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84 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 2 Steffen Mauer, Roger Rockenfelder DOI: 10.1002/best.201200071 FACHTHEMA Teilerneuerung der Talbrücke Einsiedelstein 1 Einleitung Die Talbrücke Einsiedelstein wurde 1938 im Zuge des Neubaus der Reichsautobahn 1 Köln–Dortmund errich- tet. Das Bauwerk befindet sich zwischen Leverkusen und Wuppertal in der Nähe der heutigen Anschlussstelle Wer- melskirchen bei km 384,412 und überspannt das Tal des Heintjesmühlenbaches in einer Krümmung von etwa 1150 m mit einer Gesamtlänge von 168 m. Auf der bis zu 35 m über dem Talgrund liegenden, unter Denkmalschutz stehenden Brücke befanden sich bisher zwei Richtungs- fahrbahnen (FR Köln/FR Dortmund) mit je zwei Fahr- streifen. Im Zuge des sechsstreifigen Ausbaus der BAB A1 war als Teilmaßnahme der „sechsstreifige Ausbau der A1 von Bau-km 17,155 (AS Wermelskirchen) bis Bau-km 21,530 (T. u. R. Remscheid)“ mit Planfeststellungsbeschluss vom 12.07.2006 vorgesehen. Bedingt durch die somit künftig erforderliche größere Fahrbahnbreite werden die in die- sem Bereich liegenden Gewölbebrücken Höllenbachtal, Diepmannsbachtal und Einsiedelstein nur noch für eine Richtungsfahrbahn genutzt. Für die gegenläufige Rich- tungsfahrbahn wurden jeweils neu zu errichtende Brü- ckenbauwerke vorgesehen. 2 Konstruktion Die Talbrücke Einsiedelstein besteht aus zwei neben- einander liegenden, 8,40 m breiten Gewölbereihen mit je- weils sieben Bögen, die über eine Stahlbetonplatte mit- einander gekoppelt sind (Bilder 1 und 2). Sämtliche im Grundriss rechteckförmigen Pfeiler mit den am Pfeiler- kopf vorhandenen Abmessungen 8,40 m × 3,20 m beste- hen aus einer Außenschale aus Natursteinmauerwerk (Grauwacke), die mit Beton verfüllt ist. Die bis zu 24 m hohen Pfeiler verjüngen sich in der Längsansicht von der Fundamentoberkante bis zum Kämpfer mit einer Nei- gung von 40:1 und sind flach auf dem anstehenden Fels gegründet. Die mit Hartbranntziegeln gemauerten Ge- wölbebögen bestehen aus Kreissegmenten mit einem Ra- dius von ca. 10,60 m. Die Bögen sind mit Magerbeton verfüllt. Die Bogenränder wurden aus gestalterischen Gründen mit Basaltlava verblendet, die Stirnwände beste- hen aus regelmäßigem Schichtenmauerwerk aus Grauwa- cke. Die Aufteilung der neuen Fahrbahn ergibt sich aus dem Regelquerschnitt RQ 35,5 nach RAS-Q 96 mit drei Im Zuge des sechsstreifigen Ausbaus der Autobahn A1 musste die bestehende Talbrücke Einsiedelstein teilerneuert werden. Es handelt sich dabei um eine im Jahr 1938 errichtete Gewöl- bebrücke. Als Grundlage für die Planung notwendiger Instand- setzungs- und Umbaumaßnahmen wurden Finite-Elemente-Be- rechnungen unter Berücksichtigung des nichtlinearen Mate- rialverhaltens des Füllbetons und des Gewölbemauerwerks für die Lasten des DIN-Fachberichts durchgeführt. Die angewen- deten Berechnungsmethoden ermöglichen eine realitätsnahe Modellierung des Tragverhaltens von historischen Mauer- werkskonstruktionen in den Grenzzuständen der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit. Die Ergebnisse der Berech- nung dienten als Entscheidungsgrundlage für die Wahl einer nachhaltigen Maßnahme für die Teilerneuerung der Gewölbe- brücke. The partial renewal of the viaduct Einsiedelstein In the course of the six-lane extension of the A1 motorway, the existing viaduct Einsiedelstein had to be partially renovated. It is an vault bridge built in 1938. As a basis for the planning of necessary measures of redevelopments finite element calcula- tions were carried out taking into account the non-linear mate- rial behavior of the backfill concrete and masonry vaults for the loads of DIN technical report. The applied calculation methods allow a realistic modeling of the load-bearing behavior of his- toric masonry structures in the ultimate limit state and service- ability limit state. The calculation results were used for choos- ing a sustainable measure for the partial replacement of the vault bridge. Bild 1 Westansicht auf die Gewölbereihen Side view from west on the viaduct

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Page 1: Teilerneuerung der Talbrücke Einsiedelstein

84 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 2

Steffen Mauer, Roger Rockenfelder

DOI: 10.1002/best.201200071

FACHTHEMA

Teilerneuerung der Talbrücke Einsiedelstein

1 Einleitung

Die Talbrücke Einsiedelstein wurde 1938 im Zuge desNeubaus der Reichsautobahn 1 Köln–Dortmund errich-tet. Das Bauwerk befindet sich zwischen Leverkusen undWuppertal in der Nähe der heutigen Anschlussstelle Wer-melskirchen bei km 384,412 und überspannt das Tal desHeintjesmühlenbaches in einer Krümmung von etwa1150 m mit einer Gesamtlänge von 168 m. Auf der bis zu35 m über dem Talgrund liegenden, unter Denkmalschutzstehenden Brücke befanden sich bisher zwei Richtungs-fahrbahnen (FR Köln/FR Dortmund) mit je zwei Fahr-streifen.

Im Zuge des sechsstreifigen Ausbaus der BAB A1 war alsTeilmaßnahme der „sechsstreifige Ausbau der A1 vonBau-km 17,155 (AS Wermelskirchen) bis Bau-km 21,530 (T. u. R. Remscheid)“ mit Planfeststellungsbeschluss vom12.07.2006 vorgesehen. Bedingt durch die somit künftigerforderliche größere Fahrbahnbreite werden die in die-sem Bereich liegenden Gewölbebrücken Höllenbachtal,Diepmannsbachtal und Einsiedelstein nur noch für eineRichtungsfahrbahn genutzt. Für die gegenläufige Rich-tungsfahrbahn wurden jeweils neu zu errichtende Brü-ckenbauwerke vorgesehen.

2 Konstruktion

Die Talbrücke Einsiedelstein besteht aus zwei neben -einander liegenden, 8,40 m breiten Gewölbereihen mit je-weils sieben Bögen, die über eine Stahlbetonplatte mit -einander gekoppelt sind (Bilder 1 und 2). Sämtliche im

Grundriss rechteckförmigen Pfeiler mit den am Pfeiler-kopf vorhandenen Abmessungen 8,40 m × 3,20 m beste-hen aus einer Außenschale aus Natursteinmauerwerk(Grauwacke), die mit Beton verfüllt ist. Die bis zu 24 mhohen Pfeiler verjüngen sich in der Längsansicht von derFundamentoberkante bis zum Kämpfer mit einer Nei-gung von 40:1 und sind flach auf dem anstehenden Felsgegründet. Die mit Hartbranntziegeln gemauerten Ge-wölbebögen bestehen aus Kreissegmenten mit einem Ra-dius von ca. 10,60  m. Die Bögen sind mit Magerbetonverfüllt. Die Bogenränder wurden aus gestalterischenGründen mit Basaltlava verblendet, die Stirnwände beste-hen aus regelmäßigem Schichtenmauerwerk aus Grauwa-cke. Die Aufteilung der neuen Fahrbahn ergibt sich ausdem Regelquerschnitt RQ 35,5 nach RAS-Q 96 mit drei

Im Zuge des sechsstreifigen Ausbaus der Autobahn A1 musstedie bestehende Talbrücke Einsiedelstein teilerneuert werden.Es handelt sich dabei um eine im Jahr 1938 errichtete Gewöl-bebrücke. Als Grundlage für die Planung notwendiger Instand-setzungs- und Umbaumaßnahmen wurden Finite-Elemente-Be-rechnungen unter Berücksichtigung des nichtlinearen Mate -rialverhaltens des Füllbetons und des Gewölbemauerwerks fürdie Lasten des DIN-Fachberichts durchgeführt. Die angewen-deten Berechnungsmethoden ermöglichen eine realitätsnaheModellierung des Tragverhaltens von historischen Mauer -werkskonstruktionen in den Grenzzuständen der Tragfähigkeitund der Gebrauchstauglichkeit. Die Ergebnisse der Berech-nung dienten als Entscheidungsgrundlage für die Wahl einernachhaltigen Maßnahme für die Teilerneuerung der Gewölbe -brücke.

The partial renewal of the viaduct EinsiedelsteinIn the course of the six-lane extension of the A1 motorway, theexisting viaduct Einsiedelstein had to be partially renovated. Itis an vault bridge built in 1938. As a basis for the planning ofnecessary measures of redevelopments finite element calcula-tions were carried out taking into account the non-linear mate-rial behavior of the backfill concrete and masonry vaults for theloads of DIN technical report. The applied calculation methodsallow a realistic modeling of the load-bearing behavior of his-toric masonry structures in the ultimate limit state and service-ability limit state. The calculation results were used for choos-ing a sustainable measure for the partial replacement of thevault bridge.

Bild 1 Westansicht auf die GewölbereihenSide view from west on the viaduct

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Fahrstreifen (3,75 m – 3,50 m – 3,50 m) sowie einem aufbis zu 6,5 m verbreiterten Seitenstreifen (Bilder 3 und 4).

3 Erneuerungskonzept

Das vorhandene Bauwerk, das bisher zwei Fahrstreifen injede Richtung aufnahm, wird künftig für drei Streifen undausschließlich als Richtungsfahrbahn Köln verwendet.Die Richtungsfahrbahn Dortmund wird künftig auf einemzwischenzeitig fertig gestellten neuen Brückenbauwerkliegen, das sich unmittelbar östlich neben der Bestands-brücke befindet. Ziel der Planung war es, das bestehendeBauwerk derart zu ertüchtigen, dass es allen Anforderun-gen an die Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit füreine vollständige Nutzungsdauer eines Neubauwerks von100 Jahren genügt. Außerdem waren die Aspekte desDenkmalschutzes zu berücksichtigen, wobei insbesonde-re der Originalzustand der Mauerwerksgewölbe mit ihrenAnsichten erhalten werden musste.

Erschwerend für die Planung und Ausführung kam hinzu,dass nahezu sämtliche Bestandsunterlagen zu dem Bau-werk nicht mehr zur Verfügung standen, sodass keine de-taillierten Angaben zum Bauwerk vorhanden waren. ImEinzelnen war nur noch ein Übersichtsplan aus dem Jahr1985 vorhanden, der nach alten Planunterlagen und Fotosvon 1937 nachgezeichnet worden war. Soweit möglich,wurden daher die Bestandsunterlagen der zu gleicher Zeitund in nahezu identischer Bauart erstellten benachbartenBrücken Diepmannsbachtal und Höllenbachtal herange-zogen. Insbesondere zur Talbrücke Höllenbachtal lagennoch eine Reihe von Detailplänen zum Gewölbemauer-werk, zum Füllbetoneinbau, zur Koppelplatte und zu denPfeilern und Widerlagern vor. Weiterhin standen Prüfer-gebnisse von Bohrkernproben der dortigen Ziegelgewölbeaus dem Jahr 1973 zur Verfügung. Während der Planungs-phase wurden daher weitere Bohrkernentnahmen veran-lasst, deren Ergebnisse weitere Erkenntnisse über die Ma-terialbeschaffenheit des Bauwerks und die Geometrie derZiegel-Mauerwerks-Gewölbe lieferten.

Bedingt durch die fehlenden Bestandsunterlagen, die ge-genüber der Bestandssituation veränderte Anordnung der Fahrstreifen vor allem im Bereich der Koppelplattezwischen den beiden Gewölbereihen sowie die für diekünftige Nutzung höheren Lastannahmen stand fest, dasszumindest die Fahrbahnplatte mit Kappen und Schutz-einrichtungen und somit auch die Abdichtung und Ent-wässerung ersetzt werden mussten, um den neuen An-sprüchen an die Nutzung gerecht zu werden. Inwiefernjedoch die Gewölbereihen selbst für die künftige Nutzungausreichende Standsicherheit aufweisen, musste zunächstdurch eine statische Nachrechnung geklärt werden.

Grundsätzlich kamen als Lösung für die Teilerneuerungzwei Varianten in Frage:

1. Rückbau der bestehenden Fahrbahnplatte und derenKompletterneuerung bei gleichzeitigem Erhalt der tra-

genden Funktion der bestehenden Gewölbekonstruk-tion

2. Rückbau der bestehenden Fahrbahnplatte und desFüllbetons, Einbau von Stahlbetonschalen oder Bal-kenkonstruktionen als eigenständige Tragkonstruktio-nen innerhalb der Bestandskonstruktion zwischenden Stirnwänden und Kompletterneuerung der Fahr-bahnplatte

Der ersten Variante steht der bekannte, aus Erfahrungenherrührende Spruch „Eine Gewölbebrücke kann alles er-tragen, nur keine statische Berechnung.“ entgegen. Diezweite Variante hat sicherlich den zweifelhaften „Charme“der Planungs- und Ausführungssicherheit, dem stehen je-doch die deutlich höheren Kosten, die längere Bauzeit undder Wunsch des Ingenieurs, die ursprüngliche Tragwirkungdes Bauwerks möglichst zu erhalten, entgegen.

Für das Bauvorhaben Talbrücke Einsiedelstein wurde seitens des Bauherrn und des Planers daher angestrebt,die Variante der Teilerneuerung unter Beibehaltung dertragenden Funktion des bestehenden Gewölbes zum Er-folg zu führen.

4 Technische Bearbeitung4.1 Materialuntersuchungen

Aufgrund der fehlenden Bestandsunterlagen wurden imZuge der technischen Bearbeitung Probenentnahmen an

Bild 2 Untersicht in BauwerksachseUnderview in center line of the building

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Bild 3 Draufsicht und Längsschnitt des GesamtbauwerksTopview and longitudinal section of the building

Bild 4 Querschnitt im Bogenscheitel nach Erneuerung der FahrbahnplatteCross section after the renewal of the carriageway slab

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den Gewölbebögen und an den Pfeilern mittels Kernboh-rungen durchgeführt. Da die Vorberechnungen bereitsHinweise auf kritische Fragestellungen wie dem Verhält-nis der E-Moduln von Füllbeton und Gewölbemauerwerksowie der Druckfestigkeit des Mauerwerks brachten, wur-den die Proben insbesondere hinsichtlich dieser Material-parameter untersucht.

Da die Konstruktionsdicken des Gewölbemauerwerksnicht exakt bekannt waren, wurden insgesamt 18 Kern-bohrungen an einem mit üblichem Bauequipment er-reichbaren Bogen beider Gewölbereihen so tief geführt,dass sowohl die Steindicken als auch die Dicke des Füll-betons in verschiedenen Einbaulagen erfasst werdenkonnten. Die Kernbohrungen wurden in den Kämpfer -bereichen bis zu 2,60  m und im Scheitelbereich bis zu1,10 m Tiefe geführt (Bilder 5 bis 6). Weitere vier Bohrun-gen mit Tiefen bis zu 2,50  m wurden an einem Pfeiler-schaft (Bild  7) durchgeführt. Die so ermittelten Dickendes Gewölbemauerwerks variieren von 64 cm im Schei-tel- bis zu 120 cm im Kämpferbereich (vgl. Bild 10).

Im Rahmen der Materialuntersuchung [1, 2] konnte einweitgehend gutes Gefüge des Ziegelmauerwerks und desFüllbetons festgestellt werden. Für vereinzelt angetroffe-ne Kiesnester im Füllbeton wurden dort die E-Modulnentsprechend den dabei festgestellten Volumenanteilenmodifiziert. Alle Probenentnahmen mussten unter Ver-kehr erfolgen, da zu dieser Zeit das in seitlicher Lage neuzu errichtende Bauwerk Einsiedelstein für die künftigeFahrtrichtung Dortmund noch nicht fertig gestellt war.

Hierbei waren ebenfalls die Belange des Denkmalschut-zes zu berücksichtigen. Für Bauteile, bei denen aus denerhöhten veränderlichen Lasten gemäß DIN-Fachbericht101 keine signifikanten Änderungen der Beanspruchun-gen auftreten, wie Fundamentbeton und Teile des Pfeilers(Tab. 2), sowie darüber hinaus für die alte Fahrbahnplat-te, wurden die Ergebnisse der Materialuntersuchungender vergleichbaren Brücken Höllenbachtal und Diep-mannsbachtal [3] herangezogen. Insgesamt ergaben sichsomit die in Tab. 1 gezeigten Materialzuordnungen bzw.Materialeigenschaften.

4.2 Lastannahmen

Die Brücke war bisher in die Brückenklasse 30 nachDIN 1072 (11.67) und MLC 80/50-70/50 eingestuft, ob-wohl keine explizite Einstufungsberechnung für zivileLastklassen vorlag. Zur Zeit der technischen Bearbeitungfür die Erneuerungsmaßnahmen galten für Neubauwerkedie Lastannahmen des DIN-Fachberichts 101 (03.2003).Folgende, zuvor mit dem Bauherrn und dem Prüfinge-nieur abgestimmte Lastfälle wurden berücksichtigt:

– Ständige Einwirkungen (Eigengewicht, Ausbaulasten)– Lastmodell 1 nach DIN-Fachbericht 101– Temperaturschwankung ± 15 K– Schwinden der neuen Fahrbahnplatte

Für die Beurteilung der Bestandssituation zum Zeitpunktder Bauwerkserstellung wurden alternativ darüber hinaus

Bild 5 Bohrkern aus dem Gewölbescheitel nach [2]Drill core sample out of the crown

Bild 6 Bohrkern aus dem verjüngten Gewölbekämpfer nach [2] Drill core sample out of the springer

Bild 7 Bohrkern aus dem Pfeilerschaft nach [2] Drill core sample out of the pier

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Einwirkungen aus der Dampfwalze nach DIN 1072(1932) berücksichtigt. Das Lastmodell 1 sollte dabei so-wohl für die neue Fahrbahnplatte als auch für die Be-standsgewölbebögen gelten.

4.3 Nachweisführung4.3.1 Allgemeines

Für die Nachweisführung war zunächst zu klären, wel-ches Bemessungskonzept angewendet werden sollte, dazum Zeitpunkt der Bearbeitung die Nachrechnungsricht-linie (Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrückenim Bestand [4]) noch nicht zur Verfügung stand. In Ab-stimmung mit dem Bauherrn und dem Prüfingenieur wur-de somit festgelegt, dass die neue Fahrbahnplatte nachden DIN-Fachberichten und somit dem semi-probabilis -tischen Sicherheitskonzept berechnet und die übrige Bestandskonstruktion nach dem Konzept mit globalen Sicherheitsfaktoren, d. h. mit zulässigen Spannungen,nachgerechnet werden sollte.

4.3.2 Fahrbahnplatte

Die neue Fahrbahnplatte wurde als elastisch auf den Ge-wölbereihen gebettete Stahlbetonplatte aus BetonC35/45 berechnet und ausgeführt. Im Hinblick auf eineeinfache konstruktive Ausbildung wurde sie mit einerkonstanten Dicke von 35 cm sowie konstanter Breite ent-

sprechend der geplanten Trassierung unabhängig von(den Bautoleranzen) der Bestandskonstruktion mit eben-falls in der Lage gekrümmter Achse konzipiert. DieseFestlegung bedingt, dass die neue Fahrbahnplatte be-reichsweise bis zu 15 cm über den (gekrümmten) Gewöl-berand hinaussteht oder in ihn einschneidet. Ein Aus-gleich hierfür wurde anschließend planmäßig über dieGesimskappen hergestellt.

Die Koppelplatte überspannt die lichte Weite von 4,20 mzwischen den Gewölbereihen. Zum Ausgleich des Brü-ckenquergefälles und in Anpassung an die Bestandssitua-tion verfügt sie über eine veränderliche Höhe von 10 cmbis 41,5 cm. Der Einsatz von Fertigteilen mit Ortbetoner-gänzung ermöglichte den Verzicht auf eine Schalung. DieAbmessungen der über die Brückenlänge identisch ausge-führten 57 Fertigteile betrugen 7,00 m × 3,00 m, sodasssich ein Einzelgewicht von 13,4 t ergab. Bedingt durch diegegenüber der Vergangenheit erhöhten Forderungen desDIN-Fachberichts hinsichtlich der Schubnachweise er -gaben die rechnerischen Nachweise eine relativ hohe er-forderliche Schub- und Verbundbewehrung insbesonderein dem dünneren Bereich des konischen Bauteils (Bild 8).

4.3.3 Gewölbe

Die in der Bauhistorie genutzten Verfahren der statischenBerechnung oder Konstruktionsregeln auf empirischenGrundlagen verschafften den Gewölben meist rechneri-sche Tragsicherheitsreserven und somit eine lange Le-bensdauer. Da diese Verfahren lediglich auf Erfahrungs-werten beruhen, sind jedoch Aussagen zur Tragfähigkeitvon auf solchen Grundlagen errichteten Brücken mit denheutigen Lasten nicht ohne Weiteres auf die auf zuverläs-sigkeitstheoretischen Grundlagen beruhenden aktuell gel-tenden normativen Regelungen des konstruktiven Inge-nieurbaus übertragbar. Historische Gewölbe mit den heu-tigen, oftmals viel höheren Lasten aus Straßenverkehrnachzuweisen, bedarf somit analytischer Verfahren, diedas tatsächliche Tragverhalten, insbesondere im Zusam-menwirken der verschiedenen Baustoffe, besser wider-spiegeln.

Bild 8 Koppelplatte bei der Montage ohne OrtbetonergänzungCoupling Slab during the assembly without cast-in-place concrete

Tab. 1 MaterialkennwerteMaterial characteristics

Bauteil Material

Fundamente B15 1)

Pfeilerschäfte B25

Fahrbahnplatte (Bestand) B25 2)

Fahrbahnplatte (neu) C30/37

Füllbeton fck = 5,5 MN/m², Ecm = 22.400 MN/m²

Kämpferbereich fck = 7,0 MN/m², Ecm = 25.000 MN/m²

Gewölbemauerwerk fck = 13,2 MN/m², Ecm = 15.000 MN/m²

1) Referenzwert von der TB Höllenbachtal2) Rechnerische Annahme

Tab. 2 Relevante Ergebnisse der BerechnungRelevant results of structural analysis

Material/Bauteil vorhandene zulässige Spannung Spannung[MN/m²] [MN/m²]

Ziegelgewölbe 2,5 4,4

Füllbeton/Gewölbe 2,5 2,6

Füllbeton/Kämpfer 2,4 3,3

Pfeiler/Verblendung 1,0 4,0

Beton/Pfeiler 2,3 8,3

Klaffen der Fuge

im Scheitel 0,5 d 0,5 d*)

*) d... Mauerwerksdicke

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Mit den in der Vergangenheit vielfach angewendetenStabmodellen konnten zwar analytische Betrachtungenvorgenommen werden, jedoch lassen sich damit insbe-sondere die tragfähigkeitssteigernde Mitwirkung der Gewölbehinterfüllung und die Randbedingungen der Lagerung nur unzureichend genau modellieren. Ver -sagensmechanismen im Gewölbe wurden vielfach durcheingeführte Gelenke vereinfacht abgebildet. VerschiedeneBerechnungsansätze für den Nachweis der Dehnungs-und Spannungszustände im Gewölbemauerwerk sindu. a. in [5] und [6] enthalten.

Durch die bei der Nachrechnung der Talbrücke Einsiedel-stein angewandte Methode der Finiten Elemente ist esmöglich, eine wirklichkeitstreuere Modellierung des Ge-wölbes (Bild 9) mit allen seinen Randbedingungen zu er-zielen und das nichtlineare Materialverhalten der vorhan-denen Baustoffe zu berücksichtigen (vgl. auch [5, 7 bis 9]).Zur Vermeidung der Schwierigkeiten bei der Modellie-rung der Randbedingungen von Teilsystemen wurde einGesamtsystem entsprechend der Bauwerkslänge mitScheibenelementen einer fiktiven Ersatzbreite von 1 mgewählt. Dadurch war es auch möglich, die Rechenzeitund die Auswertung der relevanten Ergebnisse gegenüberder Verwendung eines räumlichen Modells überschaubarzu gestalten. Die Bogengeometrie mit den Dicken der Ge-wölbesteine (Bild 10) wurde dem vorhandenen Bestands-plan entnommen und mit den vor Ort gemessenen Wer-ten sowie den Erkenntnissen aus den Bohrkernunter -suchungen abgeglichen.

Die Berechnung erfolgte mit dem Programm Talpa derSofistik AG, Oberschleißheim. Dieses ursprünglich fürdie Geotechnik entwickelte und vorwiegend auch dortverwendete FE-Programm ermöglicht sowohl die lineareals auch nichtlineare Berechnung von Scheibenelemen-ten mit drei und vier Knoten, die Berücksichtigung vonPrimärspannungszuständen und unterstützt eine Vielzahlnichtlinearer Materialmodelle. Die Systemmodellierung(Bild 11) erfolgte dabei mithilfe grafischer Eingaben überdas Programmmodul Sofiplus.

Um das Materialverhalten möglichst wirklichkeitsnah ab-zubilden, erfolgte für den Füllbeton und das Gewölbe-mauerwerk die Berechnung mittels implementierternichtlinearer Materialmodelle. Auf diese Weise konnteu. a. das Klaffen der Mauerwerksfugen im Gewölbe simu-liert werden. Für den Füllbeton wurde das Materialgesetznach DRUCKER-PRAGER (Bild 12) herangezogen. DieserAnsatz impliziert ein elastoplastisches Material mit kegel-förmiger Fließfläche im Hauptspannungsraum sowie ebe-nen Zugbegrenzungsflächen und ist geeignet für Materia-lien mit Reibung und Kohäsion. Die diesbezügliche pro-grammtechnische Beschreibung erfolgt dabei über Ein -gabeparameter in Abhängigkeit von den Invarianten derentsprechenden Fließfunktion.

Für nichtlineare Berechnungen kann grundsätzlich nichtdavon ausgegangen werden, dass geringere angesetzteFestigkeiten einen größeren Sicherheitsabstand bedeu-ten. In diesem Fall sind die Autoren allerdings der An-

Bild 9 SystemausschnittDesign of system

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sicht, dass sich geringere Betonzugfestigkeiten ungünstigauf das Tragverhalten des relevanten Mauerwerksgewöl-bes auswirken, da geringere Betonzugfestigkeiten das ge-meinsame Tragverhalten von Füllbeton und Mauerwerks-gewölbe negativ beeinflussen und insbesondere im Schei-telbereich zu einer höheren Beanspruchung des Mauer-

werksquerschnittes führen. Vergleichsrechnungen mitverschiedenen Zugfestigkeiten bestätigten diese Annah-me im Wesentlichen, jedoch waren die Auswirkungen in-folge Spannungsumlagerungen in die Nachbarbereichedes Füllbetons gering. Daher wurden für die Berechnungdie jeweiligen Betonzugfestigkeiten auf einen numerischgeringen erforderlichen Wert begrenzt.

Die Druckfestigkeiten wurden mit ihren jeweiligen unte-ren 5 %-Fraktilwerten berücksichtigt, wohingegen für dieE-Moduln die Mittelwerte verwendet wurden. Die zuläs-sigen Spannungen für den Beton ergaben sich daraus un-ter Berücksichtigung eines globalen Sicherheitsbeiwertesnach DIN 1045 [10] bei Versagen des Querschnitts ohneVorankündigung von γ = 2,1; für das Gewölbemauerwerknach [2] aus den Stein- und Mörteldruckfestigkeiten unterBerücksichtigung der Schlankheit mit γ = 3,0.

Für das Ziegelmauerwerk musste sein spezifisches aniso-tropes Tragverhalten berücksichtigt werden. Hierzu er-folgte die Modellierung der radial zum Bogenmittelpunkt

Bild 10 BogengeometrieArch shape

Bild 11 SystemgenerierungStructural model

Bild 12 Bruchmodell DRUCKER-PRAGER und MOHR-COULOMB’sche Versagens -pyramideModel of the failure hypothesis with yield surface by DRUCKER-PRAGER

and MOHR-COULOMB

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angeordneten Mauerwerkslagerfugen mittels Begrenzungdes Schubverbundes in radialer Richtung und Ausschlussdes Zugverbundes senkrecht dazu (σz = 0). Die Zug -begrenzung erfolgte darüber hinaus über ein Zugschä-digungsmodell. Dazu wurden die lokalen x-Achsen derentsprechenden Schalenelemente ausgerichtet und in -folgedessen radial angeordnete Klüfte (Bild 13) model-liert.

Bei der technischen Bearbeitung zeigte sich frühzeitig dasKlaffen der Mauerwerksfugen im schwach überdecktenScheitelbereich als ein maßgebendes Nachweiskriterium(Tab. 2). Da die entsprechenden Nachweise für Straßen-brücken nicht geregelt waren, wurde die Regelung derDIN 1053-1 [11] aufgegriffen, wonach, wie auch früherbei Gewölben und Mauerwerk üblich, ein Klaffen der Fugen höchstens bis zur Hälfte zugelassen wird. DieseRegelung deckt sich auch in etwa mit verschiedenenNachweisvorschlägen aus der Literatur [5].

Großen Einfluss auf die diesbezüglichen Ergebnisse hattedas Verhältnis der E-Moduln zwischen Füllbeton undZiegelmauerwerk. Bei Vergleichsrechnungen stellte sichheraus, dass ein geringerer E-Modul des Füllbetons zu einer stärkeren Aktivierung des Gewölbebogens führte,

was wiederum die Druckzonenhöhe in den dortigenMauerwerksfugen vergrößerte.

Weiterhin zeigte sich, dass auch die Belastungsgeschichtewährend der Bauwerkserstellung eine nicht zu vernach-lässigende Rolle spielt.

Durch Fotos aus den Herstellungsjahren konnte der Bau-fortschritt teilweise nachvollzogen werden. Wesentlich istdabei, dass die Gewölbe in der Regel auf Leergerüsten er-stellt wurden (Bild 14). Anschließend wurden diese abge-baut, die Stirnwände aufgemauert und dann die Schich-ten aus Magerbeton lagenweise eingebaut. Dieser Bauab-

Bild 13 Modellierung des Gewölbemauerwerks mit KlüftenSystem model of arch walling with faults

Bild 14 Traggerüste für die Gewölbebögen (hier: Talbrücke Höllenbachtal) Shorings for arches (viaduct Höllenbachtal)

Bild 15 Modellierung der einzelnen Bauabschnitte (gekürzte Darstellung) System models of the construction stages

1. Bauabschnitt

2. Bauabschnitt

3. Bauabschnitt

4. Bauabschnitt

5. Bauabschnitt

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lauf wird in der Berechnung mit Primärspannungszustän-den aus den einzelnen Bauabschnitten berücksichtigt.Die derart berücksichtigte Belastungsgeschichte (Bild 15)wirkt sich günstig auf die bei diesem Bauwerk hinsicht-lich der Nachweisführung maßgebenden Gewölbescheitelaus. Der lagenweise Einbau des Füllbetons mit entspre-chender Erhärtung der einzelnen Lagen führt zu einerEinspannung der Bögen in die Kämpfer mit entsprechen-der Steifigkeitserhöhung in diesen Bereichen, einer damitverbundenen Änderung der Bogenstützlinie und ein Ein-prägen einer Druckspannung auf der Unterseite des Bo-genscheitels (Bild 16). Aus dem Spannungsverlauf ist er-sichtlich, dass der Füllbeton durch den späteren Einbaueinen deutlich anderen Spannungszustand aufweist alsdas Ziegelgewölbe.

Während die Lasten aus Eigengewicht, Temperatur undSchwinden ohne Weiteres direkt auf das 1 m-Streifen-Mo-dell aufgebracht werden konnten, musste für die Einzel-und Flächenlasten des LM 1 die Beanspruchung zunächstüber eine Querverteilung der Lasten mittels der Fahr-bahnplatte berechnet werden.

Die Besonderheit bestand darin, dass infolge des Wegfallsdes Mittelstreifens gegenüber der Bestandssituation dieKoppelplatte zwischen den Gewölbereihen in Zukunftkomplett mit Fahrstreifen belegt ist. Dadurch erhöht sichdie künftige Beanspruchung im Bereich der inneren Ge-wölberänder gegenüber dem Zustand vor dem sechsstrei-figen Ausbau der A1. Als maßgeblicher Nachweisstreifenwurde der innere Rand der westlichen Gewölbereihe er-mittelt (Bild 17), da aufgrund des Quergefälles die Schei-telüberdeckung dort am geringsten ist. Weitere zu berück-sichtigende, teilweise sehr ungünstige Einflüsse resultie-ren aus den Lastfällen Temperatur sowie Schwinden derneuen Fahrbahnplatte. Während die Bauteilerwärmungdie gesamte Bogenreihe gegen die hinterfüllten Widerla-

ger drückt und somit Druckspannungen im Gewölbe er-zeugt, kehrt sich dieser günstige Einfluss bei einer Abküh-lung des Bauwerks um.

Der Einfluss des Schwindens der Fahrbahnplatte führt in-folge der Exzentrizität des Lastangriffs zur (gekrümmten)Bauteilachse zu einem Biegemoment, welches auf derScheiteloberseite Druck- und auf der ScheitelunterseiteZugspannungen hervorruft, die somit wiederum das Klaf-fen der Mauerwerksfugen im Scheitelbereich begünsti-gen. Da die Lasten aus dem Straßenverkehr ebenfalls Bie-gemomente im Gewölbe erzeugen, führte dies zu dernachfolgenden maßgebenden Bemessungskombination:

Ständige Lasten + Schwinden + Temperaturschwankung(–15 K) + LM 1

Die nichtlineare Berechnung ergab für diese Lastfallkom-bination mit charakteristischen Lasten ein Klaffen der Fu-gen im Scheitelbereich bis zur Hälfte (Bild 18), sodass dasangestrebte Nachweiskriterium erfüllt wurde. Erkennbarist hier das durch die unterschiedlichen Steifigkeiten so-wie die Belastungsgeschichte heterogene Materialverhal-ten von Füllbeton und Gewölbemauerwerk.

Zur Verifikation der Ergebnisse erfolgte ergänzend einweiterer Nachweis nach [12], Modul 805.0203. Danachdürfen, ohne Berücksichtigung von Zugausfall in denMauerwerksfugen, an keiner Stelle größere Zugspannun-gen als 0,5  MN/m² auftreten. Hierzu war ein weitererRechenlauf bei Deaktivierung der zuvor erwähnten Modellierung von Klüften im Gewölbemauerwerk erfor-derlich. Diese Forderung wurde eingehalten.

Die maximal ermittelten Druckspannungen im Ziegelge-wölbe betrugen 2,5 MN/m² und lagen damit unter denzulässigen Werten von 4,4 MN/m² [2] (Tab. 2), wobei die

Bild 16 Spannungszustand im Gewölbescheitel nach Fertigstellung des Bauwerks [MN/m²]Stress distribution inside the crown after completion [MN/m²]

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Nachweise für die Kämpfer- und Pfeilerbereiche auf-grund der notwendigerweise fehlenden Berücksichtigungder Lastausbreitung in Brückenquerrichtung auf der „sicheren Seite“ liegen.

Da die Nachweise auf einer nichtlinearen Berechnung be-ruhen, erfolgte abschließend der Nachweis der Systemkon-

vergenz unter Ansatz der mit einem globalen Sicherheits-faktor beaufschlagten Einwirkungen. Entsprechend übli-cher Nachweisformate im Mauerwerk [7, 11] wurde in Ab-stimmung mit Bauherrn und Prüfingenieur dieser Sicher-heitsbeiwert mit γ = 2,0 berücksichtigt. Sämtliche Nachwei-se für das Gewölbe konnten somit über eine nichtlineareBerechnung erbracht werden.

Bild 18 Spannungszustand im Gewölbescheitel für G + S + T–15 + LM 1Total stress distribution inside the crown [MN/m²]

Bild 17 Brückenquerschnitt mit Nachweisquerschnitt und Einzellasten (TS) Cross section with range of analyses

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Zusätzlich wurden ergänzende Nachweise in gleicher Wei-se für die maßgebenden Bauzustände geführt. Da die Hin-terfüllung der Widerlager zur Instandsetzung der Abdich-tung temporär nahezu komplett entfernt wurde, war es er-forderlich, Nachweise für diese einseitige Abgrabung unterBerücksichtigung des Ausfalls der horizontalen Bettung zuführen. Weiterhin wurde eine Gewölbereihe für die Über-fahrt eines Schwerlasttransportes zum Einheben der Über-bauteile der sich damals im Bau befindenden Verbundbrü-cke für die Richtungsfahrbahn Dortmund nachgewiesen.

4.4 Ausschreibung

Um die Umbaumaßnahme an der bestehenden Brückeüberhaupt durchführen zu können, musste das Bau-werk bei einer prognostizierten Verkehrsbelastung von80.000 Kfz/24h im Jahre 2010 frei von Verkehr sein. Ausdiesem Grunde konnte die Teilerneuerung der bestehen-den Talbrücke Einsiedelstein erst nach Fertigstellung derparallel verlaufenden, im Zusammenhang mit dem sechs-streifigen Ausbau der A1 neu errichteten Brücke mit derentsprechenden Verkehrsumlegung auf das neue Bau-werk beginnen.

Als Grundlage für die Ausschreibung wurde im Anschlussan die Nachrechnung ein Bauwerksentwurf erstellt. ImHinblick auf die maximale Ausführungssicherheit für dieTeilerneuerung des denkmalgeschützten Bestandsbau-werks wurde die gesamte Ausführungsplanung für dieMaßnahme einschließlich der Tragwerksbemessung imVorfeld bereits komplett fertig gestellt, vom Prüfingenieurabschließend geprüft und der Ausschreibung beigelegt.Eine technische Bearbeitung durch die bauausführendeFirma entfiel hiermit. Eine Änderung der ausgeschriebe-nen Planung während des eigentlichen Baus mit dendann erheblichen und unumgänglichen Kostensteigerun-gen konnte somit vermieden werden.

5 Bauausführung

Die geplante Teilerneuerung wurde dem Entwurfskon-zept entsprechend umgesetzt. Lediglich der Bauablaufwurde seitens der bauausführenden Firma in Teilberei-chen umgestellt. Während der Umbauarbeiten wurdendie Baustoffe aus Teilen der bestehenden und verbleiben-den Konstruktion stichprobenartig untersucht und mitden Ergebnissen aus den Voruntersuchungen abgegli-chen. Aufgrund der guten Übereinstimmung konnte dasausgeschriebene Konzept ohne Anpassung beibehaltenwerden. Nachfolgende Abweichungen des Bestandsbau-werks gegenüber der basierend auf Voruntersuchungengetroffenen Annahmen erforderten jedoch in Teilberei-chen eine Anpassung der Ausführung:

– Entgegen den Erkenntnissen aus den Vorerkundun-gen des Fahrbahnaufbaus wurden beim Abbruch derFahrbahn teerhaltige Schichten, und somit Sonder-müll, gefunden. Außerdem war wider Erwarten ein

dünnes Stahlgeflecht im Unterbau des Fahrbahnbela-ges angetroffen worden.

– Die Querneigung der Gradiente musste während derAusführung überarbeitet werden. Der Grund hierfürwar u. a. die Tatsache, dass vor Abbruch der Natur-stein-Kappen eine exakte Aufnahme der Oberkantedes Verblend-Mauerwerks nicht möglich war. Das Ver-blendmauerwerk sollte aber als „Schalung“ für denneuen Ortbeton der Fahrbahnplatte dienen. Außer-dem war es eine Vorgabe des Denkmalschutzes, in derBrückenansicht so wenig („modernen“) Beton wiemöglich sichtbar werden zu lassen.

– Die Montage der neuen Koppelplatten verlief ab-schnittweise, um immer eine ausreichende Stand -sicherheit der Bogenreihen über die verbleibende „Alt-Koppelplatten-Konstruktion“ zu gewährleisten. Ge-plant war die Auflagerung dieser Platten auf dem Füll-beton der Brückenkonstruktion hinter der innerenVerblend-Mauerwerksschale. Diese Mauerwerksscha-le wurde im Entwurf mit einer Breite von 20 cm ange-nommen. Nach dem Ausbau der alten Koppelplattenmusste festgestellt werden, dass die Breite des Ver-blendmauerwerks in diesem Bereich aber 40  cm be-trug. Unter der Voraussetzung einer Auflagerung derKoppelplatten hinter diesem „breiteren“ Verblend-mauerwerk hätte sich die Spannweite der Koppelplat-ten um 20 + 20 = 40 cm verlängert. Auf die dadurchdeutlich ansteigenden Schubkräfte im Auflagerbereichwaren die Koppelplatten jedoch ursprünglich nicht be-messen worden. Eine Begutachtung des Steinmate -rials des Verblendmauerwerks ergab eine ausreichen-de Tragfähigkeit für die Auflagerung der Koppelplat-ten unter der Voraussetzung eines Ausgleichs der Hö-hendifferenzen zwischen Naturstein-Oberkante undKoppelplatten-Unterkante mit PCC-Mörtel. Durch dieAnpassung konnten die FT-Platten wieder mit ihrer ur-sprünglich bemessenen Spannweite verlegt werden.

– In Verlängerung der Brücke selbst befinden sich zweiStützwände aus dem Baujahr der Brücke (Längen  =50 m bzw. 120 m). Auch hierfür fehlten Bestandsun-terlagen. Voruntersuchungen zur Gewinnung von Er-kenntnissen hinsichtlich Geometrie, Gründung undBaustoffkennwerten waren durch die örtliche Situati-on erst nach Baubeginn mit Freilegung der Widerlagerund Stützwände möglich. Für die Ertüchtigung auf die

Bild 19 Einbau der GEWI-Pfähle zur StützwandverstärkungAssembly of piles for the reinforcement of the retaining wall

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Literatur

[1] ibac-Institut für Bauforschung: Materialprüfung an Bohr-kernen aus der Autobahnbrücke Einsiedelstein. PrüfberichtNr. 1122. Aachen 2008.

[2] RAUPACH, M.: Gutachterliche Stellungnahme zur Ermitt-lung von Materialkennwerten aus Bohrkernproben der Autobahnbrücke Einsiedelstein B 5287. Aachen 2008.

[3] Landesprüfamt für Baustoffe: Protokolle der Druckfestig-keitsprüfung an Bohrkernen aus den Pfeilern der BrückeDiepmannsbachtal. Düsseldorf 1993.

[4] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Be-stand (Nachrechnungsrichtlinie). 2011.

[5] BODENDIEK, P.: Trag- und Verformungsverhalten des histo-rischen Barmühlenviaduktes. Dissertation TU Braun-schweig: 06.10.2005.

[6] LACHMANN, H.: Über die Standsicherheit gemauerter Ge-wölbebrücken. Bautechnik 67 (1990), Heft 2, S. 61–64.

[7] PROSKE, D., LIEBERWIRTH, P., VAN GELDER, P.: Sicherheits-beurteilung Historischer Bogenbrücken. Dirk Proske Ver-lag: Dresden 2006.

[8] HERRBRUCK, J.; GROSS, J.-P.; WAPENHANS, W.: Gewölbe-brücken: Ersatz der linearen „Kaputtrechnung“. Bautechnik78 (2001), Heft 11, S. 805–814.

[9] PURTAK, F.; GEISSLER, K.; LIEBERWIRTH, P.: Bewertung be-stehender Natursteinbogenbrücken. Bautechnik 84 (2007),Heft 8, S. 525–543.

[10] DIN 1045: Beton- und Stahlbeton – Bemessung und Aus-führung. 1988.

[11] DIN 1053-1: Mauerwerk: Teil 1 – Berechnung und Ausfüh-rung. 1996.

[12] Deutsche Bahn AG: Richtlinie 805, Tragsicherheit beste-hender Eisenbahnbrücken. 1997.

Autoren

Dipl.-Ing. Roger RockenfelderLandesbetrieb Straßenbau NRWRNL RuhrHatzper Straße 3445149 [email protected]

Dipl.-Ing. Steffen MauerIngenieur-Büro Grassl GmbHAdlerstraße 34–4040211 Dü[email protected]

heutigen Verkehrsbelastungen mussten die Stützwän-de auf der Innenseite mit GEWI-Pfählen mit einerPfahllänge von ca. 16 m im Abstand von 1 m und ei-ner Einbindetiefe von ca. 5 m im Untergrund veran-kert werden (Bild 19).

Die vorläufigen Baukosten für die Teilerneuerung betragen:

Brücke: 3,5 Mio. € (brutto) 990 €/m² Stützwände: 0,65 Mio. € (brutto) 3 820 €/m

6 Zusammenfassung

Das 1938 im Zuge des Baus der Reichsautobahn errichteteBauwerk wurde für den sechsstreifigen Ausbau umgebautund für die neuen Lastannahmen des DIN-Fachberichts(2003) nachgerechnet. Durch Finite-Elemente-Berechnun-gen am Gesamtsystem unter Berücksichtigung des nicht -linearen Materialverhaltens von Mauerwerk und Füllbetonsowie der Bauzustände konnten die erforder lichen Stand-sicherheitsnachweise erbracht werden, sodass auf den Baueiner integrierten selbsttragenden Konstruktion verzichtetwerden konnte und auch künftig die bestehende Gewölbe-brücke ihre tragende Funktion ausüben kann.

Wesentliche bauliche Änderungen der Brücke waren nuran der Fahrbahnplatte und den Kappen notwendig, so-dass die Belange des Denkmalschutzes erfüllt werdenkonnten. Umfassende Verstärkungsmaßnahmen warenlediglich an den angrenzenden Stützwänden erforderlich.Fehlende Bestandsunterlagen bereiteten während derPlanungs- und Ausführungsphase mehrfach Probleme

und stellten die Beteiligten (Tab. 3) vor besondere He-rausforderungen.

Das Beispiel zeigt, dass durch den Einsatz moderner Be-rechnungsmethoden vorhandene Reserven in bestehendenBauwerken genutzt werden können, um den baulichen Ein-griff im Rahmen der Ertüchtigung für zukünftige Verkehrs-lasten zu minimieren. Vor notwendigen Änderungen beider Ausführung infolge neuer Erkenntnisse zum Bestands-bauwerk, die erst während der Baumaßnahme zu Tage tre-ten, kann man sich bei einem Bauwerk diesen Alters unddieser Bauwerkssubstanz jedoch nie ganz schützen.

Auch künftig wird die Talbrücke Einsiedelstein dem gegen-über dem Erstellungszeitpunkt drastisch erhöhten Ver-kehrsaufkommen gerecht werden und nahezu unverändertals reizvoll in die Landschaft eingebettetes Bauwerk typi-sches Zeugnis einer vergangenen Bauepoche sein.

Tab. 3 ProjektbeteiligteParties involved of the project

Bauherr, Bauoberleitung, Landesbetrieb Straßen-Bauüberwachung bau NRW, PBC Ruhr, Essen

Objekt- u. Tragwerksplanung Ingenieurbüro Grassl GmbH,Düsseldorf

Baustoffgutachter Prof. Dr.-Ing. MICHAEL

RAUPACH, ibac, Aachen

Bodengutachten Ingenieurbüro Gell & PartnerGbR, Aachen

Prüfingenieur Dipl.-Ing. WILFRIED

HACKENBROCH, Duisburg

Bauausführung Schäfer-Bauten GmbH, Gelsenkirchen