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Deutschland, England und die Niederlande. Unter der Führung Deutschlands blockierte diese Mino- rität die Gesetzgebung eines Werbeverbots für Tabak: „The blocking minority, led by the Ger- man delegation, actively prevented any further progress on the directive between 1992 and 1997.“ Der Bericht zeigt, dass die Zigarettenindustrie es darauf anlegte, Bündnisse mit wichtigen Politi- kern und Marketing- und Mediagruppen zu schmie- den. Kampagnen gegen das Werbeverbot für Ziga- retten liefen unter dem Banner Meinungsfreiheit mit Hilfe eines Komitees Freedom of Commerci- al Expression. Damit – unterstützt durch die Attrak- tivität von der Verbindung von Formel-1-Rennen mit Zigarettenmarken – gelang es der Zigaret- tenindustrie, ein ihr günstiges politisches und öffentliches Klima zu schaffen. Einen großen Erfolg erzielte die Zigarettenindu- strie durch die Stillegung eines wissenschaftli- chen Instituts in Belgien. Dieses Institut (Euro- pean Bureau for Action on Smoking Prevention, BASP) hatte sich die Eindämmung des Rauchens zum Ziel gesetzt. 1988 gegründet wurde es 1990 in die Europäische Union integriert und von ihr finanziert. Seine Hauptrolle war, die EU zu bera- ten bei ihrem Programm Europa gegen den Krebs und Informationen über die Tabakindustrie zu beschaffen. Das Institut koordinierte auch natio- nale Kampagnen gegen das Rauchen in eine brei- te europaweite Bewegung und veröffentlichte wirkungsvolle Aufklärungsschriften wie z. B. Give Children a Chance. Es beobachtete die Aktivitä- ten der Zigarettenindustrie kritisch und fand zum Beispiel heraus, wie die Zigarettenindustrie die Vor- schriften für Warnhinweise auf Zigarettenpackungen umging. Die Aktivitäten des Instituts beunruhig- ten die Zigarettenindustrie mehr und mehr. Schließ- lich gelang es Deutschland, England und Nie- derlande – also den Ländern, die am meisten unter dem Einfluss der Tabakindustrie standen – einen Am 8. Oktober 1997 fand in Bonn eine Sitzung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundes- tags zum Thema Rauchen statt. Es ging um den Antrag einer interfraktionellen Gruppe von Abge- ordneten (CDU, SPD, FDP) unter Führung von Roland Sauer, MdB, der den Schutz vor dem Pas- sivrauchen zum Ziel hatte. Zur gleichen Zeit lag ein Gesetzesentwurf der Europäischen Union (EU-Richtlinie 98/43/EC) vor, der ein vollständi- ges Verbot der Werbung für Zigaretten und ande- re Tabakwaren vorsah. In der Bonner Sitzung des Gesundheitsausschusses wurden etwa 20 Experten aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten angehört. Als Kar- diologe und Vertreter der Deutschen Herzstiftung war auch ich eingeladen. Zum allgemeinen Erstau- nen – üblicherweise haben drei Professoren vier verschiedene Meinungen – unterstützten die vie- len Experten den Antrag praktisch einmütig, wobei wichtige Argumente in fundierter Form vorgetra- gen wurden. Die einzige Ausnahme bildete Prof. Dr. med. Franz Adlkofer, dessen Ausführungen aber ohnehin mit Zurückhaltung aufgenommen wur- den, weil bekannt war, dass er lange Jahre als leitender Wissenschaftler bei der Zigarettenindu- strie tätig war. Der Antrag der interfraktionellen Gruppe wurde am 5. Februar 1998 (vor allem mit den Stimmen von CDU und FDP) im Bundestag abgelehnt. Stichhaltige Gründe für die Ablehnung wurden nicht mitgeteilt. In Anbetracht der ausführlich dis- kutierten wissenschaftlichen Tatbestände und der nahezu einmütigen Stellungnahme der geladenen Experten war diese Entscheidung nicht zu ver- stehen. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier im Interesse der Zigaretten- industrie gehandelt wurde. Schon zuvor war zu beobachten, dass die Zigarettenindustrie große Anstrengungen mach- te, die öffentliche Mei- nung und die Meinung von Wissenschaftlern und Ärzten bezüglich der Wirkung des Passivrauchens zu beeinflussen. Die Meinung von den ver- schwindend wenigen Wissenschaftlern, die die Gefahren des Passivrauchens als gering ansahen, wurden einseitig verstärkt und die allgemeine wissenschaftliche Erkenntnis verschwiegen oder propagandistisch überdeckt. Wie erfolgreich diese Beeinflussung war, konnte man jahrelang an den in Zeitungen und halbwissenschaftlichen Zeit- schriften eingestreuten Artikeln mit völlig einsei- tigen Informationen ablesen. Der Einfluss ging so weit, dass anderslautende Artikel erst gar nicht zur Publikation angenommen wurden. Die Hintergründe dieser Kampagne und der zunächst unerklärlichen Bundestagsentscheidung wurden jetzt offenbar. Aufklärung über die Stra- tegien der Zigarettenindustrie wurde dadurch möglich, dass die amerikanische Zigarettenindu- strie nach den zahlreichen gegen sie geführten Prozesse gezwungen wurde, ihre Archive mit internen, bisher geheimen Dokumenten zur Ein- sicht freizugeben. Es handelt sich um die Archi- ve von Philip Morris, R J Reynolds und British American Tobacco. Eine Gruppe angesehener amerikanischer Wissenschaftler 1 hat die Archive stu- diert und ihre Ergebnisse unter dem Titel Tobac- co industry strategies for influencing European Community tobacco advertising legislation in Lan- cet (13. April 2002, Nr. 359; S. 1323 ff.) veröf- fentlicht. Dieser Text wird ergänzt durch eine im Internet verfügbare, ausführliche Dokumentati- on unter www.library.ucsf.edu/tobacco/euad/. Aus dieser Publikation geht hervor, dass die Ziga- rettenindustrie systematisch alles daran gesetzt hat, um Beschlüsse auf europäischer Ebene in ihrem Sinn zu beeinflussen und unangenehme Entscheidungen zu verhindern. Dazu wurden die Regierungen von Ländern, die für die Tabakindustrie ein offenes Ohr hatten, fortlaufend beobachtet und beeinflusst. Es handelte sich vor allem um Strategien der Zigarettenindustrie Prof. Dr. med. Martin Kaltenbach, Dreieich 1 Mark Neumann, Asaf Bitton, Stanton Glantz, Center for Tobacco Control Research and Education, Institute for Health Policy Studies Cardiovascular Research Institute, School of Medicine, University of Califor- nia, San Francisco, CA 94143, USA.

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Page 1: Strategien der Zigarettenindustrie - · PDF fileves Rauchen ein Umweltgift ersten Grades darstellt, das für vorzeitigen Tod infolge Herz-infarkt, Schlaganfall und einer immer länger

Deutschland, England und die Niederlande. Unterder Führung Deutschlands blockierte diese Mino-rität die Gesetzgebung eines Werbeverbots fürTabak: „The blocking minority, led by the Ger-man delegation, actively prevented any furtherprogress on the directive between 1992 and 1997.“Der Bericht zeigt, dass die Zigarettenindustrie esdarauf anlegte, Bündnisse mit wichtigen Politi-kern und Marketing- und Mediagruppen zu schmie-den. Kampagnen gegen das Werbeverbot für Ziga-retten liefen unter dem Banner Meinungsfreiheitmit Hilfe eines Komitees Freedom of Commerci-al Expression. Damit – unterstützt durch die Attrak-tivität von der Verbindung von Formel-1-Rennenmit Zigarettenmarken – gelang es der Zigaret-tenindustrie, ein ihr günstiges politisches undöffentliches Klima zu schaffen.Einen großen Erfolg erzielte die Zigarettenindu-strie durch die Stillegung eines wissenschaftli-chen Instituts in Belgien. Dieses Institut (Euro-pean Bureau for Action on Smoking Prevention,

BASP) hatte sich die Eindämmung des Rauchenszum Ziel gesetzt. 1988 gegründet wurde es 1990in die Europäische Union integriert und von ihrfinanziert. Seine Hauptrolle war, die EU zu bera-ten bei ihrem Programm Europa gegen den Krebsund Informationen über die Tabakindustrie zubeschaffen. Das Institut koordinierte auch natio-nale Kampagnen gegen das Rauchen in eine brei-te europaweite Bewegung und veröffentlichtewirkungsvolle Aufklärungsschriften wie z. B. GiveChildren a Chance. Es beobachtete die Aktivitä-ten der Zigarettenindustrie kritisch und fand zumBeispiel heraus, wie die Zigarettenindustrie die Vor-schriften für Warnhinweise auf Zigarettenpackungenumging. Die Aktivitäten des Instituts beunruhig-ten die Zigarettenindustrie mehr und mehr. Schließ-lich gelang es Deutschland, England und Nie-derlande – also den Ländern, die am meistenunter dem Einfluss der Tabakindustriestanden – einen

Am 8. Oktober 1997 fand in Bonn eine Sitzung desGesundheitsausschusses des Deutschen Bundes-tags zum Thema Rauchen statt. Es ging um denAntrag einer interfraktionellen Gruppe von Abge-ordneten (CDU, SPD, FDP) unter Führung vonRoland Sauer, MdB, der den Schutz vor dem Pas-sivrauchen zum Ziel hatte. Zur gleichen Zeit lagein Gesetzesentwurf der Europäischen Union(EU-Richtlinie 98/43/EC) vor, der ein vollständi-ges Verbot der Werbung für Zigaretten und ande-re Tabakwaren vorsah.In der Bonner Sitzung des Gesundheitsausschusseswurden etwa 20 Experten aus verschiedenenmedizinischen Fachgebieten angehört. Als Kar-diologe und Vertreter der Deutschen Herzstiftungwar auch ich eingeladen. Zum allgemeinen Erstau-nen – üblicherweise haben drei Professoren vierverschiedene Meinungen – unterstützten die vie-len Experten den Antrag praktisch einmütig, wobeiwichtige Argumente in fundierter Form vorgetra-gen wurden. Die einzige Ausnahme bildete Prof.Dr. med. Franz Adlkofer, dessen Ausführungenaber ohnehin mit Zurückhaltung aufgenommen wur-den, weil bekannt war, dass er lange Jahre alsleitender Wissenschaftler bei der Zigarettenindu-strie tätig war.Der Antrag der interfraktionellen Gruppe wurdeam 5. Februar 1998 (vor allem mit den Stimmenvon CDU und FDP) im Bundestag abgelehnt.Stichhaltige Gründe für die Ablehnung wurdennicht mitgeteilt. In Anbetracht der ausführlich dis-kutierten wissenschaftlichen Tatbestände und dernahezu einmütigen Stellungnahme der geladenenExperten war diese Entscheidung nicht zu ver-stehen. Man konnte sich des Eindrucks nichterwehren, dass hier im Interesse der Zigaretten-industrie gehandelt wurde.Schon zuvor war zu beobachten, dass die

Zigarettenindustrie großeAnstrengungen mach-te, die öffentliche Mei-

nung und die Meinung von Wissenschaftlern undÄrzten bezüglich der Wirkung des Passivrauchenszu beeinflussen. Die Meinung von den ver-schwindend wenigen Wissenschaftlern, die dieGefahren des Passivrauchens als gering ansahen,wurden einseitig verstärkt und die allgemeinewissenschaftliche Erkenntnis verschwiegen oderpropagandistisch überdeckt. Wie erfolgreich dieseBeeinflussung war, konnte man jahrelang an denin Zeitungen und halbwissenschaftlichen Zeit-schriften eingestreuten Artikeln mit völlig einsei-tigen Informationen ablesen. Der Einfluss gingso weit, dass anderslautende Artikel erst gar nichtzur Publikation angenommen wurden.Die Hintergründe dieser Kampagne und derzunächst unerklärlichen Bundestagsentscheidungwurden jetzt offenbar. Aufklärung über die Stra-tegien der Zigarettenindustrie wurde dadurchmöglich, dass die amerikanische Zigarettenindu-strie nach den zahlreichen gegen sie geführtenProzesse gezwungen wurde, ihre Archive mitinternen, bisher geheimen Dokumenten zur Ein-sicht freizugeben. Es handelt sich um die Archi-ve von Philip Morris, R J Reynolds und BritishAmerican Tobacco. Eine Gruppe angeseheneramerikanischer Wissenschaftler1 hat die Archive stu-diert und ihre Ergebnisse unter dem Titel Tobac-co industry strategies for influencing EuropeanCommunity tobacco advertising legislation in Lan-cet (13. April 2002, Nr. 359; S. 1323 ff.) veröf-fentlicht. Dieser Text wird ergänzt durch eine imInternet verfügbare, ausführliche Dokumentati-on unter www.library.ucsf.edu/tobacco/euad/.Aus dieser Publikation geht hervor, dass die Ziga-rettenindustrie systematisch alles daran gesetzthat, um Beschlüsse auf europäischer Ebene inihrem Sinn zu beeinflussen und unangenehmeEntscheidungen zu verhindern. Dazu wurden dieRegierungen von Ländern, die für die Tabakindustrieein offenes Ohr hatten, fortlaufend beobachtetund beeinflusst. Es handelte sich vor allem um

Strategien der ZigarettenindustrieProf. Dr. med. Martin Kaltenbach, Dreieich

1 Mark Neumann, Asaf Bitton, Stanton Glantz, Centerfor Tobacco Control Research and Education, Institutefor Health Policy Studies Cardiovascular ResearchInstitute, School of Medicine, University of Califor-nia, San Francisco, CA 94143, USA.

Page 2: Strategien der Zigarettenindustrie - · PDF fileves Rauchen ein Umweltgift ersten Grades darstellt, das für vorzeitigen Tod infolge Herz-infarkt, Schlaganfall und einer immer länger

ves Rauchen ein Umweltgift ersten Gradesdarstellt, das für vorzeitigen Tod infolge Herz-infarkt, Schlaganfall und einer immer länger wer-denden Liste verschiedener Krebsleiden ver-antwortlich ist. Neben dem Lungenkrebs, des-sen Verursachung durch Zigarettenrauchenschon lange bekannt ist, wurde in jüngsterZeit auch festgestellt, dass Brustkrebs bei Frau-en, die früh mit dem Rauchen begonnen haben,doppelt so häufig auftritt wie bei Nichtrau-cherinnen. Infolge der falschen deutschenGesundheitspolitik ist es inzwischen soweitgekommen, dass die jungen Mädchen in unse-rem Land europaweit am meisten rauchen.Die Folgen werden erst Jahrzehnte später in vol-lem Umfang auftreten. Schon jetzt ist abererkennbar, dass der Lungenkrebs jedes Jahrbei Frauen häufiger wird! Nach Angaben derBundesärztekammer sterben jährlich in Deutsch-land über 100 000 Menschen an den direktenFolgen des Rauchens, das heißt 274 Menschenjeden Tag. Wieviel Leid ist damit verbunden! Auchder volkswirtschaftliche Schaden – das seidenen gesagt, die alles unter wirtschaftlichenGesichtspunkten sehen wollen – ist immens.Unglücklicherweise handelt es sich nicht um Sün-den der Vergangenheit, die man jetzt vergessenkönnte. Vielmehr hat die Bundesregierung ver-treten durch das Bundesgesundheitsministe-rium am 20. März 2002 mit dem Verband der

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europäischen Beschluss herbeizuführen, der zurStreichung der EU-Mittel und damit zur Stillegungdes Instituts führte.Was hat Politiker bewogen, mehr auf die Ziga-rettenindustrie zu hören als auf wissenschaftli-che Experten? Im Falle der englischen Regierungenthält die Dokumentation konkrete Hinweise.Es wird die Summe aufgeführt, die jährlich anMargaret Thatcher nach ihrem Rücktritt von 1992an floss: nämlich 250 000 Pfund jährlich an sieselbst und 250 000 Pfund jährlich an die Marga-ret Thatcher-Stiftung.Leider wird Deutschland mehrfach als besonderswichtiger Partner der Zigarettenindustrie ange-führt. Auch Helmut Kohl erscheint in dem Berichtfür die Zigarettenindustrie als Person bedeutsamund ihr zugewandt. Schon 1978, als Kohl Vorsit-zender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war,dankte ihm Dieter von Specht, Vorstandsvorsit-zender des Verbandes der Zigarettenindustrie(VdC) und von British American Tobacco Deutsch-land: „Allerdings erschöpft sich die BedeutungIhres Schreibens an uns nicht bloß in dem bloßenAkt der Informationsvermittlung. Es ist unseres Wis-sens das erste Mal, dass sich ein Fraktionsvor-sitzender in dieser Form persönlich an dieWirtschaft gewandt hat.” 1993 geht aus deninternen Papieren hervor, dass die Zigaret-tenindustrie mit der Unterstützung vonHelmut Kohl im Kampf gegen das Wer-beverbot rechnete. Auch Martin Bange-mann (damals Mitglied der europäischenKommission) erwies sich als wichtigerBundesgenosse in diesem Kampf2.

Nach Abwahl der konservativen Regierungänderte sich in England die gefügigeEinstellung zum Wohl der Zigaretten-industrie. Dadurch gelang schließlichdie Durchsetzung des Gesetzesentwurfsim europäischen Parlament (1998). InDeutschland blieb die Haltung dagegendurch den Regierungswechsel unbeein-flusst und das Gesetz wurde schließlichdurch Deutschland zu Fall gebracht. Aufgrundeiner von Deutschland angestrengten Kla-ge wurde am 5. Oktober 2000 die Richtli-nie gegen das Werbeverbot (98/43/EC) juri-

stisch gestoppt wegen Kollision mitArtikel 95.Ein solches Verhalten ist mitder Maxime „Schaden vom deut-

schen Volk abzuwenden“ nichtvereinbar. Wir dürfen nichts unver-

sucht lassen, um unserer Regie-rung und jedem Abgeordneten klar

zu machen, dass aktives und passi-

2 Martin Bangemann war eine Schlüsselfigur, als die Ziga-rettenindustrie, um das vollständige Werbeverbot zu ver-hindern, einen Gesetzesentwurf entwickelte, der ihren Inter-essen entsprach. Von vorneherein war der Gesetzesentwurfgeschrieben mit der Absicht, dass die deutsche Delegationihn in die europäische Kommission einbringen sollte, undzwar über die Abteilung D.G. III, deren Chef in dieser ZeitMartin Bangemann war. Wie aus den Geheimpapieren her-vorgeht, legte die Zigarettenindustrie großen Wert darauf, dassdieser Entwurf nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden

konnte. Die Industrie nahm mit Bangemann Kontakt auf undBangemann legte einen Gesetzesentwurf vor, dessen Inhalt im

Wesentlichen dem Gesetzesentwurf der Zigarettenindustrie entsprach.

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Page 3: Strategien der Zigarettenindustrie - · PDF fileves Rauchen ein Umweltgift ersten Grades darstellt, das für vorzeitigen Tod infolge Herz-infarkt, Schlaganfall und einer immer länger

Wir rauchen nicht

Trotz intensiver Aufklärung über die Gefahrendes Tabakkonsums nimmt die Zahl der rauchendenJugendlichen und Kinder in Deutschland in denletzten Jahren wieder zu. Alarmierend ist die Mel-dung, dass fast jedes dritte Mädchen im Alter von15 Jahren zur Zigarette greift.Die Deutsche Herzstiftung unterstützt deshalballe erfolgversprechenden Aktivitäten, die dem

besorgniserregenden Trend entgegenwirken. Fürdas Schulprojekt Be smart – don’t start, eineminternationalen Wettbewerb zur Förderung desNichtrauchens in den sechsten und siebten Klas-sen von rund 5 000 Schulen stellt die Herzstif-tung insgesamt 20 000 zur Verfügung. Bedingungfür eine Unterstützung war, dass das vom Institutfür Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT) inKiel verantwortlich geleitete Projekt nicht vonder Zigarettenindustrie gefördert wird. Hauptzieldes Wettbewerbs ist die Verzögerung bzw. Ver-hinderung des Einstiegs in das Rauchen bei Schü-lerinnen und Schülern. Zu der Zielgruppe gehörendaher insbesondere nichtrauchende Schülerin-nen und Schüler, die mit diesem Programm moti-viert werden können, weiterhin Nichtraucher zubleiben. Außerdem sollen Schülerinnen und

Schüler, die schon mit dem Rauchen expe-rimentieren, dazu gebracht werden, wie-

der aufzuhören, damit sie nicht zuregelmäßigen Rauchern werden. Die Koalition gegen das Rauchen, zuder u.a. auch die Deutsche Herzstif-tung gehört, hat in einem Forde-rungskatalog an die neue Bundesre-gierung gerade auf die Notwendigkeitvon einschneidenden Maßnahmen beider Nichtraucherförderung hingewie-sen: zum Beispiel Abgaben auf Tabak-waren, die für die Eindämmung desRauchens verwendet werden sollen.Außerdem fordert die Koalition höhe-re Preise für Zigaretten, ein generellesTabak-Werbeverbot sowie das Verbot freizugänglicher Zigarettenautomaten.(ve.)

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Zigarettenindustrie einen Vertrag geschlossen, mitdem sie sich erneut in das Boot dieser Industriebegibt. Sie wird ab jetzt über fünf Jahre eine Wer-bekampagne gegen das Rauchen von Kindernund Jugendlichen mit insgesamt 11,8 MillionenEuro unterstützen. Die Initiative ging bemer-kenswerterweise von der Zigarettenindustrie aus.Diese hat in der Vergangenheit bewiesen, dasssie die eigenen Interessen der Gesundheit vonJugendlichen voranstellt. So ist bekannt, dass dieSuchtgefährdung schon nach Rauchen über weni-ge Wochen einsetzt, ohne dass daraus irgend-welche Konsequenzen gezogen worden wären. Esmuss daher befürchtet werden, dass auch diese Ak-tion von der Industrie nur benutzt wird, um Pre-stige zu gewinnen und die Werbekampagne gegendas Rauchen in ihrem Interesse zu beeinflussen.

Eigentlich beinhaltet schon der Wortlaut des Ver-trags den Sieg der Industrie, indem die Werbe-oder Aufklärungsmaßnahmen „nicht die Zigaret-tenindustrie oder deren Produkte diskriminieren“dürfen. Was soll die Kampagne zum Inhalt haben,wenn die eminente Schädlichkeit der Zigarettennicht dargestellt werden darf ?

Über einhundert deutsche und europäische Orga-nisationen, die sich mit den Auswirkungen desRauchens beschäftigen, haben die Beweggründedieses Vertrags als unlauter eingestuft und des-wegen einen Brief an den deutschen Bundes-kanzler gerichtet, in dem dieser aufgefordert wird„sich nicht länger schützend vor die Zigarettenindu-strie zu stellen“.Auch ein anderer Vorgang aus jüngster Zeit wirftein schlechtes Licht auf Deutschland: Die Europäi-sche Union hat eine neue Richtlinie (2001/37/EC)erlassen, um den Schadstoffgehalt der Zigarettenzu begrenzen, die Warnhinweise auf den Ver-packungen zu vergrößern und verharmlosendeZusätze wie mild und leicht zu verbieten. Auch dage-gen hat die Bundesregierung geklagt. Ihre Klagewurde am 15. Mai 2002 abgewiesen, weil sie zuspät eingereicht war.Wir leben in einer Demokratie und dürfen nichtresignieren. Vielmehr müssen wir alle Anstren-gungen unternehmen, um unseren Abgeordne-ten und unserer Regierung deutlich zu machen,dass diese Handlungsweise nicht dem Wohl desVolkes dient und auch nicht dem Mehrheitswillender deutschen Bevölkerung entspricht. Sowohldie nichtrauchende Bevölkerung als auch diegroße Mehrheit der Raucher missbilligt die durch-sichtige Bevorzugung der Zigarettenindustrie. Eskann nicht länger geduldet werden, dass sichDeutschland den europäischen Partnerländerngegenüber unglaubwürdig macht.