swissair prozess

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Mittwoch, 17. Januar 2007 / Nr. 13 Neue Luzerner Zeitung Neue Urner Zeitung Neue Schwyzer Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Zuger Zeitung TAGESTHEMA 3 RICHTER FISCHER Einer von dreien Den Vorsitz im Swissair-Prozess hat der 51-jährige Andreas Fischer. Ihm zur Seite stehen der 46-jährige Ste- phan Blättler und der 47-jährige Alain Kessler. Richter Fischer arbeitet seit 20 Jahren am Bezirksgericht Bülach und ist ebenda Vizepräsident. Gerichtsprä- sident Rainer Hohler ist in den Aus- stand getreten, weil sein Bruder einen der Angeklagten verteidigt. Andreas Fischer machte gemäss «Tages-Anzei- ger» im Sommer 2001 Schlagzeilen, als er einen Arzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilte. Fischer sprach die- sen mitschuldig am Erstickungstod eines geknebelten Ausschaffungshäft- lings aus Palästina. fwc Andreas Fischer, gestern während des Prozesses gezeichnet. KEYSTONE Nur der Staatsanwalt war gesprächig Der Auftakt des Swissair-Prozesses ist gestern ins Leere gelaufen. Die Angeklagten Gerhardt Fischer und Bénédict Hentsch hüllten sich in Schweigen. Beide Ex-Verwaltungsräte der zusammengebrochenen SAir be- kräftigten ihre Unschuld. Ein Schaden in Milliardenhöhe Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich warf Fischer und Hentsch Gläubigerschädigung durch Vermö- gensminderung sowie ungetreue Ge- schäftsbesorgung vor. Konkret ging es dabei um die Restrukturierung der Airline-Tochter SAirLines und um die Beteiligung bei der belgischen Flugge- sellschaft Sabena. Im Zuge der Bündelung von lukrati- ven Geschäftsfeldern unter das Dach der Subholding SAirLines seien den Aktionären der Muttergesellschaft SAir- Group Vermögenswerte in Milliarden- höhe entzogen worden. Die Restrukturierung sei vorgenom- men worden, obwohl die Verwaltungs- räte Kenntnis vom desolaten finanziel- len Zustand der SAirLines hatten und es sich nicht um eine betriebswirtschaftli- che Sanierung gehandelt habe. Der Schaden für die Gläubiger wurde auf 1,177 Milliarden Franken beziffert. Bei der kriselnden Sabena hätten die Verwaltungsräte einer Finanzspritze von 150 Millionen Franken zugestimmt, obwohl sie um die finanzielle Lage der Gesellschaft gewusst hätten. Zudem sei der Anteil an der Sabena aufgestockt worden – im Wissen darum, dass Sabe- na statt Aktien nur (praktisch wertlose) Partizipationsscheine ausgeben würde. «Zu komplex» Zu diesen beiden Anklagepunkten und zur Hunter-Strategie der Swissair befragte Gerichtspräsident Andreas Fischer die beiden ersten Angeklagten akribisch. So fragte Richter Fischer den Ange- klagten Fischer etwa, ob bei ihm angesichts der Zahlen zur finanziellen Lage der Sabena nicht «die Alarmglo- cken geläutet» hätten. Fischer schwieg zu dieser wie auch zu allen anderen Fragen der Anklage. Hentsch tat es ihm gleich. Angesichts der Komplexi- tät des Themas, aber auch im Hinblick auf hängige Zivilprozesse wolle er vor Gericht keine Aussage zur Sache ma- chen, sagte Fischer dazu. red IN EIGENER SACHE Flavian Cajacob berichtet aus Zürich Zürich ist nicht der Nabel der Welt. Zürich und die Zentralschweiz kommen sich aber immer näher. Des- halb verstärken wir unsere Bericht- erstattung aus der grössten Stadt der Schweiz mit einer neuen Korrespondentenstelle. Flavian Cajacob (38, Bild), der bis 1998 auf der Stammredaktion der «Neuen Luzerner Zeitung» arbeitete und seither in Zürich lebt, ist unser neuer Korrespondent. Er berichtet künftig über das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in Zürich. red High Noon in Bülach: Die drei Staatsanwälte Ralph Ringger, Christian Weber und Thomas Armbruster (oben, von links). Die ersten zwei Angeklagten Gerhardt Fischer (links unten) und Bénédict Hentsch (rechts unten) erschienen gestern in der Bülacher Stadthalle, verweigerten aber die Aussage. BILDER KEYSTONE Swissair-Prozess Bülach und die 19 Bruchpiloten EXPRESS U Gestern begann in Bülach der lang erwartete Swissair-Prozess. U Am ersten Verhandlungstag erschien nur wenig Publikum. U Die prominenten Ange- klagten standen allerdings noch nicht vor Gericht. «Die Kleinen, die hängt man auf. Die Grossen, die lässt man laufen, Sie werden sehen.» PROZESSBEOBACHTER Die Bülacher Stadthalle am Tag eins des gross angekün- digten Swissair-Prozesses: Jahrhundertereignisse sehen anders aus. Ein Augenschein. VON FLAVIAN CAJACOB, BÜLACH Es ergeht ein Aufruf zur Volksgesund- heit: Vorsicht! Glatteis! Vor dem akkurat ausgeleuchteten Warnplakat weidet eine Herde Bildreporter und wartet darauf, dass endlich jemand den Weg an den Stadtrand findet. Ehemalige Swissair- Angestellte, wütende Krakeeler, reniten- te bis prominente Zaungäste vielleicht. «400 Zuschauer am Prozess erwartet» titelt die Lokalzeitung gleichentags. 7.45 Uhr. Ein Passant passiert die Presse. Nuckelt an einem Choco-Drink. Bülach im Ausnahmezustand! Robin Hood und der Sheriff Eine dunkle Limousine mit Basler Kennzeichen fährt vorbei. Gerhardt Fischer, SAirGroup-Verwaltungsrat von 2000 bis 2001, wählt den Hintereingang. Dafür tauchen vor der Halle die ersten Beobachter auf. Mutter/Tochter, Pen- sionäre, frustrierte Anleger. Und Herr Chandiramani. Der ehemalige Analyst der Credit Suisse hat im Sommer 2000 als Erster dunkle Wolken über dem Balsberg aufziehen sehen und der Swissair einen Verlust von 500 Millio- nen Franken prophezeiht. Sieben Zei- len, von vielen überlesen, haben dem Mann damals den Job gekostet. Jetzt steht er jedem und jeder Red und Antwort. Die Rollen sind verteilt: Hier der Robin Hood, dort, auf der Anklage- bank, der Sheriff von Nottingham. «Die Kleinen», sagt ein älterer Herr, «die hängt man auf. Die Grossen lässt man laufen, Sie werden sehen.» Feuchte Augen 8.15 Uhr. Die Polizei bittet zur Leibes- visitation. In einer Viertelstunde erfolgt der Auftakt zum grössten Prozess in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. In- wieweit haben die 19 angeklagten Ma- nager und Verwaltungsräte der SAir- Gruppe in ihrem Bestreben, die einst stolze Swissair vor dem ökonomischen Absturz zu retten, gegen geltendes Recht verstossen? Jene, die sich mit Paragrafen auskennen, gehen von einer Vielzahl von Freisprüchen aus. Die anderen wollen in irgendeiner Form Sühne. Es kann doch nicht angehen, enerviert sich ein Besucher, dass eine tolle Firma wie die Swissair von ein paar unfähigen Kapitänen in Grund und Boden gewirtschaftet werde. Er trock- net sich die feuchten Augen – daran schuld sei die Zugluft. Warten auf die grossen Kaliber Im Vorraum zum grossen Saal nippt Gerichtspräsident Rainer Hohler an ei- nem Kaffee. Und beobachtet gelassen, was zwischen der Eintrittsschleuse und den Fahnenkästen von Turnverein und Frauenchor vor sich geht. Hohler hat mit mehr Besuchern gerechnet. Ein klein wenig Schadenfreude schwingt mit, wenn er die Medien erwähnt, die von einem Riesenaufmarsch geschrie- ben hätten. Trotzdem, die Verlegung des Prozesses vom viel zu kleinen Bezirksgericht in die bis zu 1500 Perso- nen fassende Stadthalle werde sich auszahlen; spätestens, wenn die gros- sen Kaliber wie Bruggisser, Corti oder Honegger vor dem Richter erscheinen. 8.30 Uhr, Richter Andreas Fischer eröffnet die Verhandlung. Im Saal sitzen gerade mal 100 Zuhörer, darunter auch Thomas Minder, Zahnpastaproduzent und 1. Kanonier im Kampf gegen über- rissene Manager-Gehälter. Sieben Mi- nuten dauert die Vorstellung der einzel- nen Protagonisten. Noch einmal so viel verwendet Gerhardt Fischer, 73, für die Erläuterung seiner privaten Verhältnis- se. Seine Wohnung hat eine Bruttoge- schossfläche von 160 Quadratmetern. Die Vögel kreisen bereits Fischer antwortet dem siebzig Zenti- meter über ihm thronenden Gremium mit sonorer, aber freundlicher Stimme. Freundlich, sachlich, auch der Richter. Hinter ihm wirft ein unsäglich blauer Vor- hang Wellen. Über den Anwälten und den Angeklagten, von denen an diesem Morgen auch Tho- mas Schmidheiny und Eric Honegger anwesend sind, kreisen die Vögel. Sie kleben schwarz an den Scheiben. 8.45 Uhr, der Richter kommt auf die Anklagepunkte zu sprechen. Gerhardt Fischer verweigert die Aussage. 9.15 Uhr, die ersten Zaungäste verlas- sen den Saal – ein bisschen mehr hätte es schon sein dürfen! 9.52 Uhr, der Richter erklärt die Befra- gung für beendet. Der Saal leert sich. Es sei wohl nichts anderes zu erwarten gewesen, diktiert ein langjähriger Swissair-Angestellter den Reportern ins Mikrofon; «Interessant wird es, wenn die Führungsetage antraben muss.» Dann will er wieder vorbeischauen. Anders als im Fernsehen Vor der Stadthalle patrouilliert die Polizei («Verdacht – Ruf an!» – Präven- tion wird im 16 000-Seelen-Städtchen grossgeschrieben). 10 Uhr. Die Journalisten fragen sich, wo es wohl einen anständigen Kaffee gibt. Und die Beob- achter wissen nicht recht, wie sie den Auftakt nun werten sollen. Geht es so unspektakulär wei- ter? Aus dem Fernse- hen kennt man das aber ganz anders: Richter Alexander Hold! Barbara Salesch! Ein Fall für Männdli! Oder ist das etwa nur die Ruhe vor dem Sturm? Zwei Fahnen wimpeln im Wind. Darauf steht: Eventstadt Bülach. Im Beet neben dem Treppenabsatz spriessen die Pri- meln. In Bülach wird noch bis Anfang März Geschichte geschrieben.

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Reportage zum Auftakt des Swissair Prozesses. Erschienen in Neue Luzerner Zeitung

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Page 1: Swissair Prozess

MMiittttwwoocchh,, 1177.. JJaannuuaarr 22000077 // NNrr.. 1133 Neue Luzerner Zeitung Neue Urner Zeitung Neue Schwyzer Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Zuger Zeitung TAGESTHEMA 3

RICHTER FISCHER

Einer von dreienDen Vorsitz im Swissair-Prozess hatder 51-jährige Andreas Fischer. Ihmzur Seite stehen der 46-jährige Ste-phan Blättler und der 47-jährige AlainKessler. Richter Fischer arbeitet seit 20Jahren am Bezirksgericht Bülach undist ebenda Vizepräsident. Gerichtsprä-sident Rainer Hohler ist in den Aus-stand getreten, weil sein Bruder einender Angeklagten verteidigt. AndreasFischer machte gemäss «Tages-Anzei-ger» im Sommer 2001 Schlagzeilen,als er einen Arzt wegen fahrlässigerTötung verurteilte. Fischer sprach die-sen mitschuldig am Erstickungstodeines geknebelten Ausschaffungshäft-lings aus Palästina. fwc

Andreas Fischer, gestern während desProzesses gezeichnet. KEYSTONE

Nur der Staatsanwalt war gesprächigDer Auftakt des Swissair-Prozesses

ist gestern ins Leere gelaufen. DieAngeklagten Gerhardt Fischer undBénédict Hentsch hüllten sich inSchweigen. Beide Ex-Verwaltungsräteder zusammengebrochenen SAir be-kräftigten ihre Unschuld.

Ein Schaden in MilliardenhöheDie Staatsanwaltschaft des Kantons

Zürich warf Fischer und HentschGläubigerschädigung durch Vermö-gensminderung sowie ungetreue Ge-schäftsbesorgung vor. Konkret ging esdabei um die Restrukturierung der

Airline-Tochter SAirLines und um dieBeteiligung bei der belgischen Flugge-sellschaft Sabena.

Im Zuge der Bündelung von lukrati-ven Geschäftsfeldern unter das Dachder Subholding SAirLines seien denAktionären der Muttergesellschaft SAir-Group Vermögenswerte in Milliarden-höhe entzogen worden.

Die Restrukturierung sei vorgenom-men worden, obwohl die Verwaltungs-räte Kenntnis vom desolaten finanziel-len Zustand der SAirLines hatten und essich nicht um eine betriebswirtschaftli-che Sanierung gehandelt habe. Der

Schaden für die Gläubiger wurde auf1,177 Milliarden Franken beziffert.

Bei der kriselnden Sabena hätten dieVerwaltungsräte einer Finanzspritzevon 150 Millionen Franken zugestimmt,obwohl sie um die finanzielle Lage derGesellschaft gewusst hätten. Zudem seider Anteil an der Sabena aufgestocktworden – im Wissen darum, dass Sabe-na statt Aktien nur (praktisch wertlose)Partizipationsscheine ausgeben würde.

«Zu komplex»Zu diesen beiden Anklagepunkten

und zur Hunter-Strategie der Swissair

befragte Gerichtspräsident AndreasFischer die beiden ersten Angeklagtenakribisch.

So fragte Richter Fischer den Ange-klagten Fischer etwa, ob bei ihmangesichts der Zahlen zur finanziellenLage der Sabena nicht «die Alarmglo-cken geläutet» hätten. Fischer schwiegzu dieser wie auch zu allen anderenFragen der Anklage. Hentsch tat esihm gleich. Angesichts der Komplexi-tät des Themas, aber auch im Hinblickauf hängige Zivilprozesse wolle er vorGericht keine Aussage zur Sache ma-chen, sagte Fischer dazu. red

IN EIGENER SACHE

Flavian Cajacobberichtet aus Zürich

Zürich ist nichtder Nabel derWelt. Zürich unddie Zentralschweizkommen sich aberimmer näher. Des-halb verstärkenwir unsere Bericht-erstattung aus der

grössten Stadt der Schweiz mit einerneuen Korrespondentenstelle. FlavianCajacob (38, Bild), der bis 1998 auf derStammredaktion der «Neuen LuzernerZeitung» arbeitete und seither in Zürichlebt, ist unser neuer Korrespondent. Erberichtet künftig über das politische,wirtschaftliche und gesellschaftlicheLeben in Zürich. red

High Noon in Bülach: Die drei Staatsanwälte Ralph Ringger, Christian Weber und Thomas Armbruster (oben, von links). Die ersten zwei Angeklagten Gerhardt Fischer (linksunten) und Bénédict Hentsch (rechts unten) erschienen gestern in der Bülacher Stadthalle, verweigerten aber die Aussage. BILDER KEYSTONE

Swissair-Prozess

Bülach und die 19 Bruchpiloten

EXPRESS

Gestern begann in Bülachder lang erwarteteSwissair-Prozess.

Am ersten Verhandlungstagerschien nur wenigPublikum.

Die prominenten Ange-klagten standen allerdingsnoch nicht vor Gericht.

«Die Kleinen, die hängtman auf. Die Grossen,die lässt man laufen,Sie werden sehen.»

PROZESSBEOBACHTER

Die Bülacher Stadthalle amTag eins des gross angekün-digten Swissair-Prozesses:Jahrhundertereignisse sehenanders aus. Ein Augenschein.

VON FLAVIAN CAJACOB, BÜLACH

Es ergeht ein Aufruf zur Volksgesund-heit: Vorsicht! Glatteis! Vor dem akkuratausgeleuchteten Warnplakat weidet eineHerde Bildreporter und wartet darauf,dass endlich jemand den Weg an denStadtrand findet. Ehemalige Swissair-Angestellte, wütende Krakeeler, reniten-te bis prominente Zaungäste vielleicht.«400 Zuschauer am Prozess erwartet»titelt die Lokalzeitung gleichentags.

7.45 Uhr. Ein Passant passiert diePresse. Nuckelt an einem Choco-Drink.Bülach im Ausnahmezustand!

Robin Hood und der SheriffEine dunkle Limousine mit Basler

Kennzeichen fährt vorbei. GerhardtFischer, SAirGroup-Verwaltungsrat von2000 bis 2001, wählt den Hintereingang.

Dafür tauchen vor der Halle die erstenBeobachter auf. Mutter/Tochter, Pen-sionäre, frustrierte Anleger. Und HerrChandiramani. Der ehemalige Analystder Credit Suisse hat im Sommer 2000als Erster dunkle Wolken über demBalsberg aufziehen sehen und derSwissair einen Verlust von 500 Millio-nen Franken prophezeiht. Sieben Zei-len, von vielen überlesen, haben demMann damals den Job gekostet. Jetztsteht er jedem und jeder Red undAntwort. Die Rollen sind verteilt: Hierder Robin Hood, dort, auf der Anklage-bank, der Sheriff von Nottingham. «DieKleinen», sagt ein älterer Herr, «diehängt man auf. Die Grossen lässt manlaufen, Sie werden sehen.»

Feuchte Augen8.15 Uhr. Die Polizei bittet zur Leibes-

visitation. In einer Viertelstunde erfolgtder Auftakt zum grössten Prozess in derSchweizer Wirtschaftsgeschichte. In-wieweit haben die 19 angeklagten Ma-nager und Verwaltungsräte der SAir-Gruppe in ihrem Bestreben, die einststolze Swissair vor dem ökonomischenAbsturz zu retten, gegen geltendesRecht verstossen? Jene, die sich mitParagrafen auskennen, gehen von einerVielzahl von Freisprüchen aus. Dieanderen wollen in irgendeiner FormSühne. Es kann doch nicht angehen,enerviert sich ein Besucher, dass einetolle Firma wie die Swissair von ein paarunfähigen Kapitänen in Grund undBoden gewirtschaftet werde. Er trock-net sich die feuchten Augen – daranschuld sei die Zugluft.

Warten auf die grossen KaliberIm Vorraum zum grossen Saal nippt

Gerichtspräsident Rainer Hohler an ei-nem Kaffee. Und beobachtet gelassen,was zwischen der Eintrittsschleuse undden Fahnenkästen von Turnverein undFrauenchor vor sich geht. Hohler hatmit mehr Besuchern gerechnet. Einklein wenig Schadenfreude schwingtmit, wenn er die Medien erwähnt, dievon einem Riesenaufmarsch geschrie-ben hätten. Trotzdem, die Verlegungdes Prozesses vom viel zu kleinen

Bezirksgericht in die bis zu 1500 Perso-nen fassende Stadthalle werde sichauszahlen; spätestens, wenn die gros-sen Kaliber wie Bruggisser, Corti oderHonegger vor dem Richter erscheinen.

8.30 Uhr, Richter Andreas Fischereröffnet die Verhandlung. Im Saal sitzen

gerade mal 100 Zuhörer, darunter auchThomas Minder, Zahnpastaproduzentund 1. Kanonier im Kampf gegen über-rissene Manager-Gehälter. Sieben Mi-nuten dauert die Vorstellung der einzel-nen Protagonisten. Noch einmal so vielverwendet Gerhardt Fischer, 73, für dieErläuterung seiner privaten Verhältnis-se. Seine Wohnung hat eine Bruttoge-schossfläche von 160 Quadratmetern.

Die Vögel kreisen bereitsFischer antwortet dem siebzig Zenti-

meter über ihm thronenden Gremiummit sonorer, aber freundlicher Stimme.Freundlich, sachlich, auch der Richter.Hinter ihm wirft einunsäglich blauer Vor-hang Wellen. Überden Anwälten undden Angeklagten,von denen an diesemMorgen auch Tho-mas Schmidheinyund Eric Honeggeranwesend sind, kreisen die Vögel. Siekleben schwarz an den Scheiben.

8.45 Uhr, der Richter kommt auf dieAnklagepunkte zu sprechen. GerhardtFischer verweigert die Aussage.

9.15 Uhr, die ersten Zaungäste verlas-sen den Saal – ein bisschen mehr hättees schon sein dürfen!

9.52 Uhr, der Richter erklärt die Befra-gung für beendet. Der Saal leert sich. Essei wohl nichts anderes zu erwartengewesen, diktiert ein langjährigerSwissair-Angestellter den Reportern insMikrofon; «Interessant wird es, wenndie Führungsetage antraben muss.»Dann will er wieder vorbeischauen.

Anders als im FernsehenVor der Stadthalle patrouilliert die

Polizei («Verdacht – Ruf an!» – Präven-tion wird im 16 000-Seelen-Städtchengrossgeschrieben).

10 Uhr. Die Journalisten fragen sich,wo es wohl einen anständigen Kaffee

gibt. Und die Beob-achter wissen nichtrecht, wie sie denAuftakt nun wertensollen. Geht es sounspektakulär wei-ter? Aus dem Fernse-hen kennt man dasaber ganz anders:

Richter Alexander Hold! BarbaraSalesch! Ein Fall für Männdli! Oder istdas etwa nur die Ruhe vor dem Sturm?Zwei Fahnen wimpeln im Wind. Daraufsteht: Eventstadt Bülach. Im Beet nebendem Treppenabsatz spriessen die Pri-meln. In Bülach wird noch bis AnfangMärz Geschichte geschrieben.