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Münster und die Eisenbahn – zur Geschichte der Vorortbahnhöfe im Überblick 214 Geographische Kommission für Westfalen Die Geschichte der Vorortbahnhöfe in Münster ist eine wechselvolle: Eine Geschichte, die mit viel privatem, wirtschaftlichem und kommunalem Engagement zusammenhängt, eine Geschichte, die von einem Auf und Ab geprägt ist, eine Geschichte, in der Stadt- und Verkehrsentwicklung, aber auch Erreichbarkeit und Wirtschaftlich- keit eine Rolle spielen, eine Geschichte, die gerade wieder Zukunft schreibt und natürlich eine Geschichte, in der alles Neue zu allererst auch mit Vorsicht, vielleicht auch Skepsis, sicherlich aber auch mit Angst vor Veränderungen be- urteilt wird. Die Entstehung und Lebensge- schichte der Bahnhöfe und Haltepunkte in und rundum Münster sind zeitlich geprägt durch die Entwicklung des Eisenbahnnetzes im Münsterland und der Fernverbindungen von Wirtschafts- räumen. Hierzu ist es wichtig zu wissen, dass zunächst bis ca. 1890 Eisenbahnen fast ausschließlich nach wirtschaftli- chen Gesichtspunkten geplant und nur dort entlang geführt wurden, wo die Geldgeber Personen- und Güterverkehr in großem Umfang erwarten und eine wirtschaftliche Rendite erhoffen konn- ten. Das hatte zur Folge, dass stets auf direkte und damit kürzeste Streckenfüh- rung unter Ausnutzung der topografi- schen Möglichkeiten geachtet wurde. Dörfer wurden nur dann berücksichtigt, wenn dieses ohne großen Aufwand und Umweg geschehen konnte. Die Geschichte der Vorortbahnhöfe Ein entscheidender Faktor im Bahn- und Bahnhofsbau ist, dass Bahnlinien und Bahnhöfe den Anliegergemeinden nie geschenkt wurden. Antragsteller und Anliegergemeinden haben sich überall mit Geldmitteln am Bahnhofs- und Streckenbau beteiligen müssen. Die treibende Kraft waren stets Geschäfts- leute und Gutsbesitzer. Zwar hat sich in Münster die Stadtregierung dem Eisen- bahnbau nicht verschlossen, doch sie konnte keine Geldzusagen machen, und so waren es vielfach private Sponsoren, die den Bahnhofs- und Bahnlinienbau ermöglichten. Diese Tatsache bedingt auch, dass nur wenige Vorortbahnhöfe gleichzeitig mit der Streckenfreigabe eröffnet wurden (Abb.1). Mit Ausnahme des Bahnhofes Hil- trup, eröffnet im Jahr 1868, sind die Vorortbahnhöfe Münsters überwiegend zwischen 1875 und 1910 entstanden. Ihre Hochblüte erlebten sie bis in die 1960er Jahre hinein. Dann verdrängte das Auto in der Beliebtheitsskala der Fortbewegungsmittel die Eisenbahn, das Bahnfahren verlor an Popularität. Und mit dem Bahnsterben in den 1970er und 1980er Jahren fielen auch die Bahn- höfe und Bahnhaltepunkte in einen Dornröschenschlaf. Die ehemalige Bun- desbahndirektion Essen kündigte die Schließung unrentabler Bahnhöfe an, wobei die Entscheidungsschwelle bei 15 bis 30 Reisenden pro Tag lag. Das bedeutete in Folge das Aus für Mecklen- beck 1982, Kinderhaus 1989, Handorf 1988, Roxel 1982, sowie die Bahnhöfe der „Westfälischen Landes-Eisenbahn“ (WLE) im Jahr 1975 mit der Stillegung der Strecke (Abb. 1). Mauritz 1957 und Geist 1966 sind damit bereits vor der Stillegungswelle vom Eisenbahnnetz abgekoppelt worden. In den 1990er Jahren änderte sich die Verkehrspolitik. Der verstärkte Umweltgedanke brachte die Eisenbahn als umweltfreundliches Verkehrsmittel wieder in den Fokus der Betrachtung. Doch nun zeigte sich der Nachholbe- darf. Die Bahnanlagen und Bahnhofsge- bäude waren marode und nicht auf neuestem Stand, eine Verknüpfung zu anderen Verkehrsmitteln, wie Bus, Auto oder Fahrrad fehlte. Neue Programme, wie das Bus-Schiene-Programm oder das 100 Bahnhöfe-Programm NRW ver- sprachen Besserung. Es wurden Be- standserhebungen gemacht und Maß- nahmenlisten erstellt. Die Regionalisie- rung Mitte der 1990er Jahre und die Aufstellung der Nahverkehrspläne, ins- besondere des Schienenpersonennah- verkehrsplanes Münsterland brachten schließlich den lang erhofften Auftrieb. Taktverdichtung, Fahrzeitverkürzung, neues Zugmaterial, moderne Fahrgast- informationssysteme und die fahrplan- mäßige Verknüpfung von Bus und Bahn machten das Bahnfahren wieder attrak- tiv und brachten auch den Bahnhöfen eine neue Position im Schienen- verkehrssystem, wenn auch nicht mehr mit dem Anspruch an Raum und Aus- stattung wie zu Beginn der Ära. So kam es nicht nur zu Reaktivierungsplanun- gen, wie zum Beispiel für Mecklenbeck, Roxel und die WLE-Bahnhöfe, letztere im Zuge der Reaktivierungsplanung für die gesamte Strecke, sondern sogar zu einer Neueröffnung. Im Jahr 1995 wur- de der Haltepunkt Zentrum Nord, an den Strecken Münster – Rheine und Münster – Gronau – Enschede gelegen, mit „großem Bahnhof“ eröffnet. Ge- stützt wurden diese verkehrspolitischen Bestrebungen und Pläne auch durch die Siedlungspolitik der 1990er Jahre, die eine Ausweisung von Siedlungsflächen primär an SPNV/ÖPNV-Haltepunkten vorsah. Nach diesem Gesamtüberblick sol- len im folgendem Beitrag zwei recht unterschiedliche Bahnhöfe im Stadtge- biet Münster in ihrer Lebensgeschichte etwas näher vorgestellt werden. HELGA KREFT -KETTERMANN Gebiet und Identität Naturraum Bevölkerung Siedlung Wirtschaft und Verkehr Bildung und Kultur Gesellschaft und Politik Stand: 2007

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Page 1: Stand: 20 Münster und die Eisenbahn – zur Geschichte der ... · Dornröschenschlaf. Die ehemalige Bun-desbahndirektion Essen kündigte die Schließung unrentabler Bahnhöfe an,

Münster und die Eisenbahn –zur Geschichte der Vorortbahnhöfe im Überblick

214 Geographische Kommission für Westfalen

Die Geschichte der Vorortbahnhöfe inMünster ist eine wechselvolle:Eine Geschichte, die mit viel privatem,wirtschaftlichem und kommunalemEngagement zusammenhängt, eineGeschichte, die von einem Auf und Abgeprägt ist, eine Geschichte, in derStadt- und Verkehrsentwicklung, aberauch Erreichbarkeit und Wirtschaftlich-keit eine Rolle spielen, eine Geschichte,die gerade wieder Zukunft schreibt undnatürlich eine Geschichte, in der allesNeue zu allererst auch mit Vorsicht,vielleicht auch Skepsis, sicherlich aberauch mit Angst vor Veränderungen be-urteilt wird.

Die Entstehung und Lebensge-schichte der Bahnhöfe und Haltepunktein und rundum Münster sind zeitlichgeprägt durch die Entwicklung desEisenbahnnetzes im Münsterland undder Fernverbindungen von Wirtschafts-räumen. Hierzu ist es wichtig zu wissen,dass zunächst bis ca. 1890 Eisenbahnenfast ausschließlich nach wirtschaftli-chen Gesichtspunkten geplant und nurdort entlang geführt wurden, wo dieGeldgeber Personen- und Güterverkehrin großem Umfang erwarten und einewirtschaftliche Rendite erhoffen konn-ten. Das hatte zur Folge, dass stets aufdirekte und damit kürzeste Streckenfüh-rung unter Ausnutzung der topografi-schen Möglichkeiten geachtet wurde.Dörfer wurden nur dann berücksichtigt,wenn dieses ohne großen Aufwand undUmweg geschehen konnte.

Die Geschichte der VorortbahnhöfeEin entscheidender Faktor im Bahn- undBahnhofsbau ist, dass Bahnlinien undBahnhöfe den Anliegergemeinden niegeschenkt wurden. Antragsteller undAnliegergemeinden haben sich überallmit Geldmitteln am Bahnhofs- undStreckenbau beteiligen müssen. Die

treibende Kraft waren stets Geschäfts-leute und Gutsbesitzer. Zwar hat sich inMünster die Stadtregierung dem Eisen-bahnbau nicht verschlossen, doch siekonnte keine Geldzusagen machen, undso waren es vielfach private Sponsoren,die den Bahnhofs- und Bahnlinienbauermöglichten. Diese Tatsache bedingtauch, dass nur wenige Vorortbahnhöfegleichzeitig mit der Streckenfreigabeeröffnet wurden (Abb.1).

Mit Ausnahme des Bahnhofes Hil-trup, eröffnet im Jahr 1868, sind dieVorortbahnhöfe Münsters überwiegendzwischen 1875 und 1910 entstanden.Ihre Hochblüte erlebten sie bis in die1960er Jahre hinein. Dann verdrängtedas Auto in der Beliebtheitsskala derFortbewegungsmittel die Eisenbahn,das Bahnfahren verlor an Popularität.Und mit dem Bahnsterben in den 1970erund 1980er Jahren fielen auch die Bahn-höfe und Bahnhaltepunkte in einenDornröschenschlaf. Die ehemalige Bun-desbahndirektion Essen kündigte dieSchließung unrentabler Bahnhöfe an,wobei die Entscheidungsschwelle bei15 bis 30 Reisenden pro Tag lag. Dasbedeutete in Folge das Aus für Mecklen-beck 1982, Kinderhaus 1989, Handorf1988, Roxel 1982, sowie die Bahnhöfeder „Westfälischen Landes-Eisenbahn“(WLE) im Jahr 1975 mit der Stillegungder Strecke (Abb. 1). Mauritz 1957 undGeist 1966 sind damit bereits vor derStillegungswelle vom Eisenbahnnetzabgekoppelt worden.

In den 1990er Jahren änderte sichdie Verkehrspolitik. Der verstärkteUmweltgedanke brachte die Eisenbahnals umweltfreundliches Verkehrsmittelwieder in den Fokus der Betrachtung.Doch nun zeigte sich der Nachholbe-darf. Die Bahnanlagen und Bahnhofsge-bäude waren marode und nicht aufneuestem Stand, eine Verknüpfung zu

anderen Verkehrsmitteln, wie Bus, Autooder Fahrrad fehlte. Neue Programme,wie das Bus-Schiene-Programm oderdas 100 Bahnhöfe-Programm NRW ver-sprachen Besserung. Es wurden Be-standserhebungen gemacht und Maß-nahmenlisten erstellt. Die Regionalisie-rung Mitte der 1990er Jahre und dieAufstellung der Nahverkehrspläne, ins-besondere des Schienenpersonennah-verkehrsplanes Münsterland brachtenschließlich den lang erhofften Auftrieb.Taktverdichtung, Fahrzeitverkürzung,neues Zugmaterial, moderne Fahrgast-informationssysteme und die fahrplan-mäßige Verknüpfung von Bus und Bahnmachten das Bahnfahren wieder attrak-tiv und brachten auch den Bahnhöfeneine neue Position im Schienen-verkehrssystem, wenn auch nicht mehrmit dem Anspruch an Raum und Aus-stattung wie zu Beginn der Ära. So kames nicht nur zu Reaktivierungsplanun-gen, wie zum Beispiel für Mecklenbeck,Roxel und die WLE-Bahnhöfe, letztereim Zuge der Reaktivierungsplanung fürdie gesamte Strecke, sondern sogar zueiner Neueröffnung. Im Jahr 1995 wur-de der Haltepunkt Zentrum Nord, anden Strecken Münster – Rheine undMünster – Gronau – Enschede gelegen,mit „großem Bahnhof“ eröffnet. Ge-stützt wurden diese verkehrspolitischenBestrebungen und Pläne auch durch dieSiedlungspolitik der 1990er Jahre, dieeine Ausweisung von Siedlungsflächenprimär an SPNV/ÖPNV-Haltepunktenvorsah.

Nach diesem Gesamtüberblick sol-len im folgendem Beitrag zwei rechtunterschiedliche Bahnhöfe im Stadtge-biet Münster in ihrer Lebensgeschichteetwas näher vorgestellt werden.

HELGA KREFT-KETTERMANN

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Stand: 2007

Page 2: Stand: 20 Münster und die Eisenbahn – zur Geschichte der ... · Dornröschenschlaf. Die ehemalige Bun-desbahndirektion Essen kündigte die Schließung unrentabler Bahnhöfe an,

Münster: Geschichte der Vorortbahnhöfe

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Abb. 1: Entwicklung der Vorortbahnhöfe in der Stadt Münster(Entwurf und Quelle: Stadt Münster, Amt für Stadtentwicklung, Stadtplanung, Verkehrsplanung)

WLE-Strecke

Entwicklung der Vorort-bahnhöfe in derStadt Münster

Entwurf und Quelle:Stadt Münster, Amt für Stadtent-wicklung, Stadtplanung, Verkehrs-planung

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