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Therapiemöglichkeiten der Demenz BETAKLI 2017, 09.11.2017 Inselspital Bern Prof. Dr. med. A. Schoenenberger Akutgeriatrie Geriatrische Universitätsklinik Bern [email protected]

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Therapiemöglichkeiten der Demenz

BETAKLI 2017, 09.11.2017Inselspital Bern

Prof. Dr. med. A. SchoenenbergerAkutgeriatrieGeriatrische Universitätsklinik [email protected]

Kapitel 1

Diagnose der Demenz

Schritt 1

Screening und Anamnese

Schritt 2

Überprüfung DiagnosekriterienAusschluss von DifferentialdiagnosenEinschätzung des Schweregrads der Demenz

Schritt 3

Zuordnung der Demenz zu einer aetiologischdefinierten Demenzerkrankung

Dreistufiges Vorgehen

Nicht-kognitive Symptome

30.3%

20.1%18.0%

14.7% 14.7% 13.8%

10.5% 10.4% 9.9%

3.1%

Häufigkeit (%)

Lyketsos CG et al. JAMA 2002.

Performance-Test

Schritt 1: Performance-Test für Screening

Instru-ment

Zeit-bedarf

Vorteile Nachteile

MMSE 8-10 Minuten - Gedächtnis, Orientierung, Sprache, Rechnen, Aufmerksamkeit abgedeckt

- Breit bekannt- Limitatio basierend auf MMSE

- Visuospatiale/exekutive Funktionen untergewichtet

- Geschützt

MoCA 8-10 Minuten - Visuospatiale/exekutive Funktionen getestet

- Unterhaltsam- Anspruchsvoll- Nicht geschützt

- Nicht verwendbar für Limitatio

Mini-Cog 4-5 Minuten - Visuospatiale/exekutive Funktionen getestet

- Orientierung, Aufmerksamkeitnicht getestet

6-item CIT 4-5 Minuten - Aufmerksamkeit, Konzentration getestet

- Visuospatiale/exekutive Funktionen nicht getestet

Ottawa 3DY 2-3 Minuten - Kurz - Einige kognitive Domänen nicht getestet

Performance-Tests

Durchführung unter Einbezug von Angehörigen oder Betreuern beim Interview

Wichtige Fragen:

• Beginn und zeitlicher Verlauf der Gedächtnisschwierigkeiten• Fragen nach Auswirkungen der Gedächtnisschwierigkeiten im Alltag

(Alltagsrelevanz), Erheben BADL und IADL• Fragen nach Schulbildung• Fragen nach nicht-kognitiven Symptomen (Aggressivität, ängstlich-depressive

Symptome, Halluzinationen, paranoide Ideen)• Fragen nach Schlaf (Tag-Nacht-Umkehr)• Familienanamnese bezüglich Demenz• Fragen nach Parkinsonsymptomen, autonomen Symptomen (Inkontinenz,

Orthostase)

Anamnese

Wichtigstes Kriterium (muss zwingend vorhanden sein):Gedächtnisstörung

Zusätzlich mind. eine weitere kognitive Störung, z.B.:Aphasie, Apraxie, Agnosie, Störung Exekutivfunktion

Weitere wichtige Kriterien:- Alltagsrelevanz- Verschlechterung über Zeit- Kein Delir oder andere Störung

Gemäss ICD-10 zusätzlich:- Dauer mind. 6 Monate

Diagnosekriterien gemäss DSM-IV

• Delir (Beginn akut, prädominant Orientierung und Aufmerksamkeit gestört, Verlauf fluktuierend, meist akute andere Erkrankung als Auslöser präsent)

• Depression (GDS durchführen)

• Andere psychiatrische Leiden

• Medikamente (Anticholinerg wirksame Medikamente (trizyklische Antidepressiva, typische Neuroleptika), Benzodiazepine)

• Metabolische/endokrine Störungen (B12-Mangel, Folsäuremangel, Hypo-/Hyperkalzämie, Hyponatriämie, Hypo-/Hyperthyreose)

• Hirnorganische Veränderungen (Hydrocephalus, Tumoren, SDH)

• Infektionen (HIV, JC Virus, Lues, Enzephalitis)

Differentialdiagnosen

Zuordnung zu aetiologisch definierter Demenzform

Alzheimer-Demenz60%

Vaskuläre Demenz15%

Lewy-Body-Demenz15%

Fronto-temporale Demenz

5%

Andere Demenzen5%

Zeit

Alzheimer-DemenzVaskuläre Demenz

Leicht Mittelschwer Schwer

Kog

nitio

n

Schwelle für Selbständigkeit

Schwelle für absolute Pflegebedürftigkeit

Schweregrad

Mild Cognitive Impairment

Demenzielle Entwicklung

Noch 2 Begriffe

Beispiel einer Diagnoseliste

Kapitel 2

Primärprävention der Demenz

- 382 nicht-demente Teilnehmer, 70 Jahre alt, zu Hause lebend- Longitudinale Studie über 15 Jahre- Verlaufskontrolle nach 15 Jahren

Skoog I et al. Lancet 1996;347:1141.

Bluthochdruck ist mit Demenz assoziiert

0

20

40

60

80

100

120

140

160

180

200

Systolischer Blutdruck Diastolischer Blutdruck

Blu

tdru

ck m

it 7

0 Ja

hre

n

Demenz

Keine Demenz

P = 0.034

P = 0.004

- 2418 Teilnehmer des Syst-Eur Trials, keine Demenz zu Beginn- Antihypertensive Behandlung mit Nitrendipine, ggf. zusätzlich Enalapril und/oder HCT- Kognitive Funktion gemessen mit MMSE. Falls <24, erfolgten zusätzliche Demenztests.

� Aktive Behandlung reduzierte die Inzidenz einer Demenz relativ um 50% von 7.7 zu 3.8 Fällen pro 1000 Patientenjahre (21 vs 11 Patienten, p=0.05).

Forette F et al. Lancet 1998;352:1347.

Antihypertensive Therapie und Inzidenz der Demenz

- Langzeit-Follow-up (median 3.9 Jahre) der vorhergehenden Studie (Syst-Eur Trial)

� Inzidenz der Demenz verdoppelte sich (64 Fälle, davon 41 mit Alzheimer-Demenz).� Relative Risikoreduktion 55%, von 7.4 zu 3.3 Fällen pro 1000 Patientenjahre (43 vs. 21 Fälle, P < 0.001) (NNT = 50 über 5 Jahre).

Forette F et al. Arch Intern Med 2002;162:2046.

Antihypertensive Therapie und Inzidenz der Demenz

Iadecola C et al. Hypertension 2014;64:3.

Hypertension

Focal brainatrophy

(in particularleft frontal lobe)

Ischemia orhemorrhage

White matter disease

(microinfarcts, microhemorrhages)

Decreasedclearance of

brain amyloid-β

Alzheimer’sdisease

Vasculardementia

Microvasulardysfunction/

damage

Angiotensin II

Reducedgray matter

Accumulation in vessels (amyloid

angiopathy)

Pathophysiologische Zusammenhänge

Kapitel 3

Nicht-pharmakologische Therapie

Häufig bereits therapeutisch wirksam

Diagnosegespräch

Wissen ↑Wissen ↑Erwartungs-

haltung ↓Erwartungs-

haltung ↓

Überforderung ↓Überforderung ↓ Aggressionen ↓Aggressionen ↓

Anpassung Kommunikation

Anpassung Kommunikation

Verständnis ↑Verständnis ↑AngehörigeAngehörige

PatientPatient

Milieutherapie

Organisation eines sozialen Netzwerks

Organisation einer Tagesstruktur

Stärkung vorhandener Ressourcen

Anpassung der räumlichen Umgebung

Stärkung von Ressourcen

Entlastung von Angehörigen

Spitex, Ferienbetten, Besucherdienste, Angehörigengruppen…

Beratungsstellen

Gute Tipps, z.B. Notizbuch

Zukunftsplanung

Klärung Fahreignung

Mild Cognitive Impairment: meist noch kein Problem, ausser bei starker Störung bei Exekutivfunktionen (frontale Demenz). Jährliche Verlaufskontrollen empfohlen.

Demenz: Fahreignung häufig nur bei (sehr) leichter Form noch gegeben. Aufmerksamkeit, visuelle Perzeption, räumliches Vorstellungsvermögen und Exekutivfunktionen können bei Demenz früh gestört sein und die Fahreignung infrage stellen.

Massnahmen wie Einschränkung Fahrradius oder Maximal-geschwindigkeit nicht sinnvoll, da dies der Patient vergisst.

Bei Unklarheiten/Problemen Meldung an Strassenverkehrsamt oder Zuweisung an Memory Clinic empfohlen.

Kognitives Training und körperliche Aktivität

Gewisse Evidenz aus Studien vorhanden, dass durch kognitives Training und körperliche Aktivität

der Abbau gebremst werden kann

Demenzheime

Demenzdorf bald auch in der Schweiz?

Kapitel 4

Pharmakologische Therapie

• Indikation: Demenz vom Alzheimertyp (leicht bis mittelschwer), Demenz mit Lewy-Körperchen. Limitatio bei MMSE <10.

• Präparate:- Donepezil (Aricept®): 5-10 mg/d als Einmaldosis (Beginn 5 mg/d, bei guter

Verträglichkeit Steigerung auf 10 mg/d nach 4-6 Wochen)- Rivastigmin (Exelon®): als Patch 5/10 (Beginn Patch 5, bei guter Verträglichkeit

Steigerung auf Patch 10 nach 4-6 Wochen) oder als Kapseln 4-12 mg/d in zwei täglichen Dosen (Beginn 2x2 mg/d, bei guter Verträglichkeit Steigerung um 2x2 mg/d alle 2 Wochen bis 2x6 mg/d)

- Galantamin (Reminyl®): 8-16 mg/d als Einmaldosis (Beginn 8 mg/d, bei guter Verträglichkeit Steigerung auf 16 mg/d nach 4-6 Wochen)

• Häufigste UAW: Übelkeit, Diarrhoe, Erbrechen, Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Bradykardie.

• Interaktionen: Abbau über CYP2D6 und CYP3A4.- Wirkstoffanstieg durch Inhibitoren (z.B. Makrolide) whs. nicht von klinischer

Bedeutung.- Hingegen erniedrigte Spiegel durch Enzyminduktoren wie Rifampicin, Phenytoin,

Carbamazepin und Alkohol möglicherweise relevant.

Acetylcholinesterasehemmer

Acetylcholinesterasehemmer

Trotz kleinen Veränderungen im Durchschnitt kann Wirkung für den Einzelnen erheblich sein.

Birks J et al. The Cochrane Collaboration 2008.

Acetylcholinesterasehemmer

Birks J et al. The Cochrane Collaboration 2008.

• Evaluation der Behandlung alle 3-6 Monate. Evaluation zusammen mit Betreuungsperson.- Testung Kognition und Selbständigkeit- Zuverlässiger Nachweis des individuellen Ansprechens häufig nicht möglich- Deutlicher kognitiver Abbau darf hingegen als Nicht-Ansprechen gewertet werden

(zuvor jedoch Ausschluss eines Adherence-Problems).

• Bei ungenügendem Ansprechen Rotation auf anderen AChEH oder Absetzen erwägen.

• Bei Heimeinweisung Absetzen erwägen.

• Kosten ca. 100 - 120 CHF pro Monat

Acetylcholinesterasehemmer

NMDA (N-Methyl-D-Aspartat) – Rezeptor-Antagonist

• Indikation: Mittelschwere bis schwere Demenz vom Alzheimertyp. Limitatio: MMS ≤19 und ≥3. Off-Label: ev. Lewy-Body-Demenz

• Präparat:- Memantin (z.B. Axura®, Ebixa®, Generika): 5-20 mg/d als Einmaldosis (Beginn mit 5

mg/d, bei guter Verträglichkeit Steigerung um 5 mg wöchentlich auf bis zu 20 mg/d)

• Wirkprinzip: Hemmung des NMDA-Rezeptors, reduzierte Wirkung des erhöhten Glutamats

• Wirkungen:- Kognitive Stabilisierung, verbesserter Erhalt von Alltagsfunktionen- Reduktion von Agitiertheit und Aggression (nur als Basistherapie, nicht akut,

wichtiges Ziel Reduktion von Neuroleptika)

• Häufigste UAW: Schwindel, Kopfschmerzen, Verstopfung, Schläfrigkeit

Tariot PN et al. JAMA 2004;291:317.

NMDA (N-Methyl-D-Aspartat) – Rezeptor-Antagonist

Lopez OL et al. JNNP 2009;80:600.

Ginkgo biloba

Gauthier S et al. Clinical Interventions in Aging 2014;0:2065.

Cognition

ADL

UAW: Plättchenhemmende Eigenschaften, vermehrte Blutungen.

Mild Cognitive Impairment (MCI):Keine evidenzbasierten Therapieoptionen verfügbar. Ginkgo-Präparate ohne präventive Wirkung (RCT). Gedächtnistraining empfohlen. Verlaufskontrolle alle 6-12 Monate.

Leichte bis mittelschwere Demenz:Für Demenz vom Alzheimertyp in der Schweiz alle Acetylcholin-esterasehemmer zugelassen. Rivastigmin in oraler Form zusätzlich für Demenz bei Parkinson-Erkrankung kassenpflichtig.

Mittelschwere bis schwere Demenz:Für Demenz vom Alzheimertyp Memantin zugelassen. USA: Kominationspräparate mit AChEH zugelassen. Kombination in CH nicht kassenpflichtig.

Behandlung nach Schweregrad

Empfohlen:

- SSRI (Sertralin, Escitalopram) (antriebssteigernd, angstlösend)

- Mirtazapin (schlafanstossend, appetitanregend)- Trazodon (schlafanstossend, schmerzmodulierend)

Kontraindiziert: Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin wegen starker anticholinerger Wirkung

Depressive Symptomatik

Memantin!

Atypische Neuroleptika:

- Risperidon in der Schweiz als einziges offiziell zugelassen für Agitiertheit, Aggression und paranoid-halluzinatorische Symptomatik (1-2x 0.5-1.5 mg/Tag).

- Quetiapin (1-4x 12.5-25 mg/Tag): sedierend, weniger extrapyramidale UAW.

- Clozapin (1-2x 12.5-25 mg/Tag): Psychose bei M. Parkinson.

Typische Neuroleptika:

- Pipamperon (1x 40 mg um 16.00 Uhr): Tag-Nacht-Umkehr

Agitiertheit, Aggression, Halluzinationen

Zukunftsmusik

Abklärung Memory Clinic

Akutgeriatrie Spital Tiefenau

Stationärer Bereich

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit