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Uber einen neuen cerebralen Symptomenkomplex: einseitiges (hemiplegisches) akromegalieithnliches Uberwachstum der Extremitittenenden auf luefischer Basis. Von Oskar Fischer (Prag). Mit 3 Textabbildungen. (Eingegange.n am 12. August 1925.) Ein Symptomenkomplex von der im Titel angefiihrten Art ist noch nicht beobachtet women; die Krankengesehichte des von mir seit meh- reren Jahren beobaehteten Falles ergibt folgendes: Ein Mann yon 50 Jahren, zuerst am 8. IX. 1922 untersueht. Luetisehe Infek- tion im Jahre 1900, mit Driisensehwellung und Hautaussehlag; ausgiebige Behand- lung dureh einen Spezialarzt. Einige Jahre sp~ter Sehmerzen in den Gliedern. 1912 positive WaR. im Blut; deshalb drei Salvarsaninjektionen, worauf dann die WaR. negativ wurde. Im Winter 1917 muBte Patient in einer ungeheizten Kanzlei arbeiten; die linke Hand konnte er sich dureh einen Handschuh gegen die K~lte sehiitzen, wogegen die reehte Hand, mit der er schreiben muBte, st/~ndig der KMte ausgesetzt war. In dieser Zeit wurde die rechte Hand bis zur Handwurzel blau und rot; sparer verschwand in der warmen Jahreszeit die Cyanose, und die Farbe der Haut wurde rot; im Winter wurde (tie Hand wieder blau. Par~sthesien oder Schmerzen zeigten sich hie. Im Sommer 1918 bekam Patient eine Psychose: Er war sehr matt, bis zum Stupor apathiseh, ag beinahe nichts und deliricrte; nach 3 Woehen all- m~thliche Besserung bis zur vollst/tndigen Wiederherstellung. Im Januar und M~rz 1922 kurze, allgemeine epileptische Anf/~lle mit Bewul~t- ]osigkeit, aber ohne ZungenbiB, yon denen e,r selbst nur weig, dab sie mit Zueken der linken Hand begannen. [Die Untersuchung am 8. IX. 1922 ergab: MittelgroB; Pupillen und der Augen- hintergrund normal; linker Faeialis deutlieh sehw~eher; Bauehreflexe beiderseits vorhanden, Babinslci beiderseits angedeutet, abet links deutlicher, die Sehnen- reflexe an den Beinen lebhaft. Motilit'at nnd Sensibilit/tt tiberall intakt. Die Haut der rechten Hand ist r6ter als auf der anderen SeRe, sie ist leicht gef~ltelt, wie zerknittert und sieht dadurch wie die ttaut eines Greises aus, dabei ist sic diinner, sehlaffer und liiBt sich leichtcr yon der Unterlage abheben. Am Anthithenar sind mehrere hirsekorngroBe, sehwielige Fleckehen, welche aus einer hiihneraugenartig verdiekten, opaken Epidermissehiehte bestehen. Die Sehwielen bestehen schon seit mehr als 10 Jahren, sie sind in gleicher Art auch auf der ttand- flS~ehe der linken Hand zu linden. Auch die Haut der Handflitehe ist reehts diinner und rSter als links. Am rechten FuB ist die Haut ebenfalls deutlieh dtinner und an den KnScheln r6ter (wie Patient angibt, ist die Verf~rbung im Winter dentlieher). Die Itaut der z. f. d. g. Neut. u. Psych. C. 20

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Page 1: Über einen neuen cerebralen symptomenkomplex: einseitiges (hemiplegisches) akromegalieähnliches Überwachstum der extremitatenenden auf luetischer basis

Uber einen neuen cerebralen Symptomenkomplex: einseitiges (hemiplegisches) akromegalieithnliches Uberwachstum der

Extremitittenenden auf luefischer Basis. Von

Oskar Fischer (Prag).

Mit 3 Textabbildungen.

(Eingegange.n am 12. August 1925.)

Ein S y m p t o m e n k o m p l e x von der im Titel angef i ihr ten Ar t ist noch

nicht beobachte t w o m e n ; die Krankengesehichte des von mir seit meh-

reren J a h r e n beobaehte ten Falles ergibt folgendes:

Ein Mann yon 50 Jahren, zuerst am 8. IX. 1922 untersueht. Luetisehe Infek- tion im Jahre 1900, mit Driisensehwellung und Hautaussehlag; ausgiebige Behand- lung dureh einen Spezialarzt. Einige Jahre sp~ter Sehmerzen in den Gliedern. 1912 positive WaR. im Blut; deshalb drei Salvarsaninjektionen, worauf dann die WaR. negativ wurde.

Im Winter 1917 muBte Patient in einer ungeheizten Kanzlei arbeiten; die linke Hand konnte er sich dureh einen Handschuh gegen die K~lte sehiitzen, wogegen die reehte Hand, mit der er schreiben muBte, st/~ndig der KMte ausgesetzt war. In dieser Zeit wurde die rechte Hand bis zur Handwurzel blau und rot; sparer verschwand in der warmen Jahreszeit die Cyanose, und die Farbe der Haut wurde rot; im Winter wurde (tie Hand wieder blau. Par~sthesien oder Schmerzen zeigten sich hie. Im Sommer 1918 bekam Patient eine Psychose: Er war sehr matt, bis zum Stupor apathiseh, ag beinahe nichts und deliricrte; nach 3 Woehen all- m~thliche Besserung bis zur vollst/tndigen Wiederherstellung.

Im Januar und M~rz 1922 kurze, allgemeine epileptische Anf/~lle mit Bewul~t- ]osigkeit, aber ohne ZungenbiB, yon denen e,r selbst nur weig, dab sie mit Zueken der linken Hand begannen.

[Die Untersuchung am 8. IX. 1922 ergab: MittelgroB; Pupillen und der Augen- hintergrund normal; linker Faeialis deutlieh sehw~eher; Bauehreflexe beiderseits vorhanden, Babinslci beiderseits angedeutet, abet links deutlicher, die Sehnen- reflexe an den Beinen lebhaft. Motilit'at nnd Sensibilit/tt tiberall intakt.

Die Haut der rechten Hand ist r6ter als auf der anderen SeRe, sie ist leicht gef~ltelt, wie zerknittert und sieht dadurch wie die ttaut eines Greises aus, dabei ist sic diinner, sehlaffer und liiBt sich leichtcr yon der Unterlage abheben. Am Anthithenar sind mehrere hirsekorngroBe, sehwielige Fleckehen, welche aus einer hiihneraugenartig verdiekten, opaken Epidermissehiehte bestehen. Die Sehwielen bestehen schon seit mehr als 10 Jahren, sie sind in gleicher Art auch auf der ttand- flS~ehe der linken Hand zu linden. Auch die Haut der Handflitehe ist reehts diinner und rSter als links.

Am rechten FuB ist die Haut ebenfalls deutlieh dtinner und an den KnScheln r6ter (wie Patient angibt, ist die Verf~rbung im Winter dentlieher). Die Itaut der

z. f. d. g. Neut. u. Psych. C. 20

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300 O. Fischer: Einseitiges (hemiplegisches) akromegalielthnliches

unteren H/ilfte des Untersehenkels ist diinner, gli~nzend und leicht gefiiltelt, aber eher blasser. Wie lange die Itautver~nderung am Ful~ besteht, weiB Patient nicht; erst vor kurzer Zeit fiel ihm dies auf, doch dfirfte es wohl schon li~ngere Zeit dauern.

WaR. im Blut stark positiv. 10. X. 1922. Stellt sich mit einer sehr starken Parese der linken unteren

Extremit/it vor, die so stark ist, dab er kaum gehen kann; Entwicklung der Parese allm~hlich progressiv seit 4 Wochen; somatisch der Parese entsprechend fehlender Bauchreflex links, stark erh6hte Sehnenreflexe; ausgesprochener Babinski links, wogegen der Babinski rechts nur angedeutet ist. Augenhintergrund normal. Am linken Arm ist eine Parese nur angedeutet.

Die linksseitige ]-Iemiparese nahm in den folgenden Tagen zu, so dab am 20. X. 1922 nach dem Berichte seines Hausarztes die linke Hand und das linke Bein vollst/~ndig gel/~hmt und spastisch unbeweglich waren. In diesen Tagen bekam Patient bei ungestSrtem Bewul~tsein einen Krampfanfall, der zuerst die gel~hmten Glieder befiel und dann auf die nichtgel/ihmte Seite iiberging; der Anfall endete, ohne dab das BewuBtsein gest6rt worden w/~re.

Untersuchung am 28. X. 1922 in der Wohnung des Patienten: Patient ist bewegungsunf/~hig und bettli~gerig; Augenhintergrund normal; Pupillen etwas triage; Facialis links sehr stark paretisch, Zunge weicht stark nach links ab, der linke Arm ist vollst/~ndig gel/~hmt und spastisch, die Finger steif eingekrallt, der ganze Arm befindet sich in schwer 16sbarer Flexionseontractur. Das linke Bein ebenfalls vollst~ndig gel/ihmt, steif, in leichter Flexion.

Der rechte Arm und das rechte Bein sind normal beweglich. Bauchreflexe links fehlend; Babinski beiderseits vorhanden, Patellar- und

FuBklonus links. Die Sensibilit~t an den linken Extremit/~ten nur insofern gest0rt, als Patient daselbst Stiche nut etwas stumpfer fiihlt. Sonst keine St(irung.

Therapie: Schmierkur und Brom. 27. XII. 1922: Stellt sich Patient wieder vor. Er hatte 8 Schmiertouren durch-

gemacht; bei der 4. Tour begann sich die L/ihmung zu bessern, indem sich zuerst Bewegungen im linken kleinen Finger und in den Zehen einstellten. :Die :Besserung schritt allm/~hlich fort bis zum jetzigen Zustande, welcher bereits seit 14 Tagen unver/~ndert ist. Somatisch keine Spur einer Li~hmung. :Der linke Facialis ist eine Spur schwiicher, die Zunge weicht etwas nach rechts ab. Bauchreflexe beiderseits vorhanden, doch links schw/~cher. Babinski beiderseits nur angedeutet, keine Sensibilit/ttsst6rnng.

Was die L/~hmung anlangt, so hatte sich demnach eine vollst/~ndige Restitution eingestellt, da der k6rperliche Zustand wieder dem vor der Hemiplegie gefundenen gleicht. Therapie: Brom, Jod.

12. III. 1923. Hatte jetzt h/~ufig Kopfschmerzen, dann ein sonderbares Gefiihl ill der rechten Wange, wie wenn darunter ein FremdkOrper w/~re und aul~er(lem hie und da ein Geffihl, wie wenn ein Anfall fiber ihn kommen wollte, ohne dab es jedoch zu einem solchen Anfall gekommen w~re. Somatisch keine t~nderung, Blut-Wassermann stark positiv.

4. V. 1923. Hatte im letzten Monat 4 Schmiertouren gemacht und gleich- zeitig Jod genommen. Ftihlt sich sonst recht wohl, es f~llt ihm nut auf, dal~ in den letzten Monaten die rechte Hand und der rechte Furl stdrker geworden sind. Beide Extremit~ten sind in der K/~lte leicht cyanotisch, in der W/~rme werden sie rot. Die Vergr6Berung des rechten ]~uBes ist derart, dab er sich keine neuen Stiefel kaufen kann, da er fiir den rechten FuB eine viel gr6Bere Nummer braucht als ffir den linken.

Somatisch: Aussehen sehr gut, Pupillen reagieren gut, Augenhintergrund normal. Facialis links schw~cher, Zunge weicht etwas nach rechts ab. Keine

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Paresen, Sehnenreflexe sehr lebhaft, kein Klonus, beiderseits angedeuteter Babinski.

Die rechte Hand zeigt deutlich eine Schwellung der Weiehteile. Die Finger sind etwas breiter als auf der Gegenseite; die Fingern/igel deutlieh breiter und weni- ger gewSlbt; auch die Hand selbst ist deutlich massiger und breiter. Die Haut der reehten Hand ist leieht gerStet, am meisten tiber den l(n6eheln am Thenar und Antithenar. Die Hautatrophie so wie friiher, vielleicht noch etwas deutlicher. Der rechte FuB ist massiger und grSBer als der linke, sieht wie pastSs gesehwollen aus, die Farbe der Haut dariit)er nicht ver/indert; die t taut ist, wie friiher beschrie- ben wurde, diinner, nieht gcschwollen. Trotzdem der FuB grSBer und st/trker aussieht, ist durch Messung eine L/ingendifferenz nieht ,nit Sieherheit Iestzustellen.

Patient gibt weiter an, dag er seit etwa 2 Monaten impotent geworden sei. Er hat weder Erektionen noch Libido. l~ber sein friiheres Sexualleben gibt er an,

Abb. 1.

stets normal potent gewesen zu sein, nur in den letzten Jahren sei die Potenz dem Alter entsprechend sehw/ieher geworden. Das Genitale vollkommen normal cnt- wickelt.

Keine trol?hisehen Ver/tnderungen sonst am K6rper. Patient hat eine aus- gebildete Glatze (seit etwa 10 Jahren), normalen, wenn auch nieht fiberreich- lichen Bartwuchs, dagegen zeigt sich am Sta*nm sehr spiirlicher Haaruntchs: Der l~iicken ist beinahe haarlos, an der Brust sind nur einige wenige dickere Haare; Arme und Beine sind sp/irlich behaart, die Pubes von ann~hernd normaler Sthrke. Harn normal, in normalen Tagesquantit/~ten. Therapie: Jod und Schmierkur.

20. VIII. 1923. Der Zustand ist im allgemeinen gleieh geblieben, nur ist die rechte Hand nnd der rechte Furl noch gr6fler geworden.

Die Gr6gendifferenz der Hi~nde ist jetzt noch viel deutlieher geworden. Die rechte Hand sieht noch breiter und plumper aus, die Finger noch breiter und massiger; es scheint auch, daft die Finger der rechten Hand l~nger sind als die der Gegenseite, doch ist diese L/ingendifferenz dureh Messung nieht zu fixieren. (Abb. 1.)

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302 0. Fischer: Einseitiges (hemiplegisches) akromegalieiihnliches

Die R6tung der rechten Hand kommt in der Photographie als dunklere Fgrbung heraus.

Die Atrophie der Haut an der rechten Hand ist so wie friiher, auch die kleincn gumm6sen Schwielen sind nieht ver/indert. Die Oberfl/~chentemperatur der Hand ist, sowohl dem Geftihle nach als auch mit dem Hautthermometer gemessen, beider- seits gleich.

Der rechte Ful~ ist deutlich 1/~nger und massiger als der linke (Abb. 2). Beim Messen des FuBes yon der Ferse bis zur Spitze der grol~en Zehe ergibt sich rechts eine Li~nge yon 28 cm und links nur 27 cm. Am deutlichsten ist die Gr6f~endifferenz an der groi~en Zehe sichtbar, die besonders lang und massig ist. Die bereits friiher

beschriebene atrophische Haut- ver~nderung ist gleich geblieben, die Hauttemperatur an beiden Ftil3en gleich.

RSntgenaufnahme 28. VIII. 1923. (RSntgenologe Dr. Oskar Weil): Die H/~nde und Fiil3e wurden derartig aufgenommen, da$ sie nebeneinander auf die Kasette gelegt wurden und die R6hre auf die Mitre der Platte zentriert wurde. Die Weichteile des FuBes erscheinen im R6ntgen- bild deutlich massiger; am st/trk- sten sieht man die Verdickung der Weichteile an der groBen Zehe. Diese zeigt (am R5ntgen- bilde der Breite nach gemessen) an der Basis der Endphalange rechts 35 mm gcgeniiber 32 mm der anderen Seite. Aul~erdem scheint es, dal~ das Knochen- system der groBen Zehe etwas verl~ngert ist. Mil3t man n/mllich die ganze L/inge der Knochen- achse der groBen Zehe, d . h .

Abb. 2. v o n d e r Basis des Metatarsus bis zum distalen Ende der End-

phalange, so finder mall rechts eine Entfernung yon 140 mm, links 137 mm. Dabei stehen die Zehen ganz parallel, vollstgndig symmetrisch, und die Winkel, welche die einzelnen Knochen miteinander bilden, sind auf beiden Seiten beinahe ganz gleich groin; mii3t man jedoch die Phalangen und den Metatarsal- knochen der groBen Zehe einzeln, so finder man keine merkbare Differenz, resp. so kleine Differenzen, dal3 sie als Fehlerquellen angesehen werden kOnnen. Beim Messen des Knochensystems der anderen Zehen sind keine deutlichen L/~ng.endifferenzen zwischen rechts und links nachweisbar.

An den Konturen der Knochen ist keine wesentliche Ver/inderung merkbar, nur auffallend ist, dal3 die KnochenbMkchen der rechtsseitigen Zehenknochen etwas weniger scharf gezeichnet sind als die der linken.

An den Hi~nden ist am R5ntgenbild eine deutliche Differenz der Weichteile siehtbar. Die st/~rkste Differenz in der Dicke der Weichteile ergibt sieh am I)aumen, Zeige- und Mittelfinger, wogegen die Differenz an den restliehen zwei Fingern

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weniger ausgesprochen ist. Die Messung der Breite des Daumens an der Basis der Endphalange ergibt rechts 27, links 25 mm und am Zeigefinger rechts 26, links 241/2 ram. Die Knochen selbst sind an der Hand nicht ver~ndert, es ist weder eine Differenz in der L~nge, noch in der Struktur merkbar.

Die Aufnahme der Schs ergibt, wie Abb. 3 zeigt, eine recht grol~e, zicmlich flache Sella. (Der Schatten links oben entstammt einer Bleimarke.) Das Dorsum sellae und die beiden Processus clinoidei anteriores sind verschleiert und weniger deutlich konturiert, wie wenn das Knochengewebc daselbst auf- gelockert w~re; es macht den Eindruck, als ob sich dasclbst ein osteoporotischer ProzeB etablieren wiirde. Dcr Clivus ist steil und im VerhMtnis zum Dorsum sellae hell und scharf.

19. IX. 1923. Patient bekam in den letztcn 4 Wochen 5 Neosalvarsan- injektionen mit insgesamt 1,85 g Ncosalvarsan. Befindet sich sehr wohl, die

Abb. 3.

rote Farbe der rechtcn Hand ist dcutlich bliisser gewordcn, und man hat au6erdcm den Eindruck, dab die rechte Hand wie auch der rcchte FuB wcniger succulent sind.

19. XI[. 1923. Fiihlt sich wohl, sieht sehr gut aus, hat an Gewicht zugenom- men, seit 14 Tagen merkt er, dab die rechte Hand und der rechte Furl deutlich ldeiner u, erden. Die Hand ist weniger dick, dic Fu~l~nge betr~tgt jetzt 27,3 cm rcchts gegen 27 cm limks; Blut-Wassermann stark positiv.

R6ntgenaufnahme: Die Aufnahmc der Fiil~e und Hande geschah unter dcn- selben Bedingungen wie das vorige Mal; die L~nge des Knochensystems der gro6en Zehe betr~gt, genau so gcmessen wie friiher, rechts 142 ram, gegen 139 mm der linken Scite. Die Breite der Weichteile der groBen Zehe, in gleicher Art gemessen wie fl'tiher, ergibt rechts 33,5, links 32 ram. Die Differenz der Weichteile der Hand kommt auf diesem Bild in viel geringcrem MaBe zum Vorschcin als auf dem am 28. VIII. aufgcnommencn.

23. IV. 1924. Im Monat Januar hat er wieder 4 Neosalvarsaninjektionen bekommen, zusammen 1,95 g. Nimmt seit der Zeit noch Jodnatrium.

Er fiihlt sich wohl, nur manchmal hat er Kopfdruck und leichten Sehwindel.

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Die rechte Hand ist wesentlich besser geworden, sie verfiirbt sich in der Kfilte iiberhaupt nicht mehr; der rechte FuB ist in der letzten Zeit wieder etwas grSfler geworden. Die L~ngendifferenz ist jetzt 10 mm; rechts betr~gt die L~nge des FuBes 28 cm, links 27 cm. Die WaR. im Blur ist schw~cher geworden, aber noch positiv.

30. V. 1924. In den letzten 4 Wochen 4 Neosalvarsaninjektionen, zusammen 2,1 g. Ftihlt sich ganz wohl, hat keine Beschwerden.

Die Veranderung der rechten Hand hat sich so zurfickgebildet, dab man kaum eine Di//erenz zwischen den beiden Seiten sieht ; die Haut, welche friiher diinner und greisenhaft gef/~ltelt war, ist ]etzt yon normalem Aussehen, die abgehobenen Hautfalten haben dieselbe Dicke wig auf der Gegenseite, die starke Differenz der F/~rbung ist geschwunden, die rechte Hand ist jetzt nur noch um eine Spur r6ter als die linke. Bei genauerem Zusehen merkt man, dab die Oberfl/~che der Haut rGchts doeh noch eine Spur rauher ist. Der rechte Furl ist diesmal deutlich lcleiner geworden, indem nur eine Differenz yon 2 mm besteht (rechts 27,2 cm, links 27 em).

Die Atrophie der Haut des rechten FuBes und rechten Unterschenkels ist vollst~ndig geschwunden, die Hautbedeckung beider FiiBe und Unterschenkel ist jetzt ohne Differenz.

4. VI. 1924. R6ntgenaufnahme: Diesmal wurde yon der Planta her belichtet und die Platte (Film) fiber dem Dorsum der Ffil]e placiert, sonst war die Art der AufnahmG gleich.

Auch bei diGser Aufnahme zeigte sich, dab das ganze Knochcnsystcm der rGchten groBen Zehe, in gleicher Art gemessen wie bei der friiheren Aufnahme, etwas 1/~nger ist, und zwar betr/~gt bei dieser Aufnahme die L~nge rechts 133 mm, links 131 ram.

Die Weichteile der groBen Zehen ergeben, an der gleichGn Stellc wie frtiher gemcssen, eine Breite yon 33 mm, links 31 mm.

20. XII. 1924. Zustand unvGr/~ndert. 26. II. 1925. Zustand unver/~ndGrt. R6ntgenaufnahme des Seh/~dels: Die GrSl]e der Sella wie friiher, die Gegend

des Dorsum sellae und der Processus elin. anter, sind scharf kontuiert, die Processus clin. anter, selbst sind plumper als bei der ersten Aufnahme. DGr iibrige Schi~del- befund ergibt normale Verh/~ltnisse.

I n diesem Fa l le sehen wir 2 verschiedene S y m p t o m e n k o m p l c x e ab- laufen.

Der erste Symptomenkomplex is t die l inkssei t ige Hemip leg ie : E in Spi~tluetiker, der eine n ich t nigher beschriebene Psychose du rc hge ma c h t ha t te , l i t t an epi lept ischen Anfi~llen und h a t t e beidersei ts angedeu te t en Babinski, aus welchen S y m p t o m e n nichts mehr als auf einen wahrschein- l ich luet ischen ProzeB im Gehirn geschlossen werden k a n n ; spi~ter ent-

wickel te sich progress iv in sehr schnel lem Tempo eine vol ls t~ndige Lhh- mung der l inken KSrperhi~lfte mi t schwers ten Spasmen, die nach einer

Schmierkur so schnell verschwanden, wie sie en t s t anden waren, und ganz restlos abgehei l t sind. Das schnelle Zurf ickgehen nach einer Schmier- kur spr icht dafiir , resp. beweist , dab es sich um einen gumm6sen ProzeB gehande l t ha t t e , dessen Sitz n icht in der R inde oder den oberen Pa r t i en der Hemisphere , sondern in den basa len Gebie ten zu suchen ist. E ine L u m b a l p u n k t i o n wurde n icht gemacht - - es hande l t c sich urn einen

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ambulanten, auswiirts wohnenden Patienten -- , die iibrigens bei dem jeden Zweifel ausschlieBenden Symptomenkomplex nicht nnbedingt notwendig gewesen ist.

Der zweite Symptomenkomplex umfa[]t die eigenartige VergrSfterung der rechtsseitigen Extremitgtenenden.

Die Art der VergrSBerung der reehten Hand und des rechten FuBes i~hnelt sehr einem akromegalen 1Jberwaehstum, das vornehmlich dureh die Zunahme der Weichteile zustande gekommen ist. Eine ausgesproehene Knochenvergnderung ist nicht vorhanden, wenn auch eine Undeutlich- keit der Knochenzeichnung angedeutet ist. Auffallend ist aber, dal3 das Knoehensystem der linken groBen Zehe (Metatarsus und Phalangen) am R6ntgenogramm, im Ganzen gemessen, um 2--3 mm l~nger ist als auf der anderen Seite. Diese Differenz ist etwas gering, sie ist so gering, dab man beim Messen der einzelnen Knoehen keine deutliehe Differenz be- merken konnte, aber die Differenz des ganzen Systems war stets konstant und gleieh, ob man auch die Aufnahme yon der Dorsal- oder Plantarseite maehte; bei stets gleieher Lage der Lampe und ganz gleieher Stellung der Knoehen betraf die Verl/~ngerung stets die kranke Seite; man k6nnte noch denken, dab die Knochenverlangerung nur eine scheinbare war und dadurch entstanden sein kann, dab infolge der dickeren Weichteile die Knoehen der erkrankten Seite etwas weiter yon der Platte entfernt waren. Wenn das richtig w~tre, dann mtiBte die Lgngendifferenz alle Zehen betreffen, wogegen sie sieh stets nur auf die grofle Zehe des akro- megMoiden FuBes beschr/inkte; deshMb kann man hier doch mit gr66ter Wahrseheinlichkeit annehmen, dab es sich um ein, wenn auch geringes (vielleicht initiales) L~ngenwachstum des Knoehensystems handelt. Es ist nicht unwahrscheinlieh, dab diese Verl~ngerung ganz oder vor- nehmlich auf ein Dickerwerden der Gelenksknorpel zurfiekzufiihren ist, denn die Gelenksspalten erseheinen auf dem RSntgenogramm etwas weiter.

Weiter ist zu betonen, da6 der Kranke ann~hernd in der Zeit des Be- ginnes des Gr6[tenwaehstums impotent geworden ist. H~tten wir nicht die HMbseitigkeit des 13berwachstums, so w/~re das Ngchstliegende, an eine Hypophysenaffektion zu denken, woffir um so mehr der Umstand spreehen wtirde, dab der Kranke eine wesentlieh geringere Behaarung aufweist, als es sonst einem Manne entsprieht.

Nml haben wir in diesem FMle aber noch Momente, wetche das Krankheitsbild sehr komplizieren und gro6e Sehwierigkeiten der Er- klarung dieses sonderbaren Falles bereiten. Diese sind:

1. das r6ntgenologische Verhalten der Sella turcica, 2. die Halbseitigkeit des akromegalieghnlichen Uberwachstums und 3. dessen Zusammentreffen mit der halbseitigen Akrocyanose nnd

Hautatrophie,

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4. dis Rfickbildung der Akrocyanose und des Uberwaehstums nach Neosalvarsanbehandlung.

Das einzige Eindeutige dieser 4 Momente ist das sub 4 erwEhnte: Der Rfickgang nach Neosalvarsan beweist soviel wie mit absoluter Sichcrheit, dab sowohl die Akroeyanose als auch das Gr56enwachstum der ExtremitEtenenden auf luetische Prozesse zurfickzuffihren ist. Die Einseitigkeit dieser Prozesse li~Bt -- Rfickenmarksver~nderungen kSnnen mangels jeglicher Rfickenmarkssymptome aus der Rechnung ausge- schieden werden -- nur auf irgendeinen cerebralen ProzeI~ schlie~en.

Nun befinden sich Uberwachstum und Akrocyanose auf derselben Seite, u n d e s fragt sich, ob diese beiden Veriinderungen nicht irgendwie zusammenh~ngen kSnnen.

Diese Frage ist Eu[terst schwer zu beantworten, da das Kapitel fiber die vasomotorischen Neurosen noch zu den dunkelsten der Neu- rologie gehSrt; denn wegen der verhMtnismEi~igen Seltenheit einschl~tgi- ger FMle sind unsere Kenntnisse der klinischen Symptomatologie noch recht ungenfigend, und yon der pathologischen Anatomie dieser Erkran- kungen wissen wir soviel wie gar nichts. Immerhin ist bereits bekannt, da[~ im Verlaufe einer Akrocyanose auch akromegalieEhnliche Ver~nde- rungen an den befallenen ExtremitY, ten auftreten.

Cassierer, dessen Arbeiten uns etwas genauere Kenntnisse fiber dieses sonderbare Krankheitsbild brachten, sagt in seiner Monographie (Die vasomotorischen Neurosen. II. Auflage) fiber die sp~rlich bekann- ten FElle dieser Art: ,,Die Art der Cyanose wie die Volumsvermehrung sind recht charakteristisch; die Cyanose ist an den HEnden meist starker entwickelt, ebenso wit fibrigens auch die Volumsvermehrung, ist per- manent, meist im Anfang yon wechselnder Intensit~t. Die Temperatur der Hand ist auffallend niedrig, hi~ufig besteht Hyperhydrosis. Die Ver- grSi~erung betrifft nicht dig Knochen, sondern die Haut, die aufgelockert erscheint und wahrscheinlich besonders das Unterhautgewebe. Darauf mag es beruhen, da6 die Endphalangen wenig vergrSitert erscheinen und das Bild yon dem der Trommelschlegelfinger abweicht. Die t Iaut ist nirgends verhi~rtet, eher weicher als normal, nicht mit der Unterlage verlStet. Das Aussehcn der HEnde erinnert an die Main succulente bei der Syringomyelie."

Das Krankheitsbild unseres Falles unterscheidet sich nun -- abgese- hen yon der Halbseitigkeit -- yon dem yon Cassierer geschilderten recht wesentlich; eine J~hnlichkeit besteht nur insofern, als Akrocyanose und VergrSBerung der Extremitgutenenden zusammenfallen. Dagegen sind folgende Differenzen :

1. Die Haut ist in unserem Falls nicht succulent, beteiligt sich nicht an der VergrS~erung, sit ist vielmehr atrophisch.

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(:rberwachstum der Extremitiitenenden auf luetischer Basis. 307

2. Die Hauttemperatur ist nicht niedriger als auf der gesunden Gegenseite.

3. Die VergrOl~erung betrifft beinahe ausschliel31ich die Weichteile mit Ausnahme der Haut, und

4. es scheint wenigstens, dab auch eine sehr geringe Knochenver- l~ingerung vorliegt.

Nun sind aber auch FMle bekannt geworden, bei denen neben einer Akrocyanose eine Hautatrophie vorkommt; fiber diese F/~lle sagt Cassierer 1. c. : ,,Die Symptome bestehen in einer blauroten Verf/~rbung, einer Fi~ltelung und Zerknitterung der Haut (wie Zigarettenpapier); die Haut li~l~t sich leichter in Falten erheben."

Das Zusammenfallen einer atrophierenden Akrocyanose mit akro- megaloider VergrSl}erung ist symptomatologisch etwas Neues und be- weist, dMl die VergrSf~erung nicht auf irgendwelche zirkulatoriseh- 5dematSse Prozesse zuriickgefiihrt werden kann, da hierbei auch die Haut miteinbegriffen sein mfil~te.

Mit einer solchen Tatsache kSnnte und mul~ man sich schliei~lich ab- linden. Kann man aber die Hautatrophie und die akromegaloide Ver- grS[lerung ohne weiteres unter einen Hut bringen? Kann mart sich vorstellen, da{~ ein und derselbe, hler wohl zentrMe ProzeB an einem und demselben Gliedabschnitte gleichzeitig Atrophic und Hypertrophic verursacht? Da eine solche Vorstellung etwas unwahrscheinlich er- scheint, muf~ man eine weitere pathogenetische Analyse versuchen; hierzu k6nnten folgende Uberlegungen fiihren : Die Akrocyanose und die Hautatrophie sind 2 Prozesse, die man bereits nebeneinander beob- achtet hatte, und die leicht zusammengebracht werden k6naen als Folge- zustand einer und derselben trophisch-vasomotorischen St6rung; das acrale Uberwachstum w/~re dann ein Prozefl ffir sich; dieser erinnert in seiner ganzen Morphologie an das akromegale Gr613cnwachstum, das dutch Hyperfunktion des driisigen Teiles der Hype, physe verurs~eht wird. Nun ergibt das R6ntgenbild in unserem Falle aber keinen Anhalts- punkt fiir eine Hypophysenvergr611erung, was stark gegen eine hypo- phys/ire Wirkung ins Gewicht fMlt ; welter ist die hemiplegische Form des Uberwachstums etwas noch nicht Beobachtetes, was auch gegen eine hormonale Wirkung spricht. Hingegen mug betont werden, dab doch noch Momente vorhanden sind, welche auf eine Hypophysenst6rung hin- weisen kSnnten -- ich betone k6nnten --, und zwar die Hypotrichose und die Impotenz, welche sich gleichzeitig mit den) akromegaloiden 1Jberwachstum zeigte. Weiter fand der R6ntgenologe (Dr. Oskar Well), da~ am vorderen Teile der Sell~ die Knochcnzeichnung sehr unsch~rf und wie angefressen war, welche Ver/inderung nach der Salvarsan- behandlung wieder einer normalen scharfen Knochenrandzeichnung ge- wichen war. Das k6nnte als ein r6ntgenologisches Zeichen eines luetischen

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308 O. Fischer: Einseitiges (hemiplegisches) akromegalieithnliches

Prozesses gedautet werden und kOnnte auf eine Lues der tIypophyse schliel~en lassen. Luetische, d. h. gummSse Prozesse der Hypophyse, sind bereits raichlich bekannt gaworden, aber bei allen handelt es sieh um Hypopititarismus infolge ZerstOrung der Hypophyse durch den gum- mSsen ProzeB. Es gibt aber in der Literatur aueh noch Falle -- m. W. 8 an der Zahl --, die als Kombination von Akromagalie und Lues cerebri baschrieban sind. Die letzte Publikation dariibar stammt von Alice Rosenstein im 88. Band der Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psyehiatrie, woselbst auch alle bisher bekannt gewordenen F~lle der Literatur er- wahnt sind. Der Fall Rosenstein ist der einzige, bei dam es zu einer Obduktion kam. Es handelte sich um ein Madchen mit tartiarer Lues, bei dar siah infolge aines Hypophysenadenoms eina Akromegalie ent- wiekelt hatte. Es bestanden jedoch wader ausgesproehena klinische Symptome fiir aine luetische Mitaffaktion des Gehirns, noch war im Liquor etwas, was ftir eine luetische Affektion des Zantralnervensystems gesprochen hatte. Denn es land sich nur eine EiweiBvermahrung bei nega- tivem Wassermann; eine Zellvermahrung trat erst ain nach zweimaligar endolumbaler Seruminjaktion, was ja nach endolumbalen Serumin- jektionen eine selbstverstandliche Folge ist. Aber auch dar Obduktions- und histologische Befund enthalt nichts, was fiir eine luetischa Cerebral- affaktion sprache, so dal~ der Fall eigentlich nicht recht den Titel einer Kombination yon Akromegalie mit cerebralar Lues verdient, da es jam. E. nur eina typische Akromegalie bei einer tertii~ren, nicht cerebral lokalisiarten (Gaumenaffektion) Lues war.

In den iibrigen 7 Fallen der Literatur ist in keinem Falle eine Ob- duktion gemacht worden, in wenigen Fallen liegt ein ftir Lues sprechender Liquorbafund vor. Bei den meisten Fallen hat man die Diagnose gestallt, weil sich nach einer antiluetischen Kur manehmal die Beschwerden, wie Kopfschmerzen und evtl. vorhandene Diplopien gebessert haben oder geschwunden sind.

Ubrigens unterscheiden sich alle die Falle prinzipiell in keiner Weise von dar gewShnlichen Akromegalie, denn in allen Fallen, wo eine RSnt- genaufnahme gamaeht worden war, ist auch eine VergrSgarung der Sella tureica gefunden worden, und, wie Rosenstein mit Reeht betont, kann man sich nicht auf den Standpunkt stellen, dab die Lues mit der Adenombildung irgendwie in Zusammenhang gebracht werden kfnnta; man mug also Lues und Akromegalie --wenigstens sowait es sieh auf die bishar bekannten Fi~lle bezieht -- als zufallige Kom- binationen ansehen.

Aus dem bisher Angafiihrten ergeben sich keine einwandfreien Be- weise fiir eine luetische Affektion der Hypophyse, aber immerhin ergibt sich so viel, dag die M6glichkeit einer luetischen Hypophysenaffektion diskutabal ist; dann miil~te man zur Folgerung gelangen, da6 ein gum-

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l~berwachstum der Extremitlitenenden auf luetischer Basis. 309

tosser ProzeB unter gewissen Umst~nden auch einen Reiz und einen Hyperpituitarismus hervorrufen kann.

Dazu kommt das Sonderbare unseres Falles: die akromegaloide Ver- gr6flerung einer K6rperMil/te/ Im ersten Moment sieht es so aus, wie wenn bei einer solchen Saehlage eine hormonale Wirkung nicht denkbar w~re, doch beim weiteren Naehdenken fiber den Mechanismus des zur Akro- megalie ffihrenden Reizvorganges gelangen wir doch zum SchluB, dab trotz der hormonalen Reizt~tigkeit ein akromegales l)berwaehstum ohne Mitwirkung des Zentralnervensystems als bestimmenden trophischen Faktors nicht recht denkbar ist; dann erscheint eine hemiplegische Form mSglich und eine bilaterale Anordnung eines solchen ,,trophischen Zen- trums" als etwas Selbstverst~ndliches.

Bei dieser Sachlage k~men ffir unseren Fall zwei weitere spezielle Er- kli~rungsmSglichkeiten in Betracht :

1. Der cerebrale ProzeB, welcher die halbseitige Akrocyanose verur- sachte, wirkte bei vorhandenem Hyperpiteritarismus reizfSrdernd, so dab auf dieser Seite die akromegaloide VergrSBerung einsetzte (vielleicht nur frfiher als auf der Gegenseite; bei l~ngerer Krankheitsdauer h~tte sie vielleicht auch diese betroffen ?).

2. Kann man auch an eine cerebrale halbseitige Reizhemmung den- ken: zu dieser Annahme kSnnte der Umstand ffihren, dab auf der yon der akromegaloiden VergrOBerung freigebliebenen KSrperh~lfte eine Hemiplegie bestanden hatte; diese Hemiplegie ist zwar nach einer Queck- silberschmierkur klinisch ganz ausgeheilt, doch hat der gumm6se Pro- zeB, der die Hemiplegie verursacht hatte, sicher noch irgendwelche, wenn auch vielleicht r~umlich minimale narbige Ver~nderungen hinterlassen mfissen, und diese whren as, welche zu der Reizhemmung gefiihrt haben konnten.

SchlieBlich ist noch zu erw~hnen, da$ der Patient die Akroeyanose der Hand auf ein l~nger dauerndes K~ltetrauma zurfickffihrt; der Um- stand jedoch, dab die Akrocyanose halbseitig war, stellt die zentrale J~tiologie in den Vordergrund.

Der obige Fall stellt, soweit ich die Literatur fibersehe, ein Unikum dar; nur in gewisser Hinsicht nahert sich ihm ein Fall yon Barilli aus dem Jahre 1844 (zitiert nach Schlesingers Akromegalie im Handbuch yon Nothnagel), der ihm nut insofern ~hnelt, als auch da yon einer erwor- benen akromegaloiden Vergr6Berung vom hemiplegischen Charakter berichtet wird :

,,Bei einer Frau stellte sich nach einer Entbindung in den 20er Jahren eine Vergr6Berung der rechten K6rperh~lfte ein, welche nach einem Stoke gegen das rechte Bein noch zunimmt. Die Weichteile rechts werden elefantistisch verdickt, Haare, Augenbrauen und Z~hne fallen aus; der rechte Arm ist urn einen Zoll li~nger als der linke und doppelt

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310 O. Fischer : Einseitiges (hemiplegisches) akromegalieahnliches l~berwachstum,

so dick; Hypertrophie der Weichteile am rechten Bein ist noch sti~rker. Tod im 47. Lebensjahre.

Obduktion: Die rechte Schadelh~lfte weiter als die linke, die rechte H~lfte des Kopfes vergrSBert; das Gehirn reehts 185, links 170 mm lung, rechts 90, links 70 mm breit; die Thoraxh/~lfte rechts welter, die Rippen dicker, die Gefi~Be rechts erweitert und stark gefiillt, das subcutane Gewebe rechts derb."

Von der Hypophyse ist nichts erwi~hnt; der Fall ist deshalb cum grano salis zu nehmen; es fehlt eine J~uBerung fiber die Knoehen der Extremit~ten; das auffi~llige ~Tberwachstum der ganzen rechten KSrper- hi~lfte ist sehr sonderbar und nicht recht versti~ndlich, doch kOnnte das Ausfallen der Z~hne und Haare fiir ein Zeichen einer Hypophysen- affektion aufgefaBt werden.

Unser Fall bietet dadurch, daB er ein Unikum darstellt, daf~ die StSrung im Initialstadium zur Abheilung gelangte -- und dadurch vielleicht nur zu einer noch markanteren wurde --, und dab es zu keiner Obduktion gekommen ist, einer pathogenetischen Kl~rung groBe Hinder- nisse; immerhin li~Bt sich aus dem vorhandenen Symptomenkomplex folgendes Feststehende herausgreifen:

1. Drei eigenartige trophische StSrungen: Akrocyanose, acrale Haut- atrophie und akromegaloide Extremi~tenvergrS/3erung, kSnnen in hemi- plegischer Form vorkommen.

2. Eine solche Lokalisation beweist die direkte Abh~ngigkeit yore Gehirn, da auf eine andere Weise -- eine Rfickenmarkaffektion konnte ausgeschlossen werden -- eine hemiplegische Anordnung nicht denkbar ist.

3. Wir haben einen weiteren Beweis ffir eine cerebrale Lokalisation trophischer Einfliisse.

4. Die hemiplegische Anordnung beweist eine puarige, symmetrische Anordnung der in Betrucht kommenden Zentren, resp. Bahnen.

5. Die gunze Entwicklung und die Heilung nach antiluetischer Be- handlung beweist eine luetische, engumschriebene Affektion, woraus

6. folgt, dal] es sich um eine anatomische Lhsion einer Stelle handelt, der auch anatomisch Zentrumscharakter zukommt.

7. Zeigt es sich, dab die drei sub 1) angeffihrten trophischen StSrun- gen abheilen kSnnen, was wiederum auf eine Heilung der anatomischen Liision schlieBen li~$t.

Alles fibrige, also speziell das fiber die HypophysenstSrung Gesagte, kann nicht Beweischarakter haben, doch ist es mit Riicksicht auf die sonderbaren Verh~ltnisse des Falles in den Bereich der MSglichkeit gerfickt und wurde hierbei deshalb besprochen, weil dadurch wieder die Vorstellung diskutabel wird, dub bei der Akromegalie und i~hnlichen trophischen StOrungen auBer einer humoral-hormonalen auch eine trophisch-cerebrale _Funktion mitbestimmend in Betracht kommt.