbeitsstähle:

C: Kohlenstoff ist entscheidend für die Härte der Grundmasse und ist zur Kar-bidbildung erforderlich.

W: Wolfram ist ein Karbidbildner und erhöht die Anlassbeständigkeit und die Verschleißfestigkeit.

Mo: Molybdän erhöht die Durchhärtbarkeit und die Zähigkeit; es kann Wolfram ersetzen. Wegen der halbierten Dichte sind geringere Massengehalte vergli-chen mit Wolfram erforderlich.

V: Vanadium ist, ähnlich dem Wolfram, ein Karbidbildner und erhöht die Verschleißfestigkeit.

Co: Kobalt ist in der Lage, die Härtetemperatur von Schnellarbeitsstahl zu erhö-hen. Dadurch können mehr Legierungsgehalte an Karbidbildnern gelöst wer-den, d. h. die Warmhärte und Anlassbeständigkeit steigen.

Schnellarbeitsstähle werden schmelzmetallurgisch hergestellt. Die Härtetemperatu-ren (1180 °C – 1280 °C je nach Legierung) und die Tauchzeiten während des Härte-vorgangs werden so gewählt, dass ein möglichst großer Teil der Karbide in Lösung geht, aber keine Grobkörnigkeit entsteht. Der verbleibende Austenitanteil kann durch mehrmaliges Anlassen (540 °C – 580 °C) verringert werden. Dem damit verbunde-nen Härteabfall durch Zerfall von Martensit wirkt die Ausscheidung von Karbiden entgegen. Der Härteabfall ist jedoch mit einer Zunahme der Zähigkeit verbunden.

8 Schneidstoffe

Tab. 8.2 Legierungsgruppen der SchnellarbeitsstähleKlasse Bezeichnung nach

DIN EN 10027-1Anteile in % AnwendungenC W Mo V Co

6% W, 5% Mo

HS6-5-2HS6-5-3HS6-5-2-5HS10-4-3-10

0,850,850,851,25

6,5 6,5 6,510

5,0 5,0 5,0 4,0

2,02,82,03,25

––

4,7510,0

- Bohrer- Gewindebohrer- Fräser- Reibahlen- Drehmeißel

2% W, 10% Mo

HS2-10-1-8 1,1 2,1 10 1,2 7,9 - Schaftfräser

12% W HS12-1-4-5 1,45 12 0,8 3,75 4,75 - Drehmeißel18% W HS18-1-2-5 0,80 18 0,8 1,5 4,75 - Drehmeißel

- Hobelmeißel- Fräser

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173

Bei der schmelzmetallurgischen Herstellung neigen die Schnellarbeitsstähle während der Erstarrungsphase zu Seigerungen, die sich nachteilig auf das Ver-schleißverhalten auswirken können. Um diese Nachteile zu umgehen, werden das Elektroschlacke-Umschmelzverfahren (ESU) und die pulvermetallurgische Her-stellung (PM) eingesetzt. Beide Verfahren führen zu einer gleichmäßigeren Gefüge-ausbildung und zu feinerem Korn. PM-Stähle weisen bessere Kantenfestigkeit und Schneidenhaltigkeit auf. Sie werden für Gewinde- und Reibwerkzeuge eingesetzt. Bei hohen Vanadiumkarbidanteilen sind sie besser schleifbar als erschmolzene Schnellarbeitsstähle. Nachteilig sind die höheren Herstellkosten.

Höhere Standzeiten und Schnittgeschwindigkeiten lassen sich mit Schnell-arbeitsstahlwerkzeugen durch Beschichten mit Titannitrid (TiN) erreichen. Die Schichten haben eine Stärke von 2 μm bis 7 μm. Durch TiN wird die Reibung zwischen Werkzeug und Werkstoff herabgesetzt und somit der adhäsive Verschleiß verringert. Die geringere Reibung führt auch zu einer Reduktion der erforderlichen Schnittleistung und der Schnittkräfte um 10 % bis 20 %.

Die Spanfläche des Werkzeugs wird vor allem bei höheren Schnittgeschwindig-keiten durch Reibwärme erhitzt. Der größere Anteil der Leistungsumsetzung findet in der Spanbildungszone statt (s. Kap. 5), die Umformenergie trägt aber wenig zur Temperatur auf der Werkzeugoberfläche bei. Daher wirkt sich eine Gesamtleis-tungsminderung als Folge geringerer Spanflächenreibung wie folgt aus:

(8.1)

(8.2)

(8.3)

Darin teilt sich die gesamte spezifische Energie kc in den Reibanteil auf der Span-fläche k und den Umformanteil (zuzüglich Reibung an der Freifläche) k auf. Mit einer Beschichtung sinkt die Gesamtenergie auf a · kc als Folge einer auf b · k verringerten Reibung auf der Spanfläche. Mit den Zahlen aus Kap. 5 für die Um-form- und Reibenergie und a = 0,8 (d. h. Reduktion der Schnittleistung auf 80 %) ergibt sich b = 0,2; das heißt, die Reibenergie wird durch die Beschichtung mit TiN auf 20 % des Ursprungwertes gesenkt. Die Temperaturen im Schnellarbeitsstahl-werkzeug können durch eine TiN-Beschichtung wesentlich herabgesetzt werden, was sich in einer deutlichen Steigerung der möglichen Schnittgeschwindigkeit bzw. der Standzeit auswirkt. Hinzu kommt eine Verringerung des abrasiven Verschleißes durch die höhere Härte der TiN-Schicht, die bei HV05 = 2400, im Vergleich zum Substrat (HV05 = 900 bei Raumtemperatur), liegt.

Wegen der niedrigeren Prozesstemperaturen beim Aufdampfen von Schichten werden Schnellarbeitsstahlwerkzeuge mit dem PVD-Verfahren ( physical vapor deposition) beschichtet. Typische Beschichtungstemperaturen liegen bei diesem Verfahren bei unter 500 °C. Dabei treten kaum Anlasseffekte auf. Beim chemischen Aufdampfen (CVD, chemical vapor deposition) liegt die Prozesstemperatur bei 900 °C bis 1000 °C, also weit über der Anlasstemperatur von Schnellarbeitsstahl.

kc = kφ + kγ ohne Beschichtung

a · kc = kφ + b · kγ mit Beschichtung a, b < 1

b = 1 +kc

(a − 1).

8.3 Schnellarbeitsstähle

Page 192: Spanen ||

174

Mit CVD beschichtete Werkzeuge müssen daher nachgehärtet werden. Wegen der damit verbundenen Verzugsgefahr gelingt das nur bei einfachen Formen wie bei Wendeschneidplatten. In Kap. 8.5 werden die unterschiedlichen Aufdampfverfah-ren eingehender erläutert.

Beschichtete Werkzeuge weisen erheblich längere Standzeiten auf. Selbst bei nachgeschliffenen Werkzeugen stellt sich noch ein deutlicher Effekt ein. Ursachen liegen in Stütz- und Schutzwirkungen als Folge von TiN-Verschleppungen. Be-schichtet werden u. a. Spiralbohrer, Fräser, Wälzfräser, Gewindebohrer, Reibahlen und Räumwerkzeuge, die dann bei z. T. erheblich größeren Schnitt- und Vorschub-geschwindigkeiten eingesetzt werden können. Abbildung 8.6 zeigt empfohlene Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeiten von unterschiedlich beschichteten Bohrern aus Schnellarbeitsstahl und Vollhartmetall für einen Bohrerdurchmesser von 6 mm.

8.4 Stellite

Stellite sind gegossene Hartlegierungen (nicht zu verwechseln mit Hartmetallen, die gesintert sind). Sie sind naturhart, brauchen also nicht gehärtet zu werden. Sie wurden erstmalig 1915 von E. Haynes entwickelt. Sie haben folgende Zusammen-setzung: 42–53 % Co, 24–33 % Cr, 11–22 % W und 1,8–3 % C. Cr und W bilden

Abb. 8.6 Empfohlene Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeiten unterschiedlich beschichteter Spiralbohrer. (nach Gühring)

120

mmmin

80

60

40

20

0

HSS VHM

blan

k

TiN

MC

blan

k

TiN

MC

Sch

nittg

esch

win

digk

eit v

c

Stahl C45V, 705 N/mm2, HB = 201d = 6 mm, I = 20 mm, Außenkühlung

blan

k

TiN

MC

blan

k

TiN

MC

1200

800

600

400

200

0

mmmin

HSS VHM

0,09

6

0,15

0

Vor

schu

bges

chw

indi

gkei

t vf

HSS: HS6-5-2TiN: TitannitridbeschichtungMC: MultigradshichtenVHM: Vollhartmetall

0,09

6

0,09

6

0,12

0

f = 0

,120

mm

8 Schneidstoffe

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175

Karbide. Stellite haben eine Härte von HV05 = 700–750 bei Raumtemperatur. Bei niedriger Schnittgeschwindigkeit sind sie daher den Schnellarbeitsstählen, bei hö-herer Schnittgeschwindigkeit den Hartmetallen unterlegen (Abb. 8.4). Die Gestal-tungsmöglichkeiten durch Gießen können bei großen Profilwerkzeugen vorteilhaft sein. Die hohe Oxidationsbeständigkeit der Stellite kann bei stark zum Oxidations-verschleiß neigenden Werkstoffen von Interesse sein.

8.5 Hartmetalle

Hartmetalle sind zwei- oder mehrphasige, pulvermetallurgisch hergestellte Legie-rungen aus einem die Zähigkeit bestimmenden Bindemetall ( -Phase) und Metall-karbiden oder -karbonitriden als Härteträger [KIE53]. Als Hartstoffe werden Wolf-ramkarbid (WC, -Phase), Titan-, Tantal- und Niobkarbid (TiC, TaC, NbC, -Phase) oder Titankarbonnitrid und andere Titanmischkarbide verwendet. Das erste grund-legende Patent wurde 1923 K. Schröter in der Osram-Studiengesellschaft auf ein WC-Co-Hartmetall erteilt. Die günstige Eigenschaftskombination von Härte und Zähigkeit hat zur Voraussetzung, dass Wolframkarbid von Cobalt ( -Phase) sehr gut benetzt wird und dass Cobalt größere Teile des Wolframkarbids lösen kann. Die gute Benetzbarkeit ist derart, dass Hartmetall nie entlang der Bindemetall-Karbid-Grenzflächen bricht. Das Lösungsvermögen bewirkt hohe innere Bindekräfte und eine gute Kantenfestigkeit des Hartmetalls.

Durch Variation der - und -Phasenanteile lässt sich der Schneidstoff in Gren-zen maßschneidern. Zähe Hartmetalle enthalten bis zu 15 % Co, verschleißfeste dagegen nur bis 5 % Co (Abb. 8.6). Durch Zulegieren von Titankarbid lässt sich die Diffusionsneigung des WC-Hartmetalls verringern, was trotz der an sich höhe-ren Warmhärte von WC (HV05 = 1800 bei RT, HV05 = 800 bei 1000 °C) als TiC (HV05 = 3 000 bei RT, HV05 = 400 bei 1 000 °C) zu besserer Warmverschleiß-festigkeit des Hartmetalls führt. Allerdings ist die Bindefähigkeit und damit auch die Zähigkeit und Kantenfestigkeit herabgesetzt. Beimengungen von TaC und NbC wirken dieser Tendenz durch Kornverfeinerung entgegen und erhöhen damit die Zähigkeit.

Die wichtigsten Neuentwicklungen, um die Härte von WC-Co-Karbiden zu stei-gern, sind die Feinstkorn- und Ultrafeinkorn-Hartmetalllegierungen mit einer WC-Korngröße von 0,5–0,8 µm bzw. 0,2–0,5 µm bei einem Kobaltgehalt zwischen 6–16 Massenprozent. Im Gegensatz zu Standardmaterialien haben diese feinen Pulver eine nahezu runde Kornform, die nicht nur einen positiven Einfluss auf die Gleich-mäßigkeit der durch das Sintern erzeugten Mikrostruktur hat, sondern auch auf die erreichbare Verdichtung.

Eine neuere Entwicklung auf dem Gebiet der Karbide ist ein in die Randzone von Zerspanungswerkzeugen eingebrachter Funktionsgradient (FGH = functionally graded hardmetal). Ein solcher Funktionsgradient ist eine präzise, fein variierende Verteilung von Phasen und/oder Elementzusammensetzungen, die für einen sehr widerstandsfähigen Oberflächenbereich sorgen, der die Wechselwirkungen zwi-

8.5 Hartmetalle

Page 194: Spanen ||

176

schen Werkstück und Werkzeug bei hohen Temperaturen erträgt. So wird beispiels-weise der Co-Gehalt im Randbereich erhöht, um die Zähigkeit gezielt zu steigern und Schneidkantenausbrüche zu reduzieren [BÖH02].

Nach DIN ISO 513 werden Hartmetalle in drei Zerspanungs-Anwendungs-gruppen (P, K und M) eingeteilt. Die WC- (TiC-, TaC-, NbC-) Co-Legierungen der P-Gruppe ( Plastisch) werden bei der Bearbeitung langspanender Eisenwerk-stoffe (Stahl, ss) eingesetzt. Die weitgehend TiC-/TaC- freien WC-Co-Legierun-gen der K-Gruppe ( Kurzspanend) werden für die Zerspanung von NE-Metallen, Eisen-Gusswerkstoffen, Al-Si-Legierungen, Kunststoffen und Holz verwendet. Den Übergang zwischen den P- und K-Gruppen bilden die Hartmetalle der M-Gruppe ( Mischgruppe), die für legierte austenitische bzw. ferritische Stähle und legierten Grauguss eingesetzt werden. Durch Anfügen von Ziffern innerhalb jeder Zerspanungshauptgruppe werden Zähigkeit und Verschleißfestigkeit gekennzeich-net. Mit zunehmenden Ziffern steigt die Zähigkeit, während die Verschleißfestigkeit abnimmt. In Tab. 8.3 sind typische Zusammensetzungen und Eigenschaften einiger Hartmetalle aufgeführt.

Der für Schneidstoffe kennzeichnende und zugleich begrenzende Dualismus, hohe Härte und Verschleißfestigkeit oder hohe Biegefestigkeit und Zähigkeit auf-zuweisen, kann zu wesentlichen Teilen überwunden werden durch Beschichtungen von Substratmaterial. Dieses Prinzip der Funktionstrennung kombiniert verschleiß-feste Schichten mit zähem Grundstoff. Wegen der großen Temperaturunterschiede, die in spanenden Werkzeugen auftreten, ist die Beherrschung der Temperaturrisse als Folge unterschiedlicher thermischer Ausdehnungskoeffizienten Voraussetzung für haltbare, rissfreie Schichten.

Einen großen Anteil an den Schichtmaterialien besitzen nach wie vor Titan-karbid (TiC), Titannitrid (TiN), Titankarbonitrid (TiCN) und Titanaluminiumnitrid (TiAlN). Ausgewählte Eigenschaften einiger dieser Stoffe im Vergleich zum Wolf-ramkarbid werden in Tab. 8.4 gezeigt. Die Eigenschaften der Hartstoffe werden maßgeblich durch die Art der chemischen Bindung bestimmt. Gute Schichthaftung

Tab. 8.3 Zusammensetzung und Eigenschaften verschiedener Hartmetalle

8 Schneidstoffe

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177

beispielsweise wird am besten durch metallische Bindung erreicht, da sie über die größten Adhäsionskräfte verfügt. Große Härte für optimalen Verschleißschutz liegt am ehesten bei kovalenter Bindung vor. Die ebenfalls geforderte chemische Stabi-lität wird durch überwiegend ionische Bindung bedingt. TiN besitzt Anteile aller drei Bindungsarten, daher wurde es als erstes Schichtmaterial erfolgreich eingesetzt [BOB08].

Neuere PVD-Schichten bestehen aus Systemen von TiN/TiAlN oder Hart-Weich-Kombinationen wie TiAlN + WC/C in Mehr- oder Vielfachschichten (Multilayer). Seit einigen Jahren werden nanostrukturierte Schichten aus TiSiN, TiAlN, TiAlSiN oder TiAlBN eingesetzt. CrAlN, CrAlSiN oder Al2O3 sind Komponenten für Viel-lagenschichten, die erfolfreich bei der Hartbearbeitung eingesetzt werden [BOB08].

Auch bei der CVD-Beschichtung wirken sich Mehrfachschichten mit oxidkera-mischen Anteilen vorteilhaft aus. Günstig erwiesen sich Kombinationen von TiC, TiN, TiCN und Al2O3. Für das Drehen von Stahl- und Gusswerkstoffen bewährte sich ein Schichtpaket aus TiN, TiCN, Al2O3 und ZrCN. Verbesserungen des Leis-tungsvermögens von CVD-Beschichtungen können durch quaternäre Beschich-tungsmaterialien wie (Ti,Zr)(C,N) oder (Ti,Hf)(C,N) erreicht werden [DRE01].

Titankarbonitridschichten können auf TiC mit monotonem Übergang der An-teile bis zu reinem TiN aufgebaut werden. Das Nitrid ist chemisch träge und wirkt daher Diffusions- und Oxidationsverschleiß entgegen. Es hat zudem geringe Kle-beneigung und senkt den Adhäsionsverschleiß. Aluminiumoxid Al2O3 ist ebenfalls reaktionsträge. Es dient als Oxidationsschutz.

(Ti,Al)N spielt seine Vorteile bei hohen Prozesstemperaturen aus und bildet eine dünne, passive Schicht auf der Werkzeugoberfläche aus, die einen schnell voran-schreitenden Diffusions- und Oxidationsverschleiß verhindert. Hoch-Ionisation-

Tab. 8.4 Eigenschaften von SchichtstoffenWC TiC TiN TiCN (Ti,Al)N Al2O3

Härte HV0,05 bei RT bei 1000 °C

1800800

3000400

2400450

3000790

28001250

22001100

Wärmeausdehnungs-koeffizient 10–6K–1

7,3 7,8 9,4 7–8 7,6 8,3

WärmeleitfähigkeitW/mK

90 30 39 50–100 50–100 25

E-ModulGPa

690 450 256 372 390 410

BildungsenthalpiekJ/mol bei 1450 °C

–54 –165 –335 –268 –210 –1670

Freiflächenverschleiß + o + + oKolkverschleiß o o o o +Zähigkeit + + + o oBindungsfähigkeit + + + + oReibwert + + o o oTrennfunktion o + o + +

+ = bestens geeignet; o = geeignet

8.5 Hartmetalle

Page 196: Spanen ||

178

Puls-Prozesse ermöglichen gegenwärtig die Herstellung von nicht leitenden Nit-ridschichten mit einem hohem Gehalt an oxidschichtbildenden Bestandteilen, wie z. B. (Al,Ti)N-Supernitridschichten mit mehr als 65 mol % an Aluminiumnitrid. Ziel auch dieser Weiterentwicklungen von Werkzeugbeschichtungen ist ein verbes-sertes Verschleißverhalten. Abbildung 8.7 zeigt den grundsätzlichen Aufbau unter-schiedlicher Schichtkonzeptionen.

Die Ein- und Mehrlagenschichten sind insgesamt 2 μm bis 10 μm stark. Sie werden durch Aufdampfen aufgebracht. Chemisches Aufdampfen (CVD, chemical vapor deposition) arbeitet mit Prozesstemperaturen von 900 °C bis 1000 °C. Ab-bildung 8.8 zeigt den Prozess zum Aufbringen von TiC- Schichten nach folgender Reaktionsformel:

(8.4)

Methan (CH4) und Titanchlorid (TiCl4) werden gasförmig einem beheizten Reaktor zugeleitet, in dem sich die möglichst metallisch reinen Substratplatten befinden. An der erwärmten Oberfläche des Substrates zerfallen die Gase in den entsprechenden Feststoff (TiC) und in flüchtige Nebenprodukte (HCl). Die Schichten wachsen kör-nig (TiC, Al2O3) oder faserig (TiN) auf. Das Aufwachsen von TiC erfolgt zunächst mit hoher Beschichtungsrate. Mit wachsender Schichtdicke verlangsamt sich die Beschichtungsrate, die Korngröße der Schicht steigt dabei. Mit CVD entstehen we-gen der unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten und der nach der Beschichtung erfolgten Abkühlung Zugeigenspannungen in den Schichten. Diese Spannungen können die Zugfestigkeit überschreiten, wodurch es zu Rissen in der Schicht kommt.

Physikalisches Aufdampfen (PVD, physical vapor deposition) arbeitet bei nied-rigen Prozesstemperaturen von ca. 500 °C. Eingesetzt wird das Ionenplattieren und das Kathodenzerstäuben (Sputtern) (s. Abb. 8.9). Die Schichten entstehen durch Beschleunigung geladener Teilchen und Bombardement des Substrats. Da die zu

TiCl4 + CH4 → TiC + 4HCl

Abb. 8.7 Aufbau unterschiedlicher Schutzschichtkonzeptionen

Mischkristall-schichten

Gradienten-schichten

MetastabileMehrkomponenten-

schichten

Nanokristalline,mehrphasige

Schichten

Viellagen-schichten

+ Härte+ Warmhärte

+ Haftung+ chemische Stabilität

+ Warmhärte+ Oxidations- u. Korrosions- beständikgkeit

+ Warmhärte+ Zähigkeit+ tribologische Eigenschaften

+ Warmhärte+ Zähigkeit+ tribologische Multifunktion

doppelt misch-kristallverfestigtes,VEK-optimiertesSchichtmaterial

heteropolar

kovalent

metallisch

homogenes, in metallähnlicher

Strukturkristallisiertes,

verfestigtesSchichtmaterial

~ 50-1000Einzellagen

z.B. Ti(C,N) z.B. WC->TiC->TiN z.B. (Ti,Al)N z.B. TiB2 /TiC z.B. TiB2 /TiC

8 Schneidstoffe

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179

beschichtenden Flächen zugänglich sein müssen, folgen daraus geometrische Ein-schränkungen, welche teilweise durch eine Probenrotation während des Prozesses aufgehoben werden können. Auch durch PVD entstehen Eigenspannungen in den Schichten. Ihre Ursache liegt jedoch kaum in Differenzen der thermischen Aus-dehnung, sondern in dem Ionenbeschuss. Es entstehen Druckeigenspannungen, was

Abb. 8.8 Herstellung TiC-beschichteter HM-Platten nach dem CVD-Verfahren

DestillierkolonneThermostat

Vakuumpumpe

6650 Pa900 C

Heizung

Reaktionsgefäßmit Hartmetall-platten

Wasserstoff

Methan Titanchlorid

TiCl4+CH4 TiC+4HCl

Abb. 8.9 PVD-Verfahren zum Beschichten

Vakuum-Aufdampfen Reaktives lonenplattieren Reaktives Sputtern

Halter

Werkstücke

neutralesGas

neutralesGas

neutralesGas

EnergiePlasma

Reaktionsgas

Beschichtungs-stoff

VakuumVakuum

Energie Beschichtungsstoff

Verdampfer

zerstäubetrBeschichtungsstoff

Energie Werkstücke

Vakuum

Halter

8.5 Hartmetalle

Page 198: Spanen ||

180

sich bei instationären thermischen Beanspruchungen günstig auswirken kann, weil die Druckeigenspannungen die Wärmespannungen in den Schichten kompensieren.

Das Plasma-CVD-Verfahren (PACVD) vermeidet Beschränkungen der CVD- und PVD-Behandlung (Abb. 8.10). Das Verfahren nutzt zur Aktivierung der che-mischen Reaktionen nicht mehr nur thermische Energie, sondern der Prozess wird durch ein Plasma im Reaktor aktiviert. Das Plasma hat zum einen eine katalytische Wirkung, zum anderen die Aufgabe der Energieeinkopplung. Somit können die Re-aktionen bei niedrigeren Temperaturen ablaufen bzw. werden dadurch erst ermög-licht. Mit der PACVD-Anlage können, je nach Art der Gaszuführung, Nitrid-, Kar-bid- oder auch Karbonitridschichten hergestellt werden. Bei der Beschichtung nach den PACVD-Verfahren werden Substrattemperaturen von unter 500 °C realisiert.

Gegenüber der CVD-Beschichtung sind daher Diffusionsvorgänge, Phasenum-wandlungen und Austauschreaktionen sowie die damit verbundenen Versprödungs-effekte zwischen Substrat und Schicht ausgeschlossen. Gegenüber PVD erzeugten Schichten, die ebenfalls bei niedrigen Temperaturen aufgebracht werden, zeigen PACVD-Schichten neben höheren Haftfestigkeiten niedrigere Eigenspannungen sowie einen geringeren Einfluss auf die Biegefestigkeit des Substrats. Ferner ent-fällt das beim PVD-Prozess notwendige Ausrichten und Chargieren, um gleichmä-ßige Schichtstärken zu erreichen.

Sehr harte Schichten aus Diamant können mittels CVD-Verfahren auf Wende-schneidplatten und Schaftwerkzeuge aufgebracht werden. Als Substratmaterial eig-nen sich feinkörnige Hartmetalle und siliziumbasierte Keramik. Der Kobaltgehalt ist bei den Hartmetallen für die Beanspruchbarkeit der CVD-diamantbeschichteten Werkzeuge verantwortlich [UHL09].

Erste erfolgreiche Versuche mit CBN-Beschichtungen sind ebenfalls dokumen-tiert [WIE07, UHL04]. Durch Verbesserungen der Beschichtungstechniken PVD

Abb. 8.10 Herstellung TiN-beschichteter Schneidplatten nach dem PACVD-Verfahren

Reaktions-gas

neutralesGas Ar

CH4

H2

N2 m

m

m

m

Energie 400-650 V–

Strom-versorgungDC-Puls

Heizung

Plasma

Werkstück

Reaktionsgefäß

TiCl4-Vorratsbehälter

Vakuum-pumpe

450-650°C10-1000 Pa

2 Ti Cl4 + CH2 + N2 2TiN + 8HCl

Ti Cl4 + CH4 TiC + 4HCl

8 Schneidstoffe

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181

und plasmaunterstütztes CVD gelang es, CBN-Schichten mit mehr als 1 µm Di-cke auf Hartmetall-Wendeschneidplatten abzuscheiden. Diese Schichten sind mehr als doppelt so hart wie TiN-Schichten und zeigen mehr als zehnfachen Widerstand gegen abrasiven Verschleiß, wobei der Reibkoeffizient gegenüber Stahl nur halb so groß ist. Einsatzversuche beim Drehen von Stahl, z. T. gehärtet, und Gusswerk-stoffen zeigen das Potenzial der CBN-Schichten, aber auch den noch großen For-schungsbedarf auf [UHL04].

Vor 40 Jahren gelang es, dünne amorphe Kohlenstoffschichten zu synthetisie-ren, deren Eigenschaften bezüglich Transparenz, Refraktionsindex, Isolation, Härte und chemischer Resistenz an Diamant erinnern, und die deshalb diamantähnlicher Kohlenstoff genannt werden (DLC, diamond like carbon) [AIS71]. Dieses Material erlaubt eine große Variation der Zusammensetzung durch den Einbau von Wasser-stoff, metallischen oder nichtmetallischen Elementen, wodurch seine Eigenschaften maßgeblich bestimmt werden können. DLC-beschichtete Zerspanwerkzeuge wer-den bei der Trockenzerspanung von Al- und AlSi-Legierungen eingesetzt [SAN07, FUK04]. Die Neigung zur Aufbauschneidenbildung wird unterdrückt, und die Oberflächenrauheit wird reduziert.

Heute werden 80 % der Hartmetallwerkzeuge PVD- oder CVD-beschichtet [BOB08]. Sie haben sich jedoch nicht bewährt für NE-Metalle, für hochnickelhalti-ge Stähle oder Nickelbasislegierungen und für austenitische und ferritische rostbe-ständige Stähle. Zu beachten ist auch, dass beschichtete Hartmetalle prinzipbedingt größere Schneidkantenrundungen (äquidistante, prozessnotwendige Verrundung) aufweisen. Bei sehr geringen Spanungsdicken führt das effektiv zu stark negativen Spanwinkeln, was zur Folge hat, dass beschichtete Werkzeuge bei Feinstbearbei-tungsverfahren nicht einzusetzen sind. Im Übrigen sind beschichtete Hartmetalle unbeschichteten im Verschleißverhalten deutlich überlegen (Abb. 8.11). Hinzu kommt, dass durch die Beschichtung eine Sortenbereinigung möglich ist, denn eine enge Anpassung an die Bearbeitungsbedingungen oder die zu bearbeitenden Werk-stoffe ist nicht mehr erforderlich.

Abb. 8.11 Standzeitvergleich zwischen Schneidstoffen bei Guss- und Stahlzerspanung

300280

min

200

100

0C35 GTS55 GGG50

25

100

2,5 14,5 10

Sta

ndze

it T

VB = 0,3 mmvc = 160 m/minf = 0,25 mmap = 2,51 mm

Doppelbeschichtung HMP 10M 15M 10

8.5 Hartmetalle

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182

Beschichtete Hartmetalle verschleißen langsamer und mit einer typischen Ver-schleißentwicklung (Abb. 8.12). Selbst wenn die Schicht durchbrochen ist, besteht noch eine Schutzwirkung, wie am mäßigen Verschleißfortschritt zu erkennen ist. Sie wird auf Stützeffekte und kontinuierliches „Plattieren“ durch Adhäsion erklärt. Nach weiterem Einsatz kommt es dann allerdings zum typischen steilen Verschleiß.

Zur Beurteilung des Verschleißzustands von Werkzeugen kann neben der Ver-schleißmarkenbreite die Kolktiefe KT herangezogen werden. In Abb. 8.13 ist das

Abb. 8.12 Verschleißvorgänge bei beschichtetem Hartmetall

I SKVKT

II III

Hartstoff-partikel

Stütz-wirkung

SubstractBeschichtung

VB

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

Schnittzeit t

I II III

Abb. 8.13 Verschleißkennwerte beim Drehen mit doppelt beschichtetem Hartmetall

400

µm

160

63

25

01 2,5 6,3 16 40 min 100

Schnittzeit t

t = 50 min

Verschleißmarkenbreite VB

Kolktiefe KTWerkstückstoff : GGG70Schnittgeschw. : vc = 80 m·min–1

Schnittiefe : ap = 2,5 mmVorschub : f = 0,25 mmSchneidstoff : HM, beschicht.

(Al2O3-TiC)Schneidengeometrie

6° –6° –6° 90° 60° 0,8 mmr

Ver

schl

eiß

α γ λ ε κ

8 Schneidstoffe

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183

Verschleißverhalten eines TiC-Al2O3-Hartmetalls bei der Zerspanung von Guss-eisen mit Kugelgraphit dargestellt.

Eine Änderung der Eigenschaften von Hartmetallen, insbesondere der Härte, Zähigkeit und Verschleißfestigkeit, ist durch die Änderung von Korngröße und Form der Karbide möglich. Dies führte zur Entwicklung von Feinstkornhartmetal-len. Durch Verwendung feinkörniger Karbide (Korngröße < 1µm) werden Härte, Bruchzähigkeit, Druckfestigkeit, Verschleißfestigkeit und Kantenfestigkeit erhöht. Aufgrund der geringen Korngröße und der daraus resultierenden Stoffeigenschaften lassen sich aus Feinstkornhartmetallen besonders scharfe und hoch belastbare Werk-zeugschneiden herstellen. Dementsprechend werden Feinstkornlegierungen bislang vorwiegend in der Schlicht- und Feinschlichtbearbeitung sowie als Schneidstoff für Bohrer eingesetzt. Vorteile beim Bohreinsatz bestehen vor allem beim Spanen mit geringen Schnittgeschwindigkeiten (vc < 60 m/min). Hier kommt die hohe Zähig-keit dieser Schneidstoffe zum Tragen. So konnten gegenüber konventionellen Hart-metallen deutliche Standzeitverbesserungen erreicht werden (Abb. 8.14).

8.6 Cermets

Hartmetalle ohne freie Wolframkarbide werden Cermets genannt (aus den Wort-stämmen „ceramics“ und „metals“) [ETT88]. Es sind Vielkomponentenhartmetalle auf der Basis von Titankarbonitrid mit Tantal, Niob und Vanadium im Hartstoff. Im Binder sind Nickel und Cobalt enthalten. Durch Mischkristallverfestigung über Molybdän, Titan und Aluminium lässt sich auch von der Binderseite her die Ver-schleißfestigkeit steigern. Gegenüber WC-Hartmetallen weisen Cermets eine er-heblich höhere chemische Beständigkeit bei hohen Temperaturen auf, d. h. weniger

Abb. 8.14 Einfluss der Hartmetallqualität auf das Standverhalten

500

400

300

200

100

0

Anz

ahl d

er B

ohru

ngen

Streubereich

Korngröße:P40 konv. K10/20 konv. K10/20 F K10/20 UF

2,5 µm < a < 4 µm 2,5 µm < a < 4 µm 0,8 µm < a < 1 µm 0,3 µm < a < 0,7 µm

Verfahren: Werkzeug:Bohren,Grundloch

100Cr6durchgehärtet60 HRC

vc = 50 m/min

f = 0,02 mm/UI = 2 x D

Werkstoff:

Schnittgeschw.:

Vorschub:Bohrtiefe:

SpiralbohrerD = 6 mmTiN-besch.Kreuzanschliff

8.6 Cermets

Page 202: Spanen ||

184

Diffusions- und Oxidationsverschleiß. Zusätzlich besitzen Cermets eine wesentlich höhere Kantenfestigkeit. Die ertragbaren Schnittgeschwindigkeiten liegen höher als bei beschichteten Hartmetallen (Abb. 8.15).

Die Bruchzähigkeit von Cermets ist geringer (Tab. 8.5) als die von zähen WC-Hartmetallen. Große Unterschiede bestehen im thermischen Ausdehnungskoeffizi-enten und in der Wärmeleitfähigkeit, was sich auf das Einsatzverhalten bei instatio-närer Beanspruchung auswirkt (s. Kap. 7).

Cermets lassen sich zum Schlichtdrehen, zum Gewindedrehen und zum Fräsen von Stahl und Gusswerkstoffen einsetzen. Der Trend der Serienfertigung, Formtei-

Abb. 8.15 Verschleißentwicklung über der Schnittzeit bei Cermets und beschichteten Hartmetallen

0,3

mm

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

Kok

ltief

e K

T 0,2

0,15

0,1

0,05

00 2 4 6 8 10 12 14 16 18 22 24 min 26

Schnittzeit tc

Cermet

besch. Hartmetall

Cermet(P10-P30)

Kolkverschleiß

Freiflächen-verschleiß

Schneideinsatz : SNGN 120 408

Schnittgeschw. : vc = 250 m·min–1

Vorschub : f = 0,25 mmSchnittiefe : ap = 2 mmWerkstoff : Ck 45

SNUN 120 408

6° 75° 0,8mm

r

–6° –4° 90°

besch. Hartmetall(P10-P35,8 m)TiC+Ti(C,N)+TiN)

1 mm

Tab. 8.5 Eigenschaften von WC-Hartmetallen und Cermets

8 Schneidstoffe

Page 203: Spanen ||

185

le mit geringem Aufmaß (Nahe-Endform-Technologie) zu verwenden, kommt dem Einsatz von Cermets entgegen.

8.7 Schneidkeramik

Zerspanwerkzeuge aus keramischen Schneidstoffen werden durch Sintern von Me-talloxiden, -nitriden und -karbiden hergestellt [FRI88, MOM93]. Die keramischen Grundstoffe werden unterteilt in Oxid- und Nichtoxidkeramiken. Zu den wichtigs-ten oxidkeramischen Schneidstoffen zählen Aluminium- und Zirkonoxid, zu den Nichtoxidkeramiken Siliziumnitrid, Titankarbid und -nitrid (Abb. 8.16). Mischun-gen und Mischkristalle (z. B. SiAlON) werden eingesetzt, um die günstigen Eigen-schaften verschiedener Grundstoffe zu kombinieren.

Die wichtigsten Eigenschaften der Keramiken sind ihre hohe Härte und ihr Ver-schleißwiderstand. Die Härte sinkt mit steigender Temperatur langsamer als bei Hartmetall, dessen Hartstoffe in eine metallische Bindephase eingebettet sind. Hier-durch besitzen keramische Schneidstoffe auch bei hohen Schnittgeschwindigkeiten eine sehr gute Verschleißbeständigkeit (Abb. 8.17). Ihre chemische Reaktionsträg-heit vermindert Werkstoffaufschweißungen und Kolkverschleiß.

Die Zähigkeit keramischer Schneidstoffe ist begrenzt. Bei mechanischer Über-lastung bricht Keramik spröde, praktisch ohne vorhergehende plastische Verfor-mung. Im Vergleich zu Metall erfordert die Ausbreitung eines Risses bei kera-mischen Stoffen nur wenig Energie. Hierdurch sind Keramiken sehr empfindlich

Abb. 8.16 Basiswerkstoffe für Schneidkeramiken

Al2 O3, Zr O2

Oxide

Karb-oxide

KarbideWC, TiC

SiC

Karbo-nitride

Oxi-nitride

Si Al ON

Nitride

Si3 N4, TiN, BN

Ti (C, N)Karboxi-nitride

8.7 Schneidkeramik

Page 204: Spanen ||

186

gegen äußere Kerben und innere Werkstofffehler, an denen eine Spannungsüber-höhung stattfindet. Die Festigkeit eines keramischen Bauteils wird bestimmt von der Abmessung seines größten Fehlers. Weil die Größen von Gefüge- und Ober-flächenfehlern statistischen Verteilungen unterliegen, schwankt die Bruchspannung bei Keramik in weiten Grenzen. Sie lässt sich beschreiben mit Hilfe der Weibull-Verteilung (Abb. 8.18). Diese Zusammenhänge können die Prozesssicherheit kera-mischer Schneidstoffe beeinträchtigen.

Zum erstenmal setzte Osenberg 1938 keramische Werkzeuge zum Spanen ein, hatte jedoch mit reinem Aluminiumoxid wegen dessen hoher Sprödheit keinen Er-folg [OSE38]. Seit den sechziger Jahren sind verbesserte oxidkeramische Schneid-stoffe verfügbar. Sie enthalten neben 60–95 % des Härteträgers Aluminiumoxid entweder 5–15 % Zirkonoxid („weiße“ Oxidkeramik) oder bis zu 40 % Titankarbid und -nitrid („schwarze“ Mischkeramik).

Der Zusatz feinverteilten Zirkonoxids (ZrO2) steigert die Bruchzähigkeit. Diese Dispersionsverstärkung beruht auf drei Mechanismen: der Spannungsinduzierung, der Rissablenkung und der Rissverzweigung (Abb. 8.19).

Unter mechanischer Belastung in der Nähe eines Risses wandelt sich das ZrO2 aus seiner metastabilen tetragonalen Hochtemperaturphase in die monokline Tief-temperaturphase um. Da monoklines ZrO2 eine 4 % geringere Dichte als tetrago-nales besitzt, sind die ZrO2-Partikel bestrebt, ihr Volumen zu vergrößern. Dabei erzeugen sie Spannungsfelder in der Al2O3-Matrix. Risse werden auf ZrO2-Partikel

8 Schneidstoffe

Abb. 8.17 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf die Standzeit

100

min

63

40

25

16

Sta

ndze

it T

10

6,3

4

40 63 100 160 250 400 m·min–1 1000Schnittgeschwindigkeit vc

Werkstoff : Ck55N

Standzeitkriterium : VB = 0,5 mm

Spanungsquerschnitt : ap x f = 2 x 0,5 mm2P 25 (H

artmetall besch.)

P 25 (H

artmetall)

Keramik

S 10 - 4 - 3 - 10 (S

chnellarbeitsstahl)

Page 205: Spanen ||

187

hin abgelenkt und können dort stehenbleiben ( Rissablenkung). Lokale Spannungs-felder entstehen in Al2O3- ZrO2-Keramik aber auch schon bei der Abkühlung von der Sintertemperatur. Sie sind die Folge der unterschiedlichen thermischen Ausdeh-nungskoeffizienten der beiden Werkstoffe ( thermische Misfitspannungen). Diese

Abb. 8.18 Bruchverhalten von Metall und Keramik

Plastisches Materialverhalten Sprödhartes MaterialverhaltenS

pann

ungs

-D

ehnu

ngs-

verh

alte

n

Ris

s-ve

rhal

ten

Bru

ch-

wah

rsch

ein-

lichk

eit

Bru

chw

ahr-

sche

inlic

hkei

t P

Bru

chw

ahr-

sche

inlic

hkei

t P

100

Rm

Mikroriss

Spannungs-abbau durchplastischesFließen

%

100

Spannungs-konzen-tration

%

Biegespannung b

Spa

nnun

g

Spa

nnun

g

Dehnung

Bruch Bruch

Dehnung

Biegespannung b

8.7 Schneidkeramik

Abb. 8.19 Verstärkungsmechanismen in Dispersionskeramik

monoklin 3

2

1%

Mikroriss

RT

Temperatur T

2 3

Tetragonal

Deh

nung

1

SpannungsinduzierteUmwandlungmetastabiler

ZrO2-Teilchen

Rissablenkung inRichtung umgewandelter

ZrO2 - Teilchen

Mikrorissbildung anumgewandeltenZrO2-Teilchen

durch Herstellungsprozess

FF

Page 206: Spanen ||

188

Spannungen können über die Korngröße des Zirkonoxids so eingestellt werden, dass sie eine große Zahl von Mikrorissen (0,01–0,1 µm) um die ZrO2-Partikel her-um erzeugen. Durch ihre geringe Größe vermindern diese Risse nicht die Festigkeit des Schneidstoffs. Trifft ein äußerer Riss auf ein solches Mikrorissnetzwerk, wird seine Oberfläche stark vergrößert, und die notwendige Energie zu seiner weiteren Ausbreitung steigt entsprechend an ( Rissverzweigung).

Dispersionsverstärkte Aluminiumoxidkeramik wird zum Schrupp- und Schlicht-drehen von Stahl und Eisengusswerkstoffen bis zu Härten von 48 HRC bzw. 400 HV eingesetzt. Zur Zerspanung von Aluminiumlegierungen ist Aluminiumoxidkeramik aufgrund des chemischen Angriffs ungeeignet.

Titankarbid und Titannitrid erhöhen Härte und abrasive Verschleißbeständigkeit des reinen Aluminiumoxids. Ihre überwiegend kovalenten Bindungen verleihen die-sen Stoffen eine besonders hohe Warmhärte im Vergleich zu der des überwiegend ionisch gebundenen Aluminiumoxids. Hierdurch lassen sich auch gehärtete Stähle bis zu 64 HRC zerspanen. Hauptanwendungsgebiet von Al2O3-TiC/TiN-Schneidke-ramiken ist das Schlichten mit hohen Schnittgeschwindigkeiten. Die durch den TiC-Anteil deutlich erhöhte Wärmeleitfähigkeit erlaubt den Einsatz unter den schnell wechselnden thermischen Belastungen des unterbrochenen Schnitts.

Siliziumnitridkeramik (Si3N4) wurde Anfang der achtziger Jahre zum Spanen von Eisenguss- und hochwarmfesten Werkstoffen eingeführt. Die Härte dieser nichtoxidischen Keramik ist wenig temperaturabhängig. Aufgrund günstiger ther-mischer Eigenschaften und einer höheren Zähigkeit ist Siliziumnitridkeramik we-sentlich unempfindlicher gegen Thermoschock als reine Oxidkeramiken, so dass sie auch im unterbrochenen Schnitt eingesetzt werden kann. Siliziumnitrid reagiert allerdings bei Temperaturen ab 1200 °C mit Eisen unter Bildung von Eisensiliziden. Aus diesem Grund eignet es sich nicht zur Zerspanung von Stahl, bei der solch hohe Temperaturen erreicht werden.

Alle Schneidkeramiken werden mittels Sinterverfahren aus feinen Pulvern her-gestellt. Dabei unterscheiden sich die Verfahrensschritte für Schneidstoffe auf Alu-miniumoxid- bzw. Siliziumnitridbasis grundlegend. Abbildung 8.20 beschreibt die möglichen Herstellverfahren für Oxidkeramik. Als Ausgangsmaterialien werden die gewünschten Basiswerkstoffe und geringe Anteile von Sinterhilfsstoffen in Pul-verform eingesetzt, im erforderlichen Verhältnis eingewogen und gemeinsam einer Mahlbehandlung in einer Kugelmühle unterzogen (Attritieren). Hierdurch werden Agglomerate der feinen Pulverteilchen zerstört, die sonst zu Sinterfehlern führen würden. Die Korngröße der Einzelteilchen wird durch die Pulverherstellung (Fäl-lung, Gasphasenreaktionen) festgelegt und hier im Allgemeinen nicht weiter redu-ziert. Die aufbereitete Pulvermischung kann nun auf verschiedenen Wegen zu fes-ten Keramikkörpern verarbeitet werden. Die ältere Verfahrensanordnung umfasst ein Kompaktieren des Pulvers bei Raumtemperatur und Drücken von mehreren hundert bar in einer Pressform und anschließendes druckloses Sintern des halbfes-ten sogenannten Grünkörpers zwischen 1500 °C und 1800 °C. Diese beiden Verfah-rensschritte vereinigt das Heißpressen in einem einzigen Vorgang. In beiden Fällen wird jede Wendeschneidplatte einzeln gepresst und nicht später aus einem größeren Sinterkörper herausgetrennt. Für besonders hohe Anforderungen an Porenfreiheit

8 Schneidstoffe

Page 207: Spanen ||

189

und Festigkeit können fertig gesinterte Werkzeuge unter hohem Gasdruck bei hoher Temperatur isostatisch nachgepresst werden. Voraussetzung hierfür ist eine bereits geschlossene Porosität zumindest an der Oberfläche. Die gesinterten Werkzeuge müssen zuletzt durch Schleifen und Läppen mit Diamant auf Sollform und -maß gebracht werden. Auch die erforderliche hohe Oberflächengüte wird in diesem Pro-zessschritt erzeugt.

Abbildung 8.21 erläutert die Schneidkeramiken auf Siliziumnitridbasis. Aus-gangsmaterial können sowohl Siliziumnitridpulver als auch Siliziumpulver sein. Letzteres reagiert erst beim Sintern mit der Stickstoffatmosphäre des Ofens zu - und -Siliziumnitrid (reaktionsgebundenes Si3N4). Alle Siliziumnitridkeramiken müssen unter Stickstoffüberdruck gesintert werden, da Si3N4 unter Normaldruck bei hoher Temperatur in seine elementaren Bestandteile zerfällt. Weiterhin müssen Sinterhilfsstoffe (Yttrium-, Magnesium-, Siliziumoxid) zur Bildung einer silikati-schen Glasphase zugesetzt werden, die die nadelförmigen Siliziumnitridkristalle zu einem dichten, porenfreien Gefüge verbindet. Da Gläser keinen festen Schmelz-punkt besitzen, sondern bei erhöhter Temperatur erweichen, wird durch die Glas-phase die Hochtemperaturfestigkeit von Siliziumnitridschneidstoffen gemindert. Die Folge ist Kriechen, d. h. langsame plastische Verformung unter mechanischer Belastung. Die Si3N4-Kristalle gleiten dabei entlang ihrer Korngrenzen aneinander ab. Zur Steigerung der maximalen Gebrauchstemperatur kann man das Glas durch nachträgliches Tempern (Auslagern bei erhöhter Temperatur) ganz oder teilweise auskristallisieren. Es bildet sich so zwischen den Si3N4-Nadeln eine Matrix aus Gra-natkristallen mit hohem Schmelzpunkt, die weitaus kriechbeständiger ist.

Abb. 8.20 Herstellung von Oxidkeramik

MischkeramikAl2O3 + TiC (>10%)

MischkeramikAl2O3 + TiC (<10%)

OxidkeramikAl2O3 + ZrO2

Dosieren

Mahlen

HeißpressenSprühtrocknen

Kaltpressen

Sintern

Heißisostat. Pressen

Schleifen

Endkontrolle

8.7 Schneidkeramik

Page 208: Spanen ||

190

Wendeschneidplatten aus heiß gepresstem Siliziumnitrid werden in Form großer Platten gesintert und nachträglich mittels Laser getrennt. Im Unterschied zur Oxid-keramik ist die Laserbearbeitung hier problemlos, da Siliziumnitrid keine Schmelz-phase ausbildet, sondern bei 1900 °C sublimiert. Zur Erzielung von Form-, Maß- und Oberflächengüte werden auch Siliziumnitridschneidplatten durch Diamant-schleifen fertig bearbeitet. Wegen der hohen Härte und relativ hohen Zähigkeit ist die Schleifbearbeitung von Keramiken sehr aufwändig und verursacht einen hohen Anteil der gesamten Herstellkosten der Schneidwerkzeuge.

Neue Entwicklungen bei keramischen Schneidstoffen zielen auf eine weitere Er-höhung der Prozesssicherheit ab. Hierzu werden die Keramiken mit keramischen Fasern, hochfesten faserförmigen Einkristallen (Whiskern) und Plättchen (Plate-lets) verstärkt. Sie erhöhen die Biegefestigkeit und besonders die Bruchzähigkeit durch Rissumlenkung, Rissüberbrückung und damit Spannungsverminderung an der Rissfront. Diese Maßnahmen erschweren und verteuern allerdings meist die Schleifbearbeitung der keramischen Werkzeuge. Im Fall der Whisker bestehen da-rüber hinaus gesundheitliche Risiken bei der Handhabung der Pulver, weshalb die Fertigung in Deutschland zunächst aufgegeben wurde.

8.8 Diamant

Diamant gehört wie kubisch kristallines Bornitrid zu den hochharten Schneidstof-fen (superhard materials). Diamant ist der härteste bekannte Stoff. Er besteht aus reinem Kohlenstoff. Der elementare Kohlenstoff tritt in der stabilen Modifikation Graphit und in der instabilen Hochdruckmodifikation Diamant auf. Diamant erstarrt

8 Schneidstoffe

Abb. 8.21 Siliziumnitridkeramik

Ausgangsmaterial

Siliziumpulver Siliziumnitridpulver

Reaktionsge-bundenes Si3N4

GesintertesSi3N4

HeißgepreßtesSi3N4

Si-Al-O-N

s = 1200-1450°Cs = 1600-1800°C s = 1700-1900°C ’ - Si - Al - O - N

Stoffsystem :

Y - Si - Al - O - N

Mischkristall

= 2,6 g/cm–3

b = 300 MPa

ps = 1-10 MPa pp = 10-50 MPa

= 3,1 g/cm–3 = 3,2 g/cm–3

b = 650 MPa b = 700 MPa

- Si3N4 - Si3N4

Korngrenzenphase Korngrenzenphase

- Netz mit – Einschlüssen

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191

kubisch-kristallin, wobei im Gittersystem jedes Kohlenstoffatom von vier benach-barten Kohlenstoffatomen umgeben ist. Die C-Atome sind durch kovalente Bindun-gen tetraedrisch miteinander verbunden. Die hohe Härte des Diamanten ergibt sich aus den hohen Bindungsenergien der Atome.

Diamanten werden in der Natur gefunden und dort bergmännisch abgebaut. Seit den 1950er Jahren [BUN55] werden Diamanten auch synthetisch hergestellt. Beide Variationen können als monokristalline oder polykristalline Diamanten vorliegen.

8.8.1   Monokristalliner Diamant

In der Natur gefundene Diamanten werden meist als Einkristalle eingesetzt, und zwar dort, wo bei geometrisch bestimmten Bearbeitungsverfahren Schneidkeile höchster Schärfe und geringster Schartigkeit erforderlich sind. Typische Anwen-dungsbereiche sind das Ultrapräzisionsspanen und das Glanzspanen von NE-Me-tallen wie Aluminium, Kupfer und ihre Legierungen. Bei Nutzung der kristallogra-phischen Orientierung des Diamanten lässt er sich durch Schleifen und Polieren zu Schneidkeilen mit geringstem Schneidkantenradius r ≈ 1 m formen. Die Schneiden werden mit Facettenschliff, also mit mehreren Einstellwinkeln der Hauptschnei-de und kleinen Einstellwinkeln der Nebenschneide von 1° bis 3° oder als Bogen-schneide (großer Radius r) ausgeführt. Die Monokristalle werden in Haltekörper eingelötet oder eingeklemmt. Monokristalliner Diamant besitzt aufgrund seiner Gitterstruktur stark richtungsabhängige physikalische Eigenschaften (anisotropes Materialverhalten) wie z. B. Härte, Festigkeit, E-Modul und Wärmeleitfähigkeit. Diese Anisotropie wird genutzt, um den Diamanten durch Spalten, Schleifen und Polieren bearbeiten zu können. Für seinen Einsatz als Werkzeug wird er möglichst in seine harten, verschleißfesten Richtungen orientiert. Grundsätzlich lassen sich auch große monokristalline Diamanten synthetisch herstellen. Wegen der hohen Anlagen- und Werkzeugkosten zur Herstellung von großen Kristallen für den An-wendungsbereich bei geometrisch bestimmten Verfahren sind aber bisher Natur-diamanten als große Monokristalle wirtschaftlicher.

8.8.2   Polykristalliner Diamant

Die erste Diamantsynthese soll 1953 bei ASEA, Schweden, gelungen sein. 1955 wurde über die Synthese von Bundy et al. (General Electric, USA) in Nature veröf-fentlicht [BUN55]; die ersten Patente zur industriellen Nutzung wurden 1960 erteilt [HAL60]. Damals gelang es zunächst, kleinere Diamantkörner direkt aus Graphit bei hohen Temperaturen bis 3000 °C und hohen Drücken von 10 GPa herzustellen. Durch Beigabe von Lösungsmittteln und Katalysatoren (wie Kobalt, Nickel, Sili-zium, Bor, Beryllium und Eisen) lassen sich die Synthesebedingungen auf 6 GPa und 1500 °C senken. Kobalt z. B. besitzt ein Lösungsvermögen für Kohlenstoff,

8.8 Diamant

Page 210: Spanen ||

192

das von Druck und Temperatur abhängig ist. Unter Synthesebedingungen im meta-stabilen Diamantbereich ist Kobalt flüssig. Mit Erhöhung von Druck und Tempera-tur nimmt die Löslichkeit für Kohlenstoff ab, Diamant wird ausgeschieden. Durch mehrmaliges zyklusartiges Durchlaufen des Synthesebereichs lässt sich die Um-wandlung steigern. Bei dieser Synthese werden Einkristalle erzeugt, deren Wachs-tumsgeschwindigkeit durch gezielte Druck- und Temperaturregelung sowie durch die Menge von Impfkristallen (Kerndichte) verändert werden kann. Die Größe der Kristallite lässt sich so gezielt beeinflussen. Zur Erzeugung der für die Diamantsyn-these notwendigen Drücke werden Pressen, wie in Abb. 8.22 dargestellt, verwendet.

Aus der Diamantsynthese ergeben sich Körner im Bereich von 2 μm bis 400 μm, die nach Sortierung in einem weiteren Prozess, durch das Hochdruck-Flüssigpha-sensintern, zu einer polykristallinen Matrix verbunden werden können (PKD). In diesem zweiten Prozess wird wieder die katalytische Wirkung der metallischen Be-gleiter genutzt. Zum Sintern werden Diamantkörner auf ein kobaltreiches Hartme-tallsubstrat aufgebracht (Abb. 8.23). Eine Haftungsverbesserung lässt sich durch eine kobaltreiche Zwischenschicht erreichen. Werden metallische Phasen als Sin-terhilfsmittel eingesetzt, liegt deren Liquiduslinie auch im Hochdruckbereich unter der Sintertemperatur.

Die Eigenschaften der polykristallinen Diamantschichten lassen sich über die Größe der eingesetzten Körnung und über Art und Menge der metallischen Phasen steuern. Korngrößen von 2 μm bis 60 μm werden im Endzustand erreicht, wobei die Korngröße während des Sinterprozesses abnimmt. Der Co-Gehalt nach dem Sintern sinkt mit zunehmender Korngröße des Ausgangsmaterials [SIE91]. Folglich ist an-zunehmen, dass größere Körnungen höhere Anteile an kovalenter Bindung aufwei-sen. Darin ist begründet, dass PKD mit gröberen Strukturen die höchste Verschleiß-festigkeit aufweist, allerdings weist er auch die geringere Schneidenqualität auf.

Abb. 8.22 Belt-Presse zur Herstellung von synthetischen Diamanten [HAL60]

“belt” oberer Stempel

Stromzuführung

Pyrophyllitkapsel

Graphit

Eisen oder Nickel

Blechkonus

Pyrophyllit

Abschluss-scheibeunterer Stempel

Pyrophyllit-konus

Zug+σt

0

-σtDruck

im vorge-spanntenZustand

r

während desPressvorgangs

Tang

entia

lspa

nnun

g σ t

8 Schneidstoffe

Page 211: Spanen ||

193

Polykristalline Diamanten sind wegen des kristallinen ungerichteten Haufwerks, aus dem sie bestehen, weitgehend isotrop. Sie sind allerdings auch weniger hart als Monokristalle. Wegen ihrer Isotropie, ihrer Korngrenzen und metallischen Ein-schlüsse sind sie wesentlich zäher als Einkristalle.

Ihr Anwendungsbereich liegt in der Schruppschlicht- und Schlichtbearbeitung von NE-Werkstoffen bei Einstellbedingungen, für die kein chemischer Verschleiß und keine Schneidkeiltemperaturen oberhalb 700 °C eintreten. Chemischer Ver-schleiß ergibt sich bei Karbidbildern, insbesondere bei Stählen. Die zulässige Tem-peratur wird nicht durch die Graphitisierungstemperatur von rund 900 °C, sondern bereits bei 650 °C bis 800 °C begrenzt. Grund ist die in diesem Temperaturbereich auftretende Kobaltanreicherung als Folge von Volumenausdehnungen des Ko-balts gegenüber dem Diamant. Dieser Effekt ist allerdings dispositionszeitabhänig [SIE91]. Metallische Werkstoffe wie Aluminium, Kupfer und ihre Legierungen, Nichtmetalle wie Kunststoffe, Holzwerkstoffe und Graphit lassen sich mit PKD vorteilhaft bearbeiten. Besonders wirtschaftlich wird PKD für stark abrasive Werk-stoffe wie übereutektische Aluminium-Siliziumlegierungen (Kolben, Zylinderblö-cke), glasfaserverstärkte Kunststoffe und Holz-Kunststoff-Füllmittelverbundwerk-stoffe eingesetzt, da verglichen mit Schnellarbeitsstahl, Hartmetall oder Keramik, sehr hohe Standzeiten erreicht werden (Abb. 8.24 und 8.25).

Für weiche, zum Kleben neigende Werkstoffe, wie z. B. Aluminiumknetlegie-rungen, kann es interessant sein, dass Verklebungen und Scheinspanbildungen durch PKD wegen seiner guten Schneidhaltigkeit (Geometrieeffekt, Verzögern von Schneidkantenverrundungen) und wegen seines geringen Reibwertes (Triboeffekt) unterbunden oder verzögert werden.

8.9 Bornitrid

Kubisch kristallines Bornitrid (CBN) ist nach Diamant der nächstharte Schneid-stoff (Tab. 8.1). Anders als Diamant ist CBN chemisch beständig gegenüber Eisen und anderen karbidbildenden Werkstoffen. Es ist bis zu Temperaturen von 1400 °C

Abb. 8.23 Hochdruck-Flüs-sigphasensintern von PKD auf Substrat

6 GPa

1500°C

Hartmetallstempel

Hartmetallunterlage

Kapsel

Harmetallsubstrat

kobaltreicheGrenzschicht

Diamantkörner

Dichtung

Hartmetallgürtel(belt)

8.9 Bornitrid

Page 212: Spanen ||

194

stabil. In Normalatmosphäre verhindert eine Schutzschicht von Boroxid B2O3 eine Oxidation bis 1300 °C. Daher können CBN-Werkzeuge zum Spanen gehärteter Stähle, von Hartguss, Nickel-Basislegierungen und zur Bearbeitung von aufge-spritzten oder aufgeschweißten Hartstoffschichten eingesetzt werden.

Abb. 8.25 Verschleißmarkenbreite unterschiedlicher Schneidstoffe [HER91]

250

µm

150

100

50

00 20 40 m 80

Fräsweg pro Zahn Ifz

PKD

CermetHSS

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

B

Werkzeug

HSSHM - K10CermetPKD

Schaftfräser D = 16 mmSchaftfräser D = 32 mmSchaftfräser D = 16 mmSchaftfräser D = 32 mm

15°0°3°0°

12°15°15°15°

90°90°90°90°

30°

0°0°

0°-

0,8 mm0,8 mm0,8 mm

s r

Werkstoff : Graphit (EK 88)Korngröße : 10 µm

Schnittbedingungen : ap = 2 mm: ae = 6 mm: fz = 0,04 mm: vc = 1000 m/min

HM - K10

8 Schneidstoffe

Abb. 8.24 Standzeit beim Fräsen von Aluminium

125

min

31,5

8

2

0,5

0,125

0,0315200 315 500 800 1250 m·min–1 3150

Schnittgeschwindigkeit vc

Sta

ndze

it T

PKD

4° 10° 5° 60° 90°

Werkstückstoff : AISi18CuMgNiVorschub : fz = 0,28 mmSchnittiefe : ap = 0,5 mmStandzeitkriterium : VB = 0,3 mm

HMK10

Page 213: Spanen ||

195

Bornitrid kommt natürlich nur in seiner hexagonal kristallinen Form vor, welche eine ähnliche Konsistenz wie Graphit aufweist. Bor und Stickstoff sind die dem Kohlenstoff im Periodensystem unmittelbar benachbarten Elemente. Bornitrid lässt sich wie Diamant durch eine Hochdruck-Hochtemperatursynthese in die kubisch kristalline Modifikation überführen. Dieser Gittertyp weist eine kovalente Bindung auf. Es gibt daneben noch einen weiteren hexagonalen Gittertyp hoher Härte (je-doch nicht ebenso hart wie der kubische Typ), die Wurtzit-Modifikation. Hexagona-les Bornitrid wird mittels Pyrolyse aus Bor-Halogenverbindungen gewonnen.

(8.5)

Die Herstellung von CBN kann auf mehrere Arten erfolgen, die sich hinsichtlich der Anzahl der Prozessschritte des Einsatzes von Hilfsstoffen unterscheiden. Beim einstufigen Prozess wird polykristallines CBN direkt aus der hexagonalen Modifi-kation hergestellt, beim zweistufigen Prozess wird zunächst das CBN synthetisiert, und in einem anschließenden Sinterprozess werden die Körner zu polykristallinem Material verarbeitet [KRE07].

Bei der Pyrolyse werden zumeist metallische Katalysatoren eingesetzt, wobei Lithium am häufigsten verwendet wird, was zu braunem bis schwarzem CBN führt. Die Weiterverarbeitung der in der Pyrolyse erzeugten CBN-Körner zu Schleifmit-teln erfolgt in der gleichen Weise wie beim synthetisch hergestellten Diamant.

Kubisches Bornitrid wurde zuerst 1957 hergestellt [WEN57]. Zur Synthese sind gleiche Anordnungen wie für Diamant erforderlich. Drücke von 5 bis 9 GPa und Temperaturen von 1500 °C bis 2000 °C müssen aufgebracht werden [WEN61]. Als Katalysatoren, die die Synthesetemperaturen auf den angegebenen Bereich zu reduzieren gestatten, dienen Alkalimetalle.

Ähnlich dem Diamant lassen sich auch CBN-Körner zu dicken polykristallinen Schichten (Schichtstärke 0,5 mm) auf Hartmetall oder zu Massivkörpern durch Hochdruck-Flüssigphasensintern verarbeiten (s. Abb. 8.22). Dieses polykristalli-ne Bornitrid (PKB) wird in zwei unterschiedlichen Schneidstoffarten hergestellt, einem PKB mit hohem Hartstoffanteil und starker Durchdringung der Körner und einer anderen Art mit geringerem Hartstoffanteil und ohne Korndurchdringung; die Binderphase enthält Titankarbid oder Titannitrid. PKB mit geringerem Hartstoffan-teil weist eine wesentlich niedrigere Wärmeleitfähigkeit auf ( = 40 W/mK gegen-über 100 W/mK bis 200 W/mK).

PKB verschleißt erheblich weniger als Hartmetall (Abb. 8.26). So lassen sich bei gleicher Standzeit um Größenordnungen höhere Schnittgeschwindigkeiten er-reichen [HER91]. Bei der Bearbeitung hochfester Werkstoffe mit schlanken Werk-zeugen oder bei höheren Nachgiebigkeiten der Werkstücke ist von Interesse, dass wiederum aus geometrischen und tribologischen Gründen geringere Zerspankräfte entstehen (Abb. 8.27).

PKB ist von großer Bedeutung für die Hartbearbeitung von Stählen, besonders bei instabilen Bearbeitungsbedingungen oder bei unterbrochenen Schnitten. Für geeig-nete Bearbeitungsaufgaben lassen sich durch Drehen, Fräsen oder Bohren mit PKB Schleifoperationen ersetzen (s. Kap. 10). Geeignete Bearbeitungsaufgaben bedeuten:

2BCl3+6NH3−6HCl 2B(NH2)3

−3NH3−−−−→ B2(NH)3−NH3−−−→ 2BN

8.9 Bornitrid

Page 214: Spanen ||

196

Abb. 8.26 Standweg unterschiedlicher Schneidstoffe in Abhängigkeit der Schnittgeschwindigkeit

100

m

10

1

0,1100 160 250 400 630 m/min 100

Schnittgeschwindigkeit vc

Standkriterium : VB = 0,1 mm

Sta

ndw

eg p

ro Z

ahn

L fz PKB

HM - K10

HM - P25

Cermet

Wekstoff :X32CrMoV33

(Rm = 1900 Mpa)Kugelkopffräser : D = 16 mm (z = 2)Auskraglänge : lw = 37 mmtheor. Rillentiefe : tr = 10 µm

Schnittbedingungen: ap = 0,5 mm

br = 0,8 mmfz = 0,1 mm

βf = 40°

γeff = 9,1° α = 16,1°

Abb. 8.27 Verlauf der Zerspankraft verschiedener Schneidstoffe

1400

N

1000

800

600

400

200

00 10 20 m 40

Fräsweg pro Zahn lfz

CBN

HM - K10

HM - P25

Cermet

max

. Zer

span

kraf

t Fm

ax

Wekstoff : X32CrMoV33: (Rm = 1900 N/mm2)

Kugelkopffräser : D = 16 mm (z = 2)Auskraglänge : lw = 37 mmtheor. Rillentiefe : tr = 10 µm

Schnittbedingungen : ap = 0,5 mm

: br = 0,8 mm: fz = 0,1 mm: βf = –40°: vc = 315 m/min

γeff = –9,1°

α = 16,1°

8 Schneidstoffe

Page 215: Spanen ||

197

• kleine zu bearbeitende Flächen, um Formfehler in Grenzen zu halten• begrenzte Anforderungen an die Maß- und Formgenauigkeit,• gedrungene, steife, durch Passivkräfte nicht unzulässig verformbare Teile

Sind diese Bedingungen erfüllt, lassen sich erhebliche Rationalisierungseffekte durch höhere Zeitspanvolumina und kürzerer Arbeitsgangfolgen erreichen.

Fragen

1. Nennen Sie Beanspruchungsarten an spanende Werkzeuge. 2. Welche Eigenschaften müssen Schneidstoffe besitzen? 3. Bei welchen spanenden Bearbeitungsverfahren werden besondere Anforderun-

gen an die mechanische und thermische Wechselbeständigkeit des Schneid-stoffs gestellt?

4. Welchen Effekt hat die Einlagerung von Hartstoffen in die Schneidstoffmatrix? 5. Welche vier Hartstoffklassen sind Ihnen bekannt? 6. Nennen Sie zu allen Hartstoffklassen je ein Beispiel. 7. Nennen Sie mindestens fünf unterschiedliche Schneidstoffe und ordnen Sie

diese nach ihrer Verschleißfestigkeit. 8. Welchen Kohlenstoffgehalt besitzen unlegierte Werkzeugstähle? 9. Welche Hauptlegierungselemente bewirken eine Karbidbildung?10. Welche Bedeutung hat die Bezeichnung HS10-4-3-10 ?11. Was bedeutet die Bezeichnung HSS, und für welche Werkzeuge wird dieser

Schneidstoff bevorzugt eingesetzt?12. Wie werden Hartmetalle hergestellt, und aus welchen Hauptphasen setzen sie

sich zusammen?13. Weshalb werden Werkzeuge beschichtet, und welche Probleme treten hier auf?

In welchen Bereichen liegt die aufgebrachte Schichtdicke?14. Erklären Sie den Unterschied zwischen PVD-, CVD- und PACVD- Verfahren.15. Was verspricht man sich von TiC-beschichteten Hartmetallen?16. Was sind Cermets?17. Wodurch unterscheiden sich Cermets von WC-haltigen Hartmetallen? Wo sind

die Anwendungsgebiete?18. Welche Vor- und Nachteile haben Wendeschneidplatten aus Keramik?19. Welcher wesentliche Unterschied besteht zwischen Hartmetall und Schneidke-

ramik hinsichtlich der Zusammensetzung? Welche Schneidkeramiksorten sind Ihnen bekannt?

20. Was verstehen Sie unter Umwandlungsverstärkung bei Schneid- keramik?21. Was ist PKB und welche Eigenschaften hat dieser Schneidstoff?22. Welche Arten von PKB gibt es, wie unterscheiden sie sich?23. Beschreiben Sie den Prozess zur Herstellung von PKD.24. Was ist das Verstärkungsprinzip der Belt-Presse?

Fragen

Page 216: Spanen ||

198

Literatur

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8 Schneidstoffe

Page 217: Spanen ||

199

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Literatur

Page 218: Spanen ||

201

9.1 Definition

Das Spanen mit hohen Geschwindigkeiten hat in den letzten Jahren starke Verbrei-tung gefunden, nachdem die technischen Vorraussetzungen durch Schneidstoffe, Arbeitsspindeln, Vorschubantriebe und Steuerungen gegeben waren. Der Begriff „Hochgeschwindigkeitsspanen“ oder „HSC“ wird in diesem Zusammenhang ver-wendet, ohne dass eine eindeutige auf physikalischen Grundlagen beruhende De-finition existiert. „Hochgeschwindigkeit“ oder „Hochleistung“ sind unbestimmte nach oben offene Bezeichnungen. Es hat nicht an Definitionsansätzen gefehlt, die bis in die 30er Jahre zurückgehen (Abb. 9.1).

Salomon [SAL31] glaubte einen grundsätzlichen Wechsel der Spanbildungs-mechanismen bei sehr hohen Geschwindigkeiten entdeckt zu haben. Er verwies in einem Patent darauf, dass in diesem Geschwindigkeitsbereich die Beanspruchung und der Verschleiß der Werkzeuge stark gemindert seien. Icks [ICK81] machte das Hochgeschwindigkeitsspanen vom Bearbeitungsprozess abhängig. Schulz [SCH94] definierte Hochgeschwindigkeitsbereiche, die je nach Werkstoff sehr unterschied-lich anzusetzen sind. Ben Amor [TÖN05, BEN03] gelang es erstmalig, eine analy-tisch begründete Definition aufgrund experimenteller Kraft- und Leistungsbestim-mungen zu entwickeln.

Es wurde beobachtet, dass sich für praktisch alle metallischen Werkstoffe ein typischer Kraftverlauf in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit ergibt (Abb. 9.2).

Danach verlaufen Schnitt- und Vorschubkraft asymptotisch gegen einen kons-tanten Wert, der im Falle der Schnittkraft mit Fc∞ bezeichnet wird. Ben Amor konnte zeigen, dass sich der variable Schnittkraftanteil gut mit einer exponentiellen Ab-klingfunktion beschreiben lässt.

(9.1)

Dazu wurde eine Grenzgeschwindigkeit vHG eingeführt. vHG ist offenbar nach Gl. (9.1) die Geschwindigkeit, bei der der variable Teil der Schnittkraft um 86,5 %

Fc(vc) = Fc∞ + Fcvar e(

−2vcvHG

)

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 9Hochgeschwindigkeitsspanen

Page 219: Spanen ||

202

abgefallen ist (Exponent –2). Eine analytisch plausible Darstellung wird über die Leistungsanteile erreicht (Abb. 9.3).

Nach Abb. 9.3 gibt es eine Schnittgeschwindigkeit, bei der die Funktion der variablen Leistung Pc var einen Wendepunkt besitzt und damit die Veränderung von Pc var über vc ein Minimum annimmt. Diese Schnittgeschwindigkeit vHG wird als Grenzgeschwindigkeit bezeichnet. Sie gibt definitionsgemäß nach Ben Amor [BEN03] den Beginn des Hochgeschwindigkeitsspanens an. Diese Grenzgeschwin-

Abb. 9.1 Definitionen der Hochgeschwindigkeitsbearbeitung

Tönshoff, 1998deutliche Überschreitungder konventionellenSchnittgeschwindigkeit

Reich, 1997wesentliche Senkung derFertigungskosten bei deutlicherSteigerung von Vorschub-oder Schnittgeschwindigkeit

Schneider, 1996feste Unterteilung in dreiGeschwindigkeitsbereiche:- konv. Bereich: 0 bis 500 m/min- HG-Zerspanung: 500 bis 10 000 m/min- Ultraschnellzerspanung: über 10 000 m/min

Schulz, 1994Zuweisung einerHochgeschwindigkeitfür einzelne Werkstoffe

1925 2000

die ersten Versuche

Icks, 1981abhängig vomBearbeitungsprozesszwischen 1000 und10 000 m/min

Salomon, 1931HG-BearbeitungPatent für Schnitt-geschwindigkeitenüber 720 m/min

Abb. 9.2 Schnittkraftcharakteristik in Abhängigkeit der Schnittgeschwindigkeit

1200

800

600

400

200

500 1000 1500 2000 2500 3500m/min0

0

N

Krä

fte F

c, F

f

Schnittgeschwindigkeit vc

Schnittkraft FcVorschubkraft Ff

Näherungsfunktion:–2vc

vHGFc (vc)= Fc∞+ Fcvar e

Wiederholungen: 5absolute maximaleStandardabweichung : 23,44 N

reletive maximaleStandardabweichung : 2,33 %

f ⊗vC

vHG

Verfahren:Orthogonal-Einstechdrehen

Werkstofff:Spannungsbreite:Vorchub:KSS:

Ck 45 Nb = 3 mmf = 0,1 mmtrocken

Schneidstoff:HC P30–P40Beschichtung: Ti(C,N)AI2O3

WerkzeuggeometrieSNGN 120412

Fase αeff γeff εr κ

– 6° –6° 90° 0°

9 Hochgeschwindigkeitsspanen

Page 220: Spanen ||

203

digkeit lässt sich in guter Weise mit der Zugfestigkeit vieler bedeutsamer metalli-scher Werkstoffe korrelieren (Abb. 9.4).

Die Näherungsfunktion

(9.2)

mit vHG [m/min] und Rm [MPa] gibt mit einem hohen Bestimmtheitsmaß (R = 0,984) die Abhängigkeit von der Festigkeit wieder. Von den untersuchten Werkstoffen bil-

vHG = 3.360 × e− Rm400

Abb. 9.3 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf die Leistungsüberhöhung

Schnittgeschwindigkeit vc

Var

iabl

er L

eist

ungs

ante

il P

c var

0

167

333500

667

833

10001167

Watt

1500

0 m/min

Pcvar

dPcvar/dvc –1,67

– 0,830

0,83

1,672,5

3,33

4,17

55,83

vtrans

vHG

Maximum

Wende-punkt

Beispielrechnungfür Ck45W1

Pc(vc) = vcFc∞ + vcFcvare–2vcvHG

vHGPcvar = vc Fvar e

–2vc

Pc

vc

vc Fc∞

Pcvar

P

2

11

2

7.5

N

–167

–3331000 2000 4000

( (

( (

Ers

te A

blei

tung

dp c

var/d

v c

Abb. 9.4 Grenzgeschwindigkeit und Zugfestigkeit

Gre

nzge

schw

indi

gkei

t vH

G

3000

2000

1500

1000

500

200 400 600 800 1000 14000

0

m/min

MPa

Zugfestigkeit Rm

AIMgSi1

AIMgSi1-1

AIMg1SiCu

CuZn37

Ck45W3Ck45W2

Ck45W1

Ck45N

Ck45V5GGG-70

GGV-550

GG-25 C15

AZ91D

Näherungsfunktionnach der Methode derkleinsten Quadrate

vHG = 33601 e [m/min]

–Rm

400

Bestimmtheitsmaß

R = 0,9837

Gusswerkstoffe, AZ91Dund CuZn37 in derNäherungsfunktionnicht berücksichtigt

Inconel 718

TiAl4V6

2

9.1 Definition

Page 221: Spanen ||

204

den lediglich einige Gusseisenwerkstoffe, Messing CuZn 37 und die Magnesium-legierung AZ91D eine Ausnahme.

9.2 Spanbildung

Beim Spanen mit hohen Geschwindigkeiten kommt es zu deutlicher Veränderung der Spanbildung. Sichtbare oder messbare Phänomene sind:

• der Abfall der Schnittkraft und der übrigen Zerspankraftkomponenten bei allen bisher untersuchten duktilen metallischen Werkstoffen,

• eine Vergrößerung des Scherwinkels und damit eine Minderung der Spanstauchung,• eine deutliche Segmentierung des Spanes und eine Konzentration von plasti-

schen Formänderungen in Scherlokalisierungen, wobei dies allerdings stark werkstoffabhängig ist,

• eine instabile Entstehung von stark konzentrierten Scherbändern, abhängig vom Werkstoff und Gefügezustand.

Der ausgeprägte Schnittkraftabfall ist durchgängig zu beobachten, solange es nicht zur spröden Reißspanbildung kommt. Bäker [BÄK03] hat mögliche Ursachen ge-nannt, wie sie unterschiedlich auch in der Literatur vorgeschlagen werden. Er kann durch geschickte Simulation schlüssig erklären, dass nicht die Segmentierung oder eine Veränderung des Reibwertes dieses Phänomen deuten können, sondern dass ein Formänderungsgeschwindigkeit abhängiger, adiabater Abfall der Formände-rungsfestigkeit [ELM05] die experimentellen Beobachtungen vollständig erklären kann. Daraus folgt ein Wachsen des Scherwinkels, wie z. B. für Kohlenstoffstahl Ck45N in Abb. 9.5 zu erkennen ist.

Abb. 9.5 Einfluss der Schnittgeschwindigkeit auf den Scherwinkel

1: Hochgeschwindigkeits-kamera

2: SchnittunterbrechungIWF-Braunschweig

4: SchnittunterbrechungIFW-Hannover

3: Spanstauchung

experimentelle Ermittlungvon Φ nur mit ∆Φ = ± 3°möglich

Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen

Werkstoff WerkzeugSpanungsbreiteVorschub

: Ck45N : HC P30–P40: Ti(C,N)/AI2O3: b = 2/3 mm

: f = 0,2 mmBeschichtungKSS : trocken

Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff εr

– 6° –6° 90° 0°

Sch

erw

inke

l φ

45

35

30

25

20

15

10

5

00 500 1000 1500 2000 2500 3000 4000m/min

°

Schnittgeschwindigkeits vc

1

2

3

4

κ

9 Hochgeschwindigkeitsspanen

Page 222: Spanen ||

205

Davon unabhängig tritt bei Metallen ausreichend hoher Festigkeit eine typische Segmentspanbildung auf. Bei Titanlegierungen ist dies bereits bei allen, auch sehr geringen Schnittgeschwindigkeiten zu beobachten. Bei duktilen Stählen höherer Festigkeit zeigen sich Segmentspäne erst bei höheren Geschwindigkeiten; bei aus-gesprochen weichen Stählen sind keine Segmentspäne festzustellen. Scherbänder lassen sich in metallographischen Schliffen (Abb. 9.6) und in Mikrohärtemessun-gen (Abb. 9.7) nachweisen.

Abb. 9.6 Spanbildung bei hohen Vorschüben

Spanstauchung:

Scherbandbreite:

Spandicke:

Gleitwinkel:

Schergeschwindigkeit:

Segmentierungsfrequenz:

vc = 300 m/min vc = 3000 m/minλ = 2,1 λ = 1,5

h' = 0,63 mm h' = 0,448 mmφspan = 33° φspan = 43°

s = 21 µm s = 10 µm

γ = 22 103 s–1.γ = 64 105 s–1.

fs = 6,87 kHz fs = 100 kHz

Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen

Werkstoff WerkzeugSpanungsbreiteVorschub

: Ck45N : HC P30–P40: Ti(C,N)/AI2O3: b = 3 mm

: f = 0,3 mmBeschichtungKSS : trocken

Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff εr κ

– 6° –6° 90° 0°

φspanh'

s

200 µm

9.2 Spanbildung

Ultr

amik

rohä

rte

HV

400

300

250

200

50 100 150 200 300

HV

00 µm

Abstand vom Scherband xSB

vc = 4000 m/min

vc = 300 m/min

vc = 3000 m/min

F = 0,05 N

Scherbandbreite

Härte desAusgangsgefüges

Messbedingungen:Kraft:Belastungszeit:Härtemessungen im Ferrit

Messebene

F = 0,015 Nt = 120 s

XSB

WZ

Prozess:Orthogonal-Einstechdrehen

Werkstoff WerkzeugSpanungsbreiteVorschub

: Ck45N : HC P30–P40: Ti(C,N)/AI2O3: b = 3 mm

: f = 0,3 mmBeschichtungKSS : trocken

Geometrie: SNGN 120412Fase αeff γeff εr κ

– 6° –6° 90° 0°

Abb. 9.7 Mikrohärteverlauf im Segmentbereich

Page 223: Spanen ||

206

Abbildung 9.8 gibt ein Modell wieder, das Stauch- und Scherphasen bei der Span-bildung unterscheidet. Diese Phasen wechseln annähernd periodisch miteinander ab. Solche Periodizitäten bilden sich auch auf der Werkstückoberfläche ab, was zugleich periodische Kraftverläufe zwischen Werkstück und Werkzeug bedeutet.

9.3 Anwendung

Nach bisherigen experimentellen Befunden ist das Hochgeschwindigkeitsspanen nicht grundsätzlich unterschiedlich vom Spanen in konventionellen Geschwindig-keitsbereichen. Gleichwohl lassen sich durch Einführung des Hochgeschwindigkeits-spanens einige Effekte nutzen, die für die praktische Anwendung interessant sind.

Mit höheren Schnittgeschwindigkeiten steigt zunächst das Zeitspanvolumen bei allen spanenden Prozessen, wenn der Spanungsquerschnitt unverändert bleibt. Dies kann vor allem dort genutzt werden, wo mit rotierenden Werkzeugen gearbei-tet wird. Bei Prozessen und Maschinen, bei denen das Werkstück rotiert und mit Schnittgeschwindigkeit bewegt wird, ergeben sich dagegen meist Grenzen aus der Spanntechnik; denn die Fliehkräfte, die die Spannbacken nach außen drücken, wirken den Spannkräften entgegen und mindern sie mit dem Quadrat der Dreh-zahl. Hinzu kommt, dass bei schwereren Werkstücken und Spannvorrichtungen die Hochlauf- und Bremszeiten, ebenfalls mit dem Quadrat der Drehzahl wachsend, so lang werden können, dass damit die Nebenzeiten die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Spanstauchung bei rotierenden Werkstücken ist somit begrenzt durch

• Beeinflussung der Werkstückspannung mit 2. Ordnung der Drehzahl• notwendige Verstärkung der Sicherheitseinrichtungen gegen Lösen rotierender

Elemente

Abb. 9.8 Werkstoffverformung während der Bildung eines Segments

Stauchphase Scherphaseüb

erS

chni

ttunt

erbr

echu

ng

WZ WZ

Phase I Phase II

sche

mat

isch

eA

bbild

ung

Kontaktherstellung Stauchung und Scherungdes Werkstoffes

fortgeschrittene Stauchungund Einsetzen der Scherung

Abschereneines Segmentes

1 2 3 4

9 Hochgeschwindigkeitsspanen

Page 224: Spanen ||

207

• Erhöhung der Nebenzeiten für das Anlaufen und Abbremsen von Werkstück, Spannvorrichtung und Spindel.

Diese Nachteile wirken sich beim Spanen mit rotierenden Werkzeugen weniger oder gar nicht aus. In der Regel sind die rotierenden Massen bzw. die Massen-trägheitsmomente wesentlich geringer, so dass Anlauf- und Bremsvorgänge sich weniger nebenzeitverlängernd auswirken, wenngleich der Effekt nicht vernach-lässigt werden kann; denn das Zeitspanvolumen wächst mit der ersten und die Hochlauf-/Bremszeit mit der zweiten Ordnung der Drehzahl bzw. der Geschwin-digkeit. Auch für das Spannen der Werkzeuge unter Hochgeschwindigkeitsbedin-gungen sind besondere Vorkehrungen, wie das Spannen über Hohlschaftkegel, zu beachten.

Vorteilhaft wirkt sich beim Spanen mit hohen Geschwindigkeiten aus, dass die Schnitt- und Vorschubkräfte deutlich sinken. Filigrane Bauteile mit geringen Wand-stärken lassen sich dadurch mit geringeren elastischen Verformungen als Folge der Zerspankraftkomponenten bearbeiten (Beispiel: Bauteile für den Flugzeugbau). Allerdings ist für Schlichtoperationen, für die dieser Effekt allein interessant ist, die Wirkung einer Minimierung des Spanungsquerschnittes stärker; es gilt nämlich vereinfacht (s.a. Abschn. 4)

(9.3)

kc,f,p: spez. Energie für Schnitt-, Vorschub- und PassivrichtungA: Spanungsquerschnittkc,f,p sinkt mit e− 2vc

vHG während Ac proportional in Gl. 9.3 eingeht.

Mit der Schnittgeschwindigkeit nimmt die in der Spanbildungszone umgesetzte Leistung zu – wenn auch wegen der fallenden Schnittkraft unterproportional. Die an den Kontaktflächen (Index für die Freifläche und Index für die Spanfläche) umgesetzten Leistungen ergeben sich mit den Tangentialkräften FT und FT zu

(9.4)

Entsprechend steigen die Temperaturen in den Kontaktflächen und damit im Schneidkeil. Dabei ist zu beachten, dass für die Wärmebilanz im Hinblick auf das Werkzeug die Energie je Zeiteinheit, d.h. die Leistung, maßgebend ist; denn der Schneidkeil ist dauernd oder über längere Zeitabschnitte im Eingriff. Anders verhält es sich mit der Wärmebilanz im Hinblick auf den Werkstoff, z. B. für die Randzo-nenbeeinflussung der neu entstandenen Oberfläche, oder die mittlere Temperatur in der Spanbildungszone. Hier kommt es auf die Energie je Volumeneinheit an.

Durch die mit der Schnittgeschwindigkeit zunehmenden Temperaturen in den Kontaktflächen und im Schneidkeil entsteht eine starke Zunahme des thermischen Verschleißes. Dadurch kommt es beim Spanen von Eisenwerkstoffen und anderen Werkstoffen höherer Festigkeit zu wirtschaftlicher Begrenzung der Geschwindig-keitssteigerung. Nur bei Werkstoffen mit vergleichsweise niedriger Schmelztempe-

Fc,f,p = kc,f,p · A

Pγ =1

λFTγ vc und Pα = FTαvc.

9.3 Anwendung

Page 225: Spanen ||

208

ratur, wie Aluminium- und Magnesiumlegierungen, bleibt die thermische Belastung des Schneidkeils unkritisch. Schnittgeschwindigkeiten von mehr als 3000 m/min sind durchaus erreichbar.

Allerdings im unterbrochenen Schnitt, wie zum Beispiel beim Fräsen, kommt es häufig nicht zu so hohen mittleren Temperaturen im Werkzeug, dass unwirt-schaftliche Standzeiten entstehen. Daher wird das Hochgeschwindigkeitsfräsen mit gutem Erfolg auch bei der Bearbeitung von Gehäusen aus Stahl- und Gusseisen-werkstoffen oder im Werkzeug- und Formenbau für die Bearbeitung von Stählen und Gusseisen eingesetzt. Für Schlichtoperationen kann man sich dabei zu Nutze machen, dass nicht die gesamte Schnittgeschwindigkeitssteigerung zur Erhöhung des Zeitspanvolumens genutzt wird, sondern auch ein zu optimierender Teil in die Verringerung der Spanungsdicke Verwendung findet. Damit lassen sich hohe Ober-flächengüten erzeugen, was besonders im Werkzeug- und Formenbau oder beim Zirkularfräsen von Bohrungen größeren Durchmessers genutzt werden kann. Im Werkzeug- und Formenbau lässt sich damit erreichen, dass der Anteil der manuellen Bankarbeit zum Schlichten und Feinschlichten gefräster Oberflächen wesentlich verringert werden kann und sich zugleich die Maß- und Formgenauigkeit deutlich erhöhen lässt. Beim Zirkularfräsen von Bohrungen im Bereich von IT 7 und IT 6 ist von Vorteil, dass dort maßunabhängige Werkzeuge eingesetzt werden können. Wenn eine Bohrung durch konventionelle Bohrtechnik erzeugt werden soll, so muss ein maßgebundenes Werkzeug eingesetzt werden. Beim Zirkularfräsen kann man dagegen einen größeren Durchmesserbereich mit gleichem Werkzeug überstrei-chen. Damit entfallen Werkzeugaufwendungen und Nebenzeiten für das Umspan-nen der Werkzeuge.

9.4 Hochleistungszerspanung

Grenzen für einen Zerspanprozess können neben der Schnittgeschwindigkeit auch das Drehmoment und die Leistung sein. Dem folgend wurde in neuerer Zeit der Begriff der Hochleistungszerspanung entwickelt [AND02]. Die Hochleistungszer-spanung beruht auf vier Verfahrensgrenzen,

• der maximalen Maschinenleistung• dem maximalen Drehmoment und der maximalen Vorschubkraft• der maximalen Werkzeugbelastung und• der maximalen Vorschubgeschwindigkeit, die aufgrund der Antriebe und Steue-

rung erreicht werden kann.

Am Beispiel der Leistungsgrenzen und der Zerspanung einer Aluminiumlegierung, wie sie im Flugzeugbau verwendet wird, sind die Abhängigkeiten in Abb. 9.9 dar-gestellt. Mit steigender Schnittgeschwindigkeit und damit steigender Drehzahl der Spindel nehmen die Leistungsverluste im Leerlauf zu. Es steht also bei hohen Geschwindigkeiten weniger Leistung an der Arbeitsspindel zur Verfügung. Dem

9 Hochgeschwindigkeitsspanen

Page 226: Spanen ||

209

wirkt entgegen, dass die spezifische Energie, die zum Spanen aufgebracht werden muss, mit der Geschwindigkeit abfällt, allerdings in einem asymptotischen Verlauf (s. vorn). Schließlich ist zu beachten, dass bei gegebener Leistungsgrenzen durch Verringerung der Spanungsdicke, die spezifische Energie ebenfalls zunimmt. Diese Einflüsse führen dazu, dass es ein Optimum in dem je kW erreichbaren Zeitspan-volumen gibt, wie theoretisch und experimentell nachgewiesen wurde [AND02]. Dieses Optimum ist allerdings von den Randbedingungen der Maschine, des Werk-zeugs und des Werkstoffs abhängig.

9.5 Hochleistungsbohren

Auch beim Bohren kann das Zeitspanvolumen über eine Steigerung der Schnittge-schwindigkeit nicht beliebig gesteigert werden. Dafür sind neben technologischen Gründen die begrenzten Beschleunigungsvermögen des Spindel- und des Vor-schubantriebes maßgebend [AND02]. Abbildung 9.10 zeigt aus den für eine Hoch-geschwindigkeitsfräsmaschine angegebenen Grenzen für die Beschleunigung und den Ruck die erreichbaren Vorschubgeschwindigkeiten (linkes Teilbild). Gemessen wurden die im rechen Bildteil erreichten mittleren Geschwindigkeiten und Bohr-zeiten bei einem gegebenen Bohrweg. Es folgt also auch hier, dass je nach den gegebenen Bedingungen die Drehzahl optimiert werden kann (Abb. 9.11.). Dabei kann die Spindelhochlaufzeit einen erheblichen Anteil an der Bohrzeit haben. Folg-lich muss auch die Zahl der Bohrungen, die ohne Spindelstop erzeugt werden muss, berücksichtigt werden.

Abb. 9.9 Leistungsbedarf in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit

Leis

tung

P

Leerlaufleistung PL

Schnitt-leistung Pc sp

ez. Z

ersp

anvo

lum

en q

z, q

zP spez. Zerspanvolumenqz = Qw / Pc

spez. ZerspanvolumenqzP = Qw / P

Schnittgeschwindigkeit vc Schnittgeschwindigkeit vc

25

15

10

5

00 1500 15003000 30006000 6000m/min m/min

kW

00

150

90

60

30

cmmin kW

Maschine : Makino A77Material : AIZn6MgCu1,5Werkzueg: Messerkopf

D = 100 mm,κ = 90°, z = 5

Prozeß : fz = 0,1 mm, ap = 5 mm, ae = 20 mm, vc = var.

KSS : trocken

3

Spindelleistung P

9.5 Hochleistungsbohren

Page 227: Spanen ||

210

Fragen

1. Welche Entwicklungen bei Werkzeugmaschinen und Schneidstoffen ermög-lichten das Hochgeschwidigkeitsspanen (HSC)?

2. Erläutern Sie die Definition des Hochgeschwindigkeitsspanens nach Ben Amor. Können Sie darin eine physikalisch/metallurgische Begründung finden?

3. Wie verändert sich die Spanbildung bei hohen Schnittgeschwindigkeiten?

Abb. 9.10 Geschwindigkeitsverläufe beim Bohren

Ist-

Vor

schu

bges

chw

indi

gkei

t20

20

10

10 15

5

50

0

mmin

mm 30

Bohrweg IB

programmierte vf = 15 m/min

programmierte vf = 4 m/min

programmiertevf = 8 m/min

Boh

rzei

t t (

ohne

Rüc

kzug

)

0,5

00

0

10

5

20

0,25

1,0

s

4 8 1612 20

mmin

Bohrtiefe tB = 30 mm

Geschwindigkeit vm

mitt

lere

Ges

chw

indi

gkei

t vm

programmierte Geschwindigkeit vf

vf = 15 m/min

vf = 4 m/minBeschleunigung/Verzögerung

30 mm

Maschine : Makino A88Geschwindigkeit : vx,y,z = 50 m/min

Beschleunigung : ax,y,z = 5 m/s2

Ruck : áx,y,z = 70 m/s3

Bohrzeit t

Abb. 9.11 Bestimmung der optimalen Drehzahl beim Bohren

Einzelbohrung

Spindelhochlaufzeit

Spi

ndel

hoch

lauf

zeit

1,0 16 40

20

10

8

4

0 00

0,5

0,25

00 5000 500010000 1000020000 200001/min 1/min

Boh

rzei

t t (

ohne

Rüc

kzug

)

Boh

rzei

t t in

cl. H

ochl

lauf

zeit

Bauteil

zB = 40

zB = 20

zB = 5 nopt

Maschine : Makino A88Geschwindigkeit : vx,y,z = 50 m/minBeschleunigung : ax,y,z = 5 m/s2

Ruck : ax,y,z = 70 m/s3

Bohrtiefe tB = 30 mmf = 0,8 mm

zB = 5 – 40

VorschubAnzahl Bohrungeneines Durchmesserspro Bauteil

s s s

zB = 10

Bohrzeit t

9 Hochgeschwindigkeitsspanen

Page 228: Spanen ||

211

4. Was sind Scherbänder? 5. Diskutieren Sie die thermischen Verhältnisse in der Spanbildungszone in ihrer

Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit. 6. Warum ist HSC für eine Drehbearbeitung weniger interessant? 7. Erläutern Sie den Begriff der Hochleistungszerspanung (HPC) anhand von

Verfahrensgrenzen. 8. Welche wirtschaftlichen Grenzen sehen Sie beim Hochleistungsbohren? 9. Welche Vorteile bietet das Zirkularfräsen?10. Nennen Sie typische Schnittgeschwindigkeiten im HSC-Bereich für AlMgSi 1,

Sk 45 N, Inconel und TiAl 4 V 6.11. Versuchen Sie eine tribologische und/oder physikalische Erklärung für die star-

ken Unterschiede der Schnittgeschwindigkeiten zu geben.

Literatur

[AND02] Andrae, P.: Hochleistungszerspanung von Aluminiumlegierungen. . Dr.– Ing. Diss. Uni-versität Hannover 2002

[BÄK03] Bäker, M.: An investigation of the chip segmentation process using finite elements; to appear in: Technische Mechanik 23, 2003

[BEN03] BenAmor, R.: Thermomechanische Wirkmechanismen und Spanbildung bei der Hoch-geschwindigkeitszerspanung. Dr.–Ing. Diss. Universität Hannover 2003

[ELM05] El Magd, E.; Treppmann, C. et al.: Experimentelle und numerische Untersuchungen zum thermo-mechanischen Stoffverhalten. In [TÖH05, S. 183–206]

[ICK81] Icks, G.: Maschinenseitige Grenzen des Hochgeschwindigkeitsdrehens, Dissertation, Stuttgart 1981

[SAL31] Salomon,C.: Deutsches Patent Nr. 523594, April 1931[SCH94] Schulz, H.: Hochgeschwindigkeits-Bearbeitung – Technologie mit Zukunft; Werkstatt

und Betrieb 127(1994)7-8, S. 539–541[TÖD05] Tönshoff, H.K., Denkena, B., et al.: Spanbildung und Temperaturen beim Spanen mit

hohen Geschwindigkeiten. In [TÖH05, S. 1–40][TÖH05] Tönshoff, H.K., Hollmann, F., Hrsg.: Hochgeschwindigkeitsspanen, Wiley-VCH Verlag

2005

Literatur

Page 229: Spanen ||

213

Spanen von gehärteten Eisenwerkstoffen und von Hartstoffschichten mit Härten oberhalb 47 HRC wird als Hartbearbeitung (genauer: Hartbearbeitung mit geome-trisch bestimmter Schneide) bezeichnet. Diese harten Werkstoffe wurden – abge-sehen von Reparaturfällen – bis zum Aufkommen dieser Technologie ausschließ-lich durch Schleifen bearbeitet und in ihre Endform gebracht [TÖN81, TÖN86]. Durch die Entwicklung von Schneidstoffen hoher Härte und Warmfestigkeit sind das Hartdrehen, das Hartfräsen und das Hartbohren, auf die hier eingegangen wird, und auch das Harträumen, Hartschaben und Hartreiben möglich und wirtschaftlich geworden. Tabelle 10.1 gibt eine Übersicht über Bedingungen wieder, unter denen diese Prozesse geführt werden können.

In vielen Bereichen des Maschinen-, Fahrzeug- und Gerätebaus werden Βauteile höheren Kraft- und Leistungsdichten ausgesetzt. Sie müssen daher fester, härter und verschleißfester sein. Wo früher Werkstoffe und insbesondere Stähle mit nur mäßi-gen Festigkeiten ausreichten, werden jetzt zunehmend hochvergütete oder gehärtete Werkstoffe eingesetzt. Für eine Vielzahl von Bauteilen lässt sich durch die Verfah-ren der Hartbearbeitung neben dem Schleifen das Spektrum der Vor- und Fertig-bearbeitungsprozesse erweitern [KLB05]. Neben den Festigkeiten und Härten sind bei hochbeanspruchten Bauteilen zugleich die Qualitätsanforderungen erheblich gewachsen. Diese Anforderungen müssen demnach auch durch die Hartbearbei-tung mit geometrisch bestimmten Schneiden erfüllt werden [KAN04] (Abb. 10.1).

10.1 Hartdrehen

Beim Drehen ist die Schneide meist ununterbrochen im Eingriff. Die in der Spanbil-dungszone beim Hartdrehen umgesetzte Energiedichte ist hoch, was zu einer hohen thermischen Belastung des Schneidkeils führt [SCH99]. Daher müssen Schnitt-geschwindigkeiten mit Rücksicht auf den Werkzeugverschleiß begrenzt werden (Tab. 10.1). Schneidkeramiken (Mischkeramiken aus Al2O3 und TiC) werden bei 150 m/min und polykristallines Bornitrid (PKB) bis 220 m/min bei geringerem Här-teniveau auch höher eingesetzt. Übliche Schnitttiefen liegen im Bereich ap = 0,05

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 10Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 230: Spanen ||

214

bis 0,3 mm. Vorschübe bestimmen wesentlich die Oberflächengüte. Je nach An-forderungen an die Rauheit werden f = 0,05 bis 0,2 mm eingestellt. Die Standzeit ist wesentlich von der Härte des Werkstoffes abhängig, wie einer Tendenzdarstel-lung für gehärtete Stahlwerkstoffe in Abb. 10.2 zu entnehmen ist. Dort sind auch

Tab. 10.1 Randbedingungen bei der Hartbearbeitung

Abb. 10.1 Typische Qualitätsanforderungen hartbearbeiteter Bauteile [KAN04]

0,04 A

A

A

A

A

A

0,0062 H

0,03

H

0,0050,007

30,014 0,05

0,0050,025

0,1 B

Ø 4

7,01

7+/-

0,00

8

Ø 5

4,8

17°

Rz 1.6

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 231: Spanen ||

215

die maximalen Schnittgeschwindigkeiten, die sich erreichen lassen, eingetragen. Grundsätzlich lassen sich mit PKB neben gehärteten Stählen harte Gusseisen, Ni-ckel-Basislegierungen und gesinterte und gehärtete Stähle bearbeiten [KLB05]. Abbildung 10.3 zeigt die Abhängigkeit von Standzeit und Schnittgeschwindigkeit in einem Taylordiagramm für den Einsatz von polykristallinem Bornitrid. Aus den atypischen Kurven, vergleicht man sie mit den Geraden bei der Weichzerspanung, ist zu entnehmen, dass ein begrenztes Schnittgeschwindigkeitsfenster eingehalten werden muss.

In Abb. 10.3 wurde neben der Schnittgeschwindigkeit die Härte des Werkstoffes variiert [KOC96]. Man erkennt auch hier einen starken Einfluss der Härte, wobei die martensitische Härte des 100 Cr 6 und die Härte aus Martensit und Karbiden

Abb. 10.2 Einfluss der Härte auf die Standzeit

Sta

ndze

it

Härte

Stahl, gehärtetPCBNVB = 0,1 mm

630

min

400

400

160

160 100

63

25

50 55 60 65HRC

vcmax[m/min]

10.1 Hartdrehen

Abb. 10.3 Verschleißverhalten von PKB

X 38 Cr Mo V 51 (52 HRC)

S 6 - 5 - 2 (65 HRC)

100 Cr 6 (60 - 62 HRC)

80 125 160100 200 250 m/minSchnittgeschwindigkeit vc

400

160

63

25

10

min

Sta

ndze

it

Werkzeug : PCBN, CNMA 120408 - F

Bedingungen : f = 0,05 mm

ap = 0,05 mm

trocken

Kriterium : VB = 0,1 mm

Page 232: Spanen ||

216

beim Schnellarbeitstahl tendenziell ähnlich wirken. Für praktische Belange gilt, dass geringfügiges Absenken der Härtegrade einen deutlichen Gewinn an Standzeit mit sich bringt.

Beim Hartdrehen wird meist mit geringen Vorschüben und vergleichsweise gro-ßen Eckenradien rε der Schneiden gearbeitet. Damit lässt sich die Schneidkanten-belastung in Grenzen halten. Abbildung 10.4 zeigt die Eingriffsverhältnisse beim Hartdrehen, wobei f, ap, rε und rβ maßstabgerecht dargestellt wurden. Man erkennt in der Draufsicht auf die Spanfläche, dass sich der tatsächliche Einstellwinkel ent-lang dem Eingriffsbogen stark verändert und dass der nominelle Einstellwinkel gar nicht zur Wirkung kommt. Um die Lastbedingungen der Schneide zutreffend ab-schätzen zu können, wird ein effektiver Einstellwinkel κeff definiert, der dem halben Kontaktwinkel ψ entspricht. Es ist

(10.1)

Auch in der senkrecht zur Schneide liegenden Keilmessebene sind geometrische Bedingungen gegeben, die von der konventionellen Zerspanung abweichen, wegen der geringen Spanungsdicke, die zudem stark variiert von h = 0 zum Maximalwert hmax = f ⋅ sin 2κeff.

Die Länge des Kontaktbogens lk, das ist der Teil der Schneide, der im Eingriff ist, folgt aus

(10.2)

Aus Abb. 10.4, rechter Bildteil ist erkennbar, dass der tatsächliche Spanwinkel γeff, der von der Bezugsebene (etwa normal zum Schnittgeschwindigkeitsvektor) bis zur

κeff =1

2arccos

(rε − ap

)

lk = 2κeff rε

Abb. 10.4 Eingriffsverhältnisse beim Hartdrehen

WerkzeugDraufsicht

WerkzeugKeilmessebene

Werkstück

Werkstück

h

h(ϕ)f = 0,05 mm

VB

r ε = 0

,8 m

m

ap = 0,1 mm

ψ

ψ

ϕ

γeff

2

κeff

κeff

lk

=

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 233: Spanen ||

217

variierenden Spanungsdicke gerechnet wird, wegen des Schneidkantenradius rβ in der Regel negativ ist. Es gilt für die arbeitsscharfe Schneide bei h < rβ

(10.3)

Für h ≥ rβ gilt der durch die Spanfläche vorgegebene Spanwinkel, wobei aller-dings meist eine zusätzliche Fase zur Stärkung des Schneidkeils vorgesehen wird. Mit einem vom Halter abhängigen negativen Spanwinkel von z. B. –6° (negative Schneidplatte) und einer zusätzlichen Fase von γn = 20° ergibt sich also ein resultie-render Spanwinkel von γ = –26°.

Als Endbearbeitungsverfahren zielt das Hartdrehen auf die Substitution von Schleifoperationen. In Abb. 10.5 ist ein Praxisbeispiel wiedergegeben, bei dem das Hartdrehen deutlich günstiger ist [BRA95]. Eine Reibscheibe aus Wälzlagerstahl 100 Cr 6 wird an drei Flächen, einem Außenzylinder, einer Planfläche und einem kurzen Innenzylinder feinbearbeitet. Die wirtschaftlichen und ökologischen Vor-teile sind in der Abbildung angegeben.

Allerdings ist ein Vergleich zwischen dem Schleifen und Drehen sehr von der Bearbeitungsaufgabe abhängig und durchaus nicht überwiegend eindeutig. Hinzu kommt, dass unterschiedliche Kriterien an den Prozess angelegt werden können wie Fertigungskosten je Teil, Flexibilität, Bauteilqualität oder ökologische Ver-träglichkeit. Einen Vergleich des Zeitspanvolumens Qw (abgespanntes Volumen je Zeit) und der Zeitspanfläche (spanend erzeugte Fläche je Zeit) zeigt Abb. 10.5. Man erkennt, dass insbesondere für die Zeitspanfläche AW erheblich größere Werte zu Gunsten des Schleifens sprechen. Der Vorteil greift allerdings nur dort, wo gro-ße Flächen zu bearbeiten sind. Von Bedeutung ist auch, dass beim Drehen und all-gemein beim Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide mit einer Mindestspa-

γeff(ϕ) = arcsinrβ − h(ϕ)

Abb. 10.5 Wirtschaftliche Fertigung durch Hartdrehen

Fertigungsfolge

Bearbeitungszeit

1)2)3)4)5)6)

1)2)3)

Vorbearbeitung (weich)HärtenPlanschleifen (B)Bohrungsschleifen (C)Außenrundschleifen (A)Schleifen Fase (B1,B2)

Vorbearbeitung (weich)HärtenHartdrehen Komplett

Schleifen Hartdrehen KürzereBearbeitungszeit

VereinfachterArbeitsablauf

GeringereHerstellkosten

Kleinere Losgrößen

Freisetzung vonMaschinenkapazitäten

Vermeidung vonKühlschmierstoffen

Bauteil :Reibscheibe

VergleichSchleifen/Hartdrehen

Vergleichdurch Hartdrehen

FaseB2

B1

Werkstoff :100 Cr 6,60 ... 62 HRC

A

B

C

BearbeiteteFlächen

RRz(Fase)

= 6,3 µm= 3,0 µm

zSchleifen Hartdrehen

Fase

AußenBohrg.

Planfl.

100

%

50

0

25

10.1 Hartdrehen

Page 234: Spanen ||

218

nungsdicke gerechnet werden muss. Das bedeutet, dass nicht mit beliebig geringen Zustellungen oder Schnitttiefen gearbeitet werden kann. Beim Schleifen dagegen kann der Prozess soweit durch „Ausfeuern“ geführt werden, bis die Normalkraft verschwindet. Folglich sind Hartbearbeitungsprozesse dann kaum einsetzbar, wenn lange, schlanke und sehr nachgiebige Werkstücke bearbeitet werden müssen, zu-mal dann meist auch die hohen Zeitspanflächen des Schleifens genutzt werden können (Abb. 10.6).

Ein in vielen Fällen entscheidender Vorteil des Hartdrehens ist die Formflexibili-tät des Verfahrens. Das Werkstück wird gesteuert gefertigt, während beim Schleifen meist im Einstechverfahren oder jedenfalls die Kontur der Schleifscheibe auf das Werkstück abbildend gearbeitet wird. Durch Drehen lassen sich Werkstücke mit einem oder mehreren leicht zu wechselnden Werkzeugen fertigen. Das führt häufig zu einer erheblichen Verkürzung der Prozesskette im Sinne einer Komplettbearbei-tung, zu geringeren Komplexitätskosten und zu geringeren Investitionen.

Unter ökologischem Aspekt werden Stoff- und Energieströme verglichen. Am Beispiel der Fertigung eines Innensonnenrades für ein Reibradgetriebe zeigt Abb. 10.7 die aus der Fertigung von 5.000 Teilen resultierenden Stoffströme für das Schleifen und Hartdrehen. Auf der Grundlage der Aufmaße der Teile ergibt sich eine Masse von 50 kg an Spänen, die pro Jahr anfallen. Der auf den benötig-ten 4 Schleifmaschinen eingesetzte Kühlschmierstoff summiert sich zu rund 8 t pro Jahr, wenn ein halbjährlicher Wechsel zugrunde gelegt wird. Zusätzlich fallen je nach eingesetztem Schleifstoff ca. 20 cm3 Abrieb von den Schleifscheiben aus den Schleifprozessen vom Konditionieren sowie zusätzlich Filtermaterialien an.

Abb. 10.6 Vergleich der Verfahren Hartdrehen und Schleifen

Verfahrensprinzip

Zeitspanvolumen

spez. Zeitspan-volumen

Zeitflächenrate

CharakteristischeParameter

Wertebereich

Schleifen Hartdrehen

f = 0,05 - 0,2 mm

Aw = f · vc

Aw = 5000 - 20000 mm2/s Aw = 125 - 500 mm2/s

Aw = ap · vft,w

ap = 5 - 20 mmap = 0,05 - 0,3 mm

vc = 150 m/minvft,w = 1 m/s

Q'w = 2 · rw · π · vfr

Q'w = 2 - 12 mm3/mms Q'w = 22 - 242 mm3/mms

Qw = ap · f · vcQw = ap · Q'w

dw

vfr

vf

vcbs

ap

ap

nw nw

Qw = 10 - 240 mm3/s Qw = 6 - 150 mm3/s

Q'w =ap · f · vc

lc

313/

2052

3 ©

IFW

abg

eänd

ert f

ür T

ö

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 235: Spanen ||

219

Besonders kritisch ist dabei zu bewerten, dass es beim Einsatz dieser Technologie zu einer Mischung der Stoffströme kommt, so dass in der Regel der gesamte Stoff-strom entsorgt werden muss. Für die anfallenden Späne existieren zwar Technolo-gien, diese bis auf einen Restgehalt von unter 3 % zu trocknen, so dass sie zurück-geführt werden könnten, dies erfordert jedoch einen zusätzlichen Energieaufwand [WOB96].

Für die Hartbearbeitung ergibt sich dem gegenüber ein günstigeres Bild. Da die Bearbeitung trocken durchgeführt werden kann, können die Späne ohne weitere Behandlung in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Die geringen Beimen-gungen an Werkzeug-abrieb sind dabei für das Recycling nicht von Bedeutung. Die eingesetzten Werkzeuge können je nach Schneidstoff entsorgt werden (Kera-mik), oder es besteht die Möglichkeit, sie nach zu bearbeiten (PKB). Damit stellt sich die Bilanz der Stoffströme für die Hartbearbeitung günstiger dar, dies resul-tiert aus den geringeren zur Entsorgung anstehenden Mengen und dem höheren Reinheitsgrad.

Hinsichtlich des Energiebedarfs wurde ein Vergleich der Verfahren Hartdrehen und Schleifen beim Fertigen großer Wälzlagerringe durchgeführt. Gegenüber der konventionellen Fertigungsfolge können beim Hartdrehen direkt aus der Umform-wärme gehärteter Wälzlagerringe, 34 % Primärenergie und 15 % Werkstoff nach einer optimierten Arbeitsvorgangsfolge eingespart werden. Neben dem deutlich ge-ringeren Energieverbrauch ergeben sich weitere Vorteile durch erheblich reduzierte Bearbeitungszeiten und leicht recyclebare Zerspanabfälle [WIN96].

Um in der Feinbearbeitung übliche Toleranzen im Bereich von IT6 und geringer zu erreichen, werden häufig besondere Anforderungen an Hartdrehmaschinen ge-

Abb. 10.7 Vergleich der Verfahren Hartdrehen und Schleifen (Energie- und Stoffströme) (nach H.-G. Wobker)

Aufarbeitung,Recycling

24 kWhHilfsantriebe/

Steuern

42 kWhHilfsantriebe/

Steuern

9 kWhSpanen

49 kWhSpanen

ca. 32 kWh p.a.Energieverbrauch

260 kWh p.a.Energieverbrauch

Vorbear-beitung+Härten

Vorbear-beitung+Härten

Hartbearbeitung Fertigteil

Fertigteil

Werkstoff :100 Cr6,60 - 62 HRC

VerschlisseneWerkzeuge

Späne50 kg/a

Späne, Filter50 kg / a

Einsparpotential 49%d. Bearbeitungszeit tges

Werkzeug-abrieb

Kühlschmierstoff8 t / a

Entsorgung8 t / a

Plan-schleifen

Bohrungs-schleifen

Außenrund-schleifen

Fasen-schleifen

169 kWhHilfsaggr./Pump.

A

A: Außendurchmesser

B

C

D

B: StirnflächeC: BohrungD: Fase

10

R ≤ 6,3 µmR ≤ 3 µm

(Fase)

ø 8

6,3

10.1 Hartdrehen

Page 236: Spanen ||

220

stellt. Das betrifft die Maß- und Formgenauigkeit, die erreichbare Oberflächengü-te und die von der Maschinensteifigkeit abhängige Mindestspanungsdicke. Neben konventionellen Maschinen, die in statischer und dynamischer Steifigkeit und im Auflösungsvermögen der Wegmesssysteme besonders ausgelegt sind, werden Prä-zisionsdrehmaschinen (auch Hoch-Präzisionsdrehmaschinen genannt) eingesetzt. Diese Maschinen weisen zur Verbesserung des dynamischen und thermischen Ver-haltens ein Maschinenbett aus Granit auf. Auch der Spindelstock kann aus Granit ausgeführt sein. Um thermische Verlagerungen zu verringern, werden Versorgungs-einheiten für Elektrik, Pneumatik und Hydraulik vom Grundaufbau der Maschine, der aus Gestell, Bett und Schlitten mit Antrieben, Lagern und Führungen besteht, getrennt angeordnet.

Abbildung 10.8 zeigt, inwieweit sich durch den Einsatz von Präzisionsdreh-maschinen eine Verbesserung der Oberflächenqualität gegenüber konventionellen Drehmaschinen ergibt. Insbesondere Oberflächengüten in Feinschleif- und Hon-qualität (RZ < 1 µm) lassen sich prozesssicher nur mit Präzisionsdrehmaschinen bei Anwendung von Vorschüben mit f < 0,1 mm erzielen. Dieses Ergebnis ist auf die hydrostatistische Spindellagerung und die damit erzielbare hohe Rundlaufgenau-igkeit kleiner 0,1 µm zurückzuführen, wohingegen bei der konventionellen Dreh-maschine die erzielbare gemittelte Rautiefe von der Spindelrundlaufgenauigkeit im Bereich von ca. 1 µm begrenzt wird. Bei Anwendung höherer Vorschübe überlap-pen sich jedoch dann die Gütebereiche für beide Maschinentypen deutlich, da der Einfluss der vom Vorschub und Schneideckenradius abhängigen theoretischen Rau-heit überwiegt.

Abb. 10.8 Vergleich der Oberflächengüte beim Einsatz einer konventionellen und einer Präzisionsdrehmaschine

vc

ap

Gem

ittel

te R

auht

iefe

Rz

0

0,5

1,0

00 0,040,04 0,080,08 mmmm 0,160,16

1,5

2,0

2,5

µm

3,5

Vorschub f Vorschub f

Werkstoff: Schneidstoff: PKBDNMA 150608, VBc ≤ 100 µm

100Cr660...62 HRC

= 150 m/min= 0,05 mm

PräzisionsdrehmaschineKonv. Drehmaschine

Spindel:

Schlitten x, z:

Spindel:

Schlitten x, z:

Hydrostatische LagerungRundlaufgen. 0,1 µmHydrostatische Lagerung

WälzlagerungRundlaufgen. 1 µmGleitführung

Feinschleif- /Honqualität

Streubereich 2σ

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 237: Spanen ||

221

10.2 Hartbohren

Überwiegend müssen in Drehteile auch Bohrungen eingebracht werden. Unabhän-gig davon, ob harte Werkstücke durch Schleifen oder Drehen/Fräsen gefertigt wer-den, müssen solche Teile durch Hartbohren bearbeitet werden. Für einsatzgehärtete Werkstücke, also Teile mit einer 0,5 mm bis 1,5 mm starken harten Schicht und zä-hem Grundmaterial ergibt sich häufig noch die zusätzliche Schwierigkeit im harten und im weichen Gefüge bohren zu müssen.

Abbildung 10.9 zeigt, dass auch beim Bohren ein begrenztes Prozessfenster ein-gehalten werden sollte [SPI95]. Grundsätzlich werden Vollhartmetallbohrer einge-setzt. Dabei haben sich Feinkornhartmetalle besonders bewährt. Erst bei großen Bohrungsdurchmessern werden Aufbohrwerkzeuge mit Schneidplatten verwendet. Dabei haben sich mit Titannitrid beschichtete Werkzeuge eingeführt. Sie bieten neben einer Verschleißminderung den Vorteil, die Reibung zwischen Bohrer und Bohrungswand und zwischen Span und Spannut herabzusetzen. Unter Schlichtbe-dingungen lassen sich durch Hartbohren mit Vollhartmetallbohrern Maßgenauig-keiten im Bereich IT7 bei IT9 und Oberflächengüten von RZ = 2 µm bis 4 µm, in Sonderfällen auch RZ = 1 µm, erreichen. Gerade bei einsatzgehärteten Bauteilen lässt sich durch Hartbohren die Fertigungsfolge erheblich verkürzen. Besonders in-teressant ist, dass die gesplittete Wärmebehandlung (Aufkohlen und Härten) bzw. das notwendige Abdecken beim Einsetzen entfallen können (Abb. 10.10).

Die Möglichkeiten der Wärmeabfuhr sind beim Hartbohren besonders ungüns-tig; denn zum einen entsteht wegen der Härte und Festigkeit eine hohe Leistungs-dichte vor den Schneiden und zum anderen ist die Wärmeabfuhr aus dem Bohrer behindert. Daher heizt er sich während eines Bohrvorgangs stark auf, dehnt sich

Abb. 10.9 Standzeiten beim Hartbohren in Abhängigkeit von den Schnittparametern

160

min

63

40

25

16

10

6,3

4

2,5

1,6

1,0

Sta

ndze

it T

0,01 0,025 0,063 mm

Vorschub f

25 40 63 100 160 m/min

Schnittgeschwindigkeit vc

vc = 50 m/min f = 0,02 mm

Feinstkorn-hartmetall K 40F

rβ ≈ 10 µm

konventionellesHartmetall P 40

rβ ≥ 25 µm

Werkstoff:100 Cr 6, 60 HRCWerkzeug:VHM-Bohrerd = 6 mm

10.2 Hartbohren

Page 238: Spanen ||

222

dabei aus und kann durch Wandreibung zusätzlich erwärmt werden und klemmen. Daher hat es sich bewährt, das Bohrwerkzeug schwach konisch mit Verjüngung zum Schaft hin auszuführen [SPI95].

10.3 Hartfräsen

Das Hartfräsen wird im Maschinenbau und im Werkzeugbau eingesetzt. Die Fein-bearbeitung von Gleitführungsflächen für Werkzeugmaschinen erfordert aufwen-dige Führungsbahnenschleifmaschinen, die wegen ihres großen Arbeitsraumes er-hebliche Investitionen darstellen. Daher ist eine Substitution des Schleifens durch Fräsen interessant. Eine Alternative ist der Aufbau von gehärteten Leisten auf ein Maschinenbett aus weichem Gusseisen oder Stahl. Aber auch derartige Leisten müssen im gehärteten Zustand feinbearbeitet werden.

Abbildung 10.11 zeigt den Verschleiß über dem Vorschubweg eines Fräswerk-zeuges aus PKB. Bearbeitet wurde ein Kohlenstoffstahl Cf53 hoher Härte, der sich wegen seiner geringen Verzugsneigung besonders für Führungsbahnen eignet. Es fällt auf, dass verglichen mit dem Drehen und Bohren erheblich höhere Schnitt-geschwindigkeiten und Vorschübe (hier Vorschub je Zahn fz) gewählt wurden. Dies ist dadurch zu erklären, dass eine Frässchneide nur zeitweise in Eingriff kommt, wodurch zwar die mechanischen und thermischen Beanspruchungen stoßartig auf-treten, aber das Temperaturniveau im Schneidkeil ist erheblich niedriger. Für die Wahl des Vorschubs ist neben der Schneidenausbildung (vorzugsweise Einsatz von Schleppschneiden) die geforderte Oberflächengüte maßgeblich. Rautiefen von RZ = 2 µm bis 5 µm sind durchaus erreichbar. Für die Maß- und Formgenauig-

Abb. 10.10 Verringerung der Arbeitsschritte durch Einsatz des Hartbohrers

bisher Bauteil in Zukunft

1. Spannungsfrei glühen

2. Drehen beider Seiten

3. Bohren

4. Zwischenkontrolle

5. Zylinderstifte in Pass- bohrungen einsetzen

6. Verzahnen

7. Demontieren der Zylinderstifte

8. Reiben der Passbohrung oder Gewinden

1. Spannungsfrei glühen

2. Drehen beider Seiten

3. Verzahnen

4. Einsetzen u. Härten

5. Bohren und Reiben oder Gewinden

WerkstoffZähnezahlStirnmodul

: 15 CrNi 6: z = 36: mn = 2,5

38,233–0,03

153,

353 –

0,03

6H6

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 239: Spanen ||

223

keit muss berücksichtigt werden, dass durch Bauteilerwärmung, durch das Einbrin-gen und das Auslösen von Eigenspannungen und durch den Temperaturgang der Maschine systematische Störungen auftreten können, die sich allerdings teilweise kompensieren lassen (Abb. 10.12) [BUS91].

Im Werkzeug- und Formenbau werden Hohlformwerkzeuge zum Ur- und Um-formen hergestellt. Derartige Hohlformen werden teilweise zur Verringerung von Verschleiß gehärtet. Nach der Härtung müssen sie in die endgültige Form gebracht

Abb. 10.11 Freiflächenverschleiß beim Hartfräsen

400

300

200

100

00 1,0 2,0 3,0 4,0 m 5,0

Fräsweg lfz

Ver

schl

eiß

mar

kenb

reite

VB

µm

Werkstückstoff: Cf53 - 840 HV30

Schnittbedingungen:

Werkzeugschneide:RNMN 090300T - PKB

vc = 225 m/minfz = 0,18 mmap = 0,2 mm

γp γf αp

–7°

16,7° 4,76 mm 0,2x20°

–8° 9,3° 30,1°

Faserεκr

αf

VB

Prozess:Stirnplanfräsen

Abb. 10.12 Kompensation von Formfehlern

10

µm

0

–10

–20

–30

–40

2

10G

ewic

ht g

iF

orm

abw

eich

ung

f

0 200 400 600 800

Werkstückkoordinate x

I fε (Restfehler)

ferr (berechnet)

f (gemessen)

Werkstückstoff: Cf53 - 750 HV 30

Nebenbedingung:LIN : 0,0 µm < Zl < 10,0 µmQUAEXP

Formfehlerkoeffizient:LINQUAEXP

Fehler:fεrel = 0,6 µm

: –140 µm < Zσ < 0,0 µm: –30 µm < ZΦ < 0,0 µm

:::

0,25

ξ* < 0,5

Zl = 1,7 µmZQ = –72,9 µmZΦ = –19,3 µm

= 0,320ξ*

<

10.3 Hartfräsen

Page 240: Spanen ||

224

werden, wobei wegen unvermeidbarem Härteverzug teilweise erhebliche Werk-stückvolumina abgespant werden müssen. Hier liegt ein weiteres Anwendungsfeld für das Hartfräsen [HER91, FAL98]. Abbildung 10.13 zeigt den Einsatz unter-schiedlicher Schneidstoffe an einen Warmarbeitsstahl, wie er für Schmiedegesenke und Druckgusswerkzeuge Verwendung findet.

10.4 Werkstoffe

Tribologisch beanspruchte Bauteile können durch Kontaktdeformation (plastische Verformung oberflächennaher Schichten), durch Reibung und Verschleiß Schädi-gungen erfahren. Wo hohe Energiedichte oder Massen- bzw. Volumenverringerun-gen höhere flächenbezogene Beanspruchungen hervorrufen, sind ausreichende Fes-tigkeiten und Härten erforderlich, um Schädigungen zu vermeiden. Aufbringen von Verschleißschutzschichten oder – bei Eisenwerkstoffen – Härtungen sind häufige Maßnahmen, um das tribologische Verhalten zu verbessern. Soweit dicke Schichten (Panzerungen) aus Hartlegierungen wie z. B. Stellite aufgebracht werden, müssen die Flächen feinbearbeitet werden. Das gilt ebenfalls für Funktionsflächen aus ge-härteten Bauteilen, denn in der Regel geht mit der Wärmebehandlung die notwen-dige Maß- oder Formgenauigkeit und die Oberflächengüte verloren. Je stärker die Verzugsgefahr bei einer Beschichtung oder Wärmebehandlung ist, desto größeres Aufmaß muss auf den zu bearbeitenden Flächen vorgehalten werden, damit sie voll-ständig „sauber“ werden.

Stähle und andere Eisenwerkstoffe lassen sich durch Umwandlung in der Mar-tensitstufe und durch Einlagern von Karbiden auf höhere Härten bringen. Dahl unterscheidet die Auf- und Einhärtbarkeit [DAH93]. Die Aufhärtbarkeit bestimmt

Abb. 10.13 Standzeit für unterschiedliche Werkzeuge beim Hartdrehen von AISI H13

PCBN3/85/3/TiNPCBN9/50/1.5/TiCAl2O3-TiC Keramik

300

cm3

200

100

0

150

50

0 100 150 m/min 250Schnittgeschwindigkeit vc

Zer

span

volu

men

V

Werkstück:H13 (51HRC)Rm = 1820 N/mm2

Schnittbedingungen:

Trocken

Werkzeuggeometrie

Verschleißkriterium:VBBmax = 200 µm

α γ γeff λs

5° –5° –25° –5°

f = 0,06 mmap = 0,5 mm

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 241: Spanen ||

225

die höchste erreichbare Härte, die durch den Kohlenstoffgehalt gegeben ist. Die Einhärtbarkeit kennzeichnet die Einhärtungstiefe. Sie wird vor allem durch die Legierungselemente bestimmt. Folgende Wärmebehandlungsverfahren werden zur Erhöhung der Härte eingesetzt: Einsatzhärten, Vergüten, Nitrieren und Rand-schichthärten. In Abhängigkeit vom Einsatzbereich unterscheiden die Normen die folgenden Werkstoffgruppen: Werkzeugstähle, Wälzlagerstähle, Kohlenstoffstähle und Einsatzstähle. Zu den Werkzeugstählen gehören Schnellarbeitsstähle, Warm-arbeitsstähle und Kaltarbeitsstähle. Abbildung 10.14 gibt eine Übersicht der Werk-stoffgruppen nach der Härtbarkeit [TÖA00]. Für die Werkstoffgruppen sind die in der Praxis üblichen Härtebereiche angegeben. Zu unterscheiden ist dabei der zu-grunde liegende Härtemechanismus nämlich durch Martensitbildung oder durch die Bildung und Einlagerung harter Karbide, die aus der Verbindung des Kohlenstoffs mit Legierungselementen im Stahl entstehen.

10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur

Wie in Kap. 2 ausgeführt wurde, treten beim Spanen hohe plastische Formänderun-gen auf. Bei der Hartbearbeitung erhebt sich also die Frage, ob die Hartstoffe oder die gehärteten Werkstoffe derartig hohe Formänderungen ertragen können oder ob die Gefahr besteht, dass wegen zu geringen Formänderungsvermögens Risse in der neu entstehenden Oberfläche auftreten. Die Theorie des hydrostatischen Druckes gibt eine Erklärung für einen rissfreien Spanbildungsvorgang [TÖN93]. Durch die geringen Spanungsdicken bei gleichzeitig stark negativen effektiven Spanungs-winkeln treten in der Spanbildungszone große Druckspannungen mit einem hohen

Abb. 10.14 Härtbarkeit von Stählen

Wer

ksto

ffM

arte

nsita

ntei

le

Kar

bida

ntei

le

Hartbearbeitung

Warm- und Kaltarbeitsstähle

Wälzlagerstähle

Kohlenstoffstähle

Einsatzstähle

Härte durchKarbidanteile

Härte durchMartensitanteile

40 50 55 60 70HRCHärte

SS Stähle

25 µm

25 µm

10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur

Page 242: Spanen ||

226

hydrostatischen Druckanteil auf. Durch den dreiachsigen Druckspannungszustand wird die kritische Schubspannung erreicht, ohne dass eine Trennung des Materials eintritt. Mit diesen Überlegungen werden die bereits von v. Kármán gewonnenen Erkenntnisse, dass unter dem Einfluss von hohen Druckspannungen selbst spröde Werkstoffe wie Marmor plastisch verformbar sind, auf die Vorgänge beim Feindre-hen gehärteter Werkstoffe übertragen.

Vereinfacht lässt sich der Mechanismus am Mohr’schen Spannungskreis für den zweidimensionalen Fall darstellen. Unter Anwendung der erweiterten Schubspan-nungshypothese nach Mohr ergeben sich verschiedene Grenzspannungszustände, deren Überschreiten entweder zum Trennbruch, Gleitbruch oder zu plastischer Ver-formung führt (Abb. 10.15).

Während das Auftreten eines Trennbruchs durch die Zugfestigkeit bestimmt wird (Kreis Nr. 1), versagt der Werkstoff bei Erreichen der Schubbruchgrenze durch Gleitbruch (Kreis Nr. 2). Die hierfür notwendige Schubspannung ist geringer, falls gleichzeitig Zugbelastung vorliegt. Wenn dagegen die Druckspannung einen werk-stoffabhängigen Grenzwert überschreitet, wird eine weitere Spannungserhöhung nicht durch Bruch, sondern durch plastisches Fließen verhindert.

Als Folge der geringen Spanungsdicken findet die Spanbildung vollständig im Bereich der Spanflächenfase bzw. der Schneidkantenverrundung statt. Dies führt zu den bereits beschriebenen stark negativen Spanwinkeln. Deshalb wird im Hartdreh-prozess die Passivkraft Fp zur dominierenden Kraftkomponente. Weiterhin bedingt die Verwendung von Werkzeugen mit großem Schneideckenradius eine große Kon-taktlänge, was ebenfalls zu hohen Passivkräften beiträgt. Es zeigt sich zudem, dass die Zerspankraftkomponenten sehr stark vom Werkzeugverschleiß abhängen, der nahezu linear mit der Schnittzeit ansteigt (Abb. 10.16). Dies führt zu extrem hohen Pressungen im Kontaktbereich zwischen Werkstück und Werkzeugfreifläche mit

Abb. 10.15 Randbedingungen für plastisches Fließen beim Hartdrehen

τ

Spanungsgeometriebeim Hartdrehen

Grenzfestigkeitnach Mohr

Kreis 1 : zweiachsiger ZugKreis 2 : einachsiger DruckKreis 3 : zweiachsiger Druck

Gleitbruch

Trenn-bruch

123

Zug-festigkeit

Schubbruch-grenze

plastisches Flie en

VB

Fc

Fp

Vc

Schubflie -grenze

σσmax

τ

σ

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 243: Spanen ||

227

der Folge einer hohen mechanischen und thermischen Belastung der Werkstück-randzone.

Die Härte des Werkstoffs wirkt sich stark auf die Kraftkomponente bzw. die spezifischen Kräfte aus (Abb. 10.17). Auch hier ist die Passivkraft besonders stark betroffen, wie Versuche beim Hartfräsen zeigen [BUS91].

Abb. 10.16 Zusammenhang zwischen Schnittzeit, Werkzeugverschleiß und Kraftkomponenten

Werkstoff : 16 MnCrS 5 60 ... 62 HRC

Werkzeug : Al2O3/Tic, CM 1 SNGN 12 04 16

vc = 145 m/minap = 0,2 mm

f = 0,1 mmTrockenschnitt

Ver

schl

eim

arke

nbre

ite V

Bc

Kra

ft F

Schnittzeit tc

500

N

300

200

100

00 10 20 30 40 min 60

250

120

80

60

0

VBc

Fc

Ff

Fp

µm

Abb. 10.17 Einfluss der Härte auf die spezifischen Zerspankraftkomponenten

Vickershärte HV0 200 400 600 1000HV0,2

bez.

Zer

span

kraf

tkom

pone

nte

Ki

kc

kp

kcN

35

25

20

15

10

5

0

kN

mm2

Schnittbedingungen:

Werkzeugschneide:

RNMN 090300T - BNVB ≈ 120 µm

vc = 225 m/minfz = 0,18 mmap = 0,2 mm

γp γf αp

–7°

16,7° 4,76 mm 0,2×20°

–8° 9,3° 30,1°

Faserεκr

αf

Prozess:StirnplanfräsenWerkstückstoff: Cf53 - 900 HV 30

10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur

Page 244: Spanen ||

228

Ein Vergleich der Kraftwirkung beim Spanen weicher und gehärteter Stähle zeigt, dass die globalen Lasten beim Hartbearbeiten nicht besonders hoch sind; denn die Spanungsquerschnitte sind vergleichsweise gering. Anders dagegen ver-hält es sich bei den Kontaktlängen FZ/lk oder kontaktflächenbezogenen Kräften FZ/AC, wie Tab. 10.2 zeigt.

Mit einigen Annahmen lässt sich aus der starken Abhängigkeit der Kräfte vom Verschleiß (Abb. 10.16) auf die Kraftverteilung am Schneidkeil schließen. Voraus-gesetzt wird, dass sich die Energieumsetzung und die Kraftwirkung aus zwei Ef-fekten zusammensetzen, aus der Umformung in der primären Scherzone und der Reibung und daraus folgender plastischer Verformung in begrenzter Tiefe vor der Spanfläche und der Freifläche der Haupt- und Nebenschneide. Diese Annahmen geben die realen Verhältnisse in guter Näherung wieder.

Weiterhin wird vorausgesetzt, dass nur der Verschleiß auf der Freifläche zu berücksichtigen ist und dass sich dieser auf das Verformungsgeschehen in der primären Scherzone und vor der Spanfläche nicht auswirkt. Es wird also ange-nommen, dass die Wirkung des Freiflächenverschleißes allein die Kraftanteile vor den Freiflächen betrifft. Diese Voraussetzung ist weniger gesichert; denn durch starke Reibwirkungen an den Freiflächen kann sich auch der Spannungs- und Formänderungszustand in der primären Scherzone verändern. Jedoch scheint eine ausreichende Näherung gegeben. Schließlich wird vorausgesetzt, dass sich die Reibung an den Freiflächen nach dem Coulomb’schen Gesetz beschreiben lässt und dass sich mit dem fortschreitenden Verschleiß der Reibwert nicht än-dert. Dann lässt sich die Bilanz der zugeführten zur umgesetzten Leistung wie folgt beschreiben.

(10.4)

In Gl. 10.4 wurden die Leistungsanteile Pφγ und Pγ zu Pφγ zusammengefasst. Hierbei sind voraussetzungsgemäß Pφ und Pγ vom Verschleiß unabhängig. Auf die Freiflä-che wirkt dabei die Drangkraft Fd

(10.5)

Pc = Pφ + Pγ + Pα = Pφγ + Pα

Fd =√

Fp2 + Ff

2

Tab. 10.2 Kraftwirkung beim Drehen weicher und gehärteter Stähle

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 245: Spanen ||

229

Im unverschlissenen, d.h. scharfen Zustand, also bei tc≈ 0, wirkt Fd0. Mit fortschrei-tendem Verschleiß wächst Fd mit der Rate fd, wie die Versuche gezeigt haben (Abb. 10.16).

(10.6)

Die Parameter Fd0 und fd werden aus Versuchen mit Hilfe der linearen Regression bestimmt.

Mit einem Ansatz für die Leistung ergibt sich

(10.7)

In Pc0 sind Pφγ und der zeitunabhängige Anteil von Pα enthalten. Die Parameter wer-den aus Versuchsergebnissen bestimmt. Mit dem Reibgesetz gilt dann

(10.8)

oder

(10.9)

Aus Versuchsdaten bestimmte Wobker [WOB96] für praxisübliche Bedingungen nach der beschriebenen Methode einen Reibwert von

Hiermit lässt sich die auf der Freifläche umgesetzte Leistung bestimmen.Die Schnittkraft Fc kann man sich ebenfalls aus einem aus der Umformung fol-

genden Anteil Fφγ und der Reibung an der Freifläche zusammengesetzt denken.

Im Folgenden wird weiter angenommen, dass die gleichen Reibverhältnisse auf der Spanfläche und Freifläche vorliegen, d.h. dort wirkt der gleiche Reibwert. Dann können die Drang- und die Schnittkraft aus Normal- und Tangentialanteilen, letzte-re über den Reibwert aus der Normalkraft folgend, angeschrieben werden:

(10.10)

(10.11)

Nach Umformung ergibt sich

Daraus lassen sich nach Umformung die Kraftwirkungen auf Span- und Freifläche angeben als

Fd = Fd0 + fd · tc

Pc = Pc0 + pc · tc.

pc = µ · fd · vc

µ =pc

fd · vc.

µ = 0,26.

Fc = µ · Fd + Fφγ

Fd = FNα + µFNγ

Fc = FNγ + µFNα

µFd = µ2FNγ + µFNα

Fc = FNγ + µFNα

Fc − µFd = FNγ

(1 − µ2

)

10.5 Spanbildung, Kräfte und Temperatur

Page 246: Spanen ||

230

(10.12)

(10.13)

Wie vorn erläutert wurde, wird die dem Zerspanprozess zugeführte Leistung weit überwiegend in Wärme umgesetzt. Mittels thermografischer Messung können für die Drehbearbeitung die während der Bearbeitung an der Werkstückoberfläche auf-tretenden Temperaturen erfasst werden. Es zeigt sich, dass die kontaktbestimmenden Parameter Schneideckenradius und Spanflächenfase größeren Einfluss auf die Werk-stücktemperatur ausüben als die leistungsführenden Parameter Schnittgeschwindig-keit und Vorschub. Der Verlauf der Werkstücktemperatur zeigt eine gute Korrelation mit dem Verlauf der kontaktlängenbezogenen Reibleistung P′α an der Freifläche.

Die kontaktlängenbezogene Reibleistung P′α an der Freifläche ergibt sich zu:

(10.14)

Für die Gleitreibungskoeffizienten können Werte von µ = 0,25–0,28 angesetzt wer-den [WOB96]. Die kontaktlängenbezogene Reibleitung P′α wurde als Kenngröße beim Drehen gehärteter Stähle abgeleitet, um mechanische und thermische Wirkun-gen quantifizieren zu können. Sie wird wesentlich durch die Schneidkantengestalt und den Verschleißzustand des Werkzeugs beeinflusst. Abbildung 10.18 stellt die maximalen Oberflächentemperaturen beim Hartdrehen dar [SCH99].

FNγ =1

1 − µ2(Fc − µFd)

FNα =1

1 − µ2(Fd − µFc)

P′α =

lk=

µ · vc ·√

F2p + F2

f

lk

Abb. 10.18 Bezogene Leistung an der Freifläche und Werkstücktemperatur

rε = 0,8 mmFase 0,15mm × 25°

rε = 0,8 mmungefast

rε = 1,6 mmFase 0,15mm × 25°

Werkstoff:25 MoCr 4,60-62 HRC

Schneidstoff:PKB, BN 3rβ = 5 µm

α γ0 ε λ

6° –6°90°–6°/–31°

Parameter:ap = 0,1 mmTrockenschnitt

175

125

100

75

50

25

0

700

500

400

300

200

100

180 240 240 240 240 240 240180 180 180 180 180

0,04 0,04 0,04 0,04 0,04 0,040,08 0,08 0,08 0,080,08 0,08

max

. Obe

rflä

chen

tem

pera

tur

ϑ c

bez.

Lei

stun

g an

der

Fre

ifläc

he P

'

Vc [m/min]

f [mm]

°C W/mm

ϑc

P'

α

α

0

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 247: Spanen ||

231

10.6 Schneidstoffe und Werkzeugverschleiß

Während der Hartzerspanung wird das Werkzeug hohen Beanspruchungen aus-gesetzt, die Abrasiv- und Adhäsionsverschleiß bewirken. Das Werkstoffgefüge ist dabei von großer Bedeutung. So führen z. B. eingelagerte harte Karbide, wie sie typisch in Kaltarbeitsstählen vorliegen, zu vermehrtem abrasivem Verschleiß. Die Schneidstoffe müssen aufgrund dieser Beanspruchungen eine hohe Warmhärte be-sitzen. Schnellarbeitstähle und konventionelle Hartmetalle scheiden für die Hart-bearbeitung mit geometrisch bestimmter Schneide aus. Geeignet sind dagegen Fein- und Feinstkornhartmetalle sowie Mischkeramik und polykristallines Borni-trid (PKB) [TÖN93].

Das Hartdrehen erfolgt vorwiegend mit Mischkeramiken des Typs Al2O3/TiC und mit PKB. Im kontinuierlichen Schnitt sind beide Schneidstoffe einsetzbar. Wenn da-gegen unterbrochene Schnitte größere Anforderungen an die Bruchzähigkeit des Schneidstoffes stellen, muss PKB verwendet werden. Für das Hartbohren besitzen besonders mit Titannitrid beschichtete Feinstkornhartmetalle Bedeutung, da hierfür PKB- oder Keramikwerkzeuge nicht verfügbar oder zu teuer sind [TÖN93]. Die Hartfräsbearbeitung kann mit Feinkornhartmetallen und PKB durchgeführt werden.

Dominierende Verschleißformen an PKB und Keramikschneidstoffen beim Hartdrehen sind Freiflächen- und Kolkverschleiß. Abbildung 10.19 zeigt raster-elektronenmikroskopische Aufnahmen von verschlissenen Werkzeugen aus PKB, die unterschiedliche Ausgangsschneidkantenradien aufwiesen.

Die Bildung des markanten Kolkverschleißes wird primär durch Abrasion be-stimmt. Standzeitbestimmendes Kriterium ist der Verschleiß an der Freifläche VBc bzw. an der Nebenfreifläche VBN.

10.6 Schneidstoffe und Werkzeugverschleiß

Abb. 10.19 Typische Verschleißbilder beim Hartdrehen

rβ = 130 µm, tc = 40 min rβ = 35 µm, tc = 60 min

100 µm 100 µm

Werkstoff: 16 MnCr5, 60 - 62 HRCSchneidstoff: PKB, BN 4

Geometrie: CNMA 120408α γ0 κ0 ε7° –7° 95° 80°

Schnittbedingungen:Vc = 150 m/minf = 0,05 mmap = 0,05 mm

Page 248: Spanen ||

232

Fragen

1. Welche (eingeschränkte) Bedeutung hat die Hartbearbeitung durch Entwick-lungen der Schneidstoffe erhalten?

2. Welche Werkstoffe in welchem Zustand werden in diesem Sinne hartbearbeitet? 3. Welche Schneidstoffe werden zum Hartbearbeiten eingesetzt? 4. Wie wirkt sich die Härte eines Stahles auf die Standzeit der Schneidsoffe ten-

denziell aus? 5. Welchen Hinweis entnehmen Sie dem Kurvenverlauf der Standzeit-Schnittge-

schwindigkeits-Funktion im Taylor-Diagramm? 6. Welche Werte nehmen der effektive Einstellwinkel und der effektive Spanwin-

kel typischerweise bei der Hartbearbeitung an? 7. Geben Sie typische Kennzahlen an, die die Produktivität des Schleifens gegen-

über dem Hartdrehen abgrenzen. Können Sie daraus Vorzugsgeometrien für Werkstücke ableiten?

8. Häufig ist weniger das Zeitspanvolumen oder die Zeitspanfläche für die Subs-titution des Schleifens durch Hartdrehen maßgebend, sondern?

9. Welche typischen Eigenschaften sind für Drehmaschinen zum Hartdrehen wichtig?

10. Hartbohren folgt häufig zwangsläufig aus dem Hartdrehen, warum?11. Warum sind das Hartdrehen und Hartbohren bei einsatzgehärteten Bauteilen

besonders interessant?12. Warum werden Vollhartmetallbohrer mit einer Verjüngung ausgeführt?13. Wie erklären Sie sich, dass beim Hartfräsen erheblich höhere Schnittgeschwin-

digkeiten als beim Hartdrehen gewählt werden?14. Was ist eine Schleppschneide? Warum wird sie beim Führungsbahnfräsen

eingesetzt?15. Welche systematischen Ursachen sehen Sie für den Verzug beim Fräsen von

Führungsbahnleisten?16. Welche Einsatzgebiete sehen Sie für das Hartfräsen?17. Welche Schneidstoffe werden zum Hartfräsen eingesetzt?18. Welche Härtesteigerungsmechanismen kennen Sie?19. Vergleichen Sie das Formänderungsvermögen von gehärteten Stählen mit

Formänderungen wie sie beim Spanen auftreten.20. Wie ist zu erklären, dass die Oberfläche nach dem Hartspanen keine Risse auf-

weist, sondern allein durch plastische Formänderung entsteht?21. Wie verhalten sich die Zerspankraftkomponenten mit längerem Einsatz eines

Werkzeuges?22. Unter welchen Voraussetzungen lässt sich eine Aufteilung der Leistungsumset-

zung durch Umformung und Reibung an der Freifläche vornehmen?23. Nennen Sie die wichtigsten Einflussgrößen auf die Reibleistung an der

Freifläche.24. Welches sind die typischen Verschleißformen an Werkzeugen zur

Hartbearbeitung?25. Vergleichen Sie das Hartdrehen mit dem Einstechschleifen gehärteter Bauteile.

Wo liegen Vor-, wo Nachteile?

10 Hartbearbeitung, Prozessauslegung

Page 249: Spanen ||

233

Literatur

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[BUS91] Bussmann, W.: Formfehleranalyse beim Planfräsen gehärteter Bauteile. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover, 1991

[DAH93] Dahl, W.: Eigenschaften und Anwendungen von Stählen. Band 1 und 2. Aachen 1993[FAL98] Fallböhmer, P.: Advanced Cutting Tools for the Finishing of Dies and Molds. Dr.-Ing.

Diss. Univ. Hannover 1998.[HER91] Hernandes-Camacho, J.: Frästechnologie für Funktionsflächen im Formenbau. Dr.-Ing.

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Literatur

Page 250: Spanen ||

235

Von wesentlicher Bedeutung für den Einsatz von Bauteilen unter tribologischer, korrosiver oder dynamischer Betriebsbeanspruchung sind die Eigenschaften ihrer Oberflächen und Randzonen. Das sind die Bereiche des Werkstücks, in denen Än-derungen der Eigenschaften durch die Einwirkung eines Fertigungsverfahrens ent-stehen. Dies betrifft sowohl die geometrische als auch die physikalisch-stoffliche Beschaffenheit. Werden für die Beschreibung der geometrischen Oberflächeneigen-schaften im wesentlichen Oberflächentopographie und Rauheit herangezogen, so werden die physikalischen Eigenschaften anhand der Merkmale Eigenspannungen, Gefügeausbildung und Härte beschrieben. Folglich wird die Bauteilqualität durch die Hartbearbeitung verändert. Es wird unterschieden zwischen Veränderungen der

• Makrogeometrie,• Mikrogeometrie und der• physikalischen Randzoneneigenschaften.

11.1 Makrogeometrische Abweichungen

Bei Verwendung konventioneller Drehmaschinen können Maßgenauigkeiten der ISO-Qualitäten IT6 bis IT7 erzielt werden. Die Rundheitsabweichungen bei wel-lenförmigen Bauteilen betragen weniger als 2,5 µm. Die Zylindrizitäten erreichen Werte kleiner 2 µm [WEL98]. Die gemittelten Rautiefen liegen in einem Bereich von Rz = 2 bis 6 µm.

Die Hartdrehbearbeitung auf speziell ausgelegten Präzisionsdrehmaschinen er-möglicht Maßgenauigkeiten im Bereich der ISO-Qualitäten IT5-IT6. Es können Rundheiten von 0,2 µm und Zylindrizitäten kleiner 1,0 µm erzielt werden. Die ge-mittelte Rautiefe Rz der hartgedrehten Oberflächen beträgt ca. 0,5 µm.

Einflüsse auf die makrogeometrischen Abweichungen, das sind Abweichungen der Form, des Maßes und der Lage (siehe Abschn. 15), also Bauteilveränderun-gen, die in der Regel unerwünscht sind, lassen sich auf alle am Prozess beteiligten Teilsysteme zurückführen. Den Teilsystemen Werkstück, Werkzeug, Maschine und Umgebung sind folgende Ursachen für Veränderungen zuordenbar:

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 11Hartbearbeitung, Bauteilqualität

Page 251: Spanen ||

236

Werkstück

• Maß-, Form- oder Lageabweichungen der Vorform (des Rohteils),• Festigkeitsunterschiede der abzuspanenden Teile,• Auslösen und/oder Einbringen von Eigenspannungen,• örtlich und zeitlich veränderliche Temperaturfelder.

Werkzeug

• Nachgiebigkeit des Werkzeugs/Werkzeughalters,• Verschleiß des Werkzeugs,• Lageabweichungen beim Werkzeugwechsel.

Maschine

• geometrische Abweichungen,• kinematische Abweichungen (Vorschub, Steuerung),• Nachgiebigkeit der Maschine im Kraftfluss,• thermisch bedingte Verformungen,• Laständerungen während der Bearbeitung.

Umgebung

• Externe Wärmequellen (Strahlung),• Änderung der Umgebungstemperatur (Konvektion)• Veränderung der Kühlschmierung.

Zwischen den Einflüssen bestehen teilweise Wechselwirkungen. So wirkt sich die Steigerung der Zerspankraft als Folge von Abweichungen der Werkstofffestig-keit umso stärker aus, je größer die Nachgiebigkeit der Maschine ist. Werkzeug-verschleiß verändert die Lage der Schneide und kann damit direkt zu Maß- und Formabweichungen führen; der Verschleiß führt aber auch in der Regel zu größe-ren Zerspankräften und damit über die Nachgiebigkeit der Maschine zu Maß- und Formabweichungen.

Wesentlichen Einfluss auf die Form- und Maßgenauigkeit üben die im Prozess wirkenden Kräfte sowie die damit verbundenen Erwärmungen von Werkzeug und Werkstück aus. Einen dominanten Einfluss hat in diesem Zusammenhang der Werk-zeugverschleiß, der annähernd linear mit der Schnittzeit steigt, wie Abb. 10.14 zeigt. Alle drei Zerspankraftkomponenten nehmen gleichmäßig zu, wobei die Passivkraft deutlich höhere Werte annimmt als die Schnitt- und Vorschubkraft. Da das System Werkstück-Werkzeug-Maschine nur eine endliche Steifigkeit besitzt, die zudem je nach Werkstück entlang des Vorschubweges differiert (entsprechend einem Balken auf 2 Stützen), kommt es durch die Passivkraft zu Relativverschiebungen zwischen Schneide und Werkstück, die sich unmittelbar auf die Maß- und Formgenauigkeit auswirken. In Abb. 11.1, linker Bildteil ist die Maßabweichung δx in Durchmes-serrichtung bei unterschiedlichen Systemsteifigkeiten cx und Passivkräften Fp dar-gestellt. Daneben führt auch der mit steigendem Werkzeugverschleiß zunehmende Schneidenversatz zu einem Maßfehler.

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität

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237

Während die Zerspankraftkomponenten, insbesondere die hohe Passivkraft, vor allem zu Maßabweichungen führen, werden durch die Wärmeeinbringung in das Werkstück Formfehler hervorgerufen. Ursachen für den Formfehler sind die Tem-peraturerhöhungen im Werkstück, die bei üblicher Trockenbearbeitung auftreten. In zylindrischen Werkstücken entsteht ein Formfehler über die axiale Länge. Dieser Formfehler ist auf eine inhomogene elastische Werkstückerwärmung zurückzufüh-ren. Die mit dem Vorschubweg zunehmende radiale Dehnung bewirkt bei idealer Werkzeugbewegung einen erhöhten Materialabtrag, so dass nach dem Abkühlen ein verbleibender Formfehler vorliegt (Abb. 11.1, rechter Bildteil).

Bezogen auf den Solldurchmesser führt eine Erwärmung bei Außenflächen (Wellen) zu einer Durchmesserreduzierung und bei Innenflächen (Bohrungen) zu einer Durchmesseraufweitung. Das Maß der Formabweichung ist dabei vor allem verschleißabhängig und kann bei einer Verschleißmarkenbreite von VBc = 200 µm auf das drei- bis fünffache des Ausgangswertes ansteigen.

Wenn auch aus ökologischen Gründen vielfach eine Trockenbearbeitung ange-strebt wird, so kann durch den Einsatz von Kühlschmierstoff der durch die Werk-stückerwärmung hervorgerufene Formfehler ausgeglichen werden. Aber auch durch Luftkühlung ist noch eine erhebliche Verbesserung gegenüber der Trockenbearbei-tung möglich [BOR01]. Liegen beim Hartdrehen Toleranzen in der Größenordnung von 0,01 mm vor und soll auf den Einsatz von Kühlschmierstoff verzichtet werden, ist zu empfehlen, zuerst die engtolerierten Funktionsflächen zu bearbeiten, um die Wärmeeinbringung in das Werkstück klein zu halten. Eine weitere Möglichkeit zur Vermeidung von Formfehlern besteht in einer Kompensation durch die Steuerung der Werkzeugmaschine. Dazu muss die durch die Werkstückerwärmung entstehen-de Formabweichung mit den Stützpunkten für die Verfahrbewegungen der Achsen in der Steuerung der Werkzeugmaschine verrechnet werden.

11.1 Makrogeometrische Abweichungen

Abb. 11.1 Maß- und Formfehler beim Hartdrehen

Passivkraftbedingte Maßabweichung Thermische FormfehlerM

aßab

wei

chun

g δ x

Ver

schl

eiß

-m

arke

nbre

ite V

BC

Passivkraft Fp

Modellvorstellung-Wärmequelle-

Wärmestauim Bereich derEinspannung

Wärmedehnungwährend derBearbeitung

ResultierenderFormfehler

Vorschubrichtung

1,2

0,8

0,6

0,4

0,2

0

cx = 300 N/ m

cx

m

x

zδx Fp

500

m

300

200

250 350N

100

150500

0

vf

vf

da

da

de

vc⊗

QWst

D

cx = 500 N/ m

cx = 700 N/ m

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238

Besonders kritisch ist der Einfluss der Erwärmung bei Bauteilen, die asymme-trisch bearbeitet werden, z. B. bei flachen prismatischen Werkstücken wie Füh-rungsleisten. Das Abtragen von Härteeigenspannungen, die thermische Dehnung während des Prozesses, das Einbringen von Eigenspannungen durch die plastischen Verformungen unter der bearbeiteten Oberfläche, der Schneidkantenversatz und die Passivkrafterhöhung als Folge von Verschleiß wirken zusammen. Formmessungen des bearbeiteten Werkstücks können nach [BUS91] einer Formfehleranalyse die-nen, mit denen versucht wird, die einzelnen Ursachen zu separieren. Ein ähnliches Verfahren für die spanende Bearbeitung dünner, gehärteter Ringe wird in [SÖL10] entwickelt.1

11.2 Mikrogeometrische Eigenschaften

Die Oberflächenrauheit nach dem Hartdrehen wird wesentlich von der Wahl des Schneideckenradius, der Schnittgeschwindigkeit und des Vorschubs beeinflusst (dazu auch Abschn. 15). Abbildung 11.2 zeigt den Einfluss der Stellgrößen

Vorschub und Schnittgeschwindigkeit auf die gemittelte Rautiefe Rz bei ge-gebenem Schneideckenradius rε. Dass mit geringerer Schnittgeschwindigkeit die Rauheit steigt, überrascht zunächst, denn die dynamischen Wirkungen z. B. durch Unwuchtanregung sinken. Die Erklärung ist, dass es bei niedrigen Geschwindig-

1 Die Arbeit entstand als zentrales Projekt im Sonderforschungsbereich 570 „Distortion Enginee-ring“ der Universität Bremen, in dem weitere Verzugsprobleme behandelt werden.

Abb. 11.2 Oberflächengüte als Funktion von Schnittgeschwindigkeit und Vorschub

gem

ittel

te R

auht

iefe

Rz

gem

ittel

te R

auht

iefe

Rz

5

3

2

m

1

00 50 100 150 250m/min

Schnittgeschwindigkeit vc

f = 0,05 mm

Max.

Min.

Rth

Rth

Rth : theoretische

5

m

3

2

1

00 0,05 0,10 0,15mm

Vorschub f

WerkstoffSchneidstoff

SchnitttiefeTrockenschnitt

PKB, BN4, rβ = 30 µm:

:

16 MnCr 5 (60–62 HRC):

VBc < 65 µmap = 0,05 mm

Geometrie: CNMA 120408

α γ0 κ0 ε7° –7° 95° 80°

Rauhtiefenach Bauer

Mittelwert

vc = 150 m/min

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität

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239

keiten zunehmend zur ungleichmäßigen Scherspanbildung und damit zu größeren Rauheiten kommt.

Der im rechten Bildteil von Abb. 11.2 dargestellte Verlauf der gemittelten Rau-tiefe Rz zeigt bei einer Variation des Vorschubs f, dass es aus Gründen der Oberflä-chenqualität nicht sinnvoll ist, den Vorschub kleiner als f = 0,05 mm einzustellen. In diesem Bereich beschreibt die theoretische Rauheit Rth die Verhältnisse nur unzu-reichend. Dies ist auf ein Unterschreiten der Mindestspanungsdicke vor dem Kon-taktbogen entlang der Schneidkante zurückzuführen, was insbesondere bei kleinen Vorschüben auftritt. Beim Unterschreiten der Mindestspanungsdicke kommt es zu Quetschungen und Stauchungen auf der neu entstandenen Oberfläche, was zu einem Anstieg der gemittelten Rautiefe Rz führt.

In Abb. 11.3 sind Gewichtungen der Einflüsse Vorschub, Schneideckenradius, Maschine und Werkzeugverschleiß auf Grund von Versuchen eingetragen. Wenn diese Darstellung auch keine Allgemeingültigkeit hat, können ihr doch Tendenzen entnommen werden [KLB05].

11.3 Physikalische Beeinflussung

Neben der geometrischen Ausprägung technischer Oberflächen sind die physika-lischen Eigenschaften der Randzone wichtig für das Funktionsverhalten der Bau-teile. Metallographische und röntgenographische Untersuchungen an hartgedrehten Werkstücken belegen, dass beim Hartdrehen erhebliche Randzonenbeeinflussungen auftreten können. Diese zeigen sich in veränderten Eigenspannungszuständen, in der Bildung von Neuhärtungszonen sowie in Bereichen angelassenen Gefüges.

Abb. 11.3 Einflüsse auf die Rauheit beim Hartdrehen (nach Jochmann)

Rau

tiefe

Rz

6

4

3

2

1

00

m

0,05 0,1 mm 0,2

Rt.A

Rt.A

Rt.th

Rt.th

Rt.s

Rt.s

Vorschub

Vorschub

Ant

eil d

er R

auhe

it 100

60

40

20

%

00,005

0,050,07

0,090,11

0,10,15

0,010,03

mm

11.3 Physikalische Beeinflussung

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240

Ursache für dieses Verhalten sind die bei der Zerspanung auftretenden hohen Spanungen und Temperaturen sowie die großen Spannungs- und Temperaturgra-dienten, durch die die äußere Randzone erheblichen plastischen Verformungen, Ge-fügeänderungen und anderen thermischen Einwirkungen ausgesetzt ist.

Maßgeblichen Einfluss auf die Randzoneneigenschaften hat der Werkzeug-verschleiß an der Freifläche. Mit zunehmendem Werkzeugverschleiß steigen die thermomechanischen Beanspruchungen der Werkstückrandzone. Es bildet sich eine geschlossene Neuhärtungsschicht, die im Schliffbild weiß erscheint und ein darunter befindlicher im Schliffbild dunkler Anlassbereich, Abb. 11.4. Das Maß der Gefügebeeinflussung ist dabei vom eingesetzten Schneidstoff bei gleicher geo-metrischer Ausbildung des Werkzeugs unabhängig. Die Neuhärtungsschicht, in der Härtewerte bis zu 1000 HV (0,025) gemessen werden, erscheint weiß, weil sie bei der metallographischen Präparation nur schlecht anätzbar ist. Sie wird deshalb auch häufig als „weiße Schicht“ bezeichnet. Im Grundgefüge liegen Härten von ca. 800 HV (0,025) vor. Die angelassenen Bereiche weisen geringere Härten von ca. 600 HV (0,025) auf.

Als Folge der thermischen Beeinflussung kommt es zu Zugeigenspannungen an der Oberfläche. Mit zunehmendem Werkzeugverschleiß steigen diese weiter an. Die auftretenden Randzonenbeeinflussungen korrelieren dabei mit einem Anstieg der Passivkräfte.

Diese Wirkung des Prozesses lässt sich mit folgendem Modell erklären: Die hohen Passivkräfte und die mit ihnen einhergehende Reibleistung führt zu einer starker Aufheizung der Randschicht. Das Material dehnt sich aus; es kommt zu hohen Druckspannungen und plastischem Fließen. Die Wärmequelle, nämlich der Freiflächenkontakt, verlässt den betrachteten Ort rasch mit Schnittgeschwindig-keit. Das Material wird durch Selbstabschreckung schnell abgekühlt. Die vorher

Abb. 11.4 Randzonenzustand in Abhängigkeit vom Werkzeugverschleiß

Werkstoff: Werkzeug : CBN, BN 3

16 MnCr 560 ... 62 HRC

εα γeff κeff rε6° –26° 90° 15° 1,6 mm

vc = 145 m/minap = 0,2 mmf = 0,1 mm

Gef

üge

Eig

ensp

annu

ng σ

II

an d

er O

berf

läch

e 750

450

300

150

150 20010050

MPa

0µm

Verschleißmarkenbreite VBc

300200100

500

N

0

Pas

sivk

raft

Fp

σII Fp

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität

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241

gestauchten Randschichten werden gedehnt; es entstehen Zugeigenspannungen mit steilen Gradienten. Der Effekt ist um so ausgeprägter je stärker die Reibung, d.h. die Verschleißmarkenbreite und damit die Passivkräfte sind (Abb. 11.5). Die Span-nungen können durch überlagerte umwandlungsbedingte Eigenspannungen noch verstärkt oder abgeschwächt werden, wenn während des Bearbeitungsvorgangs mit Volumenänderungen verknüpfte Phasenumwandlungen auftreten.

Abbildung 11.6 gibt eine Abschätzung des Energieeintrags in die Oberfläche eines Bauteils und damit der thermischen Belastung für einen Hartdreh- und einen

Abb. 11.5 Eigenspannungsverlauf unterhalb der Werkstückoberfläche

PKB, BN 3Al2O3/TiC, CM 1

γeff α ε κeff rε– 26° 6° 90° 15° 1,6 mm

vc = 220 m/min; f = 0,1 mm; ap = 0,2 mm

Werkstück: 16 MnCr 5 Härte: 60 ... 62 HRC

Werkzeuggeometrie:

100Tiefe

20 30

– 200

0

200

400

600

MPa

800

– 40040 50 60 70 m 90

VBc = 200 µm

VBc = 50 µm

Eig

ensp

annu

ng σ

II

11.3 Physikalische Beeinflussung

Abb. 11.6 Abschätzung der Energieaufteilung beim Hartdrehen und Schleifen [TÖK97]

Einstellung

Leistung

Leistungsaufteilung

Kräfte

spez. Leistung

spez. Wärmestrom

spez. Streckenenergie

Kontaktzeit

Hartdrehen Schleifen

vc = 35 m/s, ap = 2,5 mm

Fc = 300 N

Ic = 0,8 mm, VB = 0,2 mm

Pc = Fc·vc = 750 W Pc = Ft vc = 2.450 W

Pc" = Pc / (ap Ic) = 4.688 W/mm2

Pc" = Pc / (ap Ic) = 1.633 W/mm2

R = 0,15 R = 0,35

qw" = R Pc" = 703 W/mm2 qw" = R Pc" = 572 W/mm2

tc = VB/vc = 0,08 ms tc = Ig vc = 28,8 ms

ec = qw" tc = 0,056 J/mm2

ec = qw" tc = 16,5 J/mm2

Ig = 0,6 mm

Ft = 70 N

vc = 150 m/min

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242

Schleifprozess wieder, die auf gemessenen Kräften und Werkzeugverschleiß beruht [TÖK97].

11.4 Wälzfestigkeit

Gefügeveränderungen, Eigenspannungsverteilungen und Härteänderungen können sich je nach Betriebsbelastung auf das Bauteilverhalten auswirken. Eine Vielzahl von gehärteten Oberflächen unterliegt im praktischen Einsatz Wälzbeanspruchun-gen. Ob für diesen Einsatzfall hartgedrehte Oberflächen günstig oder ungünstig sind, hängt von der Wälzfestigkeit ab. Einflussfaktoren sind Rauheit, Eigenspan-nungszustand nach dem Hartdrehen und nach der Wälzbeanspruchung, die Ober-flächengüte und das Gefügebild. Die unter üblichen Mischreibungsbedingungen im Wälzkontakt auftretende plastische Verformung der Oberfläche führt dazu, dass die nach dem Hartdrehen an der Werkstückoberfläche vorliegenden Zugeigenspannun-gen abgebaut werden wie in Versuchen festgestellt werden konnte [BOR01, LIE98]. Diese haben somit keinen negativen Einfluss auf die Wälzfestigkeit. Das Gefüge-bild bleibt im Wesentlichen nach der Wälzbeanspruchung erhalten, wenn auch bei sehr hohen Lastspielzahlen ein Abtrag der weißen Schicht festzustellen ist, was aber als normaler Verschleiß und nicht als ein Versagen angesehen wird. Maßgeblich für einen Schadensverlauf ist vor allem die Oberflächenqualität. Insbesondere unter Schlupf ist eine niedrigere Rauheit gegenüber den schlupffreien Bedingungen er-forderlich, um eine Pittingbildung zu vermeiden. Unter Pittingbildung versteht man eine Ermüdung des Materials im Wälzkontakt, der mit einem progressiven Scha-densverlauf mit muschelförmigen Abplatzungen des Werkstoffs einhergeht.

Lebensdaueruntersuchungen hartgedrehter Innenringe von Zylinderrollenlagern zeigen, dass hartgedrehte Lager eine vergleichbare Lebensdauer bei ähnlichem Mit-tenrauwert Ra wie geschliffene und gehonte Lager erreichen. Auch wenn Randzo-nenschädigungen in Form weißer Schichten in der Randzone auftreten, werden die rechnerisch ermittelten Lebensdauern der Wälzlager auf dem Prüfstand bestätigt.

11.5 Schwingfestigkeit

Eine weitere entscheidende Bauteileigenschaft, insbesondere für gehärtete Werk-stücke, ist die Schwingfestigkeit. Diese reagiert außerordentlich empfindlich auf Veränderungen der Randzone, da in der Regel Ermüdungsrisse von der Oberfläche ausgehen [SIG93].

Die Schwingfestigkeit ist vor allem für Bauteile mit stark ausgeprägten konst-ruktiven Kerben von besonderer Bedeutung. Große Querschnittsübergänge, Nuten, Frei- und Einstiche, die als Formelemente beispielsweise an Getriebewellen, Kur-belwelle oder Achsschenkeln zu finden sind, stellen konstruktive Kerben dar. Aus der geometrischen Kerbwirkung resultiert eine Spannungsüberhöhung im Kerb-

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität

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243

grund, die zu einer Schwächung des Bauteils führen kann. Daneben ergibt sich ein mikrogeometrischer Kerbeinfluss durch die Rauheit der Oberfläche.

Im Gegensatz zur Wälzbeanspruchung tritt bei Torsions- und Biegebeanspru-chungen die maximale Spannung direkt an der Oberfläche auf, wo auch durch das Hartdrehen die kritischen Veränderungen des Randzonenzustandes entstanden sind.

Zur Untersuchung der Dauerfestigkeit von Bauteilen werden üblicherweise Wöhlerversuche unter schwingender Beanspruchung durchgeführt. Eine zur An-wendung statistischer Methoden genügende Anzahl von Proben durchläuft für unterschiedliche Amplituden der Biegespannung einen Prüfzyklus bis zum Bruch. Wie in Abb. 11.7 oben rechts schematisch dargestellt, wird die ertragene Anzahl von Lastwechseln logarithmisch über der Amplitude der Biegespannung aufgetra-gen. Es ergibt sich eine Gerade mit negativer Steigung, die bei einem bestimmten Spannungswert und einer bestimmten Anzahl von Lastwechseln abknickt und einen horizontalen Verlauf annimmt. Unterhalb dieser Waagerechten gelten die Bauteile als dauerfest.

Bei einer Beanspruchung hartgedrehter Bauteile durch Wechselbiegung unter Lasten, die deutlich kleiner als die Zugfestigkeit des Werkstoffs sind, hat der Eigen-spannungszustand nach dem Hartdrehen einen entscheidenden Einfluss auf die Dauerfestigkeit. Abbildung 11.7 zeigt die Dauerfestigkeit hartgedrehter Bauteile im Vergleich zu einem geschliffenen Referenzbauteil. Liegen nach dem Hartdrehen mit verschlissenen Werkzeugen (VBc = 100 µm) mittelhohe Zugeigenspannungen im Bereich von ca. 150–350 MPa vor, kommt es zu einem merklichen Abfall der Dau-erfestigkeit verglichen mit den Bauteilen, die mit arbeitsscharfer Schneide bearbei-tet werden. Hartgedrehte und geschliffene (druckeigenspannungsbehaftete) Ober-flächen erreichen bei vergleichbarer gemittelter Rautiefe Rz ≈ 3 µm nahezu gleiche

11.5 Schwingfestigkeit

Abb. 11.7 Dauerfestigkeit hartgedrehter Bauteile unter Biegewechselbeanspruchung

Dau

erfe

stig

keit

σ aD

400

600

300

200

100

MPa

0

20 µm

20 µm

136 %

100 % 100 %92 %

134 %

σ ES =

–26

0 M

Pa

σ ES =

–63

0 M

Pa

σ ES =

+27

0 M

Pa

σ ES =

+59

0 M

Pa

σ ES =

–25

0 M

Pa

f = 0

,18

mm

Wöhler - EinstufenversuchR = –1

σu

Am

plitu

de σ

a(lo

g)

Wöhlerlinie

σaD

t

Schwingspielzahl N (log)

HartdrehenWerkzeug:PKB, DNMA 150608vc = 150 m/minap = 0,2 mmf = 0,1 mm

SchleifenWerkzeug:SG 60 K5 VCSSvc = 40 m/sQ'w,Schr.= 7 mm3/mmsQ'w,Schl.= 1 mm3/mms

Werkstoff:16 MnCr 5, 60.. 62 HRC

arbeitsscharfeSchneide

VBC ≈ 100 µm VBC ≈ 200 µm geschliffen(Referenz)

σo

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Dauerfestigkeiten. Bei sehr hohen Zugeigenspannungen nach dem Hartdrehen mit noch stärker verschlissenen Werkzeugen (VBc = 200 µm) ist ein Dauerfestigkeits-abfall von ca. 8 % gegenüber der geschliffenen Referenz festzustellen. Die höchs-ten Dauerfestigkeiten erreichen die hartgedrehten Proben, die mit arbeitsscharfer Schneide bearbeitet wurden. Eine Steigerung des Vorschubs von f = 0,1 mm auf f = 0,18 mm führt zu einer höheren mechanischen Belastung in der Randzone des Werkstücks. Dies bewirkt höhere Druckeigenspannungen von –630 MPa an der Werkstückoberfläche. Verglichen mit dem kleineren Vorschub f = 0,1 mm, der Druckeigenspannungen von –260 MPa aufweist, zeigt sich allerdings kein deut-licher Unterschied in der erreichbaren Dauerfestigkeit [BOR01].

11.6 Dichtfähigkeit

Für die Dichtfunktion eines Radialwellendichtrings ist die Qualität der Wellenober-fläche von ausschlaggebender Bedeutung. Der Einsatz von Radialwellendichtrin-gen als dynamisches Dichtelement an einer Vielzahl antriebstechnischer Bauteile erfordert für eine sichere Dichtfunktion bestimmte Rauheitswerte. Die entsprechen-den Normen sehen gemittelte Rautiefen in einem Bereich Rz = 1 bis 4 µm und maximale Rautiefen Rmax = 6,3 µm vor (vgl. DIN 3761). Neben der Anforderung an die Oberflächengüte wird eine absolute Drallfreiheit der Schleifstruktur der Gegen-fläche verlangt. Die Schleifstruktur muss daher in Umfangsrichtung liegen und darf keine überlagerten periodischen und regelmäßigen Welligkeitsanteile besitzen.

Drall entsteht beim Schleifen über den Abrichtvorgang der Schleifscheibe oder über Parallelitätsabweichungen zwischen Schleifscheiben- und Werkstücksachse. Der Abricht- und der Nulldrall sind bezüglich ihrer Ausprägung der Welligkeit zuzuordnen und der Schleifstruktur überlagert. Der Gang eines Dralls läuft über den Umfang kontinuierlich um. Die Durchgängigkeit ist solange gegeben, wie der Welligkeitsanteil des Dralls noch mindestens gleich groß ausgeprägt ist wie der Rauheitsanteil der Schleifstruktur. Eine Drallausprägung beeinträchtigt die Dicht-funktion der Fläche um so mehr, je größer der Drallwinkel ist, und je größer der Flächenquerschnitt eines oder mehrerer Gänge ist [KER92].

Die Gegenlaufflächen für Radialwellendichtringe werden konventionell durch Einstechschleifen hergestellt. Nach dem jetzigen Kenntnisstand ist das Schleifen im Einstich das unproblematischste Verfahren. Verfahrensbedingt entsteht beim Längsdrehen, also auch beim Längsdrehen gehärteter Funktionsflächen, eine Drall-struktur. Durch die Vorschubbewegung des Werkzeugs entsteht eine schraubenför-mige Drallstruktur, die praktisch einen Gang auf der Wellenoberfläche aufweist. Daher wurde das Längsdrehen als Bearbeitungsverfahren für Dichtsitze lange Zeit als ungeeignet betrachtet.

Inzwischen hat sich gezeigt, dass sich Verfahren wie das Hartdrehen und das Hartdrehen mit anschließendem Hartglattwalzen grundsätzlich für die Bearbeitung von Gegenlaufflächen für Dichtsitze eignen [RAA99]. Eingesetzt werden die hart-gedrehten Wellen vorteilhaft in Aggregaten, die vorwiegend nur in einer Richtung

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität

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245

betrieben werden, z. B. Motor, Getriebeeingang, mit Einschränkung Getriebeaus-gang, Achseingang.

Allerdings fehlen für eine problemlose Anwendung noch Erfahrungen über die Einflüsse von Fertigungsparametern. So zeigen neuere Untersuchungen, dass die sich durch unterschiedliche Vorschübe einstellenden unterschiedlichen Steigungen der schraubenförmigen Drallstruktur keinen Einfluss auf die Förderwerte haben. Der Förderwert eines Dichtsystems ist dabei eine charakteristische Größe zur Be-schreibung der Leckageneigung des Systems Radialwellendichtring-Gegenlauff-läche. Höhere Förderwerte deuten auf mögliche Leckagen hin. Die Förderwerte hartgedrehter Dichtsitze steigen zwar mit zunehmendem Werkzeugverschleiß an, aber dennoch werden durch Drehen mit dem Schleifen vergleichbare Förderwerte erreicht bzw. nicht überschritten.

11.7 Nachbehandlungsverfahren

Eine Möglichkeit, auf die sich nach der Hartbearbeitung einstellende Werkstück-randzone Einfluss zu nehmen, besteht in der Nachbehandlung durch spanende, umformende oder andere eigenschaftsändernde Verfahren. Die Anwendung eines zusätzlichen Verfahrens muss dabei unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit nicht zwangsläufig negativ bewertet werden. So existiert mittlerweile eine Fülle indus-trieller Anwendungen, für die sich Verfahrenskombinationen aufgrund des günsti-geren Bauteilverhaltens etabliert haben, wie beispielsweise Schleifen/Honen von Lagerlaufbahnen [SCH76], Schleifen/Festwalzen von Kurbelwellen oder Schleifen/Kugelstrahlen von Verzahnungen. Weitere Verbreitung haben bei der Nachbehand-lung hartgedrehter Werkstücke insbesondere die Verfahren hydrostatisches Fest-walzen oder Wasserstrahlen.

11.7.1   Hartglattwalzen

Durch Verwendung speziell an die Anforderungen des Glattwalzens hochfester Werkstoffe angepasster Werkzeuge ist die Bearbeitung gehärteter Stähle mit Härten bis zu 62 HRC möglich. In diesem Zusammenhang spricht man vom Hartglattwal-zen. Typische Anwendungen für das Glattwalzen sind die Nachbehandlungen von gleitenden Bauteilen, wie Lagerzapfen, Ventilschäften, Wellendichtsitzen, Gleitfüh-rungen und Bremszylindern. Wirtschaftliche Vorteile für das Hartglattwalzen erge-ben sich aus kurzen, mit dem Drehen vergleichbaren Hauptzeiten, einem geringen Schmierstoffbedarf, langen Werkzeugstandzeiten und der Möglichkeit der Bearbei-tung in einer Aufspannung [ECO99]. Das Hartglattwalzwerkzeug kann sowohl in konventionellen als auch in CNC-gesteuerten Drehmaschinen eingesetzt werden, wobei das Werkzeug mittels Spannleiste in Standard-Klemmhaltern gespannt wer-den kann.

11.7 Nachbehandlungsverfahren

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246

Die Wirkungsweise des Hartglattwalzwerkzeugs beruht auf dem hydrostatischen Prinzip. Eine keramische Hartwalzkugel wird durch ein Druckmedium gegen die Werkstückoberfläche gedrückt. Dabei werden Walzdrücke von bis zu 50 MPa er-reicht. Die Kugel schwimmt auf einem Druckpolster und ist somit reibungsarm gelagert. Wie im linken Bildteil von Abb. 11.8 gezeigt, ist die Kinematik des Hart-glattwalzens analog zum Drehen durch eine rotatorische Bewegung des Werkstücks (Walzgeschwindigkeit vw) und eine Vorschubbewegung des Werkzeugs entlang der Werkstücklängsachse (Walzvorschub fw) gekennzeichnet.

Beim Hartglattwalzen kommt es aufgrund des geringen Durchmessers der Kera-mikkugel bereits bei vergleichsweise geringen Kräften zu hohen Hertz’schen Pres-sungen, die zum Überschreiten der Fließgrenze und einer Einebnung von Rauheits-spitzen führen. Bei einem Walzdruck von 30 MPa wird beispielsweise eine maxi-male Hertz’sche Pressung von ca. 7500 N/mm2 erreicht. Dabei wirkt eine Walzkraft von etwa Fw = 850 N über die Walzkugel auf die Werkstückoberfläche.

Durch plastische Verformungen in der Randzone werden Zugspannungen nach dem Hartdrehen mit verschlissenen Werkzeugen in den Druckspannungsbereich überführt. Rautiefenschwankungen bzw. der durch den Werkzeugverschleiß resul-tierende Anstieg der Rautiefe kann durch das Hartglattwalzen reduziert werden.

Der in der rechten oberen Bildhälfte von Abb. 11.8 dargestellte Vergleich des Rauheitsprofils nach dem Hartdrehen und anschießenden Glattwalzen zeigt eine deutliche Einebnung der Rauheitsspitzen durch das Glattwalzen. Das charakteristi-sche Profil einer gedrehten Oberfläche bleibt erhalten.

Die rechte untere Bildhälfte von Abb. 11.8 verdeutlicht die Abhängigkeit der erzielbaren Oberflächengüte nach dem Glattwalzen von dem Niveau der Ausgangs-rauheit nach dem Hartdrehen. Hierzu wurden in Abhängigkeit vom Vorschub und Werkzeugverschleiß unterschiedliche Ausgangsrauheiten eingestellt.

Abb. 11.8 Oberflächengüte nach dem Hartdrehen und Hartglattwalzen

Hydraulik-anschluss

fw

pw

Spannleiste

Werkstück

Werkstoff:100Cr660 - 62 HRC

Hartdrehen

vc = 150 m/minap = 0,2 mmf = 0,18 mm

Schneidstoff: PKBGeometrieDNMA 150616VBc = 220 µm

Hartglattwalzen

Kugel d = 6 mmvw = 150 m/min

fw = 0,08 mmpw = 30 MPa

hartgedreht hartgedreht + glattgewalzt

Rauheitsprofil

Rz = 5,2 µm

VBc = 0,05 mm

VBc = 0,22 mm

Rz = 3,2 µm

2,5 µm250 µm

gem

ittel

te R

auht

iefe

Rz

4

3

2

1

µm

6

00,08 0,12 0,140,06 0,1 mm

Vorschub Hartdrehen f

hartgedreht

hartgedreht + glattgewalzt

0,18

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität

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247

Liegen die Ausgangsrauheiten über einer gemittelten Rautiefe von Rz = 2 µm, kann eine Verbesserung der Oberflächengüte im Bereich von 40 % bis nahezu 50 % erzielt werden. Bei einer Ausgangsrauheit unterhalb von Rz = 2 µm, ist noch eine Verringerung des Rauheitswertes bis um 30 % möglich, was darauf zurückgeführt werden kann, dass mit zunehmender Profiltiefe ein erhöhtes Materialvolumen vor-liegt, das plastisch verformt werden muss. Wie gezeigt, können somit auch beim Glattwalzen Oberflächengüten im Bereich von Rz = 1 bis 2 µm erzielt werden.

Neben einer Veränderung der Oberflächenqualität führt die mechanische Bean-spruchung beim Glattwalzen zu einer Modifizierung des Eigenspannungszustan-des. Die nach dem Hartdrehen an der Werkstückoberfläche vorliegenden sehr ho-hen Zugeigenspannungen können durch das Glattwalzen bei einem Walzdruck von pgl = 20 MPa nahezu abgebaut werden. Bei einem Walzdruck von pgl = 30 MPa wird eine vollständige Verlagerung des Oberflächeneigenspannungszustandes in den Druckbereich erreicht. Mit zunehmender Werkstücktiefe werden durch das Glatt-walzen sehr hohe und ausgeprägte Druckeigenspannungen induziert, die Maximal-werte von –900 MPa in tangentialer Richtung annehmen. Nach dem Hartdrehen entstandene Gefügeumwandlungen in Form weißer Schichten werden durch das Hartglattwalzen nicht beeinflusst.

11.7.2   Wasserstrahlen

Das Hochdruck-Wasserstrahlen ist als trennendes Verfahren seit langer Zeit be-kannt. Wassertropfen können aber auch die Festigkeit von Stahlwerkstoffen stei-gern, wenn sie mit entsprechend hoher kinetischer Energie auf die Oberfläche auf-treffen. Auf Basis dieser Kenntnis hat sich das Wasserstrahlen in den letzten Jahren auch zu einem Verfahren der Oberflächenbehandlung entwickelt [KRO95]. Ein we-sentlicher Vorteil liegt dabei gegenüber dem Kugelstrahlen in der Anwendbarkeit für ein breites Spektrum an Bauteilgeometrien. Die festigkeitssteigernde Wirkung des Wasserstrahlens beruht auf dem gezielten Einbringen von Druckeigenspannun-gen sowie auf der Erhöhung der Härte.

Ursache für die Entstehung randnaher Druckeigenspannungen durch das Was-serstrahlen ist das Auftreffen von Flüssigkeitspartikeln auf die feste Werkstoff-oberfläche mit hohen lokalen Druckspitzen. Es kommt zu einer plastischen Ver-formung der randnahen Werkstoffbereiche mit gleichzeitiger Kaltverfestigung. Die Werkstückoberflächen bleiben nach der Behandlung durch Wasserstrahlen frei von Spuren sichtbarer plastischer Verformung. Oberflächentopographie und Rautiefe werden dabei im Gegensatz zu den Verfahren Festwalzen und Kugelstrahlen nicht verändert [KRO95]. Voraussetzung für den Einsatz des Wasserstrahlens als rand-schichtverfestigendes Verfahren sind ausreichend hohe Strahldrücke und geeigne-te Düsengeometrien. Beim Wasserstrahlen einsatzgehärteter Werkstoffe, die durch Hartdrehen mit verschlissenen Werkzeugen bearbeitet werden, wird der typische Eigenspannungstiefenverlauf mit Zugeigenspannungen im oberflächennahen Be-reich durch das Wasserstrahlen deutlich in den Druckspannungsbereich verlagert

11.7 Nachbehandlungsverfahren

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248

(Abb. 11.9). Die Einwirkdauer beim Wasserstrahlen beträgt für gehärtete Werk-stoffe ts = 15 s bei einem Strahldruck von ps = 100 MPa. Die Wirkung der Strahl-behandlung ist direkt an der Oberfläche am größten und nimmt kontinuierlich mit wachsendem Abstand vom Rand ab. In einer Tiefe von etwa 15 bis 20 µm liegt keine Beeinflussung des Spannungsverlaufs mehr vor. Die grundsätzlich geringere Eindringtiefe verglichen mit dem Kugelstrahlen stellt daher bei der Anwendung des Hochdruck-Wasserstrahlens in der Verfahrensfolge Hartdrehen/Wasserstrahlen keinen Nachteil dar, da die kritischen Wirkungen des Hartdrehens im Allgemeinen nicht in größere Tiefen reichen.

Für einsatzgehärtete, geschliffene Umlaufbiegeproben zeigt sich eine deutliche Biegewechselfestigkeitssteigerung von ca. 30 % nach dem Hochdruck-Wasser-strahlen. Bei hartgedrehten Proben, die mit verschlissenem Werkzeug bearbeitet wurden, kann der Schwingfestigkeitsabfall durch Hochdruck-Wasserstrahlen wie-der kompensiert werden [BRA95].

Als weitere Vorteile des Verfahrens sind minimale Kosten für Bereitstellung und Aufbereitung des Strahlmittels, flexible Anwendbarkeit auf eine große Vielfalt von Werkstückgeometrien und eine einfache Qualitätssicherung durch leicht zu über-wachende Verfahrensparameter zu nennen.

Fragen

1. Wodurch entstehen Formfehler beim Hartdrehen oder Hartfräsen?2. Wodurch ist die „Theoretische Rauheit“ beim Drehen definiert, welches sind die

Einflussgrößen?

Abb. 11.9 Druckeigenspannungen in hartgedrehten Werkstücken durch Wasserstrahlen

hartgedreht

wassergestrahlt

600

MPa MPa

200 200

0 0

– 200 – 200

– 400 – 400

– 600 – 600

– 800 – 800

0 10 20 30 40 µm 60

Abstand vom Rand

Eig

ensp

annu

ngen

σII

ESP-Messung: τmax ≈ 6µm

0° 15° 30° 45° 60° 75° 90°Messrichtung

hartgedreht

wassergestrahlt(ps = 100 MPa, ts = 15 s)

wassergestrahlt(ps = 100 MPa, ts = 15 s)

600

Werkstoff: 16MnCrS560 ...62 HRC

Werkzeug: PKB, BN 3SNGN 120416

f = 0,1 mmap = 0,2 mm

vc = 145 m/minVBc = 150 m

(σII)E

igen

span

nung

en σ

(σ⊥)

11 Hartbearbeitung, Bauteilqualität

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249

3. Wie ist erklärbar, dass beim Hartdrehen die tatsächliche Rauheit im niedrigerem Schnittgeschwindigkeitsbereich stärker von der theoretischen abweicht?

4. Was sind die typischen Randzonenveränderungen, die durch Hartbearbeitung entstehen?

5. Wie erklärt sich die Entstehung von Zugeigenspannungen in der Oberfläche, wie wirkt sich ein höherer Werkzeugverschleiß aus?

6. Nennen Sie Oberflächen- und Randzoneneigenschaften, die das Betriebsverhal-ten von Bauteilen beeinflussen können.

7. Welche Wirkungen wurden als Folge der Oberflächen- und Randzonenbeein-flussungen festgestellt?

8. Welche Nachbehandlungsverfahren sind Ihnen bekannt? Was bewirken sie?

Literatur

[BOR01] Borbe, C.: Bauteilverhalten hartgedrehter Funktionsflächen. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover, 2001.

[BUS91] Bußmann, W.: Formfehleranalyse beim Planfräsen gehärteter Bauteile. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover, 1991

[BRA95] Brandt, D.: Randzonenbeeinflussung beim Hartdrehen. Dr.-Ing. Diss. Universität Han-nover.

[DIN3761] Radial-Wellendichtringe für Kraftfahrzeuge; Begriffe; Maßbuchstaben, zulässige Ab-weichungen, Radialkraft. Hrsg. Beuth Verlag 1984

[ECO99] Hartglattwalzen-Status von Forschung und Anwendung. Anwendungsbeschreibung Nr. 5593, Fa. Ecoroll, Celle, 1999.

[KER92] Kersten, W.: Optische und antastende Prüfung der Gegenlauffläche von Radialwellen-dichtringen. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover, 1992

[KLB05] Klocke, F.; Brinksmeier, E:; Weinert, K: Capability Profile of Hard Cutting and Grinding Processes. Annals of the CIRP 54, (2005), 2 p557-580

[KRO95] Kroos, F.: Randschichtverfestigung durch Hochdruck-Wasserstrahlen. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover, 1995

[LIE98] Liermann, J.: Hartdrehen wälzbelasteter Bauteile. Dr.-Ing. Diss. RWTH Aachen, 1998[RAA99] Raab, H.; Haas, W.: Tribologische Partner: Radialwellendichtring und Gegenlauffläche

Antriebstechnik, Band 38 (1999) Heft 4, Seite 133-135[SCH76] Schreiber, E.: Die Werkstoffbeeinflussung weicher und gehärteter Oberflächenschichten

durch spanende Bearbeitung. VDI-Bericht Nr. 256 (1976), S. 67-79[SIG93] Sigwart, A.: Bauteilrandschicht und Schwingfestigkeit. Dr.-Ing. Diss. TU Clausthal, 1993[SÖL10] Sölter, J.: Ursachen und Wirkungsmechanismen der Enstehung von Verzug infolge spa-

nender Bearbeitung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Bremen, 2010[TÖK97] Tönshoff, H.K.; Karpuschewski, B.; Borbe, C.: Comparison of basic mechanisms in

cutting and grinding of hardened steel. Production Engineering, IV/2, p. 5-8.[WEL98] Welk, R.W.: Erfahrungen und Grenzen bei der Hartfeinbearbeitung auf CNC-Dreh-

maschinen, VDI-Seminar „Rationalisierungspotentiale in der spanenden Bearbeitung“, 5.-6. März, 1998

Literatur

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251

Das Räumen ist ein produktives spanendes Verfahren der Serienfertigung. Funk-tionsflächen hoher Oberflächengüte bei hoher Maß- und Formgenauigkeit können durch einen einzigen Werkzeughub erzeugt werden. Das Verfahren zeichnet sich durch hohe Zerspanleistung aus.

Ein Räumwerkzeug, das eine geradlinige Schnittbewegung ausführt, ist aus mehreren/vielen gestaffelt angeordneten Schneiden aufgebaut (Abb. 12.1). Spe-zielle Varianten (Drehräumen, Wälzschaben von Evolventenflächen) spanen mit rotierenden Schnittbewegungen. Das Räumen ist das einzige spanende Verfahren, das ohne Vorschubbewegung arbeitet; denn der Eingriff von Schneide zu Schneide wird durch deren Staffelung erreicht. Die Spanungsdicke ist also durch das Werk-zeug vorgegeben.

Es ist zwischen dem Innen- und Außenräumen zu unterscheiden. Beim Innenräu-men wird ein Werkzeug durch eine vorgearbeitete Bohrung gezogen oder gedrückt.

Typische Anwendungen des Innenräumens sind die Herstellung von profilierten Bohrungen wie Vierkanten, Mehrkanten, Vielkeilprofile, Innenverzahnungen und Nuten (Abb. 12.2). Da die profilgebundenen und wegen der Staffelung (Spanungs-dicke) meist auch werkstoffgebundenen Werkzeuge durch ihren komplexen Aufbau aufwendig sind, wird das Innenräumen entweder nur in der Serienfertigung einge-setzt oder für die Herstellung von genormten oder sonstigen standardisierten Pro-filen, wenn ein aufwendiges Werkzeug über eine größere Zahl von Aufträgen oder unterschiedlichen Einsätzen amortisiert werden kann (Beispiel: genormte Vielkeil-profile). Das Außenräumen dient der Herstellung von ebenen oder profilierten Flä-chen. Es ist häufig die produktivere Alternative zum Fräsen. Allerdings ist auch hier ausreichende Seriengröße vorauszusetzen (Abb. 12.2).

Während eines Werkzeughubes werden im Allgemeinen Schrupp-, Schlicht-, Feinschlicht- und Kalibriervorgänge ausgeführt. Durch Variation der Staffelung lassen sich die Spanungsdicken entsprechend anpassen. Die höchsten Kräfte treten in der Schruppphase auf.

Durch Räumen lassen sich hohe Maß- und Formgenauigkeiten bis IT 7 (normal IT 8) erreichen. Auch hohe Oberflächengüten Rz bis 5 µm (normal Rz = 6,3 µm bis 25 µm, mit besonderem Aufwand bis 1 µm) können erzeugt werden. Die Lage-genauigkeit kann beim Innenräumen allerdings kritisch sein; denn die Werkstücke

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 12Räumen

Page 266: Spanen ||

252

werden meist schwimmend aufgelegt und die schlanken Werkzeuge besitzen nur eine geringe Quersteifigkeit.

Räumwerkzeuge werden meist aus Schnellarbeitsstahl gefertigt. Üblich sind die Schneidstoffe HS 6-5-2, HS 6.-5-2-5 oder HS 2-9-2 mit Härten von 64 HRC bis 66 HRC. Wegen der stoßartigen Belastung der Schneiden muss der Schneidstoff

Abb. 12.1 Innenräumwerkzeug mit Staffelung

Spannschaft

Kalibrieren

Schlichten

Schruppen

Spannschaft

Nachschliff

Spanraum

Teilung Is

h

Staffelung,Vorschub je ZahnSpanungsdicke

Abb. 12.2 Innen- und außengeräumte Profile

Innenprofile

Außenprofile

12 Räumen

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253

ausreichend zäh sein. Die Räumwerkzeuge können zur Erhöhung des Standweges mit Titannitrid (TiN) oder Titancarbonitrid (TiCN) beschichtet werden. Wegen des gehärteten Schnellarbeitsstahles können nur Beschichtungsverfahren mit Arbeits-temperaturen unterhalb der Anlasstemperatur eingesetzt werden. Das sind PVD-Verfahren bei 480 °C bis 500 °C. Wegen ihres hohen Wertes werden Räumwerk-zeuge mehrfach nachgeschliffen. Dies erfolgt an der Spanfläche, wobei die Erst-beschichtung dort verloren geht. Gleichwohl hat die Beschichtung auf der Freiflä-che eine Stützwirkung und verzögert den Verschleiß. Um die Nachschliffstärke in Grenzen zu halten, wird vorteilhafterweise nur bis zu einer Verschleißmarkenbreite von 0,2 mm gearbeitet. Für Großserien werden in einigen Fällen auch Räumwerk-zeuge mit Hartmetalleinsätzen verwendet. Die Wirtschaftlichkeit für die Wahl des Schneidstoffes ist dabei zu prüfen.

Werkstoffe mit Festigkeiten in einem weiten Bereich von 400 N/mm² bis 1000 N/mm² lassen sich räumen. Es hat sich allerdings bewährt, Stahlwerkstücke in Festigkeiten von 500 bis 900 N/mm² zu halten, um die Schneiden nicht zu über-lasten (hohe Festigkeit) oder um Schmieren und ungünstige lange Späne (geringe Festigkeit) zu vermeiden.

An jeder Schneide greift eine linienförmig verteilte, räumlich geneigte Zer-spankraft an. Sie lässt sich zu einer diskreten Kraft Fz zusammenfassen und in drei Komponenten zerlegen: in die Schnittkraft Fc in Schnittrichtung, senkrecht dazu und normal zur erzeugten Oberfläche die Schnittnormalkraft FcN und senkrecht auf beiden Komponenten die Passivkraft Fp (Abb. 12.3).

Abb. 12.3 Kräfte an der Schneide

Werkstück

FcNFcN

Fc

FzFc Fp

Fp

Fc

Vc

dw

Span

h

Schneide

Vc

IsIw

λ

Tö/35866

Räumwerkzeug

Räumen

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254

Die Passivkraft Fp verschwindet nur dann nicht, wenn die Schneiden gegen die Schnittrichtung geneigt sind (λ ≠ 0). Die Schnittkraft lässt sich – wie vorn ausge-führt – mit dem Ansatz von Kienzle über die spezifische Schnittkraft kc ermitteln:

(12.1)

und die Schnittkraft ist dann

(12.2)

In Gl. 12.2 ist die Spanungsbreite bj durch die Länge der im Eingriff befindlichen j-ten Schneide gegeben. Wird z. B. eine kreisförmige Bohrung geräumt, ist das der Kreisumfang. Die Spanungsdicke hj ergibt sich aus der Staffelung und z ist die Anzahl der Schneiden. Der Faktor gj berücksichtigt ob die jeweilige Schneide im Eingriff ist oder nicht und ist demnach entweder 1 oder 0. Die Werkzeugteilung ls bestimmt über die Staffelung die Länge des Räumwerkzeugs, die durch den maxi-malen Hub der Räummaschine begrenzt ist. Die minimale Teilung ls,min folgt aus dem notwendigen Spanraum, der zwischen den einzelnen Schneiden zur Verfügung gestellt werden muss, einem Zuschlag für den Nachschliff an der Spanfläche der Schneiden und einer Restdicke des Schneidkeils (s. Abb. 12.1). Eine übliche Er-fahrungsformel ist [SCH80]

(12.3)

mit der Spanungsdicke h, dem Schnittweg lw und dem Spanraumfaktor c. Der Span-raumfaktor wird in Abhängigkeit des Werkstoffes angesetzt (Tab. 12.1).

Die Anordnung der Schneiden wird meist so gewählt, dass eine Tiefenstaffelung entsteht. Das bedeutet, dass die Schneiden parallel zur Endkontur liegen. Bei einer Seitenstaffelung wird das Material quer zur Endkontur geräumt (Abb. 12.4). Seiten-staffelung wird eingesetzt, um überhöhten Verschleiß bei Guss- oder Schmiedehaut eines Werkstücks zu umgehen. Die Spanungsdicken sind durch die Staffelung des Räumwerkzeugs festgelegt. Tabelle 12.1 gibt einige Anhaltswerte, wobei zwischen dem Schruppen und Schlichten unterschieden werden muss.

Durch den periodischen Schneideneingriff kommt es zu Kraftschwankungen und damit zur Schwingungsanregung der Maschine. Abbildung 12.5 zeigt den Kraft-Zeitverlauf für ein gerade genutetes (λ = 0) und ein schräg genutetes (λ ≠ 0) Werk-

kc =Pc

Qw= kc1.1(h/ho)

−mc

Fc = kc

z∑

j=1

bj hj gj

ls = 2,5√

h · lw · c

12 Räumen

Tab. 12.1 Spa-nungsdicken, Spanraumzahlen und Schnittgeschwindig-keiten

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255

zeug. Für das Innenräumen werden im Allgemeinen gerade genutete Werkzeuge verwendet; denn schräge Nuten sind aufwendiger herzustellen. Beim Außenräumen dagegen sorgt ein endlicher Neigungswinkel für einen sanfteren Kraftanstieg und damit kommt es zu erheblich geringerer dynamischer Belastung des Systems Ma-schine-Werkzeug-Werkstück. Eine Fourierzerlegung des trapezförmigen Kraftver-laufs ergibt

(12.4)

mit der Zeit t und

FcTR =4 Fc

πα

[1

12sin α sin +

1

32sin 3α sin 3 t +

1

52sin 5α sin 5 ...

]

α =2 π

lwa ; =

2 π

lsvc ; a = dw tan λ

Abb. 12.4 Staffelung von Räumwerkzeugen

Werkstück

Werkzeug

Tiefenstaffelung Seitenstaffelung

Abb. 12.5 Schnittkraftzeitverlauf

Sch

nittk

raft

Fc

Sch

nittk

raft

Fc

Iw Iw

Is

Is Is

Is

a a

FcTR FcRE

λ ≠ 0 λ = 0

RäumhubRäumhub

Räumen

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256

Für den Fall λ = 0 ist die Funktion nach Gl. 12.4 nicht erklärt, da Zähler und Nenner gleichzeitig verschwinden. Mit der Regel von L’Hospital lässt sich ein Grenzwert für den rechteckigen Kraftverlauf FcRE angeben

(12.5)

Man entnimmt Gl. 12.4, dass die Anregung mit der Grundfrequenz f = ½ πΩ = vc/ls do-minant ist. Anders liegen die Verhältnisse bei steiler Eingriffsflanke FcRE (s. Gl. 12.5). Zum einen ist das Amplitudenverhältnis (nur über das erste Glied gerechnet) um den Faktor

(12.6)

größer, zum anderen sind bei steiler Flanke die Folgeglieder der Reihe erheblich größer. Das bedeutet, dass die Anregung bei λ = 0 um ein Mehrfaches stärker ist und auch höhere Eigenfrequenzen wesentlich stärker angeregt werden. In diesem Fall – also insbesondere beim Innenräumen – ist das dynamische Verhalten der Maschine und des Räumwerkzeugs mit seiner Einspannung besonders kritisch.

Die meisten Innenräummaschinen arbeiten mit gezogenen Werkzeugen. Dann ist gerade in der Anfangs- oder Schruppphase der unbelastete Teil des Räumwerkzeugs lang und neigt zu erheblichen Biegeschwingungen. Einige Innenräummaschinen arbeiten daher mit drückendem Werkzeug. Diese Anordnung hat zwar den Vorteil, dass das Werkzeug mit seiner Einspannung gut geführt ist, weist aber den Nachteil auf, dass die Werkzeuge auf Knicken beansprucht werden, was kritisch sein kann.

Eine in diesem Zusammenhang interessante Anordnung bietet eine Zug-Druck-Räummaschine. Das Werkzeug wird an beiden Enden fest eingespannt; durch eine Druckstange werden beide Spannbrücken fest miteinander gekoppelt und gemein-sam angetrieben. Das Prinzip und ein Federersatzbild zeigen Abb. 12.6 und 12.7.

Je nach Ausführung des Räumwerkzeugs kann dies das nachgiebigste Element im Kraftfluss sein. Man kann im mechanischen Sinne die kraftdurchflossenen Kom-ponenten einer Räummaschine von der Wirkstelle, wo Werkzeug und Werkstück im Kontakt sind, über das Räumwerkzeug, den oder die Räumschlitten, das Gestell der Maschine bis zur Werkstückbrücke als eine Kette von in Reihe geschalteten Federn auffassen. Die Gesamtsteifigkeit kges ergibt sich zu

(12.7)

Das heißt, dass die Gesamtsteifigkeit immer geringer ist als die geringste Steifigkeit einer der Komponenten.

Wie in Abb. 12.6 zu erkennen ist, wird das Räumwerkzeug zwischen einer obe-ren und unteren Brücke eingespannt, nachdem es in das Werkstück eingeführt ist. Die beiden Brücken werden gleichlaufend vorgeschoben.

FcRE = limλ→0

FcTR =4 Fc

π

[sin t +

1

3sin 3 t +

1

5sin 5 + ...

]

FcRE/FcTR = α/ sin α

1

kges≥

n∑

i=1

1

ki

12 Räumen

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257

Abb. 12.6 Zug-Druck-Innenräummaschine (Bauart LLR, Balve)

AntriebÖffnungs-zylinder

Spannzange

Druckbrücke

Druckstange

Räumwerkzeug

Kugelroll-spindeln

Werkstück

Spannzange

Zugbrücke

Abb. 12.7 Kräftegleichgewicht

F F

FFks

ko

ku

Fu

Fu

Fu

Fo

Fo

Fu

Druckstange

Räumwerkzeug

Werkstück

Maschine

Mechanisches Ersatzbild Freikörperbild

Räumen

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258

Zwischen Werkzeug und Werkstück wirkt die Räumkraft F. Diese Kraft ist durch den Zerspanprozess bestimmt. Die Räumkraft wird einerseits von der Werkstück-brücke aufgenommen und andererseits von den beweglichen Schlitten, also der Druck- und Zugbrücke, in das Gestell der Maschine eingeleitet. Das System ist symmetrisch aufgebaut. Es treten folglich auch keine Kipp- oder Biegemomente auf, die bei einer unsymmetrischen Anordnung entstehen und dann durch die Füh-rungen des Räumschlittens gegenüber dem Maschinengestell aufgenommen wer-den müssen.

Wie die Räumkraft über den beweglichen Teil in die angetriebene Druckbrücke eingeleitet wird, d.h. welche Zug- und Druckkräfte im Räumwerkzeug entstehen, hängt von den Steifigkeiten der Übertragungselemente ab. Um die Kraftaufteilung zu bestimmen, wird das in Abb. 12.7 dargestellte Ersatzfederbild genutzt. Die Fe-derung der Druck- und Zugbrücke (Biegung) und der Kugelrollspindel sowie der Verbindungsstangen (Druck) wird durch die Federzahl ks wiedergegeben. Die Fede-rung des oberen und unteren Teils des Räumwerkzeugs wird durch die Federzahlen ko (oberer Teil) und ku (unterer Teil) beschrieben.

Auf das Federsystem wirken demnach von außen nur die Kräfte F und -F ein. Im Innern des Systems wirken im Räumwerkzeug unten (unterer Teil) Fu und oben Fo. Über die Kugelrollspindeln werden die Kräfte Fu auf die Druckbrücke (oben) übertragen. Folglich gilt:

(12.8)

Unter dem Einfluss dieser Kräfte verschieben sich deren Angriffspunkte um die kleinen Wege x1 am Angriffspunkt der Räumkraft und xu an der Zugbrücke (unten).

Daher gilt:

(12.9)

und

(12.10)

Da Fu außer in der Druckstange auch im unteren Teil des Räumwerkzeugs wirkt, gilt außerdem

(12.11)

Die Federzahlen ks, ku und ko lassen sich aus den Abmessungen und den elastischen Eigenschaften der kraftdurchflossenen Komponenten errechnen. Es gilt dann nach einer Kraftbilanz:

(12.12)

Um den Rechengang zu vereinfachen, wird nun angenommen, dass ks sehr viel größer ist als ko und ku

Dann werden die Gln. 12.12 zu

F − Fo − Fu = 0

F − Fu = ko · x1

Fu = ks · xu

Fu = ku · (x1 − xu)

Fo =ko · (ku + ks)

koku + koks + kuks· F Fu =

ku · (ku + ks)

koku + koks + kuks· F

ks > > ko, ku

12 Räumen

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259

(12.13)

Diese Vereinfachung ist für den Rechengang nicht prinzipiell erforderlich.Das Räumwerkzeug wird für eine elastische Rechnung als zylindrischer Stab

aufgefasst. Weiterhin wird angenommen, dass die Steifigkeiten der Druck- und Zugbrücke unabhängig von der Antriebsart für einen Vergleich nicht relevant sind. Gleichwohl sind sie auf Biegung beansprucht und tragen daher durchaus zur Ge-samtnachgiebigkeit bei.

Mit dem E-Modul E, dem Querschnitt A und der Länge des Stabes l sind die Federzahlen ko und ku über dem Weg x variabel. Es gilt damit

(12.14)

Mit Gl. 12.7 folgt dann

(12.15)

Der Kraftverlauf ist in Abb. 12.8 dargestellt.Man erkennt also, dass die Druckkraft im Räumwerkzeug gering ist, wenn die

freie Knicklänge groß ist und umgekehrt. Das hat zur Folge, dass trotz der anteili-gen Druckbeaufschlagung des Werkzeugs die Knickgefahr entscheidend gemildert wird. Andererseits wird aber das Werkzeug an beiden Enden aktiv geführt. Praxis-versuche haben gezeigt, dass die Standmengen beim Innenräumen auf Maschinen nach dem Zug-Druck-Prinzip wesentlich erhöht werden können verglichen mit kon-ventionellen Maschinen [TÖN03].

Kenngrößen für Räummaschinen sind die maximale Räumkraft und die maxi-male Räumlänge. Angeboten werden Innen- und Außenräummaschinen mit Räum-kräften bis 1200 kN und Räumhüben bis 3000 mm. Die Antriebe können elekt-romechanisch oder hydraulisch ausgeführt sein. Das Räumen ist ein schwieriges spanendes Verfahren, das hohe technologische Anforderungen stellt. Beim Innen-räumen müssen die Vorbohrungen in engen Toleranzen liegen, die geringer als die

Fo =ko

ko + ku· F Fo =

ku

ko + ku· F

ku =E · A

xko =

E · A

l − x

Fo =x

l· F Fu =

l − x

l· F

Abb. 12.8 Kräfte und Steifigkeiten

Krä

fte

Schlittenhub x Schlittenhub x

N

O OI I

Fu Ku

KoFo

Ste

ifigk

eit

K

Räumen

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260

maximale Spanungsdicke sein müssen. Zu kleine Vorbohrungen machen Räumen unmöglich. Wenn die Vorbohrungen zu groß sind, ist mit Verlaufen und großen La-geabweichungen zu rechnen. Dieser Fehler kann auch zum Verhaken und Abreißen des Werkzeugs führen. Auch muss die Auflagefläche des Werkstücks rechtwinklig zur Vorbohrung sein. Wenn besondere Lage- oder Winkligkeitstoleranzen vorge-geben sind, sollte wegen dieser beim Innenräumen nicht ohne weiteres einzuhal-tenden Toleranzen zunächst die Innenräumoperation durchgeführt werden und erst danach die Außenbearbeitung vorgenommen werden, wobei dann in den geräumten Flächen aufgenommen wird. Auch gehärtete Werkstücke lassen sich räumen. Als Schneidstoff werden dann in der Regel Hartmetall oder kubisches kristallines Bor-nitrid (PCBN) verwendet. Maschinen und Werkzeuge müssen für das Harträumen ausgelegt sein. Wegen der technologischen Schwierigkeiten des Verfahrens Räu-men müssen alle Vorkehrungen getroffen werden, dass es nicht zum Abreißen oder groben Beschädigungen der aufwendigen Werkzeuge kommt.

Fragen

1. Welche Bewegung führt ein Räumwerkzeug aus? 2. Wodurch ergibt sich die Spanungsdicke? 3. Nennen Sie typische Anwendungen des Räumverfahrens. 4. Wozu wird Seitenstaffelung eingesetzt? 5. Woraus ergibt sich die Teilung eines Räumwerkzeugs? 6. Warum ist für eine gegebene Räummaschine die Werkstückhöhe begrenzt? 7. Nennen Sie Größenordnungen für Spanungsdicken beim Räumen, Welche

Unterscheidung ist vorzunehmen? 8. Skizzieren Sie den dynamischen Schnittkraftverlauf beim Räumen für λ = 0

und λ ≠ 0. 9. Warum wird beim Innenräumen meist mit λ = 0 gearbeitet?10. Wie lassen sich aus dem Zeitverlauf die Schnittkraft die Anregungsfrequenzen

ermitteln?11. Welche Vor- und Nachteile haben Innenräummaschinen mit gedrückten

Werkzeugen?12. Wie ist der Kraftverlauf bei Zug-Druck-Anordnung einer Innenräummaschine?

Literatur

[DIN 8589-5] DIN 8589-5: Fertigungsverfahren Spanen, Teil 5: Räumen, Einordnung, Untertei-lung, Begriffe

[SCH80] Schweitzer, K.: Räumen. In G. Spur, Th. Stöferle (Hrsg.): Handbuch der Fertigungstech-nik (Band 3/2), Hanser-Verlag 1980

[TÖN03] Tönshoff, H.K.; Lübbers, E.: Produktivitätssprünge beim Räumen. ZWF 7/8 (2003)

12 Räumen

Page 275: Spanen ||

261

13.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden

Die Verfahren der Gruppe „Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden“ glie-dern sich nach DIN 8589-0 in die Verfahren Schleifen mit rotierendem Werkzeug, Bandschleifen, Hubschleifen, Honen, Läppen, Gleit- und Strahlspanen (Abb. 13.1). Es können Verfahren mit gebundenem und ungebundenem losem Korn unterschie-den werden. Diese Verfahren zählen zu den Feinbearbeitungsverfahren. Die Ent-wicklung von Hochleistungsschleifverfahren ermöglicht heute die wirtschaftliche Realisierung hoher Zeitspanvolumina, so dass die Einsatzgebiete der Verfahren mit geometrisch unbestimmter Schneide nicht mehr nur auf die Endbearbeitung be-schränkt sind.

Die Materialtrennung erfolgt weggebunden (Schleifen, Honen), kraftgebunden (Läppen) oder energiegebunden (Strahlspanen). Die Schneiden der Körner werden dabei tangential (z. B. beim Schleifen) oder normal (z. B. beim Läppen) zur entste-henden Oberfläche bewegt (Abb. 13.2). Diese Wirkbewegung bestimmt den Wirk-mechanismus: Beim normalen Eindringen der einzelnen Schneiden wird Werkstoff verdrängt und als Folge dieser keilartigen, plastischen Formänderung auch tangen-tial verschoben. Mehrere oder viele derartige Verdrängungsvorgänge [SIM88] an einer Stelle z. B. beim Läppen führen zur Zerrüttung und zum Trennen von Werk-stoffteilen. Die Körner rollen durch die Läppscheibe angetrieben gegenüber dem Werkstück ab und werden dabei ständig normal in die Werkstückoberfläche ein-gedrückt.

Beim tangentialen Eindringen der einzelnen Schneiden z. B. beim Schleifen gleicht der Vorgang grundsätzlich dem Spanen mit geometrisch bestimmter Schnei-de. Prinzipiell laufen bei den Verfahren beider Gruppen die gleichen Trennmecha-nismen ab (Abb. 13.3). Die Schneiden werden beim Schleifen allerdings durch Hartstoffkörner gebildet, wobei ein Korn mehrere aktive Schneiden haben kann. Im Regelfall sind die Größenordnungen der beteiligten Elemente erheblich gerin-ger als beim Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden. Spanen mit gebun-denem Korn geschieht in der Regel mit stark negativem Spanwinkel. Die Bahnen der Schneiden entsprechen beim Schleifen mit rotierendem Werkzeug Epizykloiden (durch Schnitt- und Vorschubbewegung). Die Form der Schneidkeile und damit die

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 13Schleifen

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262

Spanwinkel, die an der einzelnen Schneide auftretende Spanungsdicke und auch die am Einzelkorn wirksamen Prozessgrößen, wie Kräfte und Temperaturen, sind nur statistisch beschreibbar, z. B. durch Mittelwerte, Varianzen und Verteilungen.

Die Spanungsdicken beim Schleifen sind so gering, dass elastische Anteile an den Formänderungen des Werkstoffs nicht vernachlässigbar sind. Abbildung 13.4 zeigt die unterschiedlichen Phasen bei der Spanbildung. Beim Schneideneingriff kommt es nach einer rein elastischen Verformung (1) zum plastischen Fließen des Materials (2). Die eigentliche Spanbildung erfolgt nach einem weiteren Eindringen der Schneide in den Werkstoff (3). Neben der Scherung des Spans (7) ist dieser Be-reich sowohl durch elastische als auch plastische Formänderungen charakterisiert.

Abb. 13.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden (nach DIN 8589-0)

Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden

mit gebundenem Korn

Schleifen mitrotierendem Werkzeug

Bandschleifen

Hubschleifen

Honen

mit losem Korn

Läppen

Strahlspanen

Gleitspanen

Abb. 13.2 Wirkprinzipien und -mechanismen beim Läppen und Schleifen

Kühlschmierstoff

Span

gebundeneSchleifkörner

Läppen

Läppscheibe

WerkstückLäppmedium

lose Läppkörner

eingelagertesLäppkorn

Wirkbewegung

Relativgeschwindigkeit

Schleifen

Schleifscheibe

13 Schleifen

Page 277: Spanen ||

263

Dem gegenüber liegen unmittelbar vor dem Austritt des Korns aus dem Werkstoff nur noch elastische Formänderungen und die Scherung des Spans vor (4). Trotz der Ähnlichkeit des Schleifens mit den Verfahren des Spanens mit geometrisch be-stimmter Schneide bestehen einige grundsätzliche Unterschiede: Beim Schleifen kommt es vor der Schneide zu seitlichem Stofffluss, der Formänderungszustand ist dreiachsig im Gegensatz zu überwiegend zweiachsigem Fließen beim Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide [HAH63].

Abb. 13.3 Spanbildung

1 primäre Scherzone2 sekundäre Scherzone an der Spanfläche

3 sekundäre Scherzone an der Stau- u. Trennzone4 sekundäre Scherzone an der Freifläche5 Verformungsvorlaufzone

Drehen, Fräsen ca. 100 µm ca. 10 µm

Span

Span

SchneidkeilBindung

Werkstück

Schleifen

Schleif-korn vc

vc

1

1

2

23

34

4

5

5

Abb. 13.4 Phasen der Spanbildung beim Schleifen

1

1

2

2 33

4

4

5

56

6

7

7

elastische Formänderung

elastische Formänderungund Scherung des Spans

elastische und plastischeFormänderung

elastische und plastischeFormänderung (Pflügen)und Scherung des Spans

Zone elastischer Form-änderung

Zone plastischer Form-änderung

Span

vc

13.1 Spanen mit geometrisch unbestimmten Schneiden

Page 278: Spanen ||

264

13.2 Schleifstoffe

Die zum Schleifen gebräuchlichen Hartstoffe sind Aluminiumoxid, Siliziumkarbid, kubisch kristallines Bornitrid und Diamant. Diese Hartstoffe für Schleifzwecke werden heute ausschließlich synthetisch hergestellt, weil so günstige Stoffeigen-schaften in engen Grenzen erreicht werden können. Die Schleifstoffe unterscheiden sich in ihrer Härte und damit in ihrer Verschleißfestigkeit erheblich (Abb. 13.5). Aber auch in den übrigen physikalischen Kennwerten bestehen große Unterschiede (Tab. 13.1) [DOW72]. Die Härte von Diamant ist hierbei in Knoop- bzw. Vickers-

Tab. 13.1. Physikalische Eigenschaften verschiedener Schleifstoffe.

Abb. 13.5 Härte von Schleif- und Werkstoffen

Diamant

Kubisch Krist. Bornitrid

Borkarbid

Siliziumkarbid

Korund

Hartmetalle

Stahl, gehärtet

0 1000 2000 3000 4000 5000 6000Knoop Härte HK 0,1

740

1400-1800

1850-2000

2450-3000

2800

4500-5000

5000-7000

13 Schleifen

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265

härte umgerechnet. Eine direkte Härtemessung mit diesen Verfahren ist nicht mög-lich, vielmehr wird die Härte indirekt über den E-Modul ermittelt.

Neben der Härte wird mit Rücksicht auf das Verschleißverhalten die Brüchigkeit von Schleifstoffen betrachtet. Die Brüchigkeit (friability) wird in einem technolo-gischen – nicht standardisierten – Verfahren dadurch ermittelt, dass grobes Schleif-korn (Korngröße 12 US mesh) unter festgelegten Bedingungen (Kugelmasse, Mahl-zeit u. a.) kugelgemahlen wird. Das Verfahren geht auf den von Fa. DeBeers ent-wickelten „Friatester“ zurück [ANSB7418]. Der Friability Index (Bruchindex) des Schleifstoffs ist durch den Anteil der Körnung bestimmt, der durch ein Sieb der Korngröße 16 US mesh hindurch fällt. Da das Verfahren durch Sieben nur eine Maschenweite nutzt, kann über die Größenverteilung und damit über die Feinbrü-chigkeit, die für das Absplittern interessant ist, kaum eine Aussage gemacht werden.

Auch sind die Indexzahlen für unterschiedliche Korngrößen nicht vergleichbar; denn geringe Korngrößen ergeben im Allgemeinen eine geringere Indexzahl. Bei-spielhaft sind Friability Indices für Aluminiumoxid verschiedener Härtegrade in Abb. 13.6 eingetragen.

13.2.1   Korund

Korund ist ein kristallines Aluminiumoxid (Al2O3). Die mechanischen Eigenschaf-ten werden in starkem Maße durch den Reinheitsgrad bestimmt. Es wird zwischen Normal-, Halbedel- und Edelkorund unterschieden.

Bei der Herstellung von Korund dient Bauxit als Rohstoff für alle Qualitäten, ein Gemisch verschiedener Aluminiumoxidhydrate, das mit Eisenhydroxiden, Silika-

Abb. 13.6 Friability Index und Härte, nach Malkin [MAG08]

70

60

50

40

30

20

10

01000 1500 2000 2500 3000

Härte

Fria

bilit

y In

dex

mit 3% Cr

weiß

monokristallin

regulär (braun)

gesintert mikrokristallin

13.2 Schleifstoffe

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266

ten und Titanverbindungen verunreinigt ist [SAL82]. Bei dem am häufigsten ver-wendeten Bayer-Verfahren wird gemahlenes Bauxit mit einem Al2O3-Gehalt von 55–60 % bei ca. 250 °C unter einem Druck von 4 MPa mit Natronlauge behandelt. Die Aluminiumoxidhydrate gehen als Natriumaluminat in Lösung, die Verunreini-gungen werden als sog. Rotschlamm abgetrennt. Die Natriumaluminatlauge wird mit feinverteiltem Aluminiumhydroxid versetzt, das als Kristallisationskeim zu einem Heranwachsen von Al(OH)3-Kristallen führt. Durch Kalzination des Alumi-niumhydroxids in Wirbelschichtöfen bei 1.200 bis 1.300 °C wird Al2O3 (Tonerde) gebildet [SAL82].

Durch Aufschmelzen der Tonerde im Elektroofen bei Temperaturen von ca. 2.000 °C wird der Korund (Al2O3) erzeugt. Mit diesem Verfahren lässt sich ein hoher Reinheitsgrad erzielen. Durch Zerkleinern in Brechanlagen werden die für die Schleifmittel notwendigen Korngrößen erzeugt. Chemische Nachbehandlungs-verfahren durch Rösten und Waschen in Laugen oder Säuren führen zu verbesserten Oberflächenbeschaffenheiten der Körner und zielen auf eine Erhöhung ihrer Haft-festigkeit in der Bindung ab.

Ein sehr feines Ausgangskorn erhält man durch den Sol-Gel-Prozess, bei dem von einer flüssigen oder leicht lösbaren Verbindung ausgegangen wird. Nach dem Sol-Gel-Verfahren lassen sich Keramiken und Glaszusammensetzungen bei niedrigen Temperaturen herstellen. Gekennzeichnet ist der Prozess durch den Übergang einer flüssigen oder kolloiden Lösung (kleinste Partikel der Größen-ordnung 103 bis 104 Atome, mit Molekülen des Lösungsmittels vermischt) in ein festes Gel.

Zur Herstellung von Al2O3 nach dem Sol-Gel-Verfahren wird eine Lösung aus Aluminium und einem organischen Ester (Al(OC3H7)3) mit H2O hydrolysiert und anschließend unter Wasserabspaltung kondensiert, wodurch ein sehr feines Gel ent-steht, das sich gut zum Sintern eignet.

Eine Leistungssteigerung von Korundschleifstoffen kann durch Verändern von Kornaufbau und Kornform erreicht werden (Abb. 13.7). Während des Schleifens lässt sich die Zahl der arbeitsscharfen Schneiden je Schleifkorn erhöhen, womit gegenüber unbehandeltem Schmelzkorund die Standzeit und die Leistungsumset-zung verbessert werden kann. Durch Erhöhung der Scheibenporosität bei unver-änderter Scheibenfestigkeit lassen sich andererseits Schleifspäne aus der Wirkstelle leichter entfernen. Auch kann bei erhöhter Scheibenporosität der Kühlschmierstoff der Kontaktzone besser zugeführt werden.

Während des Schleifprozesses können geeignet ausgelegte Schleifkörner so ver-schleißen, dass weitgehend arbeitsscharfe Schneiden entstehen. Diese Selbstschär-fung lässt sich durch Kompaktkörner oder Körner mit mikrokristallinem Aufbau erreichen. Die Kompaktkörner bestehen aus einer Vielzahl von kleinen Schleifkör-nern, die durch eine Bindung zu einem großen Schleifkorn verbacken worden ist. Durch den prozessbedingten Verschleiß an den einzelnen kleinen Schleifkörnern, kommt es zu einer lokalen Erhöhung der spezifischen Schleifkraft an dem verschlis-senen Korn. Beim Überschreiten der Bindungskräfte löst sich das abgestumpfte Korn aus dem Verband des Kompaktkornes und legt ein darunter befindliches neues

13 Schleifen

Page 281: Spanen ||

267

scharfes Korn frei. Diese Art des Selbstschärfungsprozesses von Schleifkörnern fin-det bevorzugt seine Anwendung bei Schleifmittel auf Unterlagen, wie z. B. Band-schleifprozessen [ARG00].

Durch die Herstellung von mikrokristallinem Al2O3 nach dem Sol-Gel-Verfahren ist die Selbstschärfung auch auf das einzelne Korn übertragbar. Hierbei können sich im Schleifprozess sehr kleine Ausbrüche und somit scharfe Schneidkanten bilden. Dieser Mechanismus führt im Gegensatz zu den grobkristallinen Schmelzkorunden zu einem deutlich reduzierten Verschleiß bei gleichzeitig reduzierter Schleifkraft und Temperatur. Das führt zu höheren Standmengen, längeren Abrichtintervallen und lässt eine Steigerung des Zeitspanvolumens zu [UHL87, BRU98, MÜL01]. Dabei unterscheiden sich verschiedene mikrokristalline Korunde erheblich in der Höhe der für eine Selbstschärfung erforderlichen Initialkraft [STA02].

Bei Schleifverfahren mit großen Zeitspanvolumen werden Schleifscheiben mit hohen Porenanteilen eingesetzt. Die maximale Porosität beträgt ohne weiteres etwa 50 %. Eine weitere Steigerung führt zu geringerer Festigkeit, die die maximale Schnittgeschwindigkeit begrenzt und die Verschleißrate erhöht. Durch das Einbrin-gen von Hohlkugelkorund, einem hohlen Korundkorn, in die Schleifscheibenstruk-tur lässt sich die Porosität auf 60 % steigern [MAH00]. Durch spezielle Herstel-lungsverfahren können Schleifkörner mit großem Längen-Durchmesserverhältnis (Streckungsgrad) bis zu 8 gewonnen werden. Das Normalkorundkorn dagegen hat einen Streckungsgrad von 1. Ein Vorteil der elongierten Schleifkörner ist die Er-weiterung und Verbesserung der natürlichen Packungsporosität des Korns. Damit lassen sich Schleifscheiben mit bis 80 % Porosität ohne künstliche Porenbildner herstellen.

Abb. 13.7 Möglichkeiten der Leistungssteigerung bei Einsatz von Aluminiumoxid

Normalkorund KompaktkornK

orna

ufba

uK

ornf

orm

Normalkorund Hohlkugelkorund Stäbchenkorund

Zunahme der Porosität der Schleifwerkzeuge

Zunahme der scharfen Schneiden je schneidkorn

mikrokristallinerKorund

13.2 Schleifstoffe

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268

13.2.2   Siliziumkarbid

Siliziumkarbid gehört zu den wichtigen keramischen Werkstoffen. Es wird auch als Schleifstoff eingesetzt. Die technische Herstellung von SiC erfolgt nach dem Ache-son-Verfahren aus Quarzsand (SiO2) und Petrolkoks bei Temperaturen von 2.000 bis 2.300 °C nach der stöchiometrischen Reaktion

(13.1)

Die Reaktionen laufen dabei auch über Zwischenreaktionen infolge der Anwesen-heit von gasförmigen Silizium- und Kohlenstoffverbindungen ab. Das nach dem Acheson-Verfahren gewonnene Siliziumkarbid fällt in einer Reinheit von 98 bis 99 % an. Die Verunreinigungen (Fe, Mg, Ca) sind an den Korngrenzen oder in Poren angereichert. Das Material wird zerkleinert, gereinigt und durch Sieben nach Korngrößen getrennt. Durch einen mehrstufigen Waschprozess lässt sich eine Rei-nigung des SiC erzielen. Eine Säurebehandlung löst vorhandene Eisenrückstände. Mit Natronlauge werden freies Silizium und Siliziumverbindungen und mit Wasser Graphit abgetrennt.

Anhand der Farbe lässt sich SiC in zwei Qualitäten, die durch ihre chemische Zusammensetzung gekennzeichnet sind, unterscheiden. Schwarzes SiC (≈ 98 %) weist im Gegensatz zu grünem SiC (≈ 99,5 %) größere Verunreinigungen von freiem Kohlenstoff und Elementen wie Fe, Al, Ca, Mg und freiem Silizium auf. Einen Einfluss auf die Härte zeigen die Verunreinigungen nicht. Die Zähigkeit von schwarzem SiC ist jedoch größer als die von grünem SiC.

13.2.3   Kubisch kristallines Bornitrid und Diamant

Bei Schleifmitteln aus kubisch kristallinem Bornitrid, auch CBN (Cubic Boron Nitride) genannt, und Diamant handelt es sich um hochharte Schleifmittel, die im englischen Sprachgebrauch unter dem Begriff „Superabrasives“ zusammenge-fasst sind. Der Aufbau und der Herstellprozess ist in Kap. 8 dargestellt [BUN55, HAL60]. Während die Herstellung von CBN nur synthetisch erfolgt, kann zwi-schen natürlichem und synthetischem Diamant unterschieden werden. Für den Einsatz als Schleifmittel in Schleifscheiben wird heutzutage ausschließlich synthe-tischer Diamant eingesetzt. CBN besitzt ein kubisch-hex’tetraedisches Atomgitter aus Stickstoff- und Boratomen, Diamant ein kubisch flächenzentriertes Gitter mit vier zusätzlichen Kohlenstoffatomen [KEL80]. Durch die verschiedenen Gleitebe-nen können unterschiedliche Kristallformen auftreten (Abb. 13.8). Diese erstre-cken sich beim synthetischen Diamant vom Oktaeder (111-Ebene) bis zum Würfel (100-Ebene). Der Diamant ist anisotrop, so ist z. B. die Härte in der 111-Ebene höher als die der 100-Ebene [RAM78]. Durch die etwas unterschiedliche Atom-struktur können CBN-Kristalle weitere Formen vom Oktaeder bis zum Tetraeder einnehmen.

SiO2 + 3C → SiC + 2CO.

13 Schleifen

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269

Aufgrund ihrer Kristallstruktur enthalten die Schleifkörner Spaltebenen, entlang denen sie bevorzugt splittern. Während der Schleifbearbeitung stumpfen die Kör-ner ab. Sie werden stärker belastet und splittern. Dadurch werden neue Schneiden generiert, man spricht von einer Selbstschärfung. Je nach Art und Anzahl der Spalt-ebenen lassen sich mono-, makro- oder mikrokristalline Strukturen unterscheiden.

Diamant ist der härteste bekannte Stoff. In Verbindung mit seiner hohen Ver-schleißfestigkeit ist er prädestiniert für den Einsatz als Schneidstoff zur Bearbeitung harter Materialien wie z. B. für Glas, Hartmetall und Keramik. Diamant wandelt sich allerdings bei Temperaturen oberhalb 650 °C an Luft in die energetisch güns-tigere Modifikation des Graphits um, wobei Eisen und Nickel als Katalysatoren wirken und den Umwandlungspunkt zu niedrigeren Temperaturen verschieben [MAR01]. Auch weist Kohlenstoff eine hohe Affinität zum Eisen auf, so dass es bei höheren Temperaturen – also bei höheren Schnittgeschwindigkeiten – zu che-mischem Verschleiß kommt. Beide Effekte, die Graphitisierung und der chemische Verschleiß führen dazu, dass Diamant nicht als Schleifstoff für die Bearbeitung von Stahlwerkstoffen eingesetzt wird. Dem gegenüber weist CBN keine Reaktion dieser Art auf und ist bei atmosphärischem Druck bis 1.400 °C stabil und somit für die Bearbeitung eisenhaltiger Werkstücke geeignet.

Eine anerkannte Methode zur Festigkeitsbestimmung von Diamanten ist der Friability-Test. Dieser beruht auf der Messung der Schlagfestigkeit einer definierten Menge von Diamanten bestimmter Korngröße. Die Anzahl an Diamanten, die dem „Zertrümmerungsversuch“ widerstehen, ist ein Maß für die Festigkeit des unter-suchten Diamanttyps (TI) (siehe auch vorn). Zur Bestimmung der thermischen Sta-bilität werden Diamanten unter Schutzgas bei 1.100 °C 20 min. thermisch belastet und anschließend erneut einem Friability-Test unterzogen (TTI). Der Unterschied zwischen der Festigkeit vor und nach der thermischen Belastung ist ein Maß für die

Abb. 13.8 Mögliche Kristallformen von CBN und Diamant (Quelle: Element Six)

CBN / DiamantOktaeder Würfel

Oktaeder TetraederCBN

Z

Y

X

Index 111

Index 100

Z

Y

X

13.2 Schleifstoffe

Page 284: Spanen ||

270

thermische Stabilität des Materials. Diese thermische Stabilität ist für den Einsatz des Werkzeuges aber auch bei der Herstellung einer Schleifscheibe durch Sintern wichtig [VOL00].

13.2.4   Korngrößen von Schleifstoffen

Schleifkörner sind außer durch physikalische Eigenschaften wie Härte, E-Modul, Dichte, Wärmeleitfähigkeit und Wärmekapazität durch geometrische Merkmale wie Korngröße und Kornform gekennzeichnet. Die Korngröße bei Schleifmitteln aus Aluminiumoxid und Siliziumkarbid bis zur Körnung 220, was einem mittle-ren Korndurchmesser von etwa 58 µm entspricht, ergibt sich durch Siebung. Dazu werden standardisierte Drahtsiebe [DIN ISO 8486-1] verwendet. Da wegen der un-einheitlichen Kornform eine statistische Verteilung der Korndurchmesser nach dem Sieben vorliegt, wurde eine Klassifizierung der zulässigen Abweichungen vorge-nommen. Diese Klassifizierung ist durch die FEPA1 genormt. Ein z. B. durch Bre-chen und Mahlen erzeugtes Korngemisch wird über Siebe mit zunehmend engeren Öffnungen geleitet. Bei Aluminiumoxid und Siliziumkarbid wird die Korngröße durch die Maschenanzahl je Zoll des Siebgewebes bei festgelegtem Drahtdurch-messer definiert. Eine Körnung 60 wird mit einem Sieb von 60 Maschen je Zoll, dass entspricht einer Siebteilung von 0,42 mm, aus dem Korngemisch abgezogen. Korngrößen feiner als 220 werden durch optische Sedimentation aus einer Suspen-sion bestimmt. Die Siebanalyse bringt mit sich, dass die Schleifkörner in Fraktionen mit typischen Verteilungen, die auch von der Kornform abhängen, vorliegen.

Die hochharten Schleifstoffe Diamant und CBN werden nach der lichten Ma-schenweite der Siebe gekennzeichnet, d. h. die Kennzahl korreliert direkt mit dem Korndurchmesser. In Abb. 13.9 ist das in Europa verwendete Klassifizierungssys-tem dem U.S.-System (mesh) gegenübergestellt. Zur Ausweitung des Toleranzfel-des kann zwischen einem engen (1) und weiten Streubereich (2) unterschieden wer-den. Beide Systeme sind nur bis zu einem mittleren Korndurchmesser von dg = 46 µm definiert. Kleinere Korngrößen werden von den Schleifmittelherstellern selbst definiert.

13.3 Bindung

Die Schleifkörner werden durch Bindestoffe oder Bindungen im Schleifwerkzeug gehalten. Die wichtigsten Bindungen sind keramische Bindungen, Kunstharzbin-dungen und metallische Bindungen.

1 FEPA: Federation Europeene des Fabricants de Produits Abrasifs – Vereinigung Europäischer Schleifmittelhersteller

13 Schleifen

Page 285: Spanen ||

271

Keramische Bindungen bestehen aus Kaolin, Ton, Quarz, Feldspat und Fluss-mittel [KLO86, PAD93, COL81]. Als Flussmittel werden Magnesiumoxid oder Borsilikat haltige Gläser eingesetzt, um die Brenntemperatur herabzusetzen. Die Einsatzstoffe werden zusammen mit den Schleifkörnern zum Schleifwerkzeug gebrannt bei Temperaturen von maximal 1.100 bis 1.400 °C für Korund- und Siliziumkarbid-scheiben, für Bornitrid unterhalb 1.000 °C und für Diamant unterhalb 700 °C. Durch die Wahl der Einsatzstoffe lassen sich Schmelzen mit unterschiedlicher Viskosität und Oberflächenspannung erreichen, wodurch die Struktur bzw. die Porosität der keramisch gebundenen Schleifkörper eingestellt werden kann.

Kunstharzbindungen bestehen überwiegend aus Duroplasten, und zwar aus Phe-nolharzen oder Mischungen von Phenolharzen mit anderen Harzen. Sie werden durch Heißpressen zusammen mit den Schleifkörnern zu Schleifwerkzeugen ver-arbeitet. Die Presstemperaturen liegen zwischen 150 °C und 170 °C.

Metallische Bindungen werden durch Pressen und Sintern von Bronze-, Stahl- oder Hartmetallpulvern hergestellt oder durch galvanische Beschichtung mit Nickel oder Nickelverbindungen aufgebracht. Auf der Basis von Metallpulver erzeugte Bindungen werden bei Temperaturen von 700 bis 900 °C unter Druck gesintert. Me-tallische Bindungen werden für hochharte Schleifstoffe eingesetzt. Sie bieten eine

Abb. 13.9 Klassifizierungssystem für Korngrößen hochharter Schleifmittel (nach FEPA)

Siebkorngrößen

1180 - 1000

1000 - 850

710 - 600

600 - 500500 - 425425 - 355

300 - 250250 - 212

212 - 180

180 - 150150 - 125

125 - 106

106 - 9090 - 75

75 - 63

63 - 5353 - 45

45 - 38

355 - 300

850 - 710

1181

1001851

711

601501

426

356

301251

213

181151

126

10791

76

6454

46

1182

852

602

427

252

-

- -- -- -

- -

- -

- -- -

- -

- -

16 / 1816 / 20

20 / 30

30 / 40

40 / 50

60 / 80

18 / 20

20 / 2525 / 3030 / 3535 / 4040 / 4545 / 50

50 / 6060 / 70

70 / 8080 / 100

100 / 120

120 / 140140 / 170

200 / 230

230 / 270270 / 325325 / 400

170 / 200

-

Europa (metrisch) USA(mesh)(1) (2) (1) (2)

Siebmaschenweitein µm

13.3 Bindung

Page 286: Spanen ||

272

gute Wärmeabfuhr aus dem aktiven Schleifbelag, haben eine gute Formstabilität und weisen eine große Haftung zu den Schleifkörnern auf. Sie werden häufig zum Profilschleifen eingesetzt. Galvanisch gebundene Schleifscheiben weisen meist nur eine Kornlage auf und werden im Allgemeinen nicht abgerichtet (s. Abschn. 13.5). Durch Einlagerung von spröden Füllstoffen wurden durch Crushieren (Drücken) abrichtbare metallische Bindungen entwickelt.

Für spezielle Zwecke werden weitere Bindungsstoffe eingesetzt, wie minerali-sche Bindungen (Silikat-, Magnesitbindungen) Leim- oder Gummibindungen. Die Gummibindung auf der Basis von synthetischem Kautschuk wird beispielsweise für besonders temperaturempfindliche Bearbeitungsaufgaben (Messerschliff) ein-gesetzt.

Eine wichtige Eigenschaft eines Schleifwerkzeugs ist seine Härte, die als der Widerstand verstanden wird, den die Bindung dem Herausbrechen von Körnern entgegensetzt. Die Härte einer Schleifscheibe ist damit grundsätzlich anders defi-niert als üblich, wo in der Regel die Eindringhärte bestimmt wird. Die Scheiben- oder Bindungshärte ist für den Schleifprozess von großer Bedeutung. Sie bestimmt, wie lange ein verschlissenes Korn im Bindungsverband gehalten wird. Eine weiche Bindung entlässt Körner früh; die Schleifscheibe bleibt schärfer im Gegensatz zu einer Scheibe mit harter Bindung. Daraus folgt die Praxisregel, weiche, weniger verschleißende Werkstoffe mit harten Scheiben und harte Werkstoffe mit weichen Scheiben zu bearbeiten. Härtere Scheiben werden auch für geringe Spanungsdi-cken, d. h. bei kurzen Kontaktlängen oder geringen Geschwindigkeitsverhältnissen empfohlen.

Bei keramisch gebundenen Schleifscheiben wird die Härte im Wesentlichen durch die Korngröße und Dicke der Bindungsstege bestimmt (Abb. 13.10). Stärke-re Bindungstege halten die Schleifkörner stärker im Gefüge und sorgen somit für eine größere Härte der Schleifscheibe. In Abb. 13.11 sind für Schleifscheiben die Bereiche üblicher Zusammensetzungen dargestellt.

Abb. 13.10 Aufbau einer keramischen Schleifscheibe (Quelle: „Saint Gobain Abrasives“)

weiche Schleifscheibe harte Schleifscheibe

Bindemittel-StegeSchleifkorn Poren

Bindemittel-StegeSchleifkorm Poren

13 Schleifen

Page 287: Spanen ||

273

13.4 Schleifscheiben

Die werkstoffseitige Klassifizierung konventioneller Schleifscheiben erfolgt nach der [DIN ISO 525] (Abb. 13.12). Sie umfasst acht Kurzzeichen, wobei zwei Kurz-zeichen freigestellt sind, das heißt sie können vom Hersteller frei gewählt werden.

Abb. 13.11 Volumenanteile keramischer Schleifscheiben

0 100

%

80

60

40

20

0

20

40

60

80

%

1000 20 40 60 80 % 100

bez. Schleifkornvolumen

bez.

Bin

dung

svol

umen

bez. Porenvolumen

bez. Schleifkornvolumen

bez. Bindungsvolumen

bez. Porenvolumen=

100 %

+

+

konventionelleSchleifscheibe

CBN-Schleifscheibe(kaltgepresst)

Abb. 13.12 Klassifizierung von Korund- und Siliziumkarbid-schleifscheiben (nach DIN ISO 525:2000-08)

grob

MakrokörnungenF4 bis F220

nach ISO 8486-1

mittel fein

wei

ch

mitt

el

hart

sehr

wei

ch

äuß

erst

wei

ch

01

15

.

A

C

Edelkorund

Siliziumcarbid

offe

nes

Gef

üge V

R

RF

B

BF

E

MG

M

keramische Bindung

Gummibindung

Gummibindungfaserstoffverstärkt

Kunstharzbindung

Kunstharzbindungfaserstoffverstärkt

Schellackbindung

Magnesitbindung

Metallische Bindung30

.

.

.

.

.

.

äuß

erst

har

t

sehr

har

t

< 16, 16....140, 160 m/s

QB U Y

K O S

E H L P

G N RJ

D W

A T X

F I M

C V Z

Z Zirkonkorund

Arbeits-höchst-geschw.

Schleif-mittel

Schleif-mittel

Körnung Härtegrad Gefüge Bindung Bindung

A 60 L 5 B 63XXa XXa

aKurzeichen vom Her-steller frei wählbar

4 30 705 36 80

8 46 10010 54 12012 60 150

24 220

40 90...

180...

13.4 Schleifscheiben

Page 288: Spanen ||

274

Die Härte einer Schleifscheibe ist nach der Norton-Skala mit Kennbuchstaben von A (äußerst weich) bis Z (äußerst hart) klassifiziert. Praktisch genutzt wird der Bereich von E bis G (sehr weich) und von P bis S (hart).

Die manuelle Ritzprüfung mit einem Stichel und der Vergleich mit bekannten Scheiben ist subjektiv und gibt keine absoluten Daten. Eine für Forschungszwecke entwickelte Variante dieser manuellen Prüfung ist die Ritzprüfung nach Peklenik [PEK57], bei der ein Ritzwerkzeug unter definierter Normallast über die aktive Schleifscheibenoberfläche gezogen wird und dabei Körner oder Teile von Kör-nern ausbrechen. Die auftretenden Tangentialkräfte sind ein Maß für die Härte der Scheibe. Diese Prüfung kommt der Härtedefinition zwar am nächsten, ist jedoch als Werkstattprüfverfahren weniger geeignet.

Die Härteprüfung von Schleifscheiben durch das Sandstrahlverfahren nach C. Zeiss und M. Mackensen (Prüfgerät Fa. Mengringhausen, Iserlohn) ist in der Richtlinie 102 des Deutschen Schleifscheibenausschusses festgelegt. Bei diesem Verfahren wird ein definiertes Volumen einer bestimmten Körnung mit Druckluft bei festgelegtem statischen Druck und definiertem Düsenquerschnitt auf die Schleif-scheibenoberfläche geblasen. Abbildung 13.13 zeigt den Aufbau eines Strahlprüf-gerätes. Die Tiefe der entstehenden Kalotte, die sog. Blastiefe, wird als Maß für die Härte der Schleifscheibe herangezogen. Ein Nachteil dieses Verfahrens ist, dass es nicht zerstörungsfrei arbeitet und dass die Art der Beanspruchung der Körner und der Bindung nicht identisch ist mit der Härtedefinition.

Von der Beanspruchung her ähnlich ist das Einrollverfahren (Abb. 13.14). Hierbei wird eine Stahlscheibe mit definierter Pressung gegen die zu prüfende Schleifscheibe gedrückt. Schleifscheibe und Rolle wälzen gegeneinander ab. Die nach einer bestimmten Zahl von Umdrehungen erreichte Einrolltiefe wird mit der Scheibenhärte korreliert. Mit dem Einrollverfahren vergleichbar aus der Sicht der Korn- und Bindungsbeanspruchung ist die Härteprüfung B nach Rockwell (Kugel-eindruckprüfung), mit dem vornehmlich sehr feinkörnige Schleifwerkzeuge geprüft werden (Hon- und Abziehwerkzeuge).

Abb. 13.13 Härteprüfung von Schleifscheiben durch Bestimmung der Blastiefe

Manometer

Druckluftzufuhr

Luft- undStrahlmittel-auslass

Schleif-scheibe

Kalotte Blastiefe

DistanzstifteDichtung

Hartmetall-düse

Schleifscheibe Kalotte

Bla

stie

fe

Messstift

Strahlmittel-vorratsbehälterStrahlmittel füreine Prüfung

DSA - Richtlinie 102 :Strahlmittel : NormalkorundKörnung : F 30Strahlmittelvolumen : 48 cm3

Luftdruck : 120 ± 20 kPa

13 Schleifen

Page 289: Spanen ||

275

Ein Prüfverfahren, das einen physikalischen Wert liefert, ist die Eigenfrequenz-messung (Grindo-Sonic-Verfahren) nach R. Snoeys [PET68]. Dabei wird die erste Eigenfrequenz der Schleifscheibe durch Anschlagen im Ausschwingversuch be-stimmt (Abb. 13.15). Die Eigenfrequenz ist der Wurzel des scheinbaren E Moduls der Schleifscheibe proportional. Mit dem Durchmesser der Scheibe di und der Bohrung da, der Scheibendicke bs, der mittleren (scheinbaren) Dichte s und der

Abb. 13.14 Schleifscheibenhärteprüfung nach dem Einrollverfahren (Quelle: Opitz)

a

Schleifscheibe

Wasser

F = const.

Art der Prüfung :Einrollen mit einerStahlscheibe

Prüfwert :Einrolltiefe (a) nachx Umdrehungen

Härte H = f (a)

Stahlscheibe

Abb. 13.15 Schleifscheibenhärte und E-Modul

13.4 Schleifscheiben

Page 290: Spanen ||

276

Querkontraktionszahl gilt für die Eigenfrequenz f der Eigenschwingung mit drei Knotendurchmessern unter der Bedingung di/da < 0,25 [PET68]:

(13.2)

Bei dem aus mehreren Komponenten bestehenden Prüfkörper kann man nur von einem scheinbaren E-Modul sprechen. Er ist um so größer, je dicker die Bindungs-stege sind. Dadurch ist eine Korrelation zwischen dem so ermittelten E-Modul und der Härte der Scheibe gegeben.

Die Prüfverfahren konventioneller Schleifscheiben sind nur bedingt auf hoch-harte Schleifscheiben übertragbar. Es existieren erste Methodenansätze, die das Bruchverhalten (Bindung, Schleifkorn) bzw. die Nachgiebigkeit hochharter kera-misch gebundener Schleifscheiben bestimmen. Sie bringen Prüflasten auf einzelnen Schleifkörner [KLO02] oder Gruppen von Körnern mit einem definierten Prüfkör-per auf [DEN03].

13.5 Sprengsicherheit von Schleifscheiben

Schleifscheiben laufen mit hohen Umfangsgeschwindigkeiten. Als Folge werden sie hohen Radialbeschleunigungen unterworfen, die wiederum hohe Spannungen durch die Zentrifugalwirkung auslösen. Diese Spannungen können zur Zerstörung von Schleifscheiben führen, was sicher vermeiden werden muss. Daher sind die Beanspruchungen als Folge der Fliehkräfte und ihre Einflussgrößen zu bestimmen.

Abbildung 13.16 zeigt Spannungen und Dehnungen an einem Volumenelement einer Scheiben. Wegen ihrer geringen Ausdehnung senkrecht zur Zeichenebene

f =bs

da·(

1 − (da/di)2

1,07(1 − v2) · ρsE

)1/2

Abb. 13.16 Spannungen und Dehnungen am Volumenelement

Scheibendicke 1

dϕ/2

dr

dr

rira

σt

σt

rdϕ

rr +dr

u(r + dr)

u(r)

σr+dσr

σr

ϕ.ω2.r(r+u)dϕ

13 Schleifen

Page 291: Spanen ||

277

kann zweiachsiger Spannungszustand unterstellt werden. Aus dem Gleichgewicht der Kräfte in radialer Richtung lässt sich anschreiben

(13.3)

Im Grenzübergang gilt zudem sin dϕ

2 = dϕ

2Damit kann zusammenfassend angeschrieben werden

(13.4)

Eine Verknüpfung zwischen r und t wird unter Nutzung des Stoffgesetzes für elastisches Verhalten, also das Hookesche Gesetz erreicht. Die Dehnungen ergeben sich, wie Abb. 13.16 zeigt, aus den Verschiebungen u in radialer Richtung.

(13.5)

und

(13.6)

Das Hookesche Gesetz für den ebenen Spannungszustand ergibt:

(13.7)

woraus schließlich die Differentialgleichung folgt, die sich durch zweifache Integ-ration lösen lässt:

(13.8)

Mit den Randbedingungen für die Kraft freien Ränder und die (zur dimensions-freien Darstellung) auf den Außenradius bezogenen Radien Q = r/ra und Qi = ri/ra er-geben sich folgende Lösungen

(13.9)

(13.10)

(σr +

∂σr

∂rdr

)· (r + dr)dϕ · 1 − σr · r · dϕ · 1 − 2 · σt · dr · "1"

· sindϕ

2+ ρ · r2 · ω2 · dr · dϕ = 0

∂(σr · r)

∂r· dr · dϕ − σt · dr · dϕ + ρ · r2ω2 · dr · dϕ = 0

εr = limr→0ur+r − ur

r=

∂u

∂r

εt = limr→02π · (r + u)

2πr=

u

r

εr =1

E[στ − v · σt ] und εt =

1

E[σt − v · σr ]

d

dr

[1

d

dr(u · r)

]= −

ρ · (1 − v2)

E· r · ω2

σr

ρ · ra2ω2

=3 + v

8

(1 + Qi

2 −Q2

i

Q2− Q2

)

σt

ρ · ra2ω2

=3 + v

8

(1 + Qi

2 +Q2

i

Q2−

1 + 3v

3 + vQ2

)

13.5 Sprengsicherheit von Schleifscheiben

Page 292: Spanen ||

278

Abbildung 13.17 zeigt, dass die maximale Beanspruchung einer Schleifscheibe als Folge von Fliehkräften am Innenrand auftritt. Tatsächlich zerlegen sich Scheiben, die über ihre Sprengdrehzahl betrieben werden in Segmente mit radialen Bruch-flächen.

Für eine Vollscheibe, die dann z. B. an einem Halteflansch [GRE58] gehalten werden müssen, ergibt sich theoretisch (Lochlosigkeit) ein gänzlich anderer Span-nungsverlauf. In Gl. 13.9 und 13.10 ist folgender Grenzwert nach der Regel von de L’Hospital zu bilden:

(13.11)

Damit werden die Spannungen im Scheibenmittelpunkt Q = Qi = 0

(13.12)

In Abb. 13.17 ist der Spannungsverlauf einer Vollscheibe gestrichelt eingetragen. Man sieht, dass sich in der Mitte die Tangential- und Radialspannungen gegenüber der gelochten Scheibe unstetig verändern. Sie sind gleich, die Tangentialspannung mindert sich auf den halben Wert einer gelochten Scheibe. Allerdings bleibt frag-lich, ob bei einer porösen Scheibe wie bei einer keramisch gebundenen, wirklich “Lochlosigkeit” angenommen werden kann.

Gerade bei keramisch gebundenen Scheiben ist die Sprengsicherheit kritisch. Dem läuft der Trend entgegen, die Schleifgeschwindigkeit zu erhöhen (s. Hochge-schwindigkeitsschleifen). Um die Sprengdrehzahl einer Schleifscheibe zu steigern, bieten sich folgende Maßnahmen an:

lim Q→0Qi

2

Q2= 0

σr

ρ · ra2ω2

=σt

ρ · ra2ω2

=3 + v

8

Abb. 13.17 Radial- und Tangentialspannungen durch Fliehkräfte

1,0

0,6

σt

σr

σr

σt

ν = 0,2Qi = 0,2

0,4

0,2

0,2 0,4 0,6 1,00

0bez. Radius

σρ

. ra

. ω2

-

-

13 Schleifen

Page 293: Spanen ||

279

• Einbau von Verstärkungen in den hochbelasteten Zonen (festere Bindung, Faser-verstärkung).

• Einsatz eines Stahlringes in die Scheibenbohrung und zugbelastbare Verbindung schaffen z. B. durch Kleben.

• Scheibe in Segmente auflösen, die keine Tangentialspannungen übertragen; das setzt allerdings sichere radiale Halterung der Segmente voraus.

• Doppelkegelförmige Ausführung der Scheibe, so dass gegen den Innenrand eine Spannungsminderung erfolgt.

Wegen des großen Energieinhaltes den Schleifscheiben oder deren Bruchstücke bei den hohen Schleifgeschwindigkeiten (die Drehzahl geht im Quadrat ein) müssen besondere Sicherheitsanforderungen beachtet werden. In Schleifmaschinen (orts-gebundene Maschinen) dürfen nur nach DIN ISO 12413 für konventionelle Schleif-scheiben und nach DIN ISO 13236 zugelassene Schleifscheiben betrieben werden. Durch Aufschrift und farbliche Kennzeichnung sind die zulässigen Arbeitshöchst-geschwindigkeiten angegeben. Diese Höchstgeschwindigkeit vs liegt je nach Si-cherheitsfaktor Sbr erheblich unter der im Experiment ermittelten Bruchgeschwin-digkeit vbr. Es gilt wegen des quadratischen Zusammenhangs mit der Drehenergie folgende Beziehung

(13.13)

Für maschinengeführtes Schleifen mit geschlossenem Arbeitsbereich (sichere Ab-deckung des Arbeitsraumes) ist Sbr = 1.75, ohne Abdeckung muss Sbr = 3 eingehalten werden. Wenn eine Scheibe neu in eine Halterung (meist Spannflansche) aufge-nommen wird, sind folgende Prüfungen durch Fachpersonal vorzunehmen:

• Sichtprüfung auf Risse, Ausbrüche oder andere Beschädigungen• Klangprobe (nur sinnvoll bei keramisch gebundenen Scheiben) auf hellen Klang

(i. O.) oder Scheppern bzw. dumpfen Klang (nicht i. O.).• Aufnahme in speziellen Spannflanschen.• Probelauf in der Maschine mit der Höchstdrehzahl der Schleifspindel, maximal

Höchstdrehzahl der Scheibe, über 1 Minute.

Für den Betrieb muss beachtet werden, dass poröse Schleifscheiben wegen der Un-wuchtgefahr nicht im Stillstand von Kühlschmierstoff überflutet werden dürfen.

13.6 Schleifprozesse

Der Schleifprozess lässt sich in systemtechnischer Sicht durch Eingangs-, Pro-zess-, und Ausgangsgrößen beschreiben (s. a. Abschn. 1.3). Die Eingangsgrößen unterteilen sich in die System- und Stellgrößen (Abb. 13.18). Die Systemgrößen werden durch das Werkstück (physikalische, chemische Eigenschaften, Roh- und

Sbr =(

vbr

vs

)2

13.6 Schleifprozesse

Page 294: Spanen ||

280

Fertigteilform und –abmessungen), die Schleifscheibenspezifikation, die Ma-schine (Art, statische und dynamische Eigenschaften), das Abrichtwerkzeug und das Kühlschmiersystem beschrieben. Stellgrößen sind Schnittgeschwindigkeit, Zustellung, Vorschub und Abrichtergebnis sowie der eingestellte Druck und der Volumenstrom der Kühlschmierung. Im Gegensatz zu den Systemgrößen können die Stellgrößen schnell an den Prozess angepasst werden. Die Bewertung des Schleifprozesses erfolgt durch Prozessgrößen, anhand der Zerspankräfte, leis-tungen, energien, Temperaturen, Schwingungen sowie der Schleifzeit. Zur Be-schreibung der Ausgangsgrößen dienen werkstückspezifische Größen wie Form- und Maßgenauigkeit, Oberflächenqualität sowie Randzoneneigenschaften, die erheblichen Einfluss auf die Funktionserfüllung des Bauteils besitzen. Weitere Ausgangsgrößen sind der Verschleiß, die Mikrotopographie und die Zusetzungen der Schleifscheibe sowie die Verschmutzung und Zustandsänderung des Kühl-schmierstoffes.

13.6.1   Eingangsgrößen

Die Produktivität und Mengenleistung beim Schleifen wird durch das Zeitspan-volumen Qw (Volumenstrom, der vom Werkstück getrennt wird) beschrieben [SAL91]. In Abb. 13.19 sind die für das Längsumfangs-Plan- und das Längsseiten-Planschleifen notwendigen Größen zur Berechnung des Zeitspanvolumens angege-ben. Es folgt zu

(13.14)Qw = ae · ap · vft

Abb. 13.18 Kenngrößen des Schleifprozesses

WerkstückSchleifscheibeMaschineAbrichtwerkzeugKühlschmierung

Form-, Maß-genauigkeit,Oberflächen-qualität,Randzone

ZustellungSchnittgeschwin-digkeitVorschübeAbrichtergebnisKühlschmierstoff-druck und-volumen

VerschmutzungZustands-änderung

Sys

tem

größ

en

Wer

kstü

ck

Ste

llgrö

ßen

Küh

lsch

mie

r-st

off

Sch

leif-

sche

ibe

Eingangsgrößen

VerschleißMikrotopo-graphieZusetzung

Prozessgrößen

SchleifkraftSchleifleistungSchleifenergieTemperatur

SchleifzeitSchwingungen

Ausgangsgrößen

13 Schleifen

Page 295: Spanen ||

281

aus dem Arbeitseingriff ae und dem Schnitteingriff ap, die zusammen den Eingriffs-querschnitt Aw = ae ⋅ ap ergeben und aus der Tangentialvorschubgeschwindigkeit vft, auf der der Eingriffsquerschnitt senkrecht steht. Der Arbeitseingriff ae wird in der Arbeitsebene (zwischen Vorschub- und Schnittgeschwindigkeitsvektor auf-gespannt), der Schnitteingriff ap wird senkrecht zur Arbeitsebene gemessen. Ab-bildung 13.20 enthält Angaben zu Zeitspanvolumina für andere Schleifverfahren

Abb. 13.19 Kenngrößen des Schleifprozesses

vc ap

ap

ae = fr

ae

Aw

vft

vft

lglg

ap : Schnitteingriffae : Arbeitseingrifffr : radialer Vorschub

lg : geom. KontaktlängenAk : KontaktflächeAw : Eingriffsquerschnitt

Längs-Umfangs Planschleifen Längs-Seiten Planschleifen

vc

AK AK

13.6 Schleifprozesse

Abb. 13.20 Wichtige Schleifverfahren (nach DIN 8589)

Umfangs- Seiten-

Längs- Quer- Längs-

Läng

s-A

ußen

-P

rofil

Läng

s-A

ußen

-W

älz

Quer-

Pla

n-R

und-

Inne

n-A

ußen

-

ae

vc bs

vc

ae

apap

vft

vftae

ap

vc vc

vfa ap

vft

Qw = ae · ap · vft Qw = ae · ap · vft Qw = ae · ap · vfaQw = ae · ap · vft

= ae · ap · dw · π.nw

Qw = ae · dw · π · vfaQw = bs · dw · π · vfr

bw

ae

vw, nw

vfa vcbs

nw

ap

vv a

vfr

ap

vcvw

vfa

apvw

Qw = ae · dw · π · vfa Qw = bs · dw · π · vfr

Page 296: Spanen ||

282

als das Längsumfangs-Plan- und das Längsseiten-Planschleifen. Allgemein gilt für andere Planschleifprozesse

(13.15)

worin Aw2 der Eingriffsquerschnitt normal zur Hauptvorschub-geschwindigkeit vf

ist.Für die Spanbildung in der Wirkzone sind die geometrischen und kinematischen

Eingriffsbedingungen von Bedeutung. In Abb. 13.19 ist die geometrische Kontakt-länge lg eingetragen. Zusammen mit dem Schnitteingriff ergibt sich daraus die geo-metrische Kontaktfläche Ak = ap ⋅ lg. Die geometrische Kontaktlänge lässt sich aus dem Schleifscheibenradius rs und dem Arbeitseingriff ae bestimmen zu

(13.16)

oder für rs >> ae

(13.17)

Um Kontaktlänge und Kontaktfläche unabhängig von Werkzeug- und Werkstück-maßen und außerdem verfahrensunabhängig bestimmen zu können, wird der äqui-valente (äquivalent zum Planschleifen) Radius req bzw. Durchmesser deq definiert. Es gilt

(13.18)

wobei die Addition im Nenner für das Außenrundschleifen, die Subtraktion für das Innenrundschleifen steht. Abbildung 13.21 gibt die Planfigur zur Ermittlung von req wieder und zeigt einen Vergleich für das Außen- und Innenrundschleifen bei ver-schiedenen Radiusverhältnissen.

Die geometrische Kontaktlänge ist eine Rechengröße, die als Näherung ver-schiedene Vereinfachungen enthält. Sie berücksichtigt nicht

• die vollständige Kinematik der Wirkpartner, d. h. die zykloidischen Schneiden-bahnen des Werkzeugs gegen das Werkstück,

• die elastische Verformung der beteiligten Körper als Folge der Schleifkräfte,• die Tatsache, dass die im Kontakt stehenden Oberflächen von Schleifscheibe und

Werkstück nicht geometrisch glatt, sondern tatsächlich höchst rau sind und• dass die wirkliche Kontaktfläche wegen der Berührung von nur einzelnen Kör-

nern der Schleifscheibe gegenüber der ganzen im Eingriff befindlichen Fläche des Werkstücks nur ein Bruchteil (in der Größenordnung von 1 %) darstellt.

2 Aw bezeichnet hier den Eingriffsquerschnitt und ist nicht zu verwechseln mit der Zeitspanfläche

Qw = Aw · vf ,

lg = rs · arccos

(rs − ae

rs

)

lg =√

2rs · ae.

req =rw · rs

rw ± rs,

13 Schleifen

Page 297: Spanen ||

283

Die kinematische Kontaktlänge lk berücksichtigt die Vorschub- und Schnittge-schwindigkeit und geht von glatten Wirkpartnern aus. Sie ist in guter Näherung

(13.19)

wobei q das Geschwindigkeitsverhältnis ist (Abb. 13.22). Dabei steht die Addition für das Gegenlaufschleifen, die Subtraktion für das Gleichlaufschleifen. Bei üb-lichen Schleifprozessen mit q = 60 weichen lk und lg also um 1,6 % voneinander ab. Beim Tiefschleifen (vft <<vc) ist der Unterschied noch weit geringer. Nur beim

lk = lg

(1 ±

1

q

), (+ : Gleichlaufschleifen, − : Gegenlaufschleifen)

Abb. 13.22 Kinematische Kontaktlänge

lk

vft

rs

vft vc

lg

13.6 Schleifprozesse

lg = 2fr • req

Planschleifen

Außenrundschleifen

Auß

enru

ndsc

hlei

fen

ae = frreq = rs

lg

d w

f r

rs

rs

rw

f r

lg

a e

ae < fr

req = rw + rs

rs • rw

Innenrundschleifen

Inne

nrun

dsch

leife

n

rw = 25 mm

rw = 25 mm

rw = 25 mm

rw = 25 mm

rw = 25 mm

rw = 25 mm

ae > fr

req =f r

a elg

rs

rw

rw – rs

rs • rw

Werkzeug - undWerkstückgeometrie

äquivalenter Schleif-scheibenradius

rsrw

6

12

24

0,5

0,9

0,96

req = 21.43 mm

req = 23,08 mm

req = 24 mm

req = 25 mm

req = 225 mm

req = 600 mm

rs = 150 mm

rs = 300 mm

rs = 600 mm

rs = 12,5 mm

rs = 22,5 mm

rs = 24 mm

ds

Abb. 13.21 Beschreibung des äquivalenten Radius

Page 298: Spanen ||

284

Schnellhubschleifen (speed stroke grinding) können nennenswerte Differenzen auf-treten.

Bisher wurde noch nicht berücksichtigt, dass der tatsächliche Kontakt zwischen Schleifscheibe und Werkstück nur über die aktiven Schleifkörner stattfindet. Die wirkliche Kontaktfläche ist also weit geringer als die bisher ermittelte. Eine grobe Einschätzung des Verhältnisses der wirklichen zur bisher rechnerisch ermittelten Kontaktfläche Ae/Ac ist über die Berücksichtigung der Fließgrenze des Werkstoffs möglich [ROW93]. Wenn die mittlere Pressung unter den Schleifkörnern, die bis zum Fließen ertragen werden kann, pmax ist, gilt

(13.20)

und es folgt

(13.21)

Versuche zeigen eine Größenordnung von Ae/Ac < 0,01.Da die Schleifbreite oder der Arbeitseingriff im Allgemeinen groß gegenüber

den Vorgängen am Einzelkorn ist, kann man mit ausreichender Näherung anneh-men, dass entlang des Schnitteingriffs gleiche Spanbildungsverhältnisse herrschen. Daher werden Einstell- und Prozessgrößen sinnvollerweise auf den Schnitteingriff bezogen, wie z. B. das bezogene Zeitspanvolumen

(13.22)

Auch Kräfte, Energien oder Leistungen, wie auch Verschleißvolumina werden zweckmäßigerweise durch den Schnitteingriff dividiert, um sie technologisch ver-gleichbar zu machen.

Das Zeitspanvolumen wird durch Größen gebildet, die von außen vorgegeben sind. Daher wird Qw auch als äußeres Zeitspanvolumen Qwa bezeichnet. Dieses äu-ßere Zeitspanvolumen muss identisch sein mit dem Volumen, das je Zeiteinheit durch die Schnittbewegung – gekennzeichnet durch die Schnittgeschwindigkeit vc – und den Eingriff der einzelnen Schneiden abgespant wird. Der mit der Schnittbe-wegung erzeugte Volumenstrom wird als inneres Zeitspanvolumen Qwi bezeichnet. Wenn man nach Kurrein [KUR27] annimmt, dass ein „Stoffband“ der Dicke heq mit der Schnittgeschwindigkeit vom Werkstück getrennt wird, ergibt sich (Abb. 13.23).

(13.23)

Aus der genannten Identität

(13.24)

folgt die äquivalente Spanungsdicke zu

(13.25)

Fn = Ae · pmax,

Ae

Ac=

F′n

pmax · lc.

Q′w =

Qw

ap

Qwi = heq · ap · vc.

Qwa = Qwi

heq = fr ·vft

vc

13 Schleifen

Page 299: Spanen ||

285

oder mit dem Geschwindigkeitsverhältnis q = vc/vft

(13.26)

heq ist eine Rechengröße, die nicht die tatsächliche Spanungsdicke angibt, sondern eine weit geringere, da tatsächlich nicht ein kontinuierliches Band vom Werkstück abgespant wird, sondern nur einzelne Körner oder Schneiden wirken.

Nach M.C. Shaw [REI56] lässt sich die mittlere Spanungsdicke am Korn bzw. an der Schneide hc aus der Korn- bzw. Schneidenzahl NA je Flächeneinheit der aktiven Schleiffläche ermitteln. Wenn NA durch Auszählen der Körner in der Draufsicht der Schleifscheibe ermittelt wird, werden folgende Annahmen getroffen:

• jedes Korn nimmt am Spanen teil,• jedes Korn liegt in der äußeren Umfläche auf gleicher Höhe,• jedes Korn trennt das überdeckende Volumen ab, das es am Werkstück durch-

dringt. Elastische Verformungen und plastisches Verdrängen (Pflügen) oder Ab-splittern von Werkstoff finden nicht statt,

• jedes Korn hat eine freie Kontaktlänge lε, ohne dass es zu Schnittüberdeckungen mit vor- oder nachlaufenden Körnern kommt (keine Bahnüberdeckungen).

Nach Abb. 13.24 ist der wirksame mittlere Querschnitt eines Kornes

(13.27)

und mit dem Formfaktor

(13.28)

heq =fr

q

Ag = bg · hc

λ =bg

hc

Abb. 13.23 Äquivalente Spanungsdicke heq

ap

Qwi

heq

vftQwa

vc

fr

heq = frvftvc

13.6 Schleifprozesse

Page 300: Spanen ||

286

ist die Summe des mit Schnittgeschwindigkeit abgespanten Querschnitts Ac

(13.29)

worin Ak die Kontaktfläche mit Ak = lg ⋅ ap ist. Daraus folgt durch Gleichsetzen des inneren und äußeren Zeitspanvolumens Qwi = Qwa:

(13.30)

die mittlere Spanungsdicke

(13.31)

Offensichtlich ist die Annahme, dass alle Körner am Schleifprozess in gleicher Wei-se, d. h. mit gleichem Spanungsquerschnitt Ag teilnehmen, tatsächlich nicht erfüllt; denn im Allgemeinen sind die Schleifkörner regellos in der Bindung angeordnet (außer bei galvanischer Bindung). Eine weitergehende Theorie berücksichtigt daher die Verteilung der Körner normal zur aktiven Schleiffläche. Büttner und Triemel er-mittelten die Kornverteilung aus der Konzentration des Schleifstoffes im Volumen der Schleifscheibe [BÜT68, TRI76].

Für das Scheibenvolumen Vs gilt

(13.32)

mit dem Schleifstoffvolumen Vg, dem Bindungsvolumen Vb und dem Porenraum Vp. Die Zusammensetzung ist durch eine archimedische Wägung oder aus der Her-stellerspezifikation (Querverweis zu Schleifscheiben) zu ermitteln.

Ac =∑

Ag = Ag · NA · Ak = λ · hc2 · NA · ap ·

(2 · fr · req

)1/2

Ac · vc = fr · ap · vft

hc =(

vft

vc·

1

NA · λ·

frlg

)1/2

mit lg =√

2 · fr · req.

Vs = Vg + Vb + Vp

13 Schleifen

Abb. 13.24 Kornform und Korndichte

Page 301: Spanen ||

287

Die Anzahl der Körner je Volumeneinheit NV kann mit Hilfe des mittleren Vo-lumens eines Kornes Vge oder aus der Kornkonzentration C und der Dichte des Schleifstoffs g bestimmt werden zu

(13.33)

Für das Volumen eines Kornes, mit dem Formfaktor qe, der für die Kugelform zu qe = 1 wird, gilt:

(13.34)

Nach Abb. 13.25 oberes Teilbild wird eine gedachte Fläche der Größe "1" im Ab-stand z ≥ dg von der Schleifscheibenumfläche von einer Kornanzahl NA0 durchsto-ßen. Es gilt

(13.35)

(13.36)

Dabei ist vorausgesetzt, dass die volumenbezogene Korndichte Nv unabhängig von z konstant ist. Dies gilt für z < dg nicht. Vielmehr nimmt die flächenbezoge-ne Kornzahl NA mit z linear zu. Der Grenzwert NA0 wird zudem durch Einflüsse des freien Randes bereits bei geringer Eindringtiefe z in den Schleifbelag erreicht. Abbildung 13.25 unteres Teilbild zeigt den Gradienten der Kornzahl je Flächenein-heit über z

(13.37)

NV =Vg

Vge · Vs=

C

ρg · Vge.

Vge = qe1

6π d3

g.

dg · Nv · "1" = NA0 · "1"

NA0 = dg · Nv.

c0 =dNA

dz= tan α =

NA0

dg

Abb. 13.25 Kornverteilung und Korndichte µm z

α

NA

NAO

mm–2

NAOtan α = c =

z

Schnittfläche Adg

dg

dg

dg

13.6 Schleifprozesse

Page 302: Spanen ||

288

(13.38)

Mit einer thermoelektrischen Methode konnte die Korndichte messtechnisch ermit-telt werden [KAI75]. Danach lässt sich tatsächlich eine konstante Korndichte co im aktiven Schneidenraum annehmen (Abb. 13.26), die bis zu einer Schneidenraum-tiefe z ≈ 0,3 dg reicht. Mit zunehmender Schneidendichte, also höherer Kornkon-zentration, feineren Körnen und höherem Kornhaltevermögen der Bindung nimmt die Schneidenraumtiefe ab.

Die Ermittlung der Korndichte bzw. Kornzahl je Flächeneinheit aus der Schleif-stoffkonzentration unterstellt, dass jedes Korn nur eine Schneide hat. Abhängig vom Abrichtprozess und von der Art der Bindung und des Schleifstoffs kann ein Korn mehrere Schneiden bilden [WER71, LOR75]. Aber auch dann kann mit aus-reichender Näherung angenommen werden, dass die Schneidendichte konstant ist, d. h. die Schneidenzahl je Flächeneinheit nimmt mit der Eindringtiefe in den Schneidenraum linear zu. Mit der Korn- bzw. Schneidenverteilung lässt sich dann die Spanungsdicke hc ermitteln.

Mit dieser Kenntnis der Schneiden- bzw. Kornverteilung über der Eindringtiefe in den aktiven Schleifraum lässt sich ein erweitertes Spanungsdickenmodell ent-wickeln, das auf Überlegungen von Büttner [BÜT68], Triemel [TRI76], Kassens [KAS69] und Lortz [LOR75] beruht.

Das innere Zeitspanvolumen ergibt sich aus der Zahl der momentan im Eingriff befindlichen Körner N und dem mittleren Spanungsquerschnitt je Korn Ag

(13.39)

c0 = NV.

Qwi = N · Ag · vc.

Abb. 13.26 Summenhäufigkeit von Schneiden in Diamantschleifbelägen

D91 M 115D91 M 100

D91 M 75

D110 M 100

D110 K 100

40

30

20

10

0

mm–2

0 10 20 30 40µm

Hüllflächenabstand z

stat

. Sch

neid

enza

hl N

A

Diamant-Schleifscheiben1A1-200-5

c0 = 430 mm–3c0 = 520 mm–3

D64 M 100

c0 = 1050 mm–3

c0 = 830 mm–3

Abrichten :SiC Rollenabrichterbremsgesteuert

a = 0,01 mm/EHvs = 6 mm/svw = 3 mm/s

Abziehen :Korundstab

c0 = 1860 mm–3

c0 = 980 mm–3

13 Schleifen

Page 303: Spanen ||

289

Für den mittleren Kornquerschnitt wird eine durchschnittliche Kornform mit stumpfwinkligem Querschnitt (Dreieck) angenommen (Abb. 13.27)

(13.40)

worin c1 eben diese Kornform beschreibt. Prinzipiell ließe sich für Ag auch eine an-dere Funktion, z. B. eine Exponentialfunktion wie in [WER71] anschreiben. Da die Bestimmung der mittleren Kornform jedoch ohnehin nur mit begrenzter Genauig-keit möglich ist, wird dadurch kein Vorteil erreicht. Die Zahl der Körner im Eingriff ergibt sich aus der Kornverteilung mit

(13.41)

worin zp die Eindringtiefe eines Korns in den Werkstoff ist (Abb. 13.27). An einer beliebigen Stelle des Eingriffsbogens ist wegen der konstanten Korndichte über z die mittlere Kornzahl je Fläche

(13.42)

Über einem Bogeninkrement der Länge rs ⋅ d und der Breite "1" sind dN Körner aktiv.

(13.43)

Ag = c1 · zk2

NA = c0 · zp

NA =1

zp

·zp∫

0

c0 · z · dz =1

2c0 · zp.

dN = NA · "1" · rs dϕ

Abb. 13.27 Kornform, Kornverteilung und Kinematik zum Spanungsdickenmodell

21

zpzp z

NA

NA (zp)

NA

zp

z

Umfläche

Ag

zk

aers

zmaxvft

zp(ϕ)

''1''

ϕe

ϕ

13.6 Schleifprozesse

Page 304: Spanen ||

290

Der mittlere Kornquerschnitt an einer Stelle ist wegen der konstanten Korndichte

(13.44)

Über dem gesamten Eingriffsbogen ergibt sich damit die Summe der Kornquer-schnitte

(13.45)

Für die Kinematik des Umfangsschleifens gilt

(13.46)

und mit

(13.47)

ist dann die Summe der Kornquerschnitte über den gesamten Eingriffsbogen rs ⋅ e

(13.48)

Aus Qwi = Qwa folgt

(13.49)

und damit schließlich für die maximale Korneindringtiefe

(13.50)

Eine vereinfachte Darstellung der Zusammenhänge zwischen der Korneindringtiefe und den Stellgrößen des Schleifprozesses verdeutlicht die Möglichkeiten der Ein-flussnahme auf die Spanungsdicke beim Schleifen

(13.51)

Auf der Basis dieses Spanungsdickenmodells lassen sich weitere Modelle zu Schleifkräften, Rauheiten und Schleifenergien aufbauen [WOB91, TÖN92, PAU94, FRI02].

Ag(ϕ) =1

zp·

zp∫

0

c1 · (zp − z) dz =1

3c1 · zp

2.

∑Ag =

ϕe∫

0

Ag(ϕ) dN =1

6c0 · c1 · "1" · rs ·

ϕe∫

0

zp3 dϕ.

ϕ

ϕe=

zp

zmax

ϕe ≈ 2 ·(

fr

2rs

)1/2

∑Ag =

1

12· c0 · c1 · "1" · rs · zmax

3

(fr

ds

)1/2

.

fr · "1" · vft =∑

Ag · vc

zmax =(

24 ·vft

vc·

1

c0 · c1

)1/3

·(

fr

ds

)1/6

=(

24 ·1

c0 · c1·

Q′w

vc · lg

)1/3

.

zmax ≈1

dg

(Q′

w

c1 · vc · lg

)1/3

.

13 Schleifen

Page 305: Spanen ||

291

13.6.2   Prozessgrößen

Die mechanische Energie, die während der Schleifbearbeitung aufgewendet wird, wird nahezu vollständig in thermische Energie umgewandelt. Diese Wärmemenge kann geometrische Abweichungen am Werkstück hervorrufen, seine Randzone ver-ändern und den Verschleiß des Werkzeuges beschleunigen. Die Kontaktzonentem-peratur stellt somit eine wichtige Prozessgröße dar. Sie ist allerdings schwierig zu messen aufgrund der schnellen Temperaturänderungen und der daraus resultieren-den steilen Temperaturgradienten. Hinzu kommt, dass die Kontaktzone nicht ohne weiteres zugänglich und meist von Kühlschmierstoff umgeben ist. Prinzipiell lassen sich die Temperaturmessverfahren nach Wärmeleitung und Wärmestrahlung unter-scheiden. Die gebräuchlichsten Verfahren sind in Abb. 13.28 dargestellt [KAR01].

Aufgrund der Notwendigkeit, so nah wie möglich an der Kontaktstelle zu mes-sen, muss für alle Methoden, die die Wärmeleitung nutzen und für das Pyrometer-messverfahren, das Werkstück oder die Schleifscheibe präpariert werden. Daher werden die aufgeführten Messmethoden nur im Bereich der Forschung eingesetzt. Eine direkte Temperaturmessmethode, die sich in der Praxis zur Prozessüberwa-chung einsetzen ließe, existiert bisher nicht. Indirekt kann jedoch auf Randzonenbe-einflussung im Werkstück geschlossen werden, wie im Kap. 15 erläutert wird. Die in Abb. 13.29 wiedergegebenen Temperaturen werden beim Außenrundschleifen mit einer Minimalmengenschmierung (MMS) und ohne jegliche Kühlschmierung mit einem Thermographiesystem in 30 mm Abstand von der Kontaktzone aufge-nommen. Die Versuche umfassen verschiedene Kombinationen aus Schnitt-, Vor-schubgeschwindigkeit und Zeitspanvolumen beim Schleifen von Wälzlagerstahl 100Cr6 mit mikrokristallinen Al2O3- und CBN-Schleifscheiben.

Abb. 13.28 Temperaturmessverfahren bei der geometrisch bestimmten Zerspanung (nach Karpuschewski)

Eindrahtmethode

offener Messkreis geschl. MesskreisWarmlöt-stelle

IsolierungThermo-draht

Werkstück

Pyrometer

Thermo-draht

zvarIsolierung

zvar

Schutz-mantel Thermo-

elementDünnschicht-Thermoelement

Video Thermographie

Thermokamera

Werkstück

SchleifscheibeInfrarotMessdiode

FokussieroptikGlasfaser-kabel

Werkstück

Schleifscheibe

Wär

mes

trah

lung

Wär

mes

leitu

ng

KornSchleif-scheibe

Thermofolie Warmlöt-stelle

Schleif-scheibe

Werk-stück

ZweidrahtmethodeSchleif-scheibe

geteiltesWerkstück

Ni NiCr

13.6 Schleifprozesse

Page 306: Spanen ||

292

In Abb. 13.29 sind die röntgenografisch gemessenen Werkstückeigenspannun-gen über den gemessenen Temperaturen JM aufgetragen. Es ergibt sich eine ein-heitliche Übertragungsfunktion für unterschiedliche Werkzeuge und Einstellbedin-gungen. Den Temperaturen können Werkstückeigenspannungen im Bereich von –400 bis 500 MPa zugeordnet werden. Ein Anstieg der Temperaturen und damit der Eigenspannungen ist bei Steigerung des Zeitspanvolumens bei jedem Schleif-stoff und jeder Kühlschmierstoffbedingung feststellbar. Mit zunehmender Schnitt-geschwindigkeit ist bei Verwendung der mikrokristallinen Al2O3-Schleifscheibe ein Anstieg der gemessenen Temperaturen zu verzeichnen. Beim CBN-Schleifen hat die Variation der Schnittgeschwindigkeit keinen Einfluss auf die Temperatur. Eine Verringerung der Werkstücktemperatur ist durch eine Steigerung der Werk-stückgeschwindigkeit erreichbar. Die Unterschiede zwischen den beiden Kornarten sind durch die unterschiedlichen Eigenschaften zu begründen. CBN-Körner weisen eine größere Verschleißfestigkeit und Wärmeleitfähigkeit auf. Dementsprechend geringer ist die Wärmemenge, die in das Werkstück gelangt, was sich in geringeren Werkstücktemperaturen niederschlägt [BRU98].

Dem Schleifprozess wird die mechanische Leistung Pc zugeführt.

(13.52)

Da im Allgemeinen vc >> vft ist, kann angesetzt werden:

(13.53)

Bis auf einen vernachlässigbaren Rest von (1 – k1) < 0,03, der in Versetzungsener-gien und Gitterstörungen d. h. Eigenspannungen umgesetzt wird, wird diese Leis-

Pc = Ft · (vc ± vft)(+ : Gegenlauf - - : Gleichlaufschleifen)

Pc = Ft · vc

Abb. 13.29 Werkstückeigenspannungen in Abhängigkeit der Werkstücktemperatur

600

MPa

200

0

–200

–4000 30 60 90 °C 150

Werkstücktemperatur am Messfleck M

trocken:

MK-Al2O3CBN

MMS:

MK-Al2O3

CBN

Verfahren:Außenrund-Umfangs-Querschleifen

Schleifscheibe:MK-Al2O3: 3CB3 80 16CBN: B126 C125, 10B181 C150ds = 150 mmvc = 30 - 60 m/s

Werkstück:100 Cr 6, 62 HRC, dw = 80 mmQ´w = 0,5 - 1,5 mm3/mmsvft = 0,25 - 1,5 m/s

Abrichten:Topfscheibe D301MK-Al2O3: Ud= 10, qd = –0,6CBN : . Ud = 4, qd = +0,6aed = 3 µm, apd = 1 mm

KSS:trockenMMS, QKSS=18 ml/h

Wer

kstü

ckei

gens

pann

unge

n σ l

l

13 Schleifen

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293

tung in Wärme gewandelt. Der Wärmestrom ist L = k1 Pc. Dieser Wärmestrom fließt ab über das Werkzeug Ls, das Werkstück Lw, die Späne Lch, den Kühlschmierstoff L1 und die Umgebung Lr. Den Hauptanteil nehmen Werkzeug und Werkstück auf [CHO86].

(13.54)

(13.55)

Zur Erklärung unterschiedlicher thermischer Randzonenbeeinflussung bei konven-tionellen Schleifstoffen und Bornitrid ist eine vereinfachte Betrachtung der beiden Anteile von Nutzen (Abb. 13.30). Vorausgesetzt wird hier eindimensionale, statio-näre Wärmeleitung und, dass in einem Abstand s = w = von der Kontaktfläche die gleiche Temperatur ϑ1 in den beteiligten Medien herrscht. Es gilt dann

(13.56)

mit den Wärmeleitungskoeffizienten s,w. Aus k2 ⋅ L = Ls + Lw ergibt sich

(13.57)

(13.58)

Ls + Lw = k2 · L,

k2 ≈ 0,8 ÷ 0,9.

Ls,w = λs,w · Akgϑ0 − ϑ1

δ

Ls =k2 L

1 + λw/λs

Lw =k2 L

1 + λs/ λw

Abb. 13.30 Energiebilanz am Schleifkorn

Schleifkorn

Werkstück

Wärmequelle

:

:

Grenzflächentemperatur

Kontaktfläche

0 zs,wδ

ϑ0

ϑ0

ϑ1

ϑ

Akg

δ

ϑ0 ϑ1Ls,w λs,w Akg–

=

zs

zw

LwLs

Lw

13.6 Schleifprozesse

Page 308: Spanen ||

294

Für Schleifstoffe mit unterschiedlichen Wärmeleitungen wie Korund mit sk und Bornitrid mit sb folgt dann für die Wärmeströme LWk, LWb

(13.59)

Für die Medien Stahl ( w = 50 W/mK), Korund ( sk = 29 W/mK) und Bornitrid ( sb = 1.300 W/mK) ist damit

(13.60)

Das bedeutet, dass beim Schleifen mit Korund die 17fache Wärmemenge ins Werk-stück fließt verglichen mit Bornitrid. Die Schleifscheibe auf Bornitridbasis wirkt gleichsam wie ein Schöpfrad für die Wärmeenergie wegen der guten Wärmeleitung.

13.6.3   Ausgangsgrößen

Schleifscheiben verschleißen. Es tritt Korn- und Bindungsverschleiß auf. Beim Kornverschleiß lassen sich folgende Verschleißarten unterscheiden:

Druckerweichen: Dieses Phänomen kann bei Korund auftreten, das zwar einen Schmelzpunkt von 2.050 hat, dessen Festigkeit aber bereits bei 1.200 °C auf ein Sechstel seiner Druckfestigkeit bei Raumtemperatur absinkt [STA62]. Als Folge der Druckerweichung treten hohe Reibkräfte und verrundete Schneidkanten auf, was die Spanbildungstemperaturen zusätzlich erhöht. Es kann sich ein instabiler Zustand einstellen, der zum Erliegen der Schleifscheibe führt. Der Volumen- oder Radiusverschleiß ist gering.

Abrasion: Als Folge der Reibung zwischen Korn und Werkstoff kommt es zu mechanischem Abrieb (Abb. 13.31). Das Korn wird kontinuierlich abgetragen und bildet auch hier unerwünschte, da Reib- und Scherkraft steigernde, verrundete Schneidkanten. Der Volumen- oder Radiusverschleiß ist gering.

Absplittern: Durch thermische Beanspruchung und anschließendes schnelles Abkühlen, aber auch durch mechanische Belastung bei ausreichender Splitterfähig-keit des Schleifkorns splittern Teile der Körner ab und bilden so neue Schneidkan-ten. Diese Verschleißart ist daher günstig, da der Volumen- und Radiusverschleiß zwar gegenüber der Druckerweichung und dem abrasiven Verschleiß größer ist, jedoch noch ausreichend gering ist und dennoch scharfe Schneiden entstehen. Die Fähigkeit zu splittern kann mit dem Friability Test gekennzeichnet werden (s. Abschn. 13.2).

Ausbrechen: Bei dieser Verschleißart brechen ganze Körner aus dem Bindungs-verband aus. Die Haltekräfte der Bindung reichen nicht aus, die Bindung ist zu weich. Es kommt zu starkem Volumen- und Radiusverschleiß. Die Schleifscheibe behält allerdings ihre Schleiffähigkeit.

Lwk

Lwb=

λw + λsb

λw + λsk.

Lwk

Lwb= 17.

13 Schleifen

Page 309: Spanen ||

295

Der Verschleiß einer Schleifscheibe wird zahlenmäßig durch den Volumenver-schleiß Vs oder den Radiusverschleiß ∆rs erfasst. Der Volumenverschleiß geht di-rekt in das Schleifverhältnis oder den Gütefaktor (grinding ratio) ein:

(13.61)

Das G-Verhältnis hängt u. a. vom Werkstoff, vom Schleifwerkzeug, von den Einstellgrößen, vom Konditionieren und von der Kühlschmierung ab. Folglich schwankt es in weiten Grenzen. Beim Schleifen mit Korund an gehärtetem Stahl 100Cr6 unter mittleren Bedingungen und Emulsion als Kühlschmierstoff kann mit einem G-Wert von 80 gerechnet werden. Bei Einsatz von CBN und unter Mineralöl lässt sich der G-Wert auf 3.000 und mehr steigern [GRA87].

Für maß- und formgenaues Schleifen ist meist der Radiusverschleiß bedeutsa-mer. Das ist der lokale Abtrag der Schleifscheibe nach einer bestimmten Schleifauf-gabe oder Schleifzeit. Die mittlere Radiusverschleißgeschwindigkeit hängt mit dem Schleifverhältnis zusammen, was sich aus einer Volumenbilanz ergibt:

(13.62)

Feinbearbeitungsverfahren wie das Schleifen erzeugen meist Oberflächen in ihrem End- und Gebrauchszustand. Wie in Kap. 16 Oberflächeneigenschaften ausgeführt

G =Vw

Vs=

Qw

Qs.

rs

t=

1

G

fr · vft

2π rs.

Abb. 13.31 Arten des Verschleißes und der Schärfung beim Schleifen

Abstumpfen

Fy

Fst v

BindungPore

Korn Absplittern

Ausbrechendurch Freilegungneuer Kornverbände

ScharfeSchleifscheibe

Verschleißarten Schärfung

duch Bildung neuerSchneidkanten

durch Abrichten

13.6 Schleifprozesse

Page 310: Spanen ||

296

wird, werden die Funktionseigenschaften von Bauteilen wesentlich durch die geo-metrischen und physikalischen Eigenschaften ihrer Oberflächen bestimmt. Zu fra-gen ist hier, wie diese Eigenschaften durch den Schleifprozess und seine Eingangs-größen erreicht werden können.

Die mikrogeometrische Oberflächenausbildung lässt sich durch verschiedene Kenngrößen wie die gemittelte Rautiefe, den Mittenrauwert, den Traganteilkenn-wert und weitere beschreiben (s. Kap. 16) je nachdem welche Funktion der Oberflä-che wesentlich ist. Häufig wird die gemittelte Rautiefe Rz angegeben. In Abb. 13.32 sind qualitativ die Einflüsse einiger Eingangsgrößen auf die Oberflächengüte an-geschrieben. Grundsätzlich ist die durch Schleifen erzeugte Oberfläche mit Mik-rotopographie der Schleifscheibe und den kinematischen Bedingungen, mit denen die Schneiden gegenüber dem Werkstück bewegt werden, verbunden. Eine erste Näherung als Maß für die Oberflächenausbildung ist die Spanungsdicke bzw. die Eindringtiefe der Schneiden, wie sie in Abschn. 13.7.1 modelliert wurden.

Mit Rücksicht auf das Verschleißverhalten ist in Abb. 13.32 zwischen konven-tionellen und hochharten Schleifstoffen unterschieden, wobei für beide die gleichen Trends festzustellen sind, bei CBN sind die Veränderungen der Rauheitswerte zeitlich erheblich gestreckt [HEU92]. Aus den schematischen Darstellungen ist zu entnehmen, dass die Rauheit mit zunehmender Vorschubgeschwindigkeit zunimmt, was sich auf die Steigerung der Spanungsdicke zurückführen lässt. Entsprechendes für den Ein-fluss der Schnittgeschwindigkeit, mit deren Steigerung die Spanungsdicke abnimmt. Die Schleifzeit bzw. das Zerspanvolumen V’w wirkt sich, wie Weinert zeigen konn-te [WEI76], ambivalent aus je nach der anfänglichen Mikrotopographie der Schleif-scheibe (s. a. Abschn. 13.7.2). Bei rauer Scheibe tritt nach anfänglich größerer Rauheit ein Glättungseffekt auf. Umgekehrt wird bei sehr glatter Scheibe durch Verschleiß-effekte eine Aufrauung und damit eine Steigerung der Rautiefe am Werkstück ein.

Abb. 13.32 Einfluss der Stellgrößen auf die Werkstückrauheit

konventionell

CBN

Rz

Rz

vf

vf vc

vc V’w

V’w

13 Schleifen

Page 311: Spanen ||

297

Neben diesem kinematischen Ansatz ist das Stoffverhalten zu berücksichtigen, nämlich ob der Werkstoff unter den gegebenen Prozessbedingungen (Spanungsdi-cke, Temperaturverteilung) zu duktilem oder sprödem Formänderungs- und Trenn-verhalten neigt. Untersuchungen zum Einkornritzen an sprödharten Werkstoffen haben gezeigt, dass es unterhalb einer bestimmten Ritznormalkraft zu beliebig lan-gen, rissfreien, plastisch verformten Ritzspuren am Bauteil kommt. Bei höheren Ritznormalkräften bzw. Spanunugsdicken brechen direkt nach dem Ritzvorgang im Bereich hinter der Schneide durch Zugeigenspannungen Entlastungsrisse auf und führen vermehrt zur spröden Materialtrennung (Abb. 13.33). Diese Erkenntnisse lassen sich prinzipiell auf den Schleifprozess übertragen, bei dem eine Vielzahl von Schleifkörnern zum Eingriff kommt [ROT94]. Dabei besitzt die Größe der mittleren Einzelkornspanungsdicke des Schleifprozesses einen entscheidenden Einfluss auf die auftretenden Materialtrennung. Geringere Einzelkornspanungsdicken –- z. B. hervorgerufen durch die Verwendung feinkörniger Schleifscheiben – bewirken eine eher duktile Materialtrennung, wohingegen der Einsatz grobkörniger Schleifschei-ben zu vermehrt spröder Materialtrennung führt [LIE98].

Die Qualität geschliffener Bauteile ist nicht nur vom Einhalten der Maß- und Formtoleranzen und einer geforderten Oberflächengüte abhängig, sondern auch von den physikalischen Eigenschaften der Werkstückrandzone. Unter den physika-lischen Randzoneneigenschaften versteht man den Gefügezustand und die Eigen-spannungen in den oberflächennahen Randschichten des bearbeiteten Werkstücks [BRI82]. Härteveränderungen können ebenfalls Aufschlüsse über die Randzo-nenbeschaffenheit geben. Hohe thermische Einwirkungen können zu einem Här-teverlust oder – unter extremen Bedingungen – sogar zu Neuhärtungszonen mit darunterliegender Weichhaut führen. Solche Gefügeveränderungen verschlechtern die Gebrauchseigenschaften der Bauteile signifikant, darüber hinaus können steile

Abb. 13.33 Materialtrennmechanismen an sprödharten Werkstoffen (nach Lawn und Marshall)

spröde Materialtrennung duktile Materialtrennung

lateralerRissaxialer

Riss

radialer Riss

hcu hcu

FnG FnG

FtG FtG

vc vcDiamant-schneide

Spanspur

plastischeVerformung

Werkstoff

13.6 Schleifprozesse

Page 312: Spanen ||

298

Härtegradienten in Verbindung mit Oberflächeneigenspannungen Risse im Bauteil hervorrufen [BRI91] (s. Kap. 16).

Das Überlagern von thermischen und mechanischen Wirkungen auf das Entste-hen von Eigenspannungen erläutert Brinksmeier, indem er Eigenspannungen über der kontaktflächenbezogenen Schleifleistung P''c aufträgt [BRI91]. Die Leistung ergibt sich aus dem Produkt der Relativgeschwindigkeit zwischen Werkstück und Schleifscheibe und der Tangentialkraft Ft. Sie wird auf die durch Eingriffsbreite ap und geometrische Kontaktlänge lg gebildete Kontaktfläche bezogen.

(13.63)

Wenn die Werkstückgeschwindigkeit deutlich geringer als die Schleifscheibenge-schwindigkeit ist, kann die bezogene Schleifleistung in guter Näherung wie folgt berechnet werden:

(13.64)

Bei sehr niedrigen Schleifleistungen sind zunächst nur thermisch bedingte Eigen-spannungen durch äußere Reibung zu erwarten. Plastische Verformungen bedingt durch mechanische Belastung führen zum Ausbilden von Druckeigenspannungen. Die mit zunehmender Schleifleistung ansteigenden Temperaturen verringern die durch mechanische Wirkung maximal induzierten Druckeigenspannungen und führen gleichzeitig zu einer sich stetig vergrößernden Dominanz der thermisch be-dingten Zugeigenspannungen. Die thermischen und mechanischen Einflüsse über-lagern sich in hochgradig nichtlinearer Weise, so dass eine einfache Superposition unzulässig ist und die Darstellung lediglich schematisch erfolgen kann. Eine ge-ringere thermische Beanspruchung des Bauteils zu einem günstigeren Verlauf der resultierenden Eigenspannungen führt. Dieser Effekt kann durch einen Wechsel des Schleif- oder Kühlschmierstoffs oder Verringern der Schnittgeschwindigkeit oder des Zeitspanvolumens erreicht werden [BRI91].

Heuer [HEU92] zeigt die Grenzen dieser Modellvorstellung auf. Ein Erhöhen der tangentialen Vorschubgeschwindigkeit bei konstanter Schnittgeschwindigkeit kann zu höheren kontaktflächenbezogenen Schleifleistungen bei gleichzeitig nied-rigerem Eigenspannungsniveau führen. Karpuschewski berücksichtigt daher die Wärmeeinwirkzeit und definiert eine Streckenenergie als die auf eine Spanvolu-meneinheit bezogene Wirkung und beschreibt den resultierenden Eigenspannungs-zustand wie folgt [KAR95]:

(13.65)

Einen weiteren Ansatz zum Beschreiben der beim Schleifen umgesetzten Energien und deren Wirkungen auf die im Bauteil verbleibenden Eigenspannungen schlägt Lierse [LIE98] vor. Er wendet Erkenntnisse aus der Schweiß- und Lasertechnik an, bei der zum Berechnen einer kontaktflächenbezogenen Energie die Kontaktzeit auf die Oberfläche direkt berücksichtigt wird und verwendet die Größe

P′′c =

Ft · (vs ± vft)

ap · lg[W/mm2] + Gleichlauf − Gegenlauf

P′′c =

Ft · vc

ap · lg

[W/mm2

]

σ|| = k ·ec · ae

le[MPa]

13 Schleifen

Page 313: Spanen ||

299

(13.66)

bei seinen Untersuchungen über mechanische und thermische Wirkungen beim Schleifen von technischer Keramik.

Die thermische Werkstückschädigung bei der Schleifbearbeitung wird durch die Einstellungen der Stell- und Systemgrößen beeinflusst. Nicht nur die primären Prozessgrößen üben einen Einfluss auf die thermophysikalischen Vorgänge beim Schleifen aus. Auch Größen, die die Schleifscheibentopographie maßgeblich und deshalb auch die beschriebenen Elementarprozesse bei der Spanbildung beein-flussen, wirken auf das Entstehen thermischer Schädigungen [BRI91]. Dieses ist auch für die verwendeten Kühlschmiermittel und deren Stellgrößen festzustellen [GRA87, HEU92].

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sich jede Änderung in der Kontaktzone zwischen Schleifscheibe und Werkstück auf die entstehende Randzonenbeeinflus-sung auswirkt. Jeder dieser Faktoren beeinflusst entweder die bei der Zerspanung erzeugte Wärme oder die auftretenden Kräfte bzw. die Wärmeaufteilung und ver-ursacht somit eine unterschiedliche Beeinflussung, die sich durch die entstehenden Eigenspannungen bestimmen lässt [BRI91]. Für die Auslegung eines Schleifpro-zesses müssen Zugeigenspannungen vermieden werden, um das Funktionsverhal-ten der Bauteile nicht negativ zu beeinflussen (s. Kap. 16).

Im Nachfolgenden wird der Einfluss wichtiger Stellgrößen des Schleifprozesses auf die Eigenspannungsausbildung im bearbeiteten Werkstück beschrieben. Hierbei werden ausschließlich Eigenspannungen parallel zur Schleifrichtung herangezo-gen, da diese in den meisten Fällen größere Beträge in Richtung Zugeigenspan-nungen aufweisen und somit für das Bauteilverhalten kritischer einzustufen sind [HAU80]. In Abb. 13.34 sind die Eigenspannungen an der Werkstückoberfläche für verschiedene bezogene Zeitspanvolumina über die Schnittgeschwindigkeit und die Eigenspannungstiefenverläufe für verschiedene Geschwindigkeitsverhältnisse dargestellt. Eine Steigerung der Schnittgeschwindigkeit führt bei den beiden dar-gestellten großen bezogenen Zeitspanvolumen zu einem Abfall der gemessenen Eigenspannungen. Für das geringe eingestellte Zeitspanvolumen liegen für alle Be-dingungen Druckeigenspannungen vor. Das bereits diskutierte Verringern der Spa-nungsdicke und damit der Schleifkräfte beim Erhöhen der Schnittgeschwindigkeit führt für hohe bezogene Zeitspanvolumina zu einem Reduzieren der an der Werk-stückoberfläche verbleibenden Eigenspannungen. Obwohl die für die Zerspanung erforderliche Schnittleistung dem Erhöhen der Schnittgeschwindigkeit ebenfalls zunimmt, wirkt sich die größere thermische Leistung offenbar in dem betrachteten Bereich nicht auf die Eigenspannungen aus.

Die thermische und mechanische Beeinflussung auf den Werkstoff des Bauteils durch die Schleifbearbeitung ist nicht nur auf die unmittelbare Oberfläche begrenzt. Sie hat je nach der Art und Größe der Belastung eine unterschiedliche Tiefenwir-kung [TÖN65]. Für die Beurteilung eines Schleifprozesses ist eine Analyse dieser Wirkung von besonderem Interesse, da unter der Oberfläche höhere Eigenspan-nungen vorliegen können, was eine starke Schädigung des Bauteils bedeutet. Für

E′′c = P′′

c · tk = P′′c ·

lgvft

=Ft · vc

ap · vft[J/mm2]

13.6 Schleifprozesse

Page 314: Spanen ||

300

die Auslegung von Schleifprozessen ist die Kenntnis der Tiefenwirkung der Stell-größen notwendig. Der Einfluss unterschiedlicher Geschwindigkeitsverhältnisse bei konstantem Zeitspanvolumen ist im rechten Teil der Abb. 13.34 zu entnehmen. Ein höheres Geschwindigkeitsverhältnis wird bei gleicher Schnittgeschwindigkeit durch Verringern der Werkstückdrehzahl erreicht. Dies hat zur Folge, dass die Ein-wirkzeit der von der Zerspanung hervorgerufenen Wärme größer ist als bei kleinen Geschwindigkeitsverhältnissen. Die Auswirkung ist klar in dem Bild zu erkennen. Die größere Wärmeeinwirkdauer führt zu höheren Zugeigenspannungen mit größe-rer Tiefenwirkung im Werkstück [CZE99].

Die Eigenspannungstiefenverläufe von verschiedenen bezogenen Zeitspanvo-lumina sind in Abb. 13.35 dargestellt. Bei einem geringen Zeitspanvolumen von Q'w = 2 mm3/mms treten Druckeigenspannungen an der Oberfläche auf. Die Tiefen-wirkungen dieser vornehmlich mechanisch bedingten Eigenspannungen sind nur sehr gering und betragen ca. 15 µm. Der Spannungsverlauf weist bis zum Verlassen der druckspannungsbeeinflussten Randzone einen hohen Gradienten auf und nimmt dann die Eigenspannungswerte des Grundgefüges an. Der Härtetiefenverlauf und das Schliffbild dieser Probe entsprechen ebenfalls dem des nicht geschädigten Grundgefüges.

Bei Steigerung des bezogenen Zeitspanvolumens auf Q'w = 10 mm3/mms über-wiegt der Einfluss der thermischen Belastung gegenüber der mechanischen Be-lastungskomponente. Es werden nur Zugeigenspannungen im Material gemessen. Der Eigenspannungsverlauf sinkt von etwa 200 MPa Zugeigenspannungen an der Oberfläche etwa linear auf den Zustand des Grundgefüges ab. Die höhere in das Werkstück eingebrachte Temperatur bei diesem Zeitspanvolumen führt zu Zug-

Abb. 13.34 Einfluss der Schnitt- und Werkstückgeschwindigkeit auf die Werkstückeigenspan-nungen gehärteter Bauteile

Schnittgeschwindigkeit vc

–400

0

400

1200

0 40 60 100m/s

MPa

Eig

ensp

annu

ngen

σ||

300

400

600

MPa

–10060 100µm

0

100

200

0 20 40

20

10

2

Abstand von der Oberfläche z

Diffraktometer XRD 3000 PTSStrahlung CrKαEindringtiefe τ = 4,1 - 6,1 µm

röntgenographischeEigenspannungsanalyse

VerfahrenAußenrund-Umfangs-Querschleifen

CBN-SchleifscheibeM 151 VR 150 Nvc = 100 m/s, Q‘w = 10 mm³/mms

CBN-SchleifscheibeM 126 VR 100 Nvc=100 m/s; q = –100

VerfahrenAußenrund-Umfangs-Querschleifen

q = –80

q = –150

Q‘w inmm³/mms

13 Schleifen

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301

eigenspannungen an der Werkstückoberfläche mit einer Tiefenwirkung von 20µm. Im Gefügebild ist etwas Anlassgefüge am Werkstückrand erkennbar und die ge-messenen Härtewerte im Randbereich sind niedriger als das des ungeschädigten Ausgangsgefüges.

Durch eine nochmalige Steigerung der im Schleifprozess erzeugten Wärme durch ein Zeitspanvolumen von Q'w = 20 mm3/mms vergrößern sich die Einwir-kungstiefen und die Maximalwerte der Zugeigenspannungen erheblich. Analog zur Wärmeentwicklung steigt die radiale Ausbreitung des Anlassgefüges. Durch die Temperatureinwirkung findet ein Anlassen des gehärteten Gefüges statt, das durch die temperaturbedingte Gefügeumwandlung an Härte verliert. Die durch den Schleifprozess erzeugte Temperatur erreicht Werte, die zum Ausbilden von Neuhär-tungszonen führen. Ein Anstieg der Härte durch die Neuhärtung ist im Härteverlauf nicht feststellbar, da sich diese Zone auf wenige µm Tiefe beschränkt. Eine Mes-sung der Materialhärte in diesem kleinen Bereich ist nicht durchführbar.

13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen

13.7.1   Grundlagen

Verschleiß durch Absplittern oder Ausbruch von Körnern oder durch Bindungsero-sion verursachter Verschleiß führt zur Selbstschärfung von Schleifwerkzeugen. Für

Abb. 13.35 Einfluss des bezogenen Zeitspanvolumens auf die Werkstückeigenspannungen

VerfahrenAußenrund- Umfangs-Querschleifen

CBN-SchleifscheibeM 151 VR 150 NVc = 100 m/s; q = –80

AbrichtbedingungenFormrolle U 75 B; Ud = 15qd = 0,8; aed = 0,5 µm

Werkstück100 Cr 6, 63 HRC

KühlungMineralöl, Tangentialdüse26 l/min; 8,5 bar

röntgenographischeEigenspannungsanalyseDiffraktometerXRD 3000 PS

StrahlungBragg-Winkel 2θ = 156,44°Eindringtiefe τ = 4,1–6,1 µm

CrKα

–400

0

800

0 20 40 60 µm

Eig

ensp

annu

ngen

σ||

MPa

100

220 10

bez. Zeitspanvolumen Q‘win mm3/mms

13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen

Page 316: Spanen ||

302

das Schruppschleifen kann dieser Effekt erwünscht sein, um eine Konditionierung des Werkzeugs zu vermeiden. Beim Schlichten und Feinschleifen kann jedoch in der Regel auf das Konditionieren nicht verzichtet werden (E. Saljé: Wer nicht Kon-ditionieren kann, braucht gar nicht erst anzufangen, zu schleifen). Das Konditionie-ren kann drei Zwecken dienen (Abb. 13.36) [SPU89].

Profilieren: Dabei geht es um die Wiederherstellung oder Neuerstellung einer Schleifscheibenkontur. Wenn durch Verschleiß einer Schleifscheibe die Zylindrizi-tät oder der Rundlauf verloren geht oder sich Wellen auf der aktiven Schleiffläche bilden, muss profiliert werden, d. h. in diesem Fall wird eine zylindrische Fläche erzeugt. Durch Profilieren können auch nicht zylindrische Formen des Werkzeugs zum Quer-Profilschleifen generiert werden. Profilieren wirkt makrogeometrisch.

Schärfen: Wenn Schleifwerkzeuge nicht mehr schleiffähig sind, durch Verrun-dung der Schneidkanten oder durch Aufladung (Zusetzen der Spanräume), kann durch Schärfen eine neue Lage von Körnern oder Schneidkanten erzeugt werden. Schärfen wirkt mikrogeometrisch.

Reinigen: Durch Reinigen werden Rückstände, die aus Werkstoff, aus Werk-zeugstoff oder auch aus Ablagerungen des Kühlschmierstoffs bestehen, entfernt. Reinigen verändert die Topographie des Schleifwerkzeugs nicht; weder die Körner noch die Bindung werden entfernt.

Das Profilieren (truing) und Schärfen (dressing) zusammen wird auch als Ab-richten bezeichnet. Da beim Schlicht- oder Feinschleifen die Spanbildung und alle daraus folgenden Wirkgrößen entscheidend vom Abrichten, d. h. der Art und den Einstellparametern dieses Vorgangs abhängen, kann ein Schleifprozess nie allein gesehen werden, sondern muss immer als eine Kombination aus Konditionieren/Abrichten und Schleifen betrachtet werden.

In Abb. 13.37 sind nach ihrer Kinematik bzw. Formerzeugung unterscheidbare Abrichtverfahren dargestellt [KAI09].

Schleifscheiben können mit rotierenden oder nicht-rotierenden, stehenden Werk-zeugen abgerichtet werden (Abb. 13.37). Ein zweiter Ordnungsgesichtspunkt ist die Art der Formerzeugung. Unterschieden werden das Formabrichten, also das gesteu-

Abb. 13.36 Konditionieren von Schleifscheiben (nach G. Spur)

Konditionieren

Abrichten

Reinigen

Reinigen

SchärfenProfilieren

Form erzeugenRundlaufZylindrizitätProfil durchKorn- undBindungs-angriff

Mikrostrukturerzeugen

durch Korn-angriffdurch Rück-setzen vonBindungen

Aufladungenbeseitigendurch Entfernenvon Spänen,Schleifartikelnund KSS-Resten

13 Schleifen

Page 317: Spanen ||

303

erte Führen des Abrichtwerkzeugs, und das Profilabrichten, bei dem das Abricht-werkzeug die Kontur des zu erzeugenden Profils enthält.

Abrichtwerkzeuge lassen sich ein- oder mehrschneidig (aus einem oder mehre-ren Körnern bestehend) ausführen (Abb. 13.38). Die Abbildung zeigt die typische Anwendung des Diaform- Verfahrens, bei der das Profil der Schleifscheibe durch gesteuertes Abrichten mit Einzeldiamanten erzeugt wird.

Abb. 13.37 Abrichtverfahren (nach Dr. Kaiser)

Abrichtwerkzeug

Überdeckungsgrad UdGeometrie des Abrichters R

Diamantierung

Schleifscheibe

Block

Profilrolle

Form-Abrichten Profil-AbrichtenS

tehe

nde

Abr

iche

rR

otie

rend

e A

bric

hter

Ges

chw

indi

gkei

ts-

Ver

hältn

is q

d

ns

ns

nd

ns

nd

ns

fad

Formrolle

R

Abb. 13.38 Einkornabrich-ter (Werkphoto Dr. Kaiser GmbH, Celle)

Anwendung

Abrichten von Profilen mit höchsterGenauigkeit (Korund, SiC)

Schrägstellung um < 5° verhindertAbnutzung der unteren Seite, dadurch

2-fach nutzbar•

Radiusgenauigkeit: +/–0,02mm•

Diamantqualitäten

PKD Diamant (ohne Bedeutung)•

CVD-Diamant•

Nahtsteine (Sporndiamant, Drilling)•

13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen

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304

Die Schneidelemente bestehen aus künstlichen oder natürlichen Diamanten und sind in einer Metallmatrix eingefasst. Diese Diamanten können ungeschliffen, formgeschliffen oder in einem anderen geometrisch definierten Zustand vorliegen. Sie können in einer stochastischen Verteilung oder nach einem definierten Setzmus-ter auf zylinder-, platten- oder scheibenförmigen Trägern angeordnet sein.

Formrollen sind rotierende Abrichter, die am Umfang mit Diamanten besetzt sind (Abb. 13.39). Sie werden 2- oder 3-achsig gesteuert, um das Scheibenprofil zu erzeugen. Wegen ihrer Vielfachbesetzung mit Diamanten haben sie eine erheblich längere Standzeit als Einzeldiamanten und zusätzlich den Vorteil, weitgehend un-abhängig vom zu erzeugenden Profil zu sein. Sie eignen sich daher für kleine und mittlere Serien. Für Großserien werden rotierende Profilwerkzeuge, Diamantprofil-rollen eingesetzt (Abb. 13.40). Sie tragen die Kontur des Scheibenprofils. Wegen der meist erforderlichen, hochgenauen Fertigung solcher Profilrollen und wegen der ganzumfänglichen Diamantierung sind sie aufwendig, haben aber lange Stand-zeiten und erlauben kurze Abrichtzeiten, da nur eine kurze radiale Zustellung er-forderlich ist.

Weitere Unterscheidungsmerkmale für Abrichtwerkzeuge sind die eingesetzten Bindungssysteme (Galvanik- oder Sinterbindungen), die Möglichkeiten der Dia-mantierung (stochastische Verteilung durch Streuen, regelmäßige Verteilung durch Handsetzen und ein- oder mehrschichtige aufgebaute Werkzeuge) und die durch die Belagdichte angegebene Anzahl der Diamanten auf dem Abrichter in Karat pro Ku-bikmillimeter. Die Eigenschaften von Abrichtwerkzeugen, die Einflüsse der Stell-

Abb. 13.39 Formrollen mit gesetzten Natur- und polykristallinen Diamanten (Werkphoto Dr. Kai-ser GmbH, Celle)

Naturdiamant Polykristalliner Diamant

Diamant-Nadeln Matrix

Stahlgrundkörper

CVD-Diamant-Stäbchen/Formplatten

Erster AnschliffErster Anschliff

Nachschliff

R R

R

1. Nachschliff...

10. Nachschliff

R R

13 Schleifen

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305

größen beim Abrichten und praktische Einsatzempfehlungen werden von Minke übersichtlich zusammengestellt [MIN99].

Grundsätzlich entspricht das Abrichten dem Drehen (Abb. 13.41). Mit dem Ab-richtvorschub fad und der Eingriffsbreite apd lässt sich ein Überdeckungsgrad Ud definieren zu

(13.67)

Die Eingriffsbreite folgt aus

(13.68)

Ud =apd

fad.

apd = 2 ·(2 · rd · aed − aed

2)

1/2

Abb. 13.40 Profilrolle mit Werkstück (Werkphoto Dr. Kaiser GmbH, Celle)

Abb. 13.41 Abrichten mit Einzeldiamant

SchleifscheibeAbrichtdiamant

Rzw

2 8 Ud Ud2 8

Fn,t

Mikroprofil derSchleifscheibe

Kontur desAbrichtdiamanten

ns

fad

rd

vs

apd

a ed

13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen

Page 320: Spanen ||

306

und der Abrichtvorschub mit der Schleifscheibendrehfrequenz ns zu

(13.69)

Übliche Einstellungen beim Abrichten von keramisch gebundenen Schleifscheiben sind [MAG08]:

(13.70)

Mit dem Überdeckungsgrad lassen sich die Wirkgrößen in weiten Bereichen beein-flussen, da die wirksame Rautiefe der aktiven Schleiffläche und damit die Zahl der aktiven Schneiden des Schleifwerkzeugs stark verändert werden. Zur Beschreibung der Schneidenraumtopographie einer Schleifscheibe wird die Wirkrautiefe Rts ver-wendet. Zur Bestimmung dieser Größe wird mit der Schleifscheibe ein Testwerk-stück mit festgelegten Parametern bearbeitet. Die auf dem Werkstück gemessenen maximalen Rautiefenwerte ergeben die Wirkrautiefe der Schleifscheibe [SCH68]. Die Wirkrautiefe Rts der Schleifscheibe ist

(13.71)

Ein größerer Überdeckungsgrad erzeugt mehr aktive Schneiden mit geringeren Rautiefen am Werkstück. Die Kräfte und die erforderliche Leistung steigen.

13.7.2   Konditionieren von konventionellen Schleifwerkzeugen

Konventionelle Schleifwerkzeuge lassen sich im Allgemeinen durch die in Abb. 13.37 dargestellten Abrichtwerkzeuge gleichzeitig profilieren und schärfen. Der Einfluss der Stellgrößen beim Abrichten geht mit zunehmender Schleifdau-er verloren. Der Schneidenraum der Schleifscheibe verändert sich durch den auf-tretenden Verschleiß. Die damit verbundenen Auswirkungen auf die Wirkrautiefe der Schleifscheibe bei unterschiedlichen bezogenen Zeitspanvolumina und Ab-richtbedingungen für einen stehenden Abrichter sind in Abb. 13.42 dargestellt. In Abhängigkeit von der durch das Abrichten erzeugten Anfangswirkrautiefe Rt,s0 der Schleifscheibe strebt diese mit zunehmender Schleifzeit einer von den Ab-richtbedingungen unabhängigen stationären Rautiefe zu. Im oberen Bildteil ist zu erkennen, dass bei gleicher Rauheit der Schleifscheibe mit der Einsatzzeit durch verschleißbedingte Änderung des Schneidenraums unterschiedliche Endrauheiten entstehen. Umgekehrt ist im unteren Bildteil zu sehen, dass mit der Einsatzzeit die Anfangsrauheit verändert wird und einem stationären Wert zustrebt. Der Schnei-denraum der Schleifscheibe verliert gleichsam sein Gedächtnis [WEI76]. Für die praktische Nutzung in der Serienfertigung ist interessant, dass durch die Abricht-strategie ein gleichmäßiges Schleifergebnis erzielt werden kann, indem durch das Abrichten bereits der stationäre Schneidenraum getroffen wird. Andererseits kön-

fad =vfad

ns.

fad ≤ 0,2 mm, aed = 10 µm ÷ 30 µm.

Rts =f 2ad

8 · rd

13 Schleifen

Page 321: Spanen ||

307

nen in der Einzelfertigung mit der gleichen Scheibe (Korngröße) durch das Abrich-ten sehr unterschiedliche Rauheiten erzielt werden [VER79].

Das Abrichten von konventionellen Schleifscheiben mit rotierenden Werkzeu-gen wird häufig genutzt, um Profilscheiben zu konditionieren. Dabei kann analog zum Abrichten mit dem Einzelkorndiamanten mit einer Diamantformschleifschei-be gearbeitet werden, wobei die Scheibe in wenigstens zwei Achsen bahngesteuert wird oder das zu erzeugende Profil in einer Diamantprofilrolle enthalten ist. Letzte-res Verfahren wird wegen der hohen Kosten für die Profilrolle i. Allg. in der Serien-fertigung eingesetzt. Abbildung 13.43 zeigt die Abhängigkeit der beim Abrichten mit Profilrollen erzielbaren Anfangswirkrautiefen Rt,s0 des Schleifscheibenprofils in Abhängigkeit der beiden Einstellgrößen Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis und radialer Abrichtvorschub pro Umdrehung der Schleifscheibe.

Die Diamanten der Rolle bewegen sich beim Abrichtvorgang relativ zur Schleif-scheibe auf zykloidischen Bahnen. Die Form der Kurven ist dabei abhängig vom Geschwindigkeitsverhältnis. Tauchen die Diamantkörner steiler in die Schleifschei-be ein, erhöht sich die Rautiefe der Schleifscheibe. Im Gleichlauf (qd > 0) entstehen im Bereich der Kontaktstelle stark gekrümmte, im Gegenlauf (qd < 0) dagegen lang-gestreckte Bahnen. Analog zu diesen Kurven stellen sich im Gegenlauf größere Wirkrautiefen als im Gegenlauf ein [SCH68]. Mit steigenden Werten für den radia-len Abrichtvorschub nimmt auch die Anfangswirkrautiefe zu, wobei der Rauheits-verlauf über dem Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis seine grundsätzliche Tendenz beibehält. Beim Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis qd = 1 findet ein Abrollen (Cru-shieren) zwischen der Schleifscheibe und der Diamantrolle statt. Dabei werden die

Abb. 13.42 Wirkrautiefe in Abhängigkeit vom bezogenem Spanungsvolumen für verschiedene Einstellgrößen (nach K. Weinert)

15

µm

5

0

15

µm

5

00

200 400 mm3/mm 800

bez. Spanungsvolumen V´w

Wirk

raut

iefe

Rts

Wirk

raut

iefe

Rts

Q´w = 3 mm3/mm*s

Q´w = 1 mm3/mm*s

Q´w = 0,2 mm3/mm*s

Q´w = 1 mm3/mm*sfad = 0,4 mm

fad = 0,3 mm

fad = 0,2 mmfad = 0,1 mm

fad = 0,2 mmVerfahren:Außenrund-Umfangs-Querschleifen

Schleifscheibe:EK 60 L 7 ke

Werkstück:100Cr6, 63 HRCdw = 82 mm

Abrichtbedingungen:AbrichtflieseFB/P 180NDUd = var.aed = 35 µm

Schleifen:100Cr6, 63 HRCvc = 29 m/sq = 90Q´w = var.

Kühlschmierung:Emulsion 2%QKSS = 50 l/min

13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen

Page 322: Spanen ||

308

Schleifkörner und die Bindung am Umfang der Schleifscheibe zerdrückt und die Anfangsrautiefe erreicht einen maximalen Wert. Bei dem Verhältnis qd = 0 dagegen werden von den Diamanten der Rolle ausgeprägte Riefen erzeugt, die sich gegen-seitig in axialer Richtung nur gering überdecken. In axialer Richtung entsteht eine hohe Welligkeit, die die Ursache für den Rautiefenanstieg ist [SCH73].

13.7.3   Konditionieren von hochharten Schleifscheiben

Während bei konventionellen Schleifstoffen das Profilieren und Schärfen in einem einzigen Arbeitsgang durchgeführt wird, erfordern hochharte Schleifscheiben häu-fig nacheinander geschaltete Prozesse, da durch den Profilierprozess in der Regel ein ausreichender Überstand der Schleifkörner in Bezug auf das Bindungsniveau der Schleifscheibe nicht erreicht werden kann [TÖN79].

Eine Unterteilung der Verfahren zum Profilieren erfolgt in Profilierwerkzeuge, die entweder diamanthaltig oder diamantlos sein können (Abb. 13.44) [FRI99]. Zum Profilieren geradliniger Belagprofile ist das Profilieren mit Siliziumkarbid (SiC)-Rolle ein gängiges und wirtschaftliches Verfahren. Durch die Relativge-schwindigkeit zwischen Profilierrolle und Schleifscheibe wird ein mechanischer Abtrag bewirkt. Der Antrieb der SiC-Rolle erfolgt dabei entweder durch Reibung der Wirkpartner und wird mittels einer Fliehkraftbremse verzögert oder die Pro-filiereinheit besitzt einen eigenen Antrieb. Beim Crushieren wird eine profilierte Stahl- oder Hartmetallrollen als Form- oder Profilwerkzeug eingesetzt. Die Cru-shierrolle wird dabei achsparallel gegen die Schleifscheibe gedrückt und durch

Abb. 13.43 Einfluss der Abrichtbedingungen auf die Anfangswirkrautiefe bei Diamantprofilrol-len (nach Schmitt)

Abrichtbedingungen:ProfilrolleD 700 / 7,5vc = 29 m/s

Schleifscheibe:EK 60 L 7 ke

15

µm

5

0

Anf

angs

wirk

raut

iefe

Rt,

s0

Abrichtgeschwindigkeitsverhältnis qd

Abrichtgeschwindigkeits-verhältnis1 0,5 0 –0,5 –1

Gleichlauf Gegenlauf

radialer Abrichtvorschub

vfrd

Diamantprofilrolle

Schleifscheibe

nr

nsd

frd = 0,73 µm

frd = 0,18 µm

frd = vfrd

nsd

vr

vsdqd =

13 Schleifen

Page 323: Spanen ||

309

Reibung mitgenommen, wobei keine Relativgeschwindigkeit vrel zwischen den Wirkpartnern auftreten sollte. Für dieses Verfahren sind keramische oder speziell crushierbare (ausreichend spröde) metallische Bindung erforderlich. Der Einsatz diamanthaltiger Werkzeuge ermöglicht sowohl ein profilabbildendes (Diamantpro-filrolle) als auch ein bahngesteuertes (Diamantformrolle) Profilieren. Da der Kon-takt mit der Schleifscheibenbindung die Standzeit von Diamantabrichtwerkzeugen herabsetzt, empfiehlt sich grundsätzlich ein gleichzeitiges Schärfen des Schleifbe-lags [TÖN75]. Ein Verfahren, das auf den Eingriffsbedingungen des Abrichtens mit Formrolle und den Wirkmechanismen des Crushierens basiert, ist das Punktcrushie-ren. Dabei wird der abrasive Verschleiß am Abrichtwerkzeug dadurch reduziert, dass die Relativgeschwindigkeit zwischen den Wirkpartnern zu Null oder doch zu einem Minimum geführt wird. Rotierende Diamantabrichtwerkzeuge werden heu-te zunehmend zum Profilieren von Schleifscheiben mit keramischer Bindung ein-gesetzt. Der Einsatz von stehenden Profilierwerkzeugen ist für hochharte Schleif-scheiben (speziell Diamant) aufgrund des hohen Verschleißes unbedeutend.

Die Schärfverfahren für hochharte Schleifscheiben können in abrasive Verfahren und Verfahren, die auf der Wirkung des elektrischen Stroms basieren, unterschieden werden (Abb. 13.44).

Das Funktionsprinzip beim Schärfen mit einem Schärfblock, auch Blockschärfen genannt, basiert auf dem Einsatz eines stabförmigen Schärfwerkzeugs aus Korund oder Siliziumkarbid in Keramik- oder Kunstharzbindung. Dabei kommt es durch die abrasive Wirkung des Schärfmittels zum Zurücksetzen des Bindungsmaterials und somit zum Freilegen der äußersten Schleifkörner.

Beim sogenannten Strahlschärfen wird ein aus losem Korund- oder Silizium-karbidkorn bestehendes Strahlmittel mit einer Trägerflüssigkeit (in der Regel Kühl-schmierstoff) auf die Schleifbelagoberfläche gestrahlt. Die gezielte Einstellung des

Abb. 13.44 Profilier- und Schärfverfahren für hochharte Schleifscheiben

diamantloses Profilierwerkzeug

diamanthaltiges Profilierwerkzeug

Diamantprofilrolle

CrushierenProfilierrolle

vcdp

vfrdp

fadpH

vcdp

vfadp vD Diamant-profilrolle

Diamant-schleif-scheibe vcdp

vfrdpvfadpvD Diamant-

formrolle

Diamant-schleif-scheibe

vcdp

vfrdp

vrel =0

Crushier-rolle

Diamant-schleif-scheibe

Profilierverfahren

abrasive Schärfverfahren

Schärfen mit elektrischem Strom

elektrolytisch kontakterosiv

ungebundengebunden

gebundenesSchärfmittel

Uds

Ids

vfrds

vc

KSS(Elektrolyt)

vcds

Austritt desungebundenenSchärfmittels

αD

Qdsvsds vcds

Schärfverfahren

Diamantformrolle

vfads

vcds

Abricht-rolle vR

13.7 Konditionieren von Schleifwerkzeugen

Page 324: Spanen ||

310

Kornüberstands erfolgt dabei über die Schärfmittelart und -menge sowie durch den Wirkwinkel des Schärfstrahls [UHL93].

Neben abrasiven Verfahren erlangt beim Schärfen sehr feinkörniger Diamant-schleifscheiben das Schärfen mit Elektrolyt zunehmend an Bedeutung. Es wird beim In-Prozess-Schärfen ELID-Schleifen genannt [TIO90, OHM95]. Das Grundprinzip basiert auf dem anodischen Abtrag von Bindungsmaterial in einer elektrolytischen Reaktion. Die Schleifscheibe, die über ein Bürstensystem mit einer Gleichspannung beaufschlagt wird, stellt die Anode in diesem Prozess dar. Der Spalt zwischen Ano-de und Kathode wird mit einer elektrolytischen Flüssigkeit gefüllt und durch den angelegten hochfrequent gepulsten Arbeitsstrom kommt es zum elektrochemischen Abtrag des Bindungsmaterials im Schleifbelag.

Ein weiteres auf der Wirkung des elektrischen Stroms basierendes Verfahren ist die Kontakterosion oder Elektroerosion. Die Grundvoraussetzung für den Einsatz der Schärftechnologie ist ein elektrisch leitfähiges Bindungsmaterial. Dem Schleif-belag wird eine Elektrode aus leitfähigem Material zugeführt, die durch die einge-betteten Körner zerspant wird. Aufgrund der angelegten Spannung bildet sich ein elektrisches Feld zwischen der Elektrode und dem Schleifbelag aus. [FAL98] wobei sich durch die abgespanten Elektrodenpartikel Feldverzerrungen ergeben. Es ent-stehen Feldüberhöhungen, die eine Funkenentladung zwischen der Elektrode und dem Bindungsmaterial der Schleifscheiben ermöglichen und dabei ein thermisches Abtragen des Bindungsmaterials bewirken [FRI99].

Unter Berücksichtigung der zeitlichen Reihenfolge kann zwischen Vor- und In-Prozess-Schärfen, d. h. das Schärfen erfolgt zeitgleich zum Schleifprozess, unter-schieden werden. Die Wirkungen des In-Prozess-Schärfens mittels Schärfblock bei der Bearbeitung von Keramik sind in Abb. 13.45 dargestellt. Der Schleifprozess

Abb. 13.45 Einfluss des Blockschärfzeitspanvolumens QdsB auf den Prozessverlauf

50

Nmm

30

20

10

00 200 400 600 mm3/mm 1000

bez. Zerspanvolumen V´w

bez.

Nor

mal

kraf

t F

´ n

Q´dsB = 0,1 mm3/mms

Q´dsB = 0 mm3/mms

0,04

Verfahren:Querseiten-Planschleifenvc = 25 m/svfa = 4 mm/min

Werkzeug:D25 C100 A06

Werkstoff:Al2O3 + Ti(C,N), CM1

Abrichten:SiC-Scheibe

Schärfen:In-Prozeß-SchärfenQ´dsB = 0 - 0,1 mm3/mms

Kühlung:Emulsion 3%

13 Schleifen

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311

ohne Einsatz der In-Prozess-Schärftechnologie ist durch steigende Schleifkräfte ge-kennzeichnet, die auf die wirkenden Verschleißmechanismen wie Zusetzungen und Kornabstumpfung zurückzuführen sind.

Durch die Verwendung des In-Prozess-Blockschärfens können die Einflüsse der Verschleißmechanismen minimiert werden. In Abhängigkeit des gewählten Blockschärfzeitspanvolumens QdsB, kommt es nach einer Einlaufphase zu stationä-ren Schleifkraftverläufen. Eine Steigerung von QdsB und damit eine Steigerung der Schärfintensität, führt zu einer Verringerung des Schleifkraftniveaus.

13.8 Schleifkosten

Schleifen ist ein „Doppelprozess“, d. h. neben dem eigentlichen Schleifvorgang muss auch das Abrichten in einer Kostenbetrachtung berücksichtigt werden.

Die Schleifkosten je Einheit sind dann

(13.72)

mit

Kmasch: Maschinenkosten einschl. Lohn (Platzkosten)KWZ: Kosten des Schleifwerkzeugs je StückKd: Kosten für das Abrichten auf das Stück bezogen

Die Maschinenkosten ergeben sich aus dem Maschinenzeitsatz zuzüglich Lohn-kosten [TÖN95] (Platzkosten je Zeiteinheit kpl) und der Gesamtzeit tges. = th+ tn aus Hauptzeit und Nebenzeit [DEN10]

(13.73)

Die Hauptzeit th lässt sich über die radiale Vorschubgeschwindigkeit (beim Ein-stechschleifen) und das Aufmaß oder aus dem abzuschleifenden Volumen Vw und dem Zeitspanvolumen Qw ermitteln. Daraus wiederum ergibt sich das beim Schlei-fen verbrauchte Scheibenvolumen Vs über das oben definierte Schleifverhältnis G = Vw/Vs.

(13.74)

mit den Scheibenkosten je Volumeneinheit ks. Hinzu kommen dann die Abricht-kosten Kd. Diese sind

(13.75)

mit der gesamten Abrichtzeit tges,d, dem durch Abrichten verloren gegangenen Scheibenvolumen Vs,d, und dem durch Abrichten verbrauchten Abrichtermaterial KWZ,d. Um den auf ein Teil entfallenden Anteil zu erfassen, ist durch die Stand-menge n zu dividieren, also durch die Anzahl der Teile bis zum nächsten Abricht-zyklus.

KF = Kmasch + KWZ + Kd

Kmasch = kpl × (th + tn)

KWZ = Vs × ks

Kd = (kpl × tges,d + Vs,d × kd )/n + KWZ,d/n

13.8 Schleifkosten

Page 326: Spanen ||

312

Beispiel: Einstechschleifen einer Welle aus Vergütungsstahl 42CrMoV4 mit Durchmesser d = 30 mm, Schleifbreite ap = 20 mm und Schleifaufmaß w = 0.25 mm bei einer Toleranzbreite von 10 µm. Geschliffen wird mit Korund (ks = Euro 100 10−6/mm3, G = 40) und wegen der geforder-ten Genauigkeit in einem zweistufigen Arbeitsgang (Schruppen mit vfr = 1.5 mm/min, Schlichten mit vfr = 0.25 mm/min) Die Standmenge der Scheibe bis zum Abrichten sei 15.

Mit Praxisdaten ergeben sich folgende Kosten je Werkstück:

KF = 4.10 € mit den Anteilen: Kmasch/KF = 0.90, KWZ/KF = 0.08, Kd/KF = 0.02

Wird die gleiche Aufgabe mit einer hochharten Schleifscheibe auf CBN-Basis bearbeitet, steigt der Ansatz für das Werkzeug auf ca. 15 %, die Schleifzeit und damit die Maschinen abhängigen Kosten Kmasch wer-den geringer, möglicherweise überproportional geringer.

Fragen

1. Nennen Sie Verfahren, die mit unbestimmten Schneiden spanen. 2. Gliedern Sie die Verfahren nach den Trennmechanismen und der Wirkbewegung. 3. Sehen Sie Einschränkungen für die Wegbindung beim Schleifen? Wie erklären

Sie die Energiebindung beim Strahlspanen? 4. Welche Schleifverfahren sind Ihnen bekannt? Geben Sie dazu die Bewegungen

von Werkzeug und Werkstück an. 5. Leiten Sie die äquivalente Spanungsdicke heq aus der Kontinuitätsbedingung

ab. 6. Geben Sie äquivalente Durchmesser für verschiedene Schleifverfahren an. 7. Aus welchen Komponenten ist eine Schleifscheibe aufgebaut? Welche Aufga-

ben haben sie? 8. Welche Schleifstoffe sind Ihnen bekannt? Gliedern Sie sie nach der Härte. 9. Welche Einsatzbereiche ordnen Sie den Schleifstoffen zu?10. Was bedeutet der Friability-Index? Welche Stoffeigenschaft charakterisiert er?11. Wie wird der Friability-Index ermittelt?12. Welche Arten von Korundschleifmitteln sind Ihnen bekannt? Wie sind sie auf-

gebaut und welche Wirkung lässt sich mit ihnen erzielen?13. Kennzeichnen Sie mögliche Kristallformen der hochharten Schleifmittel. Was

bedeutet der Index 111, was 100?14. Wie wird die Korngröße eines Schleifstoffes angegeben, wie wird sie bestimmt?15. Was versteht man unter der Härte einer Schleifscheibe? Wie lässt sie sich

beeinflussen?16. Wie kann man die Härte einer Schleifscheibe bestimmen?17. Welche Bindungsarten sind Ihnen bekannt?18. Wie kann der Verschleiß einer Schleifscheibe bestimmt werden?

13 Schleifen

Page 327: Spanen ||

313

19. Wie kann die mittlere Radiusverschleiß einer Scheibe aus dem G-Wert (Schleif-verhältnis) errechnet werden?

20. Welche Beanspruchungen sind dominant bei schnelllaufenden Schleifschei-ben? Wo ist die maximale Beanspruchung?

21. Welche Grundgleichungen benötigt man, um die dominante Beanspruchung eine Schleifscheibe rechnerisch zu bestimmen?

22. Wie hängen die Bruchgeschwindigkeit (Sprenggeschwindigkeit) und die zuläs-sige Arbeitsgeschwindigkeit zusammen?

23. Welche Möglichkeiten der Steigerung der Bruchgeschwindigkeit bzw. der zulässigen Arbeitsgeschwindigkeit sehen Sie?

24. Welchen Vorteil hat (theoretisch) eine Loch lose Schleifscheibe?25. Welche Verschleißarten treten an einer Schleifscheibe auf?26. Kennzeichnen Sie den Schleifprozess im Sinne der Systemtechnik (black-box).27. Nennen Sie Kenngrößen, mit denen sich Schleifprozesse beschreiben lassen.28. Wozu dient der äquivalente Radius?29. Was berücksichtigt die Näherungsrechnung für die geometrische Kontaktlänge

nicht?30. Wie unterscheiden sich kinematische und geometrische Kontaktlänge?31. Wie lässt sich die mittlere Spanungsdicke beim Schleifen unter Berücksichti-

gung der Mikrotopographie der Schleifscheibe ableiten?32. Geben Sie in eine Abschätzung an, wie sich die Energieabfuhr aus der Schleif-

zone bei unterschiedlichen Schleifstoffen einstellt.33. Welche Methoden zur Temperaturmessung beim Schleifen kennen Sie?34. Was beinhaltet der Begriff Konditionieren von Schleifscheiben? Benennen Sie

die Aufgaben der einzelnen Prozessschritte.35. Unterteilen Sie die Profilierverfahren und benennen Sie typische

Profilierwerkzeuge.36. Welche Abrichtverfahren wählen Sie für kleine, für mittlere und für Großserien?37. Welchen Effekt erreicht man durch gleich- oder gegenläufiges Abrichten?38. Wie ist der Überdeckungsgrad beim Abrichten definiert; wie und wann wirkt er

sich auf die Rauheit am Werkstück und die Kräfte beim Schleifen aus?39. Nennen Sie Schärfverfahren und untergliedern Sie diese nach ihrem

Wirkprinzip.40. Geben Sie die wichtigsten Terme zur Kostenrechnung beim Schleifen an.

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13 Schleifen

Page 331: Spanen ||

317

14.1 Einleitung

Als ein Beispiel für die Feinbearbeitung hochbeanspruchter, komplexer Flächen wird hier die Hartfeinbearbeitung von Verzahnungen mit Evolventenflächen be-handelt. Zahnräder gehören zu den wichtigsten Maschinenelementen im Maschi-nen- und Fahrzeugbau. Sie werden in mehreren Schritten hergestellt. Nach einer Weichbearbeitung, die Dreh-, Wälzfräs- oder Wälzstoßprozesse umfasst, folgt eine Wärmebehandlung, denn die spezifischen Belastungen der Getriebe werden aus Gründen der Raum- und Masseverringerung erhöht und die Härte und Festigkeit der Funktionsflächen muss somit gesteigert werden. Die aus der Wärmebehandlung resultierenden Härteverzüge sowie die geforderten Randzonen- und Oberflächen-eigenschaften führen dazu, dass sich an den Härteprozess eine Hartfeinbearbeitung zumeist durch Schleifverfahren anschließt (Abb. 14.1).

Die Qualität eines Zahnrads wird im Wesentlichen durch die Erzeugung der Evolventenfläche bestimmt. In der Serienfertigung nehmen Hartfeinbearbeitungs-verfahren für die Endfertigung der Verzahnung an Bedeutung erheblich zu. Gründe dafür sind

• neben der höheren spezifischen Belastung und den gesteigerten Ansprüchen an die Festigkeit,

• die zunehmende Bedeutung einer reduzierten Geräuschentwicklung durch die Getriebe sowie

• das Vordringen von Near-Net-Shape-Techniken durch Um- und Urformprozesse [BEH97].

Zu den häufigen Schadensformen an Zahnrädern gehören unter anderem Ober-flächenschäden der Zahnflanke, wie z. B. Graufleckigkeit oder Grübchenbildung. Diese entwickeln sich über längere Zeit und sind im Allgemeinen auf Ermüdung des Werkstoffes zurückzuführen. Dabei brechen aus der Zahnflanke Materialteil-chen aus. Mit voranschreitender Schädigung der Oberfläche kann es zu Rissbildung kommen, die in einem Zahnbruch resultiert. Der sogenannte Dauerbruch entsteht als Folge sich wiederholender wechselnder Belastungen. Dabei entsteht ein Anriss an der Stelle höchster Beanspruchung (meistens am Zahnfuß), der bei weiterer Be-

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 14Verzahnungsschleifen

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318

anspruchung solange wächst bis der verbleibende Restquerschnitt nicht mehr in der Lage ist die Belastung zu übertragen [DIN3979]. Zahnbrüche führen oft zu einem Totalausfall des Getriebes und sind mit enormen Kosten verbunden.

Die beschriebenen Schadensentwicklungen können durch Schleifverfahren ge-zielt beeinflusst werden. Untersuchungen zeigen, dass hohe Druckeigenspannungen und niedrige Rauheitswerte in der gesamten Zahnlücke sowie große Krümmungs-radien im Zahnfußbereich positive Wirkung auf die Lebensdauer der Zahnräder haben. Produktionsbedingte thermische Schädigung der Verzahnung, die oft mit Zugeigenspannungen und Rissbildung in der Randzone der Zahnlücke einhergeht, ist durch sorgfältige Prozessauslegung zu vermeiden [STE04, SCH07, HER08, BRE08, KAG02].

Bei der Auslegung des Schleifprozesses sind somit Orte der maximalen Zeit-spanvolumina zu beachten. Denn auch beim Verzahnungsschleifen wirkt sich das Zeitspanvolumen unmittelbar auf wichtige Ausgangsgrößen des Prozesses aus. Mit steigendem Zeitspanvolumen nimmt die gemittelte Rautiefe Rz ab. Das ist auf er-höhten Verschleiß und ein Abstumpfen der Schleifkörner zurückzuführen. Entspre-chend nimmt dabei auch die Schleifleistung zu. Mit der Glättung der Mikrotopo-grafie der Schleifscheibe steigt die umgesetzte Energie je abgetragenem Volumen und somit die Temperatur in der Randzone der Zahnflanke. Die Folge ist im Allge-meinen ein Abbau von Druckeigenspannungen wie es in Abb. 14.2 für das diskon-tinuierliche Profilschleifen exemplarisch dargestellt ist. Bei weiterer Steigerung des Zeitspanvolumens kommt es zum Splittern und Ausbrechen der Körner und hiermit wieder zu einer Vergrößerung der Rauheit. Dies geht wiederum mit der Verände-rung des Schleifscheibenprofils einher und führt zu geometrischen Abweichungen am Werkstück.

Abb. 14.1 Fertigungsfolgen zur Verzahnungsherstellung in der Großserienfertigung (nach Bausch)

Verzahnungs-schleifen

Schaben

Verzahnungshonen Verzahnungshonen

HartschälenHartwälzfräsen

(Schabwälzfräsen)

Verzahnen (Wälzfräsen, Wälzstoßen)

Härten

< 1% 75% 4% 3% 15% < 1% < 1% < 1%

(Anteile geschätzt) Getriebemontage

14 Verzahnungsschleifen

Page 333: Spanen ||

319

Nachdem es gelingt, durch primäre und sekundäre Geräuschminderungsmaß-nahmen Motorgeräusche in einem Fahrzeug deutlich zu reduzieren, treten Getrie-begeräusche in den Vordergrund. Kundenforderungen an den Komfort zwingen die Zahnradhersteller, die Verzahnungsqualität weiter zu steigern. Dies ist mit Schleifverfahren zu erreichen (Abb. 14.3) [SCH94]. Neben der Reduzierung von Abweichungen und Welligkeiten entlang der Evolvente, kommt dabei der geziel-ten Erzeugung von Zahnflankenmodifikationen eine besondere Bedeutung zu. Zu den gängigen Korrekturen gehören Balligkeiten in Höhen- und Breitenrichtung der Zahnflanke sowie Kopfkantenbruch und Zahnfußfreischnitt. Sie werden über ge-zielte Änderungen des Werkzeugprofils sowie der Bearbeitungskinematik erzeugt.

In dem Zusammenhang mit der Geräuschentwicklung wird der Mikrostruktur der Zahnflanken ebenfalls hohe Bedeutung beigemessen. Während die Oberflä-chenrauheit primär durch die Spezifikation der Schleifscheibe (Korn, Bindung) beeinflusst wird, ist die Ausrichtung der Schleifriefen auf die verfahrenseigene Kinematik zurückzuführen. So wird z. B. dem beim Wälzschraubschleifen typi-schen Schleifriefenprofil ein besonders günstiges Geräuschverhalten zugeschrie-ben. In der industrielen Praxis wurden Strategien entwickelt, um die durchgehenden Schleifriefen beim Wälzschleifen zu unterbrechen und somit eine Reduzierung der Laufgeräusche zu erreichen.

Durch Genauschmieden (Präzisionsschmieden) lassen sich Zahnradrohteile her-stellen, die keine Weichbearbeitung der Verzahnung mehr erfordern, da die Zahnlü-cken bereits mit ausreichender Genauigkeit vorgebildet sind. Sie werden wärmebe-handelt und anschließend unmittelbar hartbearbeitet [DEN03]. Auf die Auslegung der Prozesskette für die Zahnradfertigung sowie Vorteile des Genauschmiedens wird in Abschn. 15 ausführlich eingegangen.

Abb. 14.2 Einfluss des bezogenen Zeitspanvolumens auf die Rauheiten und Eigenspannungen beim diskontinuierlichen Profilschleifen

5,0

µm

3,0

2,0

1,0

0,0

0

–200

–400

–600

MPa

–1000

0,5

Rz Ra

bez. Zeitspanvolumen Q'w

Streuung Spindelleistung Pc

Spi

ndel

leis

tung

Pc

1,51 20,0

Messrichtung

0,6

1,2

Skt

2,0

mm3/mms

Mitt

enra

uwer

t Ra

gem

ittel

te R

autie

fe R

zE

igen

span

nung

σ⊥

σ⊥

Schleifscheibe:

Abrichten:

Prozess:

Werkstück:

Strahlung: Cr Kα156,4°5,76 T /Pa5 µm

Bragg-Winkel 2θ:REK:Eindringtiefe:

röntgen. Spannungsanalyse:

mn = 4,5 mm z = 16αn = 20°β = 0°

diskont. Profilschleifen

16 MnCr 5; 60 HRC; Eht: 1,0 mm

vc = 35 m/sae = 0,1 mmKSS: Mineralöl

vcd = 35 m/sard = 5 µmid = 10Ud = 2qd = 0.8 (Gleichlauf)

ds = 280 mm93A60 H15VPMF601

14.1 Einleitung

Page 334: Spanen ||

320

Die Verfahren für die Hartfeinbearbeitung von Verzahnungen lassen sich in Profil- und Wälzschleifverfahren einteilen. Bei Profilschleifverfahren wird die gewünschte Verzahnungsgeometrie durch Abbildung des Werkzeugprofils erzielt, während bei den Wälzschleifverfahren durch eine kinematische Kopplung von Werkzeug- und Werkstückbewegung die Sollgeometrie erzeugt wird [TÜR02, NEW91]. Jede dieser Verfahrensgruppen untergliedert sich wiederum in kontinu-ierliche und diskontinuierliche Verfahren. Auf der Seite des Wälzschleifens stehen das diskontinuierliche Wälzschleifen mit Tellerschleifscheiben, das kontinuierliche Wälzschleifen mit zylindrischen Schleifschnecken sowie das Verzahnungshonen. Auf der Seite des Profilschleifens stehen das sehr weit verbreitete diskontinuier-liche Profilschleifen und das kontinuierliche Wälzschleifen mit globoidischen Schleifschnecken. Abbildung 14.4 zeigt die Einordnung der Hartfeinbearbeitungs-verfahren für Zahnräder nach DIN8589.

Dieses Kapitel konzentriert sich auf das diskontinuierliche Profilschleifen, das kontinuierliche Wälzschleifen mit zylindrischen Schleifschnecken sowie das kon-tinuierliche Wälzschraubschleifen mit Schleifringen aufgrund der breiten Anwen-dung dieser Prozesse in der industriellen Praxis. Am Ende dieses Kapitels werden hierfür wesentliche Verfahrensmerkmale gegenübergestellt (Abb. 14.18).

Zunächst sind jedoch einige grundlegende Zusammenhänge von Evolventenver-zahnungen zu klären. Die Evolvente eines geradverzahnten Rades entsteht durch Abwälzen einer Tangentialgeraden am Grundkreis der Verzahnung. Durch eine Parallelverschiebung der Evolvente in z-Richtung entsteht eine Evolventenfläche (Abb. 14.5).

Diese Fläche ist mit Hilfe des Laufparameters τ in z-Richtung zu beschreiben durch

(14.1)E(ξ , τ ) = rb ·

sin(ξ + η) − ξ · cos(ξ + η)cos(ξ + η) + ξ · sin(ξ + η)

τ

.

Abb. 14.3 Fertigungsauf-wand und Geräuschaufkom-men [SCH94]

4. 5.

2x

Lp

15 dB

Fräsen

Schleifen

6. 7. 8. 9. 10. QualitätDIN 3962ISO 1328

4 6,3 1610 63 µm25Einzelteilungsfehler

Kraftwirkungen.

geom. Abweichungen

40

Sch

alld

ruck

Lp

Fer

tigun

gsau

fwan

d €

14 Verzahnungsschleifen

Page 335: Spanen ||

321

Abb. 14.4 Einordnung der Zahnflankenschleifverfahren nach DIN8589

Verzahnungs - Schleifverfahren

Wälzschleifen Profilschleifen

diskontinuierlich kontinuierlich diskontinuierlich kontinuierlich

Teller-schleif-

scheiben

Schleif-schnecke

(zylindrisch)

Schleifring(innenverzahnt)

Profil-schleif-scheibe

Schleif-schnecke

(globoidisch)

Abb. 14.5 Grundzylinder mit Evolventenfläche und Erzeugender (nach DIN3960)

Startwinkel

Grundkreis-radius

Kopfkreis-zylinder

Grundzylinder

Mantellinie

Bereich derZahnflanke

Evolvente imStirnschnitt

Evolventen-fläche

erzeugendeGerade

abwälzendeTangentialebene

abwälzendeGerade

Evolventenpunkt

Wälzwinkel

Wälzlänge L

zW

ξη

x

P0P

g

yrb

14.1 Einleitung

Page 336: Spanen ||

322

Der für eine Zahnflanke genutzte Bereich wird durch den Fuß- und den Kopfform-kreiszylinder begrenzt. Damit gilt

(14.2)

mit

rFf: FußformkreishalbmesserrFa: Kopfformkreishalbmesserrb: Grundkreishalbmesserb: Zahnradbreite.

Entsprechende Beziehungen lassen sich für schrägverzahnte Räder geben, wenn be-rücksichtigt wird, dass eine erzeugende Gerade auf der Tangentialebene nicht paral-lel zur Radachse, sondern um den Schrägungswinkel β geneigt ist und dadurch die Zahnflanken durch Evolventenschraubflächen gebildet werden [LOO59, TÜR02].

Bei der Auslegung der Getriebe sind Übersetzungszahl, Kraft- und Momentüber-tragung sowie Laufruhe von zentraler Bedeutung. Die Konstruktion der Zahnräder erfolgt somit in erster Linie über die Festlegung der Zähnezahl z, des Normalmo-duls mn, des Normaleingriffswinkels αn sowie des Schrägungswinkels β. Diese Grö-ßen sind genormt und bilden den Kern der Zahnradberechnung, die hier nicht näher erläutert wird [DIN3960].

Bei der Erzeugung von Schrägverzahnungen mit abbildenden Verfahren ist zu beachten, dass sowohl der Mittenkreisdurchmesser als auch der Grundkreisdurch-messer in mathematischen Beziehungen mit den oben aufgeführten Grunddaten stehen. So führt z. B. die Änderung des Mittenkreisdurchmessers bei konstant blei-benden Zähnezahl und Normalmodul zu einer Veränderung des Schrägungswinkels. Die Krümmungsverhältnisse entlang der Zahnflanke hängen unmittelbar von dem Grundkreisradius ab, welcher seinerseits z. B. durch eine Änderung der Zähnezahl der Verzahnung beeinflusst werden kann [DIN3960, DIN8000]. Hierauf ist zurück-zuführen, dass die Evolvente eines Zahnrades mit wenigen Zähnen stark gekrümmt ist, während die eines Zahnrades mit vielen Zähnen, bei sonst gleichbleibenden Verzahnungsgrunddaten nahezu geradlinig erscheint. Zu den Schrägverzahnungen gehören neben Stirnrädern unter anderem auch Schnecken- und Hohlräder. Die Konsequenzen aus den obigen Beobachtungen für die jeweiligen Hartfeinbearbei-tungsverfahren werden in den folgenden Abschnitten mit erläutert.

14.2 Diskontinuierliches Profilschleifen

Beim diskontinuierlichen Profilschleifen werden mit entsprechend profilierten Werkzeugen, meist beide Flanken simultan bearbeitet. Dazu werden keramisch ge-bundene Schleifkörper aus Schmelz- oder Sinterkorund, Bornitrid sowie galvanisch belegte Bornitrid-Schleifscheiben eingesetzt.

√(rFf

rb

)2

− 1 ≤ ξ ≤

√(rFa

rb

)2

− 1; 0 ≤ τ ≤(

b

rb

)

14 Verzahnungsschleifen

Page 337: Spanen ||

323

Die Schleifscheibe wird in dem Schrägungswinkel β entsprechend zur Werkrad-achse angestellt. Die Zustellung erfolgt zunächst radial, dann axial um die Zahn-flanken über der Radbreite zu schleifen (Abb. 14.6).

Bei Schrägverzahnung müssen dazu die Axialbewegung entlang zw und die Drehbewegung des Rades um zw kinematisch gekoppelt sein. Bei Ein- und Auslauf des Werkzeugs aus der Zahnlücke, zum Teilen des Werkrades in die nächste Lücke und für den Rücklauf in die Ausgangsposition fallen Nebenzeiten an. Deshalb ist das Verfahren gegenüber kontinuierlichen Verfahren zeitaufwändig. Es ergibt sich somit eine geringere Produktivität für das Profilschleifen. Andererseits lassen sich bei genauer Auslegung des Scheibenprofils [TÜR02] hohe Verzahnungsqualitäten bis zur Qualität 1 nach [DIN3961, DIN3962, ISO1328] erreichen [WOB95]. Der Zahnfuß kann mit diesem Verfahren prozesssicher bearbeitet werden, was die Dau-erfestigkeit eines Rades positiv beeinflusst [KLK00, KÖN94].

Das bezogene Zeitspanvolumen Q’w berechnet sich aus der Differenz des wirk-samen Scheibenprofils und des Rohteilprofils. Daraus ergibt sich ein Mittelwert über der Evolvente zu

(14.3)

Tatsächlich kann Q’w je nach Aufmaß ae über dem Profil erheblich vom Mittelwert abweichen (Abb. 14.7). gibt für normal und radial äquidistante Aufmaße ∆s und ae die schwankenden bezogenen Zeitspanvolumina Q’w wieder. Man erkennt, dass sich bei einem normal äquidistanten Aufmaß besonders im Bereich des Zahnfußes hohe Zustellwerte ergeben, die über Gl. (14.3) zu hohen Zeitspanvolumina führen. Dies ist beim Profilschleifen der durch das Wälzfräsen vorverzahnter Zahnräder zu beachten.

Eine Besonderheit des Profilschleifens ist die durchgehende Bearbeitung einer Zahnlücke bei, im Vergleich zu den generierenden Verfahren, relativ großen Kon-

Q′w = ae · vf .

Abb. 14.6 Profilschleifen von Verzahnungen

Schleifscheibendurchmesser : ds

ds

ns

vc

vf

b

: ns

: vc

: vf

: b

: ∆s

∆s

ae

: ae

∆sae

ap/2

AD/2

A

: ap

: AD

: α

α

Schleifscheibendrehzahl

Profilwinkel

Schnittgeschwindigkeit

Vorschubgeschwindigkeit

Zahnradbreite

Zahnflankenaufmaß

ZustellungDetail A

Eingriffsbreite

zerspante Stirnfläche

yw

Xw

Zw

14.2 Diskontinuierliches Profilschleifen

Page 338: Spanen ||

324

taktlängen. Dieser Umstand begünstigt die Wärmeausbreitung im Werkstück und macht das Verfahren anfällig für Schleifbrandeffekte.

Wie im vorstehenden Kapitel ausgeführt, ist das Schleifen ein kombinierter Pro-zess, der sich aus dem Konditionieren und dem eigentlichen Schleifprozess zusam-mensetzt. Zur Einsatzvorbereitung werden auch Profilschleifscheiben abgerichtet. Dazu ist das Werkzeug so zu profilieren, dass die durch Gl. 14.1 bestimmte Fläche entsteht. Für Schrägverzahnungen ist zu berücksichtigen, dass der Schrägungswin-kel β und der räumliche Eingriff des Werkzeugs eine Profilverzerrung hervorrufen, die beim Abrichten vorgehalten werden muss [TÜR02]. Das Schleifscheibenprofil ist von den Verzahnungsdaten unmittelbar abhängig. Werkstücke mit unterschied-lichen Zähnezahlen oder Schrägunswinkeln können somit nur unter Qualitätsein-bußen mit dem gleichen Werkzeugprofil hergestellt werden. Bei der Herstellung von Zahnrädern hoher Qualität werden somit unterschiedlich profilierte Werkzeuge benötigt. Hinsichtlich der Werkzeugbeschaffungs- und Lagerungskosten ist es bei galvanisch belegten Schleifscheiben von Nachteil. Die durch das Zeilenabrichten beliebig profilierbaren Korundschleifscheiben erweisen sich hingegen als sehr fle-xibel.

Abbildung 14.8 zeigt die Kinematik des bahngesteuerten Abrichtens einer Pro-filschleifscheibe. Die rechte und linke Profilhälfte der Lücke werden vorteilhafter-weise in zwei Konturzügen profiliert. Dadurch lassen sich beide Teile gleichsinnig entweder ziehend oder drückend abfahren, was unterschiedliche Kräfte zwischen den Wirkpartnern vermeidet. Der ziehende Schnitt ist vorzuziehen [TÜR02]. Dabei wird mit einem rotierenden Abrichtwerkzeug konditioniert, das mit einer speziellen Diamantierung an den umlaufenden Außenkanten versehen ist [LIE02].

Neben der makrogeometrischen Profilerzeugung der Schleifscheibe ist es Ziel des Abrichtprozesses, die Mikrotopographie dem Einsatzfall anzupassen. Das Ab-

Abb. 14.7 Bezogenes Zeitspanvolumen Q'w für unterschiedliche Aufmaß-verteilungen

radial äquidistantes Aufmaß

∆s ≠ const.

ae = 0,5 mm

40

mm

38

36

34

30

–12

Zus

tellu

ng a

eA

ufm

aß ∆

s

–14 –10 –8 –6 –4 –2 02,5

mm

2,0

1,5

1,0

0

ae

∆s

2 4 6 8 10 mm 14

AD

ae

ap

∆s

ap = 6,7 mmmmminvf = 120

AD = 3,35 mm2

Qw = 6,7 mm3/s

Qw = AD · vfQ'w = Qw / ap

Q'w = ae · vf

Verzahnungsdatenmn = 4,5 z = 16

β = 0°b = 15

αn = 20°x = 0,16

Qw = 12,08 mm3/s

Q'wm = 1,8 mm3/mms

Q'wmin = 1,0 mm3/mms

Q'wmax = 4,8 mm3/mms

Q'w = 1,0 mm3/mms

normal äquidistantes Aufmaß

∆s = 0,5 mm

ae ≠ const.

ap = 6,7 mmmmmin

vf = 120

AD = 6,04 mm2

14 Verzahnungsschleifen

Page 339: Spanen ||

325

richtergebnis mit einer angetriebenen Formrolle wird neben der Rollengeometrie, der Diamantart sowie deren Belegung maßgeblich durch die Stellgrößen Über-deckungsgrad Ud, effektive Abrichtzustellung aed und Geschwindigkeitsverhält-nis qd bestimmt. Die Bedeutung dieser Größen beim Abrichten von Profilen ist in Abb. 14.9 dargestellt.

Wie bereits vorn erläutert, ist der Überdeckungsgrad das Verhältnis der Ein-griffsbreite des Abrichters apd zum Abrichtvorschub fd. Diese dimensionslose Größe

Abb. 14.8 Bahngesteuertes Abrichten von Profilschleifscheiben

zM

yM

linkeProfilhälfte

bs

ds

rechteProfilhälfte

ReferenzpunktSchleifscheibe

ReferenzpunktAbrichter

Detail A

rPRFr bRF rPRFI

rPRFI

rPRFr

dRFr dRFI

dRFI

dRFr

Diamantierung

: Schleifscheibendurchmesser: Schleifscheibenbreite: Maschinen-Koordinatensystem: Kantenradius linke Profilhälfte: Abrichterdurchmesser links

: Abrichterdurchmesser rechts: Kantenradius rechte Profilhälfte

progr.Vorschub

Eilgang

dsbsyM/zM

14.2 Diskontinuierliches Profilschleifen

Abb. 14.9 Abrichten von Profilen

SchleifscheibendurchmesserDetail Ans

Schleif-scheibe

ds

ArPRF

dRF

aed

ard

vfd

rPRF

apd

fd

α

nRF

Abricht-formrolle

yM

xMzM

Profilwinkel

Formrollendurchmesser

Kantenradius der Formrolle

Schleifscheibendrehzahl

Formrollendrehzahl

Vorschubgeschwindigkeit

radiale Zustellung

Eingriffsbreite

Abrichtzustellung

Abrichtvorschub

Überdeckungsgrad

Schleifscheibengeschw.

Formrollengeschwindigkeit

Geschwindigkeitsverhältnis

: ds

: α = f(y,z)

: dRF

: rPRF

: ns

: nRF

: vfd

: ard

: apd

: aed

: fd

: Ud

: vd

: vc

: qd

Page 340: Spanen ||

326

ist ein Maß dafür, wie dicht die einzelnen Spuren der beim Abrichten entstehenden Vorschubspirale aneinander liegen. Folglich bildet sich bei einem hohen Überde-ckungsgrad eine glattere Scheibenoberfläche aus als bei einem geringen. Während beim Abrichten geradliniger Profile der Überdeckungsgrad und die normal zur Oberfläche wirkende effektive Zustellung aed konstant bleiben, ändern sich beim Abrichten gekrümmter Profile diese Größen in Abhängigkeit des Profilwinkels α. Mit den in Abb. 14.9 definierten Größen ergibt sich der Überdeckungsgrad zu

(14.4)

Den Verlauf des Überdeckungsgrades Ud und der effektiven Zustellung aed über das Schleifscheibenprofil stellt Abb. 14.10 exemplarisch dar. Aus den genannten Gründen verringert sich die gemittelte Rautiefe am Werkrad mit steigendem Über-deckungsgrad, während sich die Schleifleistung deutlich erhöht.

14.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken

Beim kontinuierlichen Wälzschleifen wird mit einer zylinderförmigen Schleifschne-cke gearbeitet, die in ihrem Normalschnitt durch ein Zahnstangenprofil angenähert werden kann. Die Schnecke ist vom Modul m und Eingriffswinkel α des Werkrades abhängig. Sie ist daher für Räder gleichen Moduls und Eingriffswinkels unabhängig vom Schrägungswinkel einsetzbar. Verwendet werden Schnecken in keramischer Bindung mit Schmelzkorund, Sinterkorund oder CBN als Schleifstoff sowie in gal-

Ud =vc ·

√2 · ard · rPRF · sin α − ard

2 · sin2α

vfd · π · ds+

1

2.

Abb. 14.10 Einfluss des Überdeckungsgrades und der Abrichtzustellung auf die Rauheit

Rz = 3,31µm

2,5

–2,5

µm0

05

mmµm

3

2

1

00 0,5 1 1,5 2,5 3,52 mm

0,8 1,6 2,4 mm 4,0

Z1 = 2,46 Z2 = 2,66 Z3 = 3,08 Z4 = 3,65 Z5 = 4,70

Zahnfuß-bereich

Zahnkopf-bereich

Evolventen-bereich

Mes

sber

eich

Profil

aed

Ud

Ud mittel

Schleifscheibe:

Abrichten:

Prozess:

Werkstück:

93A60 H15VPMF601ds = 280 mm

vcd = 35 m/sard = 5 µmid = 10Ud = 2

disk. Profilschleifenvc = 35 m/sae = 0,1 mmQ'w = 0,5 mm3/mmsKSS: Mineralöl

mn = 4,5 mmz = 16αn = 20°β = 0°16 MnCr 560 HRC; Eht: 1,0 mm

Übe

rdec

kung

sgra

d U

d A

bric

htzu

stel

lung

aed

Zi = Einzelmessstrecke

14 Verzahnungsschleifen

Page 341: Spanen ||

327

vanischer Bindung mit CBN-Belegung. Um hohe Abtragsleistungen und zugleich hohe Oberflächengüten zu erreichen, werden als galvanisch belegte Schleifschne-cken häufig Schneckensätze aus Schrupp- und Schlichtschnecke verwendet. Beim kontinuierlichen Wälzschleifen lassen sich hohe Verzahnungsqualitäten erzielen. Wegen des kontinuierlichen Ablaufs sind Teilungs- und Rundlauffehler sehr gering ausgeprägt. Das kontinuierliche Wälzschleifen wird in der Serienfertigung mittlerer und großer Lose von Werkrädern bis zum Modul 5 mm bevorzugt. Die Bearbeitung von Verzahnungen bis zum Modul 10 mm ist derzeit jedoch schon realisierbar.

Bei der Bearbeitung des Werkrades wird die Schleifschnecke gegenüber der Werkstückachse um den Winkel φ = β – γ0 ( γ0: Steigungswinkel der Wälzschne-cke) geschwenkt (Abb. 14.11). Die Werkzeug- und Werkstückachsen werden mit einander gekoppelt, so dass das Zahnrad und die Schnecke in einem konstanten Drehzahlverhältnis rotieren. Durch eine radiale Zustellung wird das Flankenaufmaß abgetragen. Um die Zahnradbreite zu bearbeiten, führt die Schleifschnecke oder das Werkrad eine axiale (Differentialverfahren, Pfauter-Verfahren) oder eine Vorschub-bewegung in Richtung der Zahnschrägung (Grantverfahren) aus.

Aufgrund der Abwälzkinematik wird beim Wälzschleifen das Zahnflankenauf-maß auf den rechten und linken Zahnflanken unterschiedlich abgeschliffen. Eine Flanke wird mit einer vom Zahnkopf zum Zahnfuß abwälzenden Schneckenflanke bearbeitet. Das Aufmaß auf der gegenüber liegende Flanke wird hingegen simultan vom Zahnfuß zum Zahnkopf abgetragen. Aufgrund des kontinuierlichen Ablaufs entfallen Anstellbewegungen und Nebenzeiten. Pro Werkstückumdrehung wird das Aufmaß in schmalen Streifen abgenommen. Dies führt zu der verfahrenstypischen Welligkeit entlang der Flankenlinie. Der resultierende Wälzvorschub erfolgt somit entlang der Profillinie und nicht in Richtung der Zahnradbreite. Während der Werk-stückzahn außer Eingriff ist und umläuft findet kein Materialabtrag statt. Die hier-

Abb. 14.11 Kinematik des Wälzschleifens (Differentialverfahren)

γ0

γ0

xw

yw

ysxs

zs

zw

StirnschnittZahnrad

AchsschnittWälzschnecke

gemeinsamerNormalschnitt(Arbeitsebene)

Achsab-stand A

vc

vfnw

ha0

hf0

Wälzlinie

d0

df0

da0

pn0 = mn0 · π · z0

2 · αn0

Normalschnitt Schnecke

d db df

da

ß

ß

14.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken

Page 342: Spanen ||

328

aus resultierende unterbrochene Lückenbearbeitung ermöglicht eine bessere Küh-lung des Werkstücks gegenüber dem diskontinuierlichen Profilschleifen.

Beim kontinuierlichen Wälzschleifen befinden sich stets mehrere rechte und lin-ke Zahnflanken im Eingriff. Hierbei kommt es zu wechselnden Eingriffsbedingun-gen und einer unterschiedlichen Anzahl von Eingriffen auf den rechten und linken Zahnflanken. Die Folge sind periodische Kraftschwankungen zwischen Werkzeug und Werkrad. Abbildung 14.11 zeigt die Kinematik und die geometrischen Kontakt-verhältnisse zwischen Wälzschnecke und Werkrad.

Das mittlere bezogene Zeitspanvolumen lässt sich aus den geometrischen Grö-ßen und der Vorschubgeschwindigkeit errechnen. Es ist

(14.5)

mit

vf: Vorschubgeschwindigkeitz: Zähnezahl des Zahnradsae: Arbeitseingriffαn: Normaleingriffswinkelβ: Schrägungswinkel der Verzahnungda: KopfkreisdurchmesserdFf: Fußformkreisdurchmesserdb: GrundkreisdurchmesserlP: Profilausbildungslängeγ0: Steigungswinkel der Wälzschnecke.

Die Profilausbildungslänge lP ergibt sich aus dem Abstand der Eingriffspunkte im Normalschnitt der Wälzschnecke [TÜR02]. Dabei handelt es sich hier nur um ein über den gesamten Schleifvorgang gemittelten Wert, also das summierte Zeitspan-volumen aller Eingriffspunkte. Das lokale bezogene Zeitspanvolumen Q'wl, welches das vorliegende Zeitspanvolumen an einem Ort der Zahnflanke betrachtet, weicht davon erheblich ab. Es berechnet sich zu

(14.6)

mit

∆s: Zahnflankenaufmassdy: Durchmesser des Berührungspunktesd0: Teilkreisdurchmesser der Wälzschnecke.

Hierbei ist die Laufvariable über der radialen Erstreckung der Flanke durch den Durchmesser des Berührungspunktes dy gegeben. Abbildung 14.12 zeigt beispiel-haft den Verlauf mittlerer und lokaler bezogener Zeitspanvolumina. Aus den Ver-

Q′wm =

vf · z · ae · sin αn · cos β ·(da

2 − dFf2)

2 · db · lP · cos γ0

Q′wl =

2 · sin αn · s · vf · π ·√

dy2 − db

2

d0 ·√

1 − (2 · s · sin αn − d0)2

d02

14 Verzahnungsschleifen

Page 343: Spanen ||

329

läufen von Q'wl wird deutlich, dass bei der Erhöhung des mittleren Zeitspanvolu-mens Q'wm über die Steigerung der Zustellung ∆s das jeweilige maximale bezogene Zeitspanvolumen Q'wl deutlich schwächer ansteigt als bei der Steigerung der Vor-schubgeschwindigkeit vf. Ferner erkennt man den Unterschied zwischen den beiden Größen. So kann das lokale bezogene Zeitspanvolumen Q'wl am Zahnkopf um den Faktor 2,5 höher sein als das mittlere bezogene Zeitspanvolumen Q'wm.

Ein höheres Zeitspanvolumen im Werkstückkopfbereich führt bei größeren Zerspanvolumina zu Abweichungen im Werkstückprofil und kann als Indiz für einen stärkeren Profilverlust insbesondere im Fußbereich der Wälzschnecke ge-deutet werden. Untersuchungen zum Einfluss der Gangzahl auf Werkzeugver-schleiß und Eigenspannungen im Werkstück zeigen, dass der Profilverlust ins-besondere bei mehrgängigen Schnecken zu beobachten ist. Gleichzeitig sind bei mehrgängigen Werkzeugen bessere Eigenspannungszustände beobachtet worden [STI09].

Technologische Kenngrößen, wie die geometrische Kontaktlänge oder die Ein-zelkornspanungsdicke, haben sich bereits für andere Hartfeinbearbeitungsverfah-ren, wie etwa das Plan- oder Außenrundschleifen, bei der Prozessauslegung etab-liert. Eine Beschreibung dieser Größen für das kontinuierliche Wälzschleifen er-folgt bei [STI09] auf Basis empirisch ermittelter Daten. So wird die geometrische, maximale Kontaktlänge mit

(14.7)lg.max = 4√

s ·(√

f + 0,4 · 4√

da0 + 0,2 ·√

mn − 0,0025 · (β + 2)2)

Abb. 14.12 Mittleres und lokales bezogenes Zeitspanvolumen beim Wälzschleifen

mm3

mms4

6

2

1

0

3

mm3

mms

4

6

2

1

0

3

d0 = 180 mmvf = 55 mm/min

d0 = 180 mm∆s = 0,1 mm

∆s = 0,1 mm

∆s = 0,3 mm

∆s = 0,2 mm

∆s = 01 mm

da

da

dad

d

ddb = dFf

db = dFf

db = dFf

Q'wm

Q'wm

Q'wm

Q'wl Q'wl

Q'wl v f = 165 mm/min

vf = 110 mm/min

vf = 55 mm/min

64 66 68 70 72 74 76 78 80 mm 84

64 66 68 70 72 74 76 78 80 mm 84

vf = 110 mm/min

dm = 110 mm

dm = 180 mm

dm = 250 mm

Berührpunktdurchmesser dy

Schneckendatend0 = var.β0 = f(d0)

eP0 = 7,068 mm

z0 = 1αn0 = 20°

mn0 = 4,5 mm

β = 0°

Verzahnungsdaten

mn = 4,5 mmz = 16x = 0,16

αn = 20°

bez.

Zei

tspa

nvol

umen

Q' w

bez.

Zei

tspa

nvol

umen

Q' w

14.3 Kontinuierliches Wälzschleifen mit Schleifschnecken

Page 344: Spanen ||

330

und die Einzelkornspanungsdicke mit

(14.8)

angegeben. Der Index 0 kennzeichnet hierbei eine dem Werkzeug zugehörige Grö-ße, während f für den Vorschub pro Werkstückumdrehung steht.

Zum Abrichten von Wälzschnecken werden hauptsächlich abbildende Verfah-ren genutzt. Dazu wird das Werkzeugprofil einer Diamantprofilrolle aus der Wälz-schneckengeometrie abgeleitet. Das Abrichtwerkzeug wird unter einem Steigungs-winkel angestellt und an der Schnecke entlang geführt, während sich diese dreht. Dieser Vorgang entspricht einem Gewindeschleifprozess. In Abb. 14.13 sind die geometrischen Verhältnisse vereinfacht dargestellt.

Zu beachten ist hierbei, dass das Profil des rotierenden Abrichtwerkzeugs nicht dem Lückenprofil im Normalschnitt der Schnecke entspricht. Vielmehr muss be-rücksichtigt werden, dass die Berührlinie zwischen Abrichtwerkzeug und Schleif-schnecke nicht in einer Ebene darstellbar ist. Ähnlich dem Schleifen von Zahnrä-dern mit Profilschleifscheiben führt auch hier eine Änderung der Schneckendaten zu Änderungen des benötigten Abrichtwerkzeugprofils. Diese Änderungen können sich bei der Prozessumstellung auf eine andere Gangzahl sowie in Folge der ab-richtbedingten Durchmesseränderung der Schleifscheibe ergeben. In der industriel-len Praxis werden die Flanken der Abrichtwerkzeuge mit einem Radius hergestellt, sodass beim Abrichten einer Evolventenfläche angenäherte Schneckenflanken er-zeugt werden. Eine mathematische Darstellung des Abrichtprofils, auch unter Be-rücksichtigung möglicher Maschinenachsen, wurde von [TÜR02] erarbeitet. Mehr Flexibilität in der Profilerzeugung bieten Zeilenabrichtstrategien. Aufgrund des nur punktuellen Kontakts bringen sie jedoch längere Abrichtzyklen mit sich und sind daher aus wirtschaftlicher Sicht weniger attraktiv.

hcu.max = 0,14 · f 0,25 · s0,15 · z0,50 · d−0,5

a0 · m0,25n · z−0,25

Abb. 14.13 Abrichten einer Wälzschnecke

AchsschnittAbrichtrolle(Arbeitsebene)

Achsab-stand A

AchsschnittWälzschnecke

Normalschnitt Schnecke

Profilbezugslinie pn0 = mn0 · π · z0

ard

aed

SRPapd

dRP

αRP

SP0 eP0

df0

d0

da0

hf0

ha0

2 · αn0

bRP

vfd

zs

xs

ys

nsxR

zR

yR

90°– ϕ

90°– ϕ

nRP

14 Verzahnungsschleifen

Page 345: Spanen ||

331

14.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen

Beim kontinuierlichen Wälzschraubschleifen werden die Wirkpartner nach Art eines Schraubgetriebes mit gekreuzten (windschiefen) Achsen angeordnet. Das Verfahren hat mathematische Ähnlichkeit mit dem Zahnradschaben (Abb. 14.14) [BAU94]. Allerdings wird hier mit Schleifwerkzeugen gearbeitet. Dabei wird aus Gründen günstiger Kontaktverhältnisse das Werkzeug meist als Innenzahnring ausgeführt. Das Verfahren wird in der Praxis als Verzahnungshonen, Wälzhonen, Schabschleifen oder auch Coronieren (Markenname der Fa. KAPP) bezeichnet. Es handelt sich jedoch nicht um ein Honverfahren im Sinne der DIN8589. Vielmehr ist der Prozess ein Schleifverfahren; innerhalb der Verzahnungsschleifverfahren ist es dem kontinuierlichen Wälzschleifen zuzuordnen (s. Abb. 14.14) [SCH99].

Werkzeug und Werkrad wälzen an den Wälzzylindern ab. Durch den Achskreu-zungswinkel kommt es zu einer axialen Bewegung des Schleifrades gegenüber dem Werkrad; dies ergibt eine spanende Bewegung auf dem Wälzkreis. Oberhalb und unterhalb des Wälzkreises findet bekanntlich bei jeder Zahnradpaarung, so auch hier, eine „gleitende“, d.h. hier spanende Bewegung statt, die sich abhängig vom Kontaktpunkt und davon, ob es sich um eine auflaufende oder ablaufende Flanke handelt, der axialen Bewegung als resultierende Schnittgeschwindigkeit überlagert (Abb. 14.15). Hierbei ist die axiale Schnittgeschwindigkeitskomponente vax mit dem Achskreuzungswinkel δ (Abb. 14.15 unten)

(14.9)

Aus Abb. 14.15 (oben) lässt sich ableiten, dass die radiale Geschwindigkeit über den Abstand vom Wälzkreis hr, die Winkelgeschwindigkeit des Werkrades ωw und das Zähnezahlverhältnis zs/zw bestimmbar ist.

(14.10)

vax =sinδ

cosβvs.

vgr = ± hr · ωw

(1 +

1

zs/zw

)

Abb. 14.14 Prinzip des Wälzschraubschleifens (Quelle: Kapp GmbH)

14.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen

Page 346: Spanen ||

332

Somit ergeben sich die in Abb. 14.16 dargestellten resultierenden Schnittge-schwindigkeiten über der Evolvente des Werkrades, und zwar unterschiedlich nach auf- und ablaufender Flanke. Es folgt auch ein typisches Schleifriefenprofil für diese Art der Feinbearbeitung. Dieser Oberflächenstruktur wird von verschiedenen Quellen [KOC83, BAU93, STA96, WRI97, AMI99] ein besonders günstiges Ge-räuschverhalten zugeschrieben. Aufgrund der erheblichen Bemühungen zur Redu-zierung der Laufgeräusche hat daher das Wälzschraubschleifen in der neueren Zeit erheblich an Bedeutung gewonnen.

Die Schnittgeschwindigkeiten liegen weit unter denen, die beim Schleifen üb-lich sind. Die aus der Kinematik des Schraubwälzgetriebes resultierende Bewegung

Abb. 14.15 Geschwindigkeitspläne beim Wälzschraubschleifen

Geschwindigkeitsplanentlang dem Profil

Geschwindigkeitenam Wälzkreis Werkrad vs

vs

vax

vaxvw

vwδ

Schleifring

v's = vw

–vgr

hr

nw

+vgr

ns

row

ros

Abb. 14.16 Schnittgeschwindigkeiten und Schleifriefen beim Wälzschraubschleifen

AblaufendeFlanke

AuflaufendeFlanke

vax

row

vaxvgr

vc

auflaufende Flanke

3 mm

Zahnkopf

Zahnfuß

Schraubwälzkreis

14 Verzahnungsschleifen

Page 347: Spanen ||

333

wird in vielen Fällen durch eine zweite Bewegung in Form einer linearen Oszilla-tion in Richtung der Werkstückachse überlagert. Sie dient dazu, die Zahnflanken-rauheit weiter zu senken. Der durch Wälzschraubschleifen mögliche Zahnflanken-abtrag wird von den führenden Maschinen- und Werkzeugherstellern aktuell mit bis zu 0,1 mm angegeben. Die Steigerung der Abtragwerte ist auf neue Antriebs- und Maschinenkonzepte zurückzuführen, die höhere Drehzahlen und somit höhere Schnittgeschwindigkeiten ermöglichen.

Die Werkzeuge sind innenverzahnte Ringe aus unterschiedlichen Schleifstoffen. Diamantringe müssen nicht abgerichtet werden und können insbesondere in Groß-serienfertigung wirtschaftlich eingesetzt werden. Überwiegend kommen jedoch ab-richtbare Ringe aus Edelkorund für Werkstückhärten kleiner HRC 63, Siliziumcar-bid für Werkstückhärten oberhalb HRC 63 oder mikrokristallines Aluminiumoxid in üblichen Korngrößen von 80 bis 100 µm zum Einsatz. Übliche Bindungsarten sind Kunstharzbindungen und keramische Bindungen, wobei keramische Bindungen eine höhere Steifigkeit aufweisen, jedoch eher zu Werkzeugbruch neigen. Um die positiven Eigenschaften der beiden Bindungsarten zu vereinen, wurden Kunstharz-Keramik-Mischbindungen entwickelt. Zum Abrichten der Schleifringe werden Dia-mantabrichtzahnräder mit der, den zu bearbeitenden Zahnrädern identischen, Geo-metrie eingesetzt. Die Abrichtzahnräder stellen Stahlgrundkörper dar, die mit einer Einzelschicht aus Diamantkorn galvanisch belegt sind. Der Achsabstand zwischen Werkzeug und Werkstück wird in Folge des Schleifringverschleißes nach jedem Abrichtvorgang vergrößert. Der Achskreuzungswinkel ist dabei nachzuführen, um die Änderung des Mittenkreisdurchmessers zu kompensieren. Nach dem aktuellen Stand der Technik sind Abrichtintervalle von bis zu 400 Werkstücken und Gesamt-standmengen der Werkzeuge von 60.000 Zahnrädern realisierbar.

Interessant ist, dass bei diesem Verfahren auch Werkräder aus Stahl mit Dia-mantschleifscheiben bearbeitet werden können. Das Verfahren ist unter dem Mar-kennamen „Coronieren“ [NN00] bekannt. Diese Möglichkeit ergibt sich daraus, dass tatsächlich nur eine sehr geringe Schleifgeschwindigkeit zwischen Werkzeug und Werkstück entsteht. Ein starker chemischer Verschleiß aufgrund der Affinität zwischen Diamant und Stahl stellt sich erst bei höherem Temperaturniveau ein. Da-her ist hier die hohe Härte des Diamanten bei geringen Prozesstemperaturen günstig einzusetzen.

Die typische mechanische und sehr geringe thermische Beanspruchung der Werkradoberfläche im Prozess führt dazu, dass ein besonders günstiger Eigenspan-nungszustand in den randnahen Schichten der Zahnflanken erreicht wird, während tieferliegende Schichten kaum beeinflusst werden. Dieses ist anhand einiger Eigen-spannungs- Tiefenverläufe in der Abb. 14.17 veranschaulicht.

Für die Bauteillebensdauer ebenfalls von Bedeutung ist die Oberflächenrauheit der Zahnflanken nach dem Schleifen. Deshalb wurden in Untersuchungen die Sys-tem- und Stellgrößen des Prozesses derart variiert, dass unterschiedliche Bauteilto-pografien resultieren. Die Prüfverzahnungen der Serie HD1 zeigten die geringsten gemittelten Rautiefen mit Werten um Rz = 2 µm. Die geringe Flankenrauheit wurde durch Verwendung einer feinen Schleifkörnung erzielt, weiterhin wurde dem Be-arbeitungsprozess eine oszillierende Werkzeugbewegung überlagert. Die höchsten

14.4 Kontinuierliches Wälzschraubschleifen

Page 348: Spanen ||

334

Flankenrauheiten bis zu Rz = 4,1 µm stellen sich bei der Serie HD3 ein. Hierbei wurde mit einer gröberen Körnung sowie ohne Oszillationsbewegung gearbeitet [MAR01].

In Abb. 14.18 sind zur besseren Übersicht die wesentlichen Merkmale der in diesem Kapitel vorgestellten Verfahren gegenübergestellt.

Fragen

1. Nennen Sie einige Prozessketten beim Verzahnen. 2. Welche Hartfeinbearbeitungsverfahren für Evolventenflächen sind Ihnen

bekannt? 3. Welche Bewegungen müssen beim Profilschleifen von Verzahnungen kinema-

tisch gekoppelt sein (Geradverzahnung, Schrägverzahnung)? 4. Wie groß ist das mittlere bezogene Zeitspanvolumen beim Profilschleifen?

Worüber wird gemittelt? 5. Welche Bewegungen müssen beim bahngesteuerten Abrichten koordiniert

werden? 6. Welche technologische Bedeutung hat der Überdeckungsgrad beim Abrichten? 7. Welche Bewegungen müssen beim kontinuierlichen Wälzschleifen gekoppelt

werden (Geradverzahnung, Schrägverzahnung)? 8. Welche Bedeutung haben das mittlere und das lokale bezogene Zeitspanvolu-

men beim Wälzschleifen? Worüber wird gemittelt? 9. Wie können Wälzschnecken abgerichtet werden?10. Was ist das Wälzschraubschleifen? Warum ist der Begriff „Verzahnungshonen“

unzutreffend?

Abb. 14.17 Eigenspannungs-Tiefenverläufe beim Wälzschraubschleifen

–200

00

Abstand von der Oberfläche2010 30 40 50 70

–400

–600

Eig

ensp

annu

ng σ

–800

HD3

HD2

röntgenografische Spannungsanalyse:

Bragg-Winkel 2θNetzebeneREKEindringtiefe

Strahlung Cr Kα156,438°(211)5,76 TPa–1

5 µm

HD1

–1000

–1400

–MPa

µm

:::::

PrüfritzelWerkstoff

gehontHD1

gehontHD2

gehontHD3

σtangentialσaxial

σaxial

σaxial

σtangential

σtangential

::mn = 4,5 mm; z = 1616 MnCr 5E

14 Verzahnungsschleifen

Page 349: Spanen ||

335

11. Aus welchen Geschwindigkeitskomponenten setzt sich die (lokale) Schnittge-schwindigkeit zusammen?

12. Wo ist die radiale Geschwindigkeit positiv, wo negativ (Vorzeichenwahl mit dem Radius)?

Literatur

[AMI99] Amini, N., Westberg, H., Klocke, F., Köllner, T.: An Experimental Study on the Effect of Power Honing on Gear Surface Topography. Gear Technology, January/February 1999, S. 11-18

[BAU93] Bausch, T.: Honen (Schabschleifen) von Verzahnungen. In: Salje, E., Westkämpfer, E (Hrsg.): Jahrbuch Schleifen, Honen, Läppen und Polieren, 57. Ausgabe, Vulkan-Verlag, Essen 1993, S. 228-248

[BAU94] Bausch, T.: Verfahren und Maschinen zum Wälzhonen (Schabschleifen). In: Moderne Zahnradfertigung, 2. Auflage, expert Verlag, Renningen-Malmsheim, 1994, S. 514-563

Abb. 14.18 Gegenüberstellung der vorgestellten Hartfeinbearbeitungsverfahren

Diskontinuierliches

Profilschleifen

Kontinuierliches

Wälzschleifen

Kontinuierliches

Wälzschraubschleifen

abbildend generierend

Kontakt gesamte Lücke konvex-konvex konvex-konkav

Kontaktzeiten lang kurz kurz

Kinematik Axialvorschub,

wenige Hübe,

diskont. Zustellung,

Positionierung

Wälzvorschub,

kont. Lückenwechsel,

diskont. Zustellung,

wenige Hübe

radial-axialeGleitbewegung,

kont. Lückenwechsel,

kont. Zustellung,

viele Wälzungen

Schleifgeschwindigkeit

hoch hoch niedrig

Schleifbrand gefährdet weniger gefährdet nicht gefährdet

Eigen-spannungen

prozessabhängig prozessabhängig generell Druck

Topographie(Anregung)

weniger günstig mittel besonders günstig

Produktivität eher gering hoch mittel

Flexibilität hoch eingeschränkt eingeschränkt

Vorteile bei größerenWerkstücken,

kleiner Zähnezahl,

Innenverzahnung,

geom. Modifikationen

kleinerenWerkstücken,

großer Zähnezahl,

Serienfertigung

kleinerenWerkstücken,

kleinemAuslaufbereich,

Serienfertigung

Literatur

Page 350: Spanen ||

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Literatur

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339

Ein Prozess, wie beispielsweise das Fertigen eines Bauteils durch spanende Be-arbeitung, ist systemtechnisch definiert als die Transformation von Eingangsgrößen eines Systems in entsprechende Ausgangsgrößen. Hierbei stellt die Transformation eine Entwicklung relativ zum Bezugskriterium ‚Zeit‘ dar. In Abschn. 1.4 wird der Zerspanprozess bereits als System beschrieben.

In diesem Kapitel werden zunächst Definitionen und Zusammenhänge um den Begriff ‚Prozessketten‘ erläutert. Darauf aufbauend werden die theoretischen Grundlagen der Prozess- und Prozesskettenauslegung anhand einfacher Beispiele beschrieben. Im Abschn. 15.5 „Prozessüberwachung“ werden Wege zur Überwa-chung der Prozessqualität und zur Einflussnahme auf den Bearbeitungsprozess auf-gezeigt.

15.1 Grundlagen der Prozesskettenauslegung

Zum Verständnis der Vorgehensweise bei der Prozesskettenauslegung ist zunächst eine inhaltliche Abgrenzung der Begriffe ‚Prozess‘, ‚Prozesskettenelement‘ und ‚Prozesskette‘ erforderlich. Das in Abb. 15.1 aufgeführte PEK-Modell gibt eine Übersicht über die im Folgenden verwendeten Begriffe.

Das PEK-Modell gliedert sich in drei Ebenen. Der Prozess (P) stellt hierbei die kleinste und damit unteilbare Einheit einer Prozesskette dar. Zu einem Prozess ge-hören Eingangs- und Ausgangsgrößen. Als Prozess wird beispielsweise eine Ferti-gungsoperation, wie das Erzeugen einer Bohrung mit einem Werkzeug, bezeichnet.

Das Prozesskettenelement (E) ist definiert als sequenzielle Aneinanderreihung einzelner Prozesse. Eine parallele Anordnung von Prozessen zu einem Prozessket-tenelement ist nicht zulässig. Synonym für den Begriff Prozesskettenelement wird auch der Begriff Prozesselement verwendet. Ein Prozesselement stellt beispiels-weise die Werkstückbearbeitung auf einer Maschine, wie das Schleifen aller Haupt- und Hublager einer Kurbelwelle, dar.

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 15Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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340

Ist zur Herstellung eines Produktes mehr als ein Prozesselement notwendig, wird deren Aneinanderreihen als Prozesskette (K) bezeichnet. Die einzelnen Prozessele-mente werden entweder sequenziell, parallel oder in einer Mischform angeordnet. Somit lässt sich eine Prozesskette als eine geordnete Abfolge von Prozesselementen definieren, die das Ziel verfolgt, bestimmte Transformationsobjekte von einem Ein-gangszustand in einen entsprechenden Ausgangszustand zu überführen. Im Sinne der Fertigungstechnik sind Transformationsobjekte Roh- und Halbfertigteile, all-gemein können es aber auch andere materielle und immaterielle Objekte wie Ener-gien, Informationen oder Dienstleistungen sein.

Technologische Schnittstellen Für das Auslegen einer Prozesskette ist die Kennt-nis der Übergabegrößen zwischen den Prozesselementen von Bedeutung. Die Über-gabegrößen stellen gleichzeitig Ausgangs- und Eingangsgrößen zweier aufeinander folgender Prozesselemente (n) und (n + 1) dar. Beispiele für Übergabegrößen ferti-gungstechnischer Prozesse sind:

• Abmessungen und Aufmaß,• Oberflächenbeschaffenheit oder• Temperatur eines Bauteiles.

Die Gesamtheit der Übergabegrößen zwischen zwei Prozesselementen ist der Über-gabezustand. In fertigungstechnischen Systemen wird dieser Zustand als techno-logische Schnittstelle bezeichnet. In Abb. 15.2 sind technologische Schnittstellen zwischen Prozesselement (n – 1) und Prozesselement (n) sowie zwischen Prozess-element (n) und Prozesselement (n + 1) dargestellt.

Abb. 15.1 Definition des Prozessbegriffes anhand des PEK-Modells

Eingangsgrößen Prozess Ausgangsgrößen P

E

Prozesskettenelement

Prozesskette

K

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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341

Prozesselemente werden im zeitlichen Zusammenhang abgebildet. Je Prozess-element fällt die Prozesszeit tn an. Technologische Schnittstellen dagegen können lediglich einem Zeitpunkt zugewiesen werden. Ein entsprechendes Zeitintervall existiert nicht. Die Summe aller sequenziellen Prozesse einer Prozesskette ergibt die Gesamtzeit tges.

Prozesskettenauslegung Verbesserte Schneidstoffe, leistungsfähigere und genau-ere Maschinen sowie erhöhte Anforderungen an eine kostengünstige, schnelle und umweltgerechte Fertigung tragen dazu bei, dass sich spanende Bearbeitungsprozes-se in hohem Maße weiterentwickelt haben. Besonders die Verfahren der Hartfein-bearbeitung mit geometrisch bestimmter Schneide sind hier als vielversprechende Technologien zu nennen. Sie können einen erheblichen Beitrag zur Verkürzung von Prozessketten und damit zur Verkürzung von Durchlaufzeiten und zur Senkung von Fertigungskosten liefern.

Um existente Prozessketten durch das Nutzen neuer Technologien zu optimie-ren oder neue Prozessketten optimal aufzubauen, wird eine Prozesskettenauslegung durchgeführt. Die dafür zu durchlaufenden Tätigkeiten untergliedern sich in zwei aufeinander aufbauende Schritte [BRA08]. Zu Beginn der Prozesskettenauslegung sind die Prozesse zu identifizieren, die in ihrer festzulegenden Abfolge die Produkt-erstellung ermöglichen. Dieser Schritt wird als Prozesskettengestaltung bezeich-net. Aufbauend darauf ist es möglich, die Prozessparameter und technologischen Schnittstellen auszulegen.

Die Prozesskettengestaltung hat zum Ziel, geeignete Prozesse zu identifizieren, um so eine möglichst effiziente Fertigung zu ermöglichen. Bewertungsmaßstab sind dabei z. B. ökonomisch-logistische Zielgrößen, wie Durchlaufzeiten, Taktzei-ten und Bearbeitungskosten. Komplexe Prozessketten lassen den Fertigungsplaner auf Grund der hohen Anzahl an Gestaltungsvarianten jedoch schnell an seine Gren-zen stoßen. Dieser Problematik kann durch den Einsatz der Prozesskettensimulation begegnet werden. Technologische Basis einer Prozesskettensimulation sind lokal

15.1 Grundlagen der Prozesskettenauslegung

technologische Schnittstellen:beschreiben den Übergabezustand zwischen Prozesselementen technischer Systeme

tn–1 tn tn+1

tges

Prozesselementn–1

Prozesselementn

Prozesselementn+1

Abb. 15.2 Technologische Schnittstellen innerhalb einer Prozesskette

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342

optimierte Einzelprozesse, wie Sägen, Drehen/Fräsen, Härten oder Feinbearbeiten. Das Ergebnis eines Simulationslaufes gibt einen Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit der untersuchten Prozesskette. Durch ein Umgestalten lässt sich Rationalisierungs-potenzial für die Prozesskette ausnutzen.

Die Entwicklung neuer Prozessketten als Mittel zur Verbesserung der Wirt-schaftlichkeit und Qualität darf nicht nur an einzelnen Arbeitsvorgängen oder Ferti-gungsstufen ansetzen, sondern muss auf ein Gesamtoptimum zielen [TÖN07]. Die in Abb. 15.3 dargestellte ASI-Methode unterstützt bei der Umsetzung einer ganz-heitlichen Prozesskettenauslegung. Grundlage ist die Umgestaltung fertigungstech-nischer Prozessketten durch Adaption, Substitution und/oder Integration einzelner Fertigungsschritte.

Als Adaption bezeichnet man die Abstimmung aufeinander folgender Pro-zesse, wie z. B. die Rohteilherstellung durch Schmieden und die anschließende spanende Bearbeitung. In der Darstellung wird der Prozess B an die Prozesse A und C angepasst. Bei der Entwicklung von Werkzeugen und Werkzeugmaschinen oder als Reaktion auf geänderte Kostenstrukturen kann die Substitution eines Fer-tigungsverfahrens sinnvoll sein. Ein Beispiel für eine solche Substitution ist das Ersetzen eines Schleifprozesses durch das Hartdrehen. In Abb. 15.3 wird der Pro-zess B durch den weiterentwickelten Prozess D substituiert. Die Integration von Fertigungsstufen verkürzt die Arbeitsvorgangsfolge. Dies ist häufig mit direkten prozessbedingten Kosteneinsparungen oder indirekten, auf verkürzten Durch-laufzeiten und verringertem Steuerungsaufwand beruhenden Kosteneinsparun-gen verbunden. Ein aktuelles Beispiel hierzu stellt die Komplettbearbeitung von Bauteilen durch eine Integration unterschiedlicher Fertigungsverfahren auf einer mehrachsigen Drehmaschine oder einem Bearbeitungszentrum dar. In der Dar-stellung wird der Prozess B in den Ablauf des Fertigungsschrittes A integriert.

Abb. 15.3 ASI-Methode zur Prozesskettengestaltung

Prozess -Adaption

vorher: nachher:

Prozess -Substitution

Prozess -Integration

Prozess

AProzess

BProzess

CProzess

AProzess

BProzess

C

Prozess

AProzess

BProzess

CProzess

AProzess

Prozess B

Prozess Prozess A

Prozess B

Prozess

DProzess

C

A B

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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343

15.2 Prozessmodellbildung

In der Technik bezeichnet der Begriff Modell ein Abbild der Realität. Die VDI-Richtlinie 3633 definiert Modell als eine vereinfachte Nachbildung eines Systems [VDI3633]. Vereinfachte Nachbildung bedeutet in diesem Kontext die Reduktion auf lediglich für das Modellierungsziel relevante Eigenschaften. Unter Modellbil-dung seien hier alle zur Erstellung eines Modells notwendigen Schritte verstanden.

Die Untersuchung komplexer technischer Prozesse, wie beispielsweise von Zer-spanungsprozessen, erfordert die Aufstellung von Prozessmodellen. Dafür wer-den alle einzelnen Prozessschritte zunächst abstrahiert, um so eine Reduktion der Komplexität und eine Konzentration auf die wesentlichen Merkmale zu erreichen. Tönshoff definiert den Begriff „Prozessmodell“ als eine abstrakte Darstellung eines Prozesses, die dazu dient, die Ursachen und Wirkungen miteinander zu verknüpfen [TÖP92]. Ziel der Prozessmodellbildung ist, die Zusammenhänge und Wechsel-wirkungen innerhalb eines Prozesses besser zu verstehen sowie zukünftige Pro-zessergebnisse prognostizieren bzw. optimieren zu können. Die Anwendung von Prozessmodellen wird häufig auch als „Simulation“ bezeichnet.

Das Prozessmodell bilden die Zusammenhänge zwischen Ein- und Ausgangs-größen eines Prozesses ab. Es beschreibt damit das statische und dynamische Ver-halten eines Prozesses. In Abb. 15.4 werden die Wechselwirkungen zwischen rea-lem Prozess und Prozessmodell deutlich. Bei der Modellbildung findet zunächst eine Abstraktion der Eingangsfragestellung statt. Diese wird dem Prozessmodell zugeführt. Die Anwendung des Modells liefert eine Prognose über das Verhalten des realen Systems. Vor Anwendung des Prozessmodells muss seine Funktionswei-se anhand bekannter Ein- und Ausgangsgrößen verifiziert werden.

Abb. 15.4 Modellbildung zur Vorhersage des Verhaltens eines realen Systems

Frage

Frage Prozessmodell Ergebnis

Simulation

Verhalten desrealen Systems

Antwort

Verifikation durch:Versuch/Test

Abstraktion durch:Modellbildung

Ausschnittdes realenSystems

15.2 Prozessmodellbildung

Page 357: Spanen ||

344

Die Erstellung von Prozessmodellen kann je nach Einsatzzweck und zur Verfü-gung stehenden Informationen unterschiedlich erfolgen. Tönshoff und Paul unter-scheiden drei Arten von Prozessmodellen:

• Heuristische Modelle, welche durch die anspruchsvolle Beschreibung von Er-fahrungswissen gewonnen werden,

• Physikalisch/empirische Modelle, welche auf physikalisch, mathematischen Grundlagen beruhen und

• Informationstechnische Datenmodelle [PAU94].

In Abb. 15.5 sind die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Modellarten dargestellt.

Heuristische Modelle bilden Erfahrungswissen, etwa das Prozessverständnis eines Maschinenbedieners in der Fertigung, ab. So ist der erfahrene Bediener einer CNC-Drehmaschine häufig in der Lage, anhand von Prozessgeräuschen oder der Form der entstehenden Späne Rückschlüsse für die Auslegung des Bearbeitungs-prozesses zu ziehen. Dieses Wissen geht jedoch mit einem Arbeitsplatzwechsel häufig verloren. Die Archivierung und die Gewährleistung einer permanenten Ver-fügbarkeit des Erfahrungswissens, z. B. aus dem Bereich der Fertigung, sind ande-rerseits für den Erfolg eines Betriebes von großer Bedeutung. Die Bereitstellung und Pflege solchen Wissens wird Wissensmanagement genannt. Die Modellierung von Erfahrungswissen erfolgt durch einfache Produktionsregeln (wenn/dann-Be-ziehungen), Klassen- und Objektstrukturen (ER- oder UML-Diagramme) [OES98] oder durch unscharfe Mengen (Fuzzy Logic) [PAU94].

Technologische Abhängigkeiten, wie sie bspw. zwischen der Schnittkraft Fc und der Schnittleistung Pc bestehen (Abschn. 5.1), lassen sich in mathematischen Algorithmen darstellen. Die so entstehenden Prozessmodelle werden nach der Art ihrer Gewinnung als physikalische oder empirische Modelle bezeichnet [PRO77].

Abb. 15.5 Ebenen der Prozessmodellbildung

Modellierung vonErfahrungswissen:

heuristische Modelle

• Produktionsregeln• Klassen- und Objektstrukturen• unscharfe Mengen

• Haupteinflussgrößen• Wertebereiche• Gültigkeitsbereiche

• UML - Diagramme• Datenklassifikation• Tabellen

Verifizierung

Verifizierung

Verifizierung

Erarbeitung von Basismodellen:

physikalisch / empirische Modelle

Entwicklung von Datenstrukturen:

Datenmodelle

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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345

Während physikalische Prozessmodelle auf physikalischen Gesetzen basieren, wer-den empirische Prozessmodelle aus Messungen am Prozess experimentell ermittelt (Abb. 15.6).

Zur Bildung physikalischer Prozessmodelle werden ausgehend von der Zielset-zung des Prozesses relevante physikalische Vorgänge selektiert und in ein qualita-tives Modell überführt. Auf der Basis von physikalischen Gesetzmäßigkeiten wird die mathematische Formulierung des Modells – das physikalische Prozessmodell – ermittelt. Dies stellt die quantitativen Abhängigkeiten zwischen technologischen Eingangs- und Ausgangsgrößen, beispielsweise den Zusammenhang zwischen Stellgrößen und Arbeitsergebnis, dar. Empirische Prozessmodelle werden wie er-wähnt aus Messungen am Prozess experimentell bestimmt. In der Zerspanungs-technik beispielsweise werden Schleifversuche durchgeführt, wobei relevante Ein-gangs- und Ausgangsgrößen aufzunehmen sind. Die Versuchsergebnisse werden ausgewertet, eine Modellart (Korrelationsfunktion) ausgewählt, die Koeffizienten bestimmt und das empirische Prozessmodell mit weiteren Versuchen verifiziert. Der Nutzen physikalischer Prozessmodelle liegt in einem verfahrensunabhängigen Prozessverständnis und der damit verbundenen einfachen Übertragbarkeit auf ver-änderte Bearbeitungsbedingungen. Für Zerspanprozesse ist jedoch eine rein physi-kalische Modellbildung unrealistisch, da die vorhandenen physikalischen Gesetz-mäßigkeiten nicht ausreichen und daher in der Regel durch experimentelle Unter-suchungen empirisch vervollständigt werden müssen.

Neben den heuristischen und physikalisch/empirischen Modellen werden in Abb. 15.5 Datenmodelle als dritte Ebene der Prozessmodellbildung dargestellt. In Datenmodellen werden Datenstrukturen festgelegt, um eine ganzheitliche Beschrei-bung aller relevanten fertigungstechnischen Informationen zu gewährleisten. Die Datenmodellierung umfasst die Erarbeitung eines objektorientierten Beziehungs-Modells in Form von Klassendiagrammen. Diese können zur weiteren Verwen-

Abb. 15.6 Physikalische und empirische Prozessmodellbildung

physikalische Modellbildung

PhysikalischeGesetze

physikalischesProzessmodell

mathematischeFormulierung

Selektion relevanterphysikalischer Vorgänge

aus Untersuchungen

Untersuchungen mit festgelegtenRandbedingungen und Erfassung von

Eingangs- und Ausgangsgrößen

Wahl desModelltyps

Untersuchungs-ergebnisse

empirische Modellbildung

empirischesProzessmodell

experim

entelle V

erifizierun

g

Zielsetzung

Zielsetzung

15.2 Prozessmodellbildung

Page 359: Spanen ||

346

dung auch als Sequenz-, Zustands- oder Aktivitätsdiagramme dargestellt werden [OES98]. Abgelegt, d. h. gespeichert werden Datenmodellen in relationalen, objekt-relationalen oder rein objektorientierten Datenbanken.

15.3 Prozessauslegung am Beispiel „Hartfeinbearbeitung“

Das Ergebnis eines Zerspanprozesses wird bestimmt durch die Eingangs-, Prozess- und Ausgangsgrößen. Die Einstellung dieser Größen unter Berücksichtigung der gegenseitigen Abhängigkeiten wird Prozessauslegung genannt. Ausgangspunkt einer Prozessauslegung ist das Festlegen von Zielgrößen. Diese Zielgrößen stel-len Vorgaben für die durch den Bearbeitungsprozess erzeugten Ergebnisgrößen dar. Allgemein wird unterschieden zwischen qualitätsrelevanten, ökonomischen und ökologischen Zielen eines Bearbeitungsprozesses.

Die Qualität eines Zerspanprozesses wird anhand der resultierenden Bauteil-qualität beurteilt. Merkmale hierfür sind die Makrogeometrie, Mikrogeometrie und Randzonenbeeinflussung. In Abb. 15.7 sind beispielhaft die Qualitätsmerkmale eines Außenrundschleifprozesses dargestellt. Analog werden für die ökonomischen und ökologischen Ziele relevante Merkmale zugeordnet. Für die einzelnen Merk-male eines Prozesses werden in der Konstruktion oder Fertigungsplanung bauteil-spezifische Sollwerte oder Sollintervalle ermittelt. Für einen Außenrund-Umfangs-schleifprozess sind diese Ziele in Abb. 15.8 beispielhaft dargestellt.

Anhand des oben beschriebenen Außenrundschleifprozesses wird die Vorge-hensweise bei der Auslegung von Bearbeitungsprozessen im Folgenden erläutert.

Abb. 15.7 Qualitätsmerkmale beim Außenrundschleifen

Makrogeometrie

Ovalität

Exzentrizität

Konizität

Mikrogeometrie Randzone

Bearbeitungs-richtung

• Mittenrauhwert Ra

• Red. Spitzenhöhe RPK

• Red. Riefentiefe RVK

• Kernrauhtiefe RK

• .....

Bauteilqualität / Funktionseigenschaften

bearbeitete Oberfläche

II

• Gemittelte Rauhtiefe Rz

HV

Textur

Härte Risse

Gefüge

Eigen-spannungen

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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347

Die Schwierigkeit einer Prozessauslegung liegt in der Gewichtung der Zielgrößen zueinander. Welche Bedeutung haben beispielsweise die ökologischen, welche die qualitätsbestimmenden Ziele der Bearbeitung? Eine bewährte Methode zur Bestim-mung dieser Gewichte ist das Zielbaumverfahren. In der Konstruktionsmethodik wird es eingesetzt, um eine Bewertung unterschiedlicher Konzeptvarianten vorzu-nehmen [ZAN70]. Zur Auslegung des Beispiel-Schleifprozesses wird es verwen-det, um aus den Gewichtungen der einzelnen Zielgrößen zueinander entsprechende Prioritäten zu berechnen.

Die Abb. 15.9 zeigt einen Zielbaum für die oben genannten Zielgrößen. Dieser ist in vier Ebenen unterteilt. In der ersten Ebene ist die zu bestimmende Zielfunk-tion angeordnet. Die zweite Ebene unterteilt die Zielgrößen in die Gruppen Quali-tät, Ökonomie und Ökologie. Eine Detaillierung in Teilgruppen ist in der dritten Ebene und die Zielgrößen selbst sind in der vierten Ebene dargestellt. Jedem Zweig des Zielbaumes sind Gewichtungen zugeordnet. Das Gewicht der Gruppe Quali-tät beträgt hier bspw. 3, die Gruppe Ökonomie ist mit dem Wert 2 und die Gruppe Ökologie mit dem Wert 1 gewichtet. Dies bedeutet in der Praxis, dass für den hier auszulegenden Schleifprozess die Qualität der erzeugten Bauteile genau 3-mal so wichtig ist, wie die ökologischen Zielgrößen. Auf die gleiche Weise werden die Ge-wichtungen in den darunter liegenden Ebenen vorgenommen.

Aus den Gewichtungsfaktoren werden Prioritätsfaktoren für jedes einzelne Ele-ment des Zielbaumes bestimmt. Dazu werden zunächst die Gewichtungsfaktoren einer Ebene addiert. Für die zweite Ebene ergibt dies 3 + 2 + 1 = 6. Ein Prioritäts-faktor wird als gebrochen rationale Zahl dargestellt. Im Nenner dieses Bruches steht die Summe der Prioritäten, im Zähler die Priorität des betreffenden Elementes. Der Prioritätsfaktor für die Qualität beträgt demnach 3/6 gleich 1/2. In den darunter lie-

Abb. 15.8 Exemplarische Zielgrößen für das Außenrundschleifen

Merkmal Ausprägung/Zielgröße Sollwert (Beispiel)

Makrogeometrie

Maktrogeometrie

Randzonenbeeinflussung

Zeiten

Kosten

Umweltverträglichkeit

EnergiebedarfÖko

log

ieÖ

kon

om

ieQ

ual

ität

Durchmesser dw

Werkstückbriete bw

Mittenrauwert Ra

Rautiefe Rz

Eigenspannungszustand σII

Werkstückhärte (Rockwell)

Schnittzeit tc

Werkstückzeit te

Schleifkosten pro Werkstück Ke

Kühlschmierstoffdurchlass Qdcc

Kühlschmierstoffart

Schleifleistung Pc

40 ±

20 ±

0,5 m

6,3 m

0 Mpa

60 HRC

10 s

30 s

10 I/min

10 kW

natives ÖI

5

0,0100,000

0,0150,000

mm

mm

15.3 Prozessauslegung am Beispiel „Hartfeinbearbeitung“

Page 361: Spanen ||

348

genden Ebenen werden die Prioritäten auf ähnliche Weise bestimmt. Jedoch müssen die ermittelten Einzelprioritäten der dritten und vierten Ebene zusätzlich mit der Priorität der darüber liegenden Gruppe multipliziert werden. Als Probe wird die Summe der Prioritäten einer Ebene gebildet. Diese sollte immer den Wert 1 an-nehmen.

Nachdem die Prioritäten aller Zielgrößen bestimmt sind, wird die Zielfunktion für die Auslegung des Bearbeitungsprozesses aufgestellt (Gl. 15.1). In die Zielfunk-tion Z gehen neben den Prioritätsfaktoren pxi die normierten Werte für die Zielgröße xi ein.

(15.1)

Die Normierung ist notwendig, um die Zielgrößen unabhängig von ihren unter-schiedlichen Beträgen und Dimensionen miteinander vergleichen zu können. Als Normierungsintervall wird der Wertebereich (0,1 bis 0,9) gewählt. Die Vorgehens-weise bei der Normierung wird an dem in Abb. 15.10 dargestellten Beispiel deut-lich:

Nachdem die Normierung aller Zielgrößen erfolgt ist, können diese entweder positiv (x > 0) oder negativ (x < 0) sein. Eine einheitliche Orientierung der Grö-ßen ist jedoch notwendig, um die Vergleichbarkeit sicher zu stellen. Daher wird in Gl. 15.1 der Betrag der normierten Größen gebildet.

Bei der Gl. 15.1 ist darüber hinaus zu beachten, welche Werte der normierten Zielgrößen xi zu einer Verbesserung der Zielfunktion Z führen. Werden Bewer-tungskriterien wie überwiegend im Beispiel aus Abb. 15.8 genutzt, die sich bei

Z =n∑

i=1

(1 − pxi · |xi |

)

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

Abb. 15.9 Festlegung von Prioritätsfaktoren nach dem Zielbaumverfahren

Prioritätsfaktor Zielfunktion „Z“

Qualität Ökonomie Ökologie

Gewichtungsfaktor

1/61/31/2

3 2 1

2 1 1 1 1 12

Makro-geometrie

Mikro-geometrie

Randzonen-beeinflussung

Zeiten Kosten Stoffe Energie

1/4 1/8 1/8 1/9 2/9 1/12 1/12

3 1 1 1 2 1 1 1 1 12

dw bw Ra Rz II H tc te3/16 1/16 1/16 1/16 1/12 1/24 1/27 2/27 2/9 1/12 1/12

pdw0,19

pbw0,06

pRa0,06

pRz0,06

p II0,08

pH0,04

ptc0,04

pte0,04

pKe0,22

pQdcc0,08

pPc0,08

Ke Qdcc Pc

Page 362: Spanen ||

349

kleineren Beträgen vorteilhaft auswirken (Bsp. Rautiefe oder Kosten), sind die nor-mierten und gewichteten Zielgrößen von 1 zu subtrahieren. Werden hingegen Be-wertungskriterien betrachtet, die bei hohen Beträgen vorteilig sind (Bsp. Wirkungs-grad), ist der Term pxi|xi |aus Gl. 15.1 nicht von 1 zu subtrahieren. Das Ergebnis der Zielfunktion wird Bewertungskennzahl Z genannt. Das Bearbeitungsergebnis fällt umso besser aus, je größer Z ist.

In die so gebildete Zielfunktion werden technologische Modelle (sogenannte Ba-sismodelle) zur Beschreibung der Zielgrößen eingesetzt. Für die in Abb. 15.10 dar-gestellte Rautiefe Rz wird beispielsweise das folgende Modell verwendet [CZE00]:

(15.2)

Die zur Bestimmung der Rautiefe Rz notwendigen Konstanten und Exponenten c0 bis c3 sind modellspezifische Werte und können mit je nach Kombination aus Werk-stück, Werkzeug und Maschine unterschiedliche Größen annehmen.

15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“

Spanende Bearbeitungsprozesse können in der Praxis nicht allein betrachtet werden. Üblicherweise erfolgt die Bearbeitung in mehreren, aufeinander folgenden Teilschrit-ten als sogenannte mehrstufige Prozessführung. Diese mehrstufige Prozessführung (Bsp. Schruppen und Schlichten einer Funktionsfläche) stellt nach dem PEK-Modell die Auslegung eines Prozesskettenelementes dar. Die Auslegung verschiedener Pro-zesskettenelemente zueinander heißt Prozesskettenauslegung. Ziel einer mehrstufi-gen Prozessführung ist eine möglichst hohe Korrelation des Bearbeitungsergebnisses

Rz = c0 · vf tc1 · fr

c2 · vcc3 [µm]

Abb. 15.10 Normierung der Zielfunktion für die Rautiefe Rz

Referenzprozess:Referenzzielgröße:Randbedingung:

Methode:Intervall:

AußenrundschleifenRz (Rautiefe)Rz,min = 0,5 mRz,max = 24 mLinearinterpolation 0,1 ... 0,9

Rz[-]

0,9

Rz,a

0,1

Rz,min Rz,max Rz [µm]Rz,a

( 0,9 - 0,1 )( 0,9 - Rz,a )

( Rz,max - Rz,a )

( Rz,max - Rz,min )

Herleitung: normierte Rautiefe Rz,a

=y – ymin x – xmin

ymax – ymin xmax – xmin

y – yminx – xmin

x – xmin

x – Rz,min

x – Rz,min

ymax – ymin

y = (ymax – ymin) .

xmax – xmin

xmax – xmin

Rz,max – Rz,min

Rz,max – Rz,min

+ ymin

Rz,a = (0,9 – 0,1) .

Rz,a = 0,8 . ⇒

+ 0,1

+ 0,1

=

15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“

Page 363: Spanen ||

350

mit vorab festgelegten Zielgrößen. So ist beispielsweise durch ein hohes Zeitspan-volumen beim Schruppen ein schneller Materialabtrag möglich. Hohe Oberflächen-güten sowie Maß- und Formgenauigkeiten werden dagegen mit einem geringeren Zeitspanvolumen und folglich geringeren Kräften beim Schlichten erreicht.

Im folgenden Beispiel (Abb. 15.11) werden Auswirkungen einer zweistufigen Schleifbearbeitung auf die Werkstückrandzone dargestellt. Allgemein wird die Randzonenbeschaffenheit durch Eigenspannungsverlauf, Härte und Gefügezu-stand beschrieben. Sie ist für hochbeanspruchte Bauteile von großer Bedeutung. Nur durch das Erreichen bestimmter Qualitätsziele kann ein einwandfreies Funk-tionsverhalten der Bauteile gewährleistet werden. Besonders wichtig ist hierbei die Vermeidung von Zugeigenspannungen in der Randzone des fertigen Bauteiles, um unter anderen einer Rissbildung entgegenzuwirken. In Abb. 15.11 wird für einen Außenrund-Umfangs-Querschleifprozess dargestellt, wie durch eine mehrstufige Bearbeitung kritische Zugeigenspannungen, hervorgerufen durch das Schleifen, vermieden werden können.

Das hohe Zeitspanvolumen der Schruppbearbeitung ruft in der Werkstückrandzo-ne eine relativ hohe thermische Beeinflussung hervor. Die resultierenden Zugeigen-spannungen können durch eine Anpassung des Aufmaßes in der Schlichtbearbeitung entfernt werden. Darüber hinaus erfolgt durch das geringe Zeitspanvolumen beim Schlichten eine vorwiegend mechanische Beeinflussung der Werkstückoberflä-che. Hierdurch werden Druckeigenspannungen erzeugt, welche die in den tieferen Schichten der Werkstückoberfläche verbliebenen Zugeigenspannungen weitestge-hend ausgleichen und sich häufig positiv auf die Bauteillebensdauer auswirken.

Komplexe technische Bauteile, z. B. Zahnräder, werden durch verschiedene Fer-tigungsverfahren erzeugt. Diese bilden komplexe Prozessketten, bestehend aus ver-schiedenen Prozesskettenelementen, wie dem Umformen, Zerspanen und Härten. Um ein optimales Ergebnis solcher Prozessketten zu erhalten, wird eine Prozess-

Abb. 15.11 Eigenspannungsverlauf bei mehrstufiger Prozessführung

800

MPa

Eigenspannungsverlauf (Schruppen)Q'w = 10 mm3/mms

Verfahren

CBN-SchleifscheibeM 151 VR 150 Nvc = 100 m/s

Abrichtbedingungen

Werkstück100 Cr 6; 63 HRCKühlungMineralöl, Tangentialdüse26 I/min; 8,5 bar

Formrolle U 75 BUd = 15; qd = 0,8aed = 0,5 µm

Außenrund-Umfangs-Querschleifen

Eigenspannungsverlauf (Schruppen + Schlichten)Q'w = 10 mm3/mms mit anschließendemSchlichten Q'w = 1 mm3/mms, zw = 20 µm

400

200

–200

–400

0

0 20 40 60 80 µm 120Abstand von der Oberfläche z

Eig

ensp

annu

ngen

σII

Sch

licht

aufm

aß 2

0 µm

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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351

kettenauslegung durchgeführt. Im folgenden Abschnitt wird für das Beispiel der Zahnradherstellung das dazu notwendige Vorgehen exemplarisch erläutert.

In Abb. 15.12 ist oben eine konventionelle Prozesskette zur Herstellung von Zahnrädern für Automobilgetriebe dargestellt. Die einzelnen Prozesskettenelemente sind lokal zeit- und kostenoptimiert. Die Schnittstellen der Prozesselemente sind un-durchlässig für einen iterativen Informationsfluss zur Auslegung der Prozesskette.

Der untere Teil der Abb. 15.12 zeigt eine weiterentwickelte Prozesskette, in der Rohteilerzeugung, spanende Weichbearbeitung und Wärmebehandlung durch ein Präzisionsschmieden mit integrierter Wärmebehandlung substituiert sind. Hinter-grund der Substitution ist die Absicht, die bei großen Losgrößen auftretenden öko-nomischen Vorteile des Schmiedens auszunutzen. Darüber hinaus wird durch die integrierte Wärmebehandlung das wiederholte Aufheizen vor dem Härten überflüs-sig, wodurch sich der Energiebedarf der Prozesskette deutlich reduziert. Die Pro-zesskettenauslegung und -optimierung erfolgt unter Berücksichtigung ökonomisch-logistischer Ziele und technologischer Wechselwirkungen zwischen den Prozess-kettenelementen. Vorgegangen wird dabei nach der „Methode zur Positionierung technologischer Schnittstellen“ (eng. design of technological interfaces – DTI-Me-thode) [BRA08, DEB03].

Während der Prozesskettenauslegung sind grundsätzlich zwei Fragen zu beant-worten:

1. Wo in der Prozesskette treten technologische Schnittstellen auf?2. Auf welches Niveau werden technologische Übergabegrößen ausgelegt?

Die Beantwortung der ersten Fragestellung erfolgt während der Prozesskettengestal-tung. Als Werkzeuge hierzu werden in Abschn. 15.1 eine Prozesskettensimulation mit anschließender Anwendung der ASI-Methode beschrieben. Im Zusammenhang mit der DTI-Methode wird diese erste Phase der Prozesskettenoptimierung „Qualitative

Abb. 15.12 Prozesskettengestaltung durch Substitution und Integration einzelner Prozesse

Konventionelle Prozesskette:

Umformungspanende

Weichbearbeitungspanende

HartbearbeitungWärme-

behandlung

Zeit- undKostenoptimiert

Zeit- undKostenoptimiert

Zeit- undKostenoptimiert

Zeit- undKostenoptimiert

Substituierte Prozesskette:

Präzisionsumformung mitintegrierter Wärmebehandlung

Hartfeinbearbeitung

Schnittstellen sind undurchlässig für lterationen technologischer Informationen

Übergreifende Bewertung berücksichtigt vor- und nachgeschaltete Verfahren

15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“

Page 365: Spanen ||

352

Positionierung“ (s.u.) genannt. Die Problematik der zweiten Fragestellung lässt sich für die Beispielprozesskette zur Herstellung von Zahnrädern wie folgt darstellen:

• Erzeugung einer hohen Bauteilqualität durch das Präzisionsschmieden und ein resultierender geringerer Aufwand für die Hartfeinbearbeitung oder

• Fertigung einer geringeren Bauteilqualität durch das Präzisionsschmieden bei einem gesteigerten Aufwand in der Hartfeinbearbeitung.

Ziel ist es, ein Optimum zwischen diesen beiden Auslegungsvarianten zu ermitteln. Dazu müssen die technologischen Übergabegrößen an den Schnittstellen der Pro-zesskette analysiert und quantitativ ausgelegt werden. Die DTI-Methode beschreibt diese Phase als „Quantitative Positionierung“. Das dazu notwendige Vorgehen wird unten erklärt. In Abb. 15.13 ist eine schematische Darstellung für das Vorgehen bei der Positionierung technologischer Schnittstellen abgebildet.

Ziel der qualitativen Positionierung technologischer Schnittstellen ist die Pro-zesskettengestaltung unter Verwendung geeigneter Fertigungstechnologien. Dabei wird stets eine Erhöhung der Produktivität und Wirtschaftlichkeit angestrebt. Er-reicht wird dieses z. B. durch eine Reduzierung der Fertigungsschritte und der tech-nologischen Schnittstellen innerhalb der Prozesskette. Die Verringerung der Anzahl Fertigungsschritte zielt auf einer Verkürzung der Durchlaufzeit und damit der Fer-tigungskosten ab. Darüber hinaus wird durch eine Reduzierung der Schnittstellen der Rechenaufwand für die Auslegung der Übergabegrößen an den technologischen Schnittstellen verringert.

Zur Durchführung der qualitativen Positionierung wird eine Analyse der zur Fer-tigung notwendigen Fertigungsschritte und -folgen durchgeführt. Darauf aufbauend werden Fertigungsprozesse identifiziert, die eine möglichst effiziente Bauteilferti-gung ermöglichen. Eine Bewertung der einzelnen Fertigungsprozesse richtet sich beispielsweise nach dem Wertschöpfungsgrad des jeweiligen Prozesses. Während

Abb. 15.13 Qualitative und quantitative Positionierung technologischer Schnittstellen

# C

# A # 2# 1# 4

# 3

# 2

# 1 # B

# A

QuantitativeAuslegung

QualitativePositionierung

1 2 3

Energiebedarf beim Umformen

Optimierungsaufgabe Werkstückaufmaß

Energiebedarf beim Schleifen

1

3

2

Übergabegrößen (Beispiel):

[#1 bis #4] Prozesselemente einer Prozesskette

[#A bis #C] Schnittstellen einer Prozesskette

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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353

der Prozesskettengestaltung ist somit u. a. darauf zu achten, Prozesse mit geringem Wertschöpfungsgrad mit solchen zu kombinieren, die den Wert des Werkstückes erheblich steigern (→Prozessintegration). Als Werkzeuge zur anschließenden Pro-zesskettengestaltung werden die ASI-Methode (s.o.) oder die von König empfoh-lenen Methoden der Verfahrenssubstitution, Verfahrenskombination, Verfahrenseli-mination und der Verfahrensvertauschung [KÖN87] verwendet. Ergebnis sind ver-schiedene, auf alternativen Fertigungsverfahren basierende Prozesskettenvarianten.

In Abb. 15.14 werden verschiedene technologische Varianten für die Gestaltung der Prozesskette zur Fertigung von Zahnrädern mit hohen Genauigkeitsanforderun-gen dargestellt. Eingangsmaterial ist in allen drei dargestellten Varianten ein stan-genförmiges Halbzeug.

Die quantitative Auslegung technologischer Schnittstellen beschreibt die Dimen-sionierung der technologischen Übergabegrößen zwischen den einzelnen Prozess-schritten. Auf der Grundlage physikalischer und empirischer Modelle (s.o.) werden Prozessmodelle für alle Prozesselemente bestimmt. Es schließt sich die Festlegung der im jeweiligen Fertigungsprozess vorherrschenden Randbedingungen an. Die entstehenden Funktionen (spezifische Prozessmodelle) werden zu Zielfunktionen für die Auslegung einzelner technologischer Größen zusammengeführt. Die Be-stimmung der Zielfunktionen und die Ermittlung von Gewichtungen für jede ein-zelne Zielgröße erfolgt nach dem Zielbaumverfahren (Abschn. 15.3).

Die ermittelten Zielfunktionen für die einzelnen Fertigungsschritte werden zu-einander gewichtet und in einer Gesamtzielfunktion zusammengeführt. Die Be-rechnung der Zielfunktion ergibt den Auslegungsgrad der Prozesskette unter den gegebenen Randbedingungen. Durch Variation der Randbedingungen für die Pro-zesskette (z. B. Taktzeit) oder für Einzelprozesse (z. B. Kühlschmierstoffmenge) kann das Auslegungsergebnis der Prozesskette sowohl positiv, als auch negativ be-

Abb. 15.14 Alternative Prozessketten zur Herstellung von Zahnradherstellung

Halbzeugbe-arbeitung

Vorformer-zeugung(inkl. Zahn-geometrie)

Wärmebe-handlung

Hartbearbeitung

Scheren

SpanendeWeichbearbeitung(Qualität 7)

Aufheißen

Aufkohlung

Härten (Ölbad)

Hartdrehen

Wälzschleifen Profilschleifen

Innenrundschleifen

Härten aus derSchmiedewärme(Ölbad)

Aufheizen

Sägen

Umformung(Qualität 11)

Drehen

Präzisionsumformung(Qualität 7)

Gesteuertes Härten ausder Schmiedewärme(Spraykühlung)

Honen

Konventionelle Prozesskette Prozesskette „Schmieden“ Prozesskette „Präz.-Schm.“

Fokus: Fokus: Fokus:Spanende Bearbeitung Hohes Aufmaß Minimales Aufmaß

15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“

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354

einflusst werden. Die Festlegung der Randbedingungen und der Gewichte der Ziel-größen hängt maßgeblich vom Erfahrungswissen des Planers ab.

Prozessketten, die aus wenigen aufeinanderfolgenden Prozessschritten bestehen, können den Planer jedoch schnell an seine Grenzen bringen, wenn die Prozesskette ganzheitlich optimal ausgelegt werden soll. Nicht nur die vielen Prozessparame-ter aller Fertigungsprozesse, auch die gegenseitigen Wechselwirkungen lassen eine Auslegung durch kognitive Tätigkeiten des Planers unmöglich erscheinen. Die Ver-knüpfung der einzelnen Prozessmodelle der gesamten Prozesskette zur optimalen Schnittstellenbestimmung lässt eine deterministische Lösungsfindung selbst mit modernen Rechensystemen nicht in akzeptabler Zeit zu. Daher muss auf heuristi-sche Lösungsmethoden (z. B. Genetische Algorithmen) oder Methoden wie „De-sign of Experiments“ DoE zurückgegriffen werden [DEH09]. Die Nutzung von Si-mulationssystemen ermöglicht hier, Versuchspläne automatisiert anzuwenden und unter stochastischen Bedingungen eine hinreichend gute Lösung für die optimale Dimensionierung der technologischen Schnittstellen zu finden.

Im Folgenden wird ein Beispiel zur Auslegung einer technologischen Schnitt-stelle erläutert. Hierzu wird die Prozesskette zur Herstellung von hochbeanspruch-ten Zahnrädern für Automobilgetriebe durch Präzisionsschmieden herangezogen [DER07]. In diesem neuen Prozess findet keine Weichbearbeitung der Verzahnung mehr statt. Zwischen den Prozesselementen Präzisionsumformung und Hartbearbei-tung hat sich in der Forschung das Werkstückaufmaß und dessen Veränderung in der Serienproduktion als wesentliche Übergabegröße zwischen den Prozessschrit-ten herausgestellt. Es hat entscheidenden Einfluss auf die ökonomischen Ziele, d. h. die Fertigungskosten der Zahnräder. Zur Verdeutlichung dieser Zusammenhänge ist in Abb. 15.15 das unterschiedliche Verschleißverhalten des Schmiedegesenkes und der Schleifscheibe dargestellt.

Abb. 15.15 Verschleißwirkung bei der Umformung und in der Schleifbearbeitung

Schmiede-gesenk

Werkstück

Wirkprinzip

Kräfte

Verschleiß

Schleifscheibe

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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355

Im linken Teil der Darstellung wird ein Schmiedeprozess gezeigt. Mit jedem Pressenhub weitet sich das Gesenk durch Verschleiß auf, die erzeugten Bauteile werden über der Zeit größer. Bei Festlegung einer engen Durchmessertoleranz des Schmiedeteils (Aufmaßtoleranz) können nur wenige Bauteile mit einem Gesenk hergestellt werden. Im rechten Bildausschnitt ist ein Schleifprozess dargestellt. Während der Schleifbearbeitung verschleißt das eingesetzte Schleifwerkzeug. Je größer dabei das absolute Schmiedeaufmaß (vorgesehenes Bearbeitungsaufmaß plus Aufmaßtoleranz des Schmiedeprozesses) gesetzt wird, desto größer wird der Schleifscheibenverschleiß pro erzeugtem Bauteil sein. Dies liegt an dem vergrö-ßerten Werkstückvolumen, das bei verschlissenem Gesenk schleiftechnisch abzu-tragen ist. Es wird deutlich, dass das Schleifaufmaß selbst wenig Auswirkungen auf die Auslegung des Schmiedeprozesses hat, vielmehr wirkt sich die durch den Verschleiß der Schmiedegesenke hervorgerufene Aufmaßzunahme der erzeugten Halbfertigteile negativ auf die nachfolgenden Fertigungsschritte aus.

In Abb. 15.16 werden die qualitativen Verläufe der Prozesskosten in Abhängig-keit von der Aufmaßzunahme für einen Präzisionsumformungsprozess und einen mehrstufigen Hartfeinbearbeitungsprozess gezeigt. Ziel des Vergleiches der beiden Kurvenverläufe ist die Bestimmung eines Wertes für die optimale Aufmaßzunahme ∆aopt.

Die Standzeit eines Umformwerkzeuges kann durch eine große Aufmaßtoleranz verlängert werden. Wird dagegen nur eine sehr geringe Aufmaßtoleranz zugelas-sen, steigen die Prozesskosten für die Präzisionsumformung bedingt durch gerin-gere Werkzeugstandzeiten an. Für die Hartfeinbearbeitung ergibt sich dagegen ein Anstieg der Prozesskosten durch eine Zunahme des Werkstückaufmaßes nach dem Schmieden, da mit einem größeren ∆a auch ein steigendes Aufmaß a einhergeht und sich die Prozesszeit sowie der Werkzeugverschleiß erhöht. Der in Abb. 15.16

Abb. 15.16 Technologische Wechselwirkungen zwischen Umformung und Hart-bearbeitung

Hartbearbeitung(einstufig)

(zweistufig)(dreistufig)

Präzisionsumformung

Zunahme Werkstückaufmaß [mm]

resultierende Funktionenschar

Pro

zess

kost

en [

]amax

aopt

amin∆a

mit: a ≥ amin

a:

∆a:

∆aopt:

aopt

Werkstück-aufmaß

ZunahmeWerkstück-aufmaß

optimalezunahmeWerkstück-aufmaß

15.4 Prozesskettenauslegung am Beispiel „Zahnradfertigung“

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356

gezeigte unstetige Verlauf der Kostenfunktion ergibt sich aus einer Mehrstufigkeit (Schruppen/Schlichten) des Schleifprozesses.

15.5 Prozessüberwachung

Die Prozessüberwachung stellt eine wichtige Tätigkeit im Rahmen der Fertigung dar, um die in der Prozess- und Prozesskettenauslegung festgelegten Zielgrößen zu erreichen. In ihr werden Eingangs-, Prozess- und Ergebnisgrößen analysiert und miteinander verglichen. So entsteht zum einen die Basis für ein aktives Eingreifen in den Prozess über Regelungs- und Steuerungsmechanismen und zum anderen die Grundlage zur Bildung, Evaluation oder Verifikation empirischer Prozessmodelle (Abschn. 15.2). Die Prozessüberwachung stellt das Prüfen definierter Prozessmerk-male und -parameter dar. In Abb. 15.17 werden qualitative Prüfung ( Wahrnehmung) und quantitative Prüfung ( Messung) unterschieden.

Eine direkte Wahrnehmung ist beispielsweise der Geschmack eines Mediums. Das Aussehen dagegen wird über reflektiertes Licht nur indirekt wahrgenommen. Die Beurteilung dieser Wahrnehmungen basiert auf implizitem, d. h. unstrukturier-tem Erfahrungswissen. Eine Messung dagegen folgt explizitem, d. h. strukturiertem und dokumentiertem Wissen, den Fakten. Hierbei stellt die Erfassung einer Länge anhand eines Vergleichsnormales eine direkte Messung dar. Temperaturen werden (z. B. in einem Thermometer) aus der Längendehnung eines Vergleichsnormales abgeleitet. Es handelt sich somit um eine indirekte Messung.

In der Fertigungstechnik, speziell in der Zerspanung, werden die messbaren Grö-ßen nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung unterschieden. Größen, die während eines Prozesses auftreten, heißen Prozessgrößen; Größen, die am Ende des Prozesses als permanentes Ergebnis vorliegen, werden Ergebnisgrößen genannt (Abb. 15.18).

Abb. 15.17 Prüfen als Grundlage der Prozessüberwachung

Prüfen

Wahrnehmung(qualitativ)

Messung(quantitativ)

indirekt

Temperatur

Kraft

Länge

Gewicht

basiert auf:basiert auf:

Fakten(explizites Wissen)

Erfahrung(implizites Wissen)

direktindirektdirekt

Geschmack

Form

Aussehen

Geräusch

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

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357

Weiterführende Informationen hierzu liefern Tönshoff [TÖI01] und Karpuschewski [KAR01].

Ein Vergleich der gemessenen Prozess- und Ergebnisgrößen mit den entspre-chenden Zielgrößen liefert in der Regel Abweichungen von den Vorgabewerten. Es wirken somit Störeinflüsse auf den Prozess. Je nach dem, ob sich die aus den Stör-einflüssen resultierenden Abweichungen im Rahmen einer festgelegten Toleranz be-finden, wird ein regelungstechnischer Eingriff in den Prozess erforderlich. Ursachen eines solchen Eingriffes können stochastischen Ursprungs sein, wie beispielsweise Temperaturveränderungen, aber auch systematische Veränderungen der Randbedin-gungen, wie z. B. Schleifscheibenverschleiß während des Schleifprozesses.

In Abb. 15.19 werden unterschiedliche Qualitätsregelkreise vorgestellt. Ziel der Qualitätsregelung ist die Verringerung des beschriebenen Störgrößeneinflusses auf

Abb. 15.18 Signale und Größen zur Prozessüberwachung bei der Zerspanung

messbare Signale

Prozessgrößen

Kräfte/Momente

Schleifleistung

Oberflächentemperatur

Körperschall

Schwingung

Ergebnisgrößen

Abmessung und Form des Bauteiles

Mikrogeometrie

Randzonenzustand

Verschleiß der Schleifscheibe

Kühlschmierstoffeigenschaften

15.5 Prozessüberwachung

Abb. 15.19 Qualitätsregelkreise für Schleifprozesse

Informationssystem Feinbearbeitung

Prozessaus-legung &

Optimierung

ModellbildungSchleifdaten

Flexible Meßzelle

Arbeitsergebnis-größenProzessgrößen

IntegrierteSignalbe-wertung

inpr

ozes

s

proz

essn

ah

proz

essn

ah

Modell-adaption

übergeordnet

übergeordnet

F

AE

t

t

Page 371: Spanen ||

358

die resultierende Bauteilqualität. Die Regelkreise werden unterschieden nach der Art der zugrundeliegenden Messgrößen (Prozessgrößen oder Ergebnisgrößen) und der zeitlichen Verzögerung des Eingriffs in In-Prozess-, prozessnahe und überge-ordnete Regelung. Zur Durchführung der Qualitätsregelung findet zunächst eine Prozessauslegung statt. Dazu müssen die primären (z. B. Schnittgeschwindigkeit), und sekundären Stellgrößen (z. B. Schnittkraft) bestimmt werden. Als Eingangs-informationen hierzu werden vorhandene Prozessmodelle und Prozessdaten, wie sie beispielsweise in einem Qualitätsinformationssystem [TÖC96] enthalten sind, verwendet.

Während eines Bearbeitungsprozesses können Prozesssignale, wie Kräfte, Leis-tungen oder Schallemission, messtechnisch erfasst werden. Aus diesen Prozesssig-nalen werden durch Datenreduktion und Kennwertbildung Prozessgrößen gewon-nen. Diese lassen sich für eine In-Prozess-Regelung einsetzen. Als ein Beispiel sei hier das Adaptive Control (AC) für den Schleifprozess genannt [TÖF02].

Die In-Prozess-Qualitätsregelung erfolgt auf Basis von Prozessgrößen. In der prozessnahen und übergeordneten Qualitätsregelung werden darüber hinaus auch Arbeitsergebnisgrößen berücksichtigt. Die prozessnahe Qualitätsregelung hat das Ziel, möglichst schnell eine mangelnde Prozessqualität auszugleichen. Hier kann günstigstenfalls von Bauteil zu Bauteil geregelt werden. Eine übergeordnete Quali-tätsregelung wirkt über den kompletten Fertigungszeitraum eines Bauteils. Diese Art der Regelung wird beispielsweise realisiert, indem Prozessdaten über verschie-dene Bauteile und Fertigungslose gesammelt werden. Mit diesen Daten werden die zugrundeliegenden Prozessmodelle aktualisiert und es findet eine erneute Prozess-auslegung und -optimierung statt. Ein Beispiel hierfür stellt die statistische Prozess-kontrolle (eng. statistical process control SPC) dar.

Systematische Störgrößen (z. B. Schleifscheibenverschleiß) werden durch Re-gelkreise, wie in der Abb. 15.20 dargestellt, detektiert und ausgeglichen.

Abb. 15.20 Regelkreis zur prozessnahen Regelung für das Außenrundschleifen

Störgrößen Z(Temperatur,Verschleiß)

geschliffenesBauteil

Ist-Wert Y

prozessnahe Messung

Soll-Wert W(z.B. Ra, Rz, σll)

Regler (P)

Kv

Einstellgröße X(z.B.: vc,vft, fr)

Schleifprozess

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

Page 372: Spanen ||

359

Kernelement des dargestellten Regelkreises ist die prozessnahe Qualitätsüber-prüfung, beispielsweise in einer flexiblen Messzelle unmittelbar nach der Bearbei-tung. Zielgrößen der Bearbeitung, wie Rauheit oder Eigenspannungszustand des Bauteiles, stellen die Sollgrößen in dem dargestellten Regelkreis dar. Diese werden mit den in der Messzelle detektierten Arbeitsergebnisgrößen (Ist-Werte) verglichen. Über die ermittelte Regelabweichung wird für das nächste Bauteil eine veränderte Stellgröße bestimmt [CZE00]. Im Rahmen einer prozessnahen Regelung besteht darüber hinaus die Möglichkeit, eine bauteilindividuelle Optimierung der Prozess-kette der nachfolgenden Bearbeitungsschritte durchzuführen. Basierend auf den Prozessmodellen, welche bereits für die Prozesskettenauslegung eingesetzt worden sind, lassen sich die technologischen Schnittstellen der Folgeprozesse unter Berück-sichtigung von Wechselwirkungen erneut optimal auslegen. Dies ist notwendig, da Störgrößen nach jedem Bearbeitungsprozess zu bauteilindividuellen Ergebnisgrö-ßen führen können, die vom zuvor als optimalen Wert für die gesamte Prozesskette bestimmten Wert abweichen. Hier ist jedoch sicherzustellen, dass eine Auslegung aller technologischen Schnittstellen individuell für jedes Bauteil ausgelegt werden kann, ohne eine Verzögerung der Bauteilfertigung hervorzurufen. Aktuelle Metho-den erlauben dies noch unzureichend.

In der dargestellten flexiblen Messzelle (Abb. 15.21) werden Mikromagnetik-, Laser- und Streulichtsensoren eingesetzt. Der Mikromagnetiksensor analysiert be-arbeitungsbedingte Veränderungen in der Bauteilrandzone. Diese werden ermittelt über das sogenannte Barkhausenrauschen (sprunghafte Veränderung der Magneti-sierung), die Überlagerungspermeabilität (reversible Veränderung der Magnetisie-rung) und die Oberwellenanalyse (Fourier-Analyse des Magnetfeldes) [KAR01]. Darüber hinaus sind in die Messzelle ein Laserscanner zur Erfassung makrosko-pischer Qualitätsmerkmale (Bauteilgeometrie, Rundlauf) und ein Streulichtsen-sor zur berührungslosen Erfassung der Mikrogeometrien (Rauheit) integriert. Die

Abb. 15.21 Aufbau einer flexiblen Messzelle zur prozessnahen Messung

Aufbau einer flexiblenMesszelle:

MikromagnetischeMessgrößen:

Mikromagnetiksensor

Barhausenrauschen

Werkstück / Bauteil

Laserscanner

Streulichtsensor

Überlagerungspermeabilität

Oberwellenanalyse

A

A

B

C

B

C

DD

1

1

2

2

3

3

15.5 Prozessüberwachung

Page 373: Spanen ||

360

Ergebnisse der Bauteiluntersuchung in einer flexiblen Messzelle stellen Arbeits-ergebnisgrößen dar, die in der prozessnahen oder übergeordneten Qualitätsregelung (Abb. 15.19) zum Einsatz kommen.

Zusammenfassend lässt sich der prinzipielle Ablauf einer Prozessüberwachung wie folgt beschreiben. Ausgehend von einem funktionsfähigen Prozess, erfasst und formuliert eine Instanz (Detektor) alle auftretenden Probleme. Je nach dem, ob es sich bei der zugrundeliegenden Datenbasis um explizites Wissen (Fakten) oder im-plizites Wissen (Erfahrung) handelt, kommen unterschiedliche Analyseverfahren (Messung oder Wahrnehmung) zum Einsatz. Ist das Problem formuliert, werden in Abhängigkeit der zugrundeliegenden Datenbasis (explizit/implizit) verschiedene Strategien zur Problemlösung bzw. zur Optimierung eingesetzt. Ziel der Prozess-überwachung ist, den aufgrund einer Fehlfunktion problembehafteten Prozess wie-der zu beherrschen. Gelingt dies dauerhaft, muss darüber nachgedacht werden, die Prozessgrenzen enger zu fassen. Dies bedeutet eine permanente Verbesserung der Qualität (Verringerung der Standardabweichung σ) des Prozesses.

Fragen

1. Erläutern Sie den Begriff Prozesskettenelement anhand des PEK-Modells. 2. Nennen Sie die Umwandlungsgrößen bezogen auf die Funktionsstruktur eines

technischen Produktes. 3. Was versteht man unter einer technologischen Schnittstelle? 4. Welcher Zusammenhang besteht zwischen einem realen Prozess (System) und

einem Prozessmodell? 5. Nennen Sie drei typische Modellbildungsebenen. 6. Worin unterscheiden sich physikalische und empirische Prozessmodelle? 7. Grenzen Sie die Eingangs-, Prozess- und Ausgangsgrößen eines Zerspanpro-

zesses gegeneinander ab. 8. Was versteht man unter den Qualitätskriterien eines Zerspanungsprozesses? 9. Unter welchen drei Gesichtspunkten lassen sich Zerspanungsprozesse auslegen

bzw. bewerten?10. Nennen Sie eine einfache Methode zur Bestimmung der Zielfunktion eines

Schleifbearbeitungsprozesses.11. Worin besteht die Schwierigkeit bei der Ermittlung der Prioritätskennzahlen

einer Zielfunktion?12. Zeichen Sie den radialen Spannungsverlauf einer Welle unter Biegung und

erläutern Sie, warum sich Zugeigenspannungen in der Randzone negativ aus-wirken können.

13. Auf welchen prozesskettengestaltenden Maßnahmen beruht die ASI-Methode?14. Worin unterscheiden sich konventionelle und prozessübergreifende

Prozesskettenauslegung?15. Die Prozesskettenauslegung lässt sich nach der hier vorgestellten Methode in

zwei Abschnitte einteilen. Worum handelt es sich dabei?

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

Page 374: Spanen ||

361

16. Was verstehen Sie unter qualitativer Positionierung technologischer Schnittstellen?

17. Warum ist nach der Prozesskettengestaltung noch eine quantitative Auslegung der technologischen Schnittstellen erforderlich?

18. Prüfen als Grundlage der Prozessüberwachung erfolgt nach zwei unterschied-lichen Methoden. Nennen Sie diese.

19. Stellt der Randzonenzustand eines Bauteiles eine Prozess- oder Ergebnisgröße dar?

20. Unterscheiden Sie stochastische und systematische Fehler eines Schleifprozesses.21. Worin besteht der Unterschied zwischen In-Prozess-Regelung und prozessna-

her Qualitätsregelung?

Literatur

[BRA08] Brandes, A.: Positionierung technologischer Schnittstellen – Beitrag zur ganzheitlichen Auslegung fertigungstechnischer Prozessketten. Dr.-Ing. Diss. Leibniz Universität Hannover. PZH Verlag 2008

[CZE00] Czenkusch, C.: Technologische Untersuchungen und Prozessmodelle zum Rundschlei-fen. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover. Fortschrittsbericht VDI Reihe 2 Nr. 530. VDI-Verlag 2000

[DEB03] Denkena, B.; Brandes, A.; Apitz, R.: Designing Integrated Process Chains. Machine Engineering, ISSN 1642-6568, Vol. 3, 2003

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[DER07] Denkena, B., Rabinovitch. A., Henning, H.: Holistic Optimisation of Manufacturing Pro-cess Chains based on Dimensioning Technological Interfaces. 4rd International Conference on Digital Enterprise Technology (DET 2007), Bath September 19th-21th 2007, p. 322-330

[KAR01] Karpuschewski, B.: Sensoren zur Prozessüberwachung beim Spanen. Habilitations-schrift Universität Hannover. Fortschrittsbericht VDI Reihe 2 Nr. 581. VDI-Verlag, 2001

[KÖN87] König, W.: Strategien zur Optimierung der Fertigungsfolgen. Tagungsband "Harte Werkstoffe richtig bearbeiten", VDI-Tagung, Stuttgart Februar 1987

[OES98] Oestereich, B.: Objektorientierte Softwareentwicklung - Analyse und Design mit der Unified Modelling Language. 4. Aktualisierte Auflage, ISBN 3-486-24787-5, Oldenbourg-Verlag 1998

[PAU94] Paul, T.: Konzept für ein Schleiftechnologisches Informationssystem. Dr.-Ing. Diss. Uni-versität Hannover. Fortschritts Bericht VDI Reihe 2 Nr. 313. VDI-Verlag 1994

[PRO77] Profos, P.: Modellbildung und ihre Bedeutung in der Regelungstechnik. VDI Berichte 276 (1977), p. 5-12

[TÖC96] Tönshoff, H.K.; Czenkusch, C.: Informationssystem zur prozessintegrierten Qualitäts-sicherung beim Schleifen. Proceedings of 7th International DAAAM Symposium, Vienna Aus-tria 17-19th October 1996, p.443-444

[TÖF02] Tönshoff, H.K., Friemuth, T., Becker, J.C.: Process Monitoring in Grinding. CIRP An-nals 51 (2002) 2, p. 551-571

[TÖI01] Tönshoff, H.K., Inasaki, I.: Sensors in Manufacturing. ISBN 3-527-29558-5, Wiley-Vch Verlag GmbH 2001

[TÖN07] Tönshoff, H.K.: Übersicht über die Fertigungsverfahren. Dubbel - Taschenbuch für den Maschinenbau, 22. Auflage, ISBN 978-3-540-49714-1, Springer-Verlag 2007

Literatur

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362

[TÖP92] Tönshoff, H.K.; Perters, J., Inasaki, I., Paul, T.: Modelling and Simulation of Grinding Processes. Annals of the CIRP 41 (1992) 12, p. 59-64

[VDI3633] N.N.: VDI3633 Blatt 1 Simulation von Logistik-, Materialfluß- und Produktionssyste-men. Verein deutscher Ingenieure. Beuth Verlag 2000

[ZAN70] Zangenmeister, C.: Nutzwertanalyse in der Systemtechnik. Wittmansche Buchhandlung 1970

15 Prozessauslegung und -integration in die Prozesskette

Page 376: Spanen ||

363

Spanende Verfahren dienen dazu, funktionsfähige Bauteile zu erzeugen. Über Funktionsfähigkeit und Lebensdauer entscheiden letztendlich die Oberflächen- und Randzoneneigenschaften der Bauteile. Eine scharfe Grenze zwischen Oberfläche und Randzone ist nicht immer zu ziehen, wie die Definition der Begriffe zeigt. Die Oberfläche beschreibt im allgemeinen Sinne die äußere Begrenzung eines Körpers. In der Mathematik bezeichnet die Oberfläche die Menge aller Randpunkte eines Körpers. In den Naturwissenschaften ist die Oberfläche die Grenze zwischen zwei Medien. Eine weitere Präzisierung des Begriffs ist in der Fertigungstechnik erfor-derlich. Die [DIN 4760] unterscheidet verschiedene Definitionen:

1. Wirkliche Oberfläche: Oberfläche, die den Gegenstand von dem ihn umgeben-den Medium trennt (Ausnahme: die innere Oberfläche von porigen Stoffen)

2. Istoberfläche: messtechnisch erfasstes, angenähertes Abbild der wirklichen Oberfläche eines Formelements. Verschiedene Messverfahren können verschie-dene Istoberflächen ergeben

3. Geometrische Oberfläche: ideale Oberfläche, deren Nennform durch die Zeichnung und/oder andere technische Unterlagen definiert wird

Bei der Analytik von Oberflächen ist es allerdings nicht immer sinnvoll, von einer Dicke von Null auszugehen. Bei der Charakterisierung bestimmter Oberflächen-eigenschaften werden Dicken von ca. 1 nm bis ca. 10 µm (10−9 bis 10−5 m) be-trachtet. Das bedeutet, dass eine Oberfläche aus einer einzigen Atomlage (Mono-lage) oder aber aus 10.000 Monolagen bestehen kann. Hinzu kommt, dass innerhalb dieser Dicke die Oberfläche nicht unbedingt homogen ist. Chemische Zusammen-setzung und Gefüge sowie physikalische Eigenschaften weisen oft Unterschiede auf. Für den Analytiker muss die Oberfläche immer der Bereich sein, der für die geforderte Eigenschaft maßgeblich ist.

Als Randzone wird der Volumenbereich des Werkstoffs bezeichnet, dessen Eigenschaften durch den Bearbeitungsprozess verändert wurden. Die Anwendung dieser Definition hat zur Folge, dass Aussagen über „Oberflächeneigenspannun-gen“ oder „Oberflächenhärte“ streng genommen gar nicht möglich sind, denn zur Ermittlung dieser Größen werden immer Informationen auch aus der oberflächen-nahen Randzone benötigt. Oberflächeneigenschaften können nach den hier gege-

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 16Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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364

benen Definitionen nur geometrische Eigenschaften sein. Wie allerdings aus der Definition der Oberfläche zu sehen ist, gehen Oberfläche und Randzone oft nahtlos ineinander über [BRE].

Längst sind noch nicht alle Zusammenhänge spanender Verfahren mit den Funk-tionseigenschaften eines Bauteils bekannt. Es hat sich aber bewährt, zwischen Oberflächen- und Randzoneneigenschaften eines Bauteils zu unterscheiden. Diese Eigenschaften lassen sich durch Größen beschreiben und messen. Der Konstruk-teur eines Bauteils kann solche Größen vorschreiben. Der Fertigungstechniker muss wissen, durch welche Verfahren und welche Eingangsgrößen des Prozesses die ge-forderten Oberflächen- und Randzoneneigenschaften erreicht werden.

16.1 Oberflächeneigenschaften

Die Oberfläche eines Bauteils ist derjenige Teil, der mit dem es umgebenden Me-dium, mit einem weiteren Bauteil oder mit dem Blick eines Betrachters in Kontakt kommt. Nicht nur die Anforderungen an technische Bauteile sind vielfältig, auch an einem einzigen Bauteil können bestimmte Teile der Oberfläche unterschiedli-che Aufgaben erfüllen. Unterschieden werden können hier beispielsweise Flächen ohne technische Funktion, wie Sicht- oder Kehrflächen (Innenseiten), Flächen mit technischer Funktion zum Dichten, Haften oder Fügen, oder Flächen mit unter-schiedlichen technischen Funktionen, bei denen Reibung auftritt. Auf der Basis der Beanspruchungen werden in der [DIN 4764] technische Oberflächen im Maschi-nenbau und in der Feinwerktechnik in drei Gruppen eingeteilt, wobei lediglich die mechanische Beanspruchung zugrunde gelegt wird:

1. Mechanisch nicht oder nur gering beanspruchte Oberflächen

2. Spannungsbeanspruchte Oberflächen meist ohne Relativbewegung zur Ge - genfläche

3. Reibungsbeanspruchte Oberflächen mit Relativbewegung zur Gegenfläche

Für das Verhalten des Bauteils bei mechanischen Beanspruchungen unterschied-lichster Art ist in erster Linie die Mikrogeometrie der Oberfläche verantwortlich. Der Fertigungsprozess einer bestimmten Bauteiloberfläche muss also gewährleis-ten, dass eine bestimmte Mikrogeometrie, in Form von Rauheit, nicht über- oder unterschritten wird. Funktionsflächen wie Sicht-, Dicht-, Haft- oder Glättflächen beispielsweise müssen möglichst geringe Rauheiten aufweisen. Schichtgrundflä-chen dagegen benötigen eine verfahrensabhängige Mindestrauheit, um die Schicht-haftung zu ermöglichen.

Anforderungen an die Oberflächenrauheit müssen von geeigneten spanenden Fertigungsprozessen erfüllt werden. Nicht immer kann ein einzelner Prozess die Oberflächen in der notwendigen Qualität erzeugen. Oft müssen, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Erwägungen, zwei Prozesse desselben spanenden Fertigungsver-fahrens nacheinander durchgeführt werden (Schruppen, Schlichten). In einigen Fällen ist mit dem spanenden Fertigungsverfahren allein die geforderte Oberflä-

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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365

chenqualität nicht zu erreichen, so dass ein zweiter, anders gearteter Prozess nach-geschaltet werden muss (z. B. Bohren und Reiben, Fräsen und Glattwalzen).

Werden Zerspanprozesse geplant, um die an das Bauteil gegebenen Rauheitsan-forderungen zu erfüllen, muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Istoberflä-che sich in der Praxis von der geometrischen Oberfläche durch Gestaltabweichun-gen unterschiedlicher Ordnungen unterscheidet. Diese werden in der [DIN 4760] definiert und mit Beispielen belegt (Abb. 16.1) [BRE].

Durch spanende Verfahren, die eine ausgeprägte Schnittrichtung aufweisen, ent-stehen durchweg gerichtete, rillige Oberflächen. Nichtrillige Oberflächen werden erzeugt z. B. durch Funkenerodieren, Druckstrahlen, Umformen oder Urformen. Gerichtete Oberflächen weisen in der Regel quer zur Schnittrichtung größere Rau-heiten als in Schnittrichtung auf.

16.1.1   Bestimmung von Oberflächeneigenschaften

Die im Bereich Zerspantechnik am häufigsten anzutreffenden Rauheitskenngrößen sind der arithmetische Mittenrauwert Ra, die gemittelte Rautiefe Rz und die maxi-male Rautiefe Rmax. Der arithmetische Mittenrauwert Ra kann allmähliche Verände-rungen der Oberfläche, wie sie durch Werkzeugverschleiß auftreten, quantifizieren. Spitzen und Riefen können allerdings nicht unterschieden werden, ebenso wenig wie unterschiedliche Profilformen. Verwendet man Ra als Oberflächenkenngröße, sollte der Charakter der Rauheit aus anderen Untersuchungen bereits bekannt sein. Ra wird als robuster Kennwert angesehen, da er nur schwach auf einzelne Störun-gen reagiert. Ra lässt sich prinzipiell mit allen Tastschnittgeräten bestimmen. Die Ergebnisse einzelner Messstellen streuen relativ gering, da der Bestimmung von Ra

Abb. 16.1 Ordnung, Beispiele und Entstehungsursachen für Gestaltabweichungen [DIN 4760]

Gestaltabweichung(als Profilschnitt überhöht dargestellt)

1. Ordnung: Formabweichungen

3. Ordnung: Rauheit

4. Ordnung: Rauheit

5. Ordnung: Rauheit

Anmerkung: nicht mehr in einfacher

Anmerkung: nicht mehr in einfacher

Weise bildlich darstellbar

Weise bildlich darstellbar

6. Ordnung:

Die dargestellten Gestaltaweichungen 1. bis 4. Ordnungüberlagern sich in der Regel zu der Istoberfläche

Beispiele für dieArt der Abweichung

Beispiele für die Entstehungsursache

Geradheits-, Eben-heits-, Rundheits-,Abweichung u.a.

Wellen(siehe DIN 4761)

Rillen(siehe DIN4761)

RiefenSchuppenKuppen

(siehe DIN4761)

2. Ordnung: Welligkeit

Gefügestruktur

Gitteraufbaudes Werkstoffes

Fehler in der Führungen der Werkzeugmaschine. Durch-biegung der Maschine oder des Werkstückes, falscheEinspannung des Werkstückes, Härteverzug, Verschleiß

ausßermittige Einspannung, Form- oder Laufab-weichungen eines Fräsers, Schwingungen der Werk-zeugmaschine oder des Werkzeuges

Form der Werzeugschneide,Vorschub oder Zustellung des Werkzeuges

Vorgang der Spanbildung (Reißspan,Scherspan,Aufbauschneide),Werkstoffverformung beim Strahlen,Knospenbildung bei galvanischer Behandlung

Kristallisationsvorgänge, Veränderung der Oberflächedurch chemische Einwirkung (z.B. Beizen), Korrosions-Vorgänge

Beispiel:

16.1 Oberflächeneigenschaften

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366

eine starke Mittelwertbildung zu Grunde liegt [VOL05]. Ra beschreibt die mittlere Abweichung des Profils von der mittleren Linie (Abb. 16.2). Die rechnerische Be-stimmung erfolgt nach [DIN 4768]:

(16.1)

mit: ln = ausgewerteter Teil der Messstreckez = Abstand des Rauheitsprofils von der mittleren Linie innerhalb der Mess-

strecke

Die beiden Oberflächenkenngrößen gemittelte Rautiefe Rz und maximale Rautiefe Rmax werden häufig zusammen verwendet. In dieser Kombination lassen sich ein-zelne Ausreißer aufspüren: ist Rmax deutlich größer als Rz, bedeutet dies, dass der gemessene Tastschnitt eine einzelne besonders hohe Spitze enthält. Eine Messung an einer anderen Stelle auf der Probe kann klären, ob es sich tatsächlich um einen einzelnen Ausreißer handelt.

Zur Ermittlung von Rz und Rmax wird das gemessene Oberflächenprofil mit der gewählten Grenzwellenlänge λc, welche Rauheit und Welligkeit voneinander ab-grenzt, gefiltert. Die Messstrecke ln wird üblicherweise so gewählt, dass sie in fünf gleiche Abschnitte lr mit jeweils der Länge der Grenzwellenlänge λc unterteilt wer-den kann. Aus jedem Teilstück wird der maximale Höhenwert zi genommen, daraus wird das arithmetische Mittel gebildet (Abb. 16.2). Rz ergibt sich damit nach:

Ra =1

ln

ln∫

0

|z(x)| dx

Abb. 16.2 Einige wichtige Rauheitskenngrößen [VOL05]

Mittellinie

arithmetischer Mittenrauwert Ra

z(x)

Ra z

x

In

In

Ir

Ir1

Rz

maximale Rautiefe Rmax

Rmax

Rmax = größte Einzelrautiefe innerhalb von In

Ir2 Ir3 Ir4 Ir5λc

gemittelte Rautiefe Rz

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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367

(16.2)

Rmax ist der größte Abstand von der höchsten Spitze bis zur tiefsten Riefe innerhalb eines Messsegments. Der größte Rauheitswert innerhalb der Messsegmente 1–5 wird als Rmax definiert (Abb. 16.2) [VOL05].

Die Messverfahren für mikrogeometrische Kennwerte einer Oberfläche können berührend oder berührungsfrei arbeiten. Grundsätzlich wird zwischen drei Mess-prinzipien unterschieden:

• taktile Verfahren• optische Verfahren• rastersondenmikroskopische Verfahren

Die klassischen Messverfahren legen alle einen Profilschnitt in die Oberfläche, sind also zweidimensionale Verfahren. Durch Abrastern der Oberfläche mit einem Punkt-sensor oder auch durch Verwendung von Flächensensoren ist es heute möglich, Rau-heiten von Flächen in vertretbaren Zeiten zu bestimmen. Daher ist es notwendig, auch zwischen zwei- und dreidimensionalen Verfahren zu unterscheiden [BRE]. Die meisten Rauheitsprofile werden auch heute noch mit mechanischen Tastern auf-genommen, in elektrische Signale umgesetzt, vorverarbeitet (gefiltert) und in den definierten Messgrößen oder als Profildiagramm ausgegeben. Die Profildiagramme sind aus Darstellungsgründen meist stark überhöht (z. B. im Verhältnis 100 : 1) auf-gezeichnet. Sie können damit Grund für Missdeutungen sein. Abbildung 16.3 zeigt

Rz =1

5

5∑

i=1

zi

16.1 Oberflächeneigenschaften

Abb. 16.3 Werkstückprofildiagramme für das Drehen und Schleifen

50 µ

m

10 µ

m

10 µm50 µm

f

200 µm

20 µ

m

1 µm

100 µm

f

Profildiagramme Schleifen:

vc = 30 m/minQ’w = 4 mm/mmsq = 80Ra = 0,27 µmRz = 2,1 µm

Profildiagramme Drehen:

vc = 250 m/min rε = 1,2 mmap = 2 mmf = 0,25 mmRa = 3,27 µmRz = 17,2 µm

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368

typische Profildiagramme für das Drehen und Schleifen in überhöhter und entzerrter Darstellung.

Die Mikrogeometrie der durch den Zerspanprozess neu entstehenden Oberfläche wird zum einen bestimmt durch die Schneidengeometrie, zum anderen kann sie maßgeblich durch die Variation von Prozessstellgrößen beeinflusst werden. Beim Drehen beispielsweise bildet sich die Form des Werkzeugs in der Oberfläche ab, so dass als rauheitsbestimmende Stellgröße in erster Linie der Vorschub von Bedeu-tung ist. So lässt sich bei Kenntnis des Schneideckenradius rε und des Vorschubs f diejenige Rautiefe Rth ermitteln, die der Drehprozess auf der Oberfläche eines sich nicht verformenden Werkstoffs durch Bearbeitung auf einer ideal steifen Werkzeug-maschine erzeugen würde gemäß:

(16.3)

Für Anwendungen in der Praxis wurde der Ausdruck vereinfacht zu:

(16.4)

mit: Rth = theoretische Rautieferε = Schneideckenradiusf = Vorschub

Die so bestimmte theoretische Rautiefe Rth nimmt also quadratisch mit dem Vor-schub zu und linear mit einer Vergrößerung des Schneideckenradius ab [PAU08, BAU34]. Der Effekt der elastischen Werkstoffverformung, der sich unter anderem in der systemabhängigen Mindestspanungsdicke hmin äußert, und der mit abneh-mendem Vorschub an Einfluss gewinnt, wird in einer erweiterten Rautiefenformel berücksichtigt [BRA61, BRE].

(16.5)

Die theoretische Rautiefe kann als untere Schranke für Rz angesehen werden, denn durch Schwingungen zwischen Werkzeug und Werkstück, durch Aufbauschneiden-bildung und durch verschleißbedingte Veränderung der Schneidkante ergeben sich zusätzliche Rauheitsanteile, die sich Rth überlagern. Für die beim Schlichten inter-essante Zeitspanfläche Aw (erzeugte Fläche je Zeiteinheit) gilt:

(16.6)

(16.7)

Bei vorgeschriebener Rautiefe ist die Zeitspanfläche folglich von der Schnittge-schwindigkeit und dem Eckenradius abhängig. Die Schnittgeschwindigkeit ist durch den Verschleiß begrenzt (s. Kap. 8). Auch der Eckenradius kann nicht be-

Rth = rε −√

rε2 −

f 2

4

Rth ≈f 2

8rε

Rth =f 2

8rε

+hmin

2·[

1 +rε · hmin

f 2

]

Aw = f · vc

Aw = vc ·√

8 · rε · Rth

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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369

liebig vergrößert werden, da mit rε die Reibung zwischen den Wirkpartnern und da-mit ebenfalls der Verschleiß zunimmt und da mit einer größeren Länge der Neben-schneide Ratterschwingungen auftreten und der Prozess instabil wird [NED75]. Hier liegen auch die Grenzen für das Breitschlichtdrehen, wo mit hohem Vorschub und geringem Einstellwinkel der Haupt- oder der Nebenschneide hohe Zeitspan-flächen erreicht werden, vorausgesetzt dass die Systemsteifigkeit groß genug ist (Abb. 16.4).

Hohe Aktualität besitzen diese Fragestellungen bei der Entwicklung spezieller Breitschlichtdreh- oder –fräswerkzeuge, die mit Breitschlicht- oder Schleppschnei-den, auch Wiper genannt, ausgestattet sind.

16.2 Randzoneneigenschaften

Nicht nur die Oberfläche sondern auch die Randzone ist im Bauteileinsatz vielfäl-tigen Belastungen ausgesetzt. Am offensichtlichsten sind hierbei die mechanischen Belastungen. Eine Überlastung des Bauteils kann das Ende seiner Lebenszeit oder die Herabsetzung der Lebensdauer bedeuten. Neben den mechanischen spielen auch thermische Belastungen eine bedeutende Rolle für die Bauteillebensdauer. Viele Bauteile sind im Einsatz starken Reibungen ausgesetzt, die zu ihrer Erwärmung führen. Dabei können sehr hohe Temperaturen erreicht werden (z. B. bei Zerspan-werkzeugen), so dass das Bauteil im Einsatz völlig andere Eigenschaften besitzt als bei Raumtemperatur.

Abb. 16.4 Gestaltabweichungen beim Drehen und Breitschlichtdrehen

Rth

f f

rεrε

WthκN

Werkzeug

Drehen

100 µm

10 µmW+Rt

f

2,5 µm 250 µm

Werkstoffseite

ap · f = 0,3·0,08 mm2

rε = 0,8 mmRY = 13,0 µm

ap · f = 0,06 · 3 mm2

rε = 0,8 mm, κN = 4'W = 5,0 µm

Rth = rε– –rε2 f2

4f2

8 rεfür Rth << re

Wth = κN . (f-rε); κN << 0,1°

Profilschnitt ohne elektr. Filter

Rth =

Breitschlichten

16.2 Randzoneneigenschaften

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370

Neben den mechanischen und thermischen Belastungen sind viele Bauteile auch chemischen Angriffen ausgesetzt. Hierbei kann es unter anderem zur Korrosion oder zur Diffusion aufgrund der Werkstoffpaarungen der Bauteile im Einsatz kom-men, die zur Veränderung von Bauteileigenschaften führt. Die Eigenschaften der Randzone dürfen sich über der angestrebten Lebensdauer durch die Belastungen nur soweit verändern, dass die Funktionsfähigkeit des Bauteils sichergestellt ist [BRE].

Bei spanend bearbeiteten Bauteilen lassen sich die folgenden in Abb. 16.5 dar-gestellten Randzoneneigenschaften messen oder feststellen:

• Gefügeänderungen• Plastische Verformungen• Härteänderungen• Eigenspannungen• Texturen• Risse

16.2.1   Bestimmung von Randzoneneigenschaften

Gefügeänderungen lassen sich durch metallographische Schliffe nachweisen. Schleifen, Polieren und geeignete Ätzungen zeigen den Feinaufbau der Rand-schichten und lassen Umwandlungen der Kristallite erkennen. Die Methode ist auch geeignet, plastische Verformungen als Folge einer spanenden Bearbeitung zu be-stimmen. Als Indikator dient die Formänderung der Kristalle (Abb. 16.12). Wegen deren ungleichmäßiger Form ist das Auflösungsvermögen des Grades der plasti-schen Verformungen und ihrer Eindringtiefe allerdings gering. Es hat sich daher das Linienverfahren bewährt, bei dem ein Probekörper geteilt wird und auf seiner

Abb. 16.5 Randzoneneigenschaften nach der spanenden Bearbeitung [BRI91]

σII

σ⊥

RisseHärte

Gefüge

TexturEigen-spannungen

HV

bearbeitete OberflächeBearbeitungs-richtung

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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371

Teilebene Linienstrukturen aufgebracht werden. Aus der Krümmung dieser Linien nach Bearbeitung lässt sich die Verformung quantitativ bestimmen.

Härteänderungen durch Spanen treten nur in dünnen, wenige 1/100 mm dicken Schichten auf. Auch können die Härtegradienten sehr steil sein. Diese Randzonenver-änderungen lassen sich daher nur durch Mikro- oder Kleinlast-Härteprüfungen nach-weisen [TÖN80]. Prinzipiell kann normal zur bearbeiteten Oberfläche oder in einer Schnittebene senkrecht zu dieser geprüft werden. In jedem Fall muss die Prüffläche durch Elektropolieren behandelt werden, um Einflüsse der Präparation zu eliminieren.

Um einen Verlauf der Härteänderungen über der Eindringtiefe aufzunehmen, wurde das Böschungsverfahren entwickelt (Abb. 16.6). Dabei wird die durch Spa-nen erzeugte Oberfläche in einer sanften (1:200) Böschung angeschnitten. Auf ihr wird die Härte gemessen. Der Einfluss tieferliegender unterschiedlich harter Schichten lässt sich korrigieren.

Für spezielle Untersuchungen, beispielsweise Härteverläufe in Segmenten von Scherspänen [TÖN05], werden Ultramikrohärtebestimmungen mit sehr geringen Prüflasten (z. B. F = 0,016 N) durchgeführt. Durch die hierbei entstehenden kleinen Eindrücke lässt sich eine hohe Ortsauflösung bei der Härtebestimmung erreichen.

Eigenspannungen lassen sich nach der indirekten oder direkten Methode bestim-men. In beiden Fällen werden Dehnungen gemessen und aus diesen Spannungen errechnet. Die indirekte Methode, auch Rückfederungsmethode genannt, trennt kleine Teile oder Schichten vom spannungsbehafteten Probekörper ab und misst die Verformung des Restkörpers durch Dehnungsmessstreifen oder über optische Inter-ferenz (Abb. 16.7) [TÖN65]. Mit Algorithmen der Elastomechanik wird dann auf die Oberflächenkräfte bzw. Spannungen zurückgerechnet, die in dem abgetrennten Teil oder in der Schicht geherrscht haben müssen und deren Freisetzung die ge-messene Verformung des Restkörpers verursacht hat. Wegen des „Umwegs“ über

16.2 Randzoneneigenschaften

Abb. 16.6 Messung von Härteverläufen am Schrägabtrag

Eindring-körper

Eindruckmessung

Fokussierung

Härte

Eindringtiefe

Prüffläche

Werkstück

Induktiver

polierteBöschung 1:200

Aufnehmer

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372

die Rückfederung des Restkörpers wird das Verfahren als indirekte Methode be-zeichnet. Es können nur Eigenspannungen mit makroskopischer Verteilung (Eigen-spannungen 1. Art) ermittelt werden.

Bei der direkten Methode wird unmittelbar die durch Eigenspannungen ver-ursachte Gitterdehnung in den Kristalliten eines Werkstoffs bestimmt. Dazu kann Röntgenstrahlung genutzt werden. Andere Verfahren verwenden elektromagne-tische Effekte oder Ultraschall. Das Röntgenverfahren setzt ein Diffraktometer ein, mit dem die Intensitätsverteilung des gebeugten Strahls aufgenommen wird (Abb. 16.8).

Abb. 16.7 Indirekte Spannungsanalyse nach dem Rückfederungsverfahren

Pumpe Heizung/Kühlung

RegelungSignal-

verarbeitungAus-

wertung

Abtrags-strom

Elektrolyt-temperatur

Strömungsge-schwindigk.des

Elektrolyten A

D

DMS

Probe

Kathode Elektrolyt

εa, εb, εc

ε1, ε2, α

σ1, σ2, α

ε

– +

Abb. 16.8 Röntgenbeugung

Intensitätsprofile

Beugungswinkel 2θB Bragg: n λ = 2dhkl sin θB

dhkl

θ0

θB θB∆θverspanntes Gitter

dhkl sin θB dhkl sin θB

Beugung

d0

θ0

θ0

θ0

einfallenderRöntgenstrahl

reflektierte,interferierendeRöntgenstrahlen

unverspanntesGitter

d0 sin θ0d0 sin θ0

F F

0

50

75

100

150

25

30 60 90 120 150

cps

Grad

Material : TiAl6V4Strahlung : CuKα

λ

α-Ti 101

α-Ti 114

α-Ti 103 α-Ti 203

α-Ti 103Inte

nsitä

t

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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373

Um Spannungen in der interessierenden Richtung parallel zur Probenoberfläche bestimmen zu können, müssen die Gitterdehnungen in Abhängigkeit vom Neigungs-winkel ψ der Gitterebenen zur Oberflächennormalen ermittelt werden (Abb. 16.9). Aus einer röntgenographischen Elastizitätskonstanten ½s2 (REK) (½s2 = (1 + ν)/E; mit ν = Querkontraktionszahl, E = Elastizitätsmodul), die materialabhängig ist, und der Steigung einer vermittelnden Geraden ε( φ,ψ) über sin2ψ ergibt sich die Spannung in Richtung φ zu

(16.8)

Bei den nicht zerstörungsfrei arbeitenden Verfahren zur Eigenspannungsbestim-mung nimmt die Bohrlochmethode einen führenden Platz ein. Anwender sprechen hierbei oft von einem „teilzerstörenden“ Verfahren, da die relativ kleine Bohrung die Eigenschaften mancher Bauteile nicht negativ beeinflussen soll. Fakt ist jedoch, dass das Verfahren nicht zerstörungsfrei arbeitet.

Die Bohrlochmethode wird seit den 1930er Jahren angewendet [MAT33]. Das Prinzip dieses Verfahrens beruht auf der Messung von eigenspannungsbedingten Verformungen in der Umgebung eines eingebrachten Sacklochs. Es handelt sich damit um ein indirektes Messverfahren. Üblicherweise erfolgt die Messung der Verformungen mithilfe eigens für dieses Verfahren entwickelter Dehnungsmess-streifen. Diese auch DMS-Rosetten genannten Messstreifen bestehen aus drei um 45° zueinander verdrehten, radial zur Bohrung angeordneten Dehnungsmessstrei-fen, die zentrisch zum so genannten Bohrkreis angeordnet sind.

Beim schrittweisen Einbringen der Bohrung stellt sich nach jedem Schritt ein neues Eigenspannungsgleichgewicht ein, so dass es bei Anwendung geeigneter Aus-

σϕ =1

1/2s2·

d(sin2ψ)

16.2 Randzoneneigenschaften

GitterdehnungenlageabhängigerNetzebenen

D0 : Netzebenenabstand des unverspannten Gitters

D0

Dmax

Dmin

D0 D0

Spannungsfreier Vielkristall

ψ

ψ

ψ

σ σ

Vielkristall unter Zugspannung

Koordinaten-system

Dehnungs-verteilung

ε3,σ3 = 0

ε2,σ2

ε1,σ1

εϕ,ψ,σϕ,ψ

εϕ,σϕ

εϕ, ψ =

ϕ

Ebener Spannungszustand :D-D0

D0

= 12

s2 σϕ sin2 ψ + s1(σ1+σ2)

elastische Konstanten

ϕ = const.

ε ϕ,ψ

s1(σ1+σ2)

12 s2 σϕ

sin2 ψ

Abb. 16.9 Prinzipdarstellung der röntgenographischen Spannungsanalyse

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374

werteverfahren möglich ist, Eigenspannungstiefenverläufe zu bestimmen. Da beim Bohren nach Möglichkeit keine neuen Eigenspannungen in das Werkstück einge-bracht werden sollen, außerdem das Bohrloch ideal zylindrische Form haben soll, wurden unterschiedliche Verfahren zum Erzeugen von Sacklöchern untersucht. Das als am besten geeignete und daher heute am weitesten verbreitete Bohrverfahren ist die so genannte High-Speed-Drilling-Technik. Hierbei erfolgt der Materialabtrag durch einen Hartmetallstirnfräser, der über eine Druckluftturbine mit bis zu 300.000 Umdrehungen pro Minute angetrieben wird. Dies soll zu einer vernachlässigbaren Einbringung neuer Eigenspannungen durch den Bohrvorgang führen [SCH96].

Die Textur ist eine Eigenschaft polykristalliner Stoffe und damit der meisten metallischen Werkstoffe, vieler Kunststoffe, keramischer Werkstoffe und der Ge-steine. Die Textur (kristallographische Textur) beschreibt die Anordnung der ein-zelnen Kristallite zueinander und zu einem Werkstückkoordinatensystem, welches sich meistens an der Oberfläche oder einer ausgezeichneten Richtung des Werk-stücks orientiert. Beim Vorliegen regelloser Texturen verhalten sich die Werkstoff-eigenschaften quasi-isotrop, während geregelte Texturen ein anisotropes Werk-stoffverhalten zur Folge haben. In Abb. 16.10 ist im oberen Teil schematisch eine regellose Textur, im unteren Teil eine geregelte Textur mit einer Vorzugsrichtung dargestellt. Solche Vorzugsrichtungen werden als Orientierungen g oder Textur-komponenten bezeichnet, und sie werden mit den Indizes (hkl)[uvw] beschrieben. (hkl) bezeichnet dabei die kristallographische Fläche, die parallel zur Probenober-fläche ausgerichtet ist, [uvw] die kristallographische Richtung, die parallel zu einer ausgezeichneten Richtung, wie z. B. der Walzrichtung bei Blechen, ausgerichtet ist. Beim Außenlängsdrehen von Stahl wurden gewisse Analogien zu einer Walztextur festgestellt [PLÖ02].

Abb. 16.10 Schematische Darstellung von regelloser (oben) und Würfeltextur (unten) [BUN69]

regellose Texturquasi-isotropes Materialverhalten

zy

x Querrichtung

ausgeprägte Texturanisotropes Materialverhalten

Walz-richtung

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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375

Die Bestimmung von Texturen erfolgt in der Regel durch Beugungsexperimente mithilfe von Elektronen-, Neutronen- oder Röntgenstrahlen. An niedrig indizierten Beugungsreflexen werden Intensitätsmessungen bei unterschiedlichen Azimut- und Poldistanzwinkeln durchgeführt. Die gemessenen Intensitäten werden anschließend durch eine stereographische Projektion in die Äquatorebene projiziert, wo sie beim Vorliegen einer geregelten Textur bestimmte Intensitätsmuster zeigen. Diese Art der Abbildung wird Polfigur genannt. Aus den gemessenen Polfiguren kann durch umfangreiche Rechenoperationen die Orientierungsverteilungsfunktion OVF (auch ODF, Orientation Distribution Function) bestimmt werden. Eine weitere Möglich-keit zum Bestimmen kristallographischer Texturen ist die Auswertung der Informa-tion aus Beugungsexperimenten mit rückgestreuten Elektronen (EBSD). Im Ver-gleich zur röntgenographischen Texturbestimmung handelt es sich hierbei um eine relativ neue Technik. Ein Vorteil der Elektronenbeugungsexperimente gegenüber der Röntgendiffraktometrie liegt in der hohen lokalen Auflösung.

Risse lassen sich mit unterschiedlichen Verfahren nachweisen, von denen die wichtigsten im Folgenden kurz vorgestellt werden. Die Nachweismöglichkeit ist für jedes Verfahren beschränkt. Lage, Geometrie und Orientierung der Risse müssen bei der Wahl des geeigneten Verfahrens berücksichtigt werden.

Die Farbeindringprüfung ist, wie die licht- und rasterelektronenmikroskopischen Verfahren, auf solche Risse beschränkt, die eine Verbindung zur Oberfläche be-sitzen. Das Verfahren basiert auf der Kapillarwirkung gegenüber Flüssigkeiten. Die in die Risse eingedrungene farbige oder mit fluorezierenden Stoffen versehene Flüssigkeit wird durch ein Kontrastmittel beschleunigt wieder herausgezogen und macht auf diese Weise die Risse sichtbar.

Die Rissprüfung mit dem Magnetpulververfahren ist ausschließlich bei ferro-magnetischen Werkstücken anwendbar, denn es muss eine Magnetisierung des Prüflings stattfinden. Die Basis dieses Verfahrens bildet die magnetische Streu-flussmessung. Das Werkstück wird so magnetisiert, dass die magnetischen Feld-linien parallel zur Oberfläche verlaufen. An einem magnetisch schlecht leitenden Bereich, z. B. einem Riss, teilen sich die Feldlinien auf in jene, die in das Material hinein abgeleitet werden, sowie jene, die die Materialtrennung durchströmen und schließlich solche, die aus der Oberfläche herausgedrängt werden und die Fehlstel-le an der Luft überbrücken. Letztere werden als magnetischer Streufluss bezeich-net [BRI91]. An dieser Stelle lagern sich verstärkt Partikel magnetischen Pulvers an, welches zur Detektion von Rissen auf den Prüfling aufgebracht wird [TÖN87] (Abb. 16.11).

Die zur Werkstückprüfung eingesetzten Ultraschallverfahren basieren auf Wech-selwirkungen des Werkstoffs mit eingestrahlten akustischen Wellen [BRI91]. Es wurden verschiedene Prüfverfahren entwickelt, von denen das Impuls-Echo-Ver-fahren das wichtigste ist [SCH92]. Mit ihm lassen sich Risse auch tief unter der Oberfläche nachweisen. Für die Untersuchung von Metallen wird überwiegend mit Prüffrequenzen zwischen 0,5 und 10 MHz gearbeitet, da sich solche höheren Frequenzen leichter bündeln und richten lassen und mit ihnen kleinere Fehler bes-ser detektiert werden können. Das Impuls-Echo-Verfahren nutzt die Reflexion der Schallwellen an Grenzflächen, wie sie beispielsweise bei Rissen vorliegen.

16.2 Randzoneneigenschaften

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376

Auch Wirbelstromverfahren werden eingesetzt zur Fehlerdetektion (Risse, Lunker, Poren). Eine von hochfrequentem Wechselstrom durchflossene Spule erzeugt im elektrisch leitenden Prüfgegenstand Wirbelströme. Durch Fehler im Werkstück verändert sich die Wirbelstromverteilung und damit das Magnetfeld der Wirbelströme, welches sich dem erzeugenden Spulenfeld überlagert. Das re-sultierende Magnetfeld wird gemessen, es enthält Information über Werkstofffeh-ler [ROO05].

Seit einigen Jahren werden erfolgreich induktions- und konduktionsthermogra-phische Verfahren eingesetzt, die in der Lage sind, auch verdeckte Risse aufzuzeu-gen. Über eine elektromagnetische Anregung wird das Bauteil gezielt erwärmt. Stö-rungen der elektrischen Leitfähigkeit, wie sie durch Risse hervorgerufen werden, verändern das Wärmebild lokal. Dieser Zustand wird durch eine hochauflösende Thermographiekamera dokumentiert [VRA08, KRE05].

16.2.2   Wirkung spanender Verfahren

Randzonenbeeinflussungen können mechanische oder thermische Ursachen haben, häufig eine Kombination von beiden. Mechanische Einwirkungen ergeben sich durch Eindringen eines oder mehrerer Schneidkeile und die damit verbundenen plastischen Verformungen in den Randzonen des Werkstücks. Wie in Kap. 2 für das Spanen mit geometrisch bestimmter Schneide erläutert wurde, dringen die Ver-formungsvorlaufzone und die sekundäre Scherzone vor der Freifläche in die Zonen unterhalb der neu entstehenden Oberfläche eines Bauteils ein und führen dort zu bleibenden Formänderungen. Durchaus ähnliche Vorgänge treten beim Schleifen auf (Kap. 13), lediglich die Dimensionen der mechanisch beeinflussten Bereiche sind geringer.

Abb. 16.11 Magnetpulver-verfahren zur Rissprüfung, a Rissorientierung, b Riss-lage [BRI91]

austretendemagnetischeFeldlinien

eintretende magnetischeFeldlinien

keine Anzeige

a

b

Anzeige möglich

magnetischer Streufluss

Oberflächenriss Riss unter der Oberfläche

wird angezeigt

wird sicher angezeigt

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

Page 390: Spanen ||

377

Die plastischen Verformungen der Randzonen entstehen im Wesentlichen durch Schubverformung als Folge der dem Schneidkeil vorlaufenden Scherung und der Reibung zwischen der Freifläche und dem Werkstoff. Diese Formänderungen kön-nen bei kristallin aufgebauten Werkstoffen deutlich an den Kornverformungen er-kannt werden (Abb. 16.12).

Die Änderungen von Kornform und –orientierung können auch durch Messen von Polfiguren zur Texturbestimmung sichtbar gemacht werden. Beim Außenlängs-drehen von C45E konnte gezeigt werden, dass sich durch die spanende Bearbeitung eine der Walztextur ähnliche aber zur Oberfläche verkippte Orientierung der Kris-tallite einstellt [PLÖ02] (Abb. 16.13).

Mit dem Linienverfahren lassen sich die Verformungen quantitativ erfassen (Abb. 16.14). Die Einwirktiefe liegt bei 40 μm bis 80 μm. Die Verformung ist rich-tungsabhängig und wird durch die Schnittrichtung bestimmt. Der Werkstoff wird als Folge der mechanischen Einwirkung stark gestreckt.

Mit der plastischen Verformung geht auch eine Kaltverfestigung einher. Die-se bewirkt einen Härteanstieg allein als Folge mechanischer Einwirkung. Da beim Spanen in aller Regel mechanische und thermische Einflüsse gleichzeitig wirken, lässt sich diese Kaltverfestigung hier nicht isoliert nachweisen. Anders ist das beim

Abb. 16.12 Gefüge nach der Schleifbearbeitung

40 µm

Werkstoff

Bearbeitung

Werkzeug

: X 10 Cr Ni Nb 18 9

: Flachschleifenvc = 35 m/sQ'w = 6 mm3/mm·s

: A46 J 7 V

16.2 Randzoneneigenschaften

Page 391: Spanen ||

378

Druckwasserstrahlen. Der in Abb. 16.15 dargestellte Härteanstieg an einem ein-satzgehärteten Werkstoff bestehend aus den Gefügebestandteilen Martensit und Restaustenit ist daher allein auf die mechanische Wirkung zurückzuführen. Hier tritt keine nennenswerte Erwärmung neben der mechanischen Einwirkung auf. Ein

Abb. 16.13 Änderung der Textur durch spanende Bearbeitung

DruckVerformung

20°

Polfigur Fe 110

vor

undnach

spanenderBearbeitung

Verfahren:AußenlängsdrehenMaterial: C45E

ap = 0,5 mm

vc = 150 m/min

Schneidstoff:MischkeramikSchneiden-geometric:

α γ λ6°

90° 45° 1,2 mm

–6° –6°ε κ rε

Fase: T02020Kühlschmierung:ohneStrahlung: Cr KαPolfigur: 110

Abb. 16.14 Verformung der Randschicht durch Drehen (Linienverfahren)

100

µm

Ver

form

ungs

grad

[-]

WerkstoffWerkzeugDrehbedingungen :

: C45: Hartmetall, κ = 53°, rε = 0,8 mmγ = –16°, λ = 5°, vc = 90 m/minf = 0,36 mm, ae = 1,0 mm

Drehen

1,0

0,8

0,6

0,4

0,2

00 50 150 250 350µm

Eindringtiefe

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

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379

Härteanstieg infolge Kaltverfestigung und spannungsinduzierter Umwandlung des Restaustenits in Martensit in der Randzone wurde nachgewiesen [TÖN95].

Durch die Randzonenverformung werden Eigenspannungsquellen [TÖN65] in den oberflächennahen Schichten eines Bauteils induziert, die aus Gleichgewichts-gründen Eigenspannungen im gesamten Bauteil erzeugen. In der Oberfläche selbst kann nur ein zweiachsiger Spannungszustand auftreten. Normal- und Schubspan-nungen normal zur Oberfläche müssen verschwinden. Die Hauptspannungsrichtun-gen sind von der Schnittrichtung abhängig. Beim Umfangsschleifen müssen sie aus Symmetriegründen mit der Schleifrichtung übereinstimmen. Gleiches gilt auch für das orthogonale oder quasiorthogonale Spanen. Im Allgemeinen fallen jedoch die Hauptspannungsrichtungen nicht mit der Schnittrichtung zusammen.

Durch mechanische Einwirkung kommt es zu Druckeigenspannungen in Schnittrichtung als Folge der plastischen Dehnungen in den oberflächennahen Schichten. Abbildung 16.16 zeigt ein Modell für den Entstehungsmechanismus. Eingezeichnet sind schematisch der Verlauf der elastischen und plastischen Deh-nungen und der Spannungen in Schnittrichtung. Mit dem Vordringen des Schneid-keils kommt es zunächst zu elastischen, dann plastischen Stauchungen. Unmittel-bar hinter dem Werkzeugkontakt entstehen elastische und plastische Dehnungen, die teilweise zurückfedern. Der Spannungsverlauf zeigt zunächst Druck- dann Zugspannungen unter Last. Sie steigen an bis zur Fließgrenze. Nach Entlastung bleiben Druckeigenspannungen zurück. Die bleibend gedehnten Schichten sind gleichsam zu lang und müssen durch die Eigenspannungen gestaucht werden, um den Körperzusammenhalt zu bilden.

Abb. 16.15 Härteanstieg in der Randzone durch das Wasserstrahlen

Abstand von der Oberfläche

850

HV1

800

750

650

600

0

700

0 20 40 µm 60

wassergestrahlt

Ausgangszustand

Werkstoff : 16 MnCr 5 E

StrahlparameterStrahldruckEinwirkzeitStrahlabstandDüse αD : 20°

Einwirkzeit : ts = a / vf

Här

te

s

b

a

vf

αD

αs

D ps

D : 1,5 mm

ps : 1000 barts : 15 ss : 45 mm

16.2 Randzoneneigenschaften

Page 393: Spanen ||

380

Thermische Einwirkungen folgen aus der Leistungsumsetzung in Wärme (Kap. 5). Die Werkstückrandzonen werden kurzzeitig hoch erhitzt. Durch Selbst-abschreckung des Werkstoffs und durch Wärmeentzug über Kühlschmierstoff tritt danach eine rasche Abkühlung ein. Mit diesem Temperaturverlauf können Gefü-geänderungen, Härteerhöhungen durch Sekundärabschreckung und auch Anlassef-fekte, d. h. Härteminderungen verbunden sein. Abbildung 16.17 zeigt einen Härte-verlauf eines durch Schleifen bearbeiteten Wälzlagerstahles 100Cr6. Man erkennt die beeinflusste Zone. Am Härteverlauf wird auch die Neuhärtungszone deutlich.

Abb. 16.16 Eigenspannungs-entstehung durch mechani-sche Einwirkung

Schneidkeil

Dehnung

Spannung

Eigenspannung

bleibende Dehnung

Fließgrenze

Fließgrenze

+

+

0

0

Abb. 16.17 Härteverände-rungen durch Schleifen

0 10 20 30 40 µm 50

Schrägabtrag, HV 0,05

Querschliff, HK 0,05

1100

900

700

500

0

Här

te H

V 0

,05,

HK

0,0

5

Tiefe z

WerkstoffHärteFlachschleifenvcvftae

: 100 Cr 6: 62 HRC: A46 J 8V35: 30 m/s: 400 mm/s: 7,5 µm

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

Page 394: Spanen ||

381

Die Härteverläufe, wie sie in Abb. 16.17 dargestellt sind, wurden nach zwei ver-schiedenen Analyseverfahren aufgenommen: einmal nach dem vorn erläuterten Böschungsverfahren (mit Schrägabtrag gekennzeichnet) und einmal durch Härte-eindrücke auf einer Fläche normal zur durch Schleifen bearbeiteten Oberfläche (mit Querschliff gekennzeichnet). Nach dem Böschungsverfahren kann bis in die Ober-fläche hinein gemessen werden.

Durch die thermische Wirkung des Spanens entstehen ebenfalls typische Eigenspannungen. Mit der Temperaturerhöhung dehnen sich die Randschich-ten. Es entstehen thermische Druckspannungen, unter deren Wirkung sich die Randschichten bei herabgesetzter Fließgrenze plastisch verformen. Sie werden gestaucht. Nach Abkühlung auf Raumtemperatur sind die verkürzten Rand-schichten gleichsam zu kurz und müssen durch Zugeigenspannungen gelängt werden, um in den Körperzusammenhang zu passen (Abb. 16.18). Dieser Effekt des thermischen Fließens kann von einem entgegengesetzten Vorgang überlagert werden, wenn Werkstoffe mit niedrigen Umwandlungstemperaturen und einer Volumenvergößerung beim Übergang von hohen zu niedrigen Temperaturen be-arbeitet werden. Kohlenstoffstahl mit 12 % Nickel wandelt z. B. vom Austenit zum Ferrit (A3-Punkt) bei 330 °C um. Als Folge der raschen Selbstabschreckung entstehen Druckeigenspannungen, die als Umwandlungseigenspannungen be-zeichnet werden.

Abb. 16.18 Eigenspannungs-entstehung durch thermisches Fließen

Schneidkeil

Temperatur

Dehnung

Spannung

Eigenspannung

Fließgrenze

Fließgrenze

16.2 Randzoneneigenschaften

Page 395: Spanen ||

382

Da beim Spanen mechanische und thermische Einflüsse gleichzeitig wirken, überlagern sie sich in hochgradig nichtlinearer Weise. Eine einfache Superposition ist unzulässig. Dennoch kann eine formale Überlagerung Hinweise auf die ther-mischen und mechanischen Verhältnisse in der Spanbildungszone geben. Abbil-dung 16.19 zeigt Eigenspannungsverläufe in Bauteilen, die durch Planschleifen mit Korund- und CBN-Scheiben bearbeitet wurden. Die starken Abweichungen sind auf den unterschiedlichen Wärmeeintrag zurückzuführen, auf den in Kap. 13 ein-gegangen wurde.

CBN ist wegen seiner hohen Wärmeleitfähigkeit in der Lage, wesentliche Teile der in Wärme umgesetzten Energie über die Schleifscheibe abzuführen; wogegen beim Schleifen mit Al2O3, das eine vielfach geringere Wärmeleitfähigkeit besitzt als CBN, erheblich größere Teile der umgesetzten Energie in das Bauteil eintreten und höhere Temperaturen erzeugen (vgl. Kap. 13).

Aus Abb. 16.20 wird deutlich, dass das Niveau der oberflächennahen Eigenspan-nungen stark vom Zeitspanvolumen (Volumenrate) und damit von der insgesamt zugeführten Schleifleistung abhängt. Bei Schlichtbedingungen entstehen Druck-eigenspannungen oder nur geringe Zugeigenspannungen. Bei hohem Zeitspanvolu-men nimmt das Zugspannungsniveau zu, bis es zu Überhitzungen der Bauteilober-fläche kommt, wo Risse oder Gefügeumwandlungen und dadurch wieder geringere Spannungen auftreten.

Durch Spanen mit geometrisch bestimmten Schneiden entstehen in der Regel un-symmetrische Eigenspannungszustände, das heißt, die Hauptspannungsrichtungen entsprechen nicht mehr den Bewegungsrichtungen des Spanens. Eigenspannungen, die beispielsweise durch einen Härteprozess erzeugt wurden, werden durch einen spanenden Bearbeitungsprozess, wie z. B. Fräsen, dominant überdeckt.

Abb. 16.19 Eigenspannungen und Schleifstoff

800

0

CBNWerkstoff:Planschleifen:

vc = 30 m/svft = 400 mm/sae = 7 µm

100Cr6, 62 HRCB 64 V 180

–400

–8000 40 80

Abstand zur Oberfläche

Spa

nnun

g σ

120 200µm

MPa

σ⊥σII

σIIKorund

A 46 Jot 8 V 35

σ⊥

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

Page 396: Spanen ||

383

Abbildung 16.21 zeigt Eigenspannungen in durch Drehen bearbeiteten gehär-teten Werkstücken aus Einsatzstahl 16MnCr5. Nach der Bearbeitung mit neuen Schneiden liegen an der Oberfläche des Werkstücks geringe Druckeigenspannun-gen vor. Darunter bildet sich ein Druckspannungsmaximum aus. Mit größerem Vor-

Abb. 16.20 Eigenspannungen in Abhängigkeit von Schnittgeschwindigkeit und bezogenem Zeit-spanvolumen beim Schleifen

600

Schleifen von Einsatzstahl mit Korundschleifscheibe

vc = 30–45 m/s

vc = 30; 38; 45 m/s

ds = 600 mm

dw = 50 mm

q

KSS: Emulsion 3,5 %Durchflussmenge: 800 l/hWerkstück: 16MnCr5 einsatzgehärtet

= 80= 100 mm3/mm

MPa

200

–2001 2 4

bez. Zeitspanvolumen Q′W

Eig

ensp

annu

ng σ

II

8mm3/mm s

0

V′W

Abb. 16.21 Eigenspannungstiefenverlauf nach dem Drehen

0

0

MPa

–400

–600

–800100 µm 300

Abstand von der Werkstückoberfläche

Eig

ensp

annu

ngen

σII f = 0,25 mm

f = 0,1 mm

neue Schneide

WerkstoffHärteSchneidstoffSchnittgeschw.Schnittiefe

: 16MnCrS5: 60 HRC: Al2O3 /TiC-Keramik: vc = 63 m/min: ap = 0,5 mm

Schneidengeometrie

γ α λ ε κeff rε Fase–6° –6°6° 90° 26° 1,2 mm 0,2 × 20°

16.2 Randzoneneigenschaften

Page 397: Spanen ||

384

schub und den damit verbundenen größeren mechanischen Belastungen nehmen die Druckeigenspannungen erheblich zu, und das Maximum verschiebt sich in größere Tiefen.

Fragen

1. Erläutern Sie die wichtigsten Rauheitsmaße nach DIN EN ISO 4287 2. Warum ist Ra dem Wert nach geringer als Rz? 3. Welche Oberflächenkenngröße berücksichtigt „horizontale“ Merkmale? 4. Worin liegen die Grenzen beim Breitschlichtdrehen? 5. Geben Sie den Zusammenhang von theoretischer Rautiefe und Vorschub beim

Drehen an. 6. Welche physikalischen Randzonenveränderungen sind Ihnen bekannt? 7. Wie lassen sich die Randzonenveränderungen messen? 8. Wo sehen Sie Beschränkungen der direkten und indirekten Verfahren zur

Eigenspannungsmessung? 9. Wozu dient das sin2ψ-Verfahren?10. Geben Sie Modelle für die Entstehung von Eigenspannungen an

(Fallunterscheidung).

Literatur

[BAU34] Bauer, M. H.: Messen der Oberflächengüte. Maschinenbau – Der Betrieb 13 (1934) 3-4, S. 81-83

[BRA61] Brammertz, P.-H.: Die Entstehung der Oberflächenrauheit beim Feindrehen. Industrie Anzeiger 83 (1961) 2, S. 25-32

[BRE] Breidenstein, B.: Oberflächen und Randzonen hoch belasteter Bauteile. Habilitationsschrift Leibniz Universität Hannover, (liegt der Fakultät vor)

[BRI91] Brinksmeier, E.: Prozess- und Werkstückqualität in der Feinbearbeitung. Habilitations-schrift Universität Hannover 1991

[BUN69] Bunge, H. J.: Mathematische Methoden der Texturanalyse. Akademie-Verlag Berlin 1969

[DIN 4760] DIN 4760: Gestaltabweichungen; Begriffe, Ordnungssystem 1982[DIN 4764] DIN 4764: Oberflächen an Teilen für Maschinenbau und Feinwerktechnik 1982[DIN 4768] DIN 4768: Ermittlung der Rauheitskenngrößen Ra, Rz, Rmax mit elektrischen Tast-

schnittgeräten; Begriffe, Messbedingungen 1990[KRE05] Kreissig, U.: Rissprüfung – in einer Sekunde zum Ergebnis. Report MTU Aero Engines,

Sommer/Herbst (2005) S. 24-25[MAT33] Mathar, J.: Ermittlung von Eigenspannungen durch Messung von Bohrloch-Verformun-

gen. Archiv für Eisenhüttenwesen (1933) 6, S. 277-281[NED75] Nedeß, Chr.: Breitschlichtdrehen. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover, München: Technischer

Verlag Resch 1975[PAU08] Paucksch, E.; Holsten, S.; Linß, M.; Tikal, F.: Zerspantechnik – Prozesse, Werkzeuge,

Technologien. 12. Auflage, Vieweg und Teubner Verlag, GWV Fachverlage Wiesbaden 2008

16 Oberflächen- und Randzoneneigenschaften

Page 398: Spanen ||

385

[PLÖ02] Plöger, J. M.: Randzonenbeeinflussung beim Hochgeschwindigkeitsdrehen. Dr.-Ing. Diss. Universität Hannover 2002

[ROO05] Roos, E.; Maile, K.: Werkstoffkunde für Ingenieure. 2. Auflage, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2005

[SCH92] Schlengermann, U.: Ultraschall-Werkstoffprüfung – Das Krautkrämer Taschenbuch. Vulkan-Verlag, Essen 1992

[SCH96] Schwarz, T.: Beitrag zur Eigenspannungsermittlung an isotropen, anisotropen sowie in-homogenen, schichtweise aufgebauten Werkstoffen mittels Bohrlochmethode und Ringkern-verfahren. Dr.-Ing. Diss. Universität Stuttgart 1996

[TÖN65] Tönshoff, H. K.: Eigenspannungen und plastische Verformungen im Werkstück durch spanende Bearbeitung. Dr.-Ing. Diss. Univ. Hannover 1965

[TÖN80] Tönshoff, H. K.; Brinksmeier, E.: Determination of mechanical and thermal influences on machined surfaces by microhardness and Residual Stress Analysis. Annals of the CIRP 29 (1980) 2, p.519-530

[TÖN87] Tönshoff, H. K.; Brinksmeier, E.; Hetz, F.: Detection of microcracks. Annals of the CIRP 36 (1987) 2, p. 545-552

[TÖN95] Tönshoff, H. K.; Wobker, H.-G.; Kroos, F.: Improving surface integrity of finished surfa-ces of case hardened steel by water peening. Int. Symp. for Electromachining, I SEM-XI, April 17.-20.1995, CH-Lausanne

[TÖN05] Tönshöff, H. K., Denkena, B.; Ben Amor, R.; Ostendorf, A.; Stein, J.; Hollmann, C.; Kuhlmann, A.: Spanbildung und Temperaturen beim Spanen mit hohen Geschwindigkeiten. In: Tönshoff, H. K.; Hollmann, F. (Hrsg.): Hochgeschwindigkeitsspanen metallischer Werkstoffe. Wiley-VCH Verlag 2005

[VOL05] Volk, R.: Rauheitsmessung – Theorie und Praxis. Beuth Verlag, Berlin 2005[VRA08] Vrana, J.: Grundlagen und Anwendungen der aktiven Thermographie mit elektromagne-

tischer Anregung. Dr.-Ing. Diss. Universität Saarbrücken 2008

Literatur

Page 399: Spanen ||

387

Werkzeuge verschleißen als Folge mechanischer, thermischer und chemischer Be-anspruchungen. Durch Zuführen geeigneter Kühlschmierstoffe lassen sich diese Beanspruchungen mindern. Dies kann sich Verschleiß verringernd auswirken. Die Wärmeabfuhr aus der Spanbildungszone kann zudem den physikalischen Randzo-nenzustand eines Werkstücks günstig beeinflussen. Kraft- und Leistungsbedarf für den Zerspanprozess lassen sich mindern, und durch Reduktion von Reibung und Klebneigung zwischen Werkzeug und Werkstück lassen sich bessere Werkstück-oberflächen erzielen [BRI04a, BRI95]. Dies sind günstige Effekte unter allen vier Kriterien des Zerspanprozesses. Andererseits verursachen Kühlschmiersysteme er-hebliche Kosten, wobei zunehmend Entsorgungskosten ins Gewicht fallen. Kühl-schmieren muss auch kritisch unter Arbeitsplatz- und Umweltaspekten betrachtet werden. Die richtige Wahl und Auslegung von Kühlschmierverfahren und -syste-men ist daher ein erstrangiges fertigungstechnisches Problem.

17.1 Anforderungen

Die Anforderungen an Kühlschmiersysteme lassen sich nach Haupt- und Zusatz-funktionen gliedern [BAR78, ZWI79]. Hauptfunktionen sind:

• Kühlen: Wärmeabfuhr aus dem Werkzeug, dem Werkstück und der Maschine• Schmieren: Verringern der Reibung zwischen Werkzeug und Werkstoff und Min-

derung der erforderlichen Kräfte und Leistungen, Verringerung der Klebneigung zwischen Schneid- und Werkstoff.

Die Anforderungen an die beiden Hauptfunktionen sind im großen Maß von den spanenden Bearbeitungsverfahren abhängig. Abbildung 17.1 gibt eine schemati-sche Übersicht, wobei im Einzelfall weitere Kriterien wichtig sein können.

Zwischen den beiden Hauptfunktionen bestehen durchaus Wechselwirkungen: Die Minderung der in Wärme umgesetzten Leistung durch gute Schmierung wirkt sich unmittelbar auf die Kühlfunktion aus, es braucht weniger Wärme abgeführt zu werden. Umgekehrt kann eine stärkere Kühlung der Spanbildungszone zu einem

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 17Kühlschmierung

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388

Anstieg der Formänderungsfestigkeit des Werkstoffs und damit zur Zunahme des Kraft- und Leistungsbedarfs führen.

Daneben können Kühlschmierstoffe verschiedene Zusatzfunktionen überneh-men, woraus weitere Anforderungen folgen. Zusatzfunktionen und die erforderli-chen Eigenschaften sind:

• Transport der Späne und Bindung von Zerspanpartikeln: Bei einigen Verfahren wie beim Bohren und Tiefbohren müssen Späne unmittel-

bar von der Wirkstelle wegtransportiert werden, wobei man auf flüssige Trans-portmedien häufig nicht verzichten kann. Auch zur Abfuhr von Spänen und Zer-spanpartikeln aus dem Arbeitsraum einer Maschine werden Kühlschmierstoffe häufig verwendet. Durch Hochdruckspülen mit Drücken oberhalb von 10 bar lassen sich Schleifscheiben reinigen.

• Oberflächenschutz der Werkstücke: Durch Spanen entstehen neue Oberflächen am Werkstück, die zunächst in statu

nascendi noch keine passivierenden Schutzschichten besitzen. Derartige Ober-flächen sind chemisch hoch aktiv und können je nach angreifendem Medium unerwünscht reagieren. Flüssige Kühlschmierstoffe müssen dazu ausreichend basisch (pH-Wert > 7, möglichst pH = 8 bis 9,5) sein, um Korrosion zu vermei-den.

• Humanverträglichkeit: Im Allgemeinen ist Hautkontakt des Maschinenbedieners mit dem Kühlschmier-

stoff unvermeidbar, selbst wenn der Arbeitsraum der Maschine gut gekapselt ist. Die Medien müssen darum hautverträglich sein. Die Alkalität soll den Wert pH = 9,5 nicht überschreiten. Dämpfe und Gase, die aus dem Arbeitsraum ent-weichen, müssen auf Schädlichkeit überprüft und sicher abgesaugt werden.

Abb. 17.1 Abhängigkeit der Anforderungen vom Bearbeitungsprozess an Kühlschmierstoffe

erfo

rd. K

ühlw

irkun

g

erfo

rd. S

chm

ierw

irkun

g

Rei

bung

Tem

pera

tur

Sch

nittg

esch

win

digk

eit

Gewinden

Reiben

Räumen

Honen

Verzahnen

Tieflochbohren

Bohren

Fräsen

Drehen

Schleifen

17 Kühlschmierung

Page 401: Spanen ||

389

• Schutz der Maschinenteile: Es muss gewährleistet sein, dass flüssige Kühlschmierstoffe keine Maschinen-

komponenten wie Anstriche, Dichtungen, Abstreifer oder Kunststoffabdeckun-gen angreifen.

• Alterungsbeständigkeit: Flüssige Kühlschmierstoffe sollen chemisch und physikalisch stabil sein und

sich durch Umwelteinflüsse nicht verändern. Sie sollen langlebig sein. Diese Eigenschaft steht in unmittelbarer Konkurrenz zur biologischen Abbaubarkeit.

• Biologische Abbaubarkeit: Die Entsorgung von kohlenwasserstoffhaltigen Kühlschmierstoffen, zudem

noch mit unterschiedlichen Additivierungen, ist schwierig. Angestrebt werden daher biologisch abbaubare Medien. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass Schmiermittel (Schmieröle oder -fette) an den Werkzeugmaschinen aus-treten und damit die flüssigen Medien belasten [HOW91].

17.2 Kühlschmierstoffe

Nach dem Aggregatzustand lassen sich Medien, die kühlende, schmierende oder kombinierte Wirkungen haben, unterscheiden in:

• Einphasige Medien wie Gase und Flüssigkeiten und• Zweiphasige Medien wie Festkörper-Suspensionen und Flüssigkeits-Gas-Gemi-

sche.

Die größere praktische Bedeutung haben flüssige Kühlschmierstoffe. Sie lassen sich einteilen in nichtwassermischbare (Mineralöle) und wassermischbare Kühl-schmierstoffe (Abb. 17.2). Die Bedeutung der Kennbuchstaben ist in der Tab. 17.1 entschlüsselt. Die DIN 51385 nimmt eine Einteilung in drei Gruppen vor, wobei sie zusätzlich die wassergemischten Kühlschmierstoffe SEW als eigene Gruppe an-sieht. Diese Einteilung ist allerdings technologisch nicht sinnvoll sondern orientiert sich eher am Kühlschmierstoffhandel. Für die Praxis ist es vernünftig, die beiden Gruppen SN und SE, wie in der Abb. 17.2, zu unterscheiden.

17.2.1   Nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe

Beim Spanen kann es wegen der hohen Pressungen zwischen Werkstoff und Werk-zeug nicht zu hydrodynamischer Schmierwirkung kommen. Daher werden zur Ver-ringerung der Reibung Trennfilme genutzt.

Als Grundöle für nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe dienen vorwiegend Mineralöle. Der Einsatz von Ölen ist jedoch mit besonderem Aufwand verbunden:

• Die Maschinen müssen gegen den Austritt von Öl, Ölnebel und Öldämpfen ge-kapselt werden

17.2 Kühlschmierstoffe

Page 402: Spanen ||

390

Abb. 17.2 Kühlschmierstoffe für die Zerspanung

Kühlschmierstoffe S

nicht-wassermischbare

Kühlschmierstoffe SN

wassermischbareKühlschmierstoffe SE

Kühlschmieremulsionen

Kühlschmierlösungen

unlegierte Mineralöle

niedriglegierte (gefettete)Mineralöle

E.P.- legierteMineralöle

Tab. 17.1 Bedeutung der Kennbuchstaben bei Kühlschmierstoffen [DIN 51385 und DIN 51520]Kenn- buchstabe

Bedeutung Definition

S Kühlschmierstoff Stoff, der beim Trennen und teilweise beim Umformen von Werkstoffen zum Küh-len und Schmieren eingesetzt wird

SN Nicht-wassermischbarerKühlschmierstoff

Kühlschmierstoff, der für die Anwendung nicht mit Wasser gemischt wird

SNO Ohne reibungsmindernde und/oder EP-Zusätze

SNP Mit reibungsmindernden ZusätzenSNPA Mit EP-Zusätzen, chemisch inaktivSNPB Mit EP-Zusätzen, chemisch aktivSNPC Mit reibungsmindernden und EP-

Zusätzen, chemisch inaktivSNPD Mit reibungsmindernden und EP-

Zusätzen, chemisch aktivSE Wassermischbarer Kühlschmierstoff Kühlschmierstoff, der vor seiner Anwen-

dung mit Wasser gemischt wirdSEM Emulgierbarer Kühlschmierstoff Wassermischbarer Kühlschmierstoff, der

die diskontinuierliche Phase einer Emulsion Öl-in-Wasser bilden kann

SES Wasserlöslicher Kühlschmierstoff Kühlschmierstoff, der mit Wasser gemischt Lösungen ergibt

SEW Wassergemischter Kühlschmierstoff Mit Wasser gemischter KühlschmierstoffSEMW Kühlschmier-Emulsion Mit Wasser gemischter emulgierbarer

KühlschmierstoffSESW Kühlschmier-Lösung Mit Wasser gemischter wasser-löslicher

Kühlschmierstoff

17 Kühlschmierung

Page 403: Spanen ||

391

• Die Maschinen müssen mit einer Absauganlage zum Entfernen von Ölnebel aus-gestattet werden

• Werkstücke sind nach der Bearbeitung in der Regel zu entfetten

Es werden grundsätzlich Mineralöle mit und ohne reibungsmindernde und/oder EP (Extreme Pressure)-Zusätze unterschieden, wobei noch differenziert wird nach che-misch aktiven und inaktiven Zusätzen (vgl. Tab. 17.1).

Mineralöle weisen grundsätzlich eine hohe Schmier- und Korrosionsschutzwir-kung aber eine relativ geringe Kühlwirkung auf. Die Abhängigkeit der Eigenschaf-ten von Mineralöltypen wird in Tab. 17.2 dargestellt. Da Mineralöle keimfrei sind, kommen sie in der Regel ohne Korrosionsinhibitoren und Konservierungsstoffe aus. Nachteilig wirkt sich allerdings das Schaumverhalten aus, so dass überwiegend Schauminhibitoren zugesetzt werden.

Die optimale Viskosität der Kühlschmierstoffe wird durch gegenläufige Wirkun-gen bestimmt: Sie soll groß genug sein, um eine gute Haftung und niedrige Ölnebel-bildung zu gewährleisten, sie soll aber im Hinblick auf eine bessere Kühlwirkung gering gehalten werden, denn dünnere Öle strömen der Wirkstelle leichter zu. Bei gleicher Pumpleistung wird eine größere Ölmenge zugeführt, und das Eindringen in Kapillaren wird erleichtert. Die Lebensdauer von nichtwassermischbaren Kühl-schmierstoffen ist im Allgemeinen hoch. Sie hängt stark von der Wartung der Um-laufsysteme und der Reinigung der Öle ab. Voraussetzung ist, dass kein Fremdöl z. B. aus Schmier- und Hydraulikölkreisläufen eindringt. Da solche Lecköle völlig

Tab. 17.2 Eigenschaften von Mineralöltypen

17.2 Kühlschmierstoffe

Page 404: Spanen ||

392

mit den Kühlschmierstoffen mischbar sind, lassen sie sich aus den Kühlschmier-flüssigkeiten in den Umlaufanlagen nicht wieder entfernen. Aus diesem Grund müssen die Umlaufanlagen vor solchen Leckölen geschützt werden.

In Tab. 17.3 sind wärmephysikalische Kennwerte von einem in der spanenden Fertigung verwendeten Mineralöl gegenüber Wasser dargestellt.

17.2.2   Wassermischbare Kühlschmierstoffe

Wassermischbare Kühlschmierstoffe weisen wegen ihrer höheren Wärmekapazität, ihrer Wärmeleitfähigkeit und ihrer Verdampfungswärme bessere Kühlwirkungen auf als Mineralöle. Wassermischbare Kühlschmierstoffe können für fast alle Be-arbeitungen an Stahl, Gusseisen und Aluminiumlegierungen eingesetzt werden. Ca. 90 % der Fertigungsanlagen werden mit wassergemischten Kühlschmierstoffen be-trieben [ZWI79].

Es wird unterschieden zwischen emulgierbaren und wasserlöslichen Kühl-schmierstoffen.

17.2.2.1 Emulgierbare Kühlschmierstoffe

Diese Gruppe bezeichnet wassermischbare Kühlschmierstoffe, die die diskonti-nuierliche Phase einer Öl-in-Wasser-Emulsion bilden können. In Emulsionen ist eine Flüssigkeit (hier Mineralöl oder Ester als Schmierungsträger) in einer anderen (hier Wasser) dispers, d. h. tropfenförmig verteilt. Im thermodynamischen Sinne ist eine Kühlschmieremulsion ein metastabiles System, das schon bei schwachen Störungen in einen Zustand geringerer Energie zurückkehrt. Um also Öl in Was-ser zu dispergieren, muss Energie zugeführt werden, die der Oberflächenenergie der zu bildenden Tröpfchen entspricht [GOT53]. Dies kann durch starkes Rühren geschehen, womit allerdings nur ein instabiles System erzeugt wird. Durch Zuset-zen von oberflächenaktiven Stoffen (Emulgatoren) kann man stabile Emulsionen herstellen. Emulgatoren setzen die Oberflächenspannung stark herab. Sie reichern sich vorwiegend an den Grenzflächen an und bilden so gleichsam einen Film um die Öltröpfchen, womit ihr Zusammenwachsen verhindert wird. Art und Menge

Mineralöl WasserKinematische Viskosität

[mm2/s]9,5 0,66

Dichte [g/cm3] 0,85 0,99Wärmeleitfähigkeit [W/mK] 0,13 0,63Verdampfungswärme [J/g] 200a 2250Spezifische Wärmekapazität

[J/gK]1,95 4,2

a abhängig von Destillationsfraktion

Tab. 17.3 Wärmephysika-lische Werte: Öl-Wasser (40 °C , 1,013 bar)

17 Kühlschmierung

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393

der Emulgatoren bestimmen die Größe der Öltröpfchen. Man unterscheidet grob- (geringer Emulgatorgehalt) und feindisperse Emulsionen. In der Praxis werden die Kühlschmieremulsionen zum Teil noch unzutreffend als „Bohröle“ bezeichnet.

Grobdisperse Emulsionen haben eine Tröpfchengröße von ca. 9 µm, feindisperse von 5 µm und geringer. Letztere haben ein opalisierendes bis noch durchscheinen-des Aussehen. Sie sind wegen ihres hohen Dispersionsgrades (kleine Tröpfchen, große Oberflächenspannung) gegenüber Werkstücken weniger benetzungsfähig als grobdisperse Emulsionen. Andererseits sind sie im Allgemeinen stabiler. Sie wer-den daher dort verwendet, wo lange Lebensdauern erforderlich sind. Voraussetzung für eine lange Nutzung dieses Emulsionstyps ist allerdings, dass die Kühlschmier-stoffe auch bei längerer Betriebszeit durch wirkungsvolle Filteranlagen bzw. Sepa-ratoren sauber gehalten werden [ZWI73].

Feindisperse Emulsionen neigen stärker zum Schäumen als grobdisperse. Letz-tere können wegen der größeren Tröpfchen Luft besser und schneller abscheiden. Auch ist ihre Kühl- und Schmierwirkung stärker als die feindisperser Emulsionen [ROE95].

Die Schmierwirkung von Emulsionen wird im Wesentlichen durch den Ölanteil bestimmt. Dieser ist auch für den Korrosionsschutz der Werkstücke, der Werkzeu-ge und der Werkzeugmaschine entscheidend. Die Mindestkonzentration liegt daher bei 2 %. Mit steigendem Ölanteil werden Rostschutz und Schmieranteil verbessert. Bei der optimalen Einstellung des Ölgehalts muss folgendes berücksichtigt werden [ZWI79, JAC88]:

• Der Ölgehalt muss hoch genug sein, um ausreichende Schmierung zu gewähr-leisten

• Die Emulsion soll einen hohen Wasseranteil haben, um gut zu kühlen• Mit höherem Ölgehalt steigen die Kosten der Emulsion

Die Lebensdauer von Kühlschmieremulsionen hängt auch von der Härte des ver-wendeten Wassers ab. Bei hohem Gehalt an Härtebildnern kann es zu Reaktionen mit den anionischen Emulgatoren kommen. Dabei werden die wasserlöslichen Kal-zium- und Magnesiumverbindungen der Härtebildner in unlösliche Verbindungen übergeführt. Sie fallen als Kalkseifen aus. Die Folge ist eine Verarmung an Emul-gatoren, und damit verbunden sind Ölabscheidungen und eine Destabilisierung der Emulsion [LIN86, GÜN84].

Emulsionen sind empfindlich gegen Befall durch Mikroorganismen, das sind z. B. aerobe und anaerobe Bakterien und Pilze. Von ihnen sind besonders die an-aeroben Bakterien störend, denn sie arbeiten unter Luftabschluss und erzeugen Schwefelwasserstoffe und damit den sogenannten „Montagmorgengeruch“. Durch Mikroorganismen werden zudem Emulgatoren abgebaut. Die Folge sind Ölabschei-dungen, Absinken des pH-Werts und Nachlassen des Rostschutzes. Wirksame Mit-tel gegen Befall durch Mikroorganismen sind Bakterizide und Fungizide, die häufig bereits im Konzentrat enthalten sind. Zu hohe Konzentrationen können allerdings zu Hauterkrankungen führen.

Während des Einsatzes kann sich, aufgrund der Ausschleppungen von Öl und Emulgatoren durch die Späne, die Konzentration und die Tröpfchengröße von

17.2 Kühlschmierstoffe

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394

Emulsionen verändern. Sie sollen daher laufend überwacht werden. Eine Änderung der Konzentration kann optisch über die Messung des Brechungsindex in einem Refraktometer bestimmt werden. Der Brechungsindex hängt gleichsinnig von der Dichte der Mischung und der Tröpfchengröße ab. In vielen Fällen ist aufgrund der steigenden Tröpfchengröße eine genauere Bestimmung der Konzentration mittels des Titrationsverfahrens erforderlich. Die Lebensdauer von Emulsionen kann durch Additivierung mit Bioziden, Netzmitteln und Stabilisatoren und durch gezielte Kontroll- und Pflegemaßnahmen verlängert werden [KNO86].

Die Entsorgung von Emulsionen ist aufwendig. Aus Gründen des Umweltschut-zes müssen bei der Entsorgung Öl und Wasser getrennt werden.

17.2.2.2 Wasserlösliche Kühlschmierstoffe

Kühlschmierstoffe, die mit Wasser gemischt Lösungen ergeben, werden als Kühl-schmierlösungen bezeichnet. Die Inhaltsstoffe sind im Wasser gelöst oder noch fei-ner verteilt als bei feindispersen Emulsionen. Diese Kühlschmierstoffe sind daher im Allgemeinen stabiler. Sie enthalten nur geringe (oder keine) Mengen an Mine-ralöl. Ihre Vorteile liegen in der starken Spül- und Kühlwirkung sowie in der guten Stabilität und Transparenz. Wässrige Lösungen sind in der Regel Salzlösungen. Ihnen werden u. a. organische Korrosionsschutzmittel gegen Rostbefall der Ma-schinenteile und Werkstücke und Netzmittel zugesetzt, um die Benetzungsfähigkeit zu verbessern. Weiter können Kühlschmierlösungen oberflächenaktive Substanzen (EP-Additive) enthalten [BAR81]. Als organische Inhaltsstoffe werden Polymere (z. B. auf Basis mehrwertiger Alkohole und Polyglykole), Ester und ähnliche Stof-fe verwendet. Mit höherem Gehalt an diesen Stoffen werden Schmierwirkung und Druckstabilität verbessert. Wegen der synthetischen Herstellung werden diese Lö-sungen auch als synthetische Kühlschmierstoffe bezeichnet.

17.2.3   Additivierung von Kühlschmierstoffen

Durch Zugabe von Additiven lassen sich die Eigenschaften von Kühlschmierstof-fen wesentlich verändern. Additive sind synthetische Verbindungen oder deren Mi-schungen. Letztere erlauben als „multi purpose additives“ Eigenschaftskombinatio-nen [VAM84, ROE95].

Zur Erhöhung der Schmierwirkung von Kühlschmierstoffen werden ihnen Zu-sätze zugegeben, die Adsorptions- und Reaktionsschichten ausbilden können. EP-Zusätze sollen unter hohen Drücken und Temperaturen das Verschweißen und Fres-sen verhindern. Meistens handelt es sich hierbei um Fettsäuren oder Chlor-, Schwe-fel- und Phosphorverbindungen, die auf Metalloberflächen Reaktionsschichten aus Metallseifen bzw. -chloriden, -sulfiden und -phosphiden bilden. Diese chemisch aktiven Stoffe bewirken bei niedrigen Temperaturen einen Anstieg des Reibwerts, da die Reaktionsschichten noch fest sind. Oberhalb einer bestimmten Tempera-

17 Kühlschmierung

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395

tur weichen die Schichten auf und senken dadurch den Reibwert. Die Schicht der Metallseifen bzw. -salze bricht nach Überschreiten des Schmelzpunkts zusammen [BAR81, LAN73]. In Abb. 17.3 werden die Wirkbereiche der einzelnen Reaktions-produkte gezeigt.

Die EP-Additive enthalten im Allgemeinen nicht nur ein aktives Element. Häu-fig werden Kombinationen von mehreren Wirkstoffen verwendet. Bei der Auswahl der Zusätze muss berücksichtigt werden, dass sich diese in ihrer Wirkung auch gegenseitig beeinflussen können. Ob und welche Zusätze verwendet werden, hängt von der Art der Beanspruchung ab. Je schwieriger die Schnittbedingungen sind, desto höher legierte Kühlschmierstoffe werden eingesetzt.

Die Konzentration der EP-Additve ist kritisch. Zu geringer Gehalt mindert die trennende Wirkung, zu hoher Gehalt steigert den Verschleiß der Werkzeuge (Ver-schleißschmierung) [ROE95]. Durch Reagieren der Additive mit der Metallober-fläche verbrauchen sie sich. Ihre Konzentration im Basisöl nimmt ab.

Chlorhaltige Additive (z. B. Chlorparaffine) haben geringere Reaktionstempera-turen, hohe Druckbeständigkeit und sind nahezu universell einsetzbar. Sie wurden in der Vergangenheit daher häufig eingesetzt. Umweltanforderungen und damit ver-bundene Entsorgungsschwierigkeiten haben jedoch dazu geführt, dass inzwischen chlorhaltige Kühlschmierstoffe kaum noch angewendet werden. Gechlorte Flüssig-keiten werden als Sondermüll behandelt [HÖR87]. Inzwischen werden Kombina-tionen von anderen Additiven mit vergleichbarem Ergebnis eingesetzt.

Öl-in-Wasser-Emulsionen werden durch Zusetzen von Emulgatoren stabilisiert. Emulgatoren setzen die Grenzflächenspannung des Wassers herab. Sie bestimmen damit die Verteilung und Größe der Öltropfen im Wasser und ihre Haltbarkeit. Die Wirkung beruht darauf, dass die Öltropfen mit einem Seifenmantel umhüllt werden (Abb. 17.4). Dadurch wird eine Stabilisierung und eine Klebwirkung (polare Orientie-rung) an den Wirkpartnern erreicht [ROE95]. Es wird zwischen anion- und kation-ak-tiven sowie nichtionogenen Emulgatoren unterschieden [ZWI79, BAR81, MÜL87].

Abb. 17.3 Wirkbereiche der Reaktionsprodukte von Kühlschmierstoffzusätzen

Metallseifen

Metallchloride

Metallphosphide

Metallsulfide

0 200 400 600 800 1000°CTemperatur ϑ

17.2 Kühlschmierstoffe

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396

Zur Verbesserung des Korrosionsschutzes der bearbeiteten Werkstücke werden Korrosionsinhibitoren eingesetzt. Sie dienen der Ausbildung von Deckschichten gegen den Durchlass von Wasser und Luft [BAR81]. Hierfür werden Aminsalze, Sulfonate und Benzotriazole verwendet.

Die Schmierwirkung von Ölen wird durch eine Schaumbildung negativ beein-flusst. Zudem wird ihre Oxidation aufgrund einer intensiveren Durchmischung mit Luft gefördert. Der Schaumvorbeugung dienen Schauminhibitoren oder Anti-schaummittel. Dies sind höhere Fettalkohole und Siliconöle. Siliconöle sind aller-dings schwer abzuwaschen, so dass sie sich störend auf die Endbehandlung der Fertigteile (z. B. Lackieren, Emaillieren) auswirken können [ZWI79].

Haftmittel dienen der Verbesserung des Haftvermögens von Kühlschmierstoffen an Werkstücken. Sie wirken sich durch eine Erhöhung der Viskosität der Kühl-schmierstoffe an der Grenzschicht zum Werkstoff positiv auf die Kühlschmierung aus [ZWI79]. Als Haftmittel werden polymere Kohlenwasserstoffe, wie Polymetha-crylate und Polysubutylene, eingesetzt.

Konservierungsmittel sind Biozide. Sie sollen den Kühlschmierstoff vor dem Befall von Mikroorganismen schützen. Bakterien, Pilze und Hefen können wasser-gemischte Kühlschmierstoffe als Nährboden nutzen und durch ihren Stoffwechsel die Inhaltsstoffe des Kühlschmierstoffs biochemisch abbauen. Dadurch wirken sie

Abb. 17.4 Aufbau einer Emulsion

Wasser

Öl–

––

– – ––

––

–––+

+ +

+–

Emulsionaufbau(schematisch)

hydrophober Teildes Emulgators

hydrophiler Teildes Emulgators

Emulsionaufbau(mikroskopische Aufnahme)

17 Kühlschmierung

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397

sich nachteilig auf die Kühlschmiereigenschaften und den Hygienestatus des Kühl-schmierstoffs aus (als Stoffwechselprodukte können Toxine entstehen). Als geeig-nete Konservierungsmittel können formaldehydabgebende Stoffe oder Quecksil-berverbindungen zugesetzt werden [BAR81]. Um Hautschäden und Abwasserprob-lemen vorzubeugen, müssen solche Emulsionen kontinuierlich kontrolliert werden.

17.3 Kühlschmierstoffeinsatz bei der Zerspanung mit geometrisch bestimmten Schneiden

Kühlschmierstoffe verursachen zusätzliche Kosten und können Bediener, Umwelt und Teile der Maschine belasten [SCH04]. Auf Grund der Kosten und Entsorgungs-probleme müssen KSS ökonomisch und ökologisch sinnvoll eingesetzt werden, da sie für eine Reihe von Prozessen unverzichtbar sind. In zunehmendem Maße wird an der Wiederaufbereitung verbrauchter KSS gearbeitet [ÖST03]. Die Kosten- und Umweltsituation führte zur Entwicklung der Minimalmengenschmierung (MMS), wodurch der Verbrauch an KSS reduziert werden konnte [WEI99]. Bei der MMS wird grundsätzlich unterschieden zwischen äußerer Kühlschmierstoff-Zufuhr über Sprühdüsen (Erzeugung von Aerosolen) und innerer Zufuhr über in das Werkzeug eingebrachte Kanäle [AUR06, STÄ04, LOI04]. Abbildung 17.5 zeigt die Austritts-öffnungen der Kühlkanäle bei einem Spiralbohrer. Die Minimalmengenschmierung MMS stellt gegenüber der Trockenbearbeitung einen Kompromiss zwischen Öko-logie, Arbeitshygiene, Betriebswirtschaft sowie Bearbeitungsqualität, Produktivi-tät und Effektivität dar. Da diese Schmiermittel aufgrund ihrer großen Oberfläche

17.3 Kühlschmierstoffeinsatz bei der Zerspanung mit geometrisch bestimmten Schneiden

Abb. 17.5 REM-Aufnahme der Austrittsöffnungen der Kühlkanäle eines Spiral-bohrers, Werkzeugdurchmes-ser = 8 mm

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398

schneller verdampfen, ist es zudem wichtig, gesundheitlich unbedenkliche Substan-zen anzuwenden.

Um in der Fertigung auf umweltbelastende Kühlschmierungssysteme zu ver-zichten, wird die Verwendung biologisch abbaubarer Schmierstoffe, wie syntheti-sche Ester, erforscht. Bei der Verwendung von synthetischem Ester bei Außenlängs-drehprozessen führt das Fehlen von Additiven zu einer anderen Gewichtung der Verschleißmechanismen. Um dieses zu kompensieren und dennoch eine optimale Trennung der Wirkpartner im tribologischen Kontakt zu erzielen, werden neuarti-ge PVD-Beschichtungen entwickelt. Beim Drehen der Werkstoffe X5CrNi18-10 und 42CrMo4V mit mehrlagigen Schutzschichten des Typs TiAlN/γ-Al2O3 werden Standzeitgewinne und Verbesserungen des Werkzeugverschleißbilds ermöglicht. Bei dem Werkstoff 42CrMo4V kann sogar der Verzicht auf Kühlschmierung in Fra-ge kommen [KLO04]. Bei dem Werkstoff Inconel 718 wurden Bohrprozesse mit mehrlagigen TiAlN-Schichten, TiN/TiAlN-Schichten in Nanokompositausführung sowie TiAlN mit einer WC/C-Deckschicht der Werkzeuge durchgeführt. Gegen-über der Verwendung von Kühlschmieremulsion (6 %) wurde mit synthetischem Ester ein signifikanter Standzeitgewinn der Werkzeuge erzielt [KLO06a].

Beim Mikrofräsen zeigen ölbasierte Kühlschmiermittel gegenüber wasserbasier-ten bessere Ergebnisse. Auch durch Minimalmengenschmierung kann die Spanab-fuhr von der Wirkstelle sichergestellt werden. Die Viskosität des KSS muss niedrig genug sein, um die Wirkstelle zu erreichen. Sie darf jedoch nicht zu niedrig sein, damit sich ein Schmierfilm ausbilden kann. Dies zeigt, dass die Kühlschmierbedin-gungen für eine optimale Wirkung in Zerspanprozessen immer prozessspezifisch auszulegen sind [KLO06b].

Beim Bohren des Stahls C45E lässt sich beispielsweise trotz der Reduzierung des Kühlschmierstoffeinsatzes eine annähernd gleich bleibende Bohrungsqualität erzielen [WEI97]. Besonders bei der Minimalmengenkühlschmierung sind deutlich reduzierte Bohrmoment- und Vorschubkraftwerte möglich. Dies unterstreicht die Bedeutung des gezielten und an den Prozess angepassten Kühlschmierstoffeinsat-zes. Die Verwendung von Emulsion vermindert gegenüber anderen Kühlschmier-stoffkonzepten die Durchmesserabweichungen. Hinsichtlich der Rundheitsabwei-chungen und der Oberflächenrauheit ist die Minimalmengenkühlschmierung eine sehr gute Alternative. Die Bearbeitung von Bohrungen mit einem L/D-Verhältnis von über 2 bei reduziertem Kühlschmierstoffeinsatz ist nur mit Unterstützung der Spanabfuhr, z. B. durch Druckluftzufuhr, möglich, da ansonsten plastische Verfor-mungen der Bohrungswand in Folge von Wechselwirkungen mit dem Span auf-treten können.

Neue Erkenntnisse für die Stahlbearbeitung, die inzwischen bereits industriell angewendet werden, ergaben sich z. B. durch die Beeinflussung der Spanform beim Drehen durch Ultrahochdruckkühlung [DAH05]. Das Mischen eines 2-Komponen-ten-Kühlschmierstoffs direkt an der Werkzeugmaschine wurde erfolgreich durch den Einsatz eines Kühlschmierstoffs mit Schwefel-Additiv substituiert [BAU05]. Untersuchungen bei der spanenden Bearbeitung von Edelstahl zeigten, dass eine genaue Anpassung der Bearbeitungsparameter und der Einsatz einer MMS zu bes-seren Bearbeitungsresultaten führen [DEV05]. Eine günstige schmierende Wir-

17 Kühlschmierung

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399

kung von Silber-Nanopartikeln in einer PVD-Werkzeugbeschichtung wurde ebenso nachgewiesen [ALB07].

Methoden zum Einsatz von Feststoff-Schmiermitteln wurden erfolgreich er-probt. Beim Drehen von gehärtetem Stahl wurden Werkzeuge eingesetzt, die mittels erodierter Kavitäten in der Span- bzw. Freifläche (Durchmesser D ≈ 200 µm) mit Molybdändisulfid MoS2 versehen wurden [JIA09]. Hierüber wird der Schmierstoff direkt in die Prozesszone eingebracht. Durch den Einsatz dieser Werkzeuge werden die Prozesskräfte und der Werkzeugverschleiß deutlich beeinflusst. Eine Schmier-kavität an der Freifläche bewirkt geringeren Freiflächenverschleiß des Werkzeugs gegenüber der nicht präparierten Schneidkante. Eine Kavität an der Spanfläche führt zu einer signifikanten Verringerung der Prozesskräfte und des Reibkoeffizien-ten. Ursache hierfür ist die Ausbildung eines MoS2-Schmierfilms zwischen Werk-zeug und Werkstück bzw. Span. Dieses unterstreicht, dass die gezielte Zuführung von Kühl- und Schmierstoffen eine signifikante Verbesserung des Werkzeugein-satzverhaltens bewirken kann.

Hochdruck-Kühlschmiersysteme wurden auf ihre Wirksamkeit hin analysiert [SHA09]. Bei solchen Systemen wird das Kühlschmiermedium gezielt in die Kon-taktzone zwischen Werkstück und Werkzeug zugeführt, so dass ein Fluiddruck zwischen den Reibpartnern entsteht. Experimentelle Zerspanuntersuchungen beim Drehen des schwer zerspanbaren Werkstoffs TiAl6V4 zeigen, dass hierdurch eine bessere Kühl- und Schmierwirkung erzielt wird. Dies bewirkt eine signifikante Re-duzierung der Aufbauschneidenbildung und des Diffusionsverschleißes des Werk-zeugs sowie eine Verbesserung der Oberflächenrauheit und des Spanbruchs und letztlich eine Verlängerung der Werkzeugstandzeit. Ähnliche signifikante Effekte werden mit MMS-Schmierung bzw. Ölnebel mit Drucklufteinsatz beim Drehen er-zielt. Hierbei wird die Prozesstemperatur gesenkt, wodurch wiederum die Schnitt-geschwindigkeit erhöht werden kann. Dominante Einstellgrößen hierbei sind die Art der Ölnebelerzeugung sowie die Orientierung der Zuführdüsen [TAK06].

17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen

Kühlschmieren ist für das Schleifen von besonderer Bedeutung. Durch die ver-gleichsweise große Kontaktfläche zwischen Schleifscheibe und Werkstück wird die Kühlschmierstoffzufuhr in den Schleifspalt erschwert. Die spezifische Energie beim Schleifen – das ist die je abgespantes Volumen notwendige Energie – ist ver-gleichsweise hoch (vergl. Kap. 4). Das ist bedingt durch große Reibanteile und sehr geringe Spanungsdicken beim Schleifen. Die zugeführte Energie wird auch hier na-hezu vollständig in Wärme umgesetzt. Im Schleifspalt entstehen hohe Temperatu-ren, die die Randzone des Werkstücks schädigen (Kap. 13), die erhöhten Verschleiß der Schleifwerkzeuge und die eine Zusetzung des aktiven Schleifraums bewirken können.

Die Kühlschmierstoffart und – zusammensetzung sowie die Reinigung und Aufbereitung des Kühlschmierstoffs haben Einfluss auf die Kühl- und Schmier-

17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen

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400

wirkung in der Kontaktzone. Die Kühlschmierstoffzuführung mit Freiheitsgraden wie Düsengestaltung, Düsenposition, Größe des zugeführten Volumenstroms und Kühlschmierstoffdruck bilden die Randbedingungen dafür, ob und wie viel Kühl-schmierstoff in die Kontaktzone gelangen kann.

Um eine hohe Wirkung zu erzeugen, wurden unterschiedliche Düsen für ver-schiedene Schleifaufgaben entwickelt. In der Praxis am Weitesten verbreitet sind die Überflutungsdüsen. Hierbei wird unterschieden zwischen Freistrahldüsen und Düsen ohne Freistrahl. Bei den Freistrahldüsen gibt es starre Rohrsysteme und seg-mentierte Schlauchsysteme. Die Vorteile der Freistrahldüsen liegen in ihrer ein-fachen Installation und Handhabung. Sie sind darüber hinaus relativ preisgünstig. Nachteilig ist, dass mit diesen Düsen das Luftpolster um die Schleifscheibe her-um meist nicht überwunden werden kann. Um die Benetzung der Schleifscheibe mit Kühlschmierstoff sicherzustellen, können Luftpolsterabweiser eingesetzt wer-den, die die Wandströmung der Luft, den sogenannten Luftmantel, abschwächen [BRÜ96]. Der Nutzen von Luftpolsterabweisern wird besonders beim Hochge-schwindigkeitsschleifen gesehen [OKU93, INA98]. Abbildung 17.6 zeigt deutlich, dass sich ein Luftmantel vor der Wirkstelle aufbaut.

Der recht hohe Kühlschmierstoff-Volumenstrom erreicht meist nicht die opti-male Reinigungswirkung. Hinzu kommt, dass bei Verwendung von segmentierten Schlauchsystemen die Position der Düse oft nicht reproduzierbar einzustellen ist.

Vorteile bieten Düsen ohne Freistrahl, so genannte Schuhdüsen. Sie sind in der Lage, das Luftpolster zu durchbrechen. Durch ihre bessere Kühlwirkung kommt es zu geringerer Randzonenschädigung des Bauteils. Kühlschmierstoffstrom und – druck sind geringer als bei den Freistrahldüsen, die Effektivität kann durch Leitele-mente noch erhöht werden. Die Installation der Schuhdüsen ist allerdings deutlich aufwändiger als die der Freistrahldüsen. Bei stark verschleißenden Schleifscheiben

Abb. 17.6 Einfluss des Luftpolsters auf die Kühlschmierstoffbenetzung der Schleifscheibe [EBB00]

vc = 33,5 m/s

Abstand Schleifscheibe / Werkstück: 80 µm

Kühlschmierstoff

LuftpolsterSchleifscheibe

Vc

Werkstück

17 Kühlschmierung

Page 413: Spanen ||

401

oder bei komplexen Schleifscheibengeometrien sollten Schuhdüsen nicht einge-setzt werden.

Wesentlich weniger Kühlschmierstoff benötigen nicht überflutende Düsen, zu denen Punkt- und Nadelstrahldüsen sowie Sprühdüsen zählen. Punkt- und Nadel-strahldüsen lassen sich individuell an das Profil der Schleifscheibe anpassen. Sie liefern dann einen gleichmäßigen gerichteten Strahl mit geringem Verlustvolumen-strom. Allerdings ist eine höhere Pumpenleistung erforderlich, und die Einrich-tung ist an das Profil der Schleifscheibe gebunden. Die Sprühdüsen, die den Kühl-schmierstoff fein zerstäubt der Wirkstelle zuführen, benötigen sehr wenig Kühl-schmierstoff, da sie durch ein Aerosol aus Kühlschmierstoff und Luft schmieren (MMS). Probleme durch das mitrotierende Luftpolster und die geringe Spanabfuhr sind zu beachten. Sprühdüsen sind für Schleifprozesse nur bedingt einsetzbar, da die Kühlwirkung oft nicht ausreichend ist.

Weitere Lösungen, wie z. B. Innenkühlung, bei der der Kühlschmierstoff durch die Scheibe nach außen strömt, oder segmentierte Schleifscheiben, stellen bisher noch Ausnahmen dar.

Die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kühlschmierstoff-Zufuhrdüsen sind in der Tab. 17.4 als Übersicht zusammengestellt.

Der Versuch, den Kühl- und Schmierstoffbedarf durch ein Überangebot an Kühl-schmierstoff vor der Eingriffszone zu decken, ist untauglich. Der maximale Volu-menstrom, der durch einen Schleifspalt fließt, ist geometrisch begrenzt. Überschüs-sige Mengen werden von der Schleifscheibe zurückgeschleudert [MAL92].

Höhere Kühlschmierstoffvolumenströme haben weitere Nachteile. Steigende Kräfte zwischen Werkzeug und Werkstück und eine Erhöhung der notwendigen Spindelleistung sind Folgen eines gesteigerten Kühlschmierstoffangebots [BRI93, TRE95, BRÜ96]. Hier wirken sich druckaufbauende, hydrodynamische Effekte vor und in der Kontaktzone aus. In Abb. 17.7 ist die Wirkung des Kühlschmier-stoffvolumenstroms auf die Normalkraft, die sich aufgrund des Flüssigkeitsdrucks

17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen

Tab. 17.4 Kühlschmierstoff-Zufuhrsysteme im Vergleich

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402

aufbaut, für verschiedene Schnittgeschwindigkeiten beim Außenrundschleifen dar-gestellt. Die Kräfte wurden beim Ausfunken gemessen, d. h. eine radiale Vorschub-bewegung fand nicht statt. Es ist zu erkennen, dass unabhängig von der Schnitt-geschwindigkeit stationäre Werte für die Flüssigkeitsdruckkräfte erreicht werden. Die Flüssigkeitsdruckkraft steigt mit dem Kühlschmierstoffvolumenstrom stark an. Die daraus resultierende Normalkraft addiert sich zu der vom Prozess herrührenden Kraft. Gerade beim Hochgeschwindigkeitsschleifen kann somit eine Schleifkraftre-duzierung nicht erreicht werden [TRE95]. Durch diese starke Kraftwirkung können Verformungen im Werkstück auftreten und sich negative Einflüsse auf die Maß- und Formgenauigkeit der geschliffenen Werkstücke zeigen.

Auch die notwendige Spindelleistung wird mit erhöhtem Volumenstrom stark vergrößert. Dabei wirkt sich der Schleppeffekt von Flüssigkeit durch die Schleif-scheibenrotation aus. Die dadurch bedingte Verlustleistung kann bis zu 80 % der Gesamtleistung betragen [BRI93, KLO97, TAW90] (Abb. 17.8).

17.4.1   Methoden zur Bestimmung der Kühlschmierstoffwirkung beim Schleifen

Um die Wirkung der Kühlschmierung beim Schleifen zu analysieren, wurden von Brinksmeier und Mitarbeitern verschiedene Labormethoden entwickelt (Abb. 17.9). Dazu wird der Druck im Schleifspalt, die Menge des durch die Kontaktzone geför-derten Kühlschmierstoffs und die Kühlwirkung gemessen. Die Strömung innerhalb von Kühlschmierstoffdüsen wird in geeigneter Weise sichtbar gemacht.

Abb. 17.7 Auswirkung des Kühlschmierstoffvolumenstroms in Abhängigkeit der Schnittge-schwindigkeit auf die Flüssigkeitsdruckkraft [TRE95]

bez.

Flü

ssig

keits

druc

kkra

ft F

’ n K

SS

bez. Kühlschmierstoffvolumenstrom Q’KSS

Schleifscheibe : B126 GYB 200Kühlschmierstoff : Öl (υ = 25 mm2/s)Zustellung : ae = 0 µm

Schuhdüse

VcVw

Fn KSS

VC = 180 m/s

VC = 120 m/s

VC = 90 m/s

VC = 60 m/s

15

9

6

3

00 0,5 1,0 1,5 2,0

Nmm

I / (min mm) 3,0

17 Kühlschmierung

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403

Zur Druckmessung wird ein Sensor in einer oder mehreren Messbohrungen im Werkstück montiert. Durch den Einsatz mehrerer Sensoren entlang der Mantel-linie der Schleifscheibe lassen sich Druckprofile aufnehmen. Beim Überschlei-fen der Sensorreihe ist das zeitliche oder örtliche Profil erkennbar (s. Abb. 17.9, oben links). Eine Integration des Drucks über der Kontaktfläche gestattet die Bestimmung der Normalkraft, die durch den Flüssigkeitsdruck verursacht wird [HEI99].

Die rechte obere Darstellung in Abb. 17.9 zeigt den Messaufbau, mit dem Kühl-schmierstoff hinter dem Schleifspalt beim Planschleifen aufgefangen werden kann. Mit einer sehr sinnreichen Methode (Abb. 17.9, links unten) wird die Kühlwir-kung bestimmt. Mit der Schleifscheibe wird in das Werkstück eingeschliffen. Das Werkstück wird von einer konstanten Wärmequelle aufgeheizt und die Temperatur im Werkstück über Thermoelemente gemessen. Diese Thermoelemente zeigen die Kühlwirkung bei unterschiedlicher Kühlschmierstoffzufuhr an [BRI04b].

Abbildung 17.9, rechts unten, zeigt die Möglichkeit der Strömungsvisualisie-rung mit Hilfe eines Lichtschnittverfahrens. Durch eingelagerte Tracerpartikel kann die Strömungsverteilung verfolgt werden. So lassen sich Rückströmungen oder Strömungsablösungen in der Düse, die die Wirksamkeit der Kühlschmierstoffzu-führung beeinträchtigen, feststellen. Auch der Grenzbereich zwischen Schleifschei-be und Düse kann so näher untersucht werden. Durch die rotierende Schleifscheibe eingebrachte Luftbläschen, die die Kühlwirkung in der Kontaktzone herabsetzen, sind so zu beobachten [HEI99].

Abb. 17.8 Einfluss der Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit und des Kühlschmiermittelvolu-menstroms auf die Verlustleistung [BRI93]

0,6

kWmm

0,4

0,3

0,2

0,1

00 20 40 60 80 100 120 140 160 180 m/s 220

Schleifscheibenumfangsgeschwindigkeit vc

bez.

Ver

lust

leis

tung

P' v

130 l/min

100 l/min

80 l/min

KSS-Volumen-strom QKSS

50 l/min

30 l/min

Schleifscheibe : B151 G

: ds = 400 mm: ae = 0 um

: vft = 10 m/min

: Mineralöl

Scheibendurchmesser

Zustellung

WerkstückgeschwindigkeitKühlschmierstoff

Schleif-scheibe Vc

Vft

Werkstück

17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen

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404

17.4.2   Anwendungen und Wirkungen

Zum Schleifen werden üblicherweise flüssige Kühlschmierstoffe verwendet, um Randzonenschäden am Werkstück zu vermeiden (s. Kap. 13). Es werden Mine-ralöle, Emulsionen und Lösungen eingesetzt. Sie unterscheiden sich in ihrer Wir-kung erheblich. In Abb. 17.10 ist der Einfluss von unlegiertem Mineralöl und von

Abb. 17.9 Labormethoden zur Untersuchung der Kühlschmierstoffwirkung beim Schleifen [HEI99, BRI01, BRI04b]

Druckmessung

Drucksensor

Durchflussmessung

Schleif-scheibe

KontaktzoneSchleifscheibe

Schleif-scheibe

KSS-Auffangvorrichtung

KSS-Sammel-behälterWerkstück

Werk-stück

Zeit

QKSS vc

vc

vft = 0

Messung der Kühlwirkung Stömungsvisualisierung

Schuhdüse mitLeitelementen

Schleifscheibe

Thermoelemente

Werkstück

WerkstückHeizplatte

Lichtschnitt

KS

S-D

ruck

50

bar

25

00 2 s 6

vc

vc

vft

vft

vfr

vcQKSS

QKSS

QKSS

vfr = 0

Abb. 17.10 Einfluss der Kühlschmierstoffarten auf den Schleifprozess [HEU92]

12

µm

8

6

4

2

00 4000 8000 12000 mm3/mm 20000

0

40

80

120

160

µm

240

Rad

ialv

ersc

hlei

ß ∆

r s

Ra Emulsion

∆rs Öl

Ra Öl

bez. Zerspanvolumen V'w

gem

ittel

te R

autie

fe R

a

∆rs Emulsion

Verfahren :Außenrund-einstechschleifen

Schleifscheibe:B64 VSS 2804 GA V360ds = 50 mmvc = 60 m/s

Werkstück :100Cr6, 62 HRCdw = 60 mmvft = 1 m/s

Abrichten :Topfscheibe D 301aed = 2 µm; Ud = 25qd = –0,7

Kühlung :Emulsion 5 %EP-ZusätzeMineralöl unlegiertQKSS = 45 l/min

17 Kühlschmierung

Page 417: Spanen ||

405

5 % iger Emulsion auf den Radialverschleiß beim Außenrundquerschleifen wie-dergegeben. Die Untersuchungen wurden mit CBN-Schleifscheiben durchgeführt. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch mit Korundschleifscheiben. Die Annahme, CBN-Schleifmittel verschlissen aufgrund hydrolytischer Vorgänge, erscheint nicht haltbar. Vielmehr ist der überwiegende Einfluss aus einem starken Bindungsver-schleiß zu erklären, der bei wassergemischten Kühlschmierstoffen wegen stärkerer Reibung zwischen Span und Bindung auftritt und der zu einem vorzeitigen Freiset-zen der Hartstoffkörner führt. Dies wird auch durch die im Bild dargestellte Rauheit bestätigt. Unter Emulsionen treten erheblich größere Rauheiten auf, weil ständig Körner ausbrechen und dadurch geringere Kornzahlen zu höheren mittleren Spa-nungsdicken je Schneide führen [HEU92].

Die gegenüber Emulsionen deutlich verbesserte Schmierwirkung von Öl zeigt sich auch in der Höhe der Schleifkräfte (Abb. 17.11). Die Reibung wird herab-gesetzt, gleichzeitig ist aber die Zahl der aktiven Schneiden größer. Aus diesen gegenläufigen Einflüssen folgt der typische Kraftverlauf. Die in der Anfangspha-se des Schleifprozesses auftretenden erhöhten Kräfte sind mit einem Zurückset-zen des Bindungsniveaus und einem Ausbruch gelockerter Schleif- und Füllkörner verbunden. Dies führt dazu, dass vor allem bei Emulsionskühlung die Anzahl der aktiven Körner stark abnimmt. Infolgedessen sinken die Schleifkräfte insbesondere am Anfang deutlich ab. Durch den starken Bindungsverschleiß bei der Emulsions-kühlung stellt sich ein stationärer Zustand ein, bei dem eine weitaus geringere Zahl von aktiven Körnern vorliegt als bei der Ölkühlung. Dadurch stellen sich geringere Normalkräfte als bei Verwendung von Öl ein. Die besseren Schmiereigenschaften des Öls führen allerdings zu einer geringeren Reibverhältnis µ, so dass bei Öl trotz

17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen

Abb. 17.11 Einfluss der Kühlschmierstoffarten auf die Schleifprozesskräfte [HEU92]

Verfahren :Außenrund-einstechschleifen

Schleifscheibe:B64 VSS 2804 GA V360ds = 50 mm; vc = 60 m/s

Werkstück :100 Cr 6, 62 HRCdw = 60 mm; vft = 1 m/s

Abrichten :Topfscheibe D 301aed = 2 µm; Ud = 25qd = –0,7

Kühlung :Emulsion 5 %, EP-ZusätzeMineralöl unlegiertQKSS = 45 l/min

10

20

10

5

0

bez.

Sch

leif-

norm

alkr

aft F

' n

bez.

Sch

leif-

tang

entia

lkra

ft F

' t

5

2,5

0

Nmm

Nmm

bez. Zerspanvolumen V'W

0 5000 10000 20000mm3/mm

Emulsion 5 %

Emulsion 5 %

Mineralöl unlegiert

Mineralöl unlegiert

Q'W = 2 mm3/mms

Q'W = 12 mm3/mms

Q'W = 12 mm3/mms

Q'W = 2 mm3/mms

Page 418: Spanen ||

406

einer höheren Zahl aktiver Schneiden geringere Tangentialkräfte als bei Emulsion auftreten [HEU92].

Der Einfluss unterschiedlicher Düsengeometrien wird im Folgenden durch Ver-suche zum CBN-Außenrundschleifen mit drei Tangentialdüsen mit einem Austritts-querschnitt von 30, 45 und 60 mm² dargestellt. Um die Kühlwirkung zu beurteilen, werden Oberflächeneigenspannungen in Abhängigkeit der Kühlschmierstoffmenge Q′KSS gemessen (Abb. 17.12). Bei gegebenem Düsenquerschnitt vergrößert sich die Strahlgeschwindigkeit mit der Durchflussmenge. Größere Strahlgeschwindigkeiten verbessern offenbar die Haftung des Kühlschmierstoffs an der Schleifscheibe, und das umgebende Luftpolster wird leichter überwunden. Größere Anteile der insge-samt zugeführten Kühlschmierstoffmenge gelangen in die Kontaktzone [CZE99], es kommt zu einer geringeren thermischen Belastung des Werkstücks. Damit ein-her geht die Reduzierung von Zugeigenspannungen, die – wie in Kap. 13 erläutert wurde – typisch für thermische Beeinflussung sind.

Einen Vergleich des Einflusses von Tangential- und Schuhdüsen auf die Eigen-spannungsverteilung in der Werkstückoberfläche zeigt Abb. 17.13. Offenbar gelingt es mit Schuhdüsen, den Kühlschmierstoff wirkungsvoller in die Kontaktzone zwi-schen Schleifscheibe und Werkstück einzuführen und damit Kühl- und Schmierwir-kung zu verbessern. Unter sonst gleichen Einstellbedingungen kann mit der Schuh-düse ein thermischer Einfluss nahezu vollständig unterdrückt werden. Es entstehen Druckeigenspannungen, die auf dominante, mechanische Randzonenbeeinflussung hindeuten.

Durch Minimalmengenschmierung (MMS) oder reine Trockenbearbeitung lässt sich die Kühlschmierstoffmenge beim Schleifen drastisch verringern oder es kann gänzlich auf Kühlschmierstoff verzichtet werden. Um den Einfluss der MMS und Trockenbearbeitung beim Innenrundschleifen mit mikrokristallinem Aluminioxid

Abb. 17.12 Eigenspannungen an der Werkstückoberfläche für unterschiedliche Düsenquer-schnitte und Durchflussmengen [CZE99]

VerfahrenAußenrund-Umfangs-QuerschleifenCBN-Schleifscheibe

M 151 VR 150 N

AbrichtbedingungenFormrolle U 75 B; Ud = 15,qd = 0,8; aed = 0,5 µm; id = 3

SchleifenVc = 100 m/s; q = -150Q‘w = 10 mm3/mm*s

Werstück100 Cr 6 gehärtet; 63 HRC

röntgenographischeEigenspannungsanalyse

Strahlung CrKαWellenlänge λ = 0,2291 nmBragg−Winkel 2θ = 156,44°Netzebene 211Eindringtiefe τ = 4,1 − 6,1 µm

Kühlung:

Mineralöl

800

MPa

600

500

00

1 2 3 4 5 7l/min*mm

bez. Kühlschmierstoffdurchflussmenge Q’KSS

30

45

60

Düsenaustritts-querschnitt AKSS in mm2

Eig

ensp

annu

ngen

σ

=

17 Kühlschmierung

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407

zu untersuchen, wurden diese Bedingungen mit konventioneller Überflutungs-kühlschmierung verglichen. Durch MMS wurde die Kühlschmierstoffmenge von QKSS = 11 l/min auf QKSS = 0,4 l/min reduziert. Für MMS wurde ein synthetischer Ester eingesetzt, bei der konventionellen Überflutung ein unlegiertes Mineralöl.

Die Trockenbearbeitung führt mit zunehmender Schleifzeit bzw. zunehmendem Zerspanvolumen zu einem starken Anstieg der Prozesskräfte (Abb. 17.14). Bereits

Abb. 17.13 Einfluss von Kühlschmierstoff und Düsenart auf den Eigenspannungstiefenverlauf [CZE99]

0

800

MPa

400

200

–200

–4000 20 40 60 80 µm 120

MineralölEmulsion

Tangentialdüse

Abstand von der Oberfläche z

VerfahrenAußenrund-Umfangs-Querschleifen

CBN-SchleifscheibeM 126 VR 100 N

Schleifen

Q‘w = 10 mm3/mm*sVc = 100 m/s; q = –150

Werkstück100 Cr 6 gehärtet63 HRC

Kühlung30 l/min; 9 bar

röntgenographischeEigenspannungsanalyse

Strahlung CrKαWellenlänge λ = 156,44°Netzebene 211Eindringtiefe τ = 4,1 - 6,1 µm

Eig

ensp

annu

ngen

σII

Schuhdüse

17.4 Kühlschmierstoffeinsatz beim Schleifen

Abb. 17.14 Schleifkräfte in Abhängigkeit der Kühlschmierstoffmenge [BRU98]

12

Nmm

mm3/mm

4

0

00

6

mmN

2

100 200 400

bez.

Nor

mal

kraf

t F’ n

bez.

Tan

gent

ialk

raft

F’ t

bez. Zerspanvolumen V’w

trocken

trocken

Zusetzung

Zusetzung

Überflutungskühlschmierung

Überflutungskühlschmierung

MMS

MMS

Verfahren:Innenrund-Umfangs-Querschleifen

Schleifscheibe:5SG100LVSds = 30 mm; vc = 40 m/s

Werkstück:16 MnCr 5; 62 HRCdw = 40 mm; vft = 1 m/sQ’w = 1 mm3/mm*s

Abrichten:Topfscheibe D301Ud = 20; qd = 0,6aed = 3 µm; apd = 1 mm

Überflutungskühlung:Mineralöl; QKSS = 11 l/minMMS:Ester; QKSS = 0,4 ml/min

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408

nach einem bezogenen Zerspanvolumen von V’w = 160 mm3/mm, das entspricht einer Schleifzeit von weniger als 3 min, musste der Versuch wegen Zusetzens des aktiven Schleifraumes abgebrochen werden. Bei Überflutungskühlschmierung stei-gen die Kräfte zunächst an, bleiben dann aber konstant. Interessant ist, dass das Kraftniveau bei MMS grundsätzlich minimal ist. Gründe dafür sind das Fehlen einer hydrodynamischen Kraftwirkung und die im Vergleich zum Mineralöl bessere Schmierwirkung des eingesetzten Esters [BRU98].

Der Schleifscheibenverschleiß bei MMS liegt zwischen dem der Überflutungs-kühlschmierung und der Trockenbearbeitung (Abb. 17.15). Dies ist auf die redu-zierte bzw. fehlende Kühlwirkung zurückzuführen. Durch erhöhte thermische Be-lastung von Schleifkorn und Bindung stellt sich ein größerer Verschleiß ein. Die mit MMS erzielbaren Werkstückrauheiten liegen nur geringfügig über denen nach dem Schleifen mit Überflutungskühlschmierung. Die Rauheitswerte nach dem Trocken-schleifen sind wesentlich größer.

Neben der mikrogeometrischen Ausbildung der Oberfläche wurde der Einfluss der MMS und Trockenbearbeitung auf die Werkstückrandzone analysiert und mit konventioneller Kühlschmierung verglichen. Abbildung 17.16 zeigt Gefüge-schliffbilder der Werkstückrandzone quer zur Bearbeitungsrichtung und Oberflä-cheneinspannungen parallel zur Schleifrichtung in Abhängigkeit vom Zerspan-volumen bzw. von der Schleifzeit. Bei der Trockenbearbeitung traten thermische Schädigungen in Form von Anlass- und Neuhärtungszonen auf (Bildung weißer Schichten). Eigenspannungsmessungen zeigten, dass die Oberflächenwerte für die Trockenbearbeitung im Vergleich zu den beiden anderen Bedingungen um

Abb. 17.15 Radialverschleiß und Werkstückrauheit in Abhängigkeit der Kühlschmierstoffmenge [BRU98]

Zusetzung

trocken

MMS

Überflutungskühlschmierung

Überflutungskühlschmierung

Zusetzung

trocken MMS

20

10

5

0

20

µm

µm

12

8

4

00 100 200 400mm3/mm

bez. Zerspanvolumen V’w

gem

ittel

te R

autie

fe R

ZR

adia

lver

schl

eiß

r s Verfahren:

Schleifscheibe:5SG100LVSds = 30 mm; vc = 40 m/s

Werkstück:16MnCr 5; 62 HRCdw = 40 mm; vft = 1 m/sQ’w = 1 mm3/mm*s

Abrichten:Topfscheibe D301Ud = 20; qd = 0,6

MMS:Ester; QKSS = 0,4 ml/min

aed = 3 µm; apd = 1 mm

Überflutungskühlschmierung:Mineralöl; QKSS = 11 l/min

lnnenrund-Umfangs-Querschleifen

17 Kühlschmierung

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409

mehr als 100 MPa in Richtung Zugeigenspannungen verschoben sind. Die Ober-flächeneigenspannungswerte bei MMS und Überflutungskühlschmierung sind nicht signifikant voneinander unterscheidbar. Auch Untersuchungen bei erhöh-tem Zeitspanvolumen von Q'w = 2,5 mm3/mms zeigten keine Schädigungen des Werkstückgefüges.

Es lässt sich also feststellen, dass sich durch den Einsatz einer Minimalmen-genschmierung geringere Prozesskräfte verglichen mit einer konventionellen Über-flutungskühlschmierung erreichen lassen. Der Schleifscheibenverschleiß und die Werkstückrauheit liegen geringfügig über den Vergleichswerten. Die Randzonen-beeinflussung entspricht der Überflutungskühlschmierung. Beim Innenrundschlei-fen ohne flüssigen Kühlschmierstoff konnte nur mit kleinen Zeitspanvolumina über begrenzte Schleifzeit- bzw. Zerspanvolumen gearbeitet werden. Trockenschleifen ist aber wirtschaftlich möglich in einer Verfahrenskombination von Hartdrehen und Schleifen (s. Kap. 11).

Fragen

1. Welche Hauptanforderungen an Kühlschmierstoffe sind Ihnen bekannt? Nen-nen und erläutern Sie diese.

2. Was sind die Zusatzfunktionen von Kühlschmierstoffen? 3. Welche Kühlschmierstoffmedien sind Ihnen im Hinblick auf ihren Aggregat-

zustand bekannt? 4. Geben Sie eine Einteilung der flüssigen Kühlschmierstoffe an.

Abb. 17.16 Gefüge und Eigenspannungen der Werkstückrandzone [BRU98]

300

100

–100

–200

0

0 50 100 mm3/mm 200

Eig

ensp

annu

ngen

σII

bez. Zerspanvolumen V’w

Trocken

Überflutungs-kühlschmierung

MMS

MMS:Ester; QKSS = 0,4 ml/min

Überflutungskühlschmierung:Mineralöl; QKSS = 11 l/min

Abrichten:Topfscheibe D301Ud = 20; qd = 0,6aed = 3 µm; apd = 1 mm

Werkstück:16 MnCr 5; 62 HRCdw = 40 mm; vft = 1 m/sQ’w = 1 mm3/mm*s

Schleifscheibe:5SG100LVSds = 30 mm; vc = 40m/s

VerfahrenInnenrund-Umfangs-Querschleifen

25 µm

MPa

Fragen

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410

5. Welche Vorteile bietet die Anwendung von Emulsionen gegenüber nichtwas-sergemischten Kühlschmierstoffen?

6. Warum ist bei der Verwendung von Kühlschmieremulsionen die Messung des Refraktometerwertes notwendig, und was versteht man darunter?

7. Der Einsatz von Ölen ist in der Industrie mit erheblichem Aufwand verbunden. Nennen Sie Faktoren, die bei der Verwendung von Ölen zu beachten sind.

8. In welche Untergruppen werden die nichtwassergemischten Kühlschmierstoffe in der DIN 51520 eingeteilt?

9. Was versteht man unter EP-Additiven?10. Welche Aufgaben haben Konservierungsmittel als Additive für Kühlschmier-

stoffe, und was ist bei ihrer Zusetzung zu beachten?11. Warum trifft die in der Praxis oft zu beobachtende Kühlschmierstoffzuführung

nach der Maxime „viel hilft viel“ nicht zu?12. Welche Methoden zur Optimierung von Kühlschmierstoffzuführungen beim

Schleifen sind Ihnen bekannt?13. Nennen Sie Möglichkeiten zur Reduzierung des Kühlschmiermitteleinsatzes

und bewerten Sie diese im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Produktivität beim Schleifen.

14. Unter welchen Randbedingungen scheint eine Trockenbearbeitung beim Innen-rundschleifen möglich zu sein?

Literatur

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17 Kühlschmierung

Page 425: Spanen ||

413

Lösung der Aufgabe zu Kap. 3, Frage 9:a. Der Krümmungsradius des Spans beträgt:

Die Dehnung εr des gebogenen Spans ergibt sich zu

wobei die Spandicke h' = 0,158 mm aus der Spandickenstauchung

λh = h′

h mit den Beziehungen hh0

= sin φ und h′

h0= cos (φ − γ )berechnet

wird. Da die Bruchdehnung des Spans εb = 7,1 % beträgt, bricht der Span bei den ge-gebenen Bedingungen nicht.

b. Die Dehnung im Span muss größer als die Bruchdehnung sein. Dies ist durch die Vergrößerung der Spanungsdicke bzw. des Vorschubs zu erreichen.

Lösung der Aufgabe zu Kap. 4, Frage 26:Für die Lösung werden die Gl. 4.44, 4.49, 4.53, 4.54 und 4.55 benötigt.

Aus Abb. 4.14 folgt ρ = arctan µ = 11,3 und mit Gl. 4.44 φ = 36,4.Aus Gl. 4.49 und 4.53 folgt die Tangentialkraft ⇒ FTφ = 260,9 N.

Die Zerspankraft bestimmt mit Gl. 4.54 ⇒ Fz = 440,7 N.Die Schnittkraft ergibt sich aus Gl. 4.55 mit φ und Fz ⇒ Fc = 421,0 N.

εr =l

1=

h′ϕ

2(R0 − h′) · ϕ= 0, 05 = 5 %

h ≥2εb · R0

λh · (2εb + 1)= 0,143 mm

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

Kapitel 18Anhang

Page 426: Spanen ||

414

Lösung der Aufgabe zu Kap. 5, Frage 17:a) Aus dem Geschwindigkeitsplan (Abb. 2.12) des Scherebenenmodells folgt Gl.

2.10. Mit dem Additionstheorem ergibt sich λh zu

λh =cos γ

tan φ+ sin γ , daraus folgt: φ = arctan

[cos γ

λh − sin γ

]

Mit Gl. 5.12 lässt sich das Verhältnis kM ,HSC

kM ,konv.= 9,5 bestimmen.

b) Geschwindigkeitseinfluss: vc,HSC2

vc,konv.2 = 11,1

Scherwinkeleinfluss: cos2 (φkonv. − γ )

cos2 (φHSC − γ )= 0,85

Daraus lässt sich ableiten, dass der Einfluss des Scherwinkels gering gegenüber der Schnittgeschwindigkeitssteigerung ist.

c) Nach dem Fließkriterium von Tresca (Gl. 4.49) folgt:

Mit Gl. 5.3 lässt sich die spezifische Stoffumformenergie und mit Gl. 5.12 die spezifische Stoffumlenkungsenergie bestimmen. Daraus ergeben sich die folgen-den Verhältnisse:

d.h. der Anteil der Stoffumlenkungsenergie entspricht 5,5 % der Stoffumforme-nergie.

d.h. durch die HSC-Bearbeitung steigt der Anteil der Stoffumlenkungsenergie in Relation zur Stoffumformenergie auf 29,5 % an.

Lösung der Aufgabe zu Kap. 7, Aufg. 24:Die Taylorgleichung lautet: C = vc · T−(1/k)

Durch eine Optimierung der Stückzeit hinsichtlich einer zeitlich optimalen Standzeit ergibt sich die Gleichung:

⇒ φkonv. = 35,1

⇒ φHSC = 16,5.

τmax, konv. = 77,5 MPa und τmax, HSC = 73,5 MPa

kM ,konv.

kφ,konv.= 0,055;

kM ,HSC

kφ,HSC

= 0,295;

vcTopt = C · [twz (−k − 1)]1/k.

18 Anhang

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415

Die Bestimmung von k und C für VB = 0,2 mm (siehe Aufgabenstellung) ergibt:

Der Taylorexponent k ergibt sich aus der Steigung der Taylor-Geraden:

Aus der Taylorgleichung errechnet sich die Minutenschnittgeschwindigkeit:

Die zeitoptimale Schnittgeschwindigkeit ergibt sich somit zu:

vc1 = 14 m/min T14 = 110 min

vc2 = 35 m/min T35 = 11 min

k =log 110 − log 11

log 14 − log 35= −2,513.

C = vc1 · T−(1/k)

14 = 14m/min ·110−(1/−2,513) = 90,9 m/min

vcTopt = 90,9 m/min ·[6 · (2,513 − 1)]1/−2,513 = 37,8 m/min.

Anhang

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417

Allgemeine Literatur

Über die Technologie der spanenden Fertigungsverfahren gibt es ein breites Schrifttum. Einige umfassende Darstellungen, welche die zu diesem Buch gehörende Vorlesung begleiten können, sind hier aufgeführt. Spezielles Schrifttum zu einzelnen Abschnitten oder Quellennachweise sind jedem Kapitel angefügt.

[ALT00] Altintas, Y.: Manufacturing Automation. Metal Cutting Mechanics, Machine Tool Vibrat-ions, and CNC Design. Cambridge: Cambridge University Press, 2000.

[ARM69] Armarego, E. J. A.; Brown, R. H.: The Machining of metals. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall, 1969.

[DEG09] Degner, W.; Lutze, H.; Smejkal, E.: Spanende Formung. Theorie, Berechnung, Richt-werte. 16. Aufl., München: Hanser Verlag, 2009

[KLO05] Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren. Bd. 2: Schleifen, Honen, Läppen. 4. Aufl., Berlin: Springer Verlag, 2005

[KLO08] Klocke, F.; König, W.: Fertigungsverfahren. Bd. 1: Drehen, Fräsen, Bohren. 8. Aufl., Berlin: Springer Verlag, 2008

[SHA05] Shaw, M. C.: Metal cutting principles. 2nd Edition, Oxford: Oxford University Press, 2005

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

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Sachverzeichnis

B. Denkena, H. K. Tönshoff, Spanen, DOI 10.1007/978-3-642-19772-7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

BBahngeschwindigkeiten, 51Bahnsteuerung, 15Bainit, 161Bandschleifen, 261Bandspäne, 38Bankarbeit, 208Beim Spanen mit geometrisch bestimmten

Schneiden, 3Beschichtung, 176

CVD, 178PVD, 178

Beschleunigungsvermögen, 209Betriebsbeanspruchung, 235Bezugsgröße, 56Bindung, 270Bindungshärte, 272Bindungstege, 272Bindungsverschleiß, 294Blei, 44Bohren, 9, 74

Aufbohren, 10ins Volle, 10Senken, 10

Bohrlochmethode, 373Bohrmoment, 77Bornitrid, 231, 264, 268

kubisches, 193Bremszeiten, 206Bröckelspäne, 38Brüchigkeit, 265Bruchindex, 265Bruchzähigkeit, 231BY-Behandlung, 161

CCa-behandelter Stahl, 159CBN, 268

AAbrasion, 144, 294Abrichten, 302, 324Abrichtkosten, 311Abrichtzahnrad, 333Abrieb, 144Abschieferung, 138Absplittern, 294Abweichung,

stochastisch, 357systematisch, 357

Achskreuzungswinkel, 331Adaption, 342Additive, 394Adhäsion, 146adiabater Abfall, 204Aktivkraft, 52Aluminiumoxid, 158, 186, 264Anfangswirkrautiefe, 306Anfasen, 162Anlassgefüge, 301anodischen Abtrag, 310Anschliff, 12Anstiegswert, 56äquivalenter Radius, 282Arbeitsebene, 5, 281Arbeitseingriff, 281arithmetischer Mittenrauwert, 365ASI-Methode, 342Aufbauschneide, 24Aufbohren, 14Aufmaß, 224Ausbrechen, 294Ausfeuern, 218Ausgangsgrößen, 279, 294Ausgangsoperanden, 8Ausspitzen, 13

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420420

El-Magd, 72Emissionszahl, 98Entspänen, 9Ermüdungsrisse, 242Ernst und Merchant, 66Euler-Formulierung, 127Evolventenverzahnungen, 320

FFarbeindringprüfung, 375Federenergie, 89Feinbearbeitungsverfahren, 261Feinkornhartmetalle, 221Feinstkornhartmetalle, 231Ferrit, 156, 161Fertigungsverfahren, 1Festkörperkonvektion, 91Festwalzen, 245Finite Elemente (FEM), 125Finite-Elemente-Methode, 51, 110Flächenrate, 16Flachwendelspäne, 38Flexibilität, 2Fliehkräfte, 276Fließspanbildung, 21Fließspannung, 72Formabrichten, 302Formänderung,

bezogene, 31logarithmische, 31

Formänderungszustand, 263Formen, 1Formenvielfalt, 1Formflexibilität, 218Formfräsen, 15Formgebungsprinzipien, 2Fräsen, 15Freiflächenverschleiß, 135Freiwinkel, 6, 13friability, 265Fünf-Achsen-Fräsen, 16Funktionsverhalten, 239

GGefügeänderungen, 370Gefügeausbildung, 235Gefügeumwandlungen, 93Gegenlauf, 307Gegenlauffräsen, 17Gegenlaufschleifen, 283gemittelte Rautiefe, 296, 365Genetischer Algorithmus, 354Geräuschentwicklung, 319

Sachverzeichnis

Cermets, 183Chemische Stabilität, 171Computer Aided Design, 110Computer Aided Manufacturing, 109Constructive Solid Geometry, 118Crushieren, 307

DDauerfestigkeit, 243Dehnung, 31Dehnungen, 51Design of Experiments, 354Desoxidationsmittel, 158Dexel, 115Diaform, 303Diamant, 190, 264, 268

monokristallin, 191polyristallin, 191

Diamantprofilrolle, 330Diamantprofilrollen, 304Dichtfunktion, 244Diffusion, 146DIN 3761, 244DIN 8589, 4Diskretisierung,

Zeit, 110Drall, 244Drallwinkel, 11, 244Drangkraft, 62Druckeigenspannungen, 318Druckerweichen, 294

EEBSD-Verfahren, 375Eckenradius, 6Eigenfrequenzmessung, 275Eigenspannungen, 87, 93, 235, 371, 382Eigenspannungstiefenverlauf, 383Eigenspannungstiefenverläufe, 300Eindringtiefe, 289Eingangsoperanden, 8Eingriffsgröße, 6Eingriffsquerschnitt, 281Eingriffswinkel, 16Einmeißel-Verfahren, 96Einsatzhärten, 225Einstechverfahren, 218Einstellwinkel, 216Einstellwinkels, 54Einzahnfräser, 82Einzelkornspanungsdicke, 329Elektroerosion, 310ELID-Schleifen, 310

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421421

Geschwindigkeitsverhältnis, 283Gestaltenergieänderungshypothese, 71Gewichtungsfaktor, 347Gewindebohren, 15Gitterstörungen, 292Gleichlauf, 307Gleichlauffräsen, 17Gleichlaufschleifen, 283Gleitspanen, 261Gliederung, 3Graphitisierung, 269Grenzgeschwindigkeit, 201Grindo-Sonic, 275Grundgleichung der Leistungsbestimmung, 56Gummibindung, 272Gütefaktor, 295G-Verhältnis, 295

HHartbearbeitung, 213Hartbohren, 213, 221Hartdrehen, 213Härte, 167, 235Härteänderungen, 371Härteeigenspannungen, 238Härtemechanismus, 225Härteveränderungen, 93Hartfeinbearbeitung, 317Hartfräsen, 213, 222Hartglattwalzen, 245Hartmetalle, 175Harträumen, 213Hartreiben, 213Hartschaben, 213Hauptgruppe, 1Hauptgruppe der Fertigungsverfahren, 1Hauptschneide, 11, 74Haupttechnologie, 9Hauptwert, 56Hauptzeit, 311Heißbruch, 157Herstellkosten, 3Herstellkostenstruktur, 3Heuristische Lösungsmethode, 354Hochgeschwindigkeitsspanen, 201Hochlaufzeiten, 206Hochleistungsbohren, 209Hochleistungsspanen, 201Hochleistungszerspanung, 208Hohlkugelkorund, 267Hohlschaftkegel, 207Honen, 261HSC, 201

Hubschleifen, 261Hucks, 67hydrostatischer Druck, 74, 225

IInfrarotthermographie, 99Innenkühlschmierung, 9Integration, 342ISO 3002, 7ISO-Qualitäten, 235

JJohnson/Cook, 71

KKaltverfestigung, 377Kaltverschweißungen, 146Kammrisse, 147Kantenfestigkeit, 161Kantenradius, 6Katalysator, 269Kegelmantelschliff, 13Keilmessebene, 6, 21Keilwinkel, 6keramische Bindungen, 270Kerbverschleiß, 135Kernbohren, 14Kinematik, 66Kinetik, 66Klangprobe, 279Klassifizierung, 270Kohlenstoff, 43, 156Kolkmittenabstand, 138Kolktiefe, 138, 149Kolkverhältnis, 138, 149Kolkverschleiß, 138Kompensation, 237Komplettbearbeitung, 218Komplexitätskosten, 218Konditionieren, 301, 324

hochharter Schleifscheiben, 308Konservierungsmittel, 396Kontaktfläche, 228Kontaktlänge, 329

geometrische, 282kinematische, 283

Kontaktzonentemperatur, 291Konzentration, 286Koordinatensystem,

Werkzeug-, 111Kordinatensystem,

Werkzeug-, 111Korneindringtiefe, 290

Sachverzeichnis

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422422

Kornform, 270Korngröße, 270Kornverschleiß, 294Kornverteilung, 286Korund, 265Kräfte, 51Kräfte beim Fräsen, 79Kreuzanschliff, 14Kristallstruktur, 269Kriterien des Prozesses, 9Kühlen, 387Kühlschmierstoff, 387Kühlschmierstoffdüsen, 399Kühlschmierstoffe,

einphasige, 389emulgierbare, 392Hauptfunktionen, 387nichtwassermischbare, 389wasserlösliche, 394wassermischbare, 389Zusatzfunktionen, 388zweiphasige, 389

Kunstharzbindungen, 270

LLagrange’schen Formulierung, 126Lamellenspanbildung, 21Läppen, 261Leckageneigung, 245Leistung, 207Leistungen, 51Leistungen beim Fräsen, 79Leistungsverluste, 208Linienverfahren, 377

MMagnetpulververfahren, 375Mangansulfide, 157Martensit, 161Maschenanzahl, 270Maschinenkosten, 311maximale Rautiefe, 365mechanische Beanspruchung, 138Mengenleistung, 1, 9mesh, 270Messen, 356metallische Bindungen, 270Mikrokinematographie, 25mikrokristallinem Aufbau, 266Mikrotopographie, 280Mindestspanungsdicke, 218, 239Mineralöle, 391Minimalmengenschmierung, 397

Mischbindung, 333Mittenrauwert, 296Mittenspandicke, 16mittleren Spanungsdicke, 79Modell,

Constructive Solid Geometry, 118Dexel, 115Grenzflächen-, 112heuristisch, 344Höhenlinien-, 119informationstechnisches Daten-, 344, 345physikalisch/empirisch, 344Polyeder-, 116Prozess-, 343Verknüpfungs-, 112volumetrisch, 112Voxel, 114Werkstück, 112Werkzeug-, 120

Modelle, analytische, 51empirische, 51

Mohr´scher Spannungskreis, 226Molecular Dynamics, 110Molekulardynamische Modellierung, 129

NNachbehandlungsverfahren, 245Nachhaltigkeit, 1Neigungswinkel, 6Neuhärtungszonen, 297Nitrieren, 225Normalglühen, 46Normalverteilung,

logarithmische, 155

OOberfläche, 363, 364Oberflächen,

technische, 364Oberflächenausbildung, 9Oberflächenenergie, 88Oberflächengüten, 208Oberflächenkräfte, 63Oberflächenrauheit, 238Oberflächentopographie, 235Optimierungskriterien, 152Oxidation, 146Oxley, 73

PPassivkraft, 52, 62, 253PEK-Modell, 339, 349

Sachverzeichnis

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423423

Perlit, 156, 161Phosphor, 44, 158physikalischen Eigenschaften, 239Pittingbildung, 242Polfigur, 375Porenanteile, 267Präzisionsdrehmaschinen, 220, 235Pressschweißungen, 146Prioritätsfaktor, 347Probelauf, 279Produktivität, 1Profilabrichten, 303Profilfräsen, 15Profilieren, 302Profilrollen, 304Profilschleifen, 318, 322Profilschleifscheibe, 324Profilschleifverfahren, 320Profilschnitt, 367Prozess,

auslegung, 346führung, mehrstufig, 349kosten, 355überwachung, 356

Prozessgröße, 8Prozessgrößen, 279Prozesskette, 339Prozessketten,

auslegung, 339, 341gestaltung, 341, 351simulation, 341

Prozesssicherheit, 153PVD-Beschichtungen, 398

QQualität, 1Qualitative Positionierung, 352Qualitätsregelung, 357

in-Prozess, 358prozessnah, 358übergeordnet, 358

Quantitative Auslegung, 353Querschneide, 11, 74Querschneiden, 75Querschnittsfläche,

äquivalente, 125Quick-Stopp, 26

RRadialwellendichtring, 244Radiusverschleiß, 295Randeinflüsse, 54Randschichthärten, 225

Randzone, 363, 369Randzonenbeeinflussung, 25, 93, 239, 291Randzoneneigenschaften, 370Rauheit, 235

Messverfahren, 367Rauheitskenngrößen, 365Räumen, 251

Außen-, 251Innen-, 251

Räummaschine, Innen-, 256Zug-Druck-, 256

Raumwinkel, 106Rautiefe, 296Realzeit, 109Recycling, 219Regelkreis, 359Reibanteil, 88Reiben, 15Reibleistung,

kontaktflächenbezogene, 230Reibung, 58, 87Reibwert, 228Reinheitsgrad, 266Reinigen, 302Reißspanbildung, 21Rissbildung, 138, 147Risse, 375Röntgenverfahren, 372Rotbruch, 157Ruck, 209Rückwärtssimulation, 73

SSauerstoff, 157Schädigung, 318Schärfblock, 309Schärfen, 302Schärfstrahl, 310Schauminhibitoren, 396Scheibenkosten, 311Scherbändern, 204Scherebene, 66Scherebenenmodell, 29Scherleistung, 87Scherlokalisierungen, 204Scherspanbildung, 21Scherung, 31, 87Scherverformung, 33Scherwinkel, 34Scherwinkelbeziehung, 67Scherwinkels, 204Schleifbrand, 324

Sachverzeichnis

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424424

Schleifen, Werkzeug-, 124

Schleifkosten, 311Schleifschnecke, 326Schleifstoffe, 264Schleifverhältnis, 295Schleppschneiden, 222Schmelzenführung, 156Schmieren, 387Schmierwirkung, 157Schneideckenradius, 238Schneidengeometrie, 161Schneidengestalt, 161Schneidenpräparation, 162Schneidenraumtopographie, 306Schneidenverhältniss, 78Schneidkeil, 4Schneidkeramik, 185Schneidstoffe, 167, 231

Anforderungen, 167Schnellarbeitsstähle, 171Schnellhubschleifen, 284Schnittbewegung, 4Schnitteingriff, 281Schnittenergie,

spezifische, 254Schnittgeschwindigkeit, 5, 46, 57, 150, 332Schnittgrößen, 54Schnittkraft, 52, 253Schnittnormalkraft, 253Schnittstelle, technologische, 340Schnitttiefe, 46Schnittunterbrechung, 25Schrägverzahnungen, 322Schraubfräsen, 15Schubspannungshypothese, 70Schutzwirkung, 157Schwefel, 44, 157Schwingfestigkeit, 242Sedimentation, 270Seebeck-Effekt, 95Segmentierung, 204Seitenstaffelung, 254Selbstschärfung, 266, 301Senken, 14Sicherheitsanforderungen, 279Sicherheitseinrichtungen, 206Sichtprüfung, 279Silikateinschlüsse, 157Silizium, 157Siliziumkarbid, 264, 268Siliziumnitrid, 188Siliziumoxid, 158

Simulation, 109kinematische, 109Zerspankräfte, 123

Simulationszeit, 109Sol-Gel-Prozess, 266Sonderanschliff, 13Spanbildungszone, 8Spandickenstauchung, 31Spanen mit geometrisch unbestimmten

Schneiden, 4Spanentstehung, 24Spanflächentemperatur, 105Spanform, 9, 37Spanformklassen, 38Spanformung, 38Spanleitstufe, 40Spanleitung, 39Spanntechnik, 206Spannungen, 51Spannuten, 11Spanraumfaktor, 254Spanraumzahl, 37Spanstauchung, 31Spanungsbreite, 54, 254Spanungsdick, 262Spanungsdicke, 54, 254, 290

äquivalente, 285mittlere, 285

Spanungsgröße, 7Spanungsgrößen, 54Spanungsquerschnitt, 6, 53Spanwinkel, 6, 47, 57, 216Spanwurzel, 25spezifische Schnittkraft, 53Spindelhochlaufzeit, 209Spiralbohrer, 10, 74Spiralspanstücke, 38Spitzenwinkel, 11Sprengdrehzahl, 278Sprengsicherheit, 276Standzeit, 148Standzeitkriterien, 148Standzeitschwankungen, 154Standzeitstreuung, 153Standzeitzuverlässigkeit, 150Stauchung, 31Stellgröße, 8Stellgrößen, 8, 279Stellite, 174Stirnfräsen, 15Stoffgesetz, 70Stoffgesetze, 71Stoffkreislauf, 219

Sachverzeichnis

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Stofftrennung, 87, 88Stoffumlenkung, 87, 88Stoffumwandlung, 97Strahlspanen, 261Streckenenergie, 298Streckungsgrad, 267Streuband, 150Substitution, 342Sulfide, 157Systemgröße, 8Systemgrößen, 279

TTaylor- Geraden, 150Temperaturen, 51, 207Temperaturfeld, 102Temperaturleitfähigkeit, 144Temperaturmessverfahren, 93Temperaturverteilung, 100Textur, 374theoretische Rautiefe, 368thermische Beanspruchung, 141thermischen Stabilität, 269Thermistoren, 94Thermoelemente, 95Thermospannung, 97Tiefenstaffelung, 254Tiefschleifen, 283Titancarbonitrid, 253Titannitrid, 253Traganteilkennwert, 296Trennkriterium, 127Tribochemischer Verschleiß, 146Trockenbearbeitung, 237

UÜberdeckungsgrad, 305, 325Übergabegröße, 340Ultraschallverfahren, 375Umfangsfräsen, 15Umfangs-Stirnfräsen, 15Umformung, 87, 156Ungleichförmigkeit, 80

VVerfahrensgrenzen, 208Verformung, 24

plastische, 377Verformungswinkel, 33Vergleichsformänderung, 35Vergüten, 46, 225Verrunden, 162Verschiebungen, 51

Verschleiß, 9, 135Verschleißarten, 135Verschleißformen, 135Verschleißmarkenbreite, 135Verschleißursachen, 135Versetzungsenergien, 292Verzahnungshonen, 331Verzahnungsschleifen, 318Verzugsgefahr, 224Vollhartmetallbohrer, 221Volumenkonstanz, 30Volumenmodell, 112Volumenrate, 6, 16Vorschub, 46Vorschub je Schneide, 10Vorschubbewegung, 4Vorschubgeschwindigkeit, 5Vorschubkraft, 52, 61, 78Vorschubrichtungswinkel, 5Voxel, 114

WWälzfestigkeit, 242Wälzfräsen, 15Wälzkontakt, 242Wälzschleifen, 326Wälzschleifverfahren, 320Wandreibung, 222Wärmebehandlung, 44, 156, 161Wärmeeindringkoeffizienten, 105Wärmeeinwirkzeit, 298Wärmekapazität, 144Wärmeleitfähigkeit, 91, 144Wärmeleitung, 93Wärmequelle, 91Wärmespannungen, 147Wärmestrahlung, 93Wärmestrom, 293Wärmestromaufteilung, 91Wärmestromdichte, 105Warmhärte, 167Wasserstrahlen, 245, 247Wechselbiegung, 243Weichglühen, 46Weichhaut, 297weiße Schicht, 242Wendelspanstücke, 38Werkstoffe,

kurzspanende, 43langspanende, 43

Werkstoffzusammensetzung, 156Werkstückerwärmung, 237Werkstückschädigung, 299

Sachverzeichnis

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Werkzeugstähle, 171Werkzeugteilung, 254Werkzeugverschleiß, 240Widerstandsmessung, 93Wien’sches Gesetz, 98Wirbelstromverfahren, 376Wirkgeschwindigkeit, 5Wirkgröße, 8Wirkpartner, 4Wirkrautiefe, 306Wirkrichtung, 5Wirkrichtungswinkel, 5wirksamer Radius, 77Wirrspäne, 38

ZZähigkeit, 168Zahnrad, 317Zeitspanfläche, 16

Zeitspanvolumen, 6, 16, 206, 280, 323, 328äußeres, 284bezogenes, 284inneres, 284

Zementit, 156, 161Zentrierbohren, 14Zerpankraft,

Komponenten, 253Zerspanbarkeit, 156Zerspankraft, 9, 52, 253Zerspankraftkomponenten, 207Zielbaumverfahren, 347Zielfunktion, 347Zielgröße, 346Zirkonoxid, 186Zirkularfräsen, 208Zugfestigkeit, 203Zusetzungen, 280Zweimeißel-Verfahren, 97

Sachverzeichnis