transhumanism us
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Reader zumTranshumanismus
De:TransDeutsche Gesellschaft
furTranshumanismus
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Reader zum Transhumanismus
Wurzburg, Marz 2005
De:Trans: Deutsche Gesellschaft fur Transhumanismus e. V., Berlin
http://www.detrans.de
Umschlaggestaltung: Silvia Mathwig, Halle
Satz: Klaus Mathwig, Wurzburg, gesetzt mit LATEXund dem KOMA-Script Paket
http://www.detrans.de/ -
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Inhaltsverzeichnis
1 Zu diesem Reader 5
2 Transhumanismus was ist das? 7
3 Eigentumlich frei: Die Transhumanisten 13
4 Transvision 2004: Technik und Kunst in Kanada 21
5 Die Philosophie des Transhumanismus 33
6 Die Position zum Klonen 37
7 Nanotechnologie 45
8 Kryonik 53
9 Uploading 61
10 Fragen und Antworten 69
11 J. Hughes: Die politische Dimension des Transhumanismus 83
12 Julian Huxley: Transhumanismus 103
13 The Ultimate Resource 2 109
A Die Transhumanistische Erklarung 113
B Literaturliste 115
C Wichtige Organisationen und Personen 119
D Glossar 123
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1 Zu diesem ReaderAngeregt durch einen Artikel in der Zeitschrift ct fuhren im Sommer 1998 eini-
ge Deutsche nach Amsterdam zur TransVision, der ersten Konferenz europaischer
Transhumanisten. Ende 1998 wurde De:Trans gegrundet, um auch im deutschspra-
chigen Raum ein Forum fur den Transhumanismus zu schaffen. De:Trans hat sich
als Aufgabe gestellt, die Moglichkeiten und Visionen, die sich aus dem technischen
Fortschritt fur die Menschheit ergeben, zu diskutieren und in die Offentlichkeit zu
bringen.Dieser Reader richtet sich vor allem an Neumitglieder von De:Trans und andere
am Transhumanismus interessierte. Er soll eine Einfuhrung in die transhumanisti-
schen Ideen und Visionen geben. Der Text
Transhumanismus was ist das? bietet
eine erste Ubersicht. Der Bericht von der Transvision 2004 und das Interview mit
einem der Autoren (TN) geben einen Einblick in die Vielfaltigkeit der Bewegung
und ihrer Akteure. Nach einem kurzen Text zur Philosophie des Transhumanis-
mus folgt eine Einfuhrung in die wichtigsten transhumanistischen Technologien:
Gentechnik und Klonen, Nanotechnologie, Kryonik und Uploading sind jeweils
mit einem Artikel vertreten. Mit einer Auswahl von Fragen und Antworten aus derFAQ-Liste werden wichtige Einzelthemen angesprochen. Die drei folgenden Texte
befassen sich mit politischen Aspekten des Transhumanismus. Der Reader schliet
mit einem Glossar und einer Liste der wichtigsten Personen und Organisationen.
Insbesondere die Literaturliste sei dem interessierten Leser ans Herz gelegt. Sie
mag als Anfangspunkt fur die weitere Beschaftigung mit dem Thema dienen.
Wir mochten uns herzlich bei allen Vereinsmitgliedern bedanken, die durch
eigene Texte, Ubersetzungen oder Verbesserungsvorschlage zu diesem Reader
beigetragen haben. Besonders danken wir Markus Dicks fur ausfuhrliches Korrek-
turlesen und Silvia Mathwig fur die Gestaltung des Umschlags.
Wurzburg und Bonn,
im Marz 2005 Klaus Mathwig, Torsten Nahm
Gundolf Freyermuth: Lust nach Laune und Leben ohne Ende (ct-Magazin 1997),
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2196/1.html
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2 Transhumanismus was istdas?
1. Jedes auf rationalem Gebrauch von Wissenschaft, Technik, Krea-
tivitat und anderen Mitteln basierende Denk- oder Aktions-
schema, das menschliche Grenzen zu uberwinden sucht durch
Verlangerung der maximalen Lebenserwartung, Erhohung der
Intelligenz sowie physische und psychische Verbesserung desMenschen.
2. Die geistige und kulturelle Bewegung, die sich, gleich dem
Humanismus, fur menschlichen Fortschritt insbesondere durch
Anwendung der Vernunft anstelle des Glaubens engagiert; sie un-
terscheidet sich vom Humanismus darin, dass sie fundamentale
Anderungen des menschlichen Wesens zum Besseren nachdruck-
lich fur moglich und wunschenswert halt, beispielsweise durch
Einsatz der Technik zur Eliminierung des Alterns und einer be-
deutenden Erweiterung der intellektuellen, physischen und psy-chischen Kapazitaten des Menschen.
Max More
Der Wunsch des Menschen, seine ihm von der Natur in Form seiner biologischen
Konstruktion gesteckten Grenzen zu uberwinden, ist wohl so alt wie das Denken
selbst. Starker, schneller, intelligenter zu werden, als das naturlicherweise moglich
schien, hat von jeher die Phantasie der Dichter beflugelt. Was jedoch zur Verwirk-
lichung dieser Ziele fehlte, war zuallererst das Wissen um die Ursachen dieser Be-schrankungen. Im Streben nach Erklarungen der (menschlichen) Natur fullte man
diese Lucke mit religiosen oder magischen Konzepten, die vordergrundig darauf
abzielten, die Beantwortung diverser Fragen entweder durch Dogmen und Glau-
benssatze zu ersetzen oder
auf spater zu verschieben (z. B. Jenseits, unsterbliche
Seele).
Viele Menschen gaben sich damit jedoch nicht zufrieden, suchten ihre eigenen
Antworten und trugen so Stuck fur Stuck den gewaltigen Erkenntnisschatz zusam-
men, der die moderne Wissenschaft ausmacht. Der rasante Fortschritt der letzten
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Jahrzehnte liefert uns nun ein immer detaillierteres Bild der Welt, die uns umgibt,
und deren Bestandteil wir sind. Dies bringt uns von Tag zu Tag einem Teil des ur-
alten Traums naher: wir beginnen zu verstehen, warum unsere Grenzen dort liegen,
wo wir sie vorfinden. Wir begreifen die Gesetzmaigkeiten, nach denen auch wir,
als Teil der Natur, konstruiert sind. Unsere Weltsicht gestaltet sich radikal um; der
Mensch verliert seinen Platz als
Krone der Schopfung und erweist sich einfach als
(hochst komplexes) Produkt einer langen evolutionaren Entwicklung, die mit ein-
fachsten zur Selbstreplikation fahigen Molekulen begann und gelenkt wurde (nicht
in einem aktiven, zielgerichteten Sinn!) durch zufallige auere Umstande.
Dies mag auf den ersten Blick als bedauerlich erscheinen und den Menschen sei-
ner von vielen als
gottgegebenangesehenen Sonderstellung berauben (und in der
Tat haben die Kirchen erwartungsgema die groten ideologischen Probleme mit
neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen). Transhumanisten hingegen sehen hierin
unermessliche Chancen.Denn warum quasi einen Schritt vor dem Ziel stehenbleiben? Warum sich mit
der
reinen Erkenntnis der Zusammenhange in der Welt (besonders der biologi-
schen) zufriedengeben? Wir beginnen zu verstehen, wie wir unsere Grenzen uber-
winden konnen! Es wird uns moglich sein, den alten Menschheitstraum zu verwirk-
lichen, uns geistig und korperlich zu verbessern, mit Hilfe von Wissenschaft und
Technik die im Zuge der naturlichen Evolution entstandenen suboptimalen biolo-
gischen Losungen durch eigene, unseren Vorstellungen entsprechende zu ersetzen.
Der Mensch wird nicht mehr auf das blinde Spiel der Natur (d. h. der Gene) ange-
wiesen sein und sich endlich frei entfalten konnen. Der Mensch wird seine eigeneEntwicklung steuern. Dies ist die Grundidee des Transhumanismus.
Werkzeuge der Umgestaltung
Worauf grundet sich der Optimismus, schon bald geeignete technologische Mit-
tel zur Umgestaltung unserer selbst nach eigenen Designplanen zur Verfugung zu
haben? Im folgenden seien einige der absehbaren oder heute schon anwendbaren
Techniken und ihre potentielle Anwendung vorgestellt.
Der Molekularbiologie haben wir eine der wohl wichtigsten Entdeckungen derMenschheitsgeschichte uberhaupt zu verdanken: die Entdeckung unseres eigenen
Bauplans , der DNA. Sie stellt gewissermaen das Programm dar, nach dem al-
le auf der Erde lebenden Wesen konstruiert sind. Erst dadurch ist es denkbar ge-
worden, auf unsere biologische Konstitution grundlegenden Einfluss nehmen zu
konnen. Wahrend sich der in der DNA gespeicherte Code uber einen langen Zeit-
raum evolutionar, aber ziellos entwickelt hat, wird es uns durch seine Entschlusse-
lung moglich, ihn zielgerichtet zu optimieren. Wir werden nicht nur in der Lage
sein, den Code zu
debuggen, d. h. unerwunschte Nebenwirkungen zu entfernen
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und suboptimale Losungen zu verbessern, sondern auch, ganz neue Eigenschaften
hinzuzufugen. Vorrangige Ziele durften etwa die Uberwindung von Krankheiten
und Krebs sowie des Alterns sein; spater werden dann verbesserte Losungen fur
von der Natur schlecht (d. h. nicht in unserem Sinne) ausgefuhrte Konstruktionen
angedacht werden. Dies ist Aufgabe der Gentechnik, die sich mit der Beeinflussung
des Erbmaterials im Zellkern beschaftigt, u. a. zum Zwecke der Hervorbringung
neuer Eigenschaften an biologischen Organismen. Erste Erfolge bei Pflanzen und
Tieren geben Anlass zu der Hoffnung, dass der noch weitverbreitete ideologische
Widerstand gegen solche Manipulationen am Erbmaterial des Menschen schwindet,
sobald der ungeheure Nutzen dieser Technik praktisch sichtbar wird. Denkbar sind
hier nicht nur Eingriffe in die Keimbahn des Menschen (sog. Reprogenetik), die zu
dauerhaften vererbbaren Veranderungen des genetischen Materials in den Keimzel-
len fuhren (und damit langfristig moglicherweise zu einer Veranderung der gesam-
ten Art), sondern auch das Einbringen veranderter Gene in bestimmte Gewebe des
entwickelten Organismus (sog. somatische Therapie) zum Zwecke der Heilung ge-
netisch bedingter Krankheiten. Dies fuhrt auf das Feld der modernen Medizin, die
von solcherart neuen Methoden zunehmend profitieren und Gesundheit weit besser
als bisher erhalten bzw. wiederherstellen konnen wird.
Eine ganz andere, aber nicht minder umwalzende Entwicklung vollzieht sich
auf dem Gebiet der unbelebten Natur (obwohl die Grenze zwischen belebter und
unbelebter Natur diffuser wird, worauf wir weiter unten noch zuruckkommen).
Dank modernster physikalischer und chemischer Instrumentarien sind wir inzwi-
schen in der Lage, einzelne Atome, die Bausteine der materiellen Welt, gezieltzu manipulieren. Dies eroffnet uns die grandiose Vision einer molekularen Na-
notechnologie, durch die wir imstande sein werden, die Materie Atom fur Atom
mit Hilfe nanometergroer Maschinen (sog. Assembler) nach unseren Vorstellun-
gen umzubauen. Unser Leben wird sich dadurch grundlegend verandern, denn die
Anwendungsmoglichkeiten sind zahllos: abfallfreie und wirklich umweltschonen-
de Produktion aller nur denkbaren Guter und Materialien (mit heute unerreichba-
ren Eigenschaften), gezielte und wirkungsvolle Beseitigung von Abfallen und Um-
weltschaden der gegenwartigen Industriegesellschaft, Einsatz in der Medizin zur
Bekampfung von Krankheiten und Verbesserung korperlicher Eigenschaften aufZell- und Molek ulebene (!) etc.
Und naturlich die Konstruktion von Computern, deren Rechenleistung um
Groenordnungen uber der heute erreichbaren liegt. Was die (notwendige?) Ba-
sis fur die Erschaffung k unstlicher Intelligenz legen wurde, an deren Entwicklung
schon heute intensiv gearbeitet wird (mit teilweise beachtlichen Erfolgen man
denke nur an Schachcomputer), die aber sicherlich weit hohere Verarbeitungska-
pazitaten voraussetzt, als die besten Maschinen heute zu liefern vermogen. Ein auf
mechanischer, elektronischer oder gar optischer Grundlage arbeitender
Nanocom-
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puter dagegen besae eine Speicherkapazitat, die die des menschlichen Gehirns
(des groten Datenspeichers, den wir kennen) bei weitem ubertreffen konnte. Und
dessen Verarbeitungsgeschwindigkeit bedeutend groer ware als die der auf Ionen-
leitung beruhenden auerst langsamen biologischen Losung.
Beste Voraussetzungen also, sowohl fur die Schaffung kunstlichen Bewusstseins
(in Zusammenarbeit mit z. B. den Kognitionswissenschaften, die die Funktions-
weise und Grundlagen des Bewusstseins am bisher einzigen konkreten Beispiel
dem Menschen studieren), als auch, in einem ersten Schritt, fur die Erwei-
terung und Verbesserung des menschlichen Geistes durch Kopplung des Gehirns
an externe (oder implantierbare) Computer (mit Hilfe der Medizin), was zusatz-
liche oder verbesserte Funktionalitat mit sich bringen wird. Den Abschied vom
Menschsein im heutigen Sinne konnten wir spatestens dann konstatieren, wenn
wir in der Lage waren, den menschlichen Geist (unsere Software) auf kunstlicher
Hardware, auf Computern ausreichender Rechenleistung, ablaufen zu lassen (sog.Uploading). Wir waren dann dem alten Traum von Unsterblichkeit ein groes Stuck
naher (Sicherungskopien des Gehirns machten dies moglich), und die Verbindung
vieler einzelner Geister zu einem
Super-Bewusstsein planetaren Mastabs ware
der Beginn einer Intelligenz, die auf kosmischen Skalen agiert und nichts mehr ge-
mein hat mit den denkenden Zweibeinern auf wassriger Basis, aus denen sie einst
entstand. . .
Diese Liste transhumanistischer Techniken ist naturlich nicht vollstandig.
Erwahnenswert waren z. B. weiterhin: Designerdrogen zur chemischen Beeinflus-
sung des Bewusstseins (im biologischen Gehirn) zur Intelligenzverstarkung undAnderung unerwunschter Gemutszustande; die Theorie komplexer Systeme, die be-
schreibt, wie sich aus einfacheren Strukturen durch Selbstorganisation hoch ent-
wickelte Einheiten wie das menschliche Bewusstsein entwickeln konnen; wahrend
die Evolutionstheorie beschreibt, wie sich diese Systeme in Wechselwirkung mit-
einander und mit der Umgebung weiterentwickeln; Memetik, beschreibt die Evolu-
tion von Ideen im Umfeld informationsverarbeitender Systeme (z. B. Gehirn); die
Raumfahrt, von der letztlich eine Losung fur das Problem der begrenzten Entwick-
lungskapazitaten der Menschheit auf ihrem Heimatplaneten durch Nutzbarmachen
anderer Planeten erhofft wird; viele weitere lieen sich aufzahlen oder werden sichin Zukunft als nutzlich erweisen.
Moralische Bedenken?
Transhumanismus propagiert nicht weniger als die mogliche totale Umgestaltung
der menschlichen Art, die selbstgesteuerte Evolution. Naturlich gibt es viele Men-
schen, auf die diese Gedanken unnaturlich und erschreckend wirken. Meist basiert
das auf (religiosen) Vorurteilen oder einseitig negativer Erwartungen bezuglich der
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Folgen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Ist z. B. das Streben nach Uberwindung des gegenwartigen menschlichen Zu-
standes
unnaturlich? Man muss sich klar machen, dass die Grenzen des Begriffs
naturlich flieend sind. Sieht man den Menschen als Teil der Natur an, so kann
man mit Berechtigung auch alles, was er erschaffen hat, als Teil der Natur anse-
hen. Wo liegt der prinzipielle Unterschied zwischen einem zur Replikation fahigen
DNA-Molekul und einer selbstreplizierenden Nanomaschine, die von Menschen-
hand geschaffen wurde?
Und ist alles im klassischen Sinne
naturliche unbedingt positiv? Erstens
bekampfen die Menschen von jeher Krankheiten und andere Unannehmlichkei-
ten. Sobald sich eine neue Technik als wirkungsvoll und das Lebensniveau ver-
bessernd erwiesen hat, wird sie allgemein akzeptiert, und niemand fragt mehr da-
nach, ob z. B. Organtransplantationen, Empfangnisverhutung oder IVF (In-Vitro-
Fertilisation) naturlich sind oder nicht. Zweitens verlauft die naturliche Evolution
nicht zielgerichtet (schon gar nicht
zum Wohle des Menschen), sondern vollig
zufallig und blind. Warum sollen wir unser Schicksal in dieser Hinsicht (als Art)
dem Zufall uberlassen, wo wir es doch bei anderen Gelegenheiten mit allen Mitteln
zu unseren Gunsten zu beeinflussen versuchen?
Jeder, der angesichts des Transhumanismus den
moralischen Zeigefinger hebt,
sollte sich seiner wirklichen Beweggrunde dafur im Klaren sein und sich bewusst
machen, dass Ethik und Moral geschichtlich gewachsene Komplexe von Uberzeu-
gungen und Lebensregeln sind, die fur bestimmte auere (und innere) Umstande
Geltung beanspruchen konnen. Andern sich diese Umstande, wie im Falle desUbergangs vom menschlichen zum trans- oder sogar posthumanen Zustand, so wer-
den sich fruher oder spater auch die Anschauungen der Allgemeinheit andern. Wie
schnell dies vonstatten geht, hangt von Erziehung und Lebensphilosophie jedes Ein-
zelnen ab.
Der Transhumanismus vollzieht schon heute diese Ver anderungen und bef urwor-
tet deren Verwirklichung. Transhumanisten sind somit in idealer Weise auf zukunf-
tige Entwicklungen vorbereitet.
FRANK PRENGEL, TORSTEN NAH M
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3 Eigentumlich frei: DieTranshumanisten
Unsterblich werden und unter Wasser atmen konnen? Alles nur Science-Fiction?
Interview mit Torsten Nahm, aus
eigent umlich frei (Nr. 29, 2002)
ef: Herr Nahm, konnen Sie kurz die Ziele und Kernaussagen des Transhu-
manismus erlautern?
Nahm: Transhumanisten sind der Uberzeugung, dass die Technik unsere Le-
bensgrundlagen in Zukunft radikal verandern wird. Insbesondere wird der Mensch
seine biologischen Grenzen hinter sich lassen, etwa durch Verschmelzung mit
dem Computer.
De:Trans als Verein mochte dazu beitragen, unsere Gesellschaft
auf diese Veranderungen vorzubereiten und fruhzeitig Diskussionen uber die
Technologien der Zukunft anzustoen. Fur uns ist die Technik der entscheidende
Faktor, der dazu gefuhrt hat, dass wir heute selbstbestimmt leben konnen und
nicht mehr in Lehmhutten hausen und stundenlang mit der Hand Getreidekornermahlen mussen. Wir wollen dazu beitragen, dass sich die personlichen Freiheiten
und Moglichkeiten aller Menschen zur Selbstverwirklichung auch in Zukunft
kontinuierlich erweitern.
ef: Personliche Freiheit und Moglichkeiten zur Selbstbestimmung sind ja
such das Ziel der Libertaren. Sehen Sie Anknupfungspunkte zwischen Transhuma-
nismus und Libertarismus?
Nahm: Wie der Name schon andeutet, sieht sich der Transhumanismus inder Tradition des Humanismus. Es ist unser Ziel, dass jeder Mensch sich nach sei-
nen personlichen Neigungen und Fahigkeiten verwirklichen kann und frei ist von
aueren Zwangen. Solche Zwange konnen biologischer Natur sein: Krankheiten
konnen unseren Moglichkeiten enge Grenzen setzen, aber Ich wurde auch der Alte-
rungsprozess oder als unwichtigeres Beispiel die Tatsache, dass ich nicht unter
Wasser atmen kann, als zu uberwindende Einschrankung sehen. Andere Zwange
erwachsen aus der gesellschaftlichen und insbesondere staatlichen Regulierung, die
viele Transhumanisten ebenso abschaffen wollen. Die amerikanischen Extropianer
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3 Eigent umlich frei: Die Transhumanisten
als prominenteste Organisation innerhalb der Transhumanisten sind ganz klar
libertar ausgerichtet. Es besteht also eine Affinitat zwischen Transhumanisten und
Libertarismus. Es gibt aber auch Transhumanisten, die den Staat fur notwendig
halten, um einen gesellschaftlichen Rahmen zu garantieren, der die Vorteile
technischen Fortschritts moglichst der ganzen Bevolkerung zukommen lasst. Sie
wurden sich hochstens eine gewisse Lockerung der staatlichen Einschrankungen
oder Forschung wunschen.
ef: Eines der wichtigsten Prinzipien
des Libertarismus, wenn nicht sogar
das wichtigste, ist das Selbsteigentum,
also das Prinzip, dass jeder Mensch
Eigentumer seines eigenen Korpers ist.
Ist die Anerkennung dieses Prinzips
nicht eine Voraussetzung fur das vonIhnen angesprochene Ziel der Transhu-
manisten,
dass jeder Mensch sich nach
seinen personlichen Neigungen und
Fahigkeiten verwirklichen kann und frei
ist von aueren Zwangen ?Transhumanistische Kunst von
Nanogirl Gina Miller
Nahm: Die Selbstbestimmung uber den eigenen Korper ist fur Transhumanisten
sehr wichtig. Es gibt schon heute verschiedene Wirkstoffe und Praparate, die
versprechen, die korperliche und geistige Leistungsfahigkeit zu steigern undden Alterungsprozess zu verlangsamen. Viele davon sind aber in unserem Land
nicht zugelassen. Es ist abzusehen, dass mit den Moglichkeiten der Zukunft, wie
genetischer Veranderung oder Korperengineering, Transhumanisten noch viel mehr
durch die Gesetzeslage eingeengt und an der Verwirklichung ihrer Ziele gehindert
werden. Daher fordern viele Transhumanisten eine weitgehende Liberalisierung.
Es gibt aber auch Transhumanisten, fur die ein gesellschaftlicher Konsens wichtig
ist, und die wollen, dass die Handlung der Einzelnen auch an sich selbst einer
gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen.
ef: Wie sieht denn der Beitrag der gemeinnutzigen Vereins
De:Trans zur
Erweiterung der menschlichen Moglichkeiten konkret aus?
Nahm: Der Transhumanismus ist im Kern eine politisch-soziale Bewegung.
Als solche sehen wir es als unser Hauptziel an, die Gesellschaft uber die tech-
nischen Moglichkeiten de Zukunft zu informieren. Wir werben dafur, dass es
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jedem Menschen moglich ist, diese Technologien fur sich einzusetzen, um seine
Fahigkeiten zu erweitern und seine biologischen Grenzen zu uberwinden. Naturlich
diskutieren wir im Verein auch uber Transhumanismus und Technik, und einige
von uns sind selbst in de Forschung aktiv.
ef: Wie wird man eigentlich zum Transhumanisten? Wie sind Sie selber dar-
auf gekommen?
Nahm: Hier geht es mir wie vielen anderen Mitgliedern unseres Vereins: Ich
war eigentlich schon immer Transhumanist, nur dass Ich lange nicht wusste, dass
es dafur auch einen Namen gibt. Die Begeisterung fur die Moglichkeiten der
Technik und die Uberzeugung, durch Wissenschaft und Technik eine bessere Welt
schaffen zu konnen, trage Ich auf jeden Fall schon lange in mir.
ef: Viele gestehen zu, dass technischer Fortschritt zu mehr Freiheit und Wohlstand
gefuhrt hat und noch fuhren wird, halten aber dennoch viele Ziele der Transhu-
manisten fur allzu utopisch und von einer naiven Technikeuphorie beseelt. So
sprechen manche Transhumanisten nicht nur von der Verlangerung menschlichen
Lebens durch medizinischen Fortschritt, sondern von dem Erreichen der
Unsterb-
lichkeit, was vielen Kritikern unserios vorkommt. Und auch die
Verschmelzung
des Menschen mit dem Computer klingt fur viele nach Science-Fiction. Was sagen
Sie solchen Kritikern?
Nahm: Es ist klar, dass, wenn Transhumanisten an die Offentlichkeit treten,
vor allem die plakativen Schlagworter haften bleiben. Tatsachlich bewegt sich die
Debatte innerhalb der Transhumanisten auf einem wesentlich hoheren Level. So
wird Unsterblichkeit als
relative Unsterblichkeit in Verknupfung mit Uploading,
der Ubertragung von Information vom Gehirn auf den Computer, diskutiert, und
zur Integration des Computers in unser Leben existieren ernsthaft Konzepte. Wenn
unsere Vorstellungen wie Science-Fiction klingen, mochte Ich jedoch dagegen
halten, dass die Wirklichkeit einen Teil der Science-Fiction aus den Anfangen des
20. Jahrhunderts langst uberholt hat. Andererseits ist die Zukunft extrem schwerzu erahnen, und so handelt es sich bei vielen transhumanistischen Diskussionen
sicherlich um wilde Spekulationen. Es ist aber wichtig, diese Diskussionen
trotzdem schon zu fuhren. Es war fur uns erschreckend, wie unvorbereitet die
Weltoffentlichkeit vom Klonieren von Saugetieren Dolly uberrascht wurde. Wir
wollen versuchen, zumindest ein Bewusstsein fur die Technologien zu wecken, die
auf uns zukommen werden. Und wenn wir auch nicht genau wissen, wie, so sind
wir doch sicher, dass der Menschheit gewaltige Umwalzungen bevorstehen.
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3 Eigent umlich frei: Die Transhumanisten
ef: Wie stellen Transhumanisten sich den Vorgang des
Uploading vor?
Nahm: Fur Transhumanisten ist das Gehirn nichts anderes als ein hochkom-
plexer Computer, der uber elektrische Nervenimpulse unser Denken realisiert.
Daher musste es prinzipiell moglich sein, einen elektronischen Computer zu bauen,
der das Gehirn einer Person komplett simuliert, indem alle in den Neuronen ab-
gelegten Informationen auf den Computer ubertragen werden. Diese Ubertragung
bezeichnet man als
Uploading. Die meisten Transhumanisten sind uberzeugt,
dass es mit schnellen Rechnern und genugend guter und feinkorniger Simulation
moglich ist, ein Upload zu konstruierten, das sich genau wie die ursprungliche
Person verhalt. Es ist aber noch ungeklart, ob das Upload auch Bewusstsein hatte.
Durch das Uploading ergaben sich vollig neue Moglichkeiten. So unterliegt ein
Upload nicht mehr dem biologischen Altern des Hirns und des restlichen Korpers,
ein Upload wurde also wahrscheinlich sehr lange oder sogar unbegrenzt leben. Es
wurde in einer virtuellen Welt existieren, die es beliebig verandern konnte, so wie
Ich heute in einem Level Designer eines Computerspiels bin. Es konnte aber auch
die Software seines eigenen Gehirns direkt verandert werden, um etwa psychische
Erkrankungen zu heilen. Hier ergibt sich naturlich ein groes Gefahrenpotenzial
der Manipulation.
ef: Neben dem Kampf gegen die zeitliche Begrenzung des menschlichen Le-
bens scheint es ja auch der Weltraum den Transhumanisten angetan zu haben.
Glauben Sie, dass die Zukunft der Menschheit auerhalb der Erde liegt?
Nahm: Ich hoffe, dass es schon bald moglich sein wird, den Weltraum zu
erforschen und die Erde zu verlassen. Insbesondere die Entdeckung auerirdischen
Lebens wurde ganz neue Horizonte fur die Menschheit eroffnen. Die Erforschung
des Weltraums wird aufgrund der gigantischen Distanzen besonders von den trans-
humanistischen Technologien profitieren. Ein Beispiel: Als Upload kann Ich die
vielen Jahre oder Jahrzehnte einer interstellaren Reise in Sekunden uberbrucken,
indem ich einfach meine Gedankenprozesse vorubergehend einfriere, vergleichbar
mit dem Stand-by-Modus eines Computers. Ich konnte sogar 1000 Kopien von mirmachen, die jeweils ein anderes Sonnensystem erforschen, und nachher alle ihre
Erfahrungen wieder zu einer Person zusammenschmelzen lassen.
ef: Viele Vorstellungen des Transhumanismus, wie der Wunsch nach Uns-
terblichkeit, finden sich in anderer Form auch in religiosen Glaubenssystemen. Wie
ist das Verhaltnis des Transhumanismus zur Religion? Ist der Transhumanismus ein
Ersatz fur Religion? Steht er Religion prinzipiell feindlich gegenuber? Oder ist er
mit Religionen wie dem Christentum, dem Islam oder dem Buddhismus vereinbar?
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Nahm: Ich glaube, die Frage ist falsch ge-
stellt: Fur mich ist Religion ein schlechter
Ersatz fur Transhumanismus. Dass bei-
de das Thema Sterblichkeit beruhren, hat
einfach damit zu tun, dass uns Men-schen dieses Thema sehr beruhrt und
uns seit Anbeginn der bekannten Ge-
schichte beschaftigt. Im Gegensatz zu
den Versprechungen der Religion bietet
der Transhumanismus aber tatsachliche
Losungsmoglichkeiten zur Verlangerung
menschlichen Lebens und menschlicher
Gesundheit. Dass die Lebenserwartung
sich in den letzten 200 Jahren in Deutsch-land mehr als verdoppelt hat, ist dem tech-
nischen Fortschritt zu verdanken und nicht
Transhumanistische Kunst von
Nanogirl Gina Miller
dem Glauben und Religion. Als aufklarerische Weltanschauung in der Tradition
des Humanismus steht der Transhumanismus der Religion aber grundsatzlich
kritisch gegenuber, und tatsachlich sind fast alle Transhumanisten Atheisten.
ef: Gibt es f ur ein unsterbliches Individuum eigentlich noch einen Grund,
sich fortzupflanzen? Wird es in einer Welt ohne Tod noch Fortpflanzung geben?
Nahm: Das wird naturlich jedem einzelnen uberlassen bleiben. Aber es ist
ja heute schon so, das ein wesentlicher Teil des Elterndaseins die Freude daran ist,
ein junges Wesen heranwachsen zu sehen und dessen Entwicklung begleiten zu
konnen. Dass diese Freunde auch unabhangig von genetischer Notwendigkeit ist,
zeigt sich schon daran, dass viele Eltern Kinder adoptieren. Auerdem ist es sicher
wunschenswert, immer neue und frische Ansichten der Welt zu bekommen, von
Kindern, die in die Zukunft hineinwachsen. Der ganze Weltraum steht und offen,
so dass Ich mir keine Sorgen wegen
Uberbevolkerung mache.
ef: Hat es Falle in der BRD oder anderen Landern gegeben, in denen Trans-
humanisten nicht nur mit Vorurteilen in der Offentlichkeit zu kampfen hatten,
sondern sich auch direkter staatlicher Repression ausgesetzt sahen?
Nahm: Der wohl spektakularste Fall waren die polizeilichen Manahmen
www.foresight.org/Nanomedicine
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3 Eigent umlich frei: Die Transhumanisten
gegen eine Einrichtung fur Kryonik in den USA im Jahre 1987, der so genannte
Dora Kent Case.
ef: Moment: Was ist
Kryonik?
Nahm: Bei der Kryonik werden Menschen nach ihrem Tod bei -200 C auf-
bewahrt, in der Hoffnung, sie in der Zukunft wiederbeleben zu konnen. In dem
genannten Fall wurde eine so genannte Neurosuspension durchgefuhrt, es wurde
also nur der Kopf abgetrennt. Viele Patienten wahlen diesen Weg, da das Gehirn
allein der Sitz der Personlichkeit und der Erinnerung ist. Ihr Korper dagegen
ist austauschbar und durfte in der Zukunft leicht regenerierbar oder durch einen
verbesserten ersetzt werden konnen. Es ging im
Dora Kent Case darum, dass
der Patientin Barbiturate verabreicht wurden; der Streit dreht sich darum, ob
diese zu einem beschleunigten Sterben der Patientin gefuhrt hatten. Es wurde eine
Autopsie angeordnet und am Korper (ohne Kopf) von Dora Kent durchgefuhrt.
Ihr Kopf war zu diesem Zeitpunkt schon in kryonischer Suspension, und der
Leichenbeschauer wollte diesen ebenfalls autopsieren, was Alcor, das beauftragte
Kryonikunternehmen, erfolgreich verhindern konnte. Der Hintergrund war wohl,
dass es einen schwelenden Konflikt zwischen dem Leichenbeschauer und Alcor
gab; dies wei Ich aber nur vom Horensagen. Weil sich Alcor weigerte, wurde
eine Hausdurchsuchung durchgefuhrt, einiges an Ausstattung beschlagnahmt und
Mitarbeiter vorubergehend festgenommen. Es war Gluck und gute Planung des
Personals, die verhinderten, dass die Korper auftauten und unwiederbringlichgeschadigt worden waren?
ef: Wird Dora Kent je wieder zum Leben erweckt werden?
Nahm: Nun, es ist nicht klar, ob Personen in kryonischer Aufbewahrung tatsachlich
wiederbelebt werden konnen, oder ob trotz der eingesetzten Schutzmanahmen
die Gewebeschadigungen so gro sind, dass sie selbst eine fortgeschrittene Nano-
technik nicht beheben konnte. Falls die Wiederbelebung aber moglich ist, hatte die
polizeiliche Aktion, die auf Unkenntnis und einer einschrankenden Gesetzeslageberuhte, eine fahrlassige Totung Dutzender Personen zur Folge haben konnen. Es
ist leider auch bei uns der Fall, dass solche Rechtsunsicherheiten und staatliche
Befugnisse immer wieder Forschung behindern oder von vornherein unmoglich
machen. Man denke nur an die Diskussion uber den Einsatz embryonaler Stamm-
zellen hier in der BRD.
ef: Ich hatte Sie gebeten, an unserem kleinen Online-Spiel
Staaz-O-Meter
(freiheitsforum.de) teilzunehmen ...
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Nahm: Aha, war ja ganz lustig. Ob ich mit den Grunen als Partei allerdings
zufrieden ware?!
ef: Den Eindruck habe Ich eigentlich nicht. Jedenfalls bedanke ich mich
herzlich fur das Gesprach!
Das Interview f uhrte f ur ef Ulrich Wille.
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4 Transvision 2004: Technik undKunst in Kanada
Die diesjahrige Transvision fand in Toronto, Kanada, statt und stand unter
dem Motto Art and Life in the Posthuman Era. Entsprechend gesellten sichzu dem ublichen Programm von Vortragen uber die Technik der Zukunft
etliche kunstlerische Vortrage und Exponate: Wahrend die posthumane Be-
deutung der ausgestellten fluoreszierenden Brieftaschen unklar blieb, zeigte
der australische Performance-Kunstler Stelarc ansprechend den spielerischen
Umgang mit korperlicher Modifikation und Technik, etwa mit einer uber
die Bauchmuskeln gesteuerten mechanischen dritten Hand. Und womoglich
tragt gerade dieser konkrete Umgang mit Technik mehr zur Rezeption des
Transhumanismus bei als die geballte Abstraktion der technischen Vortrage,
die wie ublich von den Gefahren der Nanotechnologie bis zum Leben am Endeder Zeit reichten.
Mit 100 Teilnehmern war die Transvision 2004 zwar etwas kleiner als die Trans-
vision 2003 in den USA, aber deutlich groer als die europaischen Transvisions
fruherer Jahre. Eroffnet wurde die Konferenz am Freitagabend mit einem Gruwort
von Robert Logan, einem Professor an der Universitat von Toronto. Er war anwe-
send fur das Marshall McLuhan Programm, einen der Sponsoren der Konferenz.
Nachdem er sich erstmal mit dem Publikum identifizierte (I am one of you), mitder merkwurdigen Begrundung, dass er einen Kurs
Die Schonheit der Physik (kei-
ne Mathe-Kenntnisse erforderlich) unterrichte, stellte er Marschall McLuhan und
seine Gedanken vor. Weitergehende Erkenntnisse waren aus dem Vortrag nicht zu
gewinnen, auer dem Verdacht, dass er gar nicht richtig wusste, wen oder was er
da sponsort. Die Teilnehmer nahmen es gelassen und dankten mit hoflichem Ap-
plaus. Immerhin stellte die Universitat der Konferenz nicht nur ein paar Raume fur
die Vortrage ab, sondern sorgte auch fur ein eingespieltes technisches Team, dass
Tonaufzeichnungen aller Vortrage produzierte.
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Steve Mann lasst den Geek raushangen
Gloggen mit Cyborg Steve
Das eigentliche Programm begann mit der Keynote des
bedeutendsten Cyborgs
Steve Mann, der wie kein anderer sowohl die technischen wie die kunstlerischen
Aspekte der Konferenz in sich vereinte. Steve Mann, ein Professor an der Univer-
sitat von Toronto, experimentiert seit vielen Jahren mit verschiedenen Implantaten
und tragbaren Computern. Sein momentanes Projekt ist die so genannte
mediated
reality. Im Gegensatz zur reinen
augmented reality soll damit betont werden,
dass die Realitat nicht nur erganzt, sondern transformiert wird. Dazu benutzt Mannein ausgeklugeltes System: Eine Kamera folgt seinem Blick, und gibt die Bilder
in Echtzeit an einen Computer weiter. Der Computer verandert den Videostrom je
nach Aufgabe und gibt ihn uber ein Head-Mounted-Display an den Benutzer wei-
ter. Dadurch empfangt die Retina ein komplett vom Computer verarbeitetes Bild.
Gezeigt wurde eine Demonstration, wo etwa die Kontraste des Bildes verstarkt wur-
den. Ebenso konnte etwa nervige Plakatwerbung durch Informationen der Naviga-
tionssoftware oder (als kleine Spielerei) durch eine X11-Shell ersetzt werden.
Wie das aussieht, konnten die Zuhorer live verfolgen: wahrend des ganzen
Abends war ein Echtzeit-Video auf der Leinwand zu sehen, dass die Welt aus derPerspektive Steve Manns zeigte. Dazu wurde das Signal seiner Headcam auf einen
Beamer durchgeschleift und auf die Leinwand projiziert. So konnte man sehen, wie
Mann wahrend der Grurede Logans etwas gelangweilt auf seinem Zeichenblock
malte, und nachher, wie er seinen Laptop wahrend des Vortrags bediente. Wahrend
dieses Echtzeit-Video am Anfang befremdlich wirkte, konnte man ihm nach und
nach mehr Nutzen abzugewinnen. Es war viel plastischer, direkt die Intentionen
Steve Manns zu erschlieen, indem man sie durch seine Augen sah, als ihn nur von
auen und aus betrachtlicher Entfernung zu beobachten. Als das Echtzeit-Video
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Sousveillance, oder: Jetzt uberwache ich dich auch
kurzzeitig fur eine andere Prasentation ausgeschaltet wurde, vermite man schon
dessen zusatzliche Information. Wenn es nach Steve Mann geht, werden bald viele
Menschen einen Live-Stream ihrer Headcam online stellen. Statt nur als Blogger
im Weblog personliche Texte zu veroffentlichen, wurden diese Menschen zu so ge-
nannten Cyborgloggern oder kurz Gloggern, die den ganzen Videostrom ihresLeben aus ihrer ganz personlichen Perspektive verfugbar machen.
Ein zweiter Teil des Vortrags befate sich mit den kunstlerischen und subversi-
ven Elementen von Steve Manns Schaffen. Wahrend die gezeigte Kunst zum Teil
etwas zu technisch wirkte und auch sonst nicht auergewohnlich war, waren sei-
ne gesellschaftspolitischen Ideen interessanter. So schlug er vor, der wachsenden
allgegenwartigen Uberwachung (Surveillance) durch Videokameras eine demokra-
tische Gegenbewegung (die von ihm benannte
Sousveillance) entgegenzusetzen,
in der jeder einzelne eine Videoaufzeichnung seiner Umgebung anfertigt, um sie
als Beweismittel parat zu haben. Passend dazu zeigte er Sousveillance-Technologiein Form von Schmuck, wie z. B. die Sousveillance-Necklace, einer Kette mit einer
Uberwachungskamera als Anhanger.
Interessant fur die versammelten Transhumanisten war es sicher, hier einen der
ersten echten Transhumanen vor sich zu haben. Denn statt nur uber die Moglich-
keiten der Technik zu philosophieren, hat Steve Mann sein Leben dazu benutzt,
die jeweils neuesten Computertechniken fur sich einzusetzen, um sich selbst, sei-
ne Wahrnehmung und sein Menschsein zu transformieren. Als solches ist er auch
eine interessante Fallstudie fur die soziale Ausgrenzung, die einem veranderten
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Menschen begegnet, der mit ein paar Kilo Hardware am Korper und einem Head-
Mounted-Display zum Kiosk lauft oder zur Arbeit fahrt. Mann erzahlte von alltagli-
chem Misstrauen und Verachtung, und sogar von tatlichen Ubergriffen. Doch trotz
dieser gesellschaftlichen Ausgrenzung ist Mann seinem Drang zur Veranderung
treu geblieben, und hat das Publikum als ein erstaunlich offener, humorvoller und
engagierter Mensch uberrascht.
Am Rande zu erwahnen bleibt noch der unerfreuliche Trend, dauernd Reklame
fur sich selbst und seine Bucher zu machen. Wie einige andere Redner antwortete
Steve Mann auf fast jede Publikumsfrage mit
Auch nachzulesen in meinem neuen
Buch, ehe er sich der eigentlichen Frage widmete.
Aubrey de Grey ist Transhumanist des Jahres
Der Samstagmorgen begann mit einer zweiten Eroffnung, diesmal von James
Hughes, dem Generalsekretar der WTA. Besonders stolz war James auf die Ein-
richtung eines zweiten Preises der WTA. Neben dem J. B. S. Haldane Award, der
fur den besten transhumanistischen Aufsatz eines Studenten vergeben wird, wurde
auch der H. G. Wells Award geschaffen, fur einen
herausragenden Beitrag zum
Transhumanismus. Ein pikantes Detail am Rande ist, dass damit beide offiziellen
Preise der WTA nach bekennenden Sozialisten benannt sind. Es liegt nicht fern,
hier das Wirken von James selbst zu vermuten, der wohl am ehesten dem sozialis-
tischen Flugel der WTA zuzuordnen ist, auch wenn dieser betonte, der Vorschlag,
die Ehrung nach H. G. Wells zu benennen, stamme von Jose Cordeiro (der eherzum konservativen Flugel der WTA gehort, und sich mit James schon offentliche
Gefechte uber Politik geliefert hat).
Wahrend die Namensgebung der Preise also durchaus kontrovers gewesen sein
durfte, war die Findung des Geehrten leichter. Mit breitem Konsens wurde der erste
H. G. Wells Award an Aubrey de Grey fur seinen eloquenten und erfolgreichen
Einsatz fur die Wissenschaft der Lebensverlangerung vergeben. An erster Stelle ist
hier der
Methuselah Mouse Preis zu nennen, der im letzten Jahr das Profil der
Alterungsforschung stark gehoben hat. Der J. B. S. Haldane Award ging dieses Jahr
an Kip Werking fur den Aufsatz The Posthuman Condition.Aubrey de Grey bedankte sich fur den Preis, und schritt gleich zur Tat: In sei-
nem Vortrag
The feasibility and desirability of indefinite youth: recent advances
from unexpected quarters zeigte er sich als bekennender Transhumanist, und hielt
ein sympathisches Pladoyer gegen das Altern. Der grote Teil des Vortrags ent-
sprach seiner Rede auf der letzten Transvision, die schon im letzten Konferenz-
Bericht ausfuhrlich wiedergegeben wurde, und sich mit der Wissenschaft der
Lebensverlangerung beschaftigte. Neben diesen wissenschaftlichen Aspekten be-
fasste er sich auch mit den sozialen Implikationen dieser Forschung. Seine These
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Aubrey de Grey wirbt fur das Methuselah-Projekt
ist, dass die meisten Menschen in einer Art Trance seien, was ihr Einstellung zum
Tod betrifft, denn anders seien ihre irrationalen Aussagen zur Lebensverlangerung
(
Ware langes Leben nicht todlich langweilig, ...) gar nicht zu erklaren. Gegen
eine Trance lasse sich nicht rational argumentieren. Vielmehr mussten wir der Ge-sellschaft auf emotionaler Ebene, durch Beispiele, klar machen, dass verlangertes
Leben wunschenswert ist, und sie so aus ihrer Trance befreien.
Nach der Keynote begann der Hauptteil der Konferenz mit insgesamt uber vier-
zig Vortragen und Prasentationen. Um diese Fulle uberhaupt in zwei Tagen unterzu-
bringen, waren die meisten Vortrage in zwei oder drei parallele Strange organisiert.
Angesichts dieser groen Zahl der Beitrage beschrankt sich der Artikel im Folgen-
den auf einige Schlaglichter.
Vom Cult of Technology zum strategischen Partner der Humanisten
Erfreuliches zu berichten gibt es von der Vernetzung des Transhumanismus mit der
humanistischen Bewegung. Wahrend letztes Jahr aus diesem Lager eher Zuruckhal-
tung zu vernehmen war und die Transhumanisten von einigen als
Cult of Technolo-
gy angesehen wurden, war dieses Jahr mit Jende Huang ein ranghoher Vertreter der
American Humanist Association anwesend, der sich aktiv fur weitere Zusammenar-
beit einsetzte. In seinem Vortrag
Humanism and the Culture Wars beschrieb er in
reichlich martialischer Sprache den Kampf der amerikanischen Humanisten gegen
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die religiose Rechte in den USA, und schoss schwer gegen die Bush-Regierung,
die er als verantwortlich fur viel religiosen Fanatismus und antiaufklarerische Ein-
stellungen sah. Dem europaischen Beobachter schien es manchmal so, als wurde
Huang nicht die momentane Welt, sondern das Mittelalter beschreiben, als er uber
die Zustande in den USA sprach. Doch auf Nachfrage versicherte er, dass es in den
USA unter Bush zu umfassenden konservativen Umwalzungen gekommen sei und
die amerikanische humanistische Aufklarung sich schwer tue, sich zu behaupten.
Ist exponentieller Fortschritt ein Mythos?
Ein Hohepunkt des Nachmittags war der Vortrag von Phil Goetz mit dem provo-
kanten Titel
The Myth of Accelerating Change. Goetz versuchte zu zeigen, dass
wir keineswegs in einem besonders revolutionaren Zeitalter leben, sondern dass
zumindest fur die letzten 200 Jahre Menschen einem ahnlichen Tempo von tech-
nologischer Veranderung ausgesetzt waren wie heute. Dazu zeigte er exemplarisch
Folien mit groen technischen Umwalzungen fur die Zeitraume 1970-2000, 1940-
1970, 1910-1940 und 1880-1910. Tatsachlich zahlte er fur jeden dieser 30-Jahres-
Zeitraume etwa gleich viele
bedeutende technische Erfindungen auf. So wurde
zwischen 1940 und 1970 der erste Satellit ins All gebracht, zwischen 1910 und
1940 entstand das Fernsehen, und das Flugzeug wurde zwischen 1880 und 1910
erfunden.
Goetz Vortrag zeigte, dass die jetzige Zeit keineswegs so einzigartig oder
umwalzend ist, wie viele Transhumanisten behaupten. Es ware vermessen anzu-nehmen, dass sich das Leben von Arbeitern in Deutschland heutzutage so radikal
und schnell verandert, wie es etwa fur Arbeiter wahrend der industriellen Revoluti-
on in England der Fall war. Der Vortrag regte zum Nachdenken an, und uberzeugte
als gelungene Warnung, historische Zusammenhange im Auge zu behalten. Er zeig-
te auch, dass quantitatives exponentielles Wachstum allein nicht zu entsprechenden
Qualitatssprungen fuhren muss. Ein Beispiel: Seit Jahrzehnten wachst die Anzahl
der Veroffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften steil exponentiell, ohne
dass dies mit einer entsprechenden qualitativen Zunahme an bedeutenden Erfindun-
gen einhergeht. Gerade fur die Anhanger der nahenden Singularitat war der Vortragein Dampfer, sich und den Fortschritt der Menschheit nicht zu uberschatzen.
Goetz stellte noch eine weitere sehr interessante These. Er widersprach der oft
gehorten Meinung, dass Not den Erfindergeist weckt und die Technik gerade in
Kriegszeiten durch konzertierte militarische Forschung besonders groe Fortschrit-
te macht. Goetz konnte dagegen statistisch gestutzt zeigen, dass die beiden Welt-
kriege den Fortschritt und das Tempo an bedeutenden Erfindungen fur viele Jahre
verlangsamt haben, und erst etliche Jahre nach Kriegsende das fruhere Niveau wie-
der erreicht wurde.
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Erst zoffen, dann mauern Neuigkeiten vom Board
Spater am Nachmittag fand das WTA Board Meeting statt, zu dem alle zahlenden
(und damit stimmberechtigten) Mitglieder der WTA eingeladen waren. Dort gab
es einen kurzen Rechenschaftsbericht uber das letzte Jahr. Danach wurden die mo-
mentanen Plane der WTA vorgestellt. An erster Stelle steht, verstarkt Mitglieder
zu werben. Angesichts dessen, dass die WTA trotz ihrer internationalen Bedeutung
nur 120 zahlende Mitglieder hat, ist es dafur auch hochste Zeit. Kein Wunder, dass
gegenuber der Presse immer nur die mehreren Tausend (nicht zahlenden) Basic
Members genannt werden, deren Einsatz sich aber bis jetzt in den meisten Fallen
auf das Ausfullen des Beitrittsformulars beschrankt. Weiterhin sollen auch Spon-
soren und Philanthropen gesucht werden, die bereit sind, die WTA zu unterstutzen.
Hier hat sich die WTA ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Mehrere hunderttausend Dollar
sollen es in den nachsten Jahren werden, die es der WTA erlauben sollen, eigeneBuroraume zu beziehen und Mitarbeiter einzustellen.
Einige kritische Fragen gab es zu dem Fiasko im Fruhjahr 2004, als im Vor-
sitz der WTA Konflikte hervorbrachen, die die Organisation fast handlungsunfahig
machten, und die inmitten bitteren offentlichen Gezanks schlielich mit dem Ruck-
tritt zweier Vorstandsmitglieder endeten. Die anwesenden Vorstandsmitglieder ga-
ben sich zu diesen Fragen alle sehr bedeckt: Es hie nur, dass der Konflikt jetzt
beigelegt sei, es sich nicht lohne, in alten Wunden zu bohren, und dass das neue
Board ganz ausgezeichnet zusammen arbeite.
Weniger zuruckhaltend war Keith Henson. Henson ist eines der lebenden Urge-
steine des Transhumanismus. Er hat 1975 die L5 Society mitbegrundet, trat in den
80er Jahren Alcor und den Extropians bei, und ist jetzt ebenfalls Miglied der WTA.
Er sagte, dass solche Konflikte leider unvermeidlich seien. Gerade in Organisatio-
nen wie der WTA, die sich als wichtig fur die globale Entwicklung sehen, wurden
sich viele Individuen finden, die ubertrieben ideologisch, dickschadelig und wenig
kompromissbereit seien. Aus diesem Grund seien groere Zerwurfnisse nur eine
Frage der Zeit. Es sei nicht moglich, solche Konflikte grundsatzlich zu umgehen.
Wichtiger sei es, zu lernen wie man mit solchen Vorfallen umgeht. Er habe die Er-fahrung gemacht, dass es bei groeren Konflikten auerst wichtig sei, sich haarklein
auf die Regeln und die Vereinssatzung zu berufen, denn wenn der gute Wille zwi-
schen den Parteien aufgebraucht sei, mussten Konflikte formal gelost werden.
Tatsachlich war es in der WTA auch ahnlich abgelaufen: Der Konflikt im Vor-
stand wurde im Endeffekt durch formale Abstimmungen entschieden. Es ist nur zu
hoffen, dass beim (nach Henson unvermeidlichen) nachsten Mal die Parteien um-
sichtig und bescheiden genug sind, den Konflikt nicht so breit in der Offentlichkeit
auszutragen.
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Keith Henson, ein Urgestein der transhumanistischen Bewegung
Am Rande der Konferenz war auch etwas zum aktuellen Status der nigeriani-
schen Transhumanisten zu erfahren. Ursprunglich hie es, dass funf Mitglieder
dieses umstrittenen Vereins zur Konferenz kommen wollten. Diese hatten sich auch
tatsachlich angemeldet. Auch angemeldet hatten sich eine groe Menge weitererTeilnehmer aus etlichen anderen afrikanischen Staaten, von denen noch kein Trans-
humanist je etwas gehort hatte. Irgendwann roch der WTA das alles zu komisch,
und auf einen Hinweis hin, dass es sich hier wahrscheinlich um das Werk von
Schlepperbanden handelte, die auf diese Weise Menschen nach Kanada einschleus-
ten, zog die WTA die Notbremse und stornierte kurzerhand alle Buchungen aus
Afrika. So gab es leider keine Moglichkeit, die nigerianischen Transhumanisten
mal personlich kennen zu lernen, und es bleibt nach wie vor spannend um die
Ni-
geria Connection.
Stelarc fullt den Saal
Der Samstag endete mit einer Prasentation des australischen Performance-Kunst-
lers Stelarc, der verschiedene seiner Projekte als Videoaufzeichnungen vorstellte.
Wahrend es vielleicht ubertrieben ware, Stelarc selbst als Transhumanisten zu be-
zeichnen, behandelt seine Kunst zumindest zum Teil transhumanistische Themen.
Fur das
Third Hand Projekt etwa steuert Stelarc, der aus Prinzip seine meisten
Darbietungen im splitternackten Zustand gibt, einen Roboterarm uber seine Bauch-
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muskeln. Wahrend hier naturlich die Spielerei im Vordergrund steht, war es den-
noch beeindruckend, wie er das Wort
EVOLUTION mit drei Handen (fur je drei
Buchstaben) gleichzeitig schrieb. Als Antithese zur dritten Hand stand ein ande-
res Projekt, bei dem Stelarc seinen linken Arm von einem Computer durch direkte
Stromreizung der Armmuskeln fernsteuern lie, und sich damit der Maschine unter-
ordnete. Fur seine gekonnten und interessanten Prasentationen gab es viel Applaus.
Stelarc selbst war sehr sympathisch und zuganglich, und durfte mit seinem Werk so
manchen Transhumanisten vom Sinn tranhumanistischer Kunst uberzeugt haben,
der mit Natasha Vita-Mores Projekten nicht so viel anfangen kann.
Stelarc: Meistens nackt, immer mit technischem Upgrade
Den Auftakt des Sonntags bildete ein Vortrag von Max More zum Thema
Hy-
peragency vs. Humility. More bezeichnet sich selbst als
strategic philosopher,
und setzt sich nicht nur durch diesen Titel, sondern auch durch sein im Fitnessstudio
stromlinienformig optimiertes Aueres von dem Stereotyp des Philosophen im Stile
Kants ab. Das machte sich auch in seinem Vortragsstil bemerkbar, der durch Dy-
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namik und rhetorische Fahigkeiten glanzte. Seine Hauptthese war zwar keineswegs
neu, aber uberzeugend vorgetragen: Es argumentierte, dass der Transhumanismus
deswegen so viele Feinde hat, weil er radikal an den Kern des menschlichen Wesens
geht. Aus diesem Grund, so More, sollten Transhumanisten sich in der offentlichen
Debatte gar nicht so viel mit technischen Details aufhalten, sondern stattdessen
emotional vermitteln, dass Freiheit nicht beangstigend sei. Es gelte, uberzeugende
Fabeln und Geschichten von der Zukunft zu entwerfen, und nicht nur mit abstrakten
wissenschaftlichen Begriffen um sich zu werden. Der Vortrag endete mit einer Auf-
forderung an jeden einzelnen, sich immer wieder zu fragen, was einem nicht gefallt,
worauf man verzichten und wie man sich verbessern konne. Diese
Hyperagency
sei das beste Mittel gegen Stagnation.
Wie ubrigens bei fast der Halfte der Redner bestand ein Gutteil von Mores Vor-
trag daraus, auf die Bush-Regierung, die christlichen Fundamentalisten und insbe-
sondere immer wieder auf Leon Kass, den wissenschaftlichen Berater von Bush,zu schimpfen. Der Gedanke der Vortragenden war wohl, dass der Appell gegen
gemeinsame Feinde zusammenschweit, und tatsachlich gab es bei den Amerika-
nern immer wieder Applaus. Fur die kanadischen und nicht-amerikanischen Gaste
dagegen wirkte so viel rhetorische Beschimpfung eher befremdlich.
Herr Doktor, ein Mitochondrien-Update bitte
Wahrend des Vormittags gab es einige Vortrage zu Lebensverlangerung und Al-
tern. Am interessantesten war der Vortrag Mitochondrial Transfection von RafalSmigrodzki, dessen Firma Gencia an einem Verfahren arbeitet, menschliche Mit-
ochondrien zu erneuern. Mitochondrien sind ein Teil der menschlichen Zellen, der
aus endosymbiontischen Bakterien hervorgegangen ist. Aus diesem Grunde stellen
sie eine Art Altlast dar, die nur zum Teil die fortgeschrittenen schutzenden Me-
chanismen hat, die im Rest der Zelle DNA-Schaden begrenzen. Diese Uberlegung
und einige wissenschaftliche Untersuchungen haben dazu gefuhrt, dass einige Al-
tersforscher sie fur die schwache Kette in der menschlichen Zelle halten, die zu
einem groen Teil fur die abnehmende Leistungsfahigkeit im Alter verantwortlich
ist. Wenn dies stimmt, musste es moglich sein, durch den Austausch der alten Mit-ochondrien gegen frische Exemplare menschliche Zellen zu verjungen.
Die Methode soll laut Smigrodzki zuerst fur einige seltene Krankheiten ein-
gefuhrt werden, bei denen starke Schadigung der Mitochondrien wissenschaftlich
nachgewiesen ist. Smigrodzki hofft aber, dass die Methode, sobald sie in den USA
zugelassen ist, dann auch gegen das Altern eingesetzt werden kann (ein so genann-
ter
off-label use). Er selbst wurde viel lieber direkt mit diesem Ziel forschen, aber
um in den USA ein Medikament einzufuhren, musse man sich immer auf eine kon-
krete Krankheit beziehen, und Altern sei leider noch nicht als Krankheit anerkannt.
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Nick Bostrom, der Philosoph der Transhumanisten
Leider war Smigrodzki, was die Details des Verfahrens anging, sehr verschwie-
gen und verwies auf Forschungsgeheimnisse seiner Firma. Aubrey de Grey, der
im Publikum sa und die Theorie der Mitochondrien-Alterung selbst mitentwickelt
hatte, war naturlich hoch interessiert, konnte aber auch keine genaueren Antworten
bekommen. Am Rande sei erwahnt, dass Smigrodzki sogar dicht hielt, nachdem
beide schon einige Glaser Bier intus hatten, und de Grey ihn in der Kneipe immernoch weiter locherte. Wir werden also auf die offizielle Vorstellung des Verfah-
rens in hoffentlich baldiger Zukunft warten mussen. Aber vielleicht wird man in
10 oder 15 Jahren tatsachlich zum Doktor gehen konnen, um ihn zu bitten, wie es
Smigrodzki anschaulich formulierte:
Herr Doktor, ich hatte auch gerne noch ein
Mitochondrien-Update.
Die Transvision schloss am Sonntag Nachmittag mit einer Prasentation von Nick
Bostrom, einem der Grunder der WTA. Auch er thematisierte die Problematik des
Transhumanismus, in der Gesellschaft Fu zu fassen. Er schlug vor, den Gegnern
des Transhumanismus besser zuzuhoren: Statt nur die eigenen Visionen zu pro-klamieren, sollten Transhumanisten sich ernsthaft mit den Argumenten gegen den
Transhumanismus auseinandersetzen. Denn wahrend manche tatsachlich irrational
seien (z. B.
Wer mochte schon 150 Jahre alt werden?), gabe es auch viele ernst-
zunehmende Probleme.
Ein Argument gegen den Transhumanismus ist etwa, dass es nicht sinnvoll sei,
menschliche Attribute zu verbessern, weil dann nachher alle relativ gesehen gleich
gut da standen. Bostrom fuhrte an, dass dies ein legitimes Argument ist: Wenn etwa
Athleten durch genetische Verbesserung die 100 m in 5 statt in 10 Sekunden lau-
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fen konnten, gabe es trotzdem noch genau einen Sieger: Der Wettbewerb hatte sich
nur verschoben, der Fortschritt sei ein Nullsummenspiel. Wahrend dies fur einige
transhumanistische Veranderungen zutreffen mag, sei es wichtig herauszustellen,
dass Fortschritt nicht immer auf ein Nullsummenspiel hinauslaufe. Ganz im Ge-
genteil wurde ein groer Teil des Fortschritts immanenten Vorteil haben: Wenn wir
durch genetischen Fortschritt zum Beispiel ein robusteres Immunsystem bekom-
men, sind wir weniger anfallig fur Krankheiten. Das ist kein Nullsummenspiel,
sondern bringt jedem Einzelnen einen echten Vorteil an gewonnener Lebensqua-
litat, ohne dass deswegen andere verlieren.
Transvision 2005 in Venezuela
Fur die Transvision 2005 im nachsten Jahr gibt es eine echte Neuerung: Sie findet
in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela statt, und ist damit die erste transhuma-
nistische Konferenz, die in der dritten Welt stattfindet. Damit soll auch ein Zeichen
dafur gesetzt werden, dass der technische Fortschritt allen zu Gute kommen soll und
gerade den Armen die Chance auf ein besseres Leben bietet. Diese Entscheidung
wurde auf das Drangen des umtriebigen Jose Cordeiro getroffen, der im Vorsitz
der WTA ist. Cordeiro kommt selbst aus Venezuela, und hat unglaublich viel fur
den Transhumanismus in Sudamerika getan. Unter anderem ist er eigenhandig fur
die Grundung mehrerer transhumanistischer Landesverbande in Sudamerika ver-
antwortlich. Es durfte auf jeden Fall interessant sein, wie das Thema Transhuma-
nismus in einem Entwicklungsland aufgefasst wird, und welche Perspektiven sichhier fur den Transhumanismus bieten.
Alle Vortrage der Transvision wurden auf Tonband aufgezeichnet, und sol-
len demnachst online verfugbar sein. Hier finden sich schon jetzt die Audio-
Aufzeichungen des eintagigen
Faith, Transhumanism and Hope Symposium, das
der Transvision vorausging, und dass sich mit dem Wechselspiel zwischen Trans-
humanismus und Religion beschaftigte.
TORSTEN NAH M
Transvision Audio-Aufzeichnungen:
http://transhumanism.org/tv/2004/program.shtml
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http://transhumanism.org/tv/2004/program.shtml -
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5 Die Philosophie desTranshumanismus
Wie jede revolutionare gesellschaftliche Bewegung beginnt der Transhumanismus
mit einer groen Idee. Die Idee des Transhumanismus ist so alt wie die Menschheit
selbst und tief in der menschlichen Natur verwurzelt. Es ist das Streben, uber sich
selbst hinauszuwachsen, seine Unzulanglichkeiten zu uberwinden und eine hohere
Stufe des Daseins zu erreichen.
Ursprunglich hat dieses Streben nach Transzendenz seinen Ausdruck in der Re-
ligion gefunden. In der fruhen Geschichte, als noch jede Generation von Menschen
der vorherigen glich, und die Lebensweise fest und unveranderbar erschien, muss-
ten Fantasien und Mythen herhalten, um die menschlichen Grenzen zu sprengen.
Ob in Sagen eines goldenen Zeitalters, einer Utopie nach dem Tod oder der Ver-
leihung gottlicher Krafte, der Mensch war auer Stande, sich selbst als Motor der
Veranderung zu begreifen.
Erst mit dem Aufkommen des Humanismus in der Aufklarung wurde zum ersten
Mal die Idee gepragt, dass der Mensch im Mittelpunkt seiner eigenen Bemuhun-gen stehen soll, dass er sein Leben selbst in die Hand nehmen und durch Bildung
nach Selbstverwirklichungen und moralischer Verbesserung streben soll. Aber so
sehr der Humanismus die eigene geistige Verbesserung erstrebte, sah er doch den
Menschen selbst als unveranderbar an. Der Rahmen klassischer Bildung wurde nie
verlassen, die Moglichkeiten der Technik finden im Humanismus nur am Rande
Eingang.
Die Voraussetzungen fur den Transhumanismus wurden erst im 19. Jahrhundert
gelegt, durch zwei revolutionare Ideen, die die Weltgeschichte verandert haben. Die
erste Idee ist die Theorie der Evolution, die von Darwin gepragt wurde. Sie entzogaller religiosen Selbstgefalligkeit den Boden: Der Mensch war nicht mehr Gottes
Abbild, unveranderlich als Krone der Schopfung gewahlt. Er bildete nurmehr ein
vorubergehendes Ergebnis der Evolution, eine unvollkommene Form in einer end-
losen Reihe, gerade gut genug, um momentan als Art zu bestehen.
So stand der Mensch am Ende des 19. Jahrhunderts entzaubert dar. Durch die
Aufklarung der schutzenden Religion beraubt, durch die Evolutionstheorie im Kern
seines Selbst erschuttert, blieb er nur auf sich allein gestellt. Im vollen Bewusstsein
seiner naturwissenschaftlich blogestellten Unzulanglichkeiten musste er am Stre-
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5 Die Philosophie des Transhumanismus
ben nach Selbstverbesserung verzweifeln. Die Mundigkeit, die er durch den Hu-
manismus erhalten hatte, konnte nur als schwacher Trost dienen. Denn gleich, wie
viel er sich bemuhte, er war unentrinnbar gefesselt im Gefangnis der biologischen
Notwendigkeit.
Der Samen, dessen Frucht den Weg zur Befreiung des Menschen aus der aue-
ren Determination zeigen sollte, wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts gelegt.
Durch den beschleunigten Fortschritt wurde erstmals fassbar, wie sich die Leben-
sumstande des Menschen durch Technik verandern. Der erste, der diese Erkennt-
nis wissenschaftlich formulierte, war Karl Marx. Obwohl sein Name heutzutage
hauptsachlich mit seinen politischen Theorien assoziiert wird, steht er auch in einer
rein wissenschaftlichen Tradition der Philosophie und Gesellschaftswissenschaft.
Marx zeigte, dass die Einstellungen, Beschrankungen und Moglichkeiten jeder Ge-
sellschaft durch ihre technische Basis vorgegeben werden und damit durch den
Menschen selbst gestaltbar sind.
Doch keine dieser Entwicklungen konnte eine Antwort auf die menschliche
Sehnsucht nach Transzendenz liefern. Darwin hatte nur die Beliebigkeit der Bio-
logie aufgezeigt, aber keine Moglichkeit, sie grundlegend zu verbessern oder gar
zu uberwinden. Marx hatte die grundsatzliche gestalterische Macht der Technik
erkannt, die menschliche Biologie aber als unveranderlich angesehen. Erst in den
letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gelang die Synthese und Aufhebung dieser
beiden Ideen in einer neuen Weltsicht, deren Kern die Befreiung des Menschen aus
der biologischen Notwendigkeit ist.
Die Bezeichnung Transhumanismus hat sich als Bezeichnung fur dieseBewegung durchgesetzt. Sie betont die Verbundenheit mit den Ideen des Huma-
nismus, als dessen moderne Fortsetzung der Transhumanismus sich sieht. Vor
allem beschreibt sie den Willen, die menschlichen Grenzen zu uberschreiten. Der
Transhumansimus propagiert, die Technik zu nutzen um den Menschen selbst zu
verandern und die Evolution in die eigene Hand zu nehmen. Ziel der transhuma-
nistischen Bestrebung ist die Verbesserung des Menschen in den Posthumanen,
der nicht mehr den Beschrankungen menschlicher Biologie unterworfen ist. Der
Transhumanismus zeigt die Moglichkeiten von Gentechnik, Informationstechnolo-
gie und Nanotechnologie auf, um diese Vision naturwissenschaftlich zu realisieren.Damit beschreibt er erstmals einen realisierbaren, eigenverantwortlichen Weg
zur menschlichen Transzendenz, anstatt auf eine hohere Macht zu hoffen. In
Ahnlehnung an Ludwig Feuerstein konnen wir sagen, dass der Transhumanismus
das Streben nach Transzendenz vom Kopf auf die Fue gestellt hat.
Zusammenfassend erkennen wir, dass der Transhumanismus auf drei
Saulen ruht: dem Streben nach Transzendenz, dem humanistischen Weltbild
und der Einsicht in die Technik als Mittel der Veranderung des Menschen.
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Jede einzelne ist fur das transhumanistische Weltbild unverzichtbar. Die
Nutzung der Technik zur Veranderung des menschlichen Wesens grenzt den
Transhumanismus von der Religion und vom klassischen Humanismus ab.
Das humanistische Weltbild betont die zentrale Bedeutung des Menschen,
ohne die eine technologische Gesellschaft zur Technokratie werden kann. Das
Streben nach Transzendenz schlielich stellt den revolutionaren Kern des
Transhumanismus dar, der die momentane Gesellschaft und die Bedingungen
menschlichen Daseins grundsatzlich in Frage stellt. Erst in ihrer Kombination
entfalten diese drei Fundamente ihre volle Kraft in einem Weltbild, dessen
Ziel nicht weniger ist als die selbstbestimmte Befreiung des Menschen aus den
Fesseln der Natur.
TORSTEN NAH M
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6 Die transhumanistischePosition zum Klonen
Die Technik des Klonens
Der Begriff
Klonen ist ungenau und kann in den Biowissenschaften verschiedene
Bedeutungen haben. Spatestens seitdem das Schaf Dolly 1997 geklont wurde [1],
bezeichnet er im allgemeinen Sprachgebrauch aber den biotechnologischen Pro-
zess, den Dolly auf die Welt gebracht hat. Im wissenschaftlichen Kontext spricht
man vom
somatic cell nuclear transfer (SCNT), der bis jetzt nur bei Saugetie-
ren angewandt wurde. Dabei werden normale Korperzellen eines ausgewachsenen
Saugers kultiviert und in entkernte Eizellen injiziert (Abbildung 1). Entkernte Ei-
zellen enthalten fast keine eigene DNA mehr, damit sie fremdes Erbmaterial von
der Spender-Zelle in Form von DNA aufnehmen konnen. Eine elektrische Stimula-
tion lasst die Eizelle und Spender-Zelle miteinander verschmelzen. Danach findet
eine Reprogrammierung der Gene der Spender-Zelle statt, die sie wieder in einen
fruhen embryonalen Zustand versetzt. Es kann sich aus einer solchen Fusions-Zellein Zellkultur ein Embryo entwickeln, der, in ein Muttertier implantiert und ausge-
tragen, zu einem Nachkommen heranreifen kann. Dieser besitzt eine exakte Kopie
des Erbguts der Spenderzelle und ist deshalb ein Zwillingsgeschwister oder Klon
des Spenderorganismus.
Klonen von Tieren
Mit gentechnologischen Verfahren konnen artfremde Gene in Nutztiere einge-
schleust werden, die damit medizinische Wirkstoffe gegen viele Krankheitenproduzieren. Umweltbelastende und teure chemische Synthesen bestimmter phar-
mazeutisch wirksamer Substanzen lieen sich so vermeiden. Auch konnte z. B.
Kuhmilch vermarktet werden, die Wirkstoffe gegen chronische Leiden, etwa ein
Antidepressivum, enthalt (Pharma-Food). Die psychisch belastende tagliche Ein-
nahme von Pillen wurde wegfallen gerade Kindern wurde dies helfen, mit ihrer
Erkrankung zu leben. Mit einem verbesserten Klonprotokoll konnten wertvolle
transgene Tiere kostengunstig vermehrt werden, um ihre grotechnische Nutzung
moglich zu machen. Transhumanisten begruen jeden technischen Fortschritt, der
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Verlauf des Klonens. [2]
Lebensqualitat und Komfort des Menschen steigert, und werben daher fur eine
offentliche Akzeptanz von Forschung und Entwicklung in diesem Bereich.
Klonen von Menschen?
Groes Aufsehen hat die Klon-Technik aber auch deshalb erregt, weil sie prinzipi-
ell auch auf den Menschen ubertragbar ist. Zum jetzigen Zeitpunkt verbietet sich
ein solcher Versuch, da die Technik noch nicht ausgereift ist, da es in Tierexperi-menten zu Komplikationen bei vielen der geborenen Klone gekommen ist. Doch
die Wissenschaft schreitet voran: Dolly war noch der einzige Erfolg von 277 Expe-
rimenten, was einer Erfolgsquote von 0,4 % entspricht. Heute liegen die Erfolgs-
quoten bei ahnlichen Experimenten immerhin bei bis zu 10 % lebend geborenen
Klonen [2].
Dies bedeutet jedoch nicht, dass 90 % der Tiere nach der Geburt sterben: 80% der
Fusionszellen erreichen gar nicht erst das Embryonalstadium und konnen keinem
Muttertier zugefuhrt werden, viele Embryonen sterben ab noch bevor sie das Fotal-
Stadium erreichen. In Experimenten mit Rindern [3] wurden jedoch hohe Fehlge-burtsraten beobachtet und bei drei von acht lebend geborenen Klon-Kalbern direkt
nach der Geburt schwere Krankheiten diagnostiziert. Wissenschaftler vermuten,
dass die Ursache dieser Komplikation in der unvollstandigen Reprogrammierung
der Spender-DNA liegen konnte, genaues ist jedoch noch nicht bekannt.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Verbesserungen im Klon-Protokoll
werden jedoch irgendwann das Klonen von Menschen ethisch vertretbar machen,
weshalb es sinnvoll ist, eine technische Folgenabschatzung zu versuchen. In der
offentlichen Diskussion haben sich hier zwei Schlagworte gebildet: Reproduktives
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Klonen und Therapeutisches Klonen. An dieser Stelle folgt eine Diskussion der
Thematik aus transhumanistischer Sicht.
Reproduktives Klonen
Der Begriff meint die Anwendung der Klontechnik in der Reproduktionsmedizin,also das Klonen von Menschen zum Zwecke der Fortpflanzung. In unserer Gesell-
schaft liegt eine fundamentale Ablehnungshaltung gegenuber dieser potenziellen
Technik vor, so dass politische Meinungsfuhrer langst ihr weltweites Verbot anstre-
ben.
Ein menschlicher Klon ware prinzipiell ein gleichberechtigtes Individuum und
als Mensch mit denselben Grundrechten ausgestattet. Ein Klon ist kein minderwer-
tiges Duplikat eines bestehenden Menschen, sondern genauso einzigartig in seinem
Denken und Handeln wie eineiige Zwillingsgeschwister, die man ebenfalls als Klo-
ne betrachten kann.
Es gibt Szenarien, die das Klonen von Menschen nicht absurd erscheinen lasst:
Kombiniert mit Verfahren aus der kunstlichen Befruchtung zur Gewinnung von
Eizellen waren Frauen durch Reproduktives Klonen plotzlich in die Lage versetzt,
Kinder zu bekommen, ohne dass die Notwendigkeit eines Partners oder einer Sa-
menspende bestunde. Wenn eine Frau eine lange Beziehung mit einem Mann wegen
ihrer sexuellen Vorlieben oder anderer Grunden ausschliet und die Vaterschaft ei-
nes Fremden fur sie nicht in Frage kommt, dann ware das Reproduktive Klonen die
einzige Moglichkeit fur sie, eigene Kinder zu bekommen.Auf dem gleichen Weg konnten lesbische Paare zu eigenen Kindern gelan-
gen. Homosexuelle Manner mussen nicht von diesem reproduktionsmedizinischen
Fortschritt ausgeschlossen bleiben, waren jedoch vorerst auf Eizellspenden und
Leihmutter angewiesen. Das offensichtliche Problem bei Paaren ist, dass mittels
SCNT nur einer der beiden Partner sein Erbgut an die Nachkommen weitergeben
kann. Doch dafur gibt es bereits eine Losung. Man konnte von beiden Partnern Em-
bryonen klonen und diese vereinigen. Dabei entstunden so genannte
Chimaren,
d. h. Organismen die aus Zellen verschiedenen Ursprungs bestehen. Eine solche
Chimare wurde sich das Erbgut zu je 50 % mit beiden Muttern oder Vatern tei-len. Im Tierexperiment erhaltene Chimaren sind gesund und in ihrem Verhalten
unauffallig.
Familienplanung ist etwas sehr Personliches, in das eine Gesellschaft nicht re-
gulativ eingreifen darf. Transhumanisten glauben sogar, dass es ein Recht auf Re-
produktionsfreiheit geben sollte, von dem Homosexuelle nicht ausgenommen sein
durften. Aus dieser Sicht ware daher ein volliges Verbot des Reproduktiven Klo-
nens als unverhaltnismaige Beschrankung eines solchen Grundrechts anzusehen.
Sie basiert auch nicht auf rationalen Argumenten und sollte daher nicht als Grund-
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6 Die transhumanistische Position zum Klonen
Eine Maus-Chimare aus Zellen von Mausen mit schwarzem und weiem Fell.
Korperfunktionen und Verhalten sind ansonsten unauffallig. [4]
lage fur eine Gesetzesinitiative dienen. Die In-Vitro-Fertilisation (IVF) ist seit ih-
rer Erfindung als medizinische Manahme, um heterosexuellen Paaren zum Fa-
miliengluck zu verhelfen, inzwischen weitgehend akzeptiert, obwohl sie seinerzeit
ebenfalls eine kontroverse Debatte angestoen hatte. Momentan verbietet das Em-
bryonenschutzgesetz in Deutschland Reproduktives Klonen und die Erzeugung von
menschlichen Chimaren.
An dieser Stelle folgen Argumente gegen die haufigsten Bedenken:
Wenn sich Menschen klonen, vermindert sich die genetische Vielfalt, die
Evolution wurde eingeschrankt.
Die Zahl der Menschen, die sich klonen lassen werden, durfte wahr-
scheinlich sehr gering sein, da der Aufwand und die Kosten fur das Ver-
fahren im Vergleich zur naturlichen Fortpflanzung wahrscheinlich im-
mer unverhaltnismaig hoch sein werden. Nach einer Forsa-Umfrage
in Deutschland aus dem Jahr 1997 beantworteten nur 2 % die Frage
Wurden Sie sich selbst klonen lassen? mit Ja.
Ahnliche Umfrage-ergebnisse ergaben sich auch in anderen Landern. In diesem Umfang
ware der Einfluss auf den Genpool sehr gering.
Davon abgesehen ist der Einfluss der naturlichen Evolution auf
den Menschen und damit seine Bedeutung hochst fragwurdig. Der
moderne Mensch definiert sich uberhaupt erst dadurch, dass er die
Bedingungen seiner Selektion selbst schafft: Durch Ingenieurs- und
Baukunst, Medizin und nicht zuletzt durch den Aufbau von Gesell-
schaftssystemen, die schwache Mitglieder schutzen.
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Der Klon ware menschenrechtswidrig fremdbestimmt und durch seine fehlende
genetische Einzigartigkeit in seiner personlichen Freiheit eingeschrankt.
Ein menschlicher Klon ist ein selbstandig denkendes und handelndes
Individuum. Ein Klon ist kein minderwertiges Duplikat eines Men-
schen und auch keine 1:1-Kopie. Wie jeder Mensch durchlebt ein Klon
im Laufe seines Erwachsenwerdens einen personlichen Reifungspro-
zess, der seine Personlichkeit und Individualitat pragt. Seine geneti-
sche Identitat hat darauf zwar einen Einfluss, aber der ist auch nicht
groer als bei naturlich gezeugten Kindern oder bei eineiigen Zwil-
lingen, die als naturliche Klone tagtaglich zu Tausenden auf die Welt
kommen. Bei letzteren wurde man sich ebenso wenig um eine Iden-
titatskrise aufgrund fehlender genetischer Einzigartigkeit sorgen.
Therapeutisches Klonen
Im Gegensatz zum Reproduktiven Klonen ist hier das Ziel nicht die Erzeugung von
lebenden Klonen, sondern vielmehr die Produktion von Stammzellen zu medizini-
schen Zwecken. Viele Krankheiten, die durch eine Zerstorung von korpereigenem
Gewebe beruhen, lieen sich durch Transplantation von geeigneten Stammzel-len dauerhaft heilen. Beispiele hierfur sind der Diabetes Mellitus Typ I (Jugend-
Diabetes), Morbus Parkinson oder die Herzmuskelschadigung nach einem Infarkt.
Stammzellen sind Gewebe-Vorlaufer-Zellen, die sich schnell teilen und dabei zu
spezialisierten Gewebszellen, wie Nervenzellen, reifen konnen. Spezialisierte Zel-
len wie die meisten Zellen des Nervensystems teilen sich nicht mehr und sind daher
nicht in der Lage, Schaden am Organ zu regenerieren. Sie konnen jedoch aus undif-
ferenzierten Stammzellen gebildet werden. Durch Transplantation von geeigneten
Stammzellen konnte man so die Heilung des geschadigten Gewebes induzieren.
Das Problem bei jeder Transplantation ist jedoch die Immunabwehr des Korpers,die fremde Zellen abstot. Man brauchte also gewebekompatible Stammzellen, die
jedoch schwierig zu bekommen sind (vgl. Organtransplantation).
Ein Ausweg konnte Therapeutisches Klonen sein. Dabei wurden embryonale
Stammzellen (ES) des Patienten erzeugt werden, die totipotent sind, d. h. sie konnen
sich in jede beliebige Korperzelle entwickeln. Aus ihnen konnten dann gewebsspe-
zifische Zellen in Kulturen gewonnen werden, die keine Abstoungsreaktion im
Korper des Empfangers auslosen konnen. Dass es moglich ist, ES aus humanen
somatischen Zellen zu erhalten, wurde erst vor kurzem bewiesen [5].
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Langfristig wird es sogar moglich sein, ganze Organe aus ES-Zellinien zu
zuchten, denn prinzipiell steckt der Bauplan eines Organs wie der Leber oder Niere
vollstandig im Erbgut der ES. Spatestens dann werden Organspenden uberflussig
sein. Die geklonten Organe konnten auch keine Abstoungsreaktionen auslosen,
ein haufiges Problem nach einer Organtransplantation, dem in der Regel durch le-
benslange Einnahme von Immunsuppressiva vorgebeugt werden muss.
Obwohl die Technik verspricht, verschiedene schlimme Krankheiten zu heilen,
wird in der Offentlichkeit immer wieder verlangt, Therapeutisches Klonen eben-
falls zu verbieten. Wichtigstes Argument: Bei der Gewinnung gewebsspezifischer
Stammzellen werden Embryonen verbraucht, weil die ES gezielt reprogrammiert
werden mussen. Dabei verlieren die ES ihre Totipotenz, d. h. die Fahigkeit alle Zel-
len des menschlichen Korpers bilden zu konnen, was der Vernichtung eines
poten-
ziellen menschlichen Lebens gleichkommt. Das Argument zielt letztlich auf die
Frage ab, wo menschliches Leben beginnt. Stellen ES menschliches Leben dar?
Ideologische oder religiose Betrachtungen helfen hier nicht weiter, weil sie nicht
kompromissfahig sind. Die Naturwissenschaften geben auch keine Antwort, weil
es keinen definierten Zeitpunkt in der Embryonalentwicklung gibt, ab dem der Em-
bryo lebendig ist.
Es bleibt eine praktische Herangehensweise [6]. Man wei z. B., dass das Gehirn
des Fotus zwischen der 20. und 24. Schwangerschaftswoche funktionsfahig wird.
Bis dahin kann der Fotus also weder Schmerzen fuhlen, noch denken und leiden.
Im fruhen Embryonalstadium, um das es hier geht, besitzt er noch nicht einmal
Ansatze eines Nervensystems, weshalb es so gesehen gerechtfertigt erscheint, ESnicht als menschliches Leben anzusehen. Man kann den
ethischen Wert ungebo-
renen menschlichen Lebens auch an dem Entwicklungsstadium selbst festmachen.
So ist die Auswirkung eines spontanen Aborts, der haufig unbemerkt zwei bis drei
Tage nach der Befruchtung stattfindet, auf die Eltern gewiss weniger dramatisch
als eine Fehlgeburt in einer spaten Schwangerschaftsphase oder gar der Tod eines
Neugeborenen. Dieser Argumentation folgend kann es moralisch vertretbar sein,
Embryonen fur medizinische Zwecke zu nutzen, insbesondere, weil es darum geht,
geborenes Leben zu retten.
Wo fangt menschliches Leben an? Diese Frage hat einen weiteren interessan-ten Aspekt, namlich die Definition von Leben im Allgemeinen. Es sehr schwierig
eine exakte Definition zu geben, und es wird an dieser Stelle auch vermeiden. Den-
noch gibt es zumindest zwei grundlegend verschiedene Interpretationen: 1) Leben
im allgemeinen (biologischen) Sinne. Dazu gehoren Eigenschaften wie Reproduk-
tionsfahigkeit, Stoffwechsel und Evolution. Einzellige Lebewesen wie Bakterien
und Algen sind demnach lebendig, genauso wie jede einzelne unserer Korperzel-
len. 2) Leben im speziellen Sinne, das stark mit der Ausbildung eines Nervensys-
tems verknupft ist. Dazu gehoren die Fahigkeit seine Umwelt zu erfahren und zu
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abstrahieren, Lernfahigkeit, ein Erinnerungsvermogen und emotionale Bindungen
zu Familie und Freunde. Diese Fahigkeiten besitzen hohere Tiere und insbesondere
der Mensch. Am deutlichsten tritt der Unterschied zwischen 1) und 2) beim Hirntod
eines Menschen zu Tage: Obwohl das Grohirn irreparabel geschadigt ist, funk-
tionieren die elementaren Lebenserhaltungssysteme wie Atmungszentrum, Herz-
schlag, Zellerneuerung, Haarwuchs und Zellstoffwechsel. Der Patient ist also im
Sinne von Interpretation 1) noch lebendig. Dennoch kann er in Deutschland legal
fur tot erklart und zur Organspende freigegeben werden, was dem Absprechen ei-
nes ethischen Werts gleichkommt. Die Diskussion um die ethischen Aspekte des
Therapeutischen Klonens ist leider gepragt durch eine undifferenzierte Vorstellung
daruber, was
lebendig eigentlich heit. Obwohl Embryonen uber keine der Merk-
male aus 2) verfugen, besitzen sie in der Bundesrepublik einen besonderen rechtli-
chen Status, den das Embryonenschutzgesetzes (ESchG) definiert. Fur die meisten
Menschen durfte menschliches Leben im Sinne von Kategorie 2) aber kostbarer
erscheinen. Bei der abstrakten Ethik-Diskussion in Deutschland sollte nicht verges-
sen werden, dass viele unheilbar kranke Menschen groe Hoffnungen in die neue
molekulare Medizin setzen.
Transhumanisten fordern:
die Abschaffung des Embryonenschutzgesetzes,
Freiheit der Forschung und Verzicht auf ihre weltweite Achtung,
eine sachliche Diskussion uber Chancen und Risiken der Klon-Technologie,
die Anerkennung des Grundrechts auf Reproduktionsfreiheit und Akzeptanz
des Reproduktiven Klonens.
GERNOT KIESERITZKY
Zitate
[1] I. Wilmut et al.: Viable offspring derived from fetal and adult mammaliancells. Nature 385 810-913 (1997)
[2] Yang et al.: Cloning animals by somatic cell nuclear transfer biological
factors. Reproductive Biology and Endocrinology 1 98 (2003)
[3] J. R. Hill et al.: Clinical and pathologic features of cloned transgenic calves
and fetuses (13 case studies) Theriogenology 51, 8 1451-1465 (1999)
[4] http://www.criver.com/products/genetic testing/dxgmon2.html
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http://www.criver.com/products/genetic-testing/dxgmon2.html -
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6 Die transhumanistische Position zum Klonen
[5] S. Y. Moon et al: Evidence of a Pluripotent Human Embryonic Stem Cell
Line Derived from a Cloned Blastocyst. Science 303 1669-1675 (2004)
[6] R. Lisker: Ethical and Legal Issues in Therapeutic Cloning and the Study of
Stem Cells. Archives of Medical Research 34 607-611 (2003)
Empfohlene Literatur und Links
L. Silver: Das geklonte Paradies (Droemer, Munchen 2000)
Embryonenschutzgesetz online:
http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/eschg/htmltree.html
44
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3426269783/qid%3D1113996655/028-4903394-9878100http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/eschg/htmltree.html -
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7 NanotechnologieDie Nanotechnologie ist voraussichtlich die Technik mit dem groten Potential,
die Zukunft der Menschheit stark zu verandern. Die Technologie konnte neue
industrielle Produktionswege eroffnen, die Medizin stark beeinflussen, ungeahnt
leistungsfahige Computer erschaffen und schlielich auch den Menschen selbst
verandern.
Mit Nanotechnologie ist hier die ursprungliche molekulare Nanotechnologie ge-
meint. Der Begriff hat sich inzwischen stark gewandelt und fasst nun alle Techno-logien zusammen, die sich mit Strukturen auf der Nanometerskala (ein Nanometer
= ein milliardstel Meter = 109 Meter) befassen. Danach reicht die Nanotechnik
von Computerchips uber Brennstoffzellen bis hin zur Bratpfannenbeschichtung.
Die molekulare soll dagegen die komplette Kontrolle uber Materie auf moleku-
larer Ebene ermoglichen, und zwar durch gezielte chemische Reaktionen zwischen
einzelnen Molekulen oder Atomen.
Die Chemie ermoglicht nur eine statistische Anordnung von Atomen. Es kommt
zwar zu bestimmten Reaktionen zwischen sehr vielen Molekulen, aber einzelne
Atome lassen sich nicht direkt beeinflussen.Mit physikalischen Methoden lassen sich gezielte Veranderungen hervorrufen,
aber noch nicht auf so kleinem Mastab. Nur in einzelnen sehr speziellen Fallen ist
es gelungen, Atome direkt zu verschieben. Allgemein ist es so schwierig wie mit
Boxhandschuhen Legosteine zusammenzusetzen.
Funktionsweise der Nanotechnologie
Die Kontrolle uber einzelne Atome soll durch einen Assembler (Monteur), eine
molekulare Maschine, erreicht werden. Ein Assembler ware ein Roboter, der nuraus wenigen Molekulen besteht, die mit atomarer Prazision zusammengesetzt sind.
Er soll mit einer Energieversorgung, einem Antrieb und einem Computer ausge-
stattet sein und mit anderen Assemblern kommunizieren konnen. Und er soll eine
Art Greifarm besitzen, mit dem er gezielt einzelne Molekule aufgreifen kann und
gezielt chemische Reaktionen mit anderen Molekulen verursachen kann.
Im Unterschied zur herkommlichen Industrie werden also nicht groe Rohmate-
rialien zu kleineren Produkten verarbeitet, sondern die Produkte aus ihren kleins-
ten Bestandteilen gefertigt. Wenn ein Team aus verschiedenen Assemblern entspre-
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7 Nanotechnologie
chend programmiert wurde und die richtigen Rohstoffmolekule in einer Nahrlosung
bereitstehen, konnte es daher unterschiedlichste und auch sehr komplizierte Dinge
wie z. B. die Komponenten eines Autos oder auch ein Stea