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P.b.b. 02Z031106M, Verlagsort: 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A/21 Preis: EUR 10,– Hypertonie Journal für Austrian Journal of Hypertension Österreichische Zeitschrift für Hochdruckerkrankungen Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz Indexed in EMBASE/Scopus www.hochdruckliga.at Hypertensiologie Österreichische Gesellschaft für Offizielles Organ der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie Homepage: www.kup.at/hypertonie Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche Neue Formen der Selbstbestimmung Kletecka-Pulker M Journal für Hypertonie - Austrian Journal of Hypertension 2010; 14 (4), 12-20

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  • P.b.b. 02Z031106M, Verlagsort : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A/21 Preis: EUR 10,–

    HypertonieJournal für

    Austrian Journal of HypertensionÖsterreichische Zeitschrift für Hochdruckerkrankungen

    Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz

    Indexed in EMBASE/Scopus

    www.hochdruckliga.atHypertensiologie

    Österreichische Gesellschaft für

    Offizielles Organ der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie

    Homepage:

    www.kup.at/hypertonie

    Online-Datenbank mit Autoren-

    und Stichwortsuche

    Neue Formen der Selbstbestimmung

    Kletecka-Pulker M

    Journal für Hypertonie - Austrian

    Journal of Hypertension 2010; 14

    (4), 12-20

    https://www.kup.at/hypertonie

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  • 12 J HYPERTON 2010; 14 (4)

    Neue Formen der Selbstbestimmung

    Neue Formen der SelbstbestimmungM. Kletecvka-Pulker

    Kurzfassung: Eine medizinische Maßnahmedarf grundsätzlich nur mit wirksamer Zustim-mung des einsichts- und urteilsfähigen Patien-ten vorgenommen werden. In diesem Zusam-menhang war jahrzehntelang unklar, ob antizi-pierte Erklärungen wirksam sind. Dies hat derGesetzgeber mit den Regelungen über Patien-tenverfügung, Vorsorgevollmacht und Vertre-tung nächster Angehöriger klargestellt. Wieeine Studie des Instituts für Ethik und Recht inder Medizin der Universität Wien1 zeigt, machensich Patienten zunehmend darüber Gedanken,wer bzw. wie zu entscheiden ist, wenn sie selbstnicht mehr ansprechbar sind. Dieser Beitrag gibteinen Überblick über die Regelungen im Hinblickauf die Selbstbestimmung von erwachsenenPatienten und geht auf einige ausgewählteRechtsfragen ein, die vor allem in der Praxisimmer wieder auftreten. Darüber hinaus be-schäftigt sich der Beitrag mit der Frage, inwie-weit Angehörige eines Gesundheitsberufes(Ärzte, diplomierte Pflegepersonen u. a.) ver-pflichtet sind, einen Patienten zu behandelnoder ob auch sie das Recht haben, eine Behand-lung abzulehnen.

    Schlüsselwörter: Einsichtsfähigkeit, Urteilsfähig-keit, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Ver-tretungsbefugnis nächster Angehöriger

    Abstract: New Forms of Self-Determin-ation. Regulations get more important in thedoctor-patient relationship. There are some fed-eral acts regulating forms of self-determination.One of these very important acts is the „Patien-tenverfügungs-Gesetz“ (PatVG), which regulatesthe conditions and effectiveness of living wills.A living will is a declaration of will with which apatient refuses certain medical treatment incase that he is no longer able to understand thesituation, make a judgement, or to express him-self. In contrast to the non-anticipatory rejectionof treatment, the legislator demands in the caseof anticipatory rejection the fulfilment of certainconditions. The patient also has the possibilityof appointing a proxy decision-maker. A healthcare power-of-attorney is a power-of-attorneywhich becomes effective when the principalloses the required legal capacity to comprehendor judge or express himself in the matters whichbecome subject of a proxy. The power-of-attor-ney can also include consent to medical treat-ment. If a patient is no longer able to compre-hend and/or able to make a judgement and has aproxy decision-maker (the confirmation of theregistration of the validity of the health carepower-of-attorney in the Austrian Central Regis-ter of Representatives has to be submitted), thisproxy has to act according to the will of the prin-

    cipal (patient) and to allow or reject medicaltreatment. At least a new feature of the Law isthe regulation concerning the possibility of rep-resentation by close relatives. The close relativecan now give his or her consent to medical treat-ment to the extent that this usually does notlead to a serious or lasting detriment to thephysical integrity or personality of the patientand the represented person lacks the requiredability to comprehend and make a judgement.There are no limits of patient autonomy in deny-ing medical treatment, excepting those treat-ments that are imposed by special legislation.On the other hand, health care professionals alsohave the right in some cases to refuse treat-ment. J Hyperton 2010; 14 (4): 12–20.

    Key words: informed consent, living-will, proxydecisionmaker

    Aktuelle Einwilligung von einsichts- undurteilsfähigen erwachsenen Patienten

    Keine Behandlung ohne EinwilligungWer einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auchnach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt,macht sich nach § 110 StGB strafbar. Lediglich wenn Gefahrim Verzug vorliegt, kann die Einwilligung entfallen. DasSelbstbestimmungsrecht des Patienten wird aber nicht nurstrafrechtlich, sondern auch zivilrechtlich geschützt2. Die

    Eingelangt am 8. Mai 2009; angenommen nach Revision am 3. August 2009

    Aus dem Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität WienKorrespondenzadresse: Mag. Dr. iur. Maria Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker, Institut für Ethikund Recht in der Medizin, Universität Wien, A-1090 Wien, Spitalgasse 2,E-Mail: [email protected]

    1 Die Studie über die rechtlichen, ethischen und faktischen Erfahrun-gen nach Inkrafttreten des Patientenverfügungs-Gesetzes (PatVG) istunter http://www.univie.ac.at/ierm/index.php?page=studien abrufbar.2 Vgl. dazu auch Barth, Medizinische Maßnahmen bei Personen un-ter Sachwalterschaft, ÖJZ 2000, 58; Kopetzki, Zivilrechtliche Rege-lungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Le-bens, Landesbericht Österreich. In: Taupitz J (Hrsg). ZivilrechtlicheRegelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende desLebens, Heidelberg 2000, (1–63) 3; Schick, Die Einwilligungsfähig-keit aus strafrechtlicher Sicht. In: Kopetzki (Hrsg). Einwilligungund Einwilligungsfähigkeit, Wien 2002, (54–77) 76; Bernat, Gren-zen der ärztlichen Behandlungspflicht bei einwilligungsunfähigenPatienten, JBl 2009, (129–132) 129.

    zivilrechtliche Absicherung des Selbstbestimmungsrechts er-folgt allerdings unmittelbar über das absolut geschützteRechtsgut der körperlichen Integrität. Nach h. A. stellt näm-lich ein invasiver Eingriff trotz medizinischer Indikation eineKörperverletzung dar (Körperverletzungsdoktrin), die nurdurch die Einwilligung gerechtfertigt wird3. Darüber hinausenthalten zahlreiche verwaltungsrechtliche BestimmungenRegelungen über die Einwilligung in medizinische Behand-lungen4. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist auchin Art. 17 der Patientencharta festgeschrieben5.

    Eine medizinische Maßnahme, auch wenn sie lege artisdurchgeführt wurde, ist ohne Einwilligung oder gegen denWillen des Patienten grundsätzlich rechtswidrig. Ist der Pati-ent einsichts- und urteilsfähig, entscheidet er über die Zu-lässigkeit einer medizinischen Behandlung. Es ist nicht erfor-derlich, dass der Patient Gründe für die Ablehnung angibt. Erkann auch lebensnotwendige Maßnahmen verweigern. Diesbedeutet im Ergebnis, dass der Patient ein uneingeschränktes

    3 Kletec∨∨∨∨∨ka, Einwilligung. In: Aigner/Kletec∨∨∨∨∨ka/Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker/Memmer (Hrsg). Handbuch Medizinrecht in der Praxis, Kap. I,Wien 2008 (131–154) 134.4 § 8 Abs. 3 KAKuG.5 Die Patientencharta gewährt dem Patienten aber kein subjektivesRecht, sondern es handelt sich dabei um einen Gliedstaatenvertragnach Art. 15a B-VG und stellt daher lediglich eine Vereinbarungzwischen dem Bund und dem einzelnen Bundesland dar.

    For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.

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    Vetorecht hat6. Dieses Selbstbestimmungsrecht umfasst nichtnur die Entscheidung über medizinische Behandlungen imengeren Sinn, sondern auch die Entscheidung über einelebenserhaltende „Basisversorgung“ einschließlich der künst-lichen Ernährung7. Die Bestimmungen zur Selbstbestimmungim medizinischen Bereich zeigen ganz deutlich, dass der Ge-setzgeber dem Patientenselbstbestimmungsrecht den Vorrangzugunsten einer möglichen Fürsorgepflicht eingeräumt hat8.Ist der Patient aktuell einsichts- und urteilsfähig, so bedarf dieBehandlung jedenfalls seiner höchstpersönlichen Einwilli-gung bzw. Ablehnung („Nichteinwilligung“)9.

    Behandlung im NotfallLediglich in medizinischen Notfallsituationen kann einelebensrettende Maßnahme ohne Willen des Patienten erfolgen.Dies ist aber auch nur dann zulässig, wenn nicht genügend Zeitist, um einen möglichen gesetzlichen Vertreter des Patienten zukontaktieren bzw. einen gesetzlichen Vertreter zu beantragen.

    Hat der Patient allerdings bereits rechtswirksam die Behand-lung verweigert, darf auch in einer lebensbedrohlichen Situa-tion nicht gegen den Willen des Patienten behandelt werden.Die antizipierte Weigerung kann in unterschiedlicher Formvorliegen. Einerseits kann es sein, dass der Patient vielleichtkurz vor der lebensbedrohlichen Situation bereits eine aktuel-le Ablehnung ausgesprochen hat. Andererseits kann es auchvorkommen, dass der Patient die gesetzlichen Möglichkeitengenutzt hat, um eine antizipierte Behandlungsablehnung fest-zulegen, z. B. in Form einer verbindlichen Patientenverfü-gung oder eines Vorsorgebevollmächtigten.

    Beurteilung der Einsichts- und UrteilsfähigkeitVoraussetzungen dafür, dass eine medizinische Maßnahmedurchgeführt werden darf, sind, dass die medizinische Maß-nahme medizinisch indiziert ist und der einsichts- und urteils-fähige Patient eingewilligt hat. Die Einsichts- und Urteilsfä-higkeit ist dann gegeben, wenn der Patient Grund und Bedeu-tung einer Behandlung einsehen und nach dieser Einsicht sei-nen Willen bestimmen kann10. Sie setzt sich also aus einemkognitiven und einem volitiven Element zusammen, die beidegegeben sein müssen, um die Einwilligungsfähigkeit bejahenzu können. Klarerweise hängt die Beurteilung von den Um-ständen des Einzelfalls ab, zu denen auch z. B. die Schweredes Eingriffs zählt. Bei geringfügigen Eingriffen ist daher dieEinsichts- und Urteilsfähigkeit eher zu bejahen als bei schwer-wiegenden. Die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ob-liegt zunächst dem behandelnden Arzt.

    Medizinische BehandlungDie zentralen Bestimmungen die Einwilligung betreffendknüpfen an den Begriff der „medizinischen Behandlung“11 an.

    Der Begriff der medizinischen Behandlung schließt an denweiten Behandlungsbegriff des § 110 StGB an12. Die Rege-lungen erstrecken sich daher auf die gesamten ärztlichen Tä-tigkeiten, d. h. neben der Heilbehandlung im engeren Sinneauch alle Maßnahmen zur Feststellung oder Verhütung sowieder Schmerzlinderung ohne therapeutische Wirkung. Gegen-stand der Behandlung können nicht nur Krankheiten im enge-ren Sinn, sondern auch Leiden sein13. Erfasst sind aber auchjene medizinischen Maßnahmen, die mangels medizinischerIndikation keine Heilbehandlungen sind, die aber ebenso miteinem Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten ver-bunden sind und vom Arzt vorgenommen oder angeordnetwerden müssen, etwa kosmetische Operationen, Transplanta-tionen und Transfusionen. Nicht unter medizinische Maßnah-men fallen aber therapeutische Maßnahmen von Angehörigenanderer Gesundheitsberufe (z. B. Psychotherapeuten)14. Einemedizinische Behandlung stellt jedenfalls auch die so genann-te „PEG-Sonde“ dar und kann daher unmittelbar oder auchmithilfe einer Patientenverfügung abgelehnt werden15.

    Unterscheidung zwischen einfacher undschwerwiegender BehandlungEine der schwierigsten Fragen in der Praxis ist jene nach derQualifikation der Schwere der Behandlung. Diese Unterschei-dung ist von bedeutender rechtlicher Relevanz. Es stellt sichdaher immer die Frage, wann eine einfache Behandlung undwann eine Behandlung vorliegt, die gewöhnlich mit einerschweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperli-chen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist16.Entscheidend dabei ist, ob es sich um eine gewöhnlich eintre-tende Beeinträchtigung handelt oder ob die Maßnahme regel-mäßig, üblicherweise mit schweren oder (alternativ) nachhal-tigen Beeinträchtigungen verbunden ist. Dabei bleiben aberatypische Risiken und Verläufe, auch wenn sie in einer gewis-sen, jedoch geringen Anzahl der Fälle auftreten, außer Be-tracht.

    Eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Versehrtheitliegt vor, wenn die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 StGB –Gefahr einer schweren Körperverletzung oder Gesundheits-schädigung – erfüllt sind. So stellt der Eingriff entweder einean sich schwere Beeinträchtigung dar17 oder er zieht eine 24Tage übersteigende Gesundheitsschädigung bzw. Berufsun-fähigkeit nach sich18. Eine nachhaltige Beeinträchtigung istimmer dann gegeben, wenn die Auswirkungen der Behand-lungen überhaupt nicht oder nur sehr schwer beseitigt werden

    6 Siehe dazu ausführlich Kopetzki, Einleitung und Abbruch der me-dizinischen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten,iFamZ 2007 (197–204) 197; Bernat, Grenzen der ärztlichen Behand-lungspflicht bei einwilligungsunfähigen Patienten, JBl 2009, 129.7 Siehe dazu näher Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 198; Schick, a.a.O. (FN 2),S. 76; Schmoller, Lebensschutz bis zum Ende? ÖJZ 2000, S. 373.8 Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 198.9 Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 198.10 RV 1299 BlgNr 22. GP 5; siehe auch A. Kletec∨∨∨∨∨ka, a.a.O. (FN 3),S. 136.11 § 146c ABGB, § 283 ABGB, § 284 h ABGB, § 2 PatVG.

    12 RV 296 BlgNR 21. GB (KindRÄG 2001) 19 und 54.13 Vgl. dazu auch Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker, Grundzüge und Zielsetzungendes Patientenverfügungs-Gesetzes, in: Körtner/Kopetzki/Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker (Hrsg). Das österreichische Patientenverfügungsgesetz (2007)81.14 RV 296 BlgNR 21. GB (KindRÄG 2001) 19 und 54. Vgl dazunäher Barth/Dokalik. In: Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalter-rechts (2007) 166 ff.15 Klarstellend AB 1381 BlgNR 22. GB, 2; Vgl. auch Kopetzki, Ein-leitung und Abbruch der medizinischen Behandlung beim einwilli-gungsunfähigen Patienten, iFamZ 2007, 198; Bernat, Planungs-sicherheit am Lebensende? EF-Z 2006, 43 und 74 (76); Barth/Dokalik,a.a.O. (FN 14), 168.16 § 146c Abs. 2 ABGB, § 283 Abs. 2 ABGB.17 So sind z. B. lebenswichtige Organe betroffen.18 Siehe dazu näher Burgstaller/Fabrziy. In: Höpfl/Ratz (Hrsg). StGBKommentar § 84 StGB Rz 6 ff.

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    können. Zu beachten ist freilich, dass die Risikogeneigtheitbestimmter Behandlungen mit zunehmendem Alter steigt unddiese daher zwar nicht bei Minderjährigen, wohl aber bei älte-ren Menschen als „schwerwiegend“ einzustufen sein wird.Dies kann natürlich auch im umgekehrten Fall gegeben sein(z. B. Mandeloperation)19.

    Grenzen der Selbstbestimmung aufseitendes Patienten

    BehandlungswunschWie schon ausgeführt, hat der einsichts- und urteilsfähige Pa-tient grundsätzlich ein uneingeschränktes Vetorecht und kannauch lebensnotwendige Behandlungen verweigern. Anders istdie rechtliche Situation hinsichtlich positiver Selbstbestim-mung, d. h. der Möglichkeit, sich bestimmte Behandlungen zuwünschen oder spezielle Therapien zu fordern. Neben derwirksamen Einwilligung des Patienten müssen für den behan-delnden Arzt auch andere Voraussetzungen vorliegen, damiter eine bestimmte Maßnahme durchführen kann. Einerseitsmuss grundsätzlich eine medizinische Indikation für den Ein-griff vorliegen20. Die Art und Weise des geplanten Eingriffsmuss lege artis sein und weiters muss der behandelnde Arztdie notwendige fachliche Qualifikation besitzen. Nicht zuletztist natürlich auch die faktische und rechtliche Verfügbarkeitrelevant21. Die meisten dieser Faktoren sind nicht vom Patien-ten beeinflussbar, sondern unterliegen der Beurteilung desbehandelnden Arztes bzw. des Trägers der Anstalt, in welcherder Eingriff durchgeführt werden soll. In vielen Fällen – siehtman von einigen gesetzlichen Fällen ab, die eine Behand-lungs- bzw. Aufnahmepflicht vorsehen – ist kein Arzt oderTräger einer Anstalt verpflichtet, einen Behandlungsvertragmit einem Patienten zu schließen. Im Ergebnis bedeutet dies,dass der Patient durch die Nichterteilung der Einwilligungjede Behandlung ablehnen kann, er kann aber nicht bestimmteBehandlungen erzwingen22.

    Für weltanschaulich besonders sensible Bereiche hat der Ge-setzgeber ausdrücklich ausgesprochen, dass ein Angehörigereines Gesundheitsberufs nicht zur Durchführung oder Mitwir-kung bestimmter medizinischer Tätigkeiten gezwungen wer-den kann. Nach § 97 Abs. 2 StGB ist kein Arzt verpflichtet,einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihmmitzuwirken, es sei denn, dass der Abbruch ohne Aufschubnotwendig ist, um die Schwangere aus einer unmittelbar dro-henden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten23.

    Niemand darf wegen der Durchführung eines straflosenSchwangerschaftsabbruchs oder der Mitwirkung daran oderwegen der Weigerung, einen solchen Schwangerschaftsab-bruch durchzuführen oder daran mitzuwirken, in welcher Artimmer benachteiligt werden. Daher sieht § 6 Abs. 3 KAKuGvor, dass die Anstaltsordnung keine Bestimmung enthaltendarf, welche die Weigerung, einen Schwangerschaftsabbruchdurchzuführen oder daran mitzuwirken, mit nachteiligen Fol-gen verbindet. Umgekehrt darf sie auch nicht die Durchfüh-rung eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs oder dieMitwirkung daran verbieten.

    Eine vergleichbare Gewissensklausel enthält auch § 6 FMedG,wonach Angehörige von bestimmten Gesundheitsberufennicht zur Durchführung einer medizinisch unterstützten Fort-pflanzung bzw. zu deren Mitwirkung bei der Durchführunggezwungen werden dürfen.

    Behandlungszwang bzw. freiheitsbeschränkende MaßnahmenDas Recht, eine Behandlung zu verweigern, ist nur in be-stimmten Fällen gesetzlich eingeschränkt. Zwangsbehand-lungen sind im Strafvollzug bei der Behandlung von Trägernbestimmter ansteckender Krankheiten und nach Bestimmun-gen des Tuberkulose- und des Geschlechtskrankheitenge-setzes vorgesehen. Daneben gibt es noch einige Untersu-chungspflichten, wie z. B. in der StVO und im SMG24.

    Die persönliche Freiheit von Patienten darf aus verfassungs-und strafrechtlichen Gründen immer nur aufgrund eigenergesetzlicher Grundlagen eingeschränkt werden. Das UbG unddas HeimAufG enthalten entsprechende Regelungen. Vondiesen Bestimmungen unberührt bleibt das Erfordernis derEinwilligung in eine Heilbehandlung. Grundsätzlich darf da-her eine Heilbehandlung während der Unterbringung nur mitZustimmung des Patienten durchgeführt werden25.

    Formen der antizipierten Selbst-bestimmung

    Rechtlich interessant sind vor allem jene Fälle, wo der Patientnicht aktuell entscheiden kann. Der Gesetzgeber hat in denvergangenen Jahren wichtige Instrumente geschaffen, damitder Patient eben auch in diesen Fällen weitreichend selbst-bestimmt entscheiden kann. Ist ein Patient nicht einsichts- undurteilsfähig und liegt auch kein Notfall vor, muss zunächstgeprüft werden, ob der Patient für diesen Fall bereits vorge-sorgt hat und z. B. eine Patientenverfügung errichtet oder ei-nen Vorsorgebevollmächtigten eingesetzt hat. Hat der Patientkeine entsprechenden Maßnahmen getroffen, muss ein Sach-walter bestellt werden. Im Folgenden wird ein kurzer Über-blick über die rechtlichen Möglichkeiten gegeben, die der Ge-setzgeber vorsieht, wenn ein Patient nicht einwilligungsfähigist. Das Augenmerk der Ausführungen wird vor allem auf dieFrage gelegt, nach welchen Maßstäben zu entscheiden ist,wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist, und wie

    19 Siehe Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie und Kinder- und Jugend-heilkunde zur Entfernung der Gaumenmandeln unter http://www.bmgfj.gv.at/cms/site/attachments/9/4/8/CH0775/CMS1200045548570/konsenspapier-definitiv_hno_oegkj.pdf.20 In nicht therapeutische Eingriffe kann der Patient gemäß § 90StGB einwilligen, soweit der Eingriff nicht sittenwidrig ist.21 Siehe dazu Kopetzki, a.a.O. (FN 2), 5.22 Ausführlich Kopetzki, a.a.O. (FN 2), 5.23 § 97 Abs. 2 StGB: Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwanger-schaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, es sei denn,dass der Abbruch ohne Aufschub notwendig ist, um die Schwangereaus einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebens-gefahr zu retten. Dies gilt auch für die im Krankenpflegefachdienst,in medizinisch-technischen Diensten oder im Sanitätshilfsdienst tä-tigen Personen.

    24 Siehe dazu näher Kopetzki, a.a.O. (FN 2), 21 f und 24.25 Kann der Kranke den Grund und die Bedeutung einer Behandlungeinsehen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen, so darfer nicht gegen seinen Willen behandelt werden; besondere Heil-behandlungen einschließlich operativer Eingriffe dürfen nur mit seinerschriftlichen Zustimmung durchgeführt werden (§ 36 Abs.1 UbG).

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    weit auch hier noch bestimmte religiöse Gründe in eineBehandlungszustimmung bzw. Behandlungsverweigerungmiteinfließen können.

    Patientenverfügung26Die Patientenverfügung ist ein zentrales Instrument zur anti-zipierten Selbstbestimmung im medizinischen Bereich. EinePatientenverfügung ist eine Willenserklärung, mit der ein Pa-tient eine bestimmte medizinische Behandlung ablehnt unddie dann wirksam werden soll, wenn er im Zeitpunkt der Be-handlung nicht einsichts-, urteils- oder äußerungsfähig ist27.Die Schaffung der Patientenverfügung war ein wichtigerSchritt zur Stärkung der Autonomie der Patienten – insbe-sondere am Lebensende. Die allgemeinen Grenzen der Selbst-bestimmung hinsichtlich Zulässigkeit von medizinischen Be-handlungen bleiben unberührt28.

    Der Patient muss bei der Errichtung einer Patientenverfügungeinsichts- und urteilsfähig sein. Die Einsichts- und Urteilsfä-higkeit muss lediglich im Zeitpunkt der Errichtung vorlie-gen29. Entgegen der allgemeinen Geschäftsfähigkeit hat hierder Gesetzgeber neuerlich die schematischen Altersgrenzenim ABGB durchbrochen30. Der Patient muss bei Verfassungseiner Willenserklärung in der Lage sein, den Grund und dieBedeutung der von ihm abgelehnten Behandlung einzusehen.Darüber hinaus muss er aber auch über die Fähigkeit verfü-gen, seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen31. ImGegensatz zu § 146c ABGB geht es beim PatVG ausschließ-lich um die Ablehnung von Maßnahmen. Da nach h.A. § 146cABGB aber auch die Nicht-Einwilligung, d. h. die Ablehnungerfasst sein muss, wird man auch hier die Zweifelsregel heran-ziehen können, sodass das Vorliegen der Einsichts- und Ur-teilsfähigkeit ab 14 Jahren vermutet wird. Dies hat zur Konse-quenz, dass ein mündiger Minderjähriger, der einsichts- undurteilsfähig ist, in Form einer Patientenverfügung eine lebens-rettende Maßnahme ablehnen kann. Es bedarf dafür nicht derZustimmung der Person, die mit der Pflege und Erziehungbetraut ist. Eine kumulative Einwilligung ist nur dann vorge-sehen, wenn der mündige Minderjährige einwilligt. So ist esauch nach § 146c ABGB nicht möglich, einen einsichts- undurteilsfähigen mündigen Minderjährigen gegen seinen Willenzu behandeln32.

    Errichtung einer PatientenverfügungEine Patientenverfügung kann nur höchstpersönlich errichtetwerden. Der Patient kann sich bei Errichtung der Patienten-verfügung nicht vertreten lassen33. Bei Vorliegen der Ein-sichts- und Urteilsfähigkeit steht aber das Vorhandensein ei-

    nes Sachwalters der Errichtung der Patientenverfügung durchden Patienten nicht entgegen34.

    Das PatVG unterscheidet die verbindliche von der beachtli-chen Patientenverfügung. Eine Patientenverfügung ist nurdann verbindlich, wenn sie die inhaltlichen Voraussetzungenund die strengen Errichtungsvorschriften erfüllt. In einer ver-bindlichen Patientenverfügung müssen die medizinischen Be-handlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret be-schrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhangder Verfügung hervorgehen35. Weiters bedarf es einer zwin-genden ärztlichen Aufklärung und der Errichtung vor einemNotar, Rechtsanwalt oder Patientenanwalt. Durch diese hohenAnforderungen soll gewährleistet werden, dass der Patienteine wohlüberlegte, ernsthafte Entscheidung trifft36.

    Abgrenzung beachtliche Patientenverfügung und mutmaßlicheEinwilligung?Eine Patientenverfügung, die nicht alle Voraussetzungen derinhaltlichen und formellen Kriterien einer verbindlichen Pa-tientenverfügung aufweist, stellt eine beachtliche Patienten-verfügung dar, die eine Orientierungshilfe für die Ermittlungdes Willens des Patienten darstellt37. Der Gesetzgeber hat fürdie beachtliche Patientenverfügung keine Mindesterforder-nisse aufgestellt, sodass darunter auch mündliche und konklu-dente Willenserklärungen fallen, mit denen Behandlungenabgelehnt werden38. Die beachtliche Patientenverfügung istbei der Ermittlung des Patientenwillens umso mehr zu beach-ten, je eher sie die Voraussetzungen einer verbindlichenPatientenverfügung erfüllt. Dabei ist insbesondere zu berück-sichtigen, inwieweit der Patient die Krankheitssituation, aufdie sich die Patientenverfügung bezieht, sowie deren Folgenim Errichtungszeitpunkt einschätzen konnte. Entscheidend istauch, wie konkret die abgelehnten medizinischen Behandlun-gen beschrieben sind, wie umfassend eine der Errichtung vo-rangegangene ärztliche Aufklärung war, inwieweit die Verfü-gung von den Formvorschriften für eine verbindliche Pa-tientenverfügung abweicht, wie häufig die Patientenverfü-gung erneuert wurde und wie lange die letzte Erneuerung zu-rückliegt39. Es stellt sich nun die Frage, ob durch das Inkraft-treten des Patientenverfügungsgesetzes noch Raum für den sogenannten „mutmaßlichen Patientenwillen“ bleibt und wennja, welche Rolle der bei einer Entscheidungssituation spielenkann. Erst kürzlich hatte sich der OGH mit der Problematikdes mutmaßlichen Willens in Zusammenhang mit der passi-ven Sterbehilfe zu beschäftigen40. Der Ehemann einer Patien-tin hatte beim Hausarzt erfolgreich angeregt, die Sonden-ernährung seiner Frau einzustellen, die schon jahrelang an denFolgen eines Schlaganfalls litt. Erst durch die Anordnung derStaatsanwaltschaft wurde die Sondenernährung wieder aufge-nommen. Der OGH prüfte im Folgenden eine versuchte Be-stimmung zum Mord. Eine straflose passive Sterbehilfe kannnur auf der Selbstbestimmung des Patienten beruhen41.

    26 Vgl dazu ausführlich Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker, a.a.O. (FN 13), 81 ff; Ploier,Die Patientenverfügung. J Hyperton 2009; 13: 27–30.27 § 2 PatVG.28 RV 1299 BlgNr 22. GP 5; Kathrein, Das Patientenverfügungs-Ge-setz, ÖJZ 2006 (555–567) 560.29 Es ist nicht erforderlich, dass der Patient auch weiterhin einsichts-und urteilsfähig bleibt. RV 1299 BlgNR 22. GP, 10.30 Siehe dazu ausführlich Fischer-Czermak, Einsichts- und Urteilsfä-higkeit und Geschäftsfähigkeit, NZ 2004/83.31 RV 1299 BlgNr 22. GP 5.32 Siehe dazu auch Kathrein, a.a.O. (FN 27), 561; Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker,a.a.O. (FN 13), 85.33 § 3 PatVG.34 § 268 Abs. 2 ABGB;. Kathrein, a.a.O. (FN 27), 561.

    35 § 4 PatVG.36 RV 1299 BlgNr 22. GP 6.37 § 8 PatVG.38 So auch Kletec∨∨∨∨∨ka, Passive Sterbehilfe als Erbunwürdigkeitsgrund,ZaK 2008/571, 332 f.39 § 9 PatVG; Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker, a.a.O. (FN 13), 90.40 OGH 7.7.2008, 6 Ob 286/07p.41 Kletec∨∨∨∨∨ka, a.a.O. (FN 37), 333.

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    Neue Formen der Selbstbestimmung

    Der OGH ging davon aus, dass in Fällen, wo es um einenmöglichen Behandlungsabbruch geht und der Patient nichtmehr einsichtsfähig ist, zunächst geprüft werden muss, obdieser ein antizipiertes Behandlungsveto in Form einerPatientenverfügung oder Vorsorgevollmacht zum Ausdruckgebracht hat. Wenn dies nicht der Fall ist, muss in einemnächsten Schritt geprüft werden, ob die Ablehnung der Ernäh-rung dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

    Meines Erachtens ist der Raum für den mutmaßlichen Willendurch die Schaffung des Patientenverfügungsgesetzes jedochsehr klein. Gibt es auch nur geringe Anhaltspunkte für einenPatientenwillen, liegt wahrscheinlich schon eine beachtlichePatientenverfügung vor, die jedenfalls bei einer Entscheidungzu beachten ist. Sind nicht einmal nur geringe Anzeichen füreinen Patientenwillen vorhanden und ist überhaupt kein Willezu erkennen, wird man wohl auch nicht von einem mutmaßli-chen Willen sprechen können42.

    Grenzen der PatientenverfügungInhalt der Patientenverfügung kann nur eine Ablehnung vonbestimmten medizinischen Behandlungen sein. In manchenFällen kann aber eine Ablehnung mehrerer Maßnahmen imErgebnis dazu führen, dass nur eine medizinische Maßnahmedurchgeführt werden darf. Dadurch kommt es gleichsam zurAnordnung dieser Maßnahme. Voraussetzung dafür ist je-doch, dass die verbleibende, nicht abgelehnte Maßnahme me-dizinisch indiziert ist, und dass der betroffene Arzt diese Me-thode auch fachlich beherrscht43.

    Unstrittig ist nunmehr, dass auch die künstliche Ernährungmittels Patientenverfügung abgelehnt werden kann, da dasLegen von Magensonden sowie die Durchführung von Son-denernährung bei liegenden Magensonden ärztliche Tätigkei-ten sind. Hingegen ist die Grundversorgung mit Nahrung undFlüssigkeit, also die „händische“ Verabreichung von Nahrungund Flüssigkeit, Teil der Pflege des Patienten und kann dahernicht nach dem PatientenverfügungG ablehnt werden44.

    Eine Schwierigkeit der Patientenverfügung besteht oftmalsdarin, dass der Patient nicht über eine konkrete und gegenwär-tige (unmittelbar bevorstehende) Heilbehandlung entscheidet.Er gibt damit vorweg seinen Willen für künftige (möglicheoder wahrscheinliche) Situationen bekannt, die sich häufignicht konkret abschätzen lassen. So wurde bereits im Vorfelddes Gesetzes darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen vorallem auch die dynamische Entwicklung der menschlichenPersönlichkeit unter dem Einfluss eines schweren Krankheits-verlaufs nicht prognostizierbar ist45. Aus diesem Grund hatder Gesetzgeber einem pro futuro geäußerten Willen Grenzengesetzt46.

    Problematisch ist aus der Perspektive der Errichtenden vor al-lem, dass dieser Wille sehr exakt beschrieben werden muss,insbesondere positive Vorstellungen des guten Sterbens müs-sen übersetzt werden in die Ablehnung medizinischer Maß-nahmen. Die Anforderungen von Medizinern und Juristen aneine verständliche Formulierung ist dabei unterschiedlich, so-dass es häufig vorkommt, dass Errichtende von Juristenwieder zurück zum Arzt geschickt werden, weil ihnen die For-mulierungen nicht passend erscheinen. Weiters wird proble-matisiert, dass am Ende dennoch der behandelnde Arzt diePatientenverfügung deuten und entsprechend handeln muss.Insbesondere bei Formulierungen wie „im Fall einer infaustenPrognose“ o. ä. fühlen sich die Errichtenden wiederum denÄrzten ausgesetzt, die z. B. den Beginn des Sterbeprozessesfestlegen. So verschieben sich die aus einem schlechten Arzt-Patienten-Verhältnis resultierenden Probleme aus der Pers-pektive der Errichtenden durch die Patientenverfügung nur,bleiben aber letztlich bestehen47.

    Vorsorgevollmacht

    Inhalt der VorsorgevollmachtWie die Ausführungen zeigen, kann die Patientenverfügungnur zur punktuellen Durchsetzung der Selbstbestimmung nut-zen. Umfassender kann die Selbstbestimmung durch das In-strument der Vorsorgevollmacht antizipiert werden. EineVorsorgevollmacht ist eine Vollmacht, die dann wirksamwerden soll, wenn der Vollmachtgeber die zur Besorgung deranvertrauten Angelegenheiten erforderliche Geschäftsfähig-keit oder Einsichts- und Urteilsfähigkeit oder Äußerungs-fähigkeit verliert. Es besteht nunmehr daher die Möglichkeit,für den Fall künftiger Entscheidungsunfähigkeit einengewillkürten Stellvertreter zu bevollmächtigen48. Die Vor-sorgevollmacht kann auch Einwilligungen in medizinischeBehandlungen umfassen. Dazu muss diese Vollmacht unterausdrücklicher Bezeichnung dieser Vollmacht vor einemRechtsanwalt, einem Notar oder bei Gericht errichtet wer-den49. Der Bevollmächtigte kann die Vollmacht zur Einwilli-gung in eine medizinische Behandlung nicht weitergeben. Istein Patient nicht mehr einsichts- und/oder urteilsfähig undgibt es einen Bevollmächtigten, so hat dieser gemäß dem Wil-len des Vollmachtgebers (Patienten) zu handeln und in einemedizinische Maßnahme einzuwilligen oder diese abzuleh-nen. Bei Bestehen eines Vorsorgebevollmächtigten ist dieBestellung eines Sachwalters in diesen Angelegenheiten un-zulässig50. Lediglich für den Fall, dass der Bevollmächtigtenicht im Sinn des Bevollmächtigungsvertrages bzw. im Sinndes Patienten handelt, kann ein Antrag auf Sachwalterschaftgestellt werden51.

    Bindung an den Willen des PatientenDer Umfang der Handlungsbefugnis des Vorsorgebevoll-mächtigten ergibt sich primär aus der Vollmacht. Der Voll-machtgeber alleine bestimmt die Art und das Ausmaß des42 Kletec∨∨∨∨∨ka, a.a.O. (FN 37), 333; Schmoller, Lebensschutz bis zum

    Ende? ÖJZ 2000, S. 361.43 § 49 ÄrzteG, § 8 Abs. 2 KaKuG.44 AB 1381 BlgNr 22. GP 2; Bernat, Planungssicherheit am Lebens-ende? EF-Z 2006, 74–9, hier S. 76; Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 197.45 Vgl 1299 BlgNR 22. GP 3.46 Siehe dazu Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker/Inthorn, Ergebnisse der ersten Phaseder Evaluationsstudie zum Patientenverfügungs-Gesetz. iFamZ2008 (139–141) 139.

    47 Siehe Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker/Inthorn, a.a.O. (FN 45), 140.48 Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 200.49 Ein Musterformular für eine Vorsorgevollmacht findet man unter:http://www.justiz.gv.at/_cms_upload/_docs/formular_vorsorgevoll-macht.pdf.50 § 268 Abs. 2 ABGB.51 § 284g ABGB; Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 200.

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    Vertreterhandelns52. Der Vorsorgebevollmächtigte muss demWillen des Vollmachtgebers entsprechen, wie er in demBevollmächtigungsvertrag zum Ausdruck gebracht wird53.Der Vollmachtgeber kann dadurch seine Selbstbestimmungweitreichend und umfangreich ausüben. Er kann auch denBeauftragten verpflichten, bestimmte Anweisungen zu befol-gen. So kann z. B. ein Zeuge Jehovas seinen Bevollmächtig-ten in der Vorsorgevollmacht verpflichten, jegliche Blutkon-serven abzulehnen. Zusätzlich kann er diesen Willen auchdurch eine entsprechende Patientenverfügung bestärken. Inden Fällen, in denen ein Patient nicht nur eine Vorsorge-vollmacht für medizinische Behandlungen errichtet, sondernauch noch eine Patientenverfügung, ist der Vorsorgebevoll-mächtigte an den in der Patientenverfügung zugrunde-liegenden Patientenwillen gebunden. Nur in dem Fall, in wel-chem der Patient in der Vorsorgevollmacht auch festgelegthat, dass der Vorsorgebevollmächtigte das Recht hat, diePatientenverfügung zu widerrufen, kann der Vorsorgebe-vollmächtigte von der Patientenverfügung abgehen54.

    Der Vorsorgebevollmächtigte ist verpflichtet, den subjekti-ven Willen des Vollmachtgebers zu befolgen, wie er das „sub-jektive Wohl“ dieser Person darstellt. Es spielt keine Rolle,wenn der subjektive Wille dem „objektiven Wohl“ wider-spricht55. Eine gerichtliche Genehmigung oder die Einholungeiner „Second Opinion“ ist auch in diesen Fällen bei der Vor-sorgevollmacht nicht erforderlich. Selbstverständlich mussdie Anweisung des Auftragsgebers im Zustand der Entschei-dungsfähigkeit erfolgt sein, und er darf sie zwischenzeitlichauch nicht widerrufen haben56. Geht z. B. aber ein Meinungs-wechsel aus einer Äußerung des Patienten oder aus den Um-ständen hervor, so hat der Bevollmächtigte dem geändertenWillen des Vollmachtgebers trotz Verlustes der Geschäftsfä-higkeit und Einsichtsfähigkeit zu entsprechen, wenn der aktu-elle Wille dem Wohl des Betroffenen nicht weniger ent-spricht57.

    Im Unterschied zum Sachwalter ist der Vorsorgebevoll-mächtigte durch den feststellbaren Vollmachtinhalt begrenzt,da daraus seine Vertretungsbefugnis entspringt58. Allerdingskann er gerade aus diesem Vollmachtsinhalt zu sehr weitrei-chenden Entscheidungen befugt sein; außerdem ist er primäran den Willen59 und nicht an das objektive Wohl des Patientengebunden. Hat der Auftraggeber in der Vorsorgevollmachtnichts Konkretes angeordnet und kann auch sonst kein sub-jektiver Wille des Vollmachtgebers festgestellt werden, muss

    der Beauftragte das (objektive) Wohl des Vollmachtgebersbestmöglich fördern. Mangels eines feststellbaren Willens hatder Bevollmächtigte das Wohl des Vollmachtgebers bestmög-lich zu fördern60. Sind bestimmte Angelegenheiten inhaltlichnicht von der Vorsorgevollmacht abgedeckt, muss für dieseBereiche ein Sachwalter bestellt werden.

    Nicht einwilligungsfähige Patienten ohneantizipierte Behandlungsentscheidung

    Vertretung nächster AngehörigerIst ein Patient nicht einsichts- und urteilsfähig und hat keinePatientenverfügung errichtet oder einen Vorsorgebevollmäch-tigten bestellt61, muss der Behandler – außer bei Gefahr inVerzug – die Bestellung eines Sachwalters beantragen, wenneine medizinische Maßnahme erforderlich ist62. Wenn es sichallerdings um einen nicht schwerwiegenden Eingriff handelt,besteht auch die Möglichkeit, dass der betreffende Patientdurch einen nächsten Angehörigen63 vertreten wird. Dieser istbefugt, die Zustimmung zu medizinischen Behandlungen zuerteilen, sofern diese nicht gewöhnlich mit einer schwerenoder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unver-sehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden sind. Der nächsteAngehörige hat seine Vertretungsbefugnis vor der Vornahmeeiner Vertretungshandlung im Österreichischen ZentralenVertretungsverzeichnis registrieren zu lassen. Der Arzt darfauf die Vertretungsbefugnis vertrauen, wenn der nahe Ange-hörige die Bestätigung über die Registrierung vorlegt.

    Der vertretungsbefugte nahe Angehörige hat das Wohl dervertretenen Person (Patienten) bestmöglich zu fördern unddanach zu trachten, dass sie im Rahmen ihrer Fähigkeiten undMöglichkeiten ihre Lebensverhältnisse nach ihren Wünschenund Vorstellungen gestalten kann. Liegt eine Patientenver-fügung vor, hat sich der vertretungsbefugte nahe Angehörigean den darin festgehaltenen Willen zu halten.

    Die Vertretungsbefugnis tritt nicht ein bzw. endet, wenn ihrder vertretene Patient – unabhängig davon, ob er einsichts-und urteilsfähig ist – widersprochen hat oder widerspricht.Wie schon oben angeführt, ist aber die Vertretungsbefugnissehr begrenzt, da sie nur die Zustimmung zu Behandlungen

    52 Ganner, Vorsorgevollmacht, in: Barth/Ganner (Hrsg). Handbuchdes Sachwalterrechts, Wien/Innsbruck 2007 (339–370) 360.53 § 284h Abs. 1 ABGB.54 Kerschner, Patientenverfügung – Vorsorgevollmacht, in: Körtner/Kopetzki/Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker (Hrsg). Das österreichische Patienten-verfügungsgesetz (2007) 166.55 Ganner, a.a.O. (FN 54), S. 361.56 Der Beauftragte ist verpflichtet, dies zu überprüfen, wenn eineMaßnahme dem objektiven Wohl widerspricht. RV 1420 BlgNr 22.GP 29.57 § 284h Abs. 1 zweiter Satz, RV 1420 BlgNr 22. GP 29 f .58 Dazu ausführlich Ganner, a.a.O. (FN 54), 362.59 Der Bevollmächtigte hat bei Besorgung der anvertrauten Angele-genheiten dem Willen des Vollmachtgebers, wie er in dem Bevoll-mächtigungsvertrag zum Ausdruck gebracht wird, zu entsprechen(§ 284h Abs. 1 ABGB).

    60 § 284h Abs. 1 letzter Satz. Ganner, a.a.O. (FN 54), 362.61 Ein Sachwalter darf auch dann nicht bestellt werden, soweit durcheine Vollmacht, besonders eine Vorsorgevollmacht, oder eine ver-bindliche Patientenverfügung für die Besorgung der Angelegenhei-ten der behinderten Person im erforderlichen Ausmaß vorgesorgt ist(§ 268 Abs. 2 ABGB).62 Nach § 268 ist einer volljährigen Person, die an einer psychischenKrankheit leidet oder geistig behindert ist, ein Sachwalter zu bestel-len, wenn diese Person alle oder einzelne ihrer Angelegenheitennicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann. DieBestellung eines Sachwalters ist dann aber unzulässig, soweit Ange-legenheiten der behinderten Person durch einen anderen gesetzli-chen Vertreter oder im Rahmen einer anderen Hilfe, besonders in derFamilie, in Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Behinderten-hilfe oder im Rahmen sozialer oder psychosozialer Dienste, im er-forderlichen Ausmaß besorgt werden.63 Nächste Angehörige sind die Eltern, volljährige Kinder, der imgemeinsamen Haushalt mit der vertretenen Person lebende Ehegatteund der Lebensgefährte, wenn dieser mit der vertretenen Person seitmindestens 3 Jahren im gemeinsamen Haushalt lebt.

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    Neue Formen der Selbstbestimmung

    umfasst, die nicht „gewöhnlich mit einer schweren oder nach-haltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheitoder der Persönlichkeit verbunden“ sind64.

    Sachwalterschaft

    Bindung an das Wohl des PatientenIn allen anderen Fällen ist es notwendig, dass ein Sachwalter,in dessen Wirkungskreis die Zustimmung zur Heilbehandlungfällt, über die Vornahme einer medizinischen Maßnahme ent-scheidet. Ist eine Person wegen einer psychischen Krankheitoder geistigen Behinderung65 nicht einwilligungsfähig, sokann ihr vom zuständigen Pflegschaftsgericht ein Sachwaltermit dem Wirkungskreis „Zustimmung zu medizinischen Be-handlungen“ bestellt werden66. In dringenden Fällen kann ge-mäß § 120 AußStrG ein „einstweiliger Sachwalter“ bestelltwerden. Das Zustimmungsrecht des Sachwalters umfasstfreilich auch das Recht, eine Zustimmung nicht zuerteilen, d.h. eine Behandlung abzulehnen67. Der Sachwalter ist bei sei-ner Entscheidung über die Vornahme bzw. Nicht-Vornahmeeiner medizinischen Behandlung an das Wohl des Betroffe-nen gebunden. Dabei ist grundsätzlich von einem objektivenVerständnis auszugehen. Ob eine Entscheidung im Wohle desPatienten ist, hängt nicht ausschließlich vom Vorliegen einermedizinischen Indikation ab68. Vor Erteilung einer Zustim-mung ist der Sachwalter zur Wunschermittlung verpflichtet,d. h. er hat die behinderte Person von der beabsichtigtenMaßnahme rechtzeitig zu verständigen. Die behinderte Per-son hat das Recht, sich hiezu in angemessener Frist zu äußern.Der Sachwalter hat daher aktiv darauf hinzuwirken, dass sichdie behinderte Person einen Willen über die geplante Maß-nahme bildet, wobei dieser Wille nicht von Einsichtsfähigkeitgetragen sein muss69. Die Äußerung der behinderten Personist zu berücksichtigen, wenn der darin ausgedrückte Wunschderen Wohl nicht weniger entspricht70. Äußert der Patient ei-nen Wunsch, der nicht seinem objektiven Wohl entspricht,muss der Sachwalter versuchen, dieses Spannungsverhältniszu lösen. Gelingt dies dem Sachwalter nicht, hat er die objek-tiv für den Behinderten günstigere Maßnahme zu setzen71. DieFrage, welche Vorgangsweise dem Wohl der behinderten Per-son entspricht oder nicht, stellt in der Praxis immer wieder eingroßes Problem dar. Abwägungsinstanz zwischen Patienten-wille und -wohl bleibt somit der Sachwalter72.

    Der Umstand, dass eine behinderte Person einen Sachwaltermit dem Wirkungskreis „Zustimmung in die Heilbehandlung“hat, bedeutet aber keinesfalls, dass diese Person selbstständigkeine Entscheidungen mehr treffen kann. Im Gegenteil: Ist diebehinderte Person einsichts- und urteilsfähig, so kann nur die-se selbst die Einwilligung in eine medizinische Behandlungerteilen73. Anders als bei Kindern nach § 146c ABGB bedarf

    es auch bei schwerwiegenden medizinischen Maßnahmennicht der zusätzlichen Zustimmung des Sachwalters74.

    Reichweite der SachwalterbefugnisIst die behinderte Person allerdings nicht einsichts- und ur-teilsfähig und ist eine schwerwiegende Behandlung geplant,„die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beein-trächtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persön-lichkeit verbunden ist“75, kann der Sachwalter seine Zu-stimmungsbefugnis nicht alleine ausüben. Die Zustimmungist nur wirksam, wenn ein vom behandelnden Arzt unabhängi-ger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis bestätigt hat („SecondOpinion“)76, dass der betroffene Patient nicht über die ent-sprechende Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und dieVornahme der Behandlung zur Wahrung des Wohles der be-hinderten Person erforderlich ist77. Die nach § 283 Abs. 2ABGB geforderte „Second Opinion“ bzw. pflegschaftsgericht-liche Genehmigung ist auch dann erforderlich, wenn derSachwalter eine schwerwiegende Behandlung ablehnt, da dieZustimmungsbefugnis auch die Möglichkeit der Verweige-rung, also der Nicht-Erteilung der Zustimmung umfasst78. DieEntscheidung des Sachwalters, ob er eine Maßnahme verwei-gern darf oder nicht, muss sich am Patientenwohl orientieren.Wie schon oben angeführt, ist für die Beurteilung, ob eineMaßnahme im Wohl der behinderten Person liegt, nicht all-eine das Vorliegen einer medizinische Indikation ausschlag-gebend. Maßgeblich ist das Gesamtwohl. Es bedarf auch derAbwägung zwischen den objektiven Nachteilen, welche diebehinderte Person durch die Behandlung hätte und den durchdie Behandlung erzielbaren objektiven Verminderungen ihresLeidensdrucks79. Für die Beurteilung, ob die Maßnahme imWohle der behinderten Person liegt, spielt vor allem auch dieso genannte „Compliance“ eine Rolle80. Eine Behandlungbaut immer wesentlich auf der Kooperation und Mitwirkungdes Patienten auf. Wenn dieser die Behandlung ablehnt, wirdsich dies voraussichtlich auf den weiteren Behandlungsablaufauswirken. Gibt nun die behinderte Person zu erkennen, dasssie die Behandlung ablehnt, bedarf die Zustimmung der Ge-nehmigung des Gerichtes. Das gleiche gilt auch, wenn dasärztliche Zeugnis nicht vorliegt.

    Schwierig und strittig ist vor allem die Frage, ob die Ableh-nung von lebenserhaltenden Maßnahmen oder die Ablehnungder künstlichen Ernährung im Wohl des Kranken liegen kann.Einige Autoren tendieren in diesem Zusammenhang zu einem„objektiven“ Lebens- und Gesundheitsschutz, wobei andereauf den „mutmaßlichen Patientenwillen“ abstellen81. Nachh. A. ist eine Ablehnung einer lebenserhaltenden Maßnahmeoder Ernährung durch einen gesetzlichen Vertreter nur imZusammenhang mit einem klaren und eindeutigen Patienten-willen zulässig. In allen anderen Fällen gilt der Grundsatz pro

    64 Siehe dazu auch Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 200.65 Die Rechtsbegriffe psychische Krankheit oder geistige Behinde-rung sind weit auszulegen. Vgl. Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 200.66 §§ 268ff ABGB.67 Barth, Medizinische Angelegenheiten. In: Barth/Ganner (Hrsg).Handbuch des Sachwalterrechts, 177.68 Vgl. näher Barth, a.a.O. (FN 69), 178.69 RV 1420 BlgNr 22. GP 18.70 § 281 Abs. 2 ABGB.71 RV 1420 BlgNr 22. GP 18.72 Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 202.

    73 § 283 Abs. 1 ABGB.74 RV 20; so auch schon zur alten Rechtslage Schauer, NZ 2001, 280.75 Zu der Frage, welche Behandlungen darunter fallen, siehe näherKopetzki, a.a.O. (FN 6), 203.76 Näher Weitzenböck. In: Schwimann, ABGB3 ErgBd, § 283 ABGBRZ 4ff.77 § 283 Abs. 2 ABGB; vgl. dazu RV 20.78 Vgl. dazu näher Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 203.79 LG Innsbruck RdM 63/2002.80 Vgl. dazu RV 20; Barth, a.a.O. (FN 69), S. 178.81 Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 203.

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    vitae82. In einzelnen Fällen kann eine Zustimmung eines Drittenzum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen auch ohnePatientenwillen in Betracht kommen, wenn nach einer umfassen-den Abwägung zwischen den Nachteilen einer Behandlungs-fortsetzung einerseits und den noch möglichen zu erzielendenVorteilen, wie z. B. die Leidensminderung zum Ergebnis führt,dass eine Weiterbehandlung nicht dem Wohl des Patienten ent-spricht83.

    Erteilt der Sachwalter die Zustimmung zu einer medizini-schen Behandlung nicht, obwohl dies im Wohl des Patientenläge und gefährdet der Sachwalter durch seine Vorgangsweisedas Wohl der behinderten Person, kann das Gericht die Zu-stimmung des Sachwalters ersetzen oder die Sachwalterschafteiner anderen Person übertragen84. Hat der behandelnde Arztoder eine andere Person den Verdacht, dass der Sachwalternicht im Wohle des Patienten handelt, ist dieser verpflichtet,sich an das zuständige Pflegschaftsgericht zu wenden. Ist je-doch die Behandlung so dringend notwendig, dass der mit derEinholung der Einwilligung, der Zustimmung oder der ge-richtlichen Entscheidung verbundene Aufschub das Lebender behinderten Person gefährden würde oder mit der Gefahreiner schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre,ist die Entscheidung des Gerichts nicht erforderlich85.

    Selbstbestimmung des Behandlers

    Möglichkeit der BehandlungsablehnungGrundsätzlich ist weder der Patient noch der Behandler ver-pflichtet, einen Behandlungsvertrag zu schließen86. Insbeson-dere hat der Behandler eine Behandlung abzulehnen, wenndiese aus medizinischer Sicht nicht oder nicht mehr indiziertist. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn sie nicht erfolgsver-sprechend ist. Dazu gehören vor allem auch jene Fälle, in wel-chen der Sterbeprozess bereits unaufhaltsam eingetreten istund durch eine weitere medizinische Intervention nur in dieLänge gezogen werden würde. Darüber hinaus muss derBehandler die Durchführung einer Behandlung ablehnen,wenn er dafür nicht die entsprechende Qualifikation hat.

    BehandlungspflichtEs gibt allerdings bestimmte Fälle, in denen der Gesetzgebereine Behandlungspflicht vorsieht. So darf in öffentlichenKrankenanstalten niemandem unbedingt notwendige ersteärztliche Hilfe verweigert werden87. Weiters enthalten diemeisten Berufsrechte der Gesundheitsberufe eine Bestim-mung, wonach diese im Fall drohender Lebensgefahr bzw. inbestimmten Situationen (drohende Gefahr für eine beträchtli-che Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung) ihre(Erste) Hilfe nicht verweigern dürfen88.

    Darüber hinaus sind manche Angehörige von Gesundheits-berufen aufgrund von privatrechtlichen Vereinbarungen mitdem Sozialversicherungsträger verpflichtet, versicherte Pati-enten zu behandeln: So unterliegen Kassenvertragsärzte einererweiterten Behandlungspflicht, da die Gesamtverträge zwi-schen den Krankenversicherungsträgern und der Ärzteschaftvorsehen, dass der Vertragspartner nur in begründeten Fällendie Behandlung eines Anspruchsberechtigten ablehnen darfund auf Verlangen des Versicherungsträgers diesem denGrund für die Ablehnung mitteilen muss.

    Grenzen der BehandlungsablehnungDer Behandler bzw. der Träger der Krankenanstalt darf einenPatienten wegen einer Patientenverfügung nicht ablehnen.Wird der Zugang zu Behandlungs-, Pflege- oder Betreuungs-einrichtungen oder werden Behandlungs-, Pflege- oderBetreuungsleistungen von der Errichtung oder Nicht-Errich-tung einer Patientenverfügung abhängig gemacht, stellt dieseine Verwaltungsübertretung dar89.

    Zusammenfassung

    Die Möglichkeiten für einen Patienten, seine Selbstbestim-mung wahrzunehmen sind sehr weitreichend. Eine medizini-sche Maßnahme ohne Einwilligung oder gegen den Willen desPatienten ist grundsätzlich rechtswidrig. Der Patient hat einuneingeschränktes Vetorecht. Er kann auch lebensnotwendigeMaßnahmen verweigern. Eingeschränkt ist die positive Selbst-bestimmung, d. h. die Möglichkeit, sich bestimmte Behandlun-gen zu wünschen oder eine spezielle Therapie zu fordern. Ne-ben der wirksamen Einwilligung des Patienten müssen für denbehandelnden Arzt auch andere Voraussetzungen vorliegen,damit er eine bestimmte Maßnahme durchführen kann.

    Wichtige Instrumente der antizipierten Selbstbestimmungsind die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht. DiePatientenverfügung gibt allerdings nur die Möglichkeit, me-dizinische Maßnahmen abzulehnen. Umfassender kann dieSelbstbestimmung durch das Instrument der Vorsorgevoll-macht antizipiert werden. In bestimmten Fällen können nun-mehr unter strengen Voraussetzungen auch nächste Angehö-rige gewisse Entscheidungen treffen. Dies geht allerdings nurin jenen Fällen, wo kein schwerwiegender Eingriff vorge-nommen wird. Hat der Patient keinerlei Vorsorge (Patienten-verfügung, Bestellung eines Vorsorgebevollmächtigen) fürden Fall getroffen, dass er nicht mehr einsichts- und urteils-fähig ist und muss eine an sich schwere Behandlung durchge-führt werden, dann muss gegebenenfalls die Bestellung einesSachwalters bei Gericht angeregt werden.

    Wie der Patient hat auch der Behandler grundsätzlich dieMöglichkeit, eine Behandlung abzulehnen. Nur in bestimmtenFällen sieht der Gesetzgeber eine Behandlungspflicht vor.Grundsätzlich ist daher weder der Patient noch der Behandlerverpflichtet, einen Behandlungsvertrag zu schließen.

    Interessenkonflikt

    Die Autorin verneint einen Interessenkonflikt.

    82 Vgl OGH 7. 7. 2008, 6 Ob 286/07p; so auch Kletec∨∨∨∨∨ka, a.a.O.(FN 37), 333; Kopetzki, Einleitung und Abbruch der künstlichen Er-nährung beim einwilligungsfähigen Patienten, Ethik in der Medizin2004 (275–289) 285f; Bernat, Grenzen der ärztlichen Behandlungs-pflicht bei einwilligungsunfähigen Patienten, JBl 2009, 130.83 Kopetzki, a.a.O. (FN 6), 204 m.w.N.84 § 282 Abs. 2 ABGB.85 § 283 Abs. 3 ABGB.86 Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker, Rechtsgrundlagen der Behandlung. In: Aigner/Kletec∨∨∨∨∨ka/Kletec∨∨∨∨∨ka-Pulker/Memmer (Hrsg). Handbuch Medizinrechtin der Praxis, Kap. I, 1.87 § 23 Abs. 1 KAKuG.88 § 48 ÄrzteG, § 6 HebG, § 4 Abs. 3 GuKG etc. 89 § 15 PatVG; siehe auch RV 1299 BlgNr 22. GP 10.

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    Neue Formen der Selbstbestimmung

    Relevanz für die Praxis

    Im Arzt-Patienten-Verhältnis spielen rechtliche Regelun-gen zunehmend eine große Rolle. Zu den wichtigsten Be-stimmungen gehören jene über die Einwilligung in dieHeilbehandlung. Mehrere Gesetze (ABGB, Patienten-verfügungsG etc.) enthalten nun Regelungen über dieEinwilligung in medizinische Behandlungen. Patientenwerden zunehmend mündiger und nutzen die rechtlichenMöglichkeiten zur Selbstbestimmung. Jede medizinischeMaßnahme darf nur mit wirksamer Zustimmung deseinsichts- und urteilsfähigen Patienten vorgenommenwerden. Wer einen anderen ohne dessen Einwilligung,wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissen-schaft behandelt, handelt rechtswidrig. Aus diesemGrund ist es für alle Angehörige im Gesundheitsbereichunverzichtbar, die rechtlichen Regelungen im Zusam-menhang mit der Einwilligung zu kennen.

    Literatur beim Verfasser.

    Mag. Dr. iur. Maria Kletecvka-PulkerGeschäftsführerin und wissenschaftlicheMitarbeiterin am Institut für Ethik und Rechtin der Medizin (Forschungsplattform der Uni-versität Wien), stellvertretende Vorsitzendeder Kommission des Obersten Sanitätsrateszur Qualitätssicherung in der Suchterkran-kung, seit 2008 Geschäftsführerin der „Öster-reichischen Plattform Patientensicherheit“(ANetPAS), seit 2008 Leiterin des Universi-tätslehrgangs „Patientensicherheit und Qua-lität im Gesundheitssystem“, seit 2009 Mit-glied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.

  • Mitteilungen aus der Redaktion

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