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StolperchancenMenschen. Wege. Geschichten.
Persönliche Erfahrungen mit Schule und Alltag.
Stolperchancen !?
Welche Lehrerin und welcher Lehrer kennt diese Situation nicht:
Man kommt aus dem Unterricht und gelegentlich nimmt man
gewisse Schülerfragen, -antworten, oder -reaktionen mit, die
man nicht so recht einordnen kann. Das Lehrerzimmer ist stets
eine wichtige Anlaufstelle, um sich auszutauschen.
Oftmals finden sich die entsprechenden Kollegen mit der
richtigen Erfahrung in unmittelbarer Nähe. Nicht selten
erzeugen die sogenannten „Lehrerzimmer-Gespräche“
einen Aha-Effekt: Zum einen dankbar, die Antwort
durch einen Kollegen oder eine Kollegin bekom-
men zu haben, und zum anderen dankbar, über
eine ungewöhnliche Schüler-Lehrer-Situation
gestolpert zu sein.
Es lohnt sich zu „stolpern“! Mit dieser
Broschüre „Stolperchance“ wünschen wir
uns eben jenen Effekt auch bei Ihnen,
liebe Leserinnen und Leser. Lehrkräfte
mit Zuwanderungsgeschichte möchten
auf den folgenden Seiten ihre kulturelle
Erfahrung mit Ihnen teilen und ein neues,
anderes, Lehrerzimmer wird hiermit
offiziell eröffnet. Vielleicht finden Sie
eine lang ersehnte Antwort.
Die Autoren und Autorinnen, die aus
13 verschiedenen Ländern stammen, geben
Tipps, beschreiben Einsichten und bewerten
unterschiedliche Situationen aus ihrer Perspektive.
Die Beiträge eröffnen somit neue Sichtweisen und
bieten Hilfestellungen für den Schulalltag im Umgang
mit interkulturellen Fragen. Dabei versteht sich diese
Zusammenstellung nicht als Handbuch, sondern als eine
Bereitstellung von vielfältigen Erfahrungen, die von einem
Kollegen zum anderen weitergetragen werden.
Heute legen wir Ihnen als Netzwerk der Lehrkräfte mit
Zuwanderungsgeschichte in Zusammenarbeit mit dem Cornelsen
Verlag kein Handbuch für den Unterricht vor. Wir beschreiben
jene Dinge, die uns täglich begleiten, Situationen und Erzählungen
aus der Schule und vielleicht, mit etwas Glück, finden Sie eine
Geschichte, die Sie schon kennen – nur ganz anders erzählt.
Weitere Informationen zu Projekten und Veranstaltungen des
Netzwerkes finden Sie auf den Seiten 33/34 .
Drei Sätze vorweg
Möglichkeiten nutzen
Drei Sätze sind ein guter Anfang für
diese Broschüre, denn es waren drei
engagierte Partner, die sich stark
gemacht haben für diese Idee:
Der Cornelsen Verlag, das Netzwerk
der Lehrkräfte mit Zuwanderungs-
geschichte und das Engagement der
Autorinnen und Autoren.
Wir, Antonietta Zeoli und Luigi Giunta,
haben die Kollegen von der Idee der
„Stolperchancen“ zur Realisierung der
Broschüre begleitet. So bleibt uns nur
zu hoffen, dass wir in Zukunft mmer
weniger stolpern müssen.
Viel Spaß beim Lesen!
Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit haben wir auf die zusätzliche Nennung der weiblichen Form verzichtet, selbstverständlich sind mit Lehrern auch immer Lehrerinnen gemeint, mit Schülern auch Schülerinnen usw.
Für den Inhalt der Textbeiträge sind die Autoren verantwortlich.
Stolpern – und nicht hinfallen, sondern
danach sicherer auftreten, das ist ein
zentrales Anliegen der Broschüre
„Stolperchancen“.
Deutschland ist ein Zuwanderungsland
und die kulturelle Vielfalt in den Schulen
nimmt beständig zu. Diese Vielfalt
bringt Veränderungen und damit auch
Chancen für eine Bereicherung des
Schulalltags. Das „Netzwerk der Lehr-
kräfte mit Zuwanderungsgeschichte“
möchte im Dialog mit allen Lehrkräften
diese Chancen aufzeigen.
Der Cornelsen Verlag freut sich, dieses
Anliegen als Kooperationspartner
unterstützen zu können.
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Beratungsgespräche mit Eltern verschiedener Nationen führen
Hintergrund
Name:
Suna Rausch
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
4 Jahre Grundschule,
9 Jahre Gymnasium,
3 Jahre Ausbildung zur
Arzthelferin,
5 Jahre Studium der
Sonderpädagogik
Fächer:
Lern- und Körperbehinderten-
pädagogik, Grundschul-
pädagogik, Geographie und
Werken
Schule:
Förderschule KM, Bonn
Und übrigens:
seit 2008 Mitglied des
Personalrates für Lehrerinnen
und Lehrer an Förderschulen
und Schulen für Kranke bei
der Bezirksregierung Köln
Der wichtigste Aspekt um ein erfolgrei-
ches Beratungsgespräch mit Eltern aus
den Balkanstaaten zu führen, ist das
Bewusstsein für ihre komplexe kultu-
relle Identität, wie im Folgenden meine
Kollegin Suna Rausch ausführen wird,
die zweifelsohne in jeder Beratungssitu-
ation mitschwingt. Der Beratung sollte
eine gezielte Vorbereitung vorausgehen,
um kulturellen Missverständnissen
vorzubeugen.
Ein Gespräch mit dem Schüler oder der
Schülerin im Vorfeld offenbart bereits
sehr viel über die familiäre Situation mit
all ihren Regeln und Begebenheiten in
dem jeweiligen kulturellen Kontext.
Weiterhin könnten verschiedene per-
sonelle Ressourcen der Schulen genutzt
werden. An immer mehr Schulen gibt
es Lehrkräfte mit Migrationshintergrund
– sie könnten vor entsprechenden
Gesprächen befragt werden.
Im Idealfall sollte eine Beratung mit
ausländischen Elternteilen in Koopera-
tion mit Lehrkräften mit Zuwanderungs-
hintergrund erfolgen, um das erfolg-
reiche Gelingen der Beratung auch auf
der zwischenmenschlichen Ebene zu
gewährleisten.
Diese Beratung im Team kann sich auch
auf sprachliche Barrieren, die Eltern
möglicherweise mitbringen, die eben
nicht aus einem deutschen Herkunfts-
land kommen, positiv auswirken.
Durch die steigende Anzahl junger
Lehrkräfte mit Migrationshintergrund
werden Beratungsgespräche zweifels-
ohne barrierefreier, da man ein kultu-
relles Know-how in ein Kollegium bringt
und so Eltern-Lehrer-Gespräche nicht
nur sprachlich, sondern auch sozio-
kulturell entlasten kann.
Vieles anders – vieles gleich
Bei der Zusammenarbeit mit den Eltern
sollte man beachten, dass nach den
Kriegen auf dem Balkan das ehemalige
Jugoslawien in mehrere eigenständige
Staaten zersplittert ist.
In diesen Staaten werden verschiedene
Sprachen gesprochen, von denen sich
serbisch und kroatisch stark ähneln.
Die Bewohner der neuen Staaten
gehören verschiedenen Religions- und
Glaubensgemeinschaften an. Dies hat
Auswirkungen sowohl auf die ehemals
als Gastarbeiter nach Deutschland
zugezogene Generation, als auch auf
die in Deutschland aufgewachsene
Nachfolge-Generation, die heute die
Eltern unserer Schüler sind.
Die ältere Generation kam zumeist als
einfache Gastarbeiter nach Deutsch-
land. Der Bildungsstand war vielfach
niedrig und auch die Bereitschaft sich
zu integrieren war oft nur gering,
denn viele gingen von einer baldigen
Rückkehr nach Jugoslawien aus. Daraus
resultierte leider häufig ein mangelndes
Erlernen der deutschen Sprache.
Zahlreiche Gastarbeiter sind bis heute
in Deutschland und die oft weiterhin
schlechten Sprachkenntnisse erleichtern
eine Integration nicht.
Dies ist bei der nachfolgenden Gene-
ration, also der Generation der jetzigen
Eltern, anders. Diese Generation ist
bilingual aufgewachsen, hat deutsche
Schulen besucht und Ausbildungen
abgeschlossen. Sprachlich sind sie kaum
von deutschen Eltern zu unterscheiden.
Sie sind zumeist sozial gut integriert,
wenngleich sie auch enge Kontakte
zu ihren Landsleuten pflegen. Für die
Zusammenarbeit von Vorteil ist auch,
dass den meisten Eltern das deutsche
Schul- und Ausbildungssystem aus
eigener Erfahrung bekannt ist.
Die Bedeutung einer guten Schul- und
Berufsausbildung hat für sie einen
hohen Stellenwert. Dies äußert sich
dennoch häufig nicht durch eine aktive
Mitarbeit, wenngleich den Eltern die
Belange ihrer Kinder sehr wichtig sind.
Als Lehrer sollte man die Eltern daher
gezielt ansprechen und zur Mitarbeit
motivieren. Die Lebhaftigkeit und
Schnelligkeit der Muttersprache wirkt
sich häufig auch auf die deutsche
Sprache aus.
In Gesprächen sollte man eine tem-
peramentvolle Mimik und Gestik nicht
überbewerten. Insbesondere darf
dies nicht als Aggressivität gedeutet
werden, sondern ist einfach Bestandteil
des sprachlichen Temperaments.
Die Unterschiede in Muttersprache und
Religion können zu starken Konflikten
zwischen den hier in Deutschland
lebenden ethnischen Gruppen führen.
Ich habe aber auch enge, freundschaft-
liche Kontakte über die ethnischen
Grenzen hinweg erlebt. Als Lehrer und
Lehrerin sollte man sich dieser mög-
lichen Konfliktpunkte bewusst sein,
sensibel damit umgehen und in keinem
Fall Position beziehen.
Balkan Der Balkan umfasst mehrere Staaten. Die folgenden Aussagen konzentrieren sich auf Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina als die drei größten der Staaten.Amtssprache: Serbisch, Kroatisch, teilweise AlbanischEinwohner: ca. 18 Mio.Schulsystem: Nicht einheitlich in den Balkanstaaten, dennoch
Ähnlichkeiten wie zum Beispiel eine lange Grundschulphase und den Schulbeginn mit dem 7. Lebensjahr in Serbien und Kroatien.
Hintergrund
Name:
Pavle Madzirov M.A.
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule, Realschule und
Gymnasium Kreuztal,
Lehrerstudium Sek I Deutsch
und Sport; Master of Arts in
European and Intercultural
Communication
Fächer:
Deutsch und Sport
Schule:
WFS Düsseldorf
Studienseminar Düsseldorf
Und übrigens:
Ratsherr der Stadt Düsseldorf
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Ein Gespräch unter Kollegen …
Hintergrund
Name:
Ilias Ioannou
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule und Gymnasium
in Deutschland
Fächer:
Mathematik und Physik
Schule:
Realschule in Köln
Hintergrund
Name:
Effi Bikaki
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule und
Gymnasium in Deutschland,
Studium in Deutschland
und Griechenland,
Referendariat in Deutschland
Fächer:
Deutsch, Griechisch,
Geschichte und orthodoxe
Relegionslehre
Schule:
Gymnasium in Düsseldorf
Effi: Kalime ¬ra! Hli ¬a)!
Ilias: Geiá sou ‚Efh. Ti kánis?
Effi: Ich bereite mich auf den nächsten
Elternsprechtag vor und erstelle eine
tabellarische Übersicht: Links der
Vorname des Kindes, rechts der Nach-
name. Bei den griechischen Kindern
ergänze ich eine weitere Spalte: Name
der Mutter, da wir kaum eine griechi-
sche Familie mit einem gemeinsamen
Familiennamen. Griechische Mütter
führen auch nach der Hochzeit ihren
Mädchennamen. Das ist nicht etwa die
Errungenschaft stark engagierter grie-
chischer Frauenrechtlerinnen – vielmehr
ist es der politische Wille eines Gesetzes
aus dem Jahre 1982, das neben der
Einführung der Zivilehe in Griechenland,
Ehefrauen zwingt, ihren Geburtsnamen
zu behalten. Ein gemeinsamer Familien-
name müsste vor Gericht erstritten
werden!
Theoretisch könnten die Kinder auch
den Nachnamen ihrer Mutter führen –
doch soooo weit reicht der griechische
Feminismus dann doch nicht…
Ich behaupte, dass 99% der griechi-
schen Kinder so heißen, wie ihr Vater.
Wenn dann also – wie meistens der
Fall – die Mutter die Lehrer/innen ihrer
Kinder aufsuchen, sollte man sich nicht
wundern, wenn sie anders heißt als
ihre Kinder.
Doch damit nicht genug! Weibliche
griechische Namen haben eine andere
Endung als männliche Namensträger,
weil die weiblichen Namen im Genitiv
gebildet werden. „Der Genitiv zeigt
eine Zugehörigkeit an.“ – so definiert
der Duden diesen Kasus. Mädchen und
Frauen sind zeitlebens immer „Tochter
von“ oder „Frau von“...
So kann es passieren, dass Herr Papa-
dopoulos und Frau Pavlidou (deren
Vater wiederum Pavlidis heißt) zum
Sprechtag erscheinen, um sich nach
den Leistungen ihrer Tochter Maria
Papadopoulou zu erkundigen. Oder
Herr Markakis und Frau Douka mit den
Kindern Kostas Markakis und Stella
Markaki – eine Familie, drei Namen!!!
In die oben genannte Liste muss ich
eine weitere Spalte einfügen: „Ruf-
name“. Kaum ein Konstantinos oder
Nikolaos wird auch so gerufen; meist
heißen sie Kosta oder Niko oder gar
Kostaki bzw. Nikolaki. Letztere Version
stellt eine beliebte und häufig vorkom-
mende Diminutivform dar.
Griechische Eltern lieben es, alles zu
verniedlichen. Ihre Chrissoula wird zur
Soula, Kyriaki zur Koula und auch die
inzwischen berühmte „Toula Porto-
kalos“ aus dem Film „Big fat greek
wedding“ ist nur eine Koseform von
„Fotoula“.
Ilias: Ach ja Effi, da fällt mir genau in
diesem Zusammenhang ein typisches
Missverständnis ein, dass dem Sport-
lehrer unserer Schule, Heinz Messer-
schmidt, widerfahren ist. Vollkommen
außer Atem kam ihm die überbesorgte
Mutter einer Schülerin entgegen. Ihre
arme kleine Tochter Koula (15 Jahre
alt !) hätte ihren Sportbeutel und ihre
Pausenbrote vergessen. Sie fragte ihn,
ob er so freundlich wäre, diese Dinge
ihrer Tochter zu geben.
Herr Messerschmidt schaute nur irritiert
und sagte besten Gewissens, dass
er keine Schülerin mit diesen Namen
kenne und verwies die Mutter freund-
lich an das Sekretariat.
Diese Schülerin heißt in Wirklichkeit
Vassiliki...
Effi: Ein klassisches Missverständnis,
aber so ist es sicherlich schon einigen
ergangen. Unabhängig davon, dass
die griechische Mutter ein fast schon
„gluckenhaftes“ und für ein – für die
Erziehung des Kindes zur Selbststän-
digkeit – kontraproduktives Verhalten
zeigte.
Griechische Vornamen werden häufig
„vererbt“. Die Kinder tragen oft den
„antiquierten“ Vornamen eines der
Großeltern. Dieses bedeutet aber auch,
dass innerhalb einer Großfamilie viele
Cousinen und Cousins den gleichen
Vornamen tragen. Auch deswegen
werden häufig Rufnamen verwendet,
die zusätzlich noch häufig verniedlicht
werden. Beides führt zu Irritationen. Ich
habe mal ein paar Möglichkeiten aufge-
zählt, die mir so spontan einfallen:
tatsächl. Vorname Mädchen
mögl. Rufname(n)
Verniedlichung
Dimitra Dimi, Toula
oder Mimi
Dimitroula
Ekaterini Katerina Katerinoula
Eleni Nitsa, Lena,
Elena
Elenitsa, Elenaki
Fotini Toula, Foto Fotoula
Sofia Sofi Sofoula
Vassiliki Vicki, Kiki ,
Koula oder
Waso
Vassilikoula
Jungen
Aristoteles Aris Aroulis
Athanassios Thanassis,
Sakis, Thanos
Soulis
Dimitrios Dimitri, Dimi,
Mitsos, Mimis
Dimitrakis, Takis
Konstantinos Kostas Kostakis, Takis
Nikolaos Nikos Nikolakis
Ilias: Sag mal, Effi, wie lautet Dein Name eigentlich
„richtig“…? Evanthia, Evgenia, Evangelia, Eftichia
oder Efthalia???
GriechenlandAmtssprache: Griechisch (auch Bulgarisch und Mazedonisch)Einwohner: ca. 11 Mio.Schulsystem: neunjährige Schulpflicht, beginnend mit
dem 5. Lebensjahr; drei Schulformen: Dimotiko Scholio (Grund-
schule) 6 Jahre, Gymnasio 3 Jahre, dann auf feiwilliger Basis Lykeo (3–4 Jahre)
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„In bin eine Griechin aus Düsseldorf!“
Ich habe zwei Pässe, aber eine Identität,
die sich aus zwei Konstanten zusammensetzt.
Ich möchte nirgendwo anders leben,
aber auch niemals meine
griechische Art aufgeben.“
Iran
Hintergrund
Name:
Amin Reza Hadifar
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule und Gymnasium
in Deutschland
Fächer:
Biologie und Sport
Schule:
Gymnasium Lüdenscheid
Zwischen den Kulturen
„Hadifar? – Woher kommt eigentlich
ihr Name?“ – Mit dieser Frage beginnt
oder endet häufig eine Unterhaltung
mit einem deutschen Gesprächspartner.
„Mein Vater ist Iraner und lebt seit mehr
als vierzig Jahren in Deutschland. Meine
Mutter ist Deutsche.“
Jetzt mag die Frage aufkommen, wie
sehr ich, der in Deutschland geboren,
aufgewachsen und zwischen den Kul-
turen groß geworden ist, die iranische
Lebenswelt, ihre Werte und die Kultur
kennen gelernt habe. – Einerseits liegt
die Antwort darin, dass ich in vielen
Gesprächen mit meinem Vater mit dem
Denken und Fühlen seines Landes ver-
traut wurde. Andererseits pflegen wir
in unserer Familie die typisch iranische
Tradition der engen Familienbande, die
sich durch häufige gegenseitige Besu-
che in größerem Kreis kennzeichnet.
Auch mit iranischen Freunden wird die
ausgesprochen ausgeprägte Gesprächs-
kultur gepflegt.
Seit ich mein Studium und das Refe-
rendariat abgeschlossen habe, geht
es in vielen Gesprächen um Schule im
Allgemeinen, aber auch um Schule
zwischen den Kulturen. Wenn ich mich
über eine hohe Anzahl an Schülern in
meinen Klassen beklagt habe, so mus-
ste ich von vielen Iranern erfahren, dass
die Klassenstärke im Iran bei mehr als
vierzig Schülern liegt. Der Lehrer muss
mit Strenge die Klasse unterrichten. Im
Gegenzug wird er von seinen Schülern
als Respektperson anerkannt. – Respekt
spielt in der iranischen Kultur eine gro-
ße Rolle. In der Schule gebührt dem
Lehrer Respekt, im häuslichen Umfeld
im Besonderen dem Vater.
Aus eigener Erfahrung mit iranischen
Schülern kann ich bestätigen, dass
gerade dann, wenn es um die
Besprechung größerer schulischer
oder disziplinarischer Probleme geht,
es ratsam ist, den Vater als Ansprech-
partner in die Schule einzuladen, da
er innerhalb der Familie als zentrale
Respektperson gilt.
Aufgrund des hohen Bildungsbewusst-
seins vieler Iraner hat die Ausbildung
ihrer Kinder traditionell einen hohen
Stellenwert. Dabei haben viele irani-
sche Eltern häufig selbst als Schüler
in Deutschland die Erfahrung machen
müssen, den angestrebten Bildungsweg
mit dem Ziel der Allgemeinen Hoch-
schulreife nicht ohne Hindernisse durch-
laufen zu haben, da sie als jugendliche
Immigranten zunächst mit der Proble-
matik einer neuen Sprache und (Schul)
kultur konfrontiert waren.
Das Verhältnis zu deutschen Lehrern
hängt daher nicht selten von der eige-
nen Erfolgsgeschichte ab. In der Regel
haben sie ein großes Vertrauen in die
deutschen Lehrer, ihrer Erwartungshal-
tung in Sachen Bildung für ihre Kinder
gerecht zu werden. Den Kindern obliegt
nicht selten ein Leistungsdruck, dem
nicht jedes Kind gerecht werden kann.
Amtssprache: Persisch (auch Aserbaidschanisch, Turkmenisch, Kurdisch und Lurisch)
Einwohner: ca. 74 Mio.Schulsystem: Einschulung mit sechs Jahren; dann Primar-
Grundschule (5 Jahre), anschließend Lenkungs-periode (2 Jahre) abhängig von den gezeigten Fähigkeiten, oder Gewerbeschulausbildung (1–2 Jahre) als vorbereitende Berufsausbildung.
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Wer bin ich?
Hintergrund
Name:
Maria Variale
Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule, Mittelschule
und Gymnasium in Italien,
Studium „Moderne Sprachen
und Literatur“, Germanistik,
Anglistik und Romanistik
Fächer:
Italienisch, Deutsch und
Erziehungswissenschaften
Schule:
Grundschule Düsseldorf
Und übrigens:
Gewinn des Mercurio-Awards
2005 bei der deutsch-
italienischen Wirtschafts-
vereinigung (DIW)
Hintergrund
Name:
Christian Leeck
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule und Gymnasium
in Deutschland,
anschließend Studium
Fächer:
Geschichte und Italienisch
Schule:
Gesamtschule
Ennepe-Ruhr-kreis
Und übrigens:
Ich bin Deutsch-Italienier,
mütterlicherseits Sohn einer
sizilianischen Gastarbeiter-
familie. Bis zu meinem 6.
Lebensjahr bin ich einspachig
aufgewachsen, lernte deutsch
erst in der Grundschule.
Davide ist im Alter von 8 Jahren mit
seiner Familie aus einem kleinen kala-
brischen Bergdorf nach Deutschland
gekommen. Im Gegensatz zu seinen äl-
teren Geschwistern spricht Davide kein
Italienisch, denn in der Grundschule
sprach man weitestgehend Dialekt. Bei
seinen deutschen Mitschülern ist Davide
dennoch der klassische Italiener. Wenn
er in den Sommerferien auf dem Weg
nach Kalabrien Verwandte in Brescia be-
sucht, macht der Dialekt ihn dann aber
zum africano – so nennen die Norditali-
ener ihre Landsleute aus dem Süden. Im
Dorf angekommen, ist er wegen seines
Akzentes „der Deutsche“.
Sandro ist Deutschitaliener: Vater
Neapolitaner, Mutter Rheinländerin.
Italienisch spricht er nicht mehr. Sein
Vater will, dass er Deutsch lernt, und
ist froh, die Worthappen, die er von
Kollegen in der Fabrik lernt, zu Hau-
se mit seinem Sohn einzuüben. Nur
wenn er schimpft oder flucht, benutzt
er Italienisch. Wenngleich blond und
blauäugig, machen Sandros Gewohn-
heiten ihn zum Italiener: Natürlich trägt
er italienische Jeans, telefoniert mit
Alice und fährt Vespa. Alle paar Jahre
muss er mit seinem Pass zum Konsulat
nach Köln. Die auf Italienisch gestellten
Fragen des Beamten beantwortet er auf
Deutsch. Es gefällt ihm, dem Beamten
zu lauschen. Gerne würde er sich mit
ihm auf Italienisch unterhalten.
Eigentlich könnte er es auch.
Commento
Deutschitaliener, Sikulo-Napoletaner,
Passitaliener: Bei kaum einer Gastarbei-
ter-Nationalität haben interkulturelle
Ehen und Alltagsbedeutung der Dia-
lektsprachen zu so vielen verschiedenen
Konstellationen in Identitätsbewusstsein
und Sprachkompetenz von Kindern
geführt.
Wir Lehrer müssen aufräumen mit
Klischees. Es ist Unrecht, vordefinierte
Idealbilder, gar Vorurteile, auf Kosten
des Zweitspracherwerbs unserer aus-
ländischen Schüler walten zu lassen.
Elterngespräche ermöglichen eine
differenzierte Betrachtung: Wieviel
Italienisch kann das Kind schreiben,
sprechen, lesen? Kann es wirklich gar
nicht Italienisch sprechen oder etwa
doch, wenn auch nur einige markante
Worte aus frühen Kindheitstagen? Wie
spricht das Kind mit den Eltern, mit bei-
den? Wenn es mit ihnen kein Italienisch
spricht, heißt es, dass er es gar nicht
kann? Wenn ein Kind mit 6 Jahren nur
die Muttersprache spricht, dann loben
Sie die Eltern für das – in sprachlicher
Hinsicht – „unverdorbene“ Kind.
Lehrerrolle in der Förderung der Muttersprache bzw. Zweisprachigkeit
Ich bin Lehrerin im Muttersprachlichen
Unterricht und betreue seit sechs Jahren
den bilingualen Zweig „deutsch-italie-
nisch“ an einer Grundschule. „Vorran-
gige Aufgabe des Muttersprachlichen
Unterrichts ist es Mehrsprachigkeit zu
fordern“ meine Lehrerrolle sehe ich
daher darin, nicht nur meine Mutter-
sprache zu unterrichten, sondern beide
Sprachen zu verbinden.
Forschungsergebnisse und meine
eigenen Erfahrungen belegen, dass
bei zweisprachigem Unterricht, der
auch den Sprachvergleich einschließt,
der Erwerb der Zweitsprache günstiger
verläuft.
Motivation der Schüler und „Lernen mit
allen Sinnen“ sowie Einbeziehung der
Elternarbeit sind mir für einen erfolg-
reichen Unterricht wichtig. Neben den
schon existierenden Elterncafe wollten
viele Eltern ein gemeinsames Treffen,
wo auch ihre Kinder unter dem Motto
„Freude und Spaß mit beiden Sprachen“
involviert wären!
Deshalb gab es auf einem Elternabend
die Idee das Märchen „Schneewittchen
und die sieben Zwerge“ auf Deutsch
und auf Italienisch aufzuführen. Warum
ein Märchen? Märchen werden in allen
Ländern erzählt und verbinden die Men-
schen aller Kulturen. So entstand eine
Theater-AG, in der die Ziele, die Probe-
termine und die Koordinierungen der
Aufgaben der Eltern und der jeweiligen
Kinder in Details besprochen wurden.
Die Besonderheit dieses Projektes sehe
ich zum einen darin, dass Kinder stark
und selbstbewusst gemacht werden
können – sie werden selbstsicherer im
Auftreten und in den angewandten
Sprachen – zum anderen erhalten sie
die Möglichkeit, sich selbst neu zu
entdecken und auszudrücken. Ziel des
Theaterprojekts ist es auch gewesen,
sich mit den Möglichkeiten einer
konstruktiven Elternarbeit in der Schule
auseinander zu setzen, um so nach
optimalen Lösungen angemessener
Förderung der eigenen Kinder und
Unterstützung und Begleitung ihrer
Familien zu suchen.
Durch die konkrete Theaterarbeit
wird das Lernen in meinem Unterricht
wesentlich effektiver, weil in dem Thea-
terstück natürlich viel gesprochen wird.
Wir waren eine interkulturelle Gruppe,
die die ganze Zeit über sehr gut
zusammengearbeitet hat. Alle Kinder
haben sehr fleißig geprobt, gesungen
und gespielt. Sie waren durchgehend –
insbesondere aber bei der öffentlichen
Aufführung in der Schule – begeistert!
Die Eltern haben sogar auch die Bühne
mit den Kindern mitgestaltet. Musik,
Gesang und Tanz gehören zu unserem
Theaterstück dazu. So haben wir
ein richtiges Musical auf die Bühne
gebracht!
Mein ganz besonderer Dank gilt des-
halb besonders meinen Eltern, die mich
immer unterstützt haben, mit ihren
Inszenierungsideen, für ihre große
Motivation und Begeisterung, die sie
stets auf ihre Kinder übertragen haben
sowie für ihre Hilfsbereitschaft und
aktive Mitgestaltung.
ItalienAmtssprache: Italienisch (auch regional Deutsch, Ladinisch,
Französisch und Slowenisch)Einwohner: ca. 57 Mio.Schulsystem: zwölfjährige Schul- und Berufsausbildungs-
pflicht, beginnend mit dem 6. Lebensjahr; folgende Schulstufen: Grundschule (5 Jahre),
Mittelschule (3 Jahre), Oberschule (5 Jahre)
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Alltägliches, Allzualltägliches
Hintergrund
Name:
Ali Daccour
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Primary and Secondary School
im Libanon, zwei Jahre Haupt-
und drei Jahre Gesamtschule,
anschließend zwei Studien-
gänge und Referendariat
in Deutschland
Fächer:
Philosophie und
Sozialwissenschaften
Schule:
Gesamtschule Aachen
Und übrigens:
Bildung ist nicht das Befüllen
von Fässern, sondern das
Entzünden von Flammen.
(Heraklit)
Und was unterrichten Sie?
So lautet fast jede Frage nachdem mein
Gegenüber erfährt, dass ich Lehrer bin.
Die Antwort kaum abwartend, kommt
die zweite Frage geschossen, die
nach den Adressaten fragt. Vereinzelt
schwingt die Hoffnung in der Fragestel-
lung, „bitte nur Migrantenkinder!“ Als
ob diese anders seien.
Verunsichert bin ich manchmal schon.
Sind sie denn anders? Natürlich sind sie
anders. So anders wie jeder Mensch
anders ist. Sie sind anders anders.
Manche fühlen sich missverstanden,
manchmal liegt es wirklich an der
Sprache. Aber nicht immer an der
gesprochenen Sprache. Manche wollen
diese jungen Menschen zeigen, dass sie
jemand sind. Leider oft missverstanden,
weil die Lehrkraft, unverschuldet und
überfordert, fremdes Verhalten in die,
ach so einfach zu bedienende „auf-
müpfig“, „renitent“ „Sie-sind-halt-so“-
Klischee-Schublade steckt. Zugegeben
ein einfaches Verfahren.
Aber die Menschen sind nicht einfach,
sie sind viel-fach, viel-fältig und auch
bunt. Ich bin selbst so einer.
Zwei oder viel mehr Herzen schlagen in
meiner Brust. Meinesgleichen gibt
es nicht viele. Woran liegt das?
Nun, die Antwort ist nicht leicht –
aber die Lösung schon.
Ich setzte mich dafür ein, dass diese
Jungen und Mädchen sehen, dass
es durchaus möglich ist voran zu
kommen. Denn es fehlt an vielen
Seiten an Informationen, Mut und
Engagement.
Ich kann es gewiss nicht besser als
meine deutschen Kolleginnen und
Kollegen, aber die Kinder denken das.
Es kann nämlich auch ohne Worte
gehen, als lebendes Beispiel.
Die Chance als lebendes Beispiel für
junge Menschen zu fungieren ist in
Zeiten von Deutschland sucht den
Superstar und Deutschlands Next Top
Modell immer schwerer. Aber auf der
Mikroebene zahlt sich der Einsatz aus,
und zwar für alle.
Mit entfachter Leidenschaft ist viel zu
erreichen: Zukunftspläne, kontinuier-
liches Streben und, auf dem Weg dahin,
auch gute Noten spielen dabei eine
wichtige Rolle.
LibanonAmtssprache: Arabisch (auch Französisch als Verkehrssprache)Einwohner: ca. 4 Mio.Schulsystem: Einschulung mit dem 5. Lebensjahr; dreistufiges Schulsystem: Grundschule (6 Jahre),
Sekundarstufe I (3 Jahre), dann Sekundar- stufe II (3 Jahre)
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Heterogene marokkanische Schülerschaft
Elternsprechtag
Marokko
Hintergrund
Name:
Samira Boukllouà
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule,
2 Jahre Gymnasium,
4 Jahre Realschule,
3 Jahre Gesamtschule,
Studium in Wuppertal,
Referendariat in Remscheid
Fächer:
Mathe, Deutsch und
Sachunterricht
Schule:
Wartburg Grundschule
in Münster
„Den“ marokkanischen Schüler gibt es
nicht, genauso wenig wie es „die“ ma-
rokkanische Sprache gibt. Die meisten
in Deutschland lebenden Marokkaner
stammen aus berberischen (besser: ma-
sirischen) Gemeinden. Diese unterschei-
den sich vor allem sprachlich, teilweise
aber auch in vielen Sitten von den
arabisch-marokkanischen Gemeinden.
Oft müssen masirische Schüler in
der Grundschule mehrere Sprachen
gleichzeitig erlernen: Arabisch im
Muttersprachlichen Ergänzungsunter-
richt, Deutsch in der Grundschule und
bald darauf Englisch. Auch bestehen
individuell große Unterschiede im
Bereich der kulturellen Akzeptanz, der
inneren Bindung an islamisch-traditio-
nelle Regeln, Sitten und Gebräuche wie
auch der unterschiedlich weit fortge-
schrittenen Integration der jeweiligen
Eltern. Hierbei ist allerdings nicht nur
das Kriterium ausschlaggebend, ob die
Eltern der ersten, zweiten oder dritten
Einwanderergeneration angehören.
„Warum schreien Sie so?“ Diesen Ein-
druck bekommt man als Lehrkraft oft,
wenn man mit marokkanischen Eltern
spricht.
So kommt es in der marokkanischen
Kommunikation nicht selten vor, dass
mit einer viel intensiver eingesetzten
Gestik und höheren Lautstärke gespro-
chen wird.
Die Lehrkraft darf sich durch die Art
und Weise der Gesprächsführung der
Klassenfahrten
Im marokkanischen Kulturkreis werden
die Kinder während der Grundschulzeit
selten zur Selbstständigkeit erzogen.
Der Lehrer sollte während eines
Elterngesprächs nicht die Förderung
der Selbstständigkeit als Argument
anführen, da dies den gegenteiligen
Effekt haben könnte. Das Hauptar-
gument sollte vielmehr die Tatsache
darstellen, dass das eigene Kind nie
allein ist, so dass andere ihm jederzeit
in problematischen Alltagssituationen
helfen können.
Ganz anders stellt sich die Lage im Se-
kundarbereich dar. Viele marokkanische
Eltern haben die Befürchtung, dass ihre
heranwachsenden Kinder, vor allem die
Mädchen, während eines mehrtägigen
Aufenthalts außerhalb ihres direkten
Einflussbereichs die Möglichkeit wahr-
nehmen könnten, all das auszuleben,
was im islamisch-marokkanischen Kul-
turkreis nicht gebräuchlich sein sollte.
Hierbei macht es wenig Sinn, das
direkte Gespräch mit den Eltern zu
suchen und sie davon zu überzeugen
versuchen, dass es sich hierbei um eine
schulische Veranstaltung handele und
somit eine Bildungsreise sei.
Vielmehr wäre es vorteilhafter, wenn
die Lehrkraft den Kontakt zu marokka-
nischen Eltern suchen würde, die keine
Probleme darin sehen, ihre eigenen
heranwachsenden Kinder an einer
Klassenfahrt teilnehmen zu lassen.
Diese kontaktierten marokkanischen
Eltern sollten dann das Gespräch mit
den kritischen Eltern suchen und ihnen
darlegen, dass eine Klassenfahrt anders
abläuft, als sich die ablehnenden Eltern
vorstellen können.
Amtssprache: Arabisch (auch diverse Berbersprachen und Spanisch)
Einwohner: ca. 32 Mio.Schulsystem: allgemeine Schulpflicht für 7–13-jährige,
beginnend mit dem 7. Lebensjahr; dreistufiges Schulsystem: Grundschule (5 Jahre),
Unterstufe (4 Jahre), dann Oberstufe (3 Jahre)
marokkanischen Eltern (zumeist der
Väter) nicht irritieren oder im schlimms-
ten Fall persönlich angegriffen fühlen.
Auch sollte ein stutziger Gesichtsaus-
druck in diesem Zusammenhang nicht
deutlich gezeigt werden, da eine solche
körperliche Haltung im marokkanischen
Kulturkreis als respektlos aufgefasst
wird. Die marokkanischen Elternteile
fühlen sich persönlich angegriffen, gar
in ihrer Ehre angegriffen und erkennen
nicht, dass die Haltung der Lehrkraft auf
ihre Körpersprache zurückzuführen ist.
Hintergrund
Name:
Mostapha Boukllouà
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule und Gymnasium,
Studium mit anschließendem
Referendariat in Deutschland
Fächer:
Deutsch, Französisch und
Geschichte
Schule:
Berufskolleg Krefeld;
Geschäftsführer START-
Stiftung
Und übrigens:
Bildung und Wissen sind
nichts ohne Engagement und
ganzheitliches Verständnis
vom Menschen selbst.
14 15
Anerkennung und Respekt
Nigeria
Hintergrund
Name:
Ifeanyi Werner Okwuosa
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Primary School in Nigeria
Grundschule in Deutschland
zwei Jahre Hauptschule,
vier Jahre Realschule
drei Jahre Gymnasium,
anschließend Studium und
Referendariat in Deutschland
Fächer:
Englisch und Geschichte
Schule:
Realschule Halle
Mittlerweile sind 17 Jahre vergangen,
seitdem ich im Alter von neun Jahren
mit meinen Eltern nach Deutschland
kam. Für meine Eltern war es die Rück-
kehr in ein bekanntes Land; für mich
hingegen das Betreten von Neuland
und damit ein Neuanfang in einer,
aus meiner damaligen Sicht „fremden
Welt“, in der ich mich erst noch ein-
leben musste. Ein großer Teil dieses Ein-
lebens fand für mich in der Schule statt,
wo ich viele neue Erfahrungen sammeln
konnte und dem kulturellen Verständnis
sowie der Mentalität der Menschen in
Deutschland näher kam.
Sicherlich zählt die Erfahrung, die
ich während meiner Schullaufbahn
gemacht habe, zu den Gründen,
warum ich mich entschieden habe,
Lehrer zu werden.
Ich lernte während meiner Schulzeit
die unterschiedlichsten Schulformen
kennen. So besuchte ich nach der
dritten Klasse in der Primary School
in Nigeria zwei Jahre die Grundschule
in Deutschland, zwei Jahre die Haupt-
schule, vier Jahre die Realschule und
drei Jahre das Gymnasium.
Die Schulzeit bedeutete für mich also
ein stetiges Aufstreben und Aufsteigen
innerhalb des dreigliedrigen Schul-
systems. Ein großer Teil meines
schulischen Erfolgs ist dabei auch auf
die besondere pädagogische Arbeit
einiger meiner damaligen Lehrer
zurückzuführen. Diese hatten ein
gewisses „Händchen“ dafür, auf alle
Schüler gleichermaßen einzugehen
und die Leistungen aller Schüler ange-
messen zu würdigen.
Besonders in der Hauptschule waren
meine damaligen Lehrer stets an den
Lernfortschritten jedes einzelnen
Schülers interessiert und bestärkten
einen in dem, was man tat.
Bei solchen Lehrern fühlte ich mich
wohl und gut aufgehoben, weil sie
nicht nur auf das inhaltliche Vermitteln
ihres Lernstoffes fokussiert waren,
sondern auch besondern Wert darauf
legten, Persönliches zu erfahren.
In Unterrichtssituationen, in denen ich
über das Leben, die Menschen und die
Kulturen in Nigeria berichtete, merkte
ich, dass sich auch die Lehrer und
Mitschüler für den anderen Teil meines
kulturellen Hintergrundes interessierten.
Aus meiner eigenen Erfahrung heraus
erachte ich es als wichtig, dass Schüler,
die einen anderen bzw. zusätzlichen
kulturellen Hintergrund besitzen, die
Möglichkeit und Freiräume bekommen,
über ihre Kultur und ihr Herkunftsland
zu berichten.
Damals und heute habe ich mich oft
mit den Kulturunterschieden zwischen
Deutschland und Nigeria auseinan-
dergesetzt, weil es Teil meiner Persön-
lichkeit ist. Unter Mitschülern anzuer-
kennen, welche Besonderheiten es in
der jeweils anderen Kultur oder dem
Herkunftsland gibt, leistet nicht nur
einen Beitrag zum besseren Verstehen
kultureller Unterschiede, sondern trägt
auch zur Persönlichkeitsentwicklung
bei.
Unwissenheit und Klischees, die unter
manchen Mitschülern verbreitet sind,
werden geklärt. Auch wenn es man-
chen Schülern nicht leicht fällt von sich
zu berichten, sollte es doch möglich
sein – wenn auch behutsam – mit einer
gewissen Selbstverständlichkeit immer
mal wieder offene Gesprächmöglich-
keiten im Unterricht anzubieten.
Tipps für einen lernförderlichen Umgang mit Schülern und Eltern aus Nigeria
Da sich das Schulsystem und der
Unterricht in Nigeria enorm von dem
in Deutschland unterscheiden, ist es
wichtig, dass Eltern, Schüler und Lehrer
sich über die besonderen Unterschiede
zwischen den Schulsystemen infor-
mieren und austauschen.
Im Gegensatz zum Unterricht in
Deutschland, das Schülern die Mög-
lichkeit bietet auch offen miteinander
zu interagieren, ist der Unterricht in
Nigeria stark frontal ausgelegt. Dies
bedeutet, dass Schüler aus Nigeria
eher an rezeptives und reproduktives
Lernen gewöhnt sind. Die Sitzordnung
ist stets zur Tafel ausgerichtet und das
Unterrichtsgeschehen wird so stark
vom Lehrer aus bestimmt, dass Schüler
kaum Fragen stellen dürfen.
Des Weiteren besteht neben der heute
noch durchgeführten Prügelstrafe in
Anlehnung an das britische Schulsystem
eine Schuluniformpflicht.
Es ist also verständlich, dass eine
Umstellung auf das deutsche Schul-
system für Schüler und Eltern anfangs
befremdlich wirken kann und einiges an
Umgewöhnung erfordert.
Während der Umgewöhnungszeit
wirken die Schüler im Unterricht
sicherlich zurückhaltend, unsicher und
schüchtern, wenn es darum geht sich
mündlich und offen am Unterrichtsge-
schehen zu beteiligen. Eine rücksichts-
volle und freundliche Erwartungshal-
tung des Lehrers sollte den Schülern
die Chance bieten, sich zunehmend am
offenen Unterricht zu beteiligen.
Neben der Umgewöhnung im schu-
lischen Bereich sollte berücksichtigt
werden, dass die Schüler und ihre Eltern
sich in einer allgemein gesellschaftli-
chen und kulturellen Eingewöhnung
befinden, die ihre Zeit braucht. Wichtig
während einer Umgewöhnungszeit ist
es, dass die Schüler mit ihren Defiziten
als „vollwertige“ Mitglieder in die
Klassengemeinschaft aufgenommen
werden und spüren, dass sie akzeptiert
werden. Die Lehrer sollten Interesse für
die möglichen Probleme der Schüler
zeigen und ihnen Unterstützung bei
ihren Hürden im Schulalltag anbieten.
Amtssprache: Englisch (auch Yoruba, Hausa und Igbo sowie ca. 430 weitere Sprachen)
Einwohner: ca. 140 Mio.Schulsystem: neunjährige Schulpflicht, beginnend mit dem
6. Lebensjahr, jedoch besuchen nur ca. 50% aller Kinder im Schulalter eine Schule.
i
16 17
i
Ziele und Möglichkeiten
Palästina
Hintergrund
Name:
Dr. Tagrid Yousef
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grund- und Hauptschule
in Deutschland, (Abschluss
10. Klasse mit Q)
Gymnasium in Deutschland,
anschließend Studium und
Promotion, Wissenschaftlerin
an der Universität Bochum
Fächer:
Biologie und Physik
Schule:
Berufkolleg Duisburg
Und übrigens:
Ich engagiere mich intensiv
für eine interkulturelle
Vernetzung und einen
offenen Dialog. Deshalb
erkläre ich den Islam!
Erster Unterrichtstag für meine neue
Klasse. Erstaunte Gesichter sehen mich
an. Ich lächele um das Eis zwischen
uns zu brechen. Erste Aufgabe: Eine
Kennenlernrunde! Gemeinsam bilden
wir einen Sitzkreis. Ich beginne mit der
Vorstellung meiner Person.
Mein Name ist Tagrid Yousef. Ich bin
April 1967 in Palästina, in der Nähe
von Ramallah, geboren. Ende 1968 hat
mein Vater meine Mutter und mich zu
sich nach Deutschland geholt. Er war
damals einer der ersten Gastarbeiter in
Deutschland.
Ich bin in Essen groß geworden und
ging in den katholischen Kindergarten,
besuchte die Grundschule, die Haupt-
schule und machte meinen Realschul-
abschluss.
Eine Biographie in aller Eile. Erstaunte
Gesichter! Und da ist sie schon, die
übliche Frage:
Schüler: „Wie haben Sie das denn ge-
macht? Hauptschulabschluss und dann
einen Doktortitel? Das will ich jetzt aber
wissen.“
Dr. Tagrid Yousef: „Wenn man etwas
erreichen möchte, und seine ganze
Energie in dieses Ziel setzt, dann kann
man es schaffen. Nach dem Abitur bin
ich nach Bochum gezogen und habe
dort Biologie auf Diplom studiert. Mein
Interesse galt schon immer der Hirnfor-
schung, so erklärt sich mein Doktortitel.
Zuerst habe ich angehende Augen-
optiker in Düsseldorf unterrichtet,
aber da kam mir die Biologie zu kurz.
Daher unterrichte ich heute euch, am
Berufskolleg in Duisburg und Biologie
im Leistungskurs. Meine Vorlesungen
an der der Universität machen mir auch
Spaß.
Ein weiteres wichtiges Hobby sind Fort-
bildungen, die ich für meine Kollegen
anbiete. Hier geht es um Lehrergesund-
heit, Islam und interkulturelle Kompe-
tenz und um das richtige Lernen!
Es macht mir Spaß, mit jungen Men-
schen zusammen zu sein und mein
Wissen und meine Erfahrungen, an sie
weiter zu geben.“
Schüler: „Cool!“
Feiertage und Pflichten
Die vorangegangen beschriebene
Situation ist nur eine Szene, die zeigt,
dass die Bildungsbiographie des Lehrers
bzw. der Lehrerin für den Lernprozess
der Schüler durchaus wichtig und auch
interessant sein kann. Ein Bestandteil
erfolgreichen Unterrichtens ist neben
der Offenbarung der eigenen Lern-
stationen sicherlich auch faktisches
interkulturelles Wissen.
Ein Beispiel: Wenn Sie merken, dass
während der Ramadanzeit Ihre Schüler
morgens müde und unkonzentriert sind,
dann sprechen Sie mit ihnen. Dieser
Monat ist der wichtigste im islamischen
Kalenderjahr. Für unsere Schüler aber
auch der Schwierigste.
Viele Familienbesuche, viele leckere
Köstlichkeiten bis spät in die Nacht,
morgens vor dem Sonnenaufgang
aufstehen und in aller Eile noch eine
Kleinigkeit zu sich nehmen. All dies
neben der Schule! Das geht nicht spur-
los an einem Menschen vorbei.
Hinzu kommt die besondere Belastung
der Mädchen, deren Pflicht es ist, ihren
Müttern beim Kochen und Bewirten der
vielen Gäste zu helfen.
Das Wissen über diese besondere
häusliche Situation entlastet die Schüler
sicherlich nicht von ihren schulischen
Pflichten, erklärt aber der Lehrkraft,
warum in einigen Wochen im Jahr die
Aufgaben nicht allzu perfekt ausgeführt
werden können.
Amtssprache: Arabisch (auch Englisch und Hebräisch)Einwohner: ca. 4 Mio.Schulsystem: allgemeine Schulpflicht zwischen dem 6. und
15. Lebensjahr, Einschulung im 6. Lebensjahr; einheitliche Schulausbildung bis zur 10. Klasse,
dann entscheidet der Notendurchschnitt, ob nach zwei weiteren Schuljahren das Abitur abgelegt werden kann.
18 19
Spanieni
Wer ist anders? – Wer ist gleich?
Hintergrund
Name:
Dorota Sussdorf
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule und Gymnasium
in Deutschland,
anschließendes Studium
Fächer:
Kunst und Pädagogik
Schule:
Berufsschule Düsseldorf
Und übrigens:
Es ist gut bilingual zu sein.
Ich gebe die polnische
Sprache auch an meine
Kinder weiter.
Ganz ehrlich… seit 1999 arbeite ich
im Schuldienst und mir ist noch nie
aufgefallen, dass Kinder mit polnischem
Migrationshintergrund andere oder
besondere Probleme im Umgang mit
Mitschülern und Lehrern zeigen.
Zumeist sind die Kinder und Jugend-
lichen sehr gut integriert, sowohl
sprachlich als auch gesellschaftlich.
Besonders angenehm ist, dass die
Eltern die Kinder häufig unterstützen
und Anteil an der schulischen Karriere
des Kindes nehmen. Lehrerinnen und
Lehrer werden als Respektspersonen
anerkannt.
Wenn man mit Schülern mit polni-
schem Migrationshintergrund zu tun
hat, muss man zwischen den Schlesi-
ern, d.h. denen, die deutsche Wurzeln
haben und den „wirklichen“ Polen, die
zumeist illegal aus Polen ausgereist sind,
unterscheiden. Letztere haben die politi-
sche Situation in den 70ern und 80ern
nicht ertragen. Diese Gruppe verfügte
zumeist über Hochschulabschlüsse,
belegte sehr gute Sprachkurse am
Goethe-Institut und hat sich dement-
sprechend gut integriert. Meine Eltern
sind beide Architekten und die Freunde
aus den Sprachkursen von früher sind
Ingenieure, Ärzte und Apotheker. Wenn
wir uns treffen sprechen alle polnisch,
keiner verleugnet in der Öffentlichkeit
seine Wurzeln.
Die Schüler, die aus Schlesien stammen
haben zu Polen (verständlicherweise)
keine emotionale Bindung und haben
sich auch in der Zeit, als sie dort lebten,
als Deutsche gefühlt. Sie sind zum Teil
sogar gekränkt, wenn man sie als Polen
bezeichnet. Die Probleme dieser Schüler
sind also bis auf den oben genannten
Punkt ähnlich gelagert, wie die der
deutschen Schüler.
Das heißt, dass jeder Pädagoge, ob
mit oder ohne Migrationshintergrund
in der Lage sein sollte, vernünftig und
einfühlsam mit Kindern mit nicht
deutschen Wurzeln umzugehen, denn
es ist in meinen Augen sehr wichtig
alle Schülerinnen und Schüler gleich zu
behandeln.
Gleich heißt für mich, dass alle sich an
die selben Regeln und Vorgaben eines
Schulsystems halten müssen und dass
man für Schüler, die zum Beispiel einem
anderen Glauben angehören, nicht
anfängt besondere Regeln zu schaffen.
Wenn es zum Beispiel als pädagogisch
sinnvoll erachtet wird, dass alle Kinder
schwimmen lernen, sollten nicht einige
Kinder davon ausgenommen sein.
PolenAmtssprache: PolnischEinwohner: ca. 39 Mio.Schulsystem: allgemeine Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr,
Einschulung im 7. Lebensjahr (ab 2012 mit 6 Jahren); dreistufiges Schulsystem: Grund-schule (6 Jahre), Gymnasium (3 Jahre), dann wahl zwischen Berufsausbildung und Abitur.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass
der Umgang von Schülern mit Mig-
rationshintergrund mit allen Lehrern
mehr von Vertrauen als von Misstrauen
bestimmt wird und dass die Kolleginnen
und Kollegen mehr Zeit für die Lösung
von pädagogischen Problemen haben.
Dies wäre der Fall, wenn es für proble-
matischere Fälle seitens der Bürokratie
einheitliche Vorgaben ohne Ausnahmen
gäbe.
20 21
i
Gegenseitige Anerkennung ist wichtig
Hintergrund
Name:
Roswita Regina Weber
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule, Gymnasium
und Studium in Rumänien,
Referendariat in Deutschland
Fachleiterin seit drei Jahren,
Lehrerin seit 12 Jahren
Fächer:
Chemie und Physik
Schule:
Hauptschule in Hamm,
Seminar Chemie und Physik,
Fachleiterin im Studien-
seminar Lüdenscheid
Mein Name ist Roswita Weber. Als jun-
ge Erwachsene emigrierte ich mit mei-
ner jungen Familie im Jahre 1990 nach
Deutschland. Nach einem Zwischenla-
geraufenthalt machte ich mich daran
meinen Berufswunsch als Lehrerin zu
verwirklichen. Zunächst arbeitete ich
als Chemikerin. Studierte drei Semester
Erziehungswissenschaften, Chemie und
Physik.
So erhielt ich die volle Anerkennung
zum 1. Staatsexamen. Nun gehe ich
meiner Arbeit als Hauptschullehrerin
im 13. Jahr nach, seit drei Jahren als
Fachleiterin für die Fächer Chemie und
Physik im Studienseminar Lüdenscheid.
Ich würde diesen Weg jederzeit erneut
wählen.
Das Verhalten der Eltern rumänischer
Herkunft ist dem Lehrpersonal gegen-
über von Respekt und Loyalität geprägt.
Das Urteil des Lehrers oder der Lehrerin
wird in Gesprächen mit den eigenen
Kindern nicht in Frage gestellt.
Es ist ein Verhältnis der gegenseiti-
gen Anerkennung, in dem Eltern wie
Lehrkräfte ein wechselseitiges Vertrau-
ensverhältnis eingehen. Gemeinsame
Absprachen werden eingehalten und
bei Missachtung dieser erfolgen zeitnah
Gespräche.
Die jeweilige Lehrkraft gehört mit all
ihren Schwächen und Stärken zur Fami-
lie. Sie unterstützt, begleitet und behält
es sich vor, nach Rücksprache mit der
Familie einen Hausbesuch zu machen.
Dieser ist in der Regel Pflicht.
Das folgende Gespräch ist typisch für
die Familien mit rumänischen Wurzeln.
Am Esstisch Nicu und seine Mutter
Nicu: „Das ist richtig unfair bei uns in
der Schule. Ein Mitschüler macht im
Unterricht viel weniger mit als ich und
bekommt eine bessere Note als ich!
Das kann doch nicht sein!
Mutter: „Wie kannst du bloß so etwas
behaupten? Wenn der Lehrer das ge-
sagt hat, stimmt das sicher!
Er wird Dinge beobachtet haben, die
dir vielleicht nicht so bewusst sind, wie
ihm. Er wird seinen Grund haben, dir
eine schlechtere Note zu geben.“
Nicu: „ Aber…“
Mutter unterbricht ihn.
Mutter: „Nein, bitte Nicu. Das Urteil
eines Lehrers wird bei uns in der Familie
nicht in Frage gestellt.
Wir haben ihn kennengelernt, er
schätzt dich als Schüler sehr und
er hat sein Fach gründlich studiert.
Daher wird er wissen, weshalb er wie
handelt.“
Auf unterschiedlichen Wegen zu gleichen Zielen
Oftmals können Lernende mit Zuwan-
derungsgeschichte, besonders im natur-
wissenschaftlichen Bereich unterschied-
liche Lösungswege und Methoden mit
in den Unterricht bringen.
Das können wir als Lehrkräfte für den
Unterricht nutzbar machen, indem der
Lernende mit Zuwanderungsgeschich-
te seine Lösungsweise in der Klasse
vorstellt. Ein gangbarer Weg interkul-
tureller Erziehung in den mathematisch
orientierten Schulfächern.
Nachmittags bei den Hausaufgaben
Nicu: „Mama, ich komme mit den Haus-
aufgaben in Mathe nicht klar. Kannst du
mir einmal helfen?
Mutter: „Zeig mir mal die Aufgaben!“
Mutter sieht sich die Aufgaben an.
538 x 217 = ?
Mutter: „Das ist ganz einfach.
Ich erkläre dir wie das geht.
Nicu: „Mama, du bringst mich jetzt
völlig durcheinander.
Im Heft sieht das ganz anders aus.“
Mutter: „Komisch! Das ist nicht so
wichtig. Das Ergebnis ist doch identisch.
Oder, was meinst du?“
RumänienAmtssprache: Rumänisch (auch regional Ungarisch)Einwohner: ca. 22 Mio.Schulsystem: allgemeine Schulpflicht zwischen dem 7. und
15. Lebensjahr, Einschulung im 7. Lebensjahr; in dieser Zeit zwei Schulformen: Primarschule
(7.–11. Lebensjahr) und untere Sekundärschule (11.–15. Lebensjahr) mit Abschlussexamen, dann Besuch der oberen Sekundärschule möglich.
538 x 217 3766 538 1076 116746
538 x 217 = 116746
++
5(538 x 7)
(538 x 1)
(538 x 2)1
2
5 2
637
7
3
1+
(538 · 200)
(538 · 10)
(538 · 7)+
1
1
086
4
8
0
1
7
006
6
·
753
6
22 23
Russland
Hintergrund
Name:
Liubov Vasilenko
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Zehn Jahre Schule in Russland,
fünf Jahre Studium in Russ-
land (Lehramt Französisch
und Deutsch), Studium und
Referendariat in Deutschland
Fächer:
Sozialwissenschaften, Politik
und Französisch
Schule:
Realschule Süchteln
Und übrigens:
Seit meiner Referendarzeit
bin ich ein aktives Mitglied im
Netzwerk für Lehrkräfte mit
Zuwanderungsgeschichte.
Russische Seele auf deutschem Boden
Die Russen, die nach Deutschland
kommen, sind sich der Schwierigkeiten
im Rahmen ihrer Integration bewusst,
deshalb bemühen sich die meisten
Eltern die deutsche Sprache möglichst
schnell zu erlernen, denn die Sprache
ist bekanntermaßen das A und O einer
Kultur.
Des Weiteren sind es die typischen
Klischees die den russischen Migranten
Schwierigkeiten bereiten. Man sagt,
die Russen seien kalt, unnahbar und
distanziert.
Meine Antwort dazu ist – jain! Es sind
eher Anzeichen von zu zollendem
Respekt und vorhandener Unsicherheit
in einem fremden Land. Es ist die simple
Unsicherheit des eigenen Handelns und
die ständige Frage, ob man etwas falsch
oder richtig macht.
Das Eis muss einfach gebrochen wer-
den, das merkte ich in meiner Ausbil-
dung zur Lehrerin sehr schnell.
Oftmals war es wahrscheinlich ein-
fach nur die Angst vor dem Fremden
und Unbekannten, die auch von den
deutschen Kollegen ausgestrahlt wurde.
Trotz aller anfänglichen Probleme habe
ich es geschafft meine beruflichen und
privaten Ziele zu erreichen und möchte
gerne meine gemachten Erfahrungen
mit anderen „Fremden in diesem Land“
teilen.
Tipp für die Schule:
In der Schule helfen dabei die gemein-
samen Lehrerausflüge und Klassen-
fahrten. Versuchen Sie die russischen
Eltern mehr in das Klassenleben mit
einzubeziehen.
Amtssprache: Russisch (in autonomen Republiken oftmals zusätzlich die jeweilige Volkssprache)
Einwohner: ca. 149 Mio.Schulsystem: neunjährige Schulpflicht, Einschulung im
7. Lebensjahr; Grundschule (3–4 Jahre), Hauptschule (6 Jahre), der Abschluss berechtigt zum Besuch der oberen Sekundarstufe (2 Jahre), anschließendes Studium möglich.
iRussland
24 25
Hintergrund
Name:
Natividad Basar
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule, sechs Jahre
Realschule und drei Jahre
Gymnasium, anschließend
Studium, Babypause und
Referendariat
Fächer:
Spanisch, Französisch und
Sozialwissenschaften
Schule:
Stadtgymnasium Köln-Porz
Und übrigens:
Meine ganz persönliche
Motivation ist es, jungen
Menschen eine reele
Bildungsperspektive zu
geben.
Wege und Ziele
Spanien
Hintergrund
Name:
Carlos Barrasa Rodriguez
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grund- und weiterführende
Schule in Spanien,
Studium der Philosophie in
Madrid, Studium und
Referendariat in Bochum
Fächer:
Spanisch, Sozialwissen-
schaften und Philosophie
Schule:
Albert-Einstein-Gymnasium,
St. Augustin
Verstehen und Verständnis
Bei den spanischen Eltern hat eine gute
Ausbildung ihrer Kinder traditionell
einen hohen Stellenwert.
Aus diesem Grund nehmen sie die
Beratungsangebote der Kollegen in
der Regel gerne an.
Probleme auf der Kommunikations-
ebene können aufgrund der Mentali-
tätsunterschiede jedoch auftauchen:
so reagieren Spanier eher indirekt,
wenn sie ein Angebot oder einen
Vorschlag ablehnen; anstatt ein klares
„nein“ werden mehr oder weniger
plausible Hindernisse als Ausreden
eingebracht.
aus meiner eigenen Familiengeschichte
bekannt. Die Kinder sollen ihre Herkunft
kennen, ihre Kultur nicht vergessen und
Herkunftssprache erlernen, doch bei all
dem sich auch sprachlich und kulturell
integrieren.
Etwas anzunehmen, ohne etwas an-
deres dabei abzugeben; dies ist keine
geringe Herausforderung.
Meine Gespräche mit spanischsprachi-
gen Eltern enden häufig in Zufrieden-
heit darüber, dass ich Kind und Eltern
verstehe und ein positives Vorbild für
alle bin, die eine Zuwanderungsge-
schichte haben und einen Beweis dafür
brauchen, dass auch Menschen mit
Zuwanderungsgeschichte eine Chance
haben. So erscheint es mir wichtig,
Aspekte europäischer „Gastarbeiter-
geschichte“ im Rahmen des Unterrichts
nicht zu vernachlässigen. Anlässe gibt
es zweifelsohne genug.
Für mich als Lehrkraft mit spanischem
Hintergrund ist dies immer ein High-
light im Laufe jeden Schuljahres, ist es
doch auch meine Geschichte. Als Kind
habe ich mich sehr für die Migrations-
geschichte meiner Eltern interessiert,
vieles hinterfragt und Reaktionsmuster
verstanden. Ein lohnenswerter Exkurs in
das Leben vieler tausender Zuwanderer
in diesem Land.
Denken Sie nicht dabei, dass Ihr Bemü-
hen deswegen nicht ernst genommen
wird, vielmehr handelt es sich um eine
Art Höflichkeit. Klare Absagen wer-
den bei uns vermieden, um mögliche
Kränkungen oder Verletzungen unseres
Gegenübers vorzubeugen. Wenn Sie
das Gefühl haben, dass Sie auf eine Art
„sanften Widerstand“ stoßen, bitten
Sie um Alternativen und drücken Sie
gegebenenfalls Ihr Staunen oder Ihre
Enttäuschung aus. Bei uns gewinnt die
emotionale Ebene nämlich stets die
Oberhand, während eine sachliche,
neutrale Beratung sogar Misstrauen
erzeugen kann.
Amtssprache: Spanisch (auch Aranesisch, Baskisch, Galicisch und Katalanisch)
Einwohner: ca. 39 Mio.Schulsystem: allgemeine Schulpflicht zwischen dem 6. und
16. Lebensjahr, Einschulung im 6. Lebensjahr; Grundschule (5 Jahre), weiterführende Schule
(4 Jahre), anschließend Berufsausbildung (2 Jahre) oder Universitätsstudium.
i
Häufig reagieren spanischsprachige
Eltern mit Verwunderung auf die Tatsa-
che, dass eine spanische Muttersprach-
lerin als „normale“ Lehrerin vor ihnen
steht. Wenn überhaupt kennen sie aus
der eigenen Kindheit und Jugend die
„Lehrerin für muttersprachlichen Ergän-
zungsunterricht“, deren Unterricht sie
nachmittags besuchen mussten.
Der ersten Verwunderung folgt stolze
Anerkennung dessen, was eine Lehr-
kraft mit Zuwanderungsgeschichte
alles geleistet haben muss, um nun
als deutsche Lehrkraft mit spanischen
Wurzeln tätig zu sein.
„Siehst du, was man alles erreichen
kann, nimm dir ein Beispiel daran.“ ein
typischer Gedanke eines Elternteils nicht
deutscher Herkunft. Die Kinder sind
bei diesen Gesprächen erstaunt, wie
entspannt die Eltern-Lehrer-Gespräche
verlaufen können.
So ist es nicht unüblich, sich zunächst
über die alte Heimat zu unterhalten,
sich gegenseitig über die persönliche
Migrationsgeschichte auszutauschen
und nicht selten Gemeinsamkeiten zu
entdecken. Selbst größere schulische
Probleme, die unter Umständen zu
solch einer Begegnung geführt haben,
erscheinen bei so vielen Gemeinsam-
keiten als lösbar.
Die Ängste und Sorgen der Eltern in
ihrer neuen Heimat sind mir sehr wohl
26 27
Aus dem Alltag
Hintergrund
Name:
Seher Özkartal
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule und Gymnasium
in Deutschland,
Studium in Duisburg-Essen
(Lehramt Sekundarstufe I
und II)
Fächer:
Deutsch und Türkisch
Schule:
Gesamtschule Duisburg
Und übrigens:
Neben der schulischen ist mir
die soziale Integration von
Jugendlichen mit Migrations-
hintergrund sehr wichtig.
Daher engagiere ich mich
insbesondere in diesem
Bereich (Vereinstätigkeiten,
Workshops).
Den Eltern mit Zuwanderungsgeschich-
te wird oftmals mangelnder Wille und
fehlendes Interesse in schulischen
Belangen ihrer Kinder nachgesagt. Die
Praxisbeispiele, die ich an drei Schulen
bisher erlebt habe, verdeutlichen mir,
dass das nicht ohne Weiteres verallge-
meinert werden kann. Eltern mit und
ohne Migrationshintergrund lieben ihre
Kinder und interessieren sich für den
Bildungserfolg dieser.
Im Rahmen der Big Brother & Big Sister
AG versuchen wir durch das Angebot
eines unterstützenden Förderunter-
richts seitens der bildungserfolgreichen
Oberstufenschüler, die Chancen
bildungsbenachteiligter Schüler ins-
besondere mit Migrationshintergrund
zu verbessern.
Neben der Arbeit mit Schülern ist
unser Augenmerk auch auf ihre Eltern
gerichtet. Zu diesem Zweck werden im
Rahmen unserer Arbeitsgemeinschaften
Elternveranstaltungen angeboten, in
denen die verschiedenen Möglichkeiten
schulischer Ausbildung sowie ihre Rech-
te und Pflichten als Eltern zweisprachig
vorgestellt und besprochen werden,
um auch jene Eltern zu erreichen, die
deutschsprachige Gesprächs- und
Beratungsangebote nicht wahrnehmen
können. Allein schon an der Zahl der
Teilnehmer an den einführenden Eltern-
abenden kann eine große Resonanz
abgelesen werden. Die Friedensschule
in Hamm bietet einmal im Monat das
sogenannte „Elterncafé“ an, um die
Eltern kontinuierlich bei der Erziehung
ihrer Kinder zu unterstützen und ihre
Handlungskompetenzen zu stärken.
Sicherlich ist es für Eltern türkischer
Herkunft ein wichtiges Merkmal in der
Elternarbeit in einer vertrauten Um-
gebung sich erzieherischen Fragen zu
stellen. Das Elterncafé wird als Anerken-
nung und Wertschätzung einer Identität
als Migrant/-in in Deutschland wahrge-
nommen.
Wir erleben auch heute noch, dass
Schulen nicht ohne Weiteres eine
Gesprächsebene mit Migranteneltern
finden. Ein Grund ist sicherlich, dass die
erste Kontaktaufnahme in der Her-
kunftssprache erfolgen sollte. Lehrkräfte
mit Zuwanderungsgeschichte, die dies
sicherlich leisten könnten, sind aber
leider nach wie vor in Kollegien unter-
repräsentiert.
Gleichgültigkeit oder Respekt?
Lehrerin: „Wir sollten uns nun
überlegen, was künftig
zu tun ist.“
Elternteil: „Ich weiß nicht.
Frau Lehrerin, machen Sie
das, was Sie für richtig
halten. Er soll endlich mal
zur Vernunft kommen.
Meinen Segen haben
sie jedenfalls.“
Resignation?
Verantwortungslosigkeit?
Oder aber großer Respekt?
Fragen, die ich mir in Gesprächen mit
türkischen Eltern schon oft gestellt
habe. Mir ist aufgefallen, dass viele
türkische Eltern enorme Schwierigkeiten
bei der Entwicklung von Handlungs-
perspektiven oder Lösungswegen für
die Verbesserung des unerwünschten
Verhaltens ihres Kindes haben.
Das ist ja auch keine einfache Sache,
doch oft entsteht der Eindruck, dass
türkische Eltern sich gerne der müh-
samen Erziehungsarbeit und der damit
verbundenen Verantwortung entziehen
und alles den Lehrern und der Schule
überlassen. Bestimmt trifft diese Einstel-
lung auf manche Eltern zu.
Doch in Anbetracht der Tatsache, dass
in der türkischen Kultur Lehrpersonen
einen sehr hohen Stellenwert haben,
sehr geschätzt und respektiert und oft
auch mit einem Hodscha in Verbindung
gebracht werden, ist die Zurückhaltung
der Eltern als Vertrauen und Respekter-
weisung zu verstehen.
Daher erachten es einige türkische
-insbesondere konservative- Eltern als
Anmaßung, einer Lehrperson Hand-
lungsalternativen zu nennen bzw.
in beratenden Situationen mitzube-
stimmen. In solchen Fällen ist empfeh-
lenswert, direkt auf die Eltern einzu-
gehen und sie mit Fragen wie „Was
würden Sie vorschlagen, wie wir in
Zukunft vorgehen sollten?“ oder „Wenn
wir uns gemeinsam etwas überlegen,
finden wir bestimmt eine Lösung. Was
denken Sie?“ zur Mitarbeit zu ermu-
tigen und auch herauszufordern.
TürkeiAmtssprache: Türkisch (regional begrenzt ca. 20 weitere
Sprachen)Einwohner: ca. 72 Mio.Schulsystem: achtjährige Schulpflicht, Einschulung im
6. Lebensjahr; Grundschule (8 Jahre) dann Besuch eines Gymnasiums oder betriebliche Berufsausbildung
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Hintergrund
Name:
Arslan Yalçin
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grundschule in der Türkei/
Mersin, Gesamt- dann Kol-
legschule (Abschluss Abitur),
Studium, Referendariat
Fächer:
Sozialwissenschaften und
Türkisch
Schule:
Gesamtschule Hamm
Und übrigens:
Ich bin Initiator und Projekt-
leiter des Mentoringprojekts
„Big Brother/Big Sister AG“
(Integrationspreis der Bundes-
regierung „Respekt 2009“,
NRW-Sieger)
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Hintergrund
Name:
Inan Arslan
Eigene Schullaufbahn/
Beruflicher Werdegang:
Grund- und Realschule in
Deutschland, Gymnasium,
Ausbildung, Studium, freie
Wirtschaft, Referendariat
Fächer:
Wirtschaft,
Absatz und Handel
Schule:
Berufskolleg Lünen
Wichtigste Aufgabe: Balance halten
Kein Kind dieser Welt entwickelt aus
eigenem Antrieb heraus weder das
Bewusstsein anders zu sein noch sich
Fremdem gegenüber zu verschließen.
Vielmehr regt das Neue die Neugier und
das Interesse eines jeden Kindes an.
Erst die Einflussnahme der Erwachsenen
verändert den unvoreingenommenen
und ohne Berührungsängste gepräg-
ten spielerischen Umgang der Kinder
miteinander. Kurzum, wir Erwachsene
zeichnen uns in diesem Entwicklungs-
prozess oftmals als Spielverderber aus.
Zu Beginn meiner Lehrtätigkeit machte
ich die Erfahrung im Kollegium „fremd“
zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte
ich mich mit dieser Thematik noch gar
nicht auseinandergesetzt. Als Stahl-
Betonbauer war ich stets einer von „ih-
nen“ und an der Universität studieren
viele Menschen mit Zuwanderungsge-
schichte. Wie ich aber schon im System
„Schule“ erfahren konnte, war diese nur
ein Teil meiner kleinen Welt. Bis zum
Eintritt ins Referendariat hatte ich es
mühelos geschafft, mich ausschließlich
innerhalb meiner eigenen Kultur zu be-
wegen. Dies führte in der Folge zu einer
verzerrten Wahrnehmung gesellschaftli-
cher Realität.
Trotz aller Aufgeschlossenheit von
Schülern und Lehrern an meiner Schule
im Umgang miteinander musste ich
feststellen, dass die Mehrheit die
unterschiedlichen Kulturen zwar res-
pektvoll zur Kenntnis nimmt, jedoch
wenig interessiert ist in eine „andere“
bzw. „fremde“ Kultur einzutauchen.
Dabei ist es eine große Chance durch
das Kennenlernen einer anderen Kultur
den eigenen Horizont zu erweitern
und gleichzeitig neue positive Ansätze
für sich selbst zu entdecken. Nicht die
Ergründung von verschiedenen Kulturen
und deren Mannigfaltigkeit steht im
Vordergrund, sondern allzu oft domi-
nieren die negativen Schlagzeilen der
Boulevardpresse im Lehrerzimmer bzw.
in den Klassenräumen.
Als Lehrer für Wirtschaftslehre bin ich
daher stets bemüht die Bedeutung
und den Nutzen interkultureller Kom-
petenzen in einer globalen Welt hervor-
zuheben.
Das Beispiel meiner Biographie zeigt,
dass es sich sowohl in der freien Wirt-
schaft als auch im Staatsdienst auszahlt,
stets neue bildungspolitische Horizonte
zu suchen. Es ist eine tägliche Aufgabe
der Balance zwischen:
– Herkunftsland der Eltern und dem
Respekt dieser Kultur, deutscher
Kindheit als „Nicht Deutscher“ und
sozialem Hintergrund,
– Lehrkraft für alle Schüler/-innen und
Bindeglied zu den Eltern und Lerner/-
innen mit Zuwanderungsgeschichte.
Um diese Balance zu halten, ist es
sicherlich wichtig, sich mit Kollegen
im Netzwerk der Lehrkräfte auszu-
tauschen. Ich stelle mich täglich in
der Klasse den Herausforderungen.
TürkeiAmtssprache: Türkisch, neben regional begrenzten
ca. 20 weiteren SprachenEinwohner: ca. 72 Mio.Schulsystem: achtjährige Schulpflicht, Einschulung im
6. Lebensjahr; Grundschule (8 Jahre) dann Besuch eines Gymnasiums oder betriebliche Berufsausbildung
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Das Netzwerk
Das Sprechergremium Die Landeskoordination
Cahit Basar
Netzwerksprecher und
stellvertretender Leiter der RAA
in Köln, Gymnasiallehrer
Luigi Giunta
stellvertretender Netzwerksprecher,
Gymnasiallehrer
Georgia Kotsialou
Gesamtschullehrerin
Roswita Weber
Hauptschullehrerin und Fachleiterin
Ali Daccour
Gesamtschullehrer
Dr. Antonietta P. Zeoli
Landeskoordinatorin des Netzwerks
der Lehrkräfte mit Zuwanderungs-
geschichte, Gymnasiallehrerin
Intercup „Kickst Du mit?“
Hallenfußballturnier für Oberstufenschüler aus NRW,
das jährlich in Zusammenarbeit mit den Kollegen aus
dem Netzwerk durchgeführt wird. Über 300 Schüler
spielen um den Pokal des Intercup und stellen sich
Profis.
Zusammenarbeit mit zahlreichen Universitäten
Mentoring und Studienbegleitung
Seit November 2009 bieten Lehrkräfte aus dem
Netzwerk Studierenden des Lehramtes mit Migrations-
biografie Workshops an. Die Arbeitsgruppen befassen
sich u.a. mit Themen wie „Lehrerfunktionen“, Lehr-
kraft mit Zuwanderungsgeschichte – eine Ressource
für jede Schule“ und „Referendariat – was dann”.
Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“
Um mehr junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte
für den Lehrerberuf zu interessieren, findet diese
Veranstaltung in Düsseldorf statt.
Bewerbertraining für Referendare mit
Zuwanderungsgeschichte
Organisation und Durchführung von Fachtagungen und Kongressen,
Expertenwissen im Bereich inerkultureller Kommunikation im Handlungsfeld
wird vorgestellt und an Interessierte weitergegeben.
Die Zusammenarbeit mit den Lehrerverbänden, Gewerkschaften und dem
Cornelsen Verlag spielt dabei eine wichtige Rolle.
Theaterprojekte in Zusammenarbeit mit
Referendaren, Lehramtsstudenten, Abiturienten,
Lehrkräften – alle mit Zuwanderungsgeschichte
Weiterbildungsmaßnahmen zur Schul- und Fachleitung
Die Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte sind „Brückenbauer“ und wichtige
Vorbilder gelungener Integration. Neben ihrer bilingualen und bikulturellen
Erziehungserfahrung sind sie wichtige Verbindungspersonen zu Migranten-
selbstorganisationen und den Elternnetzwerken der unterschiedlichen
Zuwanderungsorganisationen. Diese besonderen Schlüsselfunktionen werden
in der Schul- und Fachleitung gebraucht. In diesem Bereich bietet die Landes-
koordination ab Februar 2010 Fort- und Weiterbildugnsmaßnahmen an.
Die Projekte
Das Netzwerk der Lehrkräfte mit
Zuwanderungsgeschichte arbeitet
engagiert im Ehrenamt in vielen unter-
schiedlichen Bereichen der Bildungs-
landschaft. Neben der Werbung für
den Lehrerberuf in Zusammenarbeit
mit dem Ministerium für Schule und
Weiterbildung Nordrhein-Westfalen und
Stiftungen, bieten wir Mentoring für
Abiturienten und Studierende des Lehr-
amtes mit Zuwanderungsgeschichte an.
Ziel ist es den Anteil an Migranten im
öffentlichen Dienst zu erhöhen.
Derzeit sind Lehrerzimmer kein authen-
tischer Spiegel der heterogenen Schüler-
schaft, der wir täglich begegnen. Die
Zusammenarbeit mit Migrantenselbst-
organisationen, Ministerien, Universi-
täten, Schulbuchverlagen, den Regi-
onalen Arbeitsstellen für Kinder und
Jugendliche aus Zuwanderfamilien und
Lehrerkollegen sind Bestandteil unserer
täglichen Aufgaben mit Netzwerk.
Knapp 300 Lehrer (mit Zuwanderungs-
geschichte aus 19 Ländern) aller Schul-
formen sind im NRW Netzwerk organi-
siert. Lehrkräfte, die sich täglich mutig
und engagiert den Aufgaben widmen,
für die sie fachlich in Deutschland
ausgebildet wurden: Gerecht Kindern
und Jugendlichen die beste schulische
Ausbildung geben, unabhängig von
Herkunft und Geschlecht.
Kontakt:Hauptstelle RAA Nordrhein-Westfalenc/o RAA DüsseldorfDr. Antonietta P. ZeoliBurgplatz 2, 40213 DüsseldorfTelefon: 0211/899 88 30; Telefax: 0211/892 93 76E-Mail: [email protected]. raa.de
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Impressum
Texte von:Dr. Antonietta P. ZeoliLuigi GiuntaPavle MadzirovSuna RauschEffi BikakiIlias IoannouAmin Reza HadifarChristian LeeckMaria VarialeAli Daccour Mostapha BoukllouàSamira BoukllouàIfeyani Werner OkwuosaDr. Tagrid YousefDorota SusdorfRoswita Regina WeberLiubov VasilenkoNatividad BasarCarlos Barrasa RodriguezArslan YalçinSeher ÖzkartalInan Arslan
Kontakt über:Hauptstelle RAA Nordrhein-Westfalenc/o RAA DüsseldorfDr. Antonietta P. ZeoliBurgplatz 240213 DüsseldorfTelefon: 0211/899 88 30Telefax: 0211/892 93 76E-Mail: [email protected]
Fotos von:Yaman CommunicationsOskar-Hoffmann-Str. 2544789 BochumTelefon: 0234/58 87 404Telefax: 0234/58 87 406E-Mail: [email protected]: www.yaman-communications.de
(Mit freundlicher Unterstützung vom)Berufskolleg Vera BeckersGirmesgath 13147803 KrefeldTelefon: 02151/623380Telefax: 02151/62338222E-Mail: [email protected]
Layout und Herstellung:Cornelsen VerlagWerbeabteilungMecklenburgische Straße 5314197 Berlinwww.cornelsen.de
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