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Umweltpolitik Master-Modul, 02.12.09 Dr. Markus Wissen

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Page 1: Umweltpolitik Master-Modul, 02.12.09 Dr. Markus Wissen

Umweltpolitik

Master-Modul, 02.12.09Dr. Markus Wissen

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Zwei Hauptpunkte

1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

2. Politikwissenschaftliche Zugänge zu internationaler Umweltpolitik

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

• Zögerliche Annäherung der Sozialwissenschaften an die Ökologie-Problematik

• Zwei Gründe (vgl. Brand 1998)1. Naturalistische Wahrnehmung und Problematisierung

der ökologischen Krise: Rekurs auf die „Gesetzmäßigkeiten“ der Natur, mit dem Ziel

- einer „wissenschaftlichen“ Fundierung der Kritik an der Industriegesellschaft (Atomenergie, SO2-Emissionen, Ozonloch, Dioxine, Müllentsorgung)

- und einer Bestimmung der normativen Maßstäbe einer „an die Natur angepassten“ Lebensweise

Gefragt waren naturwissenschaftliche „Gegen-Experten“, nicht aber SozialwissenschaftlerInnen

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

(deutsche) Universitäten: Das „Verhältnis bei den umweltspezifischen Schwerpunkten in Studiengängen (beträgt) etwa achtzig zu zwanzig zugunsten der technisch-naturwissenschaftlichen Angebote gegenüber solchen aus den Sozial-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. (…) Umweltschutz wird auch dort, wo von präventiven Maßnahmen die Rede ist, vornehmlich als Aufgabe begriffen, die adäquate Umweltschutztechnik zu entwickeln. Die Kompetenzzuweisung erfolgt an die Adresse der technischen und naturwissenschaftlichen Institute an und außerhalb der Universitäten und Fachhochschulen.“ (Schmidt 1993)

Gesellschaftlicher Hintergrund der zögerlichen Annäherung

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

2. Etablierung eines eigenen Forschungsgegenstands der Sozialwissenschaften seit dem späten 19. Jhdt. Unterscheidung zwischen „organischen“ und

„psychischen Erscheinungen“ (als Gegenstand der Naturwissenschaften bzw. der Psychologie) und „soziologischen Tatbeständen“ (Durkheim)

Grundsatz, „Soziales nur durch Soziales zu erklären“

Wissenschaftsimmanenter Hintergrund der zögerlichen Annäherung

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

• Wie kam es dann doch zur Herausbildung einer sozialwissenschaftlichen Umweltforschung?

1. Wissenschaftsimmanent: sozialwissenschaftliche Erklärungsprobleme Keine Antwort auf die Frage: „Welchen Einfluss

haben materielle Gegenstände, natürliche Gegebenheiten und technische Artefakte auf die Entwicklung von Gesellschaften; wie lassen sich diese Einflüsse der natürlichen Umwelt auf soziale Phänomene theoretisch erfassen und empirisch untersuchen?“ (Jahn und Wehling 1998: 78)

Sozial-ökologische Forschung

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

Ökologische Probleme: nicht bloß Gegenstand von policy-Forschung oder einer neuen „Bindestrich-Soziologie“ (Umwelt-Soziologie), sondern eine systematische Anfrage an Sozialwissenschaft- Generell: Soziale Prozesse haben einen

ökologischen Gehalt und umgekehrt. “[A]ll ecological projects (and arguments) are

simultaneously political-economic projects (and arguments) and vice versa. Ecological arguments are never socially neutral any more than socio-political arguments are ecologically neutral.” (David Harvey)

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

- Politikwissenschaft: Ökologische Probleme transzendieren den Nationalstaat und damit auch die traditionelle Trennung von Innen- und internationaler Politik Multiskalare Perspektive erforderlich

- Politikwissenschaft: die Politisierung ökologischer Probleme als Motor gesellschaftlicher und institutioneller Veränderungen Debatte um „ökologische Modernisierung“

(Jänicke)

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

2. Gesellschaftlich/politisch: Institutionalisierung von Umweltpolitik und neue politische Akteure

– Ökologiebewegung – Internationale umweltpolitische Organisationen (UNEP) und

Regime (seit den 1970er Jahren) (Bsp. Artenschutzabkommen oder Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht)

– Schaffung von nationalen Umweltministerien (1980er Jahre) Politikwissenschaftliche Fragestellungen:

Wie werden ökologische Probleme politisiert? Wie kommt es zu zwischenstaatlicher umweltpolitischer Kooperation

und wie wirkt diese auf nationale Politik zurück? Welche Rolle spielen dabei Macht und Herrschaft? Wie lassen sich Probleme bei der Implementation umweltpolitischer

Maßnahmen erklären und lösen?

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1. Ökologie – (k)ein Thema für die Sozialwissenschaften

Fragen?

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge zur internationalen Umweltpolitik

Drei Zugänge:1. (Neo)Realismus2. Institutionalismus3. Historisch-kritische Ansätze Nicht erschöpfend, aber drei große Schulen in den

Internationalen Beziehungen

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: (Neo)Realismus

(Neo)Realismus• Grundannahmen

• Staaten als zentrale Akteure internationaler Politik

• fehlendes Gewaltmonopol (unterscheidet die zwischenstaatlichen von den innerstaatlichen Beziehungen)

• Anarchie (sofern es keinen Hegemon gibt, der mittels Androhung von Gewalt eine hierarchische Struktur etabliert)

• Sicherheit als zentrales Problem der internationalen Beziehungen

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: (Neo)Realismus

• Umwelt- und Ressourcenpolitik aus (neo)realistischer Perspektive:

„It is time to understand ‚the environment‘ for what it is: the national security issue of the early twenty-first century. The political and strategic impact of surging populations, spreading desease, deforestation and soil erosion, water depletion, air pollution, and possibly, rising sea levels in critical overcrowded regions like Nile Delta and Bangladesh – developments that will prompt mass migration and, in turn, incite group conflicts – will be the core foreign policy challenge from which most others will ultimately emanate“ (Robert D. Kaplan 1994)

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: (Neo)Realismus

• Zentrales Problem: – Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit im

Süden (Wasser, Land etc.) als (mögliche) Ursache von politischer Instabilität, die auf den Norden übergreift

– Verknappung der globalen Öl- und Gasvorkommen– Konkurrenz um Ressourcen, die durch den

Klimawandel erst zugänglich werden

• Herausforderung: environmental security nicht: menschliche Sicherheit im Sinne der Sicherheit

vor Hunger, Krankheit und Umweltzerstörungen, sondern Sicherheit nationaler Territorien, die letztlich

militärisch zu gewährleisten ist

Territoriale Perspektive

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Institutionalismus

Institutionalismus Global-Governance-Ansatz, Regimetheorie• Grundannahmen

• Zunahme grenzüberschreitender Probleme• Bedeutungsgewinn von nicht-staatlichen

Akteuren in der internationalen Politik (NGOs, Unternehmen und ihre Interessenvertretungen, wissenschaftliche Netzwerke wie IPCC)

• Bedeutungsgewinn von public-private- und private-private Normsetzungen (Bsp. FSC)

• Bedeutungsgewinn anderer räumlicher Ebenen internationale Politik als Mehrebenen-Politik

• Gestaltung von Governance-Prozessen als zentrales Problem der internationalen Beziehungen

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Institutionalismus

• Umwelt- und Ressourcenpolitik aus institutionalistischer Perspektive

„The globalization of environmental problems, from global climate change to the loss of biodiversity, creates new interdependencies between nation states that require new regulatory institutions at the global level.“ (Frank Biermann 2006)

• Zentrales Problem: globale, „aggregierte“ Umweltprobleme

• Herausforderung: internationale und transnationale Kooperation im Rahmen von Governance-Prozessen

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Institutionalismus

• Wie passen die Ebenen der politischen Entscheidungsfindung räumlich mit den ökologischen Problemebenen zusammen? (institutional-fit-Problem – Oran Young)

• Wie interagieren umweltpolitisch relevante Institutionen miteinander? (institutional-interplay-Problem – Oran Young)

• Bsp. Europäische Wasserrahmenrichtlinie Globale bzw. Mehrebenen-Perspektive

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Historisch-kritische Ansätze

Historisch-kritische Ansätze Neo-Gramscianismus, Internationalisierung des Staates,

feministische Ansätze u.a.• Grundannahmen

• Globalisierung ist kein „naturwüchsiger“ Prozess, sondern immer schon politisch konstituiert ( z.B. WTO).

• Der Zusammenhang zwischen dem Globalen und dem Lokalen ist zentral ( Alltagspraxen, Geschlechterverhältnisse).

• Zivilgesellschaft ist kein machtfreier Raum, kein demokratisches Korrektiv internationaler Organisationen, sondern ein Konfliktfeld, auf dem unterschiedliche Partikularinteressen um ihre Verallgemeinerung kämpfen ( Hegemonie-Problematik, vgl. Ronnie Lipschutz 2003).

• Hegemonie: diskursiv und institutionell.• (Internationale) Institutionen als materielle „Verdichtungen“

gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse (Nicos Poulantzas).

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Historisch-kritische Ansätze

• Umwelt- und Ressourcenpolitik aus historisch-kritischer Perspektive:

„global environmental negotiations as a starting point for negotiations over the unequal consumption of resources rather than for the protection of the environment from the excesses of industrial capitalism“ (Linnér and Jacob 2005)Macht als Fähigkeit von Akteuren „to control their own interaction with the environment and the interactions of other actors with the environment“ (Bryant and Bailey 1997)

• In die Natur schreiben sich gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse ein.

• Ökologische Krise ist nicht einfach eine Umweltkrise, sondern eine grundlegende Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse.

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Historisch-kritische Ansätze

• Umweltprobleme sind nicht einfach gegeben, sondern Problemdefinition ist umkämpft. Lipschutz: „power to ‚set the agenda‘“ ist zentral.– Beispiel Klimawandel: Problem der Energieeffizienz und

der Verfügbarkeit moderner Technologien oder Problem fossilistischer Produktions- und Konsummuster?

– Wichtige Rolle wissenschaftlichen Wissens bei der Definition von Umweltproblemen

• Problematik aggregierter Daten (z.B. zur CO2-Konzentration in der Atmosphäre) Sie machen lokale Besonderheiten und soziale

Verhältnisse unsichtbar. Feministische Kritik (z.B. Bauhardt 2009)

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Historisch-kritische Ansätze

• Umweltpolitische Institutionen sind strukturell selektiv.– Begünstigung bestimmter Interessen sowie

Problemdefinitionen und -lösungen, Marginalisierung anderer

– Bsp. UNFCCC: favorisiert marktförmige und technische Lösungsansätze gegenüber einem grundlegenden Wandel gesellschaftlicher Produktions- und Konsummuster

• Umweltpolitik findet „im Schatten“ anderer Politikbereiche statt.

Bsp. Handels- und Finanzpolitik von WTO und IWF ( Liberalisierung, Exportförderung, Produktion von cash crops)

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2. Politikwissenschaftliche Zugänge: Historisch-kritische Ansätze

• Ökologische Krise ist nicht einfach eine „Menschheitskrise“, es gibt unterschiedliche Verantwortlichkeiten, Betroffenheiten und Möglichkeiten, sich den Auswirkungen der ökologischen Krise zu entziehen (Bsp. New Orleans).

Ökologie als Verteilungsfrage

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Fazit • Politikwissenschaftliche Geschichte der

Ökologieproblematik:Von der zögerlichen Wahrnehmung zur systematischen Herausforderung

• Politikwissenschaftliche Zugänge zur internationalen Umweltpolitik:

• (Neo)Realismus: – Problem: absolute Knappheiten und politische Instabilitäten– Herausforderung: (sicherheits-)politische Stabilisierung

• Institutionalismus:– Problem: globale anthropogene Krise– Herausforderung: effektive Institutionen

• Historisch-kritische Ansätze:– Problem: vorherrschende Produktions- und Konsummuster– Herausforderung: Überwindung herrschaftsförmiger

gesellschaftlicher Naturverhältnisse

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Literatur• Zum Verhältnis von Ökologie und Sozialwissenschaften:

– Karl-Werner Brand (Hrsg. 1998): Soziologie und Natur. Theoretische Perspektiven. Opladen: Leske & Budrich

– Ulrich Beck (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp

– Niklas Luhmann (2008/1985): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? Wiesbaden: VS

• (Neo)realismus: siehe u.a. Foreign Affairs• Institutionalismus:

Klaus Jacob, Frank Biermann, Per-Olof Busch, Peter H. Feindt (Hrsg. 2007): Politik und Umwelt. Sonderheft 39 der PVS. Wiesbaden: VS

• Historisch-kritische Ansätze:– Christine Bauhardt (2009): Ressourcenpolitik und

Geschlechtergerechtigkeit. In: PROKLA. Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft

– Ulrich Brand, Christoph Görg, Joachim Hirsch, Markus Wissen (2008): Conflicts in Environmental Regulation and the Internationalisation of the State. Contested Terrains, London/New York: Routledge