unesco biosphaere weissbuch leben in vielfalt

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Inhaltsverzeichnis Vorwort Prof. Dr. Georg Grabherr, Vorsitzender des MAB-Komitees 5 Einleitung Prof. Dr. Axel Borsdorf, Projektleiter 8 I) Biosphärenreservate im MAB-Programm der UNESCO „Man and the Biosphere“ – vom Wissenschaftsprogramm zur Nachhaltigkeitsstrategie für das 21. Jahrhundert Der Anfang einer Idee – die Biosphärenkonferenz in Paris 10 Von der Idee zur Umsetzung – das Weltnetz der Biosphärenreservate 11 Der Begriff „Biosphärenreservate“ 16 Die Organisation des MAB-Programms 17 Die Partner im MAB-Programm 19 Biosphärenreservate als Modellregionen für eine nachhaltige Entwicklung Von den Problemen der Anfangsphase 21 „Mehr als nur Schutzgebiete“ – die Sevilla-Strategie und ihre Folgen 22 Die Umsetzung des MAB-Programms in Österreich 28 Nationale Zuständigkeiten 30 Die nationale MAB-Forschung 32 Evaluierung der Forschung in österreichischen Biosphärenparks 33 Ein Beitrag von Daniel Zollner und Michael Jungmeier, E.C.O. Biosphere Reserves Integrated Monitoring (BRIM) 37 Ein Beitrag von Marina Fischer-Kowalski (IFF) und Karl Reiter (IECB) Die internationale Schutzkategorie „Biosphärenpark“ in Österreich 40 Mögliche Neuzugänge für das Weltnetz der Biosphärenreservate 42 Biosphärenparks – Anspruch und Wirklichkeit 45 Biosphärenparks als Chance im Zeitalter der Globalisierung Impulse für die Regionalentwicklung 48 Biosphärenreservate als Frühwarnsysteme für Umweltveränderungen 52 II) Österreich – Blickpunkt Natur Die landschaftliche und biologische Vielfalt Österreichs 54 Ein Beitrag von Andrea Stocker-Kiss und Thomas Wrbka, Universität Wien Die Bedeutung der Bergökosysteme für die biologische 60 und kulturelle Vielfalt in Österreich Ein Beitrag von Birgit Karre und Norbert Weixlbaumer, CIPRA-Österreich Vielfalt in Gefahr: Wodurch ist Österreichs Biodiversität bedroht? 66 Ein Beitrag von Franz Maier, Umweltdachverband

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Page 1: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Inhaltsverzeichnis Vorwort Prof. Dr. Georg Grabherr, Vorsitzender des MAB-Komitees 5

Einleitung Prof. Dr. Axel Borsdorf, Projektleiter 8

I) Biosphärenreservate im MAB-Programm der UNESCO

„Man and the Biosphere“ – vom Wissenschaftsprogramm zur Nachhaltigkeitsstrategie für das 21. Jahrhundert Der Anfang einer Idee – die Biosphärenkonferenz in Paris 10

Von der Idee zur Umsetzung – das Weltnetz der Biosphärenreservate 11

Der Begriff „Biosphärenreservate“ 16

Die Organisation des MAB-Programms 17

Die Partner im MAB-Programm 19

Biosphärenreservate als Modellregionen für eine nachhaltige Entwicklung Von den Problemen der Anfangsphase 21

„Mehr als nur Schutzgebiete“ – die Sevilla-Strategie und ihre Folgen 22

Die Umsetzung des MAB-Programms in Österreich 28

Nationale Zuständigkeiten 30

Die nationale MAB-Forschung 32

Evaluierung der Forschung in österreichischen Biosphärenparks 33 Ein Beitrag von Daniel Zollner und Michael Jungmeier, E.C.O.

Biosphere Reserves Integrated Monitoring (BRIM) 37 Ein Beitrag von Marina Fischer-Kowalski (IFF) und Karl Reiter (IECB)

Die internationale Schutzkategorie „Biosphärenpark“ in Österreich 40

Mögliche Neuzugänge für das Weltnetz der Biosphärenreservate 42

Biosphärenparks – Anspruch und Wirklichkeit 45

Biosphärenparks als Chance im Zeitalter der Globalisierung Impulse für die Regionalentwicklung 48

Biosphärenreservate als Frühwarnsysteme für Umweltveränderungen 52

II) Österreich – Blickpunkt Natur

Die landschaftliche und biologische Vielfalt Österreichs 54

Ein Beitrag von Andrea Stocker-Kiss und Thomas Wrbka, Universität Wien

Die Bedeutung der Bergökosysteme für die biologische 60

und kulturelle Vielfalt in Österreich Ein Beitrag von Birgit Karre und Norbert Weixlbaumer, CIPRA-Österreich

Vielfalt in Gefahr: Wodurch ist Österreichs Biodiversität bedroht? 66

Ein Beitrag von Franz Maier, Umweltdachverband

Page 2: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

5

III) Die österreichischen Biosphärenparks

Der Neusiedler See 70

Die Untere Lobau 76 Der Gossenköllesee 80

Der Gurgler Kamm 84

Das Große Walsertal 90

Der Wienerwald 96

IV) Beispiele aus der Praxis

Partizipationsprozesse Biosphärenpark Großes Walsertal – wie ein Leitbild entsteht 100

Biosphärenpark Wienerwald – Öffentlichkeitsarbeit und Partizipation 101

Nachhaltige Regionalentwicklung im Großen Walsertal Das Bergholz-Projekt 104

Touristische Partnerbetriebe 105

Qualitätsweine mit Prädikat – ein Kooperationsprojekt 106

Die „Köstliche Kiste“ 107

Erneuerbare Energien 107

(Umwelt)bildung im Großen Walsertal Wilde Walser Wege – Erlebnistage für Schulklassen 108

Landwirte aktiv im Ökotourismus: Exkursionsbetriebe 108

„Walserherbst“ – Kultur verbindet 110

Biosphärenparks – Instrumente für die Integration unterschiedlicher Schutzkategorien Beispiel Neusiedler See 111

Forschung und Umweltmonitoring in Biosphärenparks Forschungsprojekt Obergurgl – ein Vorzeigeprojekt im MAB-Programm 114

Hochgebirgsseen als Indikatoren für globale Umweltveränderungen 117

Nutzungskonflikte Gossenköllesee – Liftanlagen kontra Forschung und Naturschutz 119

V) Anhang

Schutzgebietskategorien in Österreich 122

Abkürzungsverzeichnis 127

Glossar 128

Page 3: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

10

1970 rief die UNESCO das Programm „Man and the Biosphere“ (MAB, „Der Mensch und die Biosphäre“) als reines Wissenschaftspro-gramm ins Leben. Seine Entstehung verdankt es einer Expertenkonferenz, die 1968 in Paris stattfand. 236 Delegierte aus 63 Ländern und 88 Repräsentanten von Regierungs- und Nicht-regierungsorganisationen diskutierten über die Nutzung und die Erhaltung unserer natür-lichen Lebensgrundlagen. Die UNESCO orga-nisierte die so genannte „Biosphärenkonferenz“in Kooperation mit den Vereinten Nationen,der Welternährungsorganisation FAO, der Weltgesundheitsorganisation WHO, der Welt-naturschutzunion IUCN und dem Internatio-nalen Biologischen Programm IBP. Die Experten betonten erstmals, dass die bio-logische Vielfalt auf lange Sicht nur dann er-halten werden kann, wenn der Schutz und die Nutzung der natürlichen Ressourcen Hand in Hand gehen. Damit führten die Teilnehmer

bereits 24 Jahre vor dem „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro (siehe Seite 13) das „Prinzip der Nach-haltigkeit“ als zukunftsweisende Perspektive ein.

Man and the BiosphereIn einer der 20 von der Konferenz verab-schiedeten Resolutionen erhielt die UNESCO den Auftrag, ein internationales Forschungs-programm einzurichten, das sich konkret mit dem Verhältnis Mensch und Natur beschäf-tigen sollte. Wichtig waren dem Gremium dabei der interdisziplinäre Charakter sowie die besondere Berücksichtigung der speziellenProbleme in den Entwicklungsländern. Soziale,wirtschaftliche und kulturelle Aspekte sollten ebenso aufgegriffen werden wie umweltpoliti-sche. Als Ergebnis der 16. Generalkonferenz der UNESCO beschlossen die Teilnehmer im Oktober 1970 das Programm „Der Mensch und die Biosphäre“. Es war thematisch in 14 Teilbereiche gegliedert und umfasste das ganze Spektrum der Ökosysteme des Fest-landes, des Süßwassers und der Küsten. Öko-nomen sollten an der Seite von Ökologen und Sozialwissenschaftlern arbeiten, um den politischen Entscheidungsträgern durch das Zusammenwirken der verschiedenen Diszi-plinen tragfähige Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung vorzule-gen. Österreich beteiligte sich ab 1973 mit einem interdisziplinären Forschungsprojekt, in dem der Einfluss des Tourismusbooms auf den Erholungsort Obergurgl in den Ötztaler Alpen untersucht wurde (siehe Seite 114).

Die „Biosphären-konferenz“ stellte erstmals die Weichen in Richtung einer weltweit nachhaltigen Entwicklung.

Im Jahr 2000 verlieh die UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten

Nationen, den „Sasakawa-Preis“ an Dr. Michel Batisse. Sie honorierte

damit das Engagement des französischen Wissenschaftlers für innovative

Forschungsprogramme. Sein wichtigster Erfolg war die Organisation

der „Biosphärenkonferenz“ im Jahre 1968, die zur Entwicklung des

MAB-Programms führte. Damit gehört Batisse zu den Schöpfern

des Leitbildes der „nachhaltigen Entwicklung“. Der Sasakawa-Preis

ist mit 200.000 US-Dollar dotiert. Er zählt zu den renommiertesten

Umweltpreisen der Welt. Seit 1984 wird er jährlich an Einzelpersonen

vergeben, die in besonderem Maße zum Schutz der Umwelt beitragen.

I) Biosphärenreservate im MAB- Programm der UNESCO

„Man and the Biosphere“ – vom Wissenschaftsprogramm zur Nachhaltigkeitsstrategie für das 21. Jahrhundert

Der Anfang einer Idee – die Biosphärenkonferenz in Paris

Das UNESCO-Programm –

Page 4: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

10

Das MAB-Programm gehört zu den inter-nationalen, zwischenstaatlichen Wissen-schaftsprogrammen der UNESCO. Zusam-men mit dem International Geological Corre-lation Programme (IGCP), dem International Hydrological Programme (IHP), der Inter-governmental Oceanographic Commission (IOC) und dem United Nations World Water Assessment Programme (WWAP) deckt es den Bereich der naturwissenschaftlichen For-schung der UNESCO ab.

Um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, mussten die wissenschaftlichen Arbeiten auf ausge-wählte Gebiete konzentriert werden. Im Rahmen des MAB8-Forschungsprojektes „Erhalt der natürlichen Lebensräume sowie der Vielfalt ihrer genetischen Ressourcen“ ent-wickelte sich die Idee, ein weltweites Schutz-gebietsnetz zu etablieren. Diese als „Biosphä-renreservate“ bezeichneten Gebiete sollten die logistischen Voraussetzungen für reproduzier-bare Forschungsexperimente schaffen, gleich-zeitig aber auch Orte der Bildung und Ausbil-dung sein. Damit war der Begriff „Biosphere Reserves“ offiziell eingeführt. 1974 legte eine Sonderarbeitsgruppe des MAB-Programms fest, welche Anforderungen an ein mit diesem Prädikat ausgezeichnetes Gebiet verbunden sind. Biosphärenreservate hatten demnach die Aufgabe, repräsentative Lebensräume zu erhal-ten, als Basis für die Erforschung von Mensch-Umwelt-Beziehungen zu dienen und eine welt-weit koordinierte Beobachtung von Umwelt-veränderungen zu ermöglichen. Zwei Jahre später wurde das Weltnetz der Biosphären-reservate gegründet. Koordiniert wird es vom MAB-Sekretariat in Paris. Heute (Juni 2004) bilden 440 Biosphärenreservate in 97 Staaten

In den 1970er Jahren wurde im Rahmen eines MAB-Projektes der Einfluss des Tourismusbooms auf den Erholungsort Obergurgl im Ötztal untersucht.Photo: Franz Michael Grünweis

Von der Idee zur Umsetzung – dasWeltnetz der Biosphärenreservate

Die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) ist eine autonome

Sonderorganisation der Vereinten Nationen (UNO) mit Sitz in Paris. Gegründet wurde sie kurz

nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Ziel, durch die Zusammenarbeit zwischen den Völkern

in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit

beizutragen. Im obersten Entscheidungsorgan, der Generalkonferenz, ist jeder der derzeit 190

Mitgliedsstaaten mit einer Stimme vertreten. Sie tritt alle zwei Jahre zusammen und legt dabei die

Arbeitsschwerpunkte fest. Die vereinbarten Ziele werden in vorbildhaften Modellprojekten und durch

den Austausch von Experten im Rahmen von Tagungen und Workshops umgesetzt. „Der Mensch

und die Biosphäre“ (MAB) ist nur eines der zahlreichen UNESCO-Programme. Mit diesem sollen

wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet werden, die ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der

biologischen Vielfalt, der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einer Region und der Bewahrung

der jeweiligen kulturellen Werte ermöglichen.

11

Page 5: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

12 Das UNESCO-Programm – 13

ein umfassendes Schutzgebietsnetz. Die Größe der jeweiligen Gebiete ist extrem unterschied-lich. Sie reicht von weniger als hundert (z.B. BR Gossenköllesee in Österreich mit nur 85 Hektar) bis zu mehreren Millionen Hektar Fläche (z.B. BR Tzentralnosibirskii: Taiga-Gebiet in Zentralsibirien mit etwa 5,3 Millio-nen Hektar).

Von den Polen bis zu den Tropen, vom Tiefland bis ins HochgebirgeBiosphärenreservate umfassen alle Ökosys-teme der Erde. Das Spektrum reicht von Ama-zonastieflandwäldern (z.B. BR Manu in Peru) über vulkanische Inseln einschließlich der an-grenzenden Küstengewässer (z.B. Galapagos- Archipel) bis hin zu extrem trockenen Lebens-räumen (z.B. Wüste Gobi der südwestlichen Mongolei) und Hochgebirgsökosystemen (z.B. im Glacier-BR in den nördlichen Rocky Moun-tains der Vereinigten Staaten von Amerika), um nur einige wenige zu nennen. Biosphären-reservate tragen zum Schutz wilder Verwandter unserer wichtigsten Nahrungspflanzen ebenso bei (z.B. BR Sierra de Manantlán in Mexiko: hier wächst Zea diploperennis, eine dem Kultur-

mais verwandte Wildart) wie zum Erhalt der kulturellen Werte und des traditionellen Wis-sens indigener Völker (z.B. BR Beni in Boli-vien: Heimat der Chimane-Indianer).

Gemeinsam Ziele verfolgenObwohl sich die nominierten Gebiete in geo-graphischer, naturräumlicher, ökonomischer und kultureller Hinsicht stark unterscheiden,verbindet sie ein gemeinsames Interesse. In den verschiedenen Erdteilen suchen sie jeweils nach regionalen Antworten auf die Frage, wie die natürlichen Ressourcen erhalten und nach-haltig genutzt werden können. Davon profitiert vor allem die Bevölkerung vor Ort. Der Zu-sammenschluss zu einem Weltnetz fördert die internationale Kooperation zwischen den Bio-sphärenreservaten. Forschungsergebnisse werden ausgetauscht, Konfliktlösungsstrategien auf ihre Übertragbarkeit geprüft und zentraleUmweltbeobachtungsstätten eingerichtet (MAB-MRI-Initiative, siehe Seite 53). Weitersführen die einzelnen Gebiete gemeinsame Projekte durch, besuchen einander gegenseitigoder tauschen Personal aus. Die Zeitschrift „Biosphere Reserves – Bulletin of the World Network“ bietet eine Plattform für den Aus-tausch von Informationen in englischer und französischer Sprache.

Netzwerkbildung Weiter unterstützt wird die Zusammenarbeit von regionalen, subregionalen und themati-schen Netzwerken. 1987 wurde beispielsweise EuroMAB gegründet. Es umfasst 31 Länder in Europa und Nordamerika und ist mit 225 Gebieten das größte aller MAB-Netzwerke. Zu den thematischen Netzwerken zählt CYTED (Programa Iberoamericano de Ciencia y Tecno-logía para el Desarrollo = IberoamerikanischesWissenschafts- und Technologieprogramm für Entwicklung). Ein CYTED-Projekt regt die enge Zusammenarbeit der lateinamerikanischen Bio-sphärenreservate mit dem Ziel an, die biologischeVielfalt effektiv und langfristig zu erhalten.

Biosphärenreservate umfassen alle Ökosysteme der Erde. Das Spektrum reicht von tropi-schen Regenwäldern über Hochgebirgs- und Wüstenlandschaften bis hin zu vulkanischen Inselgruppen, wie dem Galapagos-Archipel. Seit 1984 gehören die Inseln, die 1000 Kilo-meter vom ecuadorianischen Festland enfernt im Pazifik liegen, zum UNESCO-Gebietsnetz.Photo: Peter Schmid

Biosphärenreservate tragen zum Schutz der Kulturpflanzen-vielfalt ebenso bei, wie zum Erhalt des traditionellen Wissens indigener Völker.Photo: Sigrun Lange

Page 6: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

12 Das UNESCO-Programm – 13

Der „Erdgipfel“ von 1992 – Die Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro

Im Juni 1992 trafen sich rund 10.000 Vertreter aus 178 Staaten in Rio de Janeiro (Brasilien),

um Lösungen für die dringenden Probleme der Menschheit zu entwerfen. Themen wie Armuts-

bekämpfung, die wachsende Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sowie die

zunehmenden Umweltprobleme wurden auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED

= United Nations Conference on Environment and Development) diskutiert. Die als „Erdgipfel“

bekannte Konferenz stellte erstmals die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung unseres

Planeten. Ihre Ergebnisse sind auch heute noch die wichtigste Grundlage für die internationalen

Bemühungen um die Bewahrung der natürlichen Ressourcen für die nachkommenden

Generationen.

Die Konferenz von Rio basierte auf den Empfehlungen der so genannten „Brundtland-

Kommission“, einer 1983 von den Vereinten Nationen eingerichteten Sachverständigengruppe.

Sie erhielt den Auftrag, Perspektiven für eine langfristig tragfähige und umweltschonende

Entwicklung im Weltmaßstab aufzuzeigen. 1987 veröffentlichte die Kommission den Bericht

„Unsere gemeinsame Zukunft“, der die internationale Debatte über die Entwicklungs- und Umwelt-

politik maßgeblich beeinflusste und die Einberufung des Erdgipfels im Jahr 1992 – 20 Jahre nach

der ersten weltweiten Umweltkonferenz in Stockholm – zur Folge hatte. Nach langem Ringen

zwischen den beteiligten Regierungen kamen schließlich fünf Vereinbarungen zustande, die vor

dem Hintergrund der Vielzahl der Interessensgegensätze ein großer Schritt in Richtung auf eine

umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung waren.

Die teilnehmenden Staaten unterzeichneten drei (nicht bindende) Hauptabkommen, die

Erklärung von Rio über Umwelt und Entwicklung (27 Leitsätze zur nachhaltigen Entwicklung),

die Agenda 21 (Aktionsprogramm zur nachhaltigen Entwicklung) und die Wald-Deklaration

(Schutz und nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern), sowie zwei völkerrechtlich bindende

Konventionen, die Klimarahmenkonvention (Stabilisierung der Treibhausgasemissionen) und

das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD). Darüber hinaus wurde ein Komitee zur

Vorbereitung einer Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung ins Leben gerufen, was zwei

Jahre später in die „Convention to Combat Desertification (UNCCD) mündete.

Ein wesentlicher Verdienst des „Erdgipfels“ war es, den Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ als

Leitbild der gesellschaftlichen Entwicklung zu etablieren. Die beteiligten Länder wurden dazu auf-

gefordert, in Zukunft ihre Wirtschaftsinteressen mit Umweltbelangen und sozialen Anforderungen

in Einklang zu bringen.

Weitere Informationen (in Englisch):

Rio-Deklaration: http://www.un.org/documents/ga/conf151/aconf15126-1annex1.htm

Agenda 21: http://www.un.org/esa/sustdev/documents/agenda21/english/agenda21toc.htm

Wald-Deklaration: http://www.un.org/documents/ga/conf151/aconf15126-3annex3.htm

Klimarahmenkonvention: http://unfccc.int/

Biodiversitätskonvention: http://www.biodiv.org/convention/articles.asp

13Der Mensch und die Biosphäre

Page 7: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Das Weltnetz der BiosphärenreservateWeltkarte: UNESCO, MAB-Programm, Stand: 2003

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Page 8: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

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Page 9: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Der Mensch und die Biosphäre

„Der Name Biosphärenreservat erinnert

eindeutig an Indianer. Indianer wurden, als es

Ihnen ganz schlecht ging, oder besser gesagt,

als keiner mehr etwas mit Ihnen zu tun haben

wollte, in ein Reservat geschickt. Da es der

Biosphäre auch schlecht geht oder sie keiner

mehr haben will, hat man für sie ein Reservat

angelegt. Unter Biosphäre verstehe ich

wiederum alles, was so kreucht und fleucht.“

„Ich würde sagen ein Naturschutzgebiet, in dem

Pflanzen, Tiere, vielleicht auch Mineralien vor

dem Zugriff des Menschen geschützt werden

bzw. in ihrer Ursprünglichkeit erhalten bleiben.“

„Spontan fällt mir ein, dass es sich dabei um das

Techno Event in Wien handelt, das ‚Biosphere‘

heisst, aber das ist wohl eher ein Scherz ...“

„Handelt es sich dabei nicht um

eine künstlich hergestellte kleine

‚Naturwelt‘, in der vom Aussterben

bedrohte Pflanzen und Tiere speziell

wieder ‚gezüchtet‘ werden. Sowas

gab es doch schon mal in den USA

in der Wüste?“

Umfrageaktion: „Was ist ein Biosphärenreservat/Biosphärenpark?“

Als Biosphäre wird der gesamte von Lebewesen bewohnte

Raum der Erde bezeichnet. Sie umgibt unseren Planeten

wie eine verletzliche Haut den Körper. Man unterscheidet

zwischen der Biosphäre im engeren Sinne, die den erdnahen

Luftraum, den Boden, Höhlensysteme und Gewässer umfasst,

sowie der Biosphäre im weiteren Sinne, die den unteren

Bereich der Atmosphäre als Flugraum der Vögel und

Verbreitungsraum für Pollen und Sporen einschließt.

Vor mehr als drei Milliarden Jahren entwickelte sich auf unserem Planeten Leben, die Biosphäre entstand.

16 Das UNESCO-Programm -

Die offizielle UNESCO-Bezeichnung „Bios-phere Reserves“ wird im Deutschen mit dem Wort „Biosphärenreservate“ übersetzt. Dieser Begriff erscheint vielen zu abstrakt. Häufig wird er gedanklich verbunden mit Schutzge-bieten, die den Menschen ausgrenzen. Viele erinnert er an Indianerreservate. Damit ist er wenig geeignet, die zukunftsorientierte Strategieder Biosphärenreservate, welche das Mitein-ander von Mensch und Natur anstrebt, auszu-drücken. Der Ausdruck setzt sich zusammen aus „Biosphäre“ (= Lebensraum) und „Reservat“(vom Lateinischen: reservare = bewahren). Im englischen Sprachgebrauch wird unterschiedenzwischen „reserve“ (Reservat) und „reservation“ (ein Begriff für Indianerreservate). Damit löst er im Englischen, der Arbeitssprache der Ver-einten Nationen, nicht die gleichen falschen Assoziationen aus wie im Deutschen. Das österreichische MAB-Nationalkomitee entschied sich dafür, im eigenen Land den etwas freundlicheren Ausdruck „Biosphären-park“ zu verwenden. Die beiden Begriffe werden in der Publikation synonym gebraucht.

Der Begriff „Biosphärenreservate“

Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

Page 10: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Der Mensch und die Biosphäre 17

Weltweite Koordination in ParisDas Weltnetz der Biosphärenreservate wird vom MAB-Sekretariat der UNESCO in Paris koordiniert. Es ist bei der UNESCO-Abtei-lung für Ökologische Wissenschaften ange-siedelt. Das Sekretariat vertritt das MAB-Pro-gramm nach außen. Dort laufen auch die Drähte der einzelnen nationalen MAB-Struk-turen zusammen. Die Mitarbeiter sorgen für den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Nationalkomitees, die in den Mit-gliedsstaaten zur Umsetzung des Programms im jeweiligen Land gegründet wurden. Ferner bereitet das Sekretariat die Sitzungen des Internationalen Koordinationsrats (Interna-tional Coordination Council ICC) vor, die regelmäßig alle zwei Jahre stattfinden. Dieser setzt sich aus 34 gewählten Repräsentanten der Mitgliedsstaaten zusammen. Bei jeder Ver-sammlung wird die Hälfte der Mitglieder neu gewählt, jeder Vertreter bleibt also vier Jahre im Amt. Als oberstes Gremium des MAB- Programms legt der Rat die Prioritäten fest und überwacht deren Umsetzung. Für die Zeit zwischen den Versammlungen delegiert der ICC seine Autorität an das MAB-Büro. Dieses besteht aus sechs gewählten Mitgliedern (einVorsitzender und fünf Vizevorsitzende), welche die geopolitischen Regionen der UNESCO repräsentieren sollen. (Zur MAB-Struktur siehe auch Graphik Seite 18.) Weitere Informationen in englischer Sprache unter http://www.unesco.org/mab.

Die Organisation des MAB-Programms

Die Entstehung des MAB-LogoDie drei Buchstaben MAB bilden die Grund-lage für das Logo des Umweltprogramms der UNESCO. „Ankh“, ein altes ägyptisches Symbol, das für Lebenskraft und ewiges Lebensteht, wurde bereits im Anfangsstadium des Programms in das Logo integriert. Es besteht aus einem T mit einer aufgesetzten Ellipse, die der ägyptischen Hieroglyphe Ru = „Mund,Geburt, Uterus“ entspricht. Aus dem „Ankh“ entwickelten sich später wichtige religiöse Symbole wie etwa das Kreuz im Christen-tum. Das Symbol wird zudem traditionell in sehr gegensätzliche Richtungen interpretiert. Auf der einen Seite symbolisiert es die Sonne (Ellipse), den Himmel (waagerechte Linie) und die Erde (senkrechte Linie). Andererseits wird es als menschliche Figur mit einem Kopf und ausgestreckten Armen gesehen. Damit verbindet dieses Symbol Mensch und Natur, ein Anliegen, das innerhalb der Biosphären-reservate verwirklicht werden soll. Im Jahr 2000 wurde das MAB-Logo mit vier Farb-bändern ergänzt, welche die Ökosysteme der Erde darstellen. Blau steht für Salz- und Süß-wassersysteme, Grün für Wälder und Gras-land, Weiß für die schneebedeckten Berge und Rot für Wüstengebiete.

MAB-Sekretariat Ökologische Wissenschaften1, rue Miollis, Paris 75732 Cedex 15, FranceTel: +33 1 45 68 40 67Fax: +33 1 45 68 58 04

Das MAB-Symbol ver-bindet Mensch und Natur – ein Anliegen, dasin Biosphärenreservaten verwirklicht werden soll.Photo: Sigrun Lange

Page 11: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Der Mensch und die Biosphäre 19

Internationales AnerkennungsverfahrenEin Staat nominiert ein Gebiet als Biosphären-reservat und reicht es bei der UNESCO ein (Termine gibt es jeweils im Frühjahr und im Herbst). Zur Hilfestellung haben Länder wie Deutschland nationale Richtlinien entwickelt, welche beispielsweise die Mindestgröße eines Biosphärenreservates oder den prozentualenAnteil der jeweiligen Zonen festschreiben. In Österreich liegt es im Aufgabenbereich des Nationalkomitees, die Anträge fachlich zu evaluieren, bevor eine offizielle Einreichung erfolgt. Das Österreichische Nationalkomiteebeschloss, dies aufgrund der Vielfalt des Landesund der Projekte von Fall zu Fall zu bewertenund keine allgemeinen Richtlinien vorzugeben.Eine Festlegung etwa auf drei Prozent Kern-zone, wie in Deutschland, wäre in einem Alpen-land mit hohem Naturpotential kontraproduktiv. Das internationale Beratungskomitee für Biosphärenreservate (Advisory Committee) bewertet die Anträge der Staaten und spricht eine Empfehlung für den Koordinationsrat(ICC) des MAB-Programms aus. Dieser ent-scheidet über die Aufnahme des Gebietes ins Schutzgebietsnetz. Mit der erfolgreichen Nomi-

Internationaler Koordinationsrat(International Coordination Council ICC)

Oberstes Entscheidungsgremium– besteht aus 34 gewählten Mitgliedern– trift sich alle zwei Jahre zu einer Sitzung in Paris – wählt einen Vorsitzenden und fünf Vize - Vorsitzende aus seiner Mitte, die zusammen das MAB - Büro bilden

Aufgaben– setzt Prioritäten innerhalb des MAB - Programms– begleitet die Umsetzung der jeweiligen Ziele– empfiehlt und koordiniert Forschungs - aktivitäten

nierung verpflichten sich die Mitgliedsstaaten,alle zehn Jahre über den aktuellen Status des Biosphärenreservates zu berichten. Dabei wird überprüft, inwieweit die internationalen Richt-linien der UNESCO umgesetzt werden. Mit Empfehlungen und Verbesserungsvorschlägenunterstützt das Beratungskomitee die Länder bei der Weiterentwicklung des ehrgeizigen Konzeptes. Werden die Kriterien jedoch dauer-haft nicht eingehalten, kann das Prädikat aber-kannt werden. Zudem ermutigt die UNESCO die einzelnen Länder dazu, ein einmal aner-kanntes Biosphärenreservat wieder zurückzu-ziehen, wenn die Anforderungen nicht erfüllt werden bzw. nicht erfüllbar sind. Dies geschah beispielsweise in Schottland. 2002 wurden die vier Gebiete Rum, Caerlaverock, St. Kilda und Claish Moss aus dem Weltnetz der Biosphä-renreservate herausgenommen. DerartigeSchritte stärken die Glaubwürdigkeit des Welt-netzes. In der Ratsperiode von 2001 bis 2005 verfügt Österreich über eine Stimme im Inter-nationalen Koordinationsrat und entscheidet damit über die Anerkennung neuer Gebiete mit.

Die Inselgruppe St. Kilda liegt weit von Schottland entfernt im nördlichen Atlantik. Auf dem ehemals bewohnten Archipel leben heute nur noch ein saisonaler Ranger sowie Service-Personal des „National Trust for Scotland“. Die letzten 36 Einwohner baten 1936 um eine Umsiedlung auf das Festland. Im Jahr 2002 wurde St. Kilda aus dem UNESCO-Weltnetz der Biosphärenreservate zurückgezogen, da die Sevilla-Strategie in dem abgelegenen Rückzugs- und Brutgebiet für Meeresvögel auch langfristig nicht umgesetzt werden kann.Photo: Scottish Natural Heritage

Die internationale Organisationsstruktur des MAB-Programms.Graphik: Sigrun Lange

Das Große Walsertal erhielt seineAnerkennung als Biosphärenparkim Jahr 2000. Schilder machen die Besucher im Gebiet auf das UNESCO-Prädikat aufmerksam.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Page 12: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Der Mensch und die Biosphäre 19

MAB-Nationalkomitees

Derzeit wird das MAB-Programm von 143 Nationalkomitees in 189

Mitgliedsstaaten umgesetzt.

Aufgaben– beraten und erstellen nationale Leitlinien für die Ausweisung von Biosphärenreservaten

– setzen das MAB-Programm im eigenen Land um

– koordinieren die nationalen Forschungsaktivitäten

Beratungskomitee für Biosphärenreservate(Advisory Committee)

12 Experten, die vom Generaldirektor der UNESCO berufen

werden, bewerten die Neuanträge für Biosphärenreservate und geben

eine Empfehlung an den ICC und das

MAB-Büro ab.

Weltnetz der Biosphärenreservate

Derzeit bilden 440 Biosphärenreservate in 97

Ländern ein weltumspannendes Schutzgebietsnetz; die Größe der Gebiete reicht von rund

hundert bis zu Millionen von Hektar.

Die Partner im MAB-Programm

Um Synergien zu nutzen, kooperiert das MAB-Programm mit verwandten Umwelt-programmen. Ein besonders enges Verhältnis besteht zur Ramsar-Konvention, dem Über-einkommen zum Schutz wertvoller Feuchtge-biete. Etwa ein Fünftel der derzeit existieren-den Biosphärenreservate sind gleichzeitig im Rahmen der Ramsar-Konvention als weltweitbedeutsame Lebensräume für seltene Watt- und Wasservögel unter Schutz gestellt. In Öster-reich zählen dazu die Lobau-Auen und der Neusiedler See, in Spanien beispielsweise die Doñana, das Vogelparadies an der Mündung des Guadalquivir in den Atlantik. Dr. Peter Bridgewater, ehemaliger Mitarbeiter im MAB Sekretariat, setzte sich seit 1999 für die enge Zusammenarbeit der beiden Sekretariate ein. Dies führte im Jahr 2002 zum Beschluss eines gemeinsamen Arbeitsprogramms. Einigkeit

bestand darin, in Zukunft bei der Auswahl und dem Management der jeweiligen Gebiete sowie bei der Bildungs- und Öffentlichkeitsar-beit eng zusammenzuarbeiten. Eine gemein-same Webseite der beiden Sekretariate wurde eingerichtet (http://www.unesco.org/mab/ramsarmab.htm). In der Zwischenzeit wech-selte Dr. Bridgewater ins Ramsar-Sekretariat, das im Hauptquartier der Weltnaturschutzu-nion IUCN in Gland (Schweiz) angesiedelt wurde. Die IUCN (siehe Kasten Seite 20) ist ein wei-terer wichtiger Partner für die Umsetzung des MAB-Programms. Sie leistet Orientierungs-hilfe bei der Klassifizierung und beim Manage-ment von Schutzgebieten und war beteiligt an der Organisation der Biosphärenkonferenz sowie an der Entwicklung von Kriterien zur Einrichtung von Biosphärenreservaten.

MAB-SekretariatUNESCO-Abteilung „Ökologische Wissenschaften“

Ausführendes Organ – besteht derzeit aus 24 Mitarbeitern– arbeitet permanent an der Umsetzung und Koordinierung des MAB-Programms

Aufgaben– vertritt das MAB-Programm nach außen – koordiniert und berät die nationalen MAB-Komitees– sorgt für den Informationsfluss, koordiniert Studien

MAB-Büro

Ausführendes Organ des ICC– besteht aus sechs Vertretern– trifft sich zwischen den ICC-Sitzungen

Aufgaben– überprüft Berichte von Expertengruppen – entscheidet über die Aufnahme neuer Gebiete in das Weltnetz der Biosphärenreservate– bereitet mit dem MAB-Sekretariat die ICC-Sitzungen vor

Der Biosphärenpark Untere Lobau ist auch Ramsar-Schutzgebiet.Photo: Magistrat Wien, MA49

Internationaler Koordinationsrat(International Coordination Council ICC)

Oberstes Entscheidungsgremium– besteht aus 34 gewählten Mitgliedern– trift sich alle zwei Jahre zu einer Sitzung in Paris – wählt einen Vorsitzenden und fünf Vize - Vorsitzende aus seiner Mitte, die zusammen das MAB - Büro bilden

Aufgaben– setzt Prioritäten innerhalb des MAB - Programms– begleitet die Umsetzung der jeweiligen Ziele– empfiehlt und koordiniert Forschungs - aktivitäten

Page 13: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

20 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 21

IUCN (The World Conservation Union)

wurde 1948 gegründet. Die Weltnatur-

schutzunion ist die bedeutendste inter-

nationale Umweltdachorganisation. Zu ihren

Mitgliedern zählen neben etwa 70 Staaten

auch 100 Regierungs- und über 750 Nicht-

regierungsorganisationen sowie mehr als

10.000 Wissenschaftler und Experten aus

über 180 Ländern. In Österreich gehören

dazu das österreichische Lebensministerium,

das Nationalparkinstitut Donau-Auen, der

Salzburger Nationalparkfonds sowie der

Umweltdachverband. Der Hauptsitz der

IUCN befindet sich in Gland in der Schweiz.

Weitere Informationen unter: www.iucn.org.

World Heritage Sites (WH) Biosphere Reserves (BR)

WH werden vom UNESCO „Welterbe-Zentrum“

koordiniert.

BR werden von der UNESCO-Abteilung „Ökologische

Wissenschaften“ koordiniert.

WH erfahren den höchst möglichen internationalen

Schutzstatus.

BR sind international anerkannt, erfahren jedoch

unterschiedlichen nationalen Schutzstatus.

WH umfassen nur Gebiete mit besonders

herausragendem Charakter.

BR stellen weltweit repräsentative oder typische

Lebensräume dar.

WH sind vorwiegend streng geschützte Gebiete

(z.B. Nationalparks).

BR beinhalten nur in Kernzonen strenge Schutzgebiete;

ihre Fläche geht weit darüber hinaus; sie umfassen

wirtschaftlich genutzte Puffer- und Entwicklungszonen.

WH betonen den Erhalt und die Bewahrung des

speziellen Charakters des jeweiligen Gebietes.

BR fördern den Schutz der biologischen Vielfalt in

gleichem Maße wie Forschung und Entwicklung.

WH schaffen eine Wertschöpfung in der Region

durch die Förderung des Tourismus.

BR fördern die nachhaltige Regionalentwicklung in

Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung.

Der Schutzstatus von WH wird je nach Dringlichkeit

von Fall zu Fall überprüft; eine regelmäßige

Berichterstattung findet alle sechs Jahre statt.

Der Status von BR wird alle zehn Jahre durch

Berichterstattung an die UNESCO überprüft.

WelterbestättenNeben dem Weltnetz der Biosphärenreservate hat die UNESCO eine weitere Kategorie ein-geführt: die Welterbestätten. Im Rahmen der Welterbekonvention von 1972 werden Natur- und Kulturlandschaften jeweils mit dem Prä-dikat „Weltnatur“- oder „Weltkulturerbestätte“versehen. Im Vordergrund steht dabei der herausragende, universelle Wert eines Gebietes,den es zu bewahren gilt. Von den derzeit 440 Biosphärenreservaten sind 75 Gebiete auch als Welterbestätten nominiert. In Bezug auf die Bewahrung der biologischen und kulturellen Vielfalt unserer Erde decken sich die Ziele der beiden Schutzkategorien. Dem bewahren-den Charakter der Welterbestätten steht aller-dings der in der Sevilla-Strategie besonders her-vorgehobene Entwicklungsaspekt von Bio-sphärenreservaten gegenüber. Darüber hinaus kommen als Welterbestätten nur für die Mensch-heit besonders wertvolle und herausragende Gebiete in Frage, während im Weltnetz der Biosphärenreservate möglichst alle Ökosys-teme der Erde erfasst werden sollen.

Sowohl Welterbestätten (WH) als auch Biosphärenreservate (BR) werden von der UNESCO koordiniert. Ihre Zielsetzung unterscheidet sich jedoch deutlich voneinander, wie die Gegenüberstellung in der Tabelle zeigt.

Page 14: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

20 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 21

Anfangs war das MAB-Programm nur ein weiteres von vielen internationalen Forschungs-programmen. Erst im Rückblick wird klar, dass mit jenem Programm erstmals konse-quent der Gedanke der Nachhaltigkeit in den Vordergrund rückte. Heute, über 30 Jahre später, wurde Nachhaltigkeit zum Leitbild der internationalen Politik und gesellschaftlichen Entwicklung. Dennoch hätten die angewandtenForschungsarbeiten sicher weniger Beachtunggefunden, wäre da nicht die zweite Idee gewe-sen: die Einrichtung der Biosphärenreservate.Das weltumspannende Netz umfasst Modell-regionen, in denen Umweltveränderungen beobachtet sowie umweltschonende Nutzungs-formen entwickelt und in der Praxis getestet werden.

Naturschutz als oberste PrioritätVon Anfang an hatten Biosphärenreservate einen multifunktionalen Charakter. Schon die ersten Auswahlkriterien von 1974 können mit den drei Leitsätzen „Schutz von reprä-sentativen Ökosystemen“, „Forschung und Umweltbeobachtung“ sowie „Entwicklung von nachhaltigen Nutzungsmodellen“ zusam-mengefasst werden. Diese Richtlinien wurden jedoch zu einem Zeitpunkt erstellt, als die praktische Umsetzung noch nicht begonnen hatte. Auf Grund mangelnder Erfahrungs-werte sind sie eher theoretischer Natur, lassen einen weiten Ermessensspielraum zu und setzen keinerlei Prioritäten. Damals wurde aber bereits eine Zonierung der Gebiete vor-geschlagen: Eine Kernzone sollte mit einer umgrenzten inneren und einer offenen äußeren Pufferzone kombiniert werden. Auf der Basis dieser Kriterien wurden 1976 die ersten 57

Biosphärenreservate ausgewiesen. Bei der Nominierung dieser Gebiete standen die Naturschutz- und Forschungsinteressen noch klar im Vordergrund. Die Einbindung des Menschen mit seinem Leben und Wirtschaf-ten in der Natur wurde wenig berücksichtigt. Bis 1981 änderte sich nichts an der Tatsache, dass Biosphärenreservate allein der Forschung und bestimmten Naturschutzzielen dienten. Viele Gebiete waren bereits vor der Nomi-nierung als Nationalparks oder Naturreser-vate unter besonderen Schutz gestellt. In den meisten Fällen wurden weder neue Flächen oder Funktionen hinzugefügt noch beson-dere Regulierungen eingeführt. Wie beispiels-weise in Österreich waren die neuen Biospä-renreservate als Forschungsstätten etabliert. Dabei lag der Schwerpunkt auf reiner Grund-lagenforschung. Selten waren die speziellen Mensch-Umwelt-Interaktionen Gegenstand des Interesses. Zudem gab es wenig Aus-tausch zwischen den einzelnen Gebieten. In dieser Anfangsphase waren die Biosphären-reservate also noch weit davon entfernt, ihre Funktion als weltweit koordiniertes Netzwerk zur Umweltbeobachtung und Erprobung von nachhaltigen Nutzungsstrategien zu erfüllen.

Der Aktionsplan1981 feierte die internationale Konferenz „Ecology in Action“ das zehnjährige Bestehen des MAB-Programms (1971 fand die erste Sitzung des MAB-Koordinationsrats ICC statt). Die Teilnehmer diskutierten die Pro-bleme, die bei der Umsetzung des anspruchs-vollen Konzeptes auftraten. Gerade auch die großen regionalen Unterschiede zwischen den einzelnen Gebieten machten deutlich,

Biosphärenreservate als Modellregionen für eine nachhaltige Entwicklung

Von den Problemen der Anfangsphase

Zu Beginn des MAB-Programms standen Forschung und Natur-schutz noch klar im Vordergrund. Erst nach und nach wurde der Mensch mit seinen Nutzungsform-en als wesentlicher Bestandteil in das Konzept einbezogen.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Page 15: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

22 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 23

dass das Konzept weiterentwickelt werden musste. Frischer Wind kam durch den ersten Biosphärenreservatskongress im Oktober 1983 in Minsk, Russland, in die Debatte. Im Raum stand die entscheidende Frage, wie das Netzwerk wirklich funktionieren könnte. Das wichtigste Ergebnis des internationalen Tref-fens war der „Aktionsplan“ (Action Plan für Biosphere Reserves). Er wurde im Dezember 1984 vom ICC angenommen und enthielt 35 Handlungsempfehlungen für den langfristigen Erhalt der biologischen Vielfalt, den verbes-serten Austausch innerhalb des Netzwerks und eine effektivere Verbindung von Schutz- und Nutzungsinteressen. Ein Expertenaus-schuss entwickelte diese Kriterien während

zweier Treffen in Cancún (Mexiko, September 1985) und La Paz (Bolivien, August 1986) weiter. Das Alleinstellungsmerkmal der Bio-sphärenreservate, nämlich die Kombination aus dem Erhalt der biologischen Vielfalt, der Etablierung eines internationalen Forschungs-und Monitoringnetzwerks und dem Modell-charakter für die Erprobung von nachhaltigen Entwicklungsstrategien, wurde noch einmal betont. Zur gleichen Zeit, als der Aktionsplan die Umsetzung des ehrgeizigen Konzeptes konkretisieren wollte, wurde das MAB-Pro-gramm allerdings 1984 durch den Austritt der USA und Englands aus der UNESCO finan-ziell geschwächt.

Das Interesse am Konzept der Biosphärenre-servate wuchs weltweit. Gleichzeitig war die Qualität dieser Biosphärenreservate extrem unterschiedlich und von einem funktionie-renden Netzwerk konnte noch immer nicht gesprochen werden. Dies führte Anfang 1992 zur Einrichtung eines weiteren Beratungsko-mitees für Biosphärenreservate (Advisory Committee on Biosphere Reserves) mit dem Ziel, klare Regeln für die Aufnahme neuer Gebiete festzulegen. Wissenschaftler und Experten mit langjähriger Erfahrung in der praktischen Arbeit waren daran beteiligt. Bei ihrem ersten Treffen diskutierten sie die Erfassung der biogeographischen Regionen durch das Netz der Biosphärenreservate, Zonierungsfragen, Managementpläne sowie rechtliche Grundlagen für die neue Schutzka-tegorie. Ihre Ergebnisse, 17 Handlungsemp-fehlungen, kamen aber zu spät, um in die Ver-handlungen der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro (UNCED) einzufließen. Sie dienten aber der

Mehr als nur Schutzgebiete – die Sevilla-Strategie und ihre Folgen

Vorbereitung und Planung der zweiten inter-nationalen Biosphärenreservatskonferenz, die 1995 in Sevilla (Spanien) stattfand. 387 Teil-nehmer aus über 100 Ländern setzten mit der „Sevilla-Konferenz“ einen Meilenstein in der Entwicklung des Biosphärenreservatskon-zepts. Entscheidender Fortschritt der Sevilla-Strategie war die Erkenntnis, dass der Schutz der biologischen Vielfalt nicht mehr isoliert von den Bedürfnissen der Menschen gesehen wird. Seither teilt sich die Geschichte des MAB- Programms in VOR Sevilla und NACH Sevilla.

Die ambitionierten Visionen für die Rolle der Biosphärenreservate im 21. Jahrhundert finden sich in den so genannten „Internatio-nalen Leitlinien für das Weltnetz der Bio-sphärenreservate“ wieder. Demnach sind Biosphärenreservate „mehr als nur Schutz-gebiete“. Forschung und der Erhalt der bio-logischen Vielfalt mit all ihren Bestandteilen gehören zwar nach wie vor zu den wichtigen Zielen, besonders betont wird aber vor allem

Mit der Sevilla-Strategie rückte 1995 der Mensch und sein Wirt-schaften stärker in den Vorder-grund des Schutzkonzeptes.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Page 16: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

22 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 23

die aktive Rolle des Menschen (Man and the Biosphere). Er soll als integraler Bestandteil in Biosphärenreservaten leben und wirtschaften mit dem Ziel, seine natürliche Umwelt lang-fristig zu erhalten. Gerade bei der Planung von neuen Biosphärenreservaten ist die Betei-ligung aller Interessensgruppen vor Ort und die Berücksichtigung der regionalen Beson-derheiten entscheidend. Die gleichzeitig ver-abschiedete „Sevilla-Strategie“ enthält nicht weniger als 90 Empfehlungen, die auf globa-ler, nationaler oder regionaler Ebene erfüllt werden sollen. Diese Richtlinien sind zwar nicht völkerrechtlich bindend (wie beispiels-weise eine Konvention), die UNESCO-Mit-gliedsstaaten verpflichten sich aber freiwillig, die Kriterien bei der Einrichtung von Bio-sphärenreservaten einzuhalten.

Vier Hauptziele sollen erreicht werden:1. Erhalt der biologischen und kulturellen Vielfalt, stärkere Erfassung von Gebieten mit hoher biologischer und kultureller Vielfalt.2. Einrichtung von Modellregionen für eine nachhaltige Entwicklung der Regionen, aktive Einbeziehung der lokalen Interessens-gruppen in alle Entscheidungen.3. Nutzung von Biosphärenreservaten als effektive Forschungs-, Monitoring-, Bil-dungs- und Ausbildungsstätten mit dem Schwerpunkt Umwelt-Mensch-Beziehungen.4. Kontinuierliche Verbesserung der Um-setzung des anspruchsvollen Konzeptes durch den Austausch von „Good-Practice“- Beispielen, die Erstellung von Management-plänen, die Entwicklung von neuen Model-len zur Beteiligung der lokalen Bevölkerung, verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Partner-schaften zwischen einzelnen Gebieten.

Weiter ist in den Internationalen Leitlinien eine periodische Überprüfung der Biosphä-renreservate vorgesehen. Alle zehn Jahre bewertet ein unabhängiges Expertengremium

anhand der Sevilla-Kriterien und der jeweils individuell gesetzten Ziele den Zustand der Gebiete. Konkrete Handlungsempfehlungen unterstützen die Staaten in ihrem Bestreben, die Biosphärenreservate weiterzuentwickeln.

Die ZonierungUm den vielfältigen Funktionen gerecht zu werden, werden Biosphärenreservate in drei Zonen eingeteilt: Kern-, Puffer- und Entwicklungszonen. Kernzonen dienen dem klassischen Naturschutz. Ziel ist der Erhalt möglichst naturnaher Lebensräume. Mensch-liche Eingriffe werden nur in geringem Umfang zugelassen. Die Nutzung von Kernzonen ist häufig durch strenge, gesetzlich verankerte Schutzkategorien wie Nationalparks, Natur-schutzgebiete oder Natura 2000-Flächen reg-lementiert. Forschende können hier die dyna-mischen Prozesse innerhalb natürlicher Öko-systeme verfolgen. In der sich anschließenden Pufferzone sind ökologisch nachhaltige Akti-vitäten und Nutzungsformen erlaubt. Dazu zählen unter anderem Viehzucht, Landwirt-schaft, Holznutzung, Tourismus und Umwelt-bildung. Hier liegen die größten Potentiale für die Erzeugung und Vermarktung von umwelt-freundlichen Produkten. Die Entwicklungs-zone ist Lebens-, Wirtschafts- und Erholungs-raum der Bevölkerung. Sie schließt Siedlungs-bereiche ausdrücklich mit ein und dient als „Test-gelände“ für nachhaltige Wirtschaftsformen. Innovative Pilotprojekte sollen als Vorbilder auf die gesamte Region ausstrahlen und den Weg hin zu einer ökologisch und sozioökono-misch tragfähigen Regionalentwicklung ebnen.Mit dem Konzept der Nachhaltigkeit ist kein Nebeneinander von Schutz und Nutzung ge-meint. Es handelt sich vielmehr um einen fort-laufenden Prozess, der sich um einen Ausgleichzwischen dem Erhalt der Natur – auch für zu-künftige Generationen – und der Wahrung der Lebensansprüche und Interessen der Menschenin der Region bemüht. Wichtig ist dabei die

Biosphärenreservate werden in drei Zonen eingeteilt. In Kernzonen,wie der „Roten Wand“ im GroßenWalsertal (oben), hat der Schutz der Natur oberste Priorität. Entwick-lungszonen (unten der Ort Sonntagim Großen Walsertal) dienen dem Wirtschaften des Menschen.Photos: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Page 17: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

24 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 25

Berücksichtigung der verschiedenen historisch,kulturell und sozial geprägten Identitäten und Traditionen. Ob das „Wunschbild“ eines „Lebens in Harmonie mit der Natur“ tatsäch-lich verwirklicht werden kann, wird die Zukunftzeigen. Biosphärenreservate sind jedoch vor allem als Angebot an Gesellschaft, Politik und Wissenschaft zu verstehen, neue und dauer-haft tragfähige Formen des menschlichen Umgangs mit der Natur zu entwickeln, die allen Vorteile bringen.

Sevilla+5 – ein fortlaufender ProzessIn vielen Ländern regte die Sevilla-Strategie eine Überprüfung der eigenen Gebiete vor dem Hintergrund der Internationalen Leitli-nien an. Das MAB-Beratungskomitee erhielt in den folgenden Jahren 147 Nationalberichte (Periodic Reviews) und gab Empfehlungen zum Status der einzelnen Biosphärenreservateab. In den ersten fünf Jahren nach Sevilla

kamen 63 neue Gebiete zum Weltnetz der Biosphärenreservate hinzu. Diese entsprachen dem geforderten multifunktionalen Charakter weitaus mehr als die alten Gebiete. Um die Auswirkungen der Sevilla-Strategie zu disku-tieren, versammelten sich die Experten im November 2000 erneut in Pamplona (Spanien) zum „Sevilla+5“-Treffen. Positiv bewerteten sie die stärkere Einbeziehung der lokalen Bevöl-kerung in die Planungsprozesse. Finanzielle Engpässe und Unvereinbarkeiten mit politi-schen Entscheidungen bereiteten jedoch bei der Umsetzung der internationalen Leitlinien weiter Schwierigkeiten. Um Biosphärenreser-vate als Modellregionen für ein nachhaltiges Wirtschaften des Menschen zu etablieren und sie zu Instrumenten für die Umsetzung der Biodiversitätskonvention auf nationaler Ebene zu machen, ist ein fortlaufender Diskussions-prozess mit der lokalen Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern unverzichtbar.

Mit der Einrichtung und Zonierung von Biosphärenreservaten wird die Bevölkerung dazu ermutigt, nach Win-Win-Lösungen für die eigene Region zu suchen. Am Ende sollen sowohl der Mensch als auch die Natur profitieren. Graphik: Sigrun Lange

Hier hat Naturschutz Vorrang vor menschlicher Nutzung. Die naturnahen Ökosysteme sind Gegenstand von Forschungs- und Monitoringaktivitäten.

Diese Zone umgibt die Kern-zone als Puffer. Nachhaltige Nutzungsformen sind hier erlaubt, dazu zählen u.a. Vieh-zucht, Landwirtschaft, Holz-nutzung, Jagd, Tourismus etc.

Diese Zone ist Lebens- und Wirtschaftsraum der Bevölkerung.Hier werden innovative Modell-projekte für eine ökologisch und sozioökonomisch nachhaltige Entwicklung der Region umgesetzt.

Page 18: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

24 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 25

Das Biosphärenreservatskonzept im Überblick1968 Internationale Biosphärenkonferenz in Paris; erstmals wird gefordert, den Schutz und

die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen in Einklang zu bringen

1970 Das Wissenschaftsprogramm „Der Mensch und die Biosphäre“ (Man and Biosphere)

wird von der UNESCO ins Leben gerufen.

1971 Erstes Treffen des MAB-Koordinationsrats (International Co-ordinating Council, ICC)

1973 Beginn des MAB8-Projekts „Erhalt der natürlichen Lebensräume mit der Vielfalt

ihrer genetischen Ressourcen“; daraus wird die Idee geboren, ein weltweites Schutz-

gebietsnetzwerk zu etablieren – das Weltnetz der Biosphärenreservate.

1974 MAB-Sonderarbeitsgruppe erarbeitet Kriterien für die Einrichtung von Biosphärenreservaten

1976 Die ersten 57 Biosphärenreservate werden nominiert.

1977 Die nächsten 61 Biosphärenreservate folgen (darunter auch vier Gebiete in Österreich).

1981 Internationale Tagung „Ökologie in Aktion“ anlässlich des 10-jährigen Bestehens des

MAB-Programms; die Defizite bei der Umsetzung des Biosphärenreservatskonzeptes

werden deutlich.

1983 Ein internationaler Biosphärenreservatskongress erarbeitet Vorschläge zur effektiveren

Umsetzung des Konzeptes —> Entwurf eines Aktionsplans.

1984 Der Aktionsplan (Action Plan for Biosphere Reserves) wird vom ICC mit 35 Handlungs-

empfehlungen angenommen; ein Expertenausschuss (Scientific Advisory Panel for

Biosphere Reserves) wird eingerichtet.

1985 Erstes Treffen des Expertenausschusses in Cancún, Mexiko.

1986 Zweites Treffen des Expertenausschusses in La Paz, Bolivien.

1991 Einrichtung eines Beratungskomitees für Biosphärenreservate (Advisory Committee on

Biosphere Reserves); Treffen des regionalen Netzwerks EuroMAB (Europa und USA),

das in den Vorschlag mündet, ein integriertes Monitoring (BRIM = Biosphere Reserve

Integrated Monitoring) in Biosphärenreservaten durchzuführen.

1996 Workshop zur Umsetzung der Sevilla-Strategie in Biosphärenreservaten im Rahmen des

IUCN Weltumweltkongress (IUCN´s World Conservation Congress in Montreal, Kanada).

1998 Workshop zum Thema „Weltnetz der Biosphärenreservate“ in Vorbereitung auf die vierte

Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties, COP4) der Konvention über die

Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) in Budapest, Ungarn.

2000 Gemeinsames Treffen von Mitgliedern der jeweiligen MAB-Nationalkomitees und

Biosphärenreservatsmanagern unter der Leitung von EuroMAB in Cambridge,

England; eine Broschüre über die Umsetzung des Ökosystemaren Ansatzes (Ecosystem

Approach) der Biodiversitätskonvention in Biosphärenreservaten entsteht und wird der

fünften Vertragsstaatenkonferenz (COP5) der CBD in Nairobi zur Verfügung gestellt.

2000 „Sevilla+5“-Treffen in Pamplona.

2001 BRIM-Treffen in Rom.

2005 EuroMAB-Treffen in Wien (geplant).

1995 Internationaler Biosphärenreservatskongress in Sevilla, Spanien; Verabschiedung der

Sevilla-Strategie und der Sevilla-Richtlinien für Biosphärenreservate —> deutlicher

Meilenstein in der Entwicklung des Biosphärenreservatskonzeptes hin zu einer stärkeren

Einbeziehung des Menschen und der Entwicklungskomponente; damit erhielt das MAB-

Programm die bis heute gültige konzeptionelle Grundlegung.

NA

CH

SEVILLA

VO

R SEVILLA

Page 19: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Globale Leitlinie „Nachhaltigkeit“

„Pioniere der Nachhaltigkeit“ betitelt das

„SPIEGEL ONLINE“-Reisemagazin im März 2003

einen Beitrag über Hotels in der Karibik, die

zunehmend Rücksicht auf Umwelt, Kultur und

Gesellschaft ihres Landes nehmen. Acht

Monate später macht sich ein Positionspapier

der Schweizer Bankiervereinigung Gedanken

über die „Altersvorsorge zwischen politischer

Opportunität und fehlender Nachhaltigkeit“.

Die Schlagzeilen zeigen, dass der Begriff

„Nachhaltigkeit“ in vielen Bereichen geradezu

inflationär gebraucht wird. Doch trotz dieser

Popularität können sich die meisten Menschen

darunter nur wenig vorstellen. Der Begriff ist zu

abstrakt, um mitzureißen, und zu wenig konkret,

um ein gemeinsames Grundverständnis da-

rüber auszudrücken, was nachhaltiges Handeln

beinhaltet.

Ursprung in der Forstwirtschaft

Die Entstehung des Begriffs reicht bis ins

Mittelalter zurück. Durch unkontrollierten

Holzeinschlag waren bereits weite Teile Europas

entwaldet. Der akute Holzmangel um 1700

beendete den bis dahin praktizierten Raubbau

und zwang zur Entwicklung eines Gegen-

modells. Fortan durfte nur mehr soviel Holz

geschlagen werden, wie durch Wiederauf-

forstung nachwachsen konnte. Dieses Vorsorge-

prinzip setzte sich im Laufe der Zeit innerhalb

der Forstwirtschaft in Deutschland durch. Als

Grundsatz der Waldbewirtschaftung wurde es

ab dem 19. Jahrhundert in viele Teile der Welt

exportiert. Die ausschließlich ressourcen-

bezogene Definition der Nachhaltigkeit wird

den Anforderungen unserer Zeit jedoch nicht

mehr gerecht.

Der Eingang in die Umweltpolitik

In den 1970er Jahren sorgte das kritische

Werk des Club of Rome, „Die Grenzen des

Wachstums“, für Betroffenheit – die Fragen

nach der Nachhaltigkeit unseres Handelns

rückten wieder in das öffentliche Bewusstsein.

Zeitgleich fand in Stockholm die weltweit erste

Umweltkonferenz statt („United Nations

Conference on Human Environment“, 1972).

Schnell wurde klar, dass die Probleme der

Menschheit nicht allein durch den effektiveren

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gelöst

werden können. Vielmehr ist es entscheidend,

diese Bemühungen mit sozialer Gerechtigkeit zu

verknüpfen. Um Perspektiven für eine lang-

fristig tragfähige und umweltschonende Ent-

wicklung im Weltmaßstab aufzuzeigen, wurde

von den Vereinten Nationen die „Brundtland-

Kommission“ eingerichtet (1983). Aufgabe des

Gremiums war es, ökologische, ökonomische

und soziale Interessen in Einklang zu bringen.

Dies war die Geburtsstunde des Nachhaltig-

keitsprinzips. Der vier Jahre später veröffent-

lichte Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“

empfahl erstmals, die globale Entwicklung

nachhaltig zu gestalten. Den Bedürfnissen

der heutigen Generation sollte entsprochen

werden, „ohne die Möglichkeiten künftiger

Generationen zu gefährden, ihre eigenen

Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil

zu wählen.“ Die neue Denkweise durchdrang

1992 den Erdgipfel (UNCED) in Rio de

26

Raubbau an den Wäldern gehört auch heute noch zur gängigen Praxis. In Südostasien, wie hier bei Bintulu (Borneo), wurden in den vergangenen fünf Jahren etwa 200.000 Hektar Wald für die Anlage von Holzplantagen und den Bau einer Papierfabrik gerodet. Photo: Hermann Edelmann

Das UNESCO-Programm –

Page 20: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Das „Magische Dreieck der Nachhaltigkeit“ fordert gleiche Lebenschancen für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen. Angestrebt wird, das ökolog-ische Gleichgewicht, die ökonomische Sicherheit und die soziale Gerechtigkeit in gleichem Maße zu berück-sichtigen. Denn die zuneh-mende Ungleichheit zwischen Arm und Reich – global und lokal – ist eine der Hauptur-sachen für den Raubbau an der Natur und die Zerstörung der Ökosysteme.Graphik: Sigrun Lange

Janeiro. Nach zähen Diskussionen rangen

sich die Teilnehmer dazu durch, das Prinzip

der Nachhaltigkeit als umweltpolitische

Leitlinie weltweit verbindlich festzulegen und

in alle Deklarationen und Konventionen der

Konferenz aufzunehmen. In dieser allge-

meinen Formulierung findet der Begriff der

Nachhaltigkeit breite Zustimmung in Politik

und Gesellschaft. Bei der Umsetzung fehlt

jedoch weiterhin die nötige Konsequenz.

Dringend erforderlich ist die Konkretisierung

des Begriffs für verschiedene Lebens- und

Wirtschaftsbereiche und eine konsequente

Berücksichtigung bei Entscheidungsprozessen.

Immerhin wurde mit der in Rio verabschiedeten

Agenda 21 ein weltweites Aktionsprogramm

ins Leben gerufen, das detaillierte Handlungs-

aufträge formuliert. Seither finden auf lokaler

Ebene zahlreiche Agenda 21-Aktivitäten statt.

Viele Gemeinden entwickeln Methoden zum

Einsparen von Energie, Schulen beteiligen

sich an Wettbewerben mit dem Ziel, den

Kohlendioxidausstoß zu reduzieren. Soll das

Leitbild der Nachhaltigkeit jedoch unsere

zukünftige Entwicklung bestimmen, so muss es

in die Gedankenwelt jedes Einzelnen von uns

Eingang finden. Dazu ist entscheidend, dass

sich der Mensch wieder als Teil des Ganzen

begreift, der in und mit der Natur lebt statt sie

lediglich als Nutzobjekt zu betrachten.

27Der Mensch und die Biosphäre

Page 21: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

28 Das UNESCO-Programm –

Als Mitgliedsstaat der UNESCO war Öster-reich an der Entwicklung des Programms „Der Mensch und die Biosphäre“ beteiligt. Bereits im Jänner 1973 bildete sich ein MAB-National-komitee. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) brachte Vertreter aus Wissenschaft und Politik in einem Gremiumzusammen, das für die Umsetzung des UNESCO-Forschungsprogramms in Öster-reich verantwortlich ist. Der wissenschaftlicheKern des Komitees besteht aus Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften. Die poli-tischen Entscheidungsträger werden nach Anfrage der ÖAW von den jeweiligen Minis-terien entsandt. Die Dachorganisation CIPRA vertritt als einzige Nichregierungsorganisation die Interessen der Naturschutzvereine.

Im Jahr 1976 wurde das Weltnetz der Bio-sphärenreservate begründet. Österreich be-teiligte sich bereits in der ersten Phase der Gebietsausweisung und nominierte 1977 die vier Biosphärenparks Gurgler Kamm, Gossen-köllesee, Neusiedler See und Lobau. Dabei kam die Initiative für die Auswahl der Gebiete aus den Reihen der Wissenschaftler. So fand in den neuen Biosphärenparks über viele Jahre hinweg vor allem naturwissenschaftliche Grund-lagenforschung statt. Seit der Einrichtung der beiden Nationalparks „Neusiedler See“ (1993) und „Donauauen“ (1996) berücksichtigen die beiden östlichen Gebiete zunehmend auch angewandte Fragestellungen des Naturschutzes. Zusammengefasst kann man bei den Gebieten der „ersten Generation“ jedoch nicht von „Modellregionen für eine nachhaltige Ent-wicklung“ sprechen. Die Schwerpunkte liegen eindeutig auf der Forschung (Gurgler Kamm und Gossenköllesee) und auf dem Erhalt der Naturräume (Neusiedler See und Lobau). Fünf Jahre nach Sevilla entstand in Österreich mit dem Großen Walsertal erstmals ein „moder-ner“ Biosphärenpark, der den aktuellen Leit-linien der internationalen Schutzkategorie ent-spricht. Dort wird in einem ganzheitlichen Konzept der Mensch mit seinem Wirtschaften in den Erhalt der biologischen Vielfalt einbe-zogen. Für 2005 ist die Einreichung eines weiter-en Biosphärenparks im Wienerwald geplant.

Österreich und die UNESCO

Österreich ist seit 1948 Mitglied der UNESCO. Für die Vertretung der

Republik Österreich gegenüber der UNESCO ist das Bundesministerium

für auswärtige Angelegenheiten zuständig. Als nationale Koordinations-

stelle für UNESCO-Angelegenheiten wurde 1949 die Österreichische

UNESCO-Kommission (ÖUK) mit Sitz in Wien gegründet. Ihre Aufgabe

ist es, die Bundesregierung, die Landesregierungen und die übrigen zu-

ständigen Stellen in UNESCO-Belangen zu beraten, an der Verwirklichung

der UNESCO-Programme in Österreich mitzuarbeiten, die Öffentlichkeit

über die Arbeit der Organisation zu informieren und Institutionen, Fach-

organisationen und Experten mit der UNESCO in Verbindung zu bringen.

Die Nationalkommissionen sind als konstitutionelle Partner einerseits

das nationale Organ der UNESCO in einem Mitgliedsstaat, andererseits

vertreten sie den jeweiligen Mitgliedsstaat gegenüber der UNESCO.

Nationalkommissionen sind einzigartig im gesamten UN-System und

stellen eine vorausblickende Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die

zwischenstaatliche Zusammenarbeit dar. Die ÖUK betreut auch die 45

Österreichischen UNESCO-Schulen, mit deren Hilfe UNESCO-Anliegen im

Unterricht umgesetzt werden.

Österreichische UNESCO-Kommission

Strozzigasse 2, A-1080 Wien

E-Mail: [email protected], Internet: http://www.unesco.at

Die Umsetzung des MAB-Programms in Österreich

In Österreich gibt es derzeit fünf Biosphärenparks. Ein sechster (Wienerwald) wird derzeit konkret geplant.

Page 22: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

28 Das UNESCO-Programm –

Die Mitglieder des MAB-Nationalkomitees in Österreich

18 Vertreter aus Wissenschaft sowie Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen bilden

zusammen das österreichische MAB-Nationalkomitee. Das Gremium tritt zweimal im Jahr zu einer

Sitzung zusammen. Es hat seinen Sitz in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Vorsitzender des MAB-Komitees: Prof. Dr. Georg Grabherr (seit 2003)

Seit 1986 leitet Prof. Dr. Grabherr die Abteilung Naturschutzforschung, Vegetations- und Landschafts-

ökologie am Institut für Ökologie und Naturschutz der Universität Wien. Zu seinen Forschungs-

schwerpunkten gehören die Vegetation der Alpen, die funktionalen Aspekte der biologischen Vielfalt

in Österreich, der Grad der Natürlichkeit von Waldökosystemen (Hemerobie) sowie die Einflüsse des

Klimawandels auf alpine Lebensräume. Prof. Grabherr ist Mitglied in zahlreichen internationalen

Gremien und berät die Europäische Union bei der Umsetzung ihres fünften Wissenschaftsprogramms

sowie bei der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Zu seinen aktuellsten Publikationen zählt ein umfassendes

„Lehrbuch der Ökologie“, das er mit deutschen und Schweizer Kollegen 2004 herausgegeben hat.

Sekretariat:

Dr. Günter Köck

Österreichische Akademie der Wissenschaften,

Nationale und internationale Forschungsprogramme

Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2

1010 Wien

Mitglieder:

Prof. Dr. Axel Borsdorf, Institut für Stadt- und Regionalforschung, ÖAW

Prof. Dr. Friedrich Ehrendorfer, Botanisches Institut, Universität Wien

Mag. Gabriele Eschig, UNESCO-Kommission Österreich

Prof. Dr. Marina Fischer-Kowalski, Institut für Soziale Ökologie, Fakultät für Interdisziplinäre Forschung

MR DI Elfriede Fuhrmann, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

MR Dr. Frieda Gollner, Bundesaußenministerium

Prof. Dr. Alois Herzig, Biologische Station Illmitz, Amt der Burgenländischen Landesregierung

Prof. Dr. Heinz Löffler (em.), Institut für Ökologie und Naturschutz, Abt. Limnologie, Universität Wien

DI Wolfgang Mattes, Bundesumweltministerium

Prof. Dr. Hans Peter Nachtnebel, Institut für Wassermanagement, Universität für Bodenkultur

Prof. Dr. Jörg Ott, Institut für Ökologie und Naturschutz, Universität Wien

Prof. Dr. Gernot Patzelt, Universität Innsbruck

Mag. Christian Plössnig, Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Umweltschutz

Prof. Dr. Marianne Popp, Institut für Ökologie und Naturschutz, Universität Wien

Mag. Birgit Karre, CIPRA Österreich

MR Dr. Christian Smoliner, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur

Prof. Dr. Wolfgang Wieser (em.), Institut für Tierphysiologie, Universität Innsbruck

Doz. Dr. Hans Winkler, Konrad-Lorenz-Institut für vergleichende Verhaltensforschung, ÖAW

Prof. Dr. Grabherr ist seit 2003 Vorsitzender des MAB-Komitees.Im Hintergrund ist MAB-MitgliedProf. Dr. Fischer-Kowalski zu sehen.

29Der Mensch und die Biosphäre

Page 23: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Der Mensch und die Biosphäre 31

Das MAB-Nationalkomitee koordiniert zusam-men mit der UNESCO-Kommission (ÖUK),die wiederum Mitglied im österreichischen MAB-Nationalkomitee ist, das „Man and Bio-sphere“-Programm in Österreich. Im Gegen-satz zum Nationalkomitee, das die Forschungs-schwerpunkte festlegt, ist die Arbeit der ÖUK auf die Vermittlung des MAB-Konzepts ge-richtet. Weiters war sie darum bemüht, die Forschung stärker in Richtung Biosphären-parks zu orientieren. Derzeit führt die ÖUK zusammen mit dem Biosphärenpark Wiener-wald Management eine umfassende Schul-aktion in Niederösterreich und Wien zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema Biosphärenpark durch. Doch das MAB-Pro-gramm ist nur eines der vielen Aufgabenfelderinnerhalb der UNESCO-Kommission. Damit fehlt eine zentrale Institution, die den Mana-gern bei der Umsetzung des komplexen Bio-sphärenparkkonzeptes und der Weiterent-wicklung der „alten“ Gebiete unter die Arme greift, den Erfahrungsaustausch zwischen den Gebieten fördert und Lobbyarbeit für die Schutzkategorie innerhalb Österreichs betreibt. Im Vergleich dazu ist in Deutschland

MAB-Struktur in Österreich: Das MAB-Nationalkomitee legt die Forschungsschwerpunkte innerhalb des MAB-Programms fest, die UNESCO-Kommission sorgt für die Vermittlung des MAB-Konzeptes in Österreich.Graphik: Sigrun Lange

das MAB-Sekretariat beim Bundesamt für Naturschutz angesiedelt. 1990 trat eine „Stän-dige Arbeitsgruppe der Biosphärenreservate in Deutschland (AGBR)“ zusammen. Diese ent-wickelte 1995, zeitgleich mit der Konferenz in Sevilla, nationale „Leitlinien für Schutz, Pflege und Entwicklung“ und gab damit den Verantwortlichen Kriterien an die Hand, die bei der Einrichtung und Weiterentwicklung von Biosphärenreservaten berücksichtigt werden müssen. In Österreich fehlen natio-nale Leitlinien. Häufig werden die deutschen Richtlinien zur Orientierung herangezogen.

Strukturelle ProblemeKeiner der in Österreich vor Sevilla ausgewie-senen Biosphärenparks verfügt über eigene Managementeinrichtungen. Die Verwaltung der Gebiete sowie die regelmäßige Berichter-stattung an die UNESCO werden von beauf-tragten Mitarbeitern der jeweiligen Landes-regierungen übernommen. Im Großen Walser-tal dagegen gibt es ein Biosphärenparkmana-gement. Doch auch hier fehlen die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen,um den vielfältigen Funktionen gerecht zu

Nationale Zuständigkeiten

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Der Mensch und die Biosphäre 31

werden. Während im Walsertal (19.200 Hektar)nur eine Person hauptamtlich für die Umset-zung der Sevilla-Strategie zuständig ist, stehen im etwas größeren Nationalpark Kalkalpen (20.825 Hektar) für Management, Forschung sowie Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit 30 Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung und 15 Kollegen der Österreichischen Bundes-forste zur Verfügung. Für die Planung des Biosphärenparks Wienerwald wurden ledig-lich zwei Stellen geschaffen. Die Zuständigen stehen vor einer gewaltigen Aufgabe: Es han-delt sich dabei um ein über 1000 Quadratkilo-meter großes Gebiet, in dem rund eine ViertelMillion Menschen leben.

Offene Rechtsfragen und Finanzierungs-lückenGerade hinsichtlich der finanziellen Ausstat-tung unterscheiden sich Nationalparks und Biosphärenparks deutlich voneinander. Die rechtlich in den jeweiligen Landesnaturschutz-gesetzen verankerten Nationalparks sind Gemeinschaftsprojekte, deren Finanzierung zu je 50 Prozent durch den Bund und das jeweilige Bundesland erfolgt. Die Verwaltungenwerden in der Regel als „Gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung“geführt. Biosphärenparks dagegen befinden sich in Österreich rechtlich auf unsicherem Boden. Verwaltet werden sie von der UNESCO. Die internationale Gemeinschaft stellt aber keinerlei finanzielle Mittel zur Verfügung, sondern tritt nur beratend und koordinierend in Erscheinung. Als einziges Bundesland hat bisher Vorarlberg die UNESCO-Kategorie in die Naturschutzgesetzgebung aufgenommen. Ab 2005 erhält das Biosphärenpark-Manage-ment im Großen Walsertal jährlich 100.000 Euro Sockelfinanzierung vom Land. Zusätz-lich zahlen die beteiligten Gemeinden je 10 Euro pro Einwohner zugunsten des Bio-sphärenparks. Derzeit bereiten die Länder Wien und Niederösterreich eine Verordnung

vor, mit der die Schutzgebietskategorie in die jeweiligen Landesgesetze aufgenommen werden soll. Die Planung und Einrichtung des Biosphärenparks Wienerwald tragen die beiden Länder finanziell zu jeweils gleichen Teilen. In den übrigen UNESCO-Gebieten fehlt jegliche Finanzierung. Entsprechend sind auch keine Managementstrukturen vor-handen. Betrachtet man die vielfältigen Auf-gaben, die Biosphärenreservate erfüllen, so wird schnell deutlich, dass es sich bei dieser Kategorie nicht um ein reines Naturschutzin-strument handelt. Vielmehr geht es dabei um die Förderung einer nachhaltigen Regional-entwicklung, die Erfüllung eines nationalenForschungs- und Bildungsauftrags sowie die Umsetzung von internationalen Übereinkom-men wie der Biodiversitätskonvention. Des-halb sollte das Konzept eine möglichst breite öffentliche und politische Unterstützungerfahren. Hinsichtlich der Finanzierung von Biosphärenparks in Österreich wäre eine enge Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Umwelt- und Naturschutz, Wirtschaft, Bil-dung und Kultur wünschenswert.

Die Nationalparks in Österreich sind finanziell und personell weitaus besser ausgestattet als die Biosphärenparks. Während im Großen Walsertal nur eine Managerin für die Umsetzung der Sevilla-Strategie zuständig ist, stehen im etwas größeren Nationalpark Kalkalpen 30 Mitarbeiter der Nationalparkver-waltung und 15 Kollegen der Österreichischen Bundesforste zur Verfügung.Graphik: Sigrun Lange

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32 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 33

Die Österreichische Akademie der Wissen-schaften koordiniert seit 1973 die nationalen Forschungsprojekte im Rahmen des MAB-Programms. Generell fördert die UNESCO mit diesem Programm vor allem interdiszipli-näre und international vernetzte Forschungs-ansätze, die Modellbildung und Studien zur nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressour-cen. Die Ergebnisse sollen nicht nur zu einem tieferen Verständnis der Ökosysteme beitragen,vielmehr wird die Wissenschaft mit dem Pro-gramm dazu angehalten zu ergründen, wie wir unsere Umwelt nutzen können, ohne sie dabei zu zerstören. Im Rahmen des „International Biological Programme“, dem Vorläufer des MAB-Programms, konzentrierten sich die Ar-beiten noch auf limnologische Untersuchungenam Neusiedler See und in verschiedenen Hoch-gebirgsgewässern. Auch die Vegetation am Nebelkogel und Patscherkofel war Gegenstand des Interesses. Das MAB-Programm markierteden Übergang von der reinen Grundlagenfor-schung hin zu einer Wissenschaft, die Antwor-ten auf die drängenden Fragen der Zeit gibt.

Zwischen 1973 und 1979 beteiligte sich Öster-reich am so genannten „MAB6-Projekt“. Ziel der EU-weiten Untersuchungen war, den Ein-fluss des Menschen auf Hochgebirgsökosysteme

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wurde 1847 nach dem Vorbild der „Royal

Society“ in England gegründet. Sie entwickelte sich im Laufe der Zeit von einer Gelehrtengesellschaft

zu einer Trägerin moderner Forschungseinrichtungen. Nach wie vor besteht ihre Hauptaufgabe in der

Wissenschaftsförderung, besonders im Bereich der Grundlagenforschung. Mit der Einrichtung zahlreicher

spezialisierter Forschungsinstitute in fast allen Bundesländern begann ab Mitte der 1960er Jahre ihr

Aufstieg zur heute führenden, außeruniversitären Forschungsinstitution in Österreich. Sie besteht aus zwei

„Klassen“, der mathematisch-naturwissenschaftlichen und der philosophisch-historischen Klasse. Derzeit

zählt die ÖAW als Gelehrtengesellschaft rund 600 Mitglieder und umfasst 26 Institute mit rund 700

Mitarbeitern. An der Spitze steht das Präsidium, das aus vier Mitgliedern besteht. Die Finanzierung der

Forschungstätigkeiten erfolgt über Zuwendungen des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und

Kultur. Weiters werden Drittmittel vor allem aus Forschungsaufträgen akquiriert.

näher zu beleuchten. Besondere Beachtungfand dabei der Tourismus. Drei alpine Regionenin Österreich wurden im Rahmen des Projek-tes ausgewählt: Obergurgl (siehe Seite 114) in den Ötztaler Alpen, der Großglockner und das Gasteiner Tal in den Hohen Tauern sowie die Sameralm in den Salzburger Alpen. Im Nachhinein betrachtet, waren diese ehrgeizi-gen Forschungsprojekte ihrer Zeit weit voraus. Sie stießen aber bei der Bevölkerung nicht immer auf wohlwollende Zustimmung. In der Folge blieben die MAB-Forschungsprojekte weiter anwendungsbezogen, konzentrierten sich aber weniger konkret auf Fragestellungenbezüglich des Umgangs des Menschen mit der Natur und die Modellierung von Entwicklungs-szenarien. Auch die Zusammenarbeit zwischenNatur- und Sozialwissenschaften, wie im MAB6-Projekt erfolgreich praktiziert, ging zurück. Ab 1991 untersuchte ein MAB-finan-ziertes Projekt fünf Jahre lang die Natur-nähe der österreichischen Wälder. Ein Team aus Vegetationsökologen und Forstexperten bewertete knapp 5000 Waldstandorte. Als Maß für die Intensität der menschlichen Nut-zung und der damit verbundenen Verände-rung der natürlichen Wälder entstand das so genannte „Hemerobiekonzept“. Die Ergeb-nisse stehen seither den Entscheidungsträgern

Die nationale MAB-Forschung

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32 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 33

in der Forst- und Umweltpolitik zur Verfügung.Zur gleichen Zeit wurden ökologische Über-gangszonen (Ökotone) in der Auenlandschaft bei Hainburg untersucht, wo die March in die Donau fließt. Ziel der Studie war es, wissen-schaftliche Grundlagen für flussbauliche Maß-nahmen entlang der Donau zu schaffen. In den vergangenen fünf Jahren lag der Schwer-punkt der österreichischen Beteiligung am MAB-Programm auf der Erforschung von Wiesen und Almen in Bergregionen. Hinter-grund dieser Studie ist die Tatsache, dass sich das Grünland in den letzten Jahrzehnten auf Grund von Wiederaufforstungsmaßnahmen und intensiver Bewirtschaftung stark veränderthat. Für die betroffenen Almbauern hat der damit einhergehende Artenverlust auch wirt-schaftliche Auswirkungen.

Neue ForschungsschwerpunkteEin internationaler Workshop in Illmitz am Neusiedler See brachte im Juli 2004 schließ-

lich Wissenschaftler, Monitoringexperten und Biosphärenreservatsmanager zusammen, um der österreichischen MAB-Forschung eine neue Richtung zu geben und sie auf konkreteProblemfelder und Fragestellungen zu kon-zentrieren. Die Teilnehmer einigten sich auf drei Prinzipien: 1) Fortan sollen Natur- und Sozialwissenschaftler enger zusammenarbei-ten (Interdisziplinarität) und dabei die Frage-stellungen aus der Praxis der jeweiligen Mana-ger berücksichtigen (Transdisziplinarität).2) Weiters sind die nationalen Untersuchungennach Möglichkeit in einen internationalen Kontext zu stellen. 3) Zu den konkreten Arbeitsschwerpunkten gehören die Auswir-kung des Klimawandels auf die Ökosysteme, die Auswahl geeigneter Indikatoren für eine Langzeit-Umweltbeobachtung, die effektivere Einbindung der Interessensgruppen in das Management von Biosphärenreservaten und schließlich die Weiterentwicklung der Gebiete im Sinne der Sevilla-Strategie.

Ein Beitrag von DI Daniel Zollner und Mag. Michael Jungmeier, E.C.O. Institut für Ökologie in Klagenfurt

Ziel des Projektes „Biosphere Reserves in Austria – Grundlagenerhebung und Stand der Forschung“ (beauftragt durch das öster-reichische MAB-Nationalkomitee) war es, den Stand der Umsetzung des Biosphärenpark-konzeptes unter besonderer Berücksichtigung der Forschungslandschaft darzustellen. Die Hintergründe für das Projekt sind die Weiter-entwicklung der Biosphärenparks im Sinne der Sevilla-Strategie und die Festlegung zukünftiger Forschungsschwerpunkte. Der folgende Beitrag soll ausgewählte Ergebnisseaus dem Projekt anhand zweier sehr unter-

schiedlicher Biosphärenparks – Großes Walsertal und Gossenköllesee – präsentieren und so die Bandbreite der erfolgten oder nicht erfolgten Umsetzung des Biosphärenparkkon-zeptes aufzeigen.

Reif fürs 21. Jahrhundert?Die 1995 von der UNESCO-Expertenkon-ferenz erarbeitete Sevilla-Strategie (benannt nach dem Tagungsort Sevilla in Spanien) emp-fiehlt konkrete Schritte zur Weiterentwicklung der Biosphärenparks im 21. Jahrhundert. Mit Hilfe des darin enthaltenen Indikatorensets

DI Daniel Zollner ist seit 2001 Mitarbeiter bei E.C.O.Er arbeitet an der Schnitt-stelle zwischen Landwirt-schaft, Forstwirtschaft und Naturschutz.

Evaluierung der Forschung in österreichischen Biosphärenparks

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34 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 35

wurde die Umsetzung der Biosphärenpark-idee einer Überprüfung unterzogen. Zusätz-lich wurde anhand von Basiskriterien das Bio-sphärenpark-Label hinsichtlich seiner grund-sätzlichen Eignung als Prädikat für die jewei-lige Region bewertet. Ein weiteres Ziel der Studie war die Sichtung der abgeschlossenen und aktuellen Forschungsaktivitäten in den jeweiligen österreichischen Biosphärenparks. Anhand einer standardisierten Struktur und eines spezifischen Kriteriensets wurden die Umrisse der Forschungslandschaft in den ein-zelnen Biosphärenparks sichtbar gemacht.

Forschung ist im MAB-Programm ein wesentlicher BestandteilDas stark wissenschaftsorientierte Man and Biosphere Programm legte 1970 bzw. 1971 vierzehn Projektbereiche fest, die auch heute noch in fokussierter Form (mit fünf bis sechs Schwerpunktthemen) den Orientierungsrah-men für MAB-Forschung bilden. Der „Pro-jektbereich 8 – Erhaltung von Naturgebie-ten und dem darin enthaltenen genetischen Material“ beinhaltet als integrativen Teil das Konzept der Biosphärenparks, die nach der heutigen Vorstellung als Modellregionen für nachhaltige Nutzung gleichzeitig auch als Kristallisationspunkte für MAB-relevante Forschung vorgesehen sind. In der „Endaus-baustufe“ des „World Network of Biosphere Reserves“ (WNBR) sollen alle repräsentativen Ökosysteme der Erde erfasst und hinsicht-lich nachhaltiger Nutzungsstrategien erforscht werden. Sämtlichen Projektbereichen gemein ist die herausragende Bedeutung, die den viel-fältigen Interaktionen zwischen menschlicher Nutzung und den Ökosystemen zukommt. Die Hauptzielrichtung der Forschung liegt somit in der Beantwortung der Frage, wie nachhaltige Nutzung unter den vorgegebenen ökologischen Bedingungen stattfinden kann.

Großes Walsertal und Gossenköllesee – zwei unterschiedliche BiosphärenparksDer Zeitpunkt der Gründung der beiden Bio-sphärenparks beeinflusste wesentlich ihre wei-tere Entwicklung. Während der Biosphären-park Großes Walsertal erst vor kurzem (2000) mit vorwiegend regionalwirtschaftlichen Zielsetzungen eingerichtet wurde, ist die Ent-stehung des Biosphärenparks Gossenköllesee auf die Initiative von Forschern im Jahr 1977 zurückzuführen, die den Fortbestand des international bedeutsamen Forschungsstütz-punktes zu sichern versuchten. Dement-sprechend sind Ausmaß und Stellenwert der Forschung im Biosphärenpark Gossenkölle-see unverhältnismäßig größer als im Großen Walsertal. Während sich im Großen Walsertal die Forschung noch „unkoordiniert und frei“ entfaltet, wird am Gossenköllesee unter der Schirmherrschaft der Universität Innsbruck klaren Forschungsleitfragen nachgegangen. In beiden Fällen sind die offiziellen Verwal-tungsstrukturen (Biosphärenparkmanagement Großes Walsertal sowie Landesnaturschutz-behörde Tirol) nicht weiter mit Forschungsa-genden betraut.

„Klassische MAB-Forschung“ findet aktuell weder im Großen Walsertal noch am Gossen-köllesee statt. Nur in den seltensten Fällen macht die Forschung in Österreich Gebrauch vom „Freilandlabor Biosphärenpark“. Ein thematischer Bezug zu MAB-Forschungs-schwerpunkten kann dennoch vor allem am Gossenköllesee (Wetlands, Global Change), aber auch im Großen Walsertal (Quality Eco-nomies) hergestellt werden.

Nachstehende Tabelle zeigt ausgewählte Aspek-te der beiden unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen geschaffenen und geführten Bio-sphärenparks. Sie heben die verschiedenen und gleichzeitig auch vielfältigen Ausgestaltungs-möglichkeiten von Biosphärenparks hervor.

Ein Vergleich der Biosphärenparks Gossenköllesee (oben) und GroßesWalsertal (unten) zeigt, wie unter-schiedlich das UNESCO-Konzeptin Österreich umgesetzt wird.Photo: Roland Psenner (o.) und BSP- Management Walsertal (u.)

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34 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 35

Biosphärenpark (BSP) Großes Walsertal Biosphärenpark (BSP) Gossenköllesee

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Das Große Walsertal zeigt ein positives Bild bei der Umsetzung der Biosphärenparkidee. Als einziger BSP nach Erstellung der Sevilla-Strategie entstanden, überschreiten alle Basiskriterien den Schwellenwert (rote Linie). Das Große Walsertal ist sehr gut geeig-net, die drei Leitfunktionen eines BSP zu erfüllen. Es bildet eine geschlossene, einheitliche Talschaft und repräsentiert einen typischen alpinen Talöko-systemkomplex. Es hat eine adäquate Größe (19.200 Hektar), eine abgestufte Zonierung, ein eigenes Biosphärenparkmanagement sowie etliche Konzepte und Planungsunterlagen (Leitbild, Tourismuskonzept, Forschungsleitfaden i.P. etc.).

Die Entstehung des BSP Gossenköllesee geht auf das Bestreben von Forschern zurück, dieses Gebiet als Forschungsstützpunkt von internationaler Bedeut-ung zu erhalten. Das Hauptinteresse liegt seit jeher im Bereich der Forschung, die Umsetzung von inter-nationalen Biosphärenparkvorgaben ist zweitrangig.So zeigt das Biosphärenparkprofil auch ein gegen-über dem Großen Walsertal anderes Bild. Vier der fünf Basiskriterien werden dabei nicht erreicht. Ein Hauptgrund liegt in den viel zu kleinen Arealausmaß-en. Mit nur 85 Hektar ist der Gossenköllesee der klein-ste Biosphärenpark weltweit. Die Erfüllung der drei Leitfunktionen ist daher nur eingeschränkt möglich.

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Ähnlich wie bei den Basiskriterien gewinnt man auch bezüglich der Erreichung der Hauptziele der Sevilla-Strategie in Summe ein positives Bild. Alle Schwellen-werte (roter Rahmen) werden dabei zumindest beinahe erreicht, z.T. sogar deutlich überschritten.

Demgegenüber wird der Schwellenwert im BSP Gossenköllesee nur in der Zielsetzung 3 („Research, Monitoring, Education and Training“) überschritten. Dies ist vor allem auf die rege Forschungstätigkeit der Universität Innsbruck zurückzuführen.

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Die Forschungsaktivitäten im BSP nehmen starken Bezug auf volkskundliche und kulturelle Aspekte (Geistes- und Sozialwissenschaften). Weitere erkenn-bare Schwerpunkte liegen im naturwissenschaftlichen Bereich (z.B. Landschaftsinventar, geologische Ab-handlungen) oder sind wirtschaftswissenschaftlicherNatur (z.B. Studien zu Vermarktungsstrategien, Produktentwicklung für BSP).

Im BSP Gossenköllesee lässt sich eindeutig ein natur-wissenschaftlicher Schwerpunkt erkennen (Studien zu den Systemfunktionen alpiner Extremstandorte sowohlin biotischer als auch in abiotischer Hinsicht). Dieser Bereich besitzt Anknüpfungspunkte zu zahlreichen Programmen von internationaler Bedeutung (z.B. MO-LAR, GLOCHAMORE, GLORIA, EMERGE etc.). Weit-gehend ausgeklammert sind die restlichen Disziplinen.

Page 29: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

36 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 37

Der Weg entsteht beim Gehen …Die Biosphärenparks Österreichs sind also sehr unterschiedlich. So verschieden wie die Landschaften des Landes, könnte man sagen. Da der Biosphärenpark im Großen Walsertal schon stark an der Sevilla-Strategie orientiert ist, zeigt er einen der möglichen Wege in die Zukunft. Natürlich sind in dem „jungen“ Bio-sphärenpark noch viele Felder zu entwickeln. Handlungsbedarf besteht beispielsweise im Bereich der Managementstrukturen (Auf-stocken des Personalstands und finanzieller Ressourcen) und bei der Forschung. Zur Zeit bemüht sich der Park um den Aufbau ent-sprechender Forschungskompetenz. Auch die Planung des Biosphärenparks Wienerwald ist in allen wesentlichen Eckpunkten an der Sevilla-Strategie orientiert. Die Größe des Gebietes, die große Zahl der Einwohner und Projektbeteiligten und nicht zuletzt die Unterschiedlichkeit der Teilräume (Wald, Stadt-umland, Stadt) machen die Einrichtung dieses Parks zu einer besonderen Herausforderung.

Der Gossenköllesee steht hingegen für eine völlig andere Entwicklung. Das Gebiet hat durch seine Ausweisung als Biosphären-park wichtige Forschungsimpulse erhalten.

So konnten zu weltweiten MAB-Forschungs-schwerpunkten wesentliche Bausteine hin-zugefügt werden. Als Modellregion im Sinne der Sevilla-Strategie ist dieses Gebiet jedoch ungeeignet. Wie kann es also weitergehen? Auf den Punkt gebracht, kann das Gebiet entweder weiterentwickelt oder aufgelas-sen werden. Eine Weiterentwicklung ist mit hohem Aufwand verbunden, müsste doch das Gebiet vergrößert und mit Betreuungs-strukturen ausgestattet werden. Ein Auflassen des Gebietes ist aufgrund der internationalen Bedeutung als Forschungsstützpunkt ebenfalls kaum vorstellbar. Dies ist eine schwierige Ent-scheidung, die sich in ähnlicher Weise auch in anderen Biosphärenparks stellt. In Zusam-menarbeit mit verschiedenen Beteiligten, MAB-Komitee, Wissenschaftlern, regionaler Bevölkerung und Interessierten, muss hier eine Lösung erarbeitet werden.

FO

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GS

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Der Schwerpunkt hinsichtlich der Forschungsarten liegt im Bereich regionsbezogener Inventare und Analysen (zur Natur, zur Volkskunde, zu Situation der Haushalte). Durch die Einsetzung eines Biosphären-parkmanagements sind begleitende Forschungen zum Management im Begriffe zu steigen. Allgemeine Grundlagenforschung findet man nur in Ansätzen.

Grundlagenforschung bildet den Schwerpunkt im BSP Gossenköllesee. Eindeutiger Themenschwer-punkt ist Global Change. Hochgebirgsseen eignen sich bestens als Indikatoren für globale Umweltver-änderungen, da sie keinen unmittelbaren Einflüssen unterliegen. Begleitforschung fürs Management ist aktuell nicht vorhanden, Inventare und Analysen werden im Zuge der Grundlagenforschung erstellt.

Anmerkung: Eine Beschreibung zur Methodik der Bewertung findet sich bei Zollner & Jungmeier 2004.

Mag. Michael Jungmeier ist Leiter von E.C.O. Institut für Ökologie in Klagenfurt. Sein Schwerpunkt liegt auf Schutzgebietsmanagement und Vegetationsmonitoring.

E.C.O. Institut für Ökologie in Klagenfurt

ist ein Dienstleistungsunternehmen mit dem

Schwerpunkt auf Beratung, Forschung und

Konzeption für die Bereiche angewandte

Ökologie und Naturschutzforschung.

Weitere Informationen unter www.e-c-o.at.

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36 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 37

EinleitungBiosphärenreservate sind durch die UNESCOanerkannte Vorbildgebiete zur Erkundung und Demonstration, wie nachhaltige Entwicklung und Naturschutz auf regionaler Ebene in Ein-klang gebracht werden können. Wissenschaft-liche Forschung in den Biosphärenparks soll laut der 1995 beschlossenen Sevilla-Strategie dazu dienen, die Erreichung ihrer Zielsetzun-gen zu unterstützen. Das bedeutet nicht nur die Beobachtung der Naturwerte, die in Biosphären-parks erhalten werden sollen, sondern auch die Erforschung der gesellschaftlichen Prozesse, die diese beeinflussen. Wenn jene Menschen, die in Biosphärenparks wohnen, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen, nicht die Schutzziele unterstützen, zum Beispiel deshalb, weil sie auchfür sich selbst darin einen Vorteil sehen, werden diese Ziele nicht erreichbar sein. Wissenschaft-liche Forschung muss das Management von Biosphärenparks über Störungen im Natur-haushalt, aber auch über den Grad der Unter-stützung durch relevante soziale Gruppen und etwaige Nutzungskonflikte informieren und bei Interventionen begleiten. Zugleich transportiertsie die Erfolge und Lerneffekte in die regionale,nationale und internationale Öffentlichkeit und unterstützt somit die von der UNESCO angestrebte Vorbildfunktion der Biosphären-parks. Diese Funktionen der wissenschaftlichen Forschung wurden im Konzept des „Integrier-ten Monitoring“ (BRIM = Biosphere ReservesIntegrated Monitoring) zusammengefasst.

Die Geschichte von BRIMBRIM wurde 1991 auf Initiative von EuroMAB begründet. Relativ rasch entwickelte sich die ursprüngliche Idee einer „Inter-Biosphere Reserve Communication“ hin zum „Interdis-

ciplinary Monitoring of Biosphere Reserves“. Bei der UNESCO-Generalversammlung im November 1995 (Sevilla) wurde das folgende Statement in den Schlussprotokollen festge-schrieben: „Biosphere Reserves constitute ideal sites for research, long-term monitoring, train-ing (…) while enabling local communities to become fully involved in the conservation and sustainable use of resources.“ Der Begriff„long-term monitoring“ weist auf die Not-wendigkeit hin, nicht nur punktuell Forschungs-aktivitäten zu setzen, sondern bestimmte Merk-male kontinuierlich und über einen langen Zeitraum zu beobachten. BRIM wurde im Laufe der letzten zehn Jahre zu einem Moni-toringsystem erweitert, welches nicht nur auf naturwissenschaftliche Phänomene achtet, sondern auch sozioökonomische Gegeben-heiten erhebt und beobachtet.

Das „Information Center for the Environment”(ICE) hat in Zusammenarbeit mit US-MAB and UNESCO’s MAB-Programm eine stan-dardisierte Datenbank der Arteninventare aus der Tier- und Pflanzenwelt der Biosphären-reservate angelegt. Diese Datenbank mit der Bezeichnung „MABFauna and MABFlora Online Database“ stellt eine der wenigen bis jetzt realisierten globalen Datenbanksysteme im Zusammenhang mit Biosphärenreservaten dar. Daneben werden auch räumliche Infor-mationssysteme in das BRIM integriert, da vor allem das GIS (Geographisches Infor-mationssystem) sich dafür eignet, integrierte Umweltbeobachtung und sozioökonomische Nutzung in einer bestimmten Region aufein-ander zu beziehen und politische Entschei-dungsprozesse beratend zu unterstützen.

Biosphere Reserve Integrated Monitoring (BRIM) – Eine zentrale Forschungsaufgabe in BiosphärenreservatenEin Beitrag von Prof. Marina Fischer-Kowalski und Ass.Prof. Karl Reiter

Ass.-Prof. Dr. Karl Reiter ist Vegetationsökologe mit Schwerpunkt auf raumanalytischen Unter-suchungen zur Landes-fläche Österreichs.

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Von BRIM (Biosphere Reserve Integra-ted Monitoring) zu BRIA (Biosphere Reserve Integrated Assessment), einem integrierten NachhaltigkeitsassessmentDas Monitoring von Naturphänomenen, alsodie Umweltbeobachtung, beruht letztlich auf der Methodenentwicklung und den Resultatender Ökosystemforschung. Aufgabe der Umwelt-beobachtung ist die Untersuchung, wie sich die Beziehungen zwischen den Bestandteilen des zu beobachtenden Natursystems entwi-ckeln. Eine solche Beobachtung erlaubt das rechtzeitige Erkennen negativer Trends, d.h. das Einsetzen von Verschlechterungen gegen-über dem Ist-Zustand oder auch gegenüber den Umweltqualitätszielen, die in einem Leit-bild festgelegt wurden. Was Umweltbeobach-tungssysteme anlangt, braucht „das Rad nicht neu erfunden zu werden“. Es gibt eine Reihe bewährter Verfahren, die für eine bestimmte Region bloß koordiniert und gebündelt zum Einsatz gebracht werden müssen. Internatio-nal wird daran gearbeitet, einen Kerndaten-satz zu definieren, dessen Informationen aus ganz unterschiedlichen Quellen stammen können, aber methodisch bestimmten Stan-dards gehorchen. Weniger entwickelt und noch kaum standardisiert sind hingegen die Ver-fahren, mittels deren sozioökonomische Zu-stände und Aktivitäten erfasst werden sollen. Auch hier sind Entwicklungsarbeiten interna-tional im Gange. Die Form der Gesamtein-schätzung (Assessment), die durch das BRIM- Konzept der UNESCO/MAB angestrebt wird, soll diese unterschiedlichen Beobach-tungsdimensionen integrieren. Wir sprechen dann von integriertem Monitoring, wenn die Daten, die in den verschiedenen Bereichen erhoben worden sind, miteinander verknüpft werden können. Eine solche Verknüpfung muss mittels einer Datenanalyse geschehen, die sich zum Beispiel vergleichsweise einfacherKorrelationsverfahren bedient, aber auch komplexe Modelle benutzen kann. Werden die Ergebnisse einer solchen Analyse dann mit

den Leitzielen des Biosphärenparks in Bezie-hung gesetzt, so kann daraus – womöglich unter Beteiligung verschiedener Interessens-gruppen und Betroffener – eine Gesamtein-schätzung (ein „Integrated Assessment“) erar-beitet werden, an der sich die Management-entscheidungen orientieren sollen. Je breiter die Interessensbasis, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Entscheidungen tat-sächlich umgesetzt und mit den erforderlichen Mitteln unterstützt werden.

Gibt es in Österreichs Biosphären-reservaten Ansätze zu Integriertem Monitoring (BRIM)?Ansätze zu integrierter Beobachtung von Ökosystemen in Österreich gehen auf die großen Forschungsprogramme der 1960er Jahre zurück. Damals begann sich die ökolo-gische Forschung international zu organisie-ren. Am Beginn stand das Internationale Bio-logische Programm (IBP), das zum Ziel hatte, mittels standardisierter Methoden die Bio-masseproduktion und die Massenumsätze der wichtigsten Ökosysteme der Erde zu erfassen. Auch österreichische Forschergruppen waren aktiv beteiligt, so die Universität Wien am Neusiedler See und die Universität Innsbruck in den Tiroler Alpen. Konzentrierte sich das IBP fast ausschließlich auf natürliche Öko-systeme, so war das Folgeprogramm „Mensch und Biosphäre“ (MAB) dazu konzipiert, die Interaktionen zwischen dem Menschen und den ökologischen Prozessen zu erfassen und zu dokumentieren. Österreich beteiligte sich engagiert an diesem Programm. Beispiele sind etwa die „Tauernforschung“ mit dem Schwer-punkt der Analyse der ökologischen Auswir-kungen des Wintertourismus, die Studien zum Donaustau Altenwörth, die Erfassung der Na-türlichkeit österreichischer Wälder als Modell-studie zur Naturschutzforschung oder das „Modell Obergurgl“, das bereits vor 40 Jahren das heutige Biosphärenparkkonzept vorweg-nahm (siehe Beitrag Seite 112). In gemeinsa-

Prof. Dr. Marina Fischer-Kowalski leitet das Institut für Soziale Ökologie (Wien) in der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung an der Universität Klagenfurt.

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38 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 39

men Aktionen und mit Hilfe von Computer-modellen versuchten Obergurgler Hoteliers und Bauern zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Innsbruck und der IIASA in Laxenburg ein nachhaltiges Modell für die Zukunft des bekannten Skiortes zu entwickeln.Das Projekt hat viele Entscheidungen der Obergurgler in den Folgejahren beeinflusst.

Obwohl es bereits vor vierzig Jahren beachtli-che Ansätze zu einer integrierten Umweltbe-obachtung bzw. Umweltforschung auch im Bereich späterer Biosphärenreservate gab, wurden jedoch bis jetzt keine gezielten Akti-vitäten gesetzt, um Integriertes Monitoring in Österreichs Biosphärenreservaten zu etablieren.Was soll und was kann in ein zukünftiges Sys-tem des Integrierten Monitoring – also in den Aufbau eines BRIM-Austria – eingebracht werden? Mit dieser Frage befasste sich ein Projekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Mitarbeiter des IFF (Fakul-tät für Interdisziplinäre Forschung und Fort-bildung der Universität Klagenfurt) und des IECB (Institut für Ökologie und Naturschutz der Universität Wien) haben im Zuge dieses Forschungsvorhabens eine Bilanz zum Stand der Datenlage für ein nationales BRIM gezogen.Dabei stellte sich heraus, dass eine vergleich-bare Datenlage in allen österreichischen Bio-sphärenreservaten nicht einmal annähernd vor-liegt. Die Entwicklung eines Kerndatensatzes naturwissenschaftlicher und sozioökonomi-scher Daten, welcher als verbindlicher Standardfür alle österreichischen Biosphärenreservategilt, ist ein Entwicklungsschritt, der noch be-vorsteht. Ein Teil der Forschungsmittel, über die das MAB-Komitee der Österreichischen Akademie der Wissenschaften verfügt, wird künftig dieser Aufgabe gewidmet sein.

Integriertes Monitoring und Nachhaltig-keitsassessment als globale AufgabeDas gesamte Netzwerk der Biosphärenreser-vate könnte in hervorragender Weise dazu

dienen, Veränderungen der Umweltsituation auf der Erde regional spezifisch und kleinräu-mig detailliert zu beschreiben, wenn in allen Biosphärenreservaten nach standardisierten Methoden Daten zu den Parametern eines global definierten Kerndatensatzes erhobenwürden. BRIM könnte zugleich mit dem welt-weiten Terrestrischen BeobachtungssystemGTOS als ein Teil des globalen Beobachtungs-netzwerkes arbeiten und ebenso die Initiativeder „ökologischen Langzeitforschung“ (LTER)in den USA berücksichtigen. Diese globale Komponente wird sicher beim Aufbau eines nationalen BRIM in Österreich berücksichtigtwerden. Über die Beobachtung und Analysehinaus könnten Biosphärenparks – ganz im Sinne der UNESCO-Sevilla-Strategie – demonstrieren, wie man durch die systema-tische Verkoppelung von wissenschaftlicher Beobachtung und Managemententscheidun-gen, die sich auf eine breite Informations- und Interessensbasis stützen, nachhaltige Entwicklung praktisch vorantreiben kann.

Das Landschaftsinventar im Großen Walsertal – angefertigt vom Institut für Ökologie und Naturschutz der Universität Wien – ist ein Beispiel für die Kopplung von wissenschaftlichen Beobachtungen und Managemententscheidungen.

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40 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 41

Die Ausweisung von Schutzgebieten zählt zusammen mit dem Artenschutz und der ökologisch nachhaltigen Nutzung der natür-lichen Ressourcen zu den drei Hauptsäulen des österreichischen Naturschutzes. Die zahlreichen nationalen und internationalen Schutzgebiets-kategorien sorgen jedoch für Verwirrung. Bei-spielsweise gibt es in ganz Österreich Natur-schutz- und Landschaftsschutzgebiete, Natur-parke und Ruhegebiete hingegen existieren nur in einigen Bundesländern. Biogenetische Reser-vate und Natura 2000-Flächen zählen zu den europäischen Schutzkategorien, Ramsar-Gebieteund Biosphärenparks werden weltweit ausge-wiesen. Ungeachtet der unterschiedlichen Schutzkategorien, die sich in manchen Regionenüberschneiden, sind insgesamt etwa 22 Prozentder Fläche des österreichischen Bundesge-bietes unter Schutz gestellt. Je nach Kategorie gelten sehr unterschiedliche Schutzbestimmun-gen und Auflagen (siehe Anhang Seite 122).

Biosphärenparks stellen demnach nur EINE der vielen Schutzgebietskategorien dar. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass die internationalenRichtlinien der UNESCO für Biosphären-reservate in den jeweiligen Mitgliedsstaaten rechtlich NICHT bindend sind. Österreich hat sich aber freiwillig verpflichtet, die Sevilla-Kriterien bei der Einrichtung der Modellre-gionen zu berücksichtigen. Eine eigene, im Landesnaturschutzgesetz verankerte Schutz-kategorie für Biosphärenparks wurde bisher nur vom Land Vorarlberg eingerichtet. Die Länder Wien und Niederösterreich planen derzeit jeweils ein eigenes Biosphärenpark Wienerwald-Gesetz. Die UNESCO empfiehlt, Kernzonen in Biosphärenreservaten durch strenge nationale Schutzkategorien wie Natur-schutzgebiete, Nationalparks oder Ruhegebieterechtlich abzusichern, um deren langfristigen Erhalt zu gewährleisten.

Die Vielzahl der Schutzkategorien in Österreich: Natur- und Landschaftsschutzgebiete, Nationalparks sowie Natura 2000-Flächen spielen für den Schutz der natürlichen Vielfalts Österreichs eine größere Rolle als Biosphärenparks. (Quelle: Webseite des Umweltbundesamtes)

Naturschutzrechtlich geschützte Gebiete in Österreich (vgl. auch Anhang ab Seite 122)

Schutzkategorie Anzahl Fläche in km2 Anteil an der Bundesfläche Stand

Biosphärenparks 5 468 0,6 % 2004

Welterbestätten 8 keine Angaben keine Angaben 2003

Ramsar Gebiete 16 1371 1,6 % Jänner 2004

Natura 2000 211 13.870 16,3 % 2004

Biogenetische Reservate 56 1730 2,1 % 2002

Wildnisgebiet 1 5 zu geringfügig 2004

Nationalparks 7 2547 3 % 2003

Naturschutzgebiete 377 3280 3,8 % Dez. 2000

Landschaftsschutz-gebiete

253 9120 11 % Dez. 2000

Naturwaldreservate 180 80 0,1 % 2003

Naturparke 37 3050 3,6 % 2004

Die internationale Schutzkategorie „Biosphärenpark“ in Österreich

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40 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 41

Die fünf Biosphärenparks in ÖsterreichDie fünf österreichischen Biosphärenparks Neusiedler See (Burgenland), Untere Lobau (Wien), Gossenköllesee (Tirol), Gurgler Kamm (Tirol) und Großes Walsertal (Vorarlberg) erstrecken sich auf insgesamt 468 Quadrat-kilometern, was etwa 0,6 Prozent der Landes-fläche entspricht. Die Einrichtung eines Bio-sphärenparks im Wienerwald ist für 2005 geplant. Damit sind die UNESCO-Modell-regionen in Österreich – gerade auch im europäischen Vergleich – flächenmäßig unter-repräsentiert. In Deutschland wurden bisher 14 Biosphärenreservate auf 4,4 Prozent der Landesfläche ausgewiesen; Spanien nominierte 22 Gebiete mit insgesamt 20.361 Quadratkilo-metern, was vier Prozent der Staatsfläche ent-spricht. Natur- und Landschaftsschutzgebiete,Natura 2000-Flächen oder Nationalparks spielendemnach für den Schutz der natürlichen Viel-falt Österreichs eine weitaus größere Rolle als Biosphärenparks. Dies spiegelt sich auch im Bekanntheitsgrad wider. Eine telefonische Umfrage in den Wienerwaldgemeinden ergab im September 2002, dass 98 Prozent der 400 Befragten den Begriff „Nationalpark“ kann-ten, während nur einem Fünftel das Prädikat „Biosphärenpark“ geläufig war.

Repräsentanz der NaturräumeZu den besonderen Aufgaben des Biosphären-reservatsnetzes gehört es, weltweit alle wesentlichen Natur- und Kulturräume zu repräsentieren. Die Vielfalt auf unserem Planeten soll möglichst vollständig erfasst werden. In der Sevilla-Strategie empfiehlt die UNESCO den Mitgliedsstaaten zu überprü-fen, ob ihre biogeographischen Regionen gemäß ihrem Flächenanteil hinreichend im Schutzgebietsnetz vertreten sind. Österreich weist trotz seiner geringen Größe eine außer-ordentliche naturräumliche Vielfalt auf (siehe Beitrag auf Seite 54). Zu den drei großen Naturräumen zählen die Alpen, die Vorländer

und Becken sowie das Granit- und Gneis-hochland. Der Alpenraum ist mit einem Flä-chenanteil von etwa 63 Prozent das prägende Landschaftselement. Drei der fünf bestehen-den Biosphärenparks befinden sich im alpinen Raum. Die nördlichen Kalkalpen werden durch das Große Walsertal vertreten, die Zen-tralalpen durch die Tiroler Gebiete Gossen-köllesee und Gurgler Kamm. Die beiden öst-lichen Biosphärenparks repräsentieren wert-volle Feuchtbiotope des PannonischenRaumes: die Donau-Auen in der Unteren Lobau und die einzigartige Steppenland-schaft um den Neusiedler See. Der für 2005 geplante Biosphärenpark Wienerwald liegt im Übergangsbereich zwischen den östlichen Ausläufern der Nordalpen und dem begin-nenden pannonischen Hügelland. Diese alte Kulturlandschaft, ein Mosaik aus Laubwäldernin enger Verzahnung mit artenreichen Wiesen-flächen, ist gerade auf Grund ihrer Nähe zur Großstadt Wien ein besonders wertvoller „Neuzugang“ für das UNESCO-Weltnetz. Das nördliche und südöstliche Alpenvorland Österreichs ist bisher ebenso wenig berück-sichtigt wie das Granit- und Gneishochland der Böhmischen Masse.

Von den drei großen Naturräumen Österreichs repräsentieren die existierenden Biosphärenparks lediglich die Alpen sowie die Vorländer und Becken. Das Granit- und Gneishochland ist bisher mit keinem der UNESCO-Gebiete erfasst.

Der Biosphärenpark Neusiedler See repräsentiert die wertvollen Feuchtgebiete des Pannonischen Raumes. Limikolen wie die Uferschnepfe (Limosa limosa) kommen hierher zum Brüten.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

Page 35: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

42 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 43

Derzeit gibt es in einigen Regionen ÖsterreichsInitiativen, welche die Chancen des zukunfts-orientierten Biosphärenreservatskonzeptes erkannt haben und sich von dem internatio-nalen Prädikat Impulse für den Erhalt und die nachhaltige Entwicklung ihrer ländlichen Natur- und Kulturräume versprechen. Zu den potentiellen Neuzugängen zählen die March-Thaya-Auen, die Region Lungau-Murau, die Nockberge und die Koralm. Auf Grund ihrer naturräumlichen und strukturellen Besonder-heiten wären auch die Gegend um den Dürren-stein, das Tennengebirge sowie die Wachau für die Nominierung als Biosphärenpark geeignet. Mit der Ausweisung der Gebiete, in denen derzeit die Machbarkeit eines Biosphä-renparks diskutiert und geprüft wird, könnten wesentliche Lücken im österreichischen Bio-sphärenparknetz geschlossen werden.

Bezirke Lungau und Murau. Ein Biosphären-park wäre bestens dafür geeignet, den wirt-schaftlichen Entwicklungsbedarf in Einklang mit den Schutzinteressen zu bringen. Die oft vermuteten Schwächen dieser Region könnten dann als besondere Stärken wahrgenommen werden. Die mögliche Einrichtung eines Bio-sphärenparks wurde auf einer Sondertagung Ende April 2004 auf der Burg Finstergrün in Ramingstein diskutiert. Vertreter aus Wirt-schaft, Landwirtschaft und Regionalpolitik sehen darin eine große Entwicklungschance für die Region. Nach der Tagung bildete sich die Arbeitsgruppe „Biosphärenregion Lungau“mit dem Ziel, die Idee einer UNESCO- Modellregion weiter voranzutreiben.Kontaktperson: Elisabeth Löcker, Tel. 06476/2970, E-Mail: [email protected]

March-Thaya-Auen (Niederösterreich)Die March-Thaya-Auen gehören zu den bedeutendsten Feuchtgebieten Mitteleuropas.Gemeinsam mit der Kulturlandschaft des nordöstlichen Weinviertels weist die Region an der Grenze zu Tschechien und der Slowa-kei ein einzigartiges Mosaik an vielfältigen Landschaftsstrukturen auf, das sich durch eine klein strukturierte Verzahnung der ver-schiedenen Naturräume – Augebiete, Wälder, Wiesen und Äcker – auszeichnet. Während für die angrenzenden Donau-Auen die Nicht-nutzung den optimalen Schutz darstellt, bedarfes in der Weinviertler Grenzregion auf Grund der kleinteiligen bäuerlichen Besitzstrukturen einer nachhaltigen Nutzung, um die Land-schaft zu erhalten. 2001 wurde eine Machbar-keitsstudie für die Umsetzung eines trilateralen Biosphärenparks zwischen Österreich, Tsche-chien und der Slowakei in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse liegen seit Juli 2002 vor. Die Studie ergab, dass sich die Region hinsichtlich ihrer ökologischen Vielfalt und traditionellen Bewirtschaftungsweisen sehr gut für die Ein-

Mögliche Neuzugänge für das Weltnetz der Biosphärenreservate

Lungau-Murau (Salzburg-Steiermark) Die ökologischen Qualitäten der Region Lungau-Murau werden oft nur unzureichend wahrgenommen. Das intakte System von Hochtälern, im Wesentlichen das Quellgebietder Mur, ist von fünf Natur- und National-parks umgeben. Nachhaltige Wirtschafts-formen prägen die beiden dünn besiedelten

Nachhaltige Wirtschaftsformen prägen den dünn besiedelten Bezirk Lungau.Photo: Elisabeth Löcker

Page 36: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

42 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 43

richtung eines Biosphärenparks eignen würde. Die Zonierung könnte unter Berücksichtigungbereits bestehender Schutzgebiete wie Ramsar-Gebiete und Natura 2000-Flächen erfolgen.Als ganzheitliches Organisationsmodell könnteein Biosphärenpark eine wichtige grenzüber-schreitende Kommunikationsplattform dar-stellen und wirtschaftliche Impulse für eine Region bringen, die auf Grund ihrer Grenz-lage und des Strukturwandels der Urproduk-tion (siehe Seite 48) wirtschaftlich benachtei-ligt ist. Bei regionalen Akteuren und Politikernist die Resonanz auf die zukünftige Einrich-tung eines Biosphärenparks durchaus positiv.Die 2003 gestartete gemeinsame Initiative des Distelvereins, der regionalen Gemeindever-bände und des Weinviertelmanagements, den „Biosphärenpark March-Thaya“ bei der UNESCO einzureichen, wurde von Seiten des Landes Niederösterreich zwar grundsätz-lich unterstützt, das Projekt scheint vorerst aber auf Eis gelegt zu sein bis die Planungs-phase des Biosphärenparks Wienerwald abge-schlossen ist.Kontaktperson: Johannes Wolf, Tel. 02247/51108, E-Mail: [email protected]

Ötscherland/Dürrenstein (Niederösterreich)Die Region rund um den Dürrenstein zeichnet sich durch eine ausgeprägte Naturnähe aus. Im Wildnisgebiet Dürrenstein, in den Naturschutz-gebieten Lechnergraben und Leckermoos so-wie im Natura 2000-Gebiet Ötscher-Dürren-stein ist die natürliche Vielfalt unter Schutz gestellt. Die drei angrenzenden Gemeinden Gaming, Lunz und Göstling sind noch wenig zersiedelt und mit nur 16,7 Einwohnern pro Quadratkilometer dünn besiedelt. Trotz der Einrichtung von drei Naturparken im näheren Umfeld fehlen nach wie vor wirtschaftliche Impulse. Vor allem jüngere Menschen ver-lassen die Region. Als gemeinsame Klammer um die existierenden Schutzgebietskatego-rien bietet sich die Einrichtung eines Biosphä-renparks an, da dieser ökologische und wirt-

schaftliche Aspekte miteinander verbindet. Kontaktpersonen: Dr. Christoph Leditznig, Tel. 07482/43203, E-Mail: [email protected], und Dr. Thomas Ellmauer, Tel. 01/925-1259, E-Mail: [email protected]

Wachau (Niederösterreich)Die Wachau zwischen Melk und Krems gehörtzu den schönsten Fluss-Kulturlandschaften der Welt. Neben dem Nationalpark Donau-auen befindet sich hier der zweite Abschnitt, in dem die Donau noch frei fließt. Der Wech-sel von felsigen Verengungen und Weitungen des Tales bedingt ein vielfältiges Landschafts-bild. Ein buntes Mosaik aus regelmäßig über-schwemmten Auen und Nebenarmen, Trocken-rasen, naturnahen Wäldern sowie Wein- und Obstgärten bietet Lebensraum für viele sel-tene Tier- und Pflanzenarten. Aus diesem Grund sind Teile der Wachau als Natura 2000-Gebiet unter Schutz gestellt. Ein LIFE-Natur-Projekt bemüht sich derzeit um den Erhalt der am stärksten gefährdeten Lebensräume wie verbliebene Altarmreste sowie Trocken- und Halbtrockenrasen. Die Trockenrasen wurden seit dem Mittelalter als extensive Wei-deflächen genutzt. Heute droht die ehemalige Artenvielfalt durch Verbuschung verloren zugehen. Mit Hilfe von Schwendungsmaßnahmen durch den Ökokreis Waldviertel und durch Schafbeweidung soll dies verhindert werden. Weiters wurde die Wachau im Jahr 2000 in die Liste der Weltkulturerbestätten aufgenommen.In diesem Zusammenhang erarbeitete der „Arbeitskreis zum Schutz der Wachau“ mit den beteiligten Gemeinden ein Leitbild mit dem Ziel, die Einzigartigkeit der Wachau als Natur- und Kulturlandschaft zu erhalten. Um die beiden Pole Naturschutz und Erhalt der kulturellen Besonderheiten in Einklang zu bringen, würde sich die Ausweisung als Bio-sphärenpark anbieten.Kontaktperson: Mag. Hannes Seehofer, Tel. 02713/30000-13, E-Mail: [email protected]

Die Region um den Dürrenstein ist besonders naturnah. Die an-grenzenden Gemeinden sind nur wenig besiedelt.Photo: Christoph Leditznig

In der Wachau droht die Arten-vielfalt durch Verbuschung ver-loren zu gehen. Mit Hilfe von Schafbeweidung soll dies verhindert werden.Photo: Hannes Seehofer

Page 37: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Der Mensch und die Biosphäre 45

raum aufgegeben wird. Die Walser haben sich

aber dazu entschlossen, die Heimat nach den

Lawinenabgängen in mühevoller, gefährlicher

Arbeit wieder aufzubauen. Heute gilt es das, was

unsere Vorfahren der Natur abgetrotzt haben,

für zukünftige Generationen zu erhalten und

den aktuellen Anforderungen entsprechend zu

gestalten. Es braucht eine Portion Ehrgeiz, um

aus den nicht sehr günstigen Lebens- und Wirt-

schaftsbedingungen in der Region etwas Beson-

deres zu machen. Die Entwicklung zu einer

Musterregion für naturverträgliches Wirtschaften

bietet die Chance, Schritt für Schritt die Wert-

schöpfung zu verbessern und damit die Abwan-

derung aus dem Walsertal zu bremsen, ja, diese

vielleicht sogar ins Gegenteil zu kehren. Neben

guter fachlicher Begleitung braucht es dafür

sicher eine Handvoll Menschen aus der Region,

die brennen und das Feuer weitertragen. Ich als

Bauer, Familienvater und gleichzeitig Regional-

politiker und Landtagsabgeordneter war sicher

sehr gut für diese Aufgabe geeignet. Diese

Rolle kann aber auch ein Bürgermeister oder

eine andere Personen übernehmen. Natürlich

gibt es aber auch bei uns noch sehr viel zu tun

und manche Situationen sind wenig ermutigend.

Ich bin mir aber sicher, dass wir auf dem

richtigen Weg sind. Misserfolge bremsen uns,

werden uns aber nicht vom Weg abbringen. Ich

kann allen nur Mut machen, die eine UNESCO-

Auszeichnung anstreben. Für mich ist ein

Biosphärenpark ein geeignetes Instrument,

um die Regionalentwicklung einer struktur-

schwachen Region positiv in Gang zu bringen.

Es ist immer mit Anstrengung und Schweiß

verbunden, einen steilen Weg zu gehen. Wenn

man aber das Ziel vor Augen hat – und das

gilt für den persönlichen, wie für den Weg

einer Region – ist es ein gutes Gefühl. Kleine

und größere Gipfelsiege kann nur erreichen,

wer sich entschließt, eine Bergtour zu machen.

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Macht

Euch auf den Weg, es lohnt sich!“

„Herr Türtscher, Sie sind REGIO-Obmann

und Initiator des Biosphärenpark Großes

Walsertal, der in Österreich als beispielhaft

für die Umsetzung der Sevilla Strategie gilt.

Neben vielen Erfolgen begegneten Ihnen

sicher im Laufe des Prozesses auch manche

Probleme. Was empfehlen Sie auf Grund

Ihrer Erfahrungen all jenen, die das UNESCO-

Prädikat für ihre Region anstreben?“

„Um dauerhaft eine möglichst große Akzeptanz

und Identifikation mit dem Prädikat Biosphären-

park zu erreichen, muss ein sehr breiter und

intensiver Informations- und Diskussionsprozess

mit der Bevölkerung geführt werden. Darauf

kann nie zuviel Zeit und Energie verwendet

werden. Häufig sind vor allem die Grundbesitzer,

meistens Bauern aus der Region, auf Grund

negativer Erfahrungen in der Vergangenheit

und aus Angst vor Nutzungseinschränkungen

etwas ‚kopfscheu‘. Sie sollten besonders inten-

siv betreut werden. Hier haben wir zu wenig ge-

tan, um ihre Bedenken von Anfang an auszu-

räumen. Als hilfreich für die Entscheidung

‚pro Biosphärenpark‘ erwies sich bei uns die

Exkursion in das Biosphärenreservat Rhön, an

der die meisten regionalen politischen Entschei-

dungsträger teilgenommen haben. Auf der Heim-

fahrt im Bus waren wir alle davon überzeugt

‚Das können wir auch‘! Gemeinsam fixierten

wir den Start des Projektes. Aus diesem gemein-

schaftlichen Beschluss resultiert auch heute

noch eine gute Zusammenarbeit mit den zu-

ständigen Umweltbehörden.

Das sind nun alles sehr rationelle Überlegungen.

Für ein erfolgreiches Gelingen braucht es aber

noch mehr. Meiner Meinung nach ist es wichtig,

eine gemeinsame Vision zu entwickeln, ein

höheres Ziel anzustreben. Bei uns im Walsertal

gab es vor 50 Jahren eine furchtbare Lawinen-

katastrophe mit 80 Toten, vielen Verletzten und

großen Verlusten bei Vieh und Gebäuden. Da-

mals bestand die Gefahr, dass unser Siedlungs-

Josef Türtscher ist REGIO- Obmann im Großen Walser-tal und gleichzeitig Mitinitia-tor des Biosphärenparks.

Erfahrungen aus dem Biosphärenpark Großes Walsertal: Interview mit Josef Türtscher, REGIO-Obmann und Landtagsabgeordneter

44 Das UNESCO-Programm –

Page 38: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

Der Mensch und die Biosphäre 45

Die Staatengemeinschaft hob das MAB- Programm in den 1970er Jahren als reines Wissenschaftsprogramm aus der Taufe. Den-noch wurde schon zu Beginn der multifunk-tionale Charakter der Gebiete betont. Neben der Forschung sollten besonders der Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischenVielfalt im Vordergrund stehen. Freilich be-standen nur vage Vorstellungen darüber, wie dies verwirklicht werden könnte. In den An-fängen interpretierte man Biosphärenreservatemit ihren streng geschützten, nutzungsfreien Kernzonen häufig als Instrumente des „klas-sischen“ Naturschutzes. Viele der bereits be-stehenden großen Nationalparks bewarben sich um das internationale Prädikat. Neue Gebiete wurden mit dem Ziel integriert, sie langfristig als Forschungsstätten zu erhalten. Erst mit der Sevilla-Strategie 1995 machte die UNESCO deutlich, dass sie mit der Schutz-kategorie weit ehrgeizigere Ziele verfolgt. Biosphärenreservate sollten als Testgelände dienen, um nachhaltige Nutzungsformen zu erproben und damit die Lebensansprüche der zukünftigen Generationen zu wahren. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen häufig noch weit auseinander. So auch in Österreich.

Spielwiesen der ForscherVier der österreichischen Biosphärenparks wurden bereits 1977 ausgewiesen. Damals, zu Beginn des MAB-Programms, stand der klas-sische Naturschutzgedanke noch deutlich im Vordergrund. Weltweit sollten repräsentative Ökosysteme unter Schutz gestellt und als Probeflächen für international koordinierteForschungsprojekte erhalten werden. Als das MAB-Wissenschaftsprogramm mit Beginn der 1970er Jahre ins Leben gerufen wurde, war das „International Biological Programme (IBP)“ gerade am Auslaufen. Im Rahmen des IBP wurden in Österreich bis 1974 erfolgreich Projekte im Schilfgürtel und im Neusiedler See,am Großen Nebelkogel in den Stubaier Alpen,

Biosphärenparks – Anspruch und Wirklichkeit

Das MAB-Programm ermöglichte die Fortsetzung der Forschungsarbeiten, die im Rahmen des „International Biological Programme (IBP)“ begonnen wurden. Die Biosphärenparks der ersten Generation (vor Sevilla) entstanden vor allem auf Initiative der Wissenschaftler in ihren Untersuchungsgebieten.

am Patscherkofel in den Tuxer Alpen sowie an verschiedenen Hochgebirgsseen, darunter der Finstertaler See bei Kühtai, durchgeführt. Das MAB-Programm sollte in Österreich die IBP-Forschung in einer erweiterten Form fort-setzen. Von den Schwerpunkten im neuen UNESCO-Programm beteiligte sich Öster-reich anfangs besonders an den Themen Lim-nologie und Hochgebirgsökologie. Dement-sprechend kam das Engagement für die Ein-richtung der vier Biosphärenparks vor allem von den Forschenden. Prof. Heinz Löffler (Neusiedler See, Untere Lobau) und Prof. Walter Moser (Gurgler Kamm, Gossenkölle-see) gelten als die Hauptinitiatoren der in den Anfängen nominierten Biosphärenparks.

Page 39: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

46 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 47

Forschung und Naturschutz vor RegionalentwicklungDer Gossenköllesee, das mit 85 Hektar welt-weit kleinste Biosphärenreservat, dient bis heute ausschließlich der Forschung. Die Lim-nologische Station am Seeufer liefert wichtige Langzeitdaten für die Umweltbeobachtung im Hochgebirge. Nutzung findet lediglich in Form von Schafbeweidung statt. Ein Skilift endet kurz vor der Biosphärenparkgrenze.Die Gebiete Gurgler Kamm, Untere Lobau und Neusiedler See können im Nachhinein als Keimzellen für die spätere Einrichtung von nationalen Naturschutzkategorien auf der Fläche der jeweiligen Biosphärenparks gewertet werden. Der Biosphärenpark Gurg-ler Kamm liegt zu 90 Prozent im seit 1981 bestehenden „Ruhegebiet Ötztaler Alpen“. Ruhegebiete sind eine spezielle Schutzgebiets-form in Tirol. Abseits von Lärm und Trubel soll sich der Mensch hier besonders gut erholenkönnen. Öffentlicher Verkehr oder Seilbahn-betrieb sind daher verboten. In den östlichenUNESCO-Gebieten überstrahlt heute die

Außenwirkung der später eingerichteten Nationalparks „Donauauen“ (seit 1996) und „Neusiedler See“ (seit 1993) den Bekannt-heitsgrad der Biosphärenparks bei weitem. Sämtliche Bildungs-, Forschungs- und Natur-schutzaktivitäten werden von den jeweiligen Nationalparkverwaltungen koordiniert. Teil-weise decken sich die Aufgaben von National-parks und Biosphärenreservaten, wie etwa der Erhalt der Vielfalt von Pflanzen und Tieren in geschützten Kernzonen. In anderen Bereichen dagegen treten deutliche Zielkon-flikte auf. Während sich die Natur in National-parks weitgehend frei von jeglicher wirtschaft-licher Nutzung entwickeln soll, bezieht das Konzept der Biosphärenreservate den Men-schen mit seinem Wirtschaften ausdrücklich mit ein. Gemeinsam mit der ortansässigen Bevölkerung werden in den Puffer- und Ent-wicklungszonen regionale Lösungen für eine zukunftsorientierte Entwicklung erarbeitet,die sowohl die Belange der Natur als auch die des Menschen berücksichtigen.

Die „alte Generation“Generell sind die Gebiete in Österreich zu klein, um die vielseitigen Aufgaben zu erfüllen.In den deutschen Leitlinien für die Einrichtungvon Biosphärenreservaten wird als Richtwerteine Mindestgröße von 30.000 Hektar ange-geben. Diese Flächenausdehnung wird von keinem der österreichischen Biosphärenparks erreicht. In den bereits 1977 nominierten Gebieten erfolgte keine Zonierung. Am Neu-siedler See wurde allerdings nachträglich die Kernzone des Nationalparks zur Kernzone des Biosphärenparks erklärt. In den öster-reichischen UNESCO-Regionen (mit Aus-nahme des Großen Walsertals) leben keine Menschen, die Entwicklungszonen entfallen damit gänzlich. Die Einwohner der umliegen-den Gemeinden wissen in der Regel nichts von der Existenz eines Biosphärenparks in ihrer Heimat. Damit entsprechen die „alten“ Gebiete bisher nicht den Anforderungen der

Das Deutsche MAB-Nationalkomitee beschloss 1996, eigene nationale

„Kriterien für die Anerkennung und Überprüfung von Biosphären-

reservaten“ aufzustellen. Diese basieren auf dem Aktionsplan der

UNESCO von 1984 und der Sevilla-Strategie von 1995. Sie konkretisieren

die internationalen Vorgaben und leisten Hilfestellung bei der Planung

von neuen sowie bei der Entwicklung von bereits bestehenden Biosphären-

reservaten in Deutschland. Nach diesen Kriterien sollen die UNESCO-

Gebiete mindestens 30.000 Hektar umfassen, aber nicht größer als

150.000 Hektar sein. Jedes Biosphärenreservat muss in Kern-, Pflege-

und Entwicklungszone gegliedert sein. Als Minimum für die Kernzone

werden drei Prozent der Gesamtfläche gefordert, für die Pflegezone

zehn Prozent. Beide zusammen sollen mindestens ein Fünftel der Fläche

einnehmen. Die Entwicklungszone, der Lebens- und Wirtschaftsraum der

Bevölkerung, soll sich auf der Hälfte des Gebietes erstrecken.

Die deutschen Kriterien können beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn

bestellt (www.bfn.de/05/0506.htm) oder über die Webseite des geplanten

BSP Wienerwald heruntergeladen werden (www.noel.gv.at/Service/Lf/Lf4/

Biosphaerenpark.htm).

Page 40: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

46 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 47

internationalen Leitlinien nach der Sevilla-Strategie. Eine Ausweitung und nachträgliche Zonierung wäre in allen Fällen möglich und wünschenswert.

Die Kehrtwende nach Sevilla Ganz anders verhält es sich mit dem Großen Walsertal. Dieser erste nach Sevilla ausgewieseneBiosphärenpark in Österreich erwartet sich vom internationalen Prädikat Impulse für die nachhaltige Entwicklung der Region. Die Be-wohner sehen darin ihre einzige Chance, das Gebirgstal als Lebens- und Wirtschaftsraum für zukünftige Generationen zu erhalten. Das Biosphärenparkkonzept wurde von Anfangan zusammen mit der Bevölkerung entwickelt. Dabei entstand ein Leitbild, das die grundsätz-lichen Ziele der sechs beteiligten Gemeindenzusammenfasst. In den ausgewiesenen Kern-zonen, den zwei Naturschutzgebieten „Gaden-tal“ und „Faludriga-Nova“, steht der Erhalt

der biologischen Vielfalt im Vordergrund. Jagd- und Almwirtschaft sind als einzige tradi-tionelle Nutzungsformen jedoch auch in den Kernzonen erlaubt.

Drei Kategorien in ÖsterreichZusammenfassend kann man die österreich-ischen Biosphärenparks in drei Kategorien einteilen: die Forschungs- und Monitoring-stätten (Gossenköllesee und Gurgler Kamm), die Schutzgebiete, in denen das UNESCO- Prädikat von Nationalparkaktivitäten über-lagert wird (Neusiedler See und Lobau), und schließlich die Modellregionen für nachhaltige Entwicklung (Walsertal und Wienerwald). Bei den ersten beiden Kategorien handelt es sich um Biosphärenparks der „alten Generation“, die noch fast 20 Jahre vor Sevilla ausgewiesenwurden. Die internationalen Leitlinien der UNESCO werden dort bis heute nur unzurei-chend umgesetzt.

Großes Walsertal

Gurgler Kamm

Gossenköllesee

Untere Lobau

Wienerwald

Neusiedler See

Die Biosphärenparks in Österreich lassen sich in drei Kategorien einteilen: die Forschungs- und Monitoringstätten (4/5),die Nationalpark-dominierten Gebiete (1/3) und die Modellregionen für nachhaltige Ent-wicklung (2/6).Graphik: Sigrun Lange

Page 41: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

48 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 49

%

Vom Agrarstaat zur Dienstleistungs-gesellschaftVor etwa 150 Jahren gehörten noch drei Vier-tel der österreichischen Bevölkerung dem Bauernstand an. Mittlerweile wandelte sich das ehemalige Bauernland in eine hoch entwi-ckelte Industrienation und Dienstleistungs-gesellschaft. Bei der letzten Agrarstruktur-erhebung von 1999 wurden nur noch etwa 215.000 land- und forstwirtschaftliche Betriebeerfasst. Knapp 60 Prozent davon werden im Nebenerwerb betrieben. Die Land- und Forstwirtschaft, früher wichtigster Wirtschafts-faktor, trägt heute lediglich mit zwei Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Im modernen Österreich bieten Industriezweige wie der Maschinen- und Stahlbau, die Chemie oder Fahrzeugtechnik neue Einkommens-quellen. Wesentlicher Motor der Wirtschafts-entwicklung ist aber der Dienstleistungsbe-reich. Der Tertiärsektor trägt mit 65 Prozent heute den größten Anteil am BIP. Viele be-fürchten, dass die zunehmende Globalisierungund die damit verbundene Öffnung der Märktedie österreichischen Landwirte weiter unter Druck setzen wird. Angst schürt auch die aktuelle Erweiterung der Europäischen Union nach Osten. Vor allem in Gebieten mit über-wiegender Fleisch- und Milcherzeugung sowie Getreideanbau könnten sich durch die frucht-baren Böden und die niedrigen Produktions-kosten im Osten Wettbewerbsnachteile für den unmittelbaren Nachbarn Österreich ergeben. Die Primärproduktion wandert damit weiter nach Osten ab.

„Klasse statt Masse“ Will sich die österreichische Landwirtschaft in einer globalisierten Welt behaupten, so müssendie regionalen Qualitätsprodukte stärker in den Vordergrund der Vermarktung gestellt werden.Zwar wird von einer bestimmten Käufer-schicht der Billiglebensmittelmarkt stark in

Anspruch genommen, viele Verbraucher er-nähren sich aber auch immer bewusster. Ver-unsicherungen durch Lebensmittelkrisen wie die Rinderseuche BSE oder die gentechnischeVeränderung von Lebensmitteln führen zu einem gesteigerten Interesse an biologisch angebauten und qualitativ hochwertigen Pro-dukten. Das starke Gesundheitsbewusstseinzeigt sich auch in aktuellen Trends wie der „Slow-Food-Initiative: Zeitnehmen zum Ge-nießen“ oder den zahlreichen Wellness-Ange-boten zum Verwöhnen von Körper und Seele.

Vor dem Hintergrund dieser veränderten ökonomischen Realitäten scheint es besonderswichtig, Biosphärenparks vor allem als Chancefür Mensch und Natur zu begreifen. Das Konzept der internationalen Schutzkategorie kann dazu beitragen, die Regionen zu fördern, ihre Besonderheiten zu bewahren und damit ihr Überleben langfristig zu sichern. Das Markenzeichen „Biosphärenpark“ stellt einen Imagegewinn für eine Region dar und stärkt damit die Identität und das Selbstbewusstsein der Bevölkerung. „Walserstolz“ heißt der würzige Rohmilchkäse aus dem Großen Walsertal. Die frühzeitige Beteiligung der Bevölkerung an der Entwicklung eines Bio-sphärenparks, wie sie derzeit im Wienerwald stattfindet, setzt intensive Diskussionsprozessein Gang. Zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen werden Informationenausgetauscht, Wissen und know how nehmen zu. Biosphärenreservate sind weltweit ver-netzt. Die beteiligten Regionen profitieren von dieser internationalen Einbindung. Weiterskönnen mit dem Prädikat bestimmte Qualitäts-kriterien verbunden werden, was neue Käufer-schichten anspricht und einen Wettbewerbs-vorteil für die lokalen Produkte mit sich bringt. Damit sind höhere Preise und ein größerer

Biosphärenparks als Chance im Zeitalter der Globalisierung

Impulse für die Regionalentwicklung

Page 42: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

48 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 49

In Österreich vollzog sich in den letzten 150 Jahren eine Entwicklung vom Agrarstaat zur modernen Industrie- und Dienstleistungs-gesellschaft. Land- und Forstwirtschaft haben im Vergleich zu früher einen vergleichsweise geringeren Stellenwert. Die vielfältigen Kulturlandschaften dienen heute nicht mehr primär der Nahrungsmittelproduktion, sondern tragen zunehmend auch als Erholungs- raum und Urlaubsziel zur Wertschöpfung der Region bei. Weiters sind sie für den Erhalt der Artenvielfalt von besonderer Bedeutung.Graphik: Sigrun Lange

Page 43: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

50 Das UNESCO-Programm –

Absatz zu erzielen. Dies zeigt ein Beispiel aus dem Naturpark Pöllauer Tal: Vor zehn Jahren kostete der Liter Obstschnaps noch (umge-rechnet) zwischen drei und fünf Euro. Rigo-rose Qualitätskontrollen und das Prägen eines Markenlabels ließen den Preis auf etwa das Fünffache ansteigen. Der Pöllauer Obstler wird heute für rund 30 bis 35 Euro vertrieben.

Der Bekanntheitsgrad der Regionen wird gesteigert, sie werden attraktiver für Touristen,die sich für natürliche Landschaften und tra-ditionell wirtschaftende Kulturen interessieren.Für die Landwirtschaft eröffnen sich dadurch neue Chancen. Während der Bauernstand früher im ländlichen Raum ausschließlich für die Produktion von Nahrungsmitteln ver-antwortlich war, erwirtschaften sich viele Betriebe heute ein Zusatzeinkommen durch ein breites Spektrum an Aktivitäten. Direkt-vermarktung, die Produktion von regional-typischen Spezialitäten oder die Organisation von Erlebniseinkäufen auf dem Bauernhof spielen heute eine große Rolle. Manche setzen auf die Weiterverarbeitung von Rohstoffen in attraktive Produkte. So werden beispiels-weise Färberpflanzen für die natürliche Fär-

bung von Schafwolle angebaut. Die besonde-ren Woll-Produkte bereichern den regionalen Markt. Touristische Angebote („Urlaub auf dem Bauernhof“) sind ein weiterer wichtiger Wirtschaftsfaktor. Laut Lebensministerium wird jeder fünfte österreichische Tourismus-betrieb von einer bäuerlichen Familie geführt (Stand 1999). Der Naturtourismus ist mittler-weile zu einem sehr wichtigen Bestandteil der globalen Tourismusindustrie geworden. Einer Gästebefragung in Österreich im Jahr 2000 zufolge suchen zwei Drittel der Befragten im Urlaub vor allem Erholung. Die Hälfte legt Wert darauf, in der Natur zu wandern. Gerade die ländlichen Räume der österreichischen Bergregionen stellen also mit ihren noch intakten Naturlandschaften einen hohen Wert für die Gesellschaft dar. Um diesen zu erhalten,muss der Landwirt als Lebensmittelerzeuger zunehmend auch die Aufgabe des Naturpflegersübernehmen. Für Umweltleistungen wie das Offenhalten der Landschaft durch Mahd, die Pflege von Bäumen oder Hecken oder die ex-tensive Beweidung von Flächen erhalten die Landwirte Ausgleichszahlungen. Häufig erzielensie damit einen größeren Anteil ihres Einkommensals mit der traditionellen Lebensmittelproduktion.

Die Apfelinitiative im Biosphärenreservat Rhön (Deutschland)

Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts galt die Rhön als Armenhaus Deutschlands. Nach dem Zweiten Weltkrieg

erschwerte die Teilung der Mittelgebirgslandschaft durch den Eisernen Vorhang den wirtschaftlichen Aufschwung.

Auf Grund fehlender wirtschaftlicher Perspektiven wanderten viele Menschen aus der Region ab. 1991 erkannte die

UNESCO die Rhön als länderübergreifendes Biosphärenreservat mit Anteilen in Bayern, Hessen und Thüringen an. Die

gewachsene Kulturlandschaft sollte erhalten und den Menschen eine Chance für die Zukunft gegeben werden. Ziel

war, mit dem internationalen Prädikat eine höhere Wertschöpfung in der Region zu erzielen. Ein erfolgreiches Beispiel

dafür ist die „Rhöner Apfelinitiative“. Die früher noch weit verbreiteten Streuobstwiesen gingen seit den 1970er Jahren

drastisch zurück. 1996 veranlasste der ein Jahr zuvor gegründete Verein „Rhöner Apfelinitiative e.V.“ die Erfassung

sämtlicher Kernobstsorten der Region. Unter reger Beteiligung der Bevölkerung wurden 170 Apfel-,

12 Pflaumen- und 38 Birnensorten identifiziert, darunter viele alte Sorten. Seither produziert eine örtliche Kellerei

den Rhöner Streuobstapfelsaft aus ökologischem Anbau. In der Folge entstand eine breite Produktpalette, die von

Apfelcidre über Apfelchampagner, -sherry, -essig bis zu einem Radler auf der Basis von Apfelsaft und Bier reicht.

Eine Behindertenwerkstatt in Fulda stellt getrocknete Apfelringe her und vermarktet sie als Apfelchips. Derzeit ist die

Nachfrage nach den ungespritzten Rhöner Äpfeln größer als das Angebot.

Blühende Streuobstwiesen steigern die Attraktivität einer Landschaft für Touristen.Photo: Gerhard Dullnig

Page 44: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

50 Das UNESCO-Programm –

Warum ein Biosphärenpark im Wienerwald?

Ein Beitrag von Dr. Gerfried Koch, Abteilung Forstwirtschaft imAmt der Niederösterreichischen Landesregierung

Der Wienerwald ist ein wertvoller Natur- und Kulturraum. Unterschiedliche Waldtypen bilden eines

der größten geschlossenen Waldgebiete Europas. Das Zusammenspiel von Wald und Wiesen

macht die reich strukturierte Kulturlandschaft zu einem „Hotspot“ für Arten- und Lebensraum-

vielfalt. Der Wienerwald ist aber auch traditionsreicher Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum

im Spannungsfeld zwischen der Großstadt Wien und den Naturlandschaften Niederösterreichs.

Jahrzehntelang wurde die Zukunft des Wienerwaldes diskutiert und nach einem griffigen

Entwicklungs- und Schutzkonzept gesucht. Im Millenniumsjahr 2002, „1000 Jahre Wienerwald“,

beantwortete eine wissenschaftliche Studie die zentrale Frage, welche Schutzkategorie für den

Wienerwald möglich, sinnvoll und zweckmäßig ist: „Nationalpark“ oder „Biosphärenpark“?

Der Wienerwald wurde über Jahrhunderte hinweg land- und forstwirtschaftlich genutzt und verändert.

Dennoch gibt es noch sehr naturnahe Bereiche, die sich aber über den gesamten Wienerwald ver-

teilen. Daher ist die Ausweisung großflächiger zusammenhängender Nationalparkkernzonen nicht

möglich. Besonders problematisch ist die räumliche Trennung von potenziellen Kernzonen durch die

Wienerwald-Autobahn. Die Hauptfunktion eines Nationalparks liegt im strengen Schutz von Naturland-

schaften. Daher wäre es mit dieser Schutzkategorie auch nicht möglich, die vom Menschen ge-

schaffenen, artenreichen Wienerwaldwiesen zu erhalten. Neben den naturkundlichen Argumenten

spielten aber auch die Besiedlungsstruktur, der Erholungsdruck und die Verkehrsinfrastruktur eine

entscheidende Rolle in der Abwägung. Über 700.000 Menschen leben im Wienerwald und mehr als

zwei Millionen Naherholungssuchende nutzen die Region jährlich. Aufgrund der IUCN-Kriterien, der

naturräumlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten sowie der vielfältigen Nutzungsansprüche kam

man zu dem Ergebnis, dass ein Nationalpark für den gesamten Wienerwald nicht umsetzbar ist.

Im Gegensatz zum Nationalpark werden in einem Biosphärenpark die Ziele „Erhaltung von Kultur-

und Naturlandschaften“ gleichwertig verfolgt. Das Biosphärenparkkonzept ist somit wie maßge-

schneidert für den Wienerwald und auf der Gesamtfläche umsetzbar. Es unterstützt die umfassende

Integration vorhandener Schutzgebiete (Naturschutzgebiete, Naturwaldreservate, Natura-2000-

Gebiete, Naturparke etc.) und berücksichtigt die besonderen Wienerwald-Charakteristika. Ferner

eröffnet ein Biosphärenpark seiner Bevölkerung große Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg bei lang-

fristig hoher Lebensqualität. Aus dem Miteinander von Land- und Forstwirtschaft, Erholungsnutzung

und Tourismus sowie von wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten erwachsen neue Perspektiven.

Der Biosphärenpark Wienerwald ist ein wichtiges Instrument der nachhaltigen Regionalentwicklung.

Vorhandene regionalwirtschaftliche Initiativen werden künftig besser vernetzt und neue, innovative

Projekte unterstützt. Durch Partizipation, Kooperation und Marketing wird der Wienerwald zu einer

Modellregion für ein Miteinander von Landentwicklung und Naturschutz. Zu den ökonomischen

und sozialen Chancen für die Region gehören: Imagegewinn durch das Prädikat „Biosphärenpark“,

Stärkung der regionalen Identität, Erhaltung der Kulturlandschaft als Ressource für die Land- und Forst-

wirtschaft, Qualitätssteigerung des Angebotes im Tourismus und in anderen Sektoren, höhere Beschäf-

tigungszahlen durch wirtschaftliche Impulse, zusätzliche Einnahmen für die Gemeinden und Verbesserung

der lokalen Infrastruktur. Die Vorteile für den Wienerwald durch einen Biosphärenpark werden jedoch

umso besser ausgeschöpft, je stärker die Menschen der Region das Projekt gemeinsam mit Leben füllen.

51

Dr. Gerfried Koch ist als Mitarbeiter der NÖ Landesregierung zuständig für den Wienerwald.

Page 45: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

52 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 53

Anfang August 2002 lösten Regenfälle in Österreich, Deutschland und Italien schwere Überschwemmungen aus, welche als Jahrhun-dertflut in die Geschichte eingingen. Ein Jahr später folgte die Rekordhitze. Die Superlative der Wettervorhersagen pendeln von einem Extrem ins andere. Sicher ist auch, dass die Alpengletscher schmelzen. Zwischen 1850 und 1975 verloren sie im Durchschnitt etwa ein Drittel ihrer Fläche und die Hälfte ihres Volumens. Seitdem sind weitere 20 bis 30 Prozent des Eisvolumens abgeschmolzen. Das Klima ändert sich, wie es das seit der Ent-stehung der Erde getan hat. Trotzdem ist die „Globale Erwärmung“ seit einigen Jahren Bestandteil heftiger gesellschaftlicher Debatten.Im letzten Jahrhundert stiegen die Tempera-turen im globalen Mittel um etwa 0,6 Grad

Celsius, der rascheste Anstieg der letzten 1000 Jahre. Neu ist neben der Geschwindigkeitdes Temperaturanstiegs auch der Zusammen-hang des Klimawandels mit der Veränderungder chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre durch den Menschen. Aktivitätenwie das Verbrennen fossiler Brennstoffe, die Rodung großer Waldgebiete und der Einsatzvon Mineraldünger in der Landwirtschaft tragen zu einer Zunahme der verschiedenen Treibhausgase in der Atmosphäre bei. Die Kohlendioxidkonzentration hat sich mittler-weile auf einen Durchschnittswert von 360 ppm eingependelt. Um Verantwortung für die Auswirkungen ihres Handelns zu über-nehmen, verpflichtete sich die internationale Gemeinschaft im „Kyoto-Protokoll“ dazu, den Ausstoß an Treibhausgasen in Zukunft zu verringern. Österreich hat das Abkommen bereits ratifiziert. Es tritt jedoch erst dann in Kraft, wenn insgesamt 55 Staaten, die zusam-men mehr als 55 Prozent der Kohlenstoff-dioxid-Emissionen verursachen (bezogen auf das Jahr 1990), das Abkommen bestätigen. Ob mit oder ohne Abkommen, für die kom-menden Jahrzehnte prognostizieren Experteneinen weiteren Anstieg der Durchschnittstem-peraturen um zwei bis fünf Grad Celsius.Diese Erwärmung verändert bestehende Öko-systeme. Die Waldgrenze in den Alpen wandertin höhere Lagen, Schmetterlinge verlagern ihr Areal in nördlichere Gefilde, das Pflanzen-wachstum wird durch intensivere UV-Einstrah-lung und längere Wachstumsperioden beein-flusst. Viele Pflanzen- und Tierarten können schnell genug wandern, um mit den erwartetenKlimaänderungen Schritt zu halten. Dies gilt aber nur dort, wo noch großflächig natürlicheÖkosysteme vorhanden sind. Wie sich die Frag-mentierung, Zerschneidung und Versiegelungmoderner Landschaften auf die Anpassungs-fähigkeit auswirkt, ist noch unklar. Zu befürch-ten ist ein weiterer Verlust der Artenvielfalt.

Biosphärenreservate als Frühwarnsysteme für Umweltveränderungen

Die Gletscher ziehen sich weltweit zurück. Dies zeigt der Blick auf den Rotmoosgletscher im Biosphärenpark Gurgler Kamm in den Ötztaler Alpen – ein Vergleich der Jahre 1895 und 1999.Oben: Photo von W. Paulcke aus der Zeitschrift des DÖAV, 1895Unten: Photo von Rüdiger Kaufmann, 1999

1895

1999

Page 46: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

52 Das UNESCO-Programm – Der Mensch und die Biosphäre 53

Vor diesem Hintergrund bieten sich Bio-sphärenreservate weltweit als ideale Beobach-tungsstätten für die Auswirkungen der globalenUmweltveränderungen, wie Klimawandel, Schadstoffeinträge etc., an. Sie finden sich von den Polen bis zu den Tropen sowie von Meeresniveau bis in eisige Höhen. Dabei decken sie eine Bandbreite an unterschied-lichen natürlichen und vom Menschen ver-änderten Lebensräumen ab. Dies ermöglicht vergleichende Studien und eine Analyse der regionalen Unterschiede. Auch die sozio-ökonomischen Bedingungen sind in den UNESCO-Gebieten sehr variabel. AbgelegeneRegionen gehören ebenso zum Weltnetz wie stadtnahe Bereiche. Biosphärenreservatebieten sich daher als Testgelände für die

Erforschung der Auswirkungen des Klima-wandels auf Land- und Forstwirtschaft, Tourismus oder Besiedlung an. Mit Hilfe geeigneter Indikatoren kann das Weltnetz der Biosphärenreservate als Frühwarnsystem dienen und Hinweise auf die Beeinträchtigungder Artenvielfalt, der naturräumlichen Ver-breitung von Arten und der Produktions-bedingungen in der Landwirtschaft geben. Bergökosysteme mit ihrer besonders großen Bandbreite an ökologischen Nischen haben sich dabei als besonders aussagekräftig erwie-sen. So startete die Mountain Resarch Initiative (MRI) zusammen mit dem MAB-Programm ein Monitoring-Programm in 26 Gebirgs-biosphärenreservaten der Welt (weitere Information siehe Kasten).

MRI-MAB-Initiative GLOCHAMORE: Umweltbeobachtung in Gebirgsbiosphärenreservaten

Seit einigen Jahren ist der Begriff „Treibhauseffekt“ in aller Munde. Schlagzeilen wie „Klimawandel bedroht Artenvielfalt“,„Inselstaaten versinken im Meer“ oder „Unser Trinkwasser wird knapp“ sind an der Tagesordnung. Während die Welt-gemeinschaft darum ringt, den Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren, hat eine andere Initiative zum Ziel, die Einflüsse der globalen Umweltveränderungen auf die Lebensräume zu dokumentieren. Weltweit werden Beobachtungsstellen einge-richtet (oder bestehende miteinander vernetzt), die als Frühwarnsystem für die Auswirkungen des globalen Klimawandels oder der veränderten Schadstoffeinträge dienen sollen. Für dieses Anliegen sind Gebirgsökosysteme in idealer Weise geeignet. Im Verlauf der Höhengradienten ändern sich die meteorologischen, hydrologischen und ökologischen Bedingungen innerhalb kürzester Entfernungen beträchtlich. Die biologische Vielfalt ist dort besonders hoch. Dies führte bereits 2001 zur Entwicklung des globalen Beobachtungsnetzwerkes GLORIA (Global Observation Initiative in Alpine Environments). In das Pilotprojekt wurden 18 Gebirgsregionen in Europa einbezogen. In Zusammenarbeit mit der UNESCO hat die Mountain Research Initiative nun ein neues Programm entwickelt, das in Biosphärenreservaten weltweit MAB-relevante Forschung aufbauen soll: GLOCHAMORE (Global Change Research in Mountain Biosphere Reserves).

Das MRI repräsentiert ein Netzwerk an interdisziplinären Wissenschaftlern mit Schwerpunkt auf Hochgebirgsforschung. Die Forscher profitieren von der in den Biosphärenreservaten vorhandenen Infrastruktur und Datengrundlage. Die Unter-teilung der UNESCO-Modellregionen in Kern-, Puffer- und Entwicklungszonen ist ein weiterer Vorteil. So können natürliche Ökosysteme mit den vom Menschen beeinflussten Flächen verglichen werden. Das erste „Kick-off“-Treffen der Wissenschafts-kooperation fand im November 2003 in Entlebuch in der Schweiz statt. Dort wurden 26 Biosphärenreservate aus allen Klimazonen der Erde für die Teilnahme am Projekt ausgewählt. Als erste Startaktivität sollen GLORIA-Stationen in diesen Reservaten eingerichtet werden bzw. wurden bereits eingerichtet (z.B. Glacier Nationalpark in Montana, USA; Snow Mountains,Australien). Im Verlauf des Projekts können weitere Gebiete integriert werden. Derzeit gehören tropische Hochgebirge wie der „Mt. Kenya“ ebenso zum Netzwerk wie die Felsmassive „Torres del Paine“ im südlichen Patagonien oder der Gebirgszug „Sierra Nevada“ im Mittelmeerraum. In Österreich wurden zwei Gebiete als Umweltmonitoringstätten in das Projekt aufgenommen: der „Gossenköllesse“ und der „Gurgler Kamm“. Beide Gebiete zeichnen sich durch langjährige Forschungsaktivitäten in den Gebirgslebensräumen aus. Umfangreiches Datenmaterial steht zur Verfügung. Beispielsweise werden an der Limnologischen Forschungsstation am Gossenköllesee seit über 30 Jahren Klimadaten erhoben.

Die „Torres del Paine“ in Chile ge-hören zu den Biosphärenreservaten, die als Umweltbeobachtungs-stätten im Rahmen der MRI-MAB- Initiative ausgewählt wurden.Photo: Sigrun Lange

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Alpen 63%

Vorländer und Becken 26%

Granit- und Gneishochland 11%

Naturräumliche GliederungDie Landschaften Österreichs erweisen sich bei näherer Betrachtung als außerordentlichvielfältig. Dies verwundert nicht weiter, liegt unser Land doch im Zentrum Europas, wo westliche und östliche, aber auch mediterrane und boreale Einflüsse auf kleinstem Raum aufeinandertreffen. Ganz besonders bestimmenjedoch die Alpen die natur- und kultur-räumliche Vielfalt des österreichischen Staats-gebiets. Gesteine, Böden und Vegetation spie-geln jene Großgliederung Österreichs wider, die schon früh als „landschaftlicher Drei-klang“ von Alpen, Vorländern und Becken sowie dem Granit- und Gneishochland beschrieben wurde.

Die Alpen nehmen rund 63 Prozent des österreichischen Bundesgebietes ein. Die nie-derschlagsreichen Randlagen im Norden und Süden unterscheiden sich deutlich von den im

Regenschatten liegenden Innen- alpen. Nach ihrem geologi- schen Aufbau werden die Alpen in drei Naturräume gegliedert. Die überwiegend von Kalken und Dolomiten aufgebauten Nordalpen

erreichen Seehöhen bis 3000 Meter und jähr-liche Niederschlagssummen zwischen 1100 und 2500 Millimeter. Die Zentralalpen bilden den größten Naturraum und mit knapp 3800 Metern auch die höchsten Gipfel Österreichs. Sie werden von Gneisen und Graniten dominiert, stellenweise treten Glimmerschiefer oder basische Gesteine an die Oberfläche. Die Niederschläge sind deutlich geringer als

in den Nordalpen, manche Gebiete zählen mit 600 bis 700 Millimetern zu den trockens-ten Regionen Österreichs. Die Südalpen rei-chen nur in Kärnten und Osttirol nach Öster-reich hinein, wo sie bis zu 2800 Meter in die Höhe ragen. Ihre Geologie ist recht vielgestaltig, Kalke und Dolomite überwiegen. Die Jahres-niederschläge erreichen bis zu 3000 Millimeter.

Die Vorländer und Becken nehmen rund 26 Prozent des Staatsgebiets ein. Ihre Ent-stehung steht in enger Verbindung mit den Alpen. Das Klagenfurter Becken wird als größtes inneralpines Becken aufgrund seines submediterranen Klimaeinflusses von den Alpen abgegrenzt. Die Landschaft ist mit vielen Seen, kleineren Ebenen sowie zahlrei-chen Hügeln und niedrigeren Bergen sehr abwechslungsreich. Der Untergrund besteht aus Lockersedimenten, tertiären Konglomera-ten und stellenweise anstehendem Schiefer. Das Klima ist überwiegend kontinental mit Jahresniederschlägen zwischen 700 und 1300 Millimetern. Charakteristisch für diesen Raum sind bodensaure Eichenwälder, Eichen-Hain-buchen-Wälder und Fichten-Tannen-Wälder. Schwarzerlen-Bruchwälder, Feuchtwiesen, Verlandungszonen und Moore stellen wert-volle Feuchtlebensräume dar. Der Panno-nische Raum umfasst das Weinviertel, das Wiener Becken sowie das Nord- und Mittel-burgenland. Die Geologie ist recht heterogen, tertiäre und holozäne Sedimente – besonders Löss und Schotter – dominieren, vereinzelt ragen Klippen aus Hartgestein empor. Von den einstmals weitläufigen Eichenmisch- und Eichen-Hainbuchen-Wäldern sind nur mehr

II) Österreich – Blickpunkt Natur

Die landschaftliche und biologische Vielfalt Österreichs

Ein Beitrag von Mag. Andrea Stocker-Kiss und Dr. Thomas Wrbka, Institut für Ökologie und Naturschutz (IECB), Universität Wien

Österreich wird in drei große Naturräume ge-gliedert: die Alpen (63 Pro-zent der Landesfläche), die Vorländer und Becken (26 Prozent) sowie das Granit- und Gneishoch-land (11 Prozent).

Mag. Andrea Stocker-Kiss arbeitet seit acht Jahren im Forschungsteam von Thomas Wrbka.

Österreich –

Page 48: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

54 55

Reste vorhanden. Artenreiche Feuchtgebiete gibt es noch im südlichen Wiener Becken, im Seewinkel und entlang der March. Trocken-rasen finden sich kleinflächig zerstreut über Fels, Schotter und Löss. Das nördliche Alpenvorland erstreckt sich in einer Breite von 10 bis 50 Kilometern und einem West-Ost-Gefälle von Salzburg bis Niederösterreich.Der in dieselbe Richtung verlaufende Tempe-ratur- und Niederschlagsgradient reicht von 1500 Millimetern und einem Julimittel von 15 Grad Celsius im Westen bis 700 Millimeterund 18 Grad im Osten. Der geologische Unter-grund wird über weite Bereiche von jungter-tiären Sedimenten gebildet. Einzelne Höhen-züge ragen aus der durch Eiszeiten und Fluss-dynamik geprägten Ebene heraus. Das süd-östliche Alpenvorland umfasst das Süd-burgenland sowie das West- und Oststeirische Hügelland mit Seehöhen zwischen 205 und 900 Metern. Die Landschaft wird von nach Süd-ost verlaufenden Höhenrücken (Riedel) und größeren Ebenen entlang der Mur geprägt. Den Untergrund bilden großteils karbonatfreieSedimente. Reste von Vulkanismus zeigen sich im Südburgenland und in der Südost-steiermark in Form kleiner isolierter Berg-stöcke. Das südöstliche Alpenvorland liegt im Windschatten der Alpen. Die Jahresnie-

derschläge betragen bis zu 1200 Millimeter. Die natürlichen Eichenwälder (mit Rotföhre), Eichen-Hainbuchen-Wälder und Buchenwäl-der sind vielerorts durch Wirtschaftswald aus Fichten und Föhren ersetzt.

Das Granit- und Gneishochland ist ein Teil der Böhmischen Masse. Die Mittelgebirgsland-schaft nimmt 10,7 Prozent der Landesfläche ein und liegt überwiegend nördlich der Donau. Die beiden größten Teilräume sind das ober-österreichische Mühlviertel und das nieder-österreichische Waldviertel. Die Landschaft wird von weiten Hochflächen und sanften Mulden geprägt. Einige Flüsse, wie Thaya oder Kamp, haben sich tief in das Gestein einge-schnitten. Die höchste Erhebung (1379 Meter) liegt im Böhmerwald. Wie schon der Name vermuten lässt, sind kalkreiche Gesteine, abge-sehen von schmalen Marmorzügen im östli-chen Waldviertel, sehr selten. Das Klima wird von einem in West-Ost-Richtung verlaufenden Temperatur- und Niederschlagsgradienten geprägt, wobei die Jahresniederschläge gegen Osten von 1100 Millimeter auf etwa die Hälfte abnehmen. Die natürlichen Buchen- und Tannenwälder sind großflächig durch Fichten-aufforstungen ersetzt. In den höheren Regionen entwickelten sich nacheiszeitlich Hochmoore.

Dr. Thomas Wrbka ist in Forschung und Lehre im Bereich Vegetations- und Landschaftsökologie am Institut für Ökologie und Naturschutz der Universiät Wien tätig.

Österreich ist ein Alpenstaat: Etwa zwei Drittel der Landesfläche bestehen aus Gebirgsregionen.Photo: Biosphärenpark Management Großes Walsertal

– Blickpunkt Natur

Page 49: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

56 Österreich – 57– Blickpunkt Natur

A) Alpine Fels- und Eisregionen sind naturnahe, vom Menschen nur wenig in Anspruch genommene Landschaften. Sie finden sich im vergletscherten Hochgebirgeder Zentralalpen sowie in den mächtigen Plateaubergen und Kettengebirgen der nördlichen und südlichen Kalkalpen.

B) Unterhalb der Fels- und Eisregion schließen sich die subalpinen und alpinen Land-schaften mit großräumigem Weideland und Naturgrünland an. In tieferen Lagen folgt ein mehr oder minder geschlossener Gürtel aus Zwergsträuchern, der schließlich in krummholz- und walddominierte Talflanken übergeht. Die Rodungstätigkeit des Menschen weitete das Wuchsgebiet der Rasen stark aus, um Bergheuwiesen und Almen zu schaffen.Die natürliche klimabedingte Waldgrenzewurde talwärts verschoben und, beginnendmit der Bronzezeit, durch die so genannte ökonomische Waldgrenze ersetzt.

Die KulturlandschaftenWas wir sehen, wenn wir in die Landschaftblicken, ist meist Ergebnis des menschlichen Wirkens in der Natur. Echte Naturlandschaftensind in Österreich auf Grund der langen Nut-zungsgeschichte und relativ großen Bevöl-kerungsdichte heute nur mehr auf wenige Bereiche im Hochgebirge beschränkt. Durch das Bestreben der Menschen, Lebensraum zu erschließen, Nahrung zu produzieren und Bodenschätze zu gewinnen, wurden Natur-landschaften über Jahrhunderte hinweg ver-ändert und so genannte „Kulturlandschaften“geschaffen. Kulturlandschaften sind also einer-seits durch die naturräumlichen Gegebenheitenund andererseits durch das Landnutzungs-muster charakterisiert. Anhand dieser Merk-male lassen sich verschiedene Raumeinheiten voneinander abgrenzen. Diese Kulturland-schaftstypen, die sich in Geomorphologie, Klimatyp, aktueller Vegetation und Nutzung sowie Siedlungs- und Flurform unterscheiden, wurden in der folgenden Abbildung entspre-chend der vorherrschenden Landnutzungs-form zu so genannten Kulturlandschafts-typenreihen zusammengefasst:

Gliederung der Kulturlandschaften Österreichs in Typenreihen (Karte: Wrbka et al., 2000. In: Wrbka et al., 2002: Kulturland-schaftsgliederung Österreich. Forschungsprogramm Kulturlandschaft 13. BM für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien. CD-ROM)

Nur die vergletscherten Hochge-birgsregionen sind noch weitge-hend unbeeinflusst vom Menschen.Photo: Hanns Kirchmeir

Page 50: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

56 Österreich – 57– Blickpunkt Natur

C) Bandförmig ausgedehnte Waldland-schaften kommen im Hochgebirge auf den steilen bis felsigen Flanken der Trogtäler und in den Tieflagen als Auwaldbänder entlang großer Flüsse vor. In den niedrigeren Voral-pen sind Wälder meist auf Bergrücken, inSchneisen oder Plateaulandschaften zu finden.

D) Inselförmige Waldlandschaftenumfassen jene Waldgebiete, die durch Rodung und Zerstückelung zu Inseln wurden. Solche Vorgänge lassen sich für nahezu alle klimatischbegünstigten Regionen Österreichs nachzeich-nen, also vor allem für die Vorländer und Becken. In abgeschwächter Form gilt dies auch für die Hochlagen des Wald- und Mühlviertels,wo aufgrund der Grenzlage, des rauen Klimas und der ertragsschwachen Böden erst relativ spät gerodet wurde.

E) Bei den grünlandgeprägten Kulturland-schaften des Berglandes handelt es sich um jene 600 bis 1900 Meter hoch gelegenenRegionen, in denen Wiesen und Weiden als landwirtschaftliche Nutzflächen dominieren. Charakteristisch für das Erscheinungsbild ist die so genannte Einödblockflur, in der Wiesen und Weiden als große Blockparzellen rund um die Einzelgehöfte platziert sind. In der Vergangenheit wiesen viele dieser Kulturland-schaften einen gewissen Ackeranteil auf, da der Anbau von Brotgetreide aus Gründen der Selbstversorgung bis in hohe Lagen üblich war.

F) Zu den grünlanddominierten Kultur-landschaften glazial geformter Becken, Talböden und Hügelländer zählen die Grünlandgebiete in den Tieflagen des Alpen-raumes, in denen die Ablagerungen der eis-zeitlichen Gletscher mit ihrem charakteristi-schen Feuchtökotopgefüge standörtlich stark in Erscheinung treten. Besonders typische Beispiele für solche Kulturlandschaften

finden sich in den rand- und inneralpinen Seebecken bzw. Eiszerfallslandschaften der ehemaligen Salzach-, Traun- und Draugletscher.Die flacheren Seen dieser Regionen zeigen starke Verlandungstendenzen, manche haben sich bereits gänzlich zu Mooren umgewandelt.

G) Grünlandgeprägte Kulturlandschaften außeralpiner Becken, Täler und HügelländerIn den Vorländern Österreichs, aber auch im Osten des Granit- und Gneishochlandes dominiert der Ackerbau das Landschaftsbild. Wiesen und Weideland sind hier in der Regel auf nicht ackerfähige Standorte zurückge-drängt. Dazu gehören die überschwemmungs-gefährdeten Böden in den Talauen der Bäche und Flüsse sowie die grundwassernahen oder salzhaltigen Böden der Einbruchsbecken im Osten. Als Beispielsregionen sind die Mittern-dorfer Senke, das Neusiedler See-Becken und Bereiche des Seewinkels, das Marchtal und die Leithaniederung zu nennen. Im pannonischen Klimabereich treten zudem noch trockene, früher meist als Hutweide genutzte Land-schaftsteile auf. Eine Sonderform stellen die großen Truppenübungsplätze dar.

H) Kulturlandschaften mit ausgeprägtem Feldfutterbau oder gemischter Acker- Grünland-Nutzung beinhalten jene Regionen,in denen Viehzucht zur Fleischproduktion betrieben wird, was sich im Landschaftsbild in Gestalt großflächigen Maisanbaus äußert. Übergangsgebiete, in denen es auch Milch-produktion mit reiner Stallhaltung gibt, zeigen ein charakteristisches Gemenge von Intensiv-wiesen und Äckern. Gemischte Nutzung finden wir in den inneralpinen Talböden und Becken, beispielsweise im Kärntner und im Judenburger Becken. Im außeralpinen Hügel-land zählen große Bereiche des nördlichen Alpenvorlandes mit gemischter Nutzung sowie das Steirische Riedelland mit domi-nantem Maisanbau zu dieser Typenreihe. In

In den außeralpinen Becken do-miniert der Ackerbau das Land-schaftsbild. Weidenutzung ist auf nicht ackerfähige Standorte zurückgedrängt, wie hier am Neusiedler See.Photo: Nationalpark Neusiedler See

Page 51: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

58 Österreich – 59– Blickpunkt Natur

beiden Regionen kann ein dramatischer Rück-gang der Wiesen und Weiden durch deren Umwandlung in Äcker beobachtet werden.

I) In den Kulturlandschaften mit domi-nantem Getreidebau sind jene Ackerbauge-biete zusammengefasst, in denen vorwiegend Brot- und Futtergetreide produziert wird. Miteingeschlossen wurden Gebiete, in denen aufgrund günstiger Standortbedingungen auch Feldgemüse und Zuckerrübe großflächigangebaut werden. Die Viehwirtschaft ist in den meisten dieser Regionen zurückgegangenoder beschränkt sich auf Schweine- und Geflügelmast. Kulturlandschaften dieses Typs finden sich entweder in den großen Terrassen-und Beckenlandschaften des Inn-, Traun-,Mur- und Donautales, oder in den nieder-schlagsärmeren außeralpinen Hügelländern.

J) Weinbaudominierte Kulturlandschaften finden wir überwiegend im Bereich des Pan-nonischen Beckens, vor allem in der Umrah-mung des Neusiedler Sees mit dem Seewin-kel, sowie auf Schotterfluren des Wiener Beckens. Während der Weinbau südlich von Wien eine längere Tradition besitzt, wird er in den Ebenen des Neusiedler See-Beckens erst seit dem Zweiten Weltkrieg in größerem Stil betrieben, wo er Standorte, auf denen noch in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts große Hutweiden lagen, bevorzugt. Wein-baudominierte Hangzonen sind gleichfalls an geoökologische Gunsträume des panno-nischen Klimas gebunden. Wir finden solche Kulturlandschaften am Abhang des Manharts-bergs gegen das Weinviertel, im Bereich der Wachau, am Wagram sowie am Westrand des Wiener Beckens.

K) In Kulturlandschaften mit kleinteiligen Wein- und Obstbaukomplexen sind die Weingärten vielfach mit anderen Nutz-flächen, wie Äckern, Mähwiesen und Obst-gärten, durchsetzt. Teilweise ist dieses Phänomen auf die Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts zurückzuführen, nach der viele Weingärten nicht mehr wiederbe-pflanzt wurden. Dies trifft vor allem auf das Wiener Umland und das Weinviertel zu. Aller-dings gibt es auch Regionen, in denen Wein traditionellerweise eher für den Hausgebrauch und daher nur auf kleinsten Flächen angebautwurde, wie dies in manchen Teilen des Süd-burgenlandes und der Oststeiermark der Fall ist.

L) In den Siedlungs- und Industrieland-schaften sind alle verbauten Bereiche des Bundesgebietes zusammengefasst – sie macheninsgesamt zwei Prozent der Landesfläche aus. Das Spektrum reicht dabei vom großstädti-schen Ballungsraum bis zum Tagbaugebiet. Historisch gewachsene Industrie- und Sied-lungslandschaften finden wir in den Vorlän-dern und Becken und in den alpinen Indus-triegassen mit ihrer Nähe zu den Roh-stoff- und Energiequellen. Die „junge“ Industrie- und Siedlungslandschaft wird in erster Linie durch den oberösterreichischen Zentralraum repräsentiert.

Die Landschaften Österreichs sind vom Menschen geprägt.Photo: IECB

In den Terrassen- und Becken-landschaften der großen Fluss-täler wird vorwiegend Brot- und Futtergetreide produziert.Photo: IECB

Extensiver Ackerbau im Waldvier-tel mit Streifenfluren und Hecken.Photo: IECB

Page 52: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

58 Österreich – 59– Blickpunkt Natur

Die biologische VielfaltDie biologische Vielfalt Österreichs spiegelt die Vielfalt an standörtlichen Bedingungen wider, die sich aus der Lage des Landes in den Randzonen großer Lebensräume und im Alpen-raum ergibt. Neben den weit verbreiteten europäisch-temperaten Arten treten auch Ele-mente der südrussischen und mittel-asiatischenGrassteppen, der nördlichen Mittelmeerge-biete, der nordwestlichen Balkanhalbinsel sowie der Arktis und der zentralasiatischen Gebirge bei uns auf. Das Vorkommen zahl-reicher Endemiten und Glazialrelikte stellt eine weitere Bereicherung der heimischen Tier-und Pflanzenwelt dar. So ist Österreich im mitteleuropäischen Vergleich eines der arten-reichsten Länder. Bei den Farnen und Blüten-pflanzen liegt der Alpenstaat mit einer Arten-zahl von 2950 sogar an der Spitze. Fische sind mit 75 Arten, Amphibien mit 21, Reptilien mit 13, Säugetiere mit 89 (davon acht ausgestor-ben) und Brutvögel mit 239 Arten vertreten.

Der Artenreichtum ist in ökologischen Über-gangszonen, inneralpinen Tälern und Becken besonders groß. Dies gilt vor allem für die Übergangszonen des Pannonikums, das gener-ell die biologisch reichhaltigste Region Öster-reichs darstellt. Hier liegt auch der geplante Biosphärenpark Wienerwald. Besonders Trockenbiotope, wie Trockenrasen, Feder-grassteppen, Waldsteppen und artenreiche Flaumeichen- und Föhrenwälder, tragen zu der außergewöhnlichen Vielfalt bei. Von den ehemals verbreiteten Feuchtgebieten sind nur mehr Reste vorhanden. Gerade deshalb kommt den verbliebenen Niedermooren, Feucht- und Salzwiesen sowie Bruch- und Auwäldern – wie in den Biosphärenparks Neusiedler See und Lobau zu finden – so große Bedeutung zu. Im Gegensatz dazu erscheinen Wald- und Mühlviertel aus floristischer Sicht relativ arten-arm. Allerdings zählt das nordwestlicheWaldviertel zu den reichhaltigsten Brutvogel-

gebieten Österreichs. Teile der Nördlichen sowie der Südlichen Kalkalpen punkten mit ihrem Reichtum an Gefäßpflanzen. Die Zen-tralalpen dagegen sind aufgrund der über-wiegend sauren Gesteine und der durch-schnittlich hohen Lagen von Natur aus eher artenarm. Ebenfalls artenarm ist das nörd-liche Alpenvorland, wobei die Artenvielfalt von Ost nach West abnimmt. Dies ist durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung des Raumes zu erklären. Das südöstliche Alpen-vorland kann aus floristischer Sicht als relativreichhaltig angesehen werden. Besondere Bedeutung kommt den Augebieten im Süd-burgenland zu.

Die biologische Vielfalt war und ist keines-wegs konstant, sondern vielmehr einem ständigen Wandel unterworfen – einerseitsdurch klimatische Veränderungen und so genannte Naturkatastrophen, andererseits durch den Einfluss des Menschen. Der Mensch begann früh, auf das Artengefüge einzuwirken.Bereits als Jäger und Sammler reduzierte er seine Jagdtiere. Mit dem Vordringen des Ackerbaus entstanden nicht nur Haustierrassen und Kultursorten, auch so genannte Kultur-folger konnten sich etablieren. Die Artenbe-stände nahmen – besonders bei den Pflanzen – ständig zu. Heute ist ein knappes Drittel unserer Flora an menschliche Tätigkeit (Land-bewirtschaftung, Siedlungsraum) gebunden.Dies ist auch ein Grund dafür, dass mit dem Eintritt in das Industriezeitalter und der Mechanisierung und Intensivierung der Land-wirtschaft ein stetiger Artenrückgang zu ver-zeichnen war, welcher seit den 1960er Jahren besonders rasant voranschreitet. 40 Prozent der heute gefährdeten Arten sind Arten der Äcker und Wiesen. Gerade diese artenreichen Kulturlandschaften werden in Biosphären-parks langfristig erhalten.

Trockenbiotope tragen besonders zur Artenvielfalt in Österreich bei. Die seltene Zwergschwertlilie (Iris pumila) beispielsweise blüht nur auf steinigen Trockenrasen.Photo: IECB

In Biosphärenparks werden vor allem klein-strukturierte Kulturland-schaften erhalten. Diese beherbergen etwa 40 Prozent der gefährdeten Arten.

Page 53: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

60 Österreich – 61– Blickpunkt Natur

Die Alpen sind ein wichtiger europäischerKristallisationspunkt biologischer und kultu-reller Vielfalt. Häufig werden sie als „Wasser-schloss“ Europas bezeichnet. In acht Staaten prägen sie die Landschaft sowie das Leben und Wirtschaften ihrer Bevölkerung – so auch in Österreich. Sie zählen zu den wichtigsten und wertvollsten Ökoregionen der Erde. Um ihren Schutz zu gewährleisten, haben sich die Alpenstaaten und die Europäische Union mit Unterzeichnung der Alpenkonvention als völkerrechtlich verbindliches Vertragswerk offiziell zur nachhaltigen Entwicklung der Alpen verpflichtet.

Eine außergewöhnliche VielfaltDie natürliche Tier- und Pflanzenwelt der Alpen beeindruckt durch ihren Reichtum, ihre Anpas-sungen, ihre Besonderheiten und ihre ökologische Komplexität. Die Alpen sind das größte gene-tische Reservoir von Wildarten sowie Kultur-pflanzen und Haustierrassen Europas. Dynami-

sche Prozesse wie Verwitterung, Erosion und vor allem Lawinen charakterisieren den Alpen-raum. Trotz ihres Zerstörungspotentials schaffen sie immer wieder neuen Lebensraum für Pflan-zen und Tiere. Eine wichtige treibende Kraft für die biologische Vielfalt ist auch das Klima. Es verändert sich mit der Höhe graduell (geringere Temperaturen, höhere Niederschläge), kann aber auch kleinräumig sehr verschieden sein. Diese Dynamik und die Vielfalt an Lebensräumen haben einen großen Reichtum an Tier- und Pflanzenarten hervorgebracht. Durch die große Reliefenergie und das in der Höhe sehr raue Klima sind die Böden nicht tief, die Wurzeln der Pflanzen haben engen Kontakt zum Mutterge-stein. So spiegelt sich die geologische Vielfalt der Alpen auch in der Vegetation wieder.

Edelweiß & CoDie Alpen beherbergen rund 4.500 Gefäß-pflanzen, etwas weniger als die Hälfte der europäischen Flora. Sie stellen die floristisch reichhaltigste Region Europas dar. In Öster-reich gibt es ca. 2950 Blütenpflanzenarten. Ein wesentlicher Teil davon ist im Alpenraum be-heimatet. Gesamtalpin unterscheidet man 900 verschiedene Pflanzengesellschaften, charak-teristische Kombinationen verschiedener Pflanzenarten, die größere Gebiete bedecken (z.B. Alpenrosenheide, Lärchen-Zirbenwald, Hochstaudenfluren, alpine Moore u.a.). Trotz der mehrere Jahrtausende langen Nutzung durch den Menschen, haben sich die Alpen eine große Natürlichkeit bewahrt. So sind von den 291 Pflanzengesellschaften Vorarlbergs nur 70 stark vom Menschen beeinflusst. Die übrigen sind weitgehend natürliche Feucht- und Waldgebiete sowie hochalpine Rasen.

Die Bedeutung der Bergökosysteme für die biologische und kulturelle Vielfalt in Österreich

Ein Beitrag von A.Univ.-Prof. Dr. Norbert Weixlbaumer und Mag. Birgit Karre, CIPRA-Österreich

Die Artenvielfalt der Alpen

ca. 30.000 Tierarten, davon: ca. 20.000 wirbellose Tierarten (dies ist nur eine grobe Schätzung)ca. 200 Brutvogelartenca. 80 Säugetierarten (darunter einige, die sich nur zeitweilig in den Alpen aufhalten)ca. 80 Fischartenca. 21 Amphibienarten (eine davon ist endemisch)ca. 15 Reptilienarten

ca. 13.000 Pflanzenarten, davon:mehr als 5000 Pilzartenca. 4500 Gefäßpflanzenarten (dies entspricht 39 Prozent der gesamten Flora in Europa, mehr als 400 davon sind endemische Arten)ca. 2500 Flechtenartenca. 800 Moosartenca. 300 Lebermoosarten

(Quelle: WWF Deutschland 2004)

Mag. Birgit Karre studierte Ökologie in Wien und ist seit März 2004 als Geschäfts-führerin von CIPRA-Österreich tätig

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60 Österreich – 61– Blickpunkt Natur

Von den Eiszeiten geprägtWährend der Eiszeiten wurde ein Großteil der alteingesessenen Flora vernichtet bzw. auf die eisfreien Randgebiete im Norden und Süden verdrängt. Nur einige wenige Arten überdau-erten auf den aus dem Eis herausragenden Bergspitzen. Durch die Isolation entstanden auf diese Weise eigenständige Sippen. Diese und die ohne wesentliche Veränderung überle-benden Reliktarten, beide als alpin-endemisch zu bezeichnen, sind nirgendwo anders auf der Welt zu finden. Etwas mehr als 15 Prozent der 2500 Alpenpflanzen im engeren Sinne (an und über der Waldgrenze) sind dieser speziellenArtengruppe zuzuordnen. Endemische Arten sind jedoch nicht nur auf das Pflanzenreich beschränkt, allerdings ist bei den Wirbeltieren(Säuger, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische) deren Anteil am Gesamtartenbestand weit weniger hoch als bei den Blütenpflanzen. Von den etwa 80 Säugetierarten in den Alpen – es handelt sich dabei vor allem um Mäuse, Spitz-,Wühl- und Fledermäuse – sind drei Arten (z.B. die Alpenwaldmaus) ausschließlich auf den Alpenraum beschränkt. Relativ hohe Endemitenanteile zeigen hingegen die Wirbel-losen, vor allem Schnecken, Höhleninsektenund Spinnentiere. Der reiche Artenbestand der Alpen setzt sich einmal aus dem so genan-nten tertiären Grundstock zusammen, jener Flora und Fauna, die sich während der Alpen-hebung zu Gebirgsarten entwickelt und die Eiszeiten vor Ort überlebt hat (z.B. Solda-

nellen, viele wichtige Rasenpflanzen wie Krumm-, Polster- und Rostrote Segge, Violett-und Buntschwingel). Einige kamen aus Asien,wie die Enziane, die Apolloschmetterlinge oder der Bartgeier, die anderen aus Afrika, wie der Steinrötel, wieder andere aus medi-terranen Gebieten, wie die Hauswurzarten. Während der ausgedehnten Vergletscherun-gen der Eiszeiten wanderten dann z.B. Arten aus den zentralasiatischen Kältesteppen, wie Edelweiß, Schneehuhn oder Schneehase, in den Alpenraum ein. Viele dieser arktisch-alpinen Pflanzen und Tiere formten, als der großflächige Eispanzer langsam abschmolz, die heutige Alpenflora und -fauna mit.

Letzte WildnisDie Alpen sind eine der letzten Regionen in Zentraleuropa, in denen es noch unberührte Wildnis gibt – ein sehr seltenes und absolutschützenswertes Gut. Viele Gebiete sind schwer zugänglich und weitgehend unberührt. Doch wie lange noch? Der Druck von Seilbahnbe-treibern und Tourismusbetrieben auf unbe-rührte Gipfel steigt. Eine aktuelle Studie er-mittelte 831 entlegene Gebiete im Alpenraum,die bisher von Infrastrukturen wie Straßen,Eisenbahnen, Städten, Industriegebieten, Kabeltrassen, Pipelines, Liftanlagen oder Ähnlichem weitgehend unbeeinflusst geblie-ben sind. Diese Bereiche liegen hauptsächlich in hohen, unzugänglichen Bergregionen. Zu diesen Wildnisgebieten zählen zum Beispiel Verwall, Teile der Silvretta, Teile der ÖtztalerAlpen und der Hohen Tauern, die NiederenTauern, das Tote Gebirge, der Hochschwab undder Ötscher. Im Alpenraum finden sich auch noch große Waldbestände, die natürlich, sehr naturnah oder nur mäßig verändert sind. Kein Wunder also, dass sich hier die großen Beute-greifer, wie Wolf, Luchs und Bär, wieder ein-finden. Sie sind auf große Wildnisgebieteangewiesen und nutzen diese Wälder als Rückzugsgebiete und Wanderkorridore. Große,zusammenhängende und naturnahe Waldge-

Die Zwergprimel (Primula minima) ist eine von mehr als 375 Pflanzenarten, die nur in den Alpen vorkommen.Photo: Harald Pauli

Wildnis im Verwall – die 3147 Meter hohe Küchlspitze.Photo: Harald Pauli

Dr. Norbert Weixlbaumer ist Humangeograph und seit 2000 Präsident von CIPRA-Österreich

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biete dienen aber auch dem Menschen: Sie schützen die Siedlungen in den Tälern vor Naturkatastrophen wie Lawinen, Steinschlag, Muren und Hochwasser.

Von der Natur- zur KulturlandschaftBevor die Alpen als Dauersiedlungsraum ent-deckt wurden, stellten die Wälder, die sich nach der Eiszeit entwickelt hatten, bis in große Höhen die vorherrschende natürliche Pflanzen-decke dar. Schon vor ca. 6000 Jahren begann der Mensch, diese Wälder als Viehweide zu nutzen. Als die Alpen dann als Dauersiedlungs-raum erschlossen wurden, kam es zu großflä-chigen Rodungen, um Flächen für Ackerbau und Almwirtschaft zu gewinnen. So schuf der Mensch durch seine landwirtschaftliche Tätig-keit eine Kulturlandschaft, die viel zur Vielfalt der Alpen beiträgt. Im Laufe der Jahrtausende entstanden in den Alpen vielfältige kulturelle Gemeinschaften und Traditionen, geprägt durch das (Über)leben mit und in der Land-schaft und mit den natürlichen Ressourcen. So endet die kulturelle Vielfalt in den Alpen nicht bei Brauchtum und Tradition, sondern wird durch eine große Anzahl von speziellen Nutzungsformen ergänzt. Zur Bergheuge-winnung entwickelten sich etwa vielfältigste Techniken und Gerätschaften, um das Heu zu mähen, zu transportieren und zu lagern. Wei-ters war die Nutzung von dünnen Eschen- oder Fichtenästen, die mit speziellen Messern abgeschnitten wurden, zur Aufbesserung des Viehfutters oder als Stalleinstreu, bekannt als Schneiteln oder Schnatzen, weit verbreitet.

Für viele andere Bereiche, wie die Alpung des Viehs oder Milchverarbeitung etc., lässt sich dies fortsetzen. Viele dieser Nutzungsformen existieren heute nicht mehr. Durch den raschen Strukturwandel, die Abwanderung aus den Berggebieten und die zunehmende Verstädterung im Alpenraum wurden viele der traditionellen Lebensweisen aufgegeben. Die ehemalige Kulturlandschaft liegt häufig brach, Wälder erobern die offenen Flächen zurück. Biosphärenreservate können in diesem Zu-sammenhang den Bewohnern eine Möglich-keit bieten, Kulturlandschaften und regionale Identitäten zu erhalten bzw. zukunftsorientiertweiterzuentwickeln. Die Alpen weisen eine große Vielfalt an Sprachen auf. Viele alte und neue Sprach- und Kulturgemeinschaften sind hier beheimatet. So reicht der Bogen der sprachlich-kulturellen Vielfalt von der slawi-schen über die rätoromanische Sprachgruppe mit den Minderheitensprachen Romanisch, Ladinisch und Friulisch weiter zur deutschen Sprachgruppe, die das Alemannische, das Bay-rische sowie den Walser-Dialekt umfasst, über die galloromanische bis zur italoromanischen Sprachgruppe.

Das „Wasserschloss“ EuropasSchätzungsweise 80 Prozent des Süßwassers auf den Landflächen der Erde stammen aus Bergregionen. Mehr als zwei Prozent der Oberfläche des Alpenbogens sind von einem Eismeer aus 1300 Gletschern bedeckt. Diese Gletscher und die Quellen der Alpen sind das wertvollste Trinkwasserreservoir Zentraleuro-pas. Die Rôhne, der Rhein, die Donau, die Etschund der Po werden von ihnen gespeist. Alleine Österreich könnte mehr als das 40-fache seiner Einwohner mit Trink- und Brauchwasser ver-sorgen. Unzählige Flüsse, Wildbäche, Seen, Moore und Feuchtgebiete erhöhen die Biodi-versität im Alpenraum. Doch die Vielfalt ist bedroht. Elektrizitätswirtschaftliche Nutzung, Sicherungsbauten zur Vermeidung von Hoch-wasserschäden, die Nutzung auch kleiner Ge-

70 Prozent der österreichischen Wälder wachsen im Bergland. Diese Waldgebiete sind überwiegend noch sehr naturnah.Photo: Hanns Kirchmeir

Die Alpen sind das „Wasser-schloss“ Europas. Vielerorts, wie hier im Trefflingfall (Ötscherland),sprudelt frisches Quellwasser über die steilen Hänge.Photo: Norbert Weixlbaumer

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62 Österreich – 63– Blickpunkt Natur

wässer für die künstliche Beschneiung, die Schaffung landwirtschaftlicher Flächen durch Dämme und Regulierung, der Besatz mit Fremd-fischen etc. haben viele dieser Lebensräume so stark verändert, dass nur noch ein Bruchteil davon als natürlich bzw. naturnah anzusehen ist.

Die Alpenkonvention und die VielfaltDie Konvention zum Schutz der Alpen wurde 1991 unterzeichnet und trat 1995 in Kraft. Sie ist die Basis für eine übergreifende Alpenpolitik. Die Alpen sollen für all ihre Bewohner als sta-biler Lebens- und Wirtschaftsraum gesichert und als einzigartige, vielfältige Natur- und Kulturlandschaft langfristig erhalten werden. Das Übereinkommen gliedert sich in eine Rahmenkonvention und in Durchführungs-protokolle. Diese enthalten Bestimmungen zur Umsetzung der Ziele der Alpenkonvention in den Fachbereichen Berglandwirtschaft, Tourismus, Raumplanung und nachhaltige Entwicklung, Verkehr, Naturschutz und Land-schaftspfege, Bergwald, Bodenschutz sowie Energie. Für den Schutz der biologischen Vielfalt der Alpen sind neben dem Verkehrs-

protokoll die Protokolle „Naturschutz und Landschaftspflege“ sowie „Raumplanung und nachhaltige Entwicklung“ von besonderer Bedeutung. Die Durchführungsprotokolle traten im Dezember 2002 in Kraft. Zu ihrer tatsächlichen Umsetzung sind in Zukunft alle Alpenanrainerstaaten aufgefordert. Sie können so auch einen gewichtigen Beitrag zur Qualität bestehender und zukünftiger Bio-sphärenreservate leisten.

Literaturangaben

BÄTZING, W., 1991: Die Alpen. Entstehung und Gefährdung einer europäischen Kulturlandschaft.CIPRA-INTERNATIONAL (Hrsg.), 1998/2001: 1./2. Alpenreport. Daten, Fakten, Probleme, Lösungsansätze.FISCHER, M.A. (Hrsg.); ADLER, W. et al. (Bearb.), 1994: Exkursionsflora von Österreich.GRABHERR, G., KOCH G., KIRCHMEIR H. & REITER K., 1998: Hemerobie österreichischer Waldöko-systeme. Veröffentlichungen des österr. MAB-Programmes, Österr. Akad. der Wissenschaften, Bd. 17.KAISSL, T., 2002: Mapping the Wilderness of the Alps – a GIS-based approach, Diplomarbeit, Univ. Wien.MORAWETZ, W. (Hrsg.), 1994: Ökologische Grundwerte in Österreich. Österr. Akad. der Wissenschaften.

MUCINA, L. & GRABHERR, G. (Hrsg.), 1993: Die Pflanzengesellschaften Österreichs. Teil I–III. NAGL, H., 1993: Die Wasserreserven Österreichs. In: Geographischer Jahresbericht aus Österreich, Bd. 50, S. 11–34.NIKLFELD, H. et al., 1999: Rote Liste gefährdeter Pflanzen Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie. Band 10. SPITZENBERGER, F., 2001: Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Band 13. WWF DEUTSCHLAND (Hrsg.), 2004: Die Alpen – das einzigartige Naturerbe. Eine gemeinsame Vision für die Erhaltung der biologischen Vielfalt. In Zusammenarbeit mit CIPRA, ISCAR und ALPARC im Rahmen des WWF Europäischen Alpenprogramms.

Die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA arbeitet für eine nach-

haltige Entwicklung in den Alpen. Sie setzt sich für die Erhaltung des Natur-

und Kulturerbes, für die Erhaltung der regionalen Vielfalt und für Lösungen

grenzüberschreitender Probleme im Alpenraum ein. Die CIPRA hat offiziellen

Beobachterstatus bei der Alpenkonvention, die sie maßgeblich mitinitiiert hat.

Die österreichische Vertretung besteht bereits seit 30 Jahren. Getragen

wird CIPRA-Österreich von neun Naturschutzorganisationen sowie den

Bundesländern über ihre Natur- bzw. Umweltschutzabteilungen. Einen

übergeordneten Schwerpunkt der Aktivitäten bildet die Weiterentwicklung

und Implementierung der Alpenkonvention (www.alpenkonvention.org).

CIPRA-Österreich, Alser Straße 21/5, A-1080 Wien, Telefon: 01/40113-36,

Fax: - 50, E-Mail: [email protected], www.cipra.at, www.cipra.org.

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Die Vereinten Nationen erklärten das Jahr

2002 zum „Internationalen Jahr der Berge“.

Warum sollte man Bergökosystemen

besondere Aufmerksamkeit schenken?

Berge gibt es in allen Regionen der Welt auf

allen Kontinenten. Sie sind bedeutende

Zentren der biologischen Vielfalt, versorgen

uns mit Wasser und Energie, sind eine

wichtige Quelle für Mineralien, Wald- und

Landwirtschaftsprodukte und dienen dem

Menschen als Orte der Erholung. Diese

sensiblen Lebensräume sind jedoch einem

raschen Wandel unterworfen: Sie sind anfällig

für beschleunigte Bodenerosion und Erdrutsche

und erleiden einen dramatischen Verlust an

Lebensräumen und genetischer Vielfalt. Vor

allem in Entwicklungsländern ist die Armut

unter den Bergbewohnern weit verbreitet.

Indigenes Wissen geht nach und nach verloren.

Als Ergebnis zeigt sich eine zunehmende Ver-

schlechterung der Umweltbedingungen in den

meisten Gebirgen der Erde. Folglich muss

unsere volle Aufmerksamkeit auf das nach-

haltige Management der natürlichen Ressourcen

und die sozioökonomische Entwicklung der

Bergbevölkerung gerichtet werden. Dem

wissenschaftlichen Auftrag der UNESCO

entsprechend, sollen wir die Weltbevölkerung

für die Probleme der Bergregionen und ihrer

Bewohner sensibilisieren. Um Konzepte für die

notwendige Erhaltung der Bergökosysteme zu

erarbeiten, werden wissenschaftliche Studien

benötigt. Auf der anderen Seite setzen wir

uns für eine nachhaltige Entwicklung in den

jeweiligen Gebieten ein.

Wie kann der Schutz dieser sensiblen

Lebensräume gewährleistet werden?

Erfahrungen zeigen, dass der totale Schutz

von Bergökosystemen (z.B. durch die

Ausweisung eines Nationalparks) nicht

immer die gewünschten Erfolge bringt, vor

allem wenn Menschen aus einem Gebiet

ausgeschlossen werden, das sie Hunderte

oder gar Tausende von Jahren bewirtschaftet

haben. Landnutzungskonflikte mit der

lokalen Bevölkerung sind in solchen Fällen

unausweichlich. Aus diesem Grund hat die

UNESCO im Rahmen ihres „Man and the

Biosphere (MAB) Programme“ einen neuen

Ansatz ins Leben gerufen, in dem Naturschutz

und Nutzung in Einklang gebracht werden

sollen – das Biosphärenreservatskonzept.

Hiernach werden Gebiete mit einer hohen

Schutzpriorität in Kernzonen legal unter Schutz

gestellt, während andere Gebiete – Puffer-

und Entwicklungszonen genannt – für eine

nachhaltige Nutzung, wie beispielsweise

Ökotourismus, ökologischer Landbau,

Vermarktung von regionalen und lokalen

Produkten oder Kunsthandwerk, bestimmt sind.

Dieser Ansatz erlaubt es den Bewohnern eines

Biosphärenreservates, ihren Lebensunterhalt in

Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung

zu verdienen. Gleichzeitig wird der Nutzungs-

druck auf die geschützten Kerngebiete ver-

ringert, da die Menschen von alternativen

Einnahmequellen profitieren. Mit Hilfe eines

integrierten Managementplans für das

gesamte Gebiet, der in enger Zusammenarbeit

mit lokalen Behörden, der Bevölkerung und

Wissenschaftlern erarbeitet wird, können

die wertvollen Schutzgebiete besser erhalten

werden.

Welchen Beitrag leisten Biosphären-

reservate für den Erhalt der biologischen

und kulturellen Vielfalt in Bergregionen?

Es ist sehr wichtig festzustellen, dass Berge

eine sehr große biologische Vielfalt beher-

bergen. Dies liegt vor allem daran, dass

sich die Lebensräume mit ansteigender

Höhe, sinkenden Temperaturen und je nach

Ausrichtung zur Sonne deutlich voneinander

unterscheiden. Auf Grund des schroffen

Geländes waren der Zugang und der Verkehr

Dr. Thomas Schaaf ist Mitarbeiter der UNESCO in Paris. Als Geograph mit den Schwerpunkten Hochgebirgs- und Trockengebietsökologie, nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz arbeitet er in der Abtei-lung für Ökologische Wissenschaften und im MAB-Programm „Der Mensch und die Biosphäre“.

Interview mit Dr. Thomas Schaaf vom MAB-Programm der UNESCOüber die Bedeutung von Biosphärenreservaten in Gebirgsökosystemen

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innerhalb der Bergregionen häufig sehr

beschwerlich für den Menschen, so dass

Pflanzen- und Tierarten in abgelegenen

Gebieten erhalten blieben. Gleichzeitig ist die

kulturelle Vielfalt in Gebirgslebensräumen sehr

ausgeprägt, da fehlende Zugänge von einem

Tal ins andere den Austausch zwischen den Be-

wohnern der verschiedenen Täler einschränken.

Innerhalb des gleichen Gebirgszugs können

sich lokale Gewohnheiten, Traditionen, Sprachen

und sogar Religionen von einer Berggemeinde

zur anderen unterscheiden. Kulturelle und

biologische Vielfalt in Biosphärenreservaten

werden zunehmend als zwei Seiten einer

Münze betrachtet, die miteinander verbunden

sind, vor allem wenn man in Betracht zieht,

dass sich traditionelle Landwirtschafts- und

Landnutzungspraktiken von einer Gemeinde zur

anderen unterscheiden. Durch die Einführung

von ganzheitlichen Managementplänen

versucht die UNESCO, den Erhalt der Vielfalt zu

unterstützen. In diesem Zusammenhang bietet

sich Ökotourismus, bei dem Besucher nicht nur

die schöne Landschaft und die wilden Tiere

genießen, sondern auch von den kulturellen

Besonderheiten erfahren, als eine mögliche

Alternative in Gebirgsbiosphärenreservaten an.

Derzeit unterhält die UNESCO das Pilotprojekt

„Nachhaltiger Kultur-Öko-Tourismus in den

Bergregionen Süd- und Zentralasiens“. Wir

hoffen, dass wir die Erfahrungen, die wir aus

diesem Projekt gewinnen, auch in anderen

Regionen der Welt anwenden können.

Wie viele der weltweit 440 Biosphären-

reservate liegen in Gebirgsregionen?

Über 40 Prozent der Biosphärenreservate

liegen in Bergregionen, vor allem in den

Anden, den Rocky Mountains, dem ost-

afrikanischen Hochland, den Alpen, aber auch

in den asiatischen sowie den zentral- und

osteuropäischen Gebirgen.

Die UNESCO plant zusammen mit anderen

Institutionen, die globalen Umweltver-

änderungen in ausgewählten Gebirgsre-

gionen zu beobachten. Welche Erkenntnisse

erhoffen Sie sich aus diesem Projekt?

Berge sind sehr sensible Indikatoren für die

Auswirkungen des globalen Klimawandels.

Veränderte Niederschlagsverhältnisse und

steigende Temperaturen führen zu einem Rück-

zug der Gletscher und beeinflussen damit das

Abflussverhalten des Wassers. Mit steigenden

Temperaturen wird eine Abwanderung von

bestimmten Pflanzen- und Tierarten in höhere

Lagen erwartet, was wiederum den Konkurrenz-

druck auf die Hochgebirgsarten erhöht. Ferner

wirkt sich der globale Wandel auf die sozio-

ökonomischen Bedingungen der Bergbewohner

aus. So sind etwa Einflüsse auf die Wintersport-

branche oder die Vegetationsperioden in der

Landwirtschaft zu erwarten. Aus diesem Grund

wollen wir die Biosphärenreservate der Welt

für die Beobachtung und Beurteilung der

Einflüsse der globalen Veränderungen auf

die Umwelt und die Lebensbedingungen der

Bevölkerung in den Bergregionen nutzen. Für

die UNESCO ist es sehr erfreulich, dass die

beiden österreichischen Biosphärenreservate

Gossenköllesee und Gurgler Kamm an diesem

Projekt teilnehmen. Besonders wichtig ist aber

auch, dass sich Biosphärenreservate in Entwick-

lungsländern beteiligen, um eine globale Ab-

deckung zu erreichen. Sie können von den

Wissenschaftlern und der Forschungserfahrung

in den Biosphärenreservaten Österreichs

profitieren, so dass das dichte Beobachtungs-

und Monitoringnetz, das bereits in der

nördlichen Hemisphäre existiert, mit Daten

und der Expertise aus südlichen Ländern

ergänzt wird. Nur mit einem weltweit verteilten

Monitoringnetz können wir die Auswirkungen

des globalen Klimawandels auf unseren

Planeten vollständig verstehen und beurteilen.

Den fernen Mt. Kenya(Bild oben) verbindetmit dem Gossenkölle-see (unten) eins: Beide Hochgebirgsland-schaften wurden in ein Monitoringnetz integriert, um als Frühwarnsysteme die Auswirkungen von Umweltveränderungen aufzuzeigen.Photos: Sigrun Lange (o.) und Roland Psenner (u.)

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66 Österreich – 67– Blickpunkt Natur

Vielfalt in Gefahr: Wodurch ist Österreichs Biodiversität bedroht?

Ein Beitrag von Mag. Franz Maier, Umweltdachverband

Wenn es um die Artenvielfalt geht, sehen seit kurzem nicht mehr nur Biologen und Natur-schützer Handlungsbedarf: Auf dem Weltgipfelfür nachhaltige Entwicklung im Jahr 2002 in Johannesburg haben sich Staats- und Regierungs-chefs dazu verpflichtet, bis 2010 den Verlust an biologischer Vielfalt zu stoppen. Fragt sich nur: Kann dies überhaupt gelingen und wo-durch ist die Biodiversität hierzulande bedroht?Wie viel an Artenvielfalt hat Österreich insge-samt (noch) aufzuweisen?Etwa 2950 wild wachsende Pflanzenarten ge-deihen in Österreich, rund 40 Prozent davon sind auf der „Roten Liste“ zu finden, welche die gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Arten umfasst (www.redlist.org). Derzeit sind für Österreich 97 Säugetierarten registriert. Seit dem Ende der letzten Eiszeit ausgestorben sind beispielsweise Teichfledermaus, Streifen-maus, Wisent, Ur, Wildesel und Wildpferd. Aber auch Wolf, Wildkatze und Elch treten nur noch als gelegentliche Irrgäste auf öster-reichischem Territorium in Erscheinung. Welt-weit sind rund 1,75 Millionen Tier- und Pflan-zenarten bekannt und beschrieben. Schätzun-gen der tatsächlichen Artenzahlen schwanken zwischen 10 und 100 Millionen (SPITZEN-BERGER 2004). Während die Weltnaturschutz-organisation kürzlich anlässlich der Aktuali-sierung ihrer Roten Listen verkündete, „nur“ 762 Tier- und Pflanzenarten seien in den ver-gangenen 500 Jahren ausgestorben, spricht der WWF von 30.000 jährlich aussterbenden Arten – eine Zahl, die allerdings zu hoch ge-griffen sein dürfte. Unbestrittenes Faktum ist zweifellos: Österreichs Vielfalt ist bedroht. „Rinder, Motorsäge und Autos sind die Sarg-nägel für unsere Natur“, meint SCHMINKE (2003) plakativ. Entscheidenden Einfluss auf die Biodiversität unseres Landes haben jedoch

eine Reihe von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Faktoren und Entwicklungen.

Landwirtschaftliche NutzungsaufgabeIn vielen Regionen des Berggebietes – aber auch im Wienerwald – sind heutzutage schon mehr die fehlenden Rinder als eine zu intensiveLandwirtschaft für den Rückgang von Arten verantwortlich (vgl. ARGE Wienerwald 2002). Viele so genannte Grenzertragsflächen (arten-reiche Magerwiesen, Almweiden u.a.) werden aufgelassen, verbuschen und verwalden mit dem Effekt, dass bestimmte Arten ihren Lebens-raum verlieren. Im Gegenzug wird auf den ver-bliebenen Flächen der Gunstlagen intensiviert und damit auch dort die Vielfalt zurückgedrängt.

Schleichende Landschafts- und Lebens-raumzerstörung sowie Flächenverbrauchschreiten in der Kulturlandschaft durch Ver-bauung, Zerschneidung, neue Verkehrswege, Nutzungsintensivierung oder Pestizideintrag unaufhörlich voran. Nach wie vor werden mehrFlusskilometer begradigt und verbaut als rena-turiert. Szenarien, die zumeist unspektakulärerscheinen, bei denen es sich jedoch um eine der größten Herausforderungen für Raum-ordnung, Natur- und Artenschutz handelt.

Mag. Franz Maier ist seit 1994 Geschäfts-führer des Umweltdach-verbandes.

Der Schwalbenschwanz (Papilio machaon) gilt als gefährdet, ist aber nicht vom Aussterben bedroht.Photo: Hanns Kirchmeir

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66 Österreich – 67– Blickpunkt Natur

Mangelndes Wissen über Österreich, seine Regionen und Arten Die Unkenntnis über die biologische Vielfaltund ihre komplexen Zusammenhänge ist häufig sehr groß. Das Beispiel des National-parks Kalkalpen zeigt, dass oft nicht einmal Schutzgebietsverwaltungen wissen, wie viel-fältig ihr Gebiet wirklich ist. Informations-tafeln zufolge, die im Jahr 1998 aufgestellt wurden, wären dort nämlich „rund 2000 Blü-tenpflanzenarten“ vorhanden. Damit wäre der Nationalpark um fast 15 Prozent artenreicher als das ganze Bundesland Oberösterreich, wo insgesamt nur etwa 1800 Arten vorkommen (PILS 1999). Angesichts solcher „Zahlen-spiele“ stellt sich die Frage, wie Menschen, die keine Fachleute sind, mit Artenvielfalt und Artenzahlen etwas anzufangen wissen sollen? Befragt nach seinem größten Problem ant-wortete Sir Neil CHALMERS, Direktor des Natural History Museum in London: „Die größte Sorge bereitet uns unser wissenschaft-licher Nachwuchs. Woher werden wir die nächsten Generationen guter Biologen und Geologen bekommen, wenn an den Universi-täten nur noch Gentechnik unterrichtet wird? „Eine Biologie, die nicht den ganzen Organis-mus und die Lebensräume im Blick hat, kann wenig zur Sicherung unserer Lebensqualität bei-tragen“ (FAZ vom 27.8.2003).

Falsche Erfolgsmaßstäbe im ArtenschutzVielfach werden Artenschutzprojekte auf spektakuläre „sexy species“ fokussiert und in der Folge nicht nach Dringlichkeit, sondern hinsichtlich ihres Public-Relations-Potenzialskonzipiert und vergeben. Die Aussicht auf Spendengelder ist dabei wichtiger als die Frage,wo die größte naturschutzfachliche Notwendig-keit für ein Artenschutzprojekt besteht. Bleibt die berechtigte Frage: Wäre es für die Vielfalt beispielsweise nicht wichtiger, den unschein-baren Dohlenkrebs zu schützen, als den ohne-hin von selbst zuwandernden Braunbären?

Unzureichender SchutzstatusViele Schutzgebiete und Artenschutzpro-gramme existieren nur auf dem Papier, jedoch nicht in Form effektiver nachhaltiger Schutzmaßnahmen. Ob die Schutzgebiete ihren Schutzzweck eigentlich erfüllen, ist oft mangels entsprechender Bestandserhebun-gen oder Evaluierungen auch niemandem im Detail bekannt. Nicht einmal der Mehrfach-schutz von Landschaften garantiert einen aktiven Schutz von einzelnen wertvollen Flächen und eventuell notwendige Manage-mentmaßnahmen (Beispiel Wachau: Natura 2000-Gebiet, UNESCO-Weltkulturerbe und Landschaftsschutzgebiet). Die genanntenProzesse des Biodiversitätsverlustes laufendort im besten Falle nur langsamer ab.

Falsche politische Schwerpunktsetzung, mangelnde Ernsthaftigkeit und zu wenig Ressourcen im Naturschutz So schlagzeilenträchtig ein bundeseinheitliches Tierschutzgesetz auch sein mag, die saubere,österreichweit einheitliche Erfüllung der EU-Naturschutzrichtlinien und die konsequente Umsetzung internationaler Konventionen wäre allemal wichtiger. Kaum ein österreichi-sches Bundesland, geschweige denn der Bund, ist in der Lage, die oft bereits jahrelang geltenden Schutzverpflichtungen zu erfüllen, die sich etwa aus den EU-Naturschutzricht-

Auch der Mehrfachschutz von Landschaften schützt nicht vor Artverlust: Ein Blick über Stein/Donau in der Wachau zeigt die Zersiedelung im Talboden und die Verwaldung von Magerrasen.Photo: Martin Scheuch

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linien oder aus internationalen Konventionen, wie der Biodiversitäts- oder der Alpenkonven-tion, ergeben. Hinzu kommt eine Konzentrationder Naturschutzfinanzmittel des Bundes auf Nationalparks, während andere Großschutz-gebiete, wie Naturparks, UNESCO-Biosphären-parks oder -Welterbegebiete, praktisch keine finanzielle Förderung durch die Republik erfahren. Über Bundesländergrenzen hinweg wird nach wie vor nicht effektiv zusammen-gearbeitet. Zur Erhaltung der Vielfalt mangelt es an fachkundigem Personal sowie an Finanz-mitteln, vor allem aber am politischen Willen. Deshalb ein Staatsversagen im Naturschutz zu konstatieren, ist keinesfalls übertrieben (vgl. z.B. MAIER 1998).

Bildungs- und Kommunikationsdefizite Die zentrale Bedeutung von Bildung, Kom-munikation, Information und Bewusstseins-bildung zur Erreichung der Ziele im Natur- und Artenschutz wird bis heute völlig verkannt. Das „Ziel 2010“ – Stopp des Artverlusts bis zum avisierten Jahr – wird ohne verstärkte Maßnahmen in diesem Bereich nicht zu errei-chen sein. Vielfältige Hinweise und Anregun-gen dazu finden sich in der Broschüre „Leben in Hülle und Fülle. Vielfältige Wege zur Biodiver-sität“ (UMWELTDACHVERBAND 2002). Nur wenn die Nützlichkeit und das Lebens-

recht dessen, was von selbst ist und zu ver-schwinden droht, für uns Menschen deutlich gemacht wird, wird eine notwendige Ethik des Bewahrens eine Chance haben!

Biosphärenparks gegen den EinheitsbreiBedroht ist in Österreich nicht nur die Vielfalt an Arten, sondern auch an jene Landschafts-strukturen und Lebensräumen, an alten, tradi-tionellen Nutzungsformen und lokaltypischen Sorten sowie den daraus produzierten Nah-rungsmitteln. Parallel dazu verschwinden regi-onale und lokale Bräuche und Dialekte. Was droht – und zwar auf allen erwähnten Ebenen– ist nicht weniger als ein genetischer, land-schaftlicher und gesellschaftlich-kultureller Einheitsbrei, der die Lebensqualität einschränktund den Menschen in seiner Entfaltung bremst. Dem entgegenzuwirken ist dringend notwendig. Biosphärenparks kommt dabei als Modellregionen eines gelungenen Mit- und Nebeneinanders von Naturschutz, Forschung, Bildung und nachhaltiger Regionalentwicklung eine besonders große Bedeutung zu.

Umweltdachverband

Alser Straße 21, A-1080 Wien

Telefon: 01/40113-0, Fax: - 50

E-Mail: [email protected]

www.umweltdachverband.at

Literaturangaben

ARGE Wienerwald, 2002: Machbarkeitsstudie Wienerwald.MAIER, F., 1998: SPA, SCI und SAC – Neue Wege im Naturschutz. Zolltexte 8/29: 37–39.PILS, G., 1999: Die Pflanzenwelt Oberösterreichs. Ennsthaler, Steyr.RASPER, M., 2004: Die Zahlenspiele der Biologen. natur&kosmos 3: 10–12.SCHMINKE, H. K., 2003: Die Rolle naturkundlicher Museen in Zeiten der Biodiversitätskrise. Beitr. Naturk. Oberösterreichs 12: 7–14.SPITZENBERGER, F., 2001: Die Säugetierfauna Österreichs. Grüne Reihe des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Band 13.SPITZENBERGER, F., 2004: Erforschung und Bedeutung der Diversität der Tierwelt, besonders bei Säugetieren. In: Der Wert der Biodiversität (Hrsg.: EHRENDORFER & STREISSLER). ÖAW, in Druck.UMWELTDACHVERBAND (Hrsg.), 2002: Leben in Hülle und Fülle. Vielfältige Wege zur Biodiversität. FORUM Umweltbildung.

Bewusstseinsbildung wie hier im Großen Walsertal ist eine we-sentliche Voraussetzung für den Erhalt der Artenvielfalt.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Page 62: UNESCO Biosphaere Weissbuch Leben in Vielfalt

68 Österreich – 69

Allgemeine Literaturempfehlungen zum Thema Biosphärenreservate

AGBR (STÄNDIGE ARBEITSGRUPPE DER BIOSPHÄRENRESERVATE IN DEUTSCHLAND), 1995: Biosphärenreservate in Deutschland. Leitlinien für Schutz, Pflege und Entwicklung. Berlin Heidelberg.

DEUTSCHES MAB-NATIONALKOMITEE (Hrsg.), 1996: Kriterien für die Anerkennung und Überprüfung von Biosphärenreservaten der UNESCO in Deutschland. Bundesamt für Naturschutz, Bonn. (Zum Herunterladen unter http://www.noel.gv.at/Service/Lf/Lf4/Biosphaerenpark.htm)

DEUTSCHES MAB-NATIONALKOMITEE (Hrsg.), 2004: Voller Leben. UNESCO-Biosphärenreservate – Modellregionen für eine Nachhaltige Entwicklung. Springer-Verlag Berlin Heidelberg.

EUROPARC DEUTSCHLAND (Hrsg.), 2002: Biosphärenreservate in Deutschland. Ankommen lohnt sich. Bleiben auch. Broschüre, Berlin.

UNESCO (Hrsg.), 1996: Biosphärenreservate. Die Sevilla-Strategie und die internationalen Leitlinien für das Weltnetz. Hrsg. der dt.-sprach. Ausgabe: Bundesamt für Naturschutz, Bonn. (Zum Herunterladen unter http://www.noel.gv.at/Service/Lf/Lf4/Biosphaerenpark.htm)

UNESCO-MAB (Hrsg.), 2002: Biosphere Reserves: Special Places for People and Nature. Paris.

UNESCO-MAB (Hrsg.), 2003: Five Transboundary Biosphere Reserves in Europe. Biosphere Reserves – Technical Notes. Paris.

UNESCO-MAB (Hrsg.), 2004: Global Change in Mountain Biosphere Reserves. Proceedings of the International Launching Workshop held in Entlebuch Biosphere Reserve 10-13 Nov 2003. Paris. (Zum Herunterladen unter http://www.unesco.org/mab/mountains/glochamore.htm)

UNESCO-MAB (Hrsg.): Biosphere Reserves - Bulletin of the World Network. Broschüre, erscheint unregelmäßig etwa einmal im Jahr.

WebseitenBiosphärenparks Österreich: http://www.biosphaerenparks.at

Deutsches MAB-Nationalkomitee: http://www.bfn.de/05/0506.htm

MAB Programm der UNESCO: http://www.unesco.org/mab

Österreichisches MAB-Nationalkomitee: http://www.oeaw.ac.at/deutsch/forschung/programme/mab.html

Schutzgebietskategorien in Österreich: http://www.umweltbundesamt.at/umwelt/naturschutz/schutzgebiete

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Einzigartige Steppen-

landschaft im Herzen

Europas ...

„“

Neusiedler SeeJahr der UNESCO-Anerkennung: 1977Bundesland: BurgenlandSchwerpunkte: Naturschutz, Management, Tourismus

Fläche gesamt: 25.000 Hektar (vgl. Karte auf Seite 74) Kernzone: 4330 Hektar (identisch mit Kernzone des Nationalparks)

Höhenerstreckung: 114 bis etwa 480 Meter

Zusätzlicher Schutzstatus:1982: Nominierung des Neusiedler See und der Lacken im Seewinkel als Ramsar-Gebiet (60.000 Hektar); 1993: Gründung des grenzüberschreitenden Nationalparks Neusiedler See-Seewinkel (Fläche umfasst etwa 100 km2 in Österreich und 230 km2 in Ungarn);2000: Ausweisung als Natura 2000 Gebiet (41.735 Hektar);2001: Aufnahme der Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See zwischen Ungarn und Österreich als Weltkulturerbe-stätte der UNESCO

Biosphärenpark-ManagementUniv.-Prof. Dr. Alois Herzig, Leiter der Biologischen Station Neusiedler See, 7142 IllmitzTel. 02175/2328-29, E-Mail: [email protected]

Zuständige Stelle des LandesAmt der Burgenländischen Landesregierung, Abteilung 5 - Anlagenrecht, Umweltschutz und Verkehr, Europaplatz 1, 7000 EisenstadtAnsprechpartner: Dr. Anton HombauerTel. 02682/600-2882, E-Mail: [email protected]

Hintergründe der EntstehungAls das MAB-Wissenschaftsprogramm mit Beginn der 1970er Jahre ins Leben gerufen wurde, war das „International Biological Programme (IBP)“ gerade am Auslaufen. Im Rahmen des IBP fanden umfangreiche Forschungsaktivitäten am Schilf-gürtel und im Neusiedler See statt. Mit dem MAB- Programm sollten in Österreich die IBP-Forschun-gen in einer erweiterten Form fortgesetzt werden. Dementsprechend kam die Initiative für die Er-richtung eines Biospärenparks am Neusiedler See

von engagierten Wissenschaftlern, wie Prof. Heinz Löffler. Sie sorgten für die Einreichung des Gebie-tes bei der UNESCO.

Geographische LageDer Neusiedler See liegt im Nordburgenland und damit im äußersten Osten Österreichs an der Grenze zu Ungarn. Die einzigartige Steppenland-schaft am Ostrand der Alpen ist ein westlicher Ausläufer der Kleinen Ungarischen Tiefebene.

Geologie Im Gebiet rund um den Neusiedler See vollzieht sich der Übergang von den Alpen zur Kleinen Ungarischen Tiefebene, der westlichsten Steppen-landschaft Europas. Die Hainburger Berge und das etwa 440 Meter hohe Leithagebirge zählen zu den letzten (sichtbaren) Ausläufern der Alpen. Sie begrenzen die Neusiedler Bucht im Norden und Nordwesten. An der tiefsten Stelle der Kleinen Ungarischen Tiefebene liegt der Neusiedler See in einer abflusslosen Wanne auf rund 113 Meter Meereshöhe. Ursprünglich bedeckten Ausläufer des Urmeeres (Tethys) das Wiener Becken und die Kleine Ungarische Tiefebene. Mit dem Rückzug des offenen Meeres vor 13 Millionen Jahren bil-dete sich ein Binnengewässer. Der Salzgehalt ging

Als Leiter der BiologischenForschungsstation ist Prof. Alois Herzig für den Biosphärenpark zuständig.

III) Die österreichischen Biosphärenparks

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Biosphärenpark Neusiedler See

zurück, gewaltige Sedimentmengen wurden abge-lagert. Erst die tektonischen Absenkungen des Raumes vor 13.000 Jahren schufen dann Wannen und Becken, die sich mit nacheiszeitlichen Zuflüs-sen und Niederschlägen füllten. So entstand ein Binnengewässer, dessen Wasserhaushalt stark von Klimaschwankungen abhängt. 1865 bis 1870 war der Neusiedler See sogar völlig ausgetrocknet. Heute umfasst der etwa ein bis zwei Meter tiefe Steppensee eine Fläche von 320 Quadratkilometern.Die Bereiche nördlich des Sees werden von der „Parndorfer Platte“ gebildet, die aus Schotterfluren der Donau im jüngsten Tertiär entstanden ist. Im östlich gelegenen Seewinkel folgen 10 bis 15 Meter mächtige eiszeitliche Donauschotter. Entlang des Ruster Höhenzuges, der sich im Westen an den See anschließt, tritt als Besonderheit der so genannte „Leithakalk“ auf. Diese Meeresablagerungen liefern einen Bau- und Dekorstein, der im Römerstein-bruch von St. Margarethen abgebaut wurde. Im Südosten dehnt sich der Hanság (Waasen), ein ehemaliges Sumpf- und Moorland, das teilweise in feuchte Wiesen umgewandelt wurde, in den ungarischen Biosphärenpark Fertö aus.

KlimaDas Klima im Nordburgenland ist stark kontinental geprägt. Die Lage im Regenschatten der Alpen be-dingt geringe Jahresniederschläge von etwa 600 Milli-metern. Die Sommermonate sind heiß und trocken.Durchschnittlich werden 61 Sommertage mit Temperaturen über 25 Grad Celsius gemessen. Die Region gilt daher als die wärmste Österreichs. Es gibt Wintermonate, in denen die Lufttemperatur gar nicht unter die Frostgrenze fällt und die Höchst-werte bei 17 Grad Celsius liegen. In unmittelbarer Nähe des Neusiedler Sees ist die Wirkung der großen Wasserfläche als Temperaturpuffer zu spüren. Besonders in Hauptwindrichtung (Nord-west) gibt der während der Nacht auskühlende See Wärme und Luftfeuchtigkeit in den Seewinkel ab und trägt so zu einer langen Vegetationsperiode von rund 250 Tagen bei. Dies schafft ideale Anbau-bedingungen für den Weinbau. Das Ostufer des Neusiedler Sees zählt zu den windreichsten Gebie-ten im europäischen Binnenland. Neben dem fast ständig präsenten Nordwestwind tritt auch der böige Südostwind häufig auf. Auf der Parndorfer Platte liegen die größten modernen Windparks Österreichs. Das Zusammenwirken von geringem Niederschlag, hohen Temperaturen und ständigem Wind führt zu einer derart hohen Verdunstung, dass man im Sommer und Herbst zeitweise von semiariden Bedingungen sprechen kann. Dabei kommt es in manchen Böden zu einer oberfläch-lichen Anreicherung mit Salz (hauptsächlich Nat-riumkarbonat). Diese Salzböden sind von Natur aus baumfrei. Etwa 35 periodisch austrocknende Flachwasserseen, die so genannten „Lacken“, prägen den Charakter des Seewinkels. Im Wechsel der Jahreszeiten schwankt ihre Tiefe zwischen 0,7 Meter und völliger Austrocknung.

Naturraum und ÖkosystemeIm Gebirgs- und Waldland Österreich wirkt die offene, steppenartige Landschaft des Seewinkels eher exotisch. Das Erscheinungsbild dieses beson-ders artenreichen Lebensraumes ist jedoch keines-wegs natürlich, sondern das Resultat menschlicher Eingriffe. Ursprünglich wuchsen in der Region um den Neusiedler See bis auf wenige extrem trockene oder salzhaltige Standorte dichte Eichenwälder. Mit der Besiedlung durch den Menschen folgten Rodungen. Die Wasserstandsregulierung ermög-lichte eine intensivere Beweidung sowie die Mahd der feuchten Wiesen. Heute setzt sich die Kultur-landschaft aus einem Mosaik von verschiedenen Lebensräumen zusammen. Der durchschnittlich nur etwa 1,2 Meter tiefe See wird von einem bis zu fünf Kilometer breiten Schilfgürtel umgeben. Im Osten schließen sich baumlose, salzhaltige Böden mit zeitweise austrocknenden Flachwas-serseen, den Lacken, an. Der Hanság (Waasen), das ursprünglich ausgedehnte Niedermoor- und Erlenbruchwaldgebiet im Südosten an der Grenze zu Ungarn, wurde durch Entwässerungskanäle in Feuchtwiesen umgewandelt. Der Biosphärenpark Neusiedler See umfasst lediglich die Seefläche (auf der österreichischen Seite) mit dem Schilfgürtel. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war diese Schilfzone noch nicht vorhanden. Erst die Wasserstandsregu-lierungen und der Nährstoffeintrag aus der Land-wirtschaft schufen beste Wachstumsbedingungen für das Schilfrohr (Phragmites australis). Trotz der Vorherrschaft von nur einer Pflanzenart ist der Schilfgürtel reich an Lebensräumen. Vom Wind geschützt, ist das ruhige Wasser ein geeigneter Lebensraum für Wasserkäfer, Insektenlarven und Kleinkrebse. In den Entwässerungsgräben tum-meln sich Donaukamm- und Teichmolche (Triturus dobrogicus und T. vulgaris). Die größte Bedeutung besitzt der Schilfgürtel jedoch für die Vogelwelt. Er ist Siedlungsgebiet für Silber- (Egretta

Die salzhaltigen Böden ent-standen aus Ablagerungen des Urmeeres. Wiederholtes Verdunsten erhöhte nach undnach die Salzkonzentration.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

Der Schilfgürtel entstand erst vor etwa 100 Jahren. Heute ist er an manchen Stellen bis zu fünf Kilometer breit und bedeckt eine Fläche von etwa 178 Quadratkilometern.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

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alba), Purpur- (Ardea purpurea) und Graureiher (Ardea cinerea) sowie Löfflerkolonien (Platalea leuco-rodia). Tausende Schilfsingvögel wie etwa Marisken-sänger (Acrocephalus melanopogon) oder die Bartmeise (Panurus biarmicus) bauen hier ihre Nester. Zu den Schwimmvögeln, die hauptsächlich im Schilf vor-kommen, zählen unter anderen Rallen und die sel-tene Moorente (Aythya nyroca). Auch die Rohrweihe (Circus aeruginosus), häufigster Greifvogel am Neu-siedler See, brütet im Schilf.

Besonderheiten der Flora und FaunaAus biologischer Sicht ist der Neusiedler See ein Grenzraum, der von Elementen verschiedener Landschaftsräume geprägt ist. Als Resultat findet man hier einen für Mitteleuropa höchst bedeutsa-men Naturraum mit einer faszinierenden Arten-vielfalt. Das milde und trockene Klima ermöglicht das Vorkommen südlicher und östlicher Steppen-arten. Die Region der Lacken ist die Heimat von zahlreichen salzliebenden Pflanzenarten, darunter Salz-Wermut (Artemisia santonicum) und Strand-Salzmelde (Suaeda maritima). Auf den salzfreien Trockenrasen blühen Kleines Knabenkraut (Orchis morio), Österreichischer Lein (Linum austriacum), Boden-Tragant (Astragalus exscapus), Purpur-Königs-kerze (Verbascum phoeniceum) und Zwerg-Schwertlilie (Iris pumila). Aber vor allem für Vögel bietet die Mischung aus unterschiedlichsten Lebensräumen beste Lebensbedingungen: Seeregenpfeifer (Chara-drius alexandrinus), Säbelschnäbler (Recurvirostra avo-setta), Flußseeschwalbe (Sterna hirundo), Rotschenkel (Tringa totanus), Uferschnepfe (Limosa limosa), Großer Brachvogel (Numenius arquata), Schafstelze (Motacilla flava), Sumpfohreule (Asio flemeus), Wiesenweihe (Circus pygargus) und Weißstorch (Ciconia ciconia) sind nur einige von vielen Arten, die hier beobachtet werden können. Am Neusiedler See brütet auch noch die Großtrappe (Otis tarda), eine vom Aus-sterben bedrohte Art. Während des europäisch-afrikanischen Vogelzuges rasten mehr als 150 ver-schiedene Vogelarten im Nationalpark. Im Herbst sammeln sich alljährlich Tausende Gänse an den Lacken und am See, bevor sie weiter in den Süden ziehen. Der Neusiedler See ist daher ein „Mekka“ für Vogelliebhaber aus aller Welt. Aber auch die Insektenwelt des Seewinkels ist sehr vielfältig. Allein 1.500 Schmetterlingsarten konnten bisher nachgewiesen werden. Die Säugetierfauna ist mit über 40 Arten vertreten, darunter das Ziesel (Citel-lus citellus) und der Steppeniltis (Mustela eversmanii).

BesiedlungsgeschichteBereits ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. waren die Seeufer von Menschen besiedelt. 200 Jahre später wanderten Kelten in das Gebiet südwestlich des Sees bei Sopron ein. Römersiedlungen dehnten sich bis zum Südrand des Sees aus, wurden aber im 4. Jahrhundert von Germanenstämmen erobert. Während der Völkerwanderung strömten verschie-dene Völker in die Region. Im 11. Jahrhundert kam es schließlich zur Gründung des ungarischen Staa-tes. Die Zuwanderung deutschsprachiger Siedler setzte im Mittelalter ein. Mit der Belagerung der Stadt Wien durch die Türken (1529) wurde auch die Region Fertö-Neusiedler See verwüstet. Damals begann der Zuzug von Kroaten, die gesunkenen Bevölkerungszahlen stiegen erneut. Im 18. Jahr-hundert setzte ein wirtschaftlicher Aufschwung, verbunden mit einer bedeutenden Bauphase, ein. Prunkvolle Herrschafts- und Bürgerhäuser stam-men aus dieser Zeit. Ackerbau, Viehzucht und Weinbau trugen zum Lebensunterhalt der Bevöl-kerung bei. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der See durch die zwischen Österreich und Ungarn gezogene Grenzlinie geteilt. Zur echten Isolation kam es allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Errichtung des „Eisernen Vorhangs“. Mit dem Beitritt Ungarns zur Europäischen Union im Mai 2004 ist die Einheit der Region jedoch wieder in greifbare Nähe gerückt.

Einwohner und GemeindenIm eigentlichen Biosphärenpark leben keine Men-schen. 14 Gemeinden grenzen direkt an den Schilf-gürtel des Sees. Dazu zählen Apetlon, Illmitz, Poders-dorf am See, Gols, Neusiedl am See, Weiden, Jois, Winden am See, Breitenbrunn, Purbach, Donners-kirchen, Oggau, Rust und Mörbisch. Etwa 35.000 Menschen leben in der Region um den Neusiedler See. Zu den Haupteinkommensquellen zählen Weinbau und Tourismus. Podersdorf am See ist mit 400.000 Nächtigungen pro Jahr der größte Tourismusort im Burgenland.

LandnutzungDer eigentliche Biosphärenpark besteht aus dem See mit seinem Schilfgürtel. Etwa 20 Fischarten leben in dem Binnengewässer, darunter Zander, Karpfen, Hecht, Wels und Schleie. Neben dem Fischfang gehört der Schilfschnitt zu den Erwerbs-möglichkeiten der lokalen Bevölkerung. Auf etwa 10 bis 15 Prozent der Fläche darf Schilf entnom-men werden. Verwendet wird es zum Decken von Dächern und als Stukkaturmaterial. Besonders die an den See angrenzenden Gebiete sind seit langer Zeit einer intensiven Nutzung durch den Menschen ausgesetzt. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Hanság, ehemals Teil des Sees, durch mehrere Kanäle entwässert und trockengelegt. Als Folge löste Heuwirtschaft den Fischfang als wich-tige Einkommensquelle ab. Noch bis vor 50 Jahren war die Viehwirtschaft ein bedeutender Wirtschafts-faktor. Große Herden von Kühen, Pferden und Schweinen weideten auf gemeinschaftlichen

Wärmeliebende Insekten wie die Gottesanbeterin überleben im warmen Steppenklima.Photo: Nationalpark Neusiedler See

Silberreiher brüten noch häufig im Schilfgürtel des Sees.

Im Herbst beginnt ein prächti-ges Naturschauspiel – der Zug der Gänse. Graugänse machenRast auf ihrem Weg nach Süden.Photo: Nationalpark Neusiedler See

Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

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... im Schatten des Nationalparks

Wiesen, den Hutweiden („Vieh hüten“). Nach und nach erfolgte eine Intensivierung und damit Um-strukturierung der Landwirtschaft zu Gunsten von Wein- und Ackerbau. Durch die Einrichtung des Nationalparks Neusiedler See konnte jedoch der Fortbestand einiger Rinderherden gesichert werden.Schon immer profitierte der Seewinkel von einem besonders milden Klima. Heute ist das Burgenland bekannt für seine exzellenten Weine. Nirgendwo sonst in Österreich werden großflächig so hohe Zuckergrade bei den Trauben erreicht wie hier. Seit 1965 haben die Weinbauflächen besonders östlich des Neusiedler Sees stark zugenommen. Angebaut werden vor allem qualitätsvolle Weißweine (Welsch-riesling, Müller-Thurgau und Weißburgunder). Beim Ackerbau dominieren Weizen, Roggen sowie die Ölsaaten Raps, Sonnenblume und Sojabohne. Seit Jahrzehnten beliefern Bauern aus dem Seewinkel den Wiener Markt mit Frischgemüse (Salat, Gurken,Tomaten etc.). Der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Region ist mittlerweile aber der Tourismus. Die Entwicklung begann in den 1960er Jahren. Der Neusiedler See, das „Meer der Wiener“, bietet heute mit sieben Strandbädern, zahlreichen Sport- und Erholungsangeboten, vielfältigen Exkursions-möglichkeiten für Naturliebhaber und kulturel-len Highlights wie den „Seefestspielen Mörbisch“ Attraktionen für jeden Geschmack.

UmweltbildungsaktivitätenIm Rahmen des Biosphärenparks finden keine Bil-dungsaktivitäten statt. Die Nationalparkverwaltung bietet jedoch zahlreiche naturkundliche Führungen,Erlebnistage und Naturevents an. Exkursionsthemen sind dabei immer bestimmte Tier- oder Pflanzen-gruppen oder ausgewählte Lebensräume. Angebotenwerden unter anderem Vogelstimmenwanderungen,Amphibienbeobachtungen, Großtrappenbalz und Heilpflanzenführungen.

UniversitätskooperationenDie überwiegende Mehrheit der Forschungsarbeiten wird von Mitarbeitern der Universität Wien durch-geführt. Weitere Kooperationen bestehen mit dem Naturschutzbund, Birdlife Österreich und dem WWF.

ForschungsaktivitätenDie Forschungsaktivitäten werden prinzipiell von zwei Instanzen koordiniert, nämlich von der Nati-

onalparkverwaltung und der „Biologischen Station Neusiedler See“. Der Vorläufer des heutigen For-schungsinstituts, ein Holzbau inmitten des Schilf-gürtels, wurde 1960 durch einen Brand zerstört. Die Burgenländische Landesregierung beschloss daraufhin 1971 den Neubau auf festem Grund. Die Wahl fiel auf einen Standort zwischen dem See und den Lacken im Gemeindegebiet Illmitz. Die Station untersteht dem Naturschutzreferenten der Burgenländischen Landesregierung. Leiter ist der Limnologe Prof. Alois Herzig. Die Forschungs-station beschäftigt derzeit 23 Mitarbeiter. Sie ist mit einem Labor ausgestattet, in dem regelmäßig Daten über die Wasserqualität des Sees ausgewertet werden. Die Nationalparkforschung konzentriert sich vor allem auf praktische Fragen des Manage-ments, der Nutzungskonflikte und des Naturschut-zes. Themen sind unter anderen Weidemonitoring, fischbiologische Untersuchungen, die Einstellung der Aalfischerei oder die Beobachtung der Ent-wicklung von Reiherkolonien und seltenen Vogel-populationen. Bisher fand am Neusiedler See nur ein MAB-finanziertes Forschungsprojekt in den 1980er Jahren statt. Dabei ging es um den Einfluss von Landwirtschaft und Tourismus auf die Eutro-phierung (Überdüngung) des Sees.

Internationale Partnerschaften1979 wurde der ungarische Teil des Neusiedler Sees als Biosphärenpark „Fertö“ nominiert. Eine Zusammenarbeit zwischen den Ländern findet im Rahmen einer österreichisch-ungarischen Kom-mission statt.

FinanzierungFür das Management des Biosphärenparks stehen keine Gelder zur Verfügung. Die wissenschaftli-chen Arbeiten werden in enger Kooperation mit dem Nationalpark vergeben und über National-parkfonds sowie entsprechende Forschungs- und Projektmittel finanziert.

BesonderheitenDer Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel ist die dominierende Schutzkategorie der Region. 25 Mit-arbeiter entwerfen Managementkonzepte für den langfristigen Erhalt des Lebensraums, informieren die Öffentlichkeit über die Aktivitäten des Natio-nalparks und vermitteln in zahlreichen Exkursio-nen faszinierende Einblicke in die Tier- und Pflan-zenwelt. Von der Existenz eines Biosphärenparks wissen nur wenige. Ein erweiterter Bio-sphären-park könnte eine sinnvolle Klammer um die Viel-zahl der Schutzkategorien in der Region bilden (siehe Beitrag Seite 105).

LiteraturtippsNEFFE, 2003: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel. Edition Gutenberg.HORVATH & LEHMANN, 2002: Der Neusiedler See. Natur- und Kulturlandschaft. Verlag Christian Brandstätter, Wien.Webseite: www.nationalpark-neusiedlersee.org

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Schilfrohr wird zum Decken der Dächer verwendet.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

Die Forschung am Neusiedler See konzentriert sich auf fischbiologische Fragestel-lungen und Untersuchungen der Vogelpopulationen. Im Bild sind zwei Säbel-schnäbler zu sehen.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

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Untere LobauJahr der UNESCO-Anerkennung: 1977Bundesland: WienSchwerpunkte: Naturschutz und Naherholung im Natio-nalpark Donauauen

Fläche gesamt: 1.037 Hektar (Grenzen sind nicht genau festgelegt, es gibt keine Zonierung; vgl. Karte auf Seite 75)

Höhenerstreckung: 150 bis etwa 155 Meter

Zusätzlicher Schutzstatus:Seit 1978 ist die gesamte Lobau Naturschutzgebiet; 1983 wurde die Untere Lobau Ramsar-Schutzgebiet; 1996 folgte die Einrichtung des Nationalparks Donau-Auen, der sich in Niederösterreich entlang der Donau bis zur slowakischen Grenze zieht (seit 1997 Kategorie II der IUCN-Schutzge-bietskriterien); weiters wurde die gesamte Lobau als Natura 2000 Gebiet nominiert.

Biosphärenpark-ManagementMagistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 49, Forstverwaltung LobauDr.-Anton-Krabichler-Platz 32301 Groß-EnzersdorfAnsprechpartner: Dipl.-Ing. Gottfried HaubenbergerTel. 02249/2353, E-Mail: [email protected]

InformationszentrumIm Forstamt der Stadt Wien (MA 49) in Groß-Enzersdorf entsteht derzeit ein Informationszentrum für die Besucher der Donauauen, das speziell über die Landschafts- und Naturschutzgeschichte der Lobau informiert. Weiters errichtet die National-park Donau-Auen GmbH ein Besucherzentrum in Schloss Orth an der Donau, das Interessierten ab 2005 offen steht.

Zuständige Stelle des LandesMagistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 22 Umweltschutz, Bereich Naturschutz, Ebendorferstraße 4, A-1082 WienAnsprechpartnerin: Dipl.-Ing. Marlis SchnetzTel. 01/4000-88232, E-Mail: [email protected]

Hintergründe der EntstehungAuch in der Unteren Lobau ging die Initiative zur Einrichtung eines Biosphärenparks von Natur-wissenschaftlern aus, die in der Region forschten. Im Rahmen einer UNESCO-Konferenz in Wien organisierte der Limnologe Prof. Heinz Löffler eine Exkursion in die Auenlandschaft der Unteren Lobau. Das Gebiet fand unter den Teilnehmern großen Anklang. Daraufhin entstand die Idee, die Lobau in das Weltnetz der Biosphärenreservate aufzunehmen.

Geographische LageDie Lobau ist eine 2160 Hektar große Auenland-schaft im Osten der Bundeshauptstadt Wien. Seit der Donauregulierung erstrecken sich die Auwälder im Wiener Raum überwiegend am linken Donau-ufer. Der Donau-Oder-Kanal (erbaut 1939–1941) gliedert das Gebiet in die Obere und in die Untere Lobau. Der Biosphärenpark liegt im Bereich der Unteren Lobau. Eine genaue Abgrenzung wurde im Rahmen der Unterschutzstellung nicht durch-geführt. Das Gebiet entstand durch Überschwem-mungen und Ablagerungen der Donau. Dies spie-gelt sich auch im Namen wider: „Lobau“ bedeutet wörtlich „Wasserwald“ (im Althochdeutschen Lo = Wald, daher „waldige Au“).

Geologie Die Untere Lobau liegt im Wiener Becken, das vor mehr als 20 Millionen Jahren in die Tiefe sank und von einem Meer bedeckt wurde. Als dieses Meer vor zwei Millionen Jahren verlandete, wurden die Meeressedimente von Sanden und Schottern überlagert. Vor etwa 500.000 Jahren begann sich der Bisamberg zu heben und die Donau bahnte sich ihren Weg durch die Wiener Pforte (zwischen Leopoldsberg und Bisamberg) in Richtung Osten. Zur gleichen Zeit sank das Wiener Becken weiter ab, und die Donau grub sich in ihre eigenen Sedi-mente. Der Landschaftsraum Lobau umfasst die jüngsten Schotteraufschüttungen der Donau mit einer Mächtigkeit von acht bis zehn Metern. Das Gebiet ist weitgehend eben. Durch Auflandung und Erosion in der dynamischen Auenlandschaft entstand jedoch eine reich gegliederte Terrassierung

Forstwirt Mag. Gottfried Haubenberger setzt sich für das UNESCO-Prädikat vor den Toren Wiens ein.

Naturerlebnis in

faszinierender

Auenlandschaft ...

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Biosphärenpark Untere Lobau

mit Höhenunterschieden von einigen Metern. Bei den Böden handelt es sich um graue Auböden, die auf den Schottersedimenten der Donau liegen.

KlimaDie Lobau liegt in einem der trockensten Gebiete ganz Österreichs. Das Klima ist kontinental-sub-pannonisch geprägt. Die Jahresniederschläge betra-gen nur etwa 500 bis 700 Millimeter mit einem Maximum im Sommer und geringen Niederschlä-gen im Herbst und Frühjahr. Trotz des Regen-maximums im Sommer bewirken warme Ostwinde eine ausgeprägte Trockenheit zur Jahresmitte. Auf die heißen, trockenen Sommer folgen mäßig kalte, schneearme Winter. Im Juli betragen die Tempera-turen durchschnittlich 20 Grad Celsius, das Winter-mittel liegt knapp unter dem Gefrierpunkt. Die herrschenden Klimaeinflüsse haben aber auf die Ausbildung der Auwaldökosysteme nur unter-geordneten Einfluss, da hier in der stromnahen Landschaft die Wachstumsverhältnisse für die Vegetation weitaus stärker durch die vom Fluss geprägten Umweltbedingungen beeinflusst werden.

Naturraum und ÖkosystemeDie Lebensader der Lobau ist die Donau. Ehemals existierte ein reich gegliedertes System von Haupt-, Neben- und Altarmen. Die Überschwemmungs-dynamik des Flusses führte zur ständigen Neu- und Umbildung der Landschaft. Bereits 1869 begann jedoch die Regulierung der Donau zur Erleichte-rung der Schifffahrt. Seit den 1950er Jahren wurde in Österreich eine beinahe lückenlose Kette von Donaukraftwerken errichtet (insgesamt 58 Kraft-werke entlang der Donau und ihren Zubringern bis Wien, davon zehn in Österreich). Nur die Wachau und die Donau-Auen östlich von Wien blieben als freie Fließstrecken erhalten. In den stromnahen und damit häufiger vom Hochwasser betroffenen Bereichen breitet sich die so genannte „Weichholz-au“ aus. Schnellwüchsige Weichholzbaumarten wie Weiden, Erlen und Pappeln tolerieren die häu-figen Überflutungen. Weiter vom Ufer entfernt bilden Eschen, Linden und Ulmen die „Hartholz-Auwälder“. Hier unterliegt der Grundwasserspiegel allenfalls geringen Schwankungen. Überflutungen treten lediglich bei stärkeren Hochwässern und dann nur über kurze Zeit auf. Bei den eher kon-stanten Umweltbedingungen haben die langsam-wüchsigeren Hartholzarten einen Konkurrenzvor-teil. Seit dem Bau des Marchfeldschutzdammes um etwa 1900 wird ein Großteil der Lobau durch den Hochwasserschutzdamm von regelmäßigen Über-schwemmungen abgeschirmt. Nur über eine Öffnung im Damm, den „Schönauer Schlitz“ etwa neun Kilometer östlich des Ölhafens, kann das Wasser bei hohen Pegelständen der Donau in die Lobau zurückströmen. Die einstigen Standorte der Weichen Au werden heute hauptsächlich vom Grundwasser gespeist. Für die Lobau bedeutet dies den langsamen, aber stetigen Übergang von der Weichholzau zur trockeneren Hartholzau.

Durch die Flussregulierung stieg die Anzahl der so genannten „Heißländen“. Trockene Lebensräume entstanden auf Sand- und Schotterbänken mit extrem wasserdurchlässigen Böden. Diese steppen-ähnlichen Landschaften beherbergen eine für die Au ungewöhnliche Pflanzenwelt wie beispielsweise Weißdorn, Sanddorn und seltene Orchideen-arten. Auch die Gottesanbeterin, ein an extreme Trockenheit angepasstes Insekt, ist hier zu finden. Schon vor Jahrhunderten haben Menschen in den Wäldern der Donau-Auen Wiesenflächen angelegt.Die regelmäßig überschwemmten, nährstoffreichen Donauwiesen auf der stromnahen Seite des March-felddammes müssen regelmäßig gemäht oder beweidet werden, um die Wiesen in ihrer typischen Artzusammensetzung zu erhalten und die Einwan-derung von Gehölzen zu verhindern.

Besonderheiten der Flora und FaunaDie Lobau und die östlich angrenzenden Donau-Auen sind die letzten geschlossenen Flussauen dieser Größe in ganz Mitteleuropa. Sie sind Lebens-raum und Rückzugsgebiet für zahlreiche vom Aus-sterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten. In den Augewässern tummeln sich etwa 60 Fisch- und 13 Amphibienarten, darunter der Donau-Kamm-molch (Triturus dobrogicus) und die stark gefährdete Rotbauchunke (Bombina bombina). Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), deren Bestand auf Grund des Rückgangs und der Schadstoffbe-lastung von Feuchtgebieten überall gefährdet ist,findet hier ideale Lebensbedingungen. Im Schilf brüten Enten, Rallenarten und Singvögel wie Teichrohrsänger (Acrocephalus scirpaceus), Rohr-ammer (Emberiza schoeniclus) und Rohrschwirl (Locu-stella luscinioides). Reiher fischen am Ufer, Eisvögel (Alcedo atthis) bauen ihre Bruthöhlen in lehmige Böschungen. Seit mehreren Jahren wird die Wieder-ansiedlung des Seeadlers (Haliaeetus albicilla) geför-dert. Weißstörche (Ciconia ciconia) suchen auf den Überschwemmungswiesen ihre Nahrung. Hier ist auch der seltene Wachtelkönig (Crex crex) zu

Das Auengebiet in der Unteren Lobau entstand durch Überschwemmungen der Donau. Wörtlich bedeutet der Name Lobau „Wasserwald“.Photo: Magistrat der Stadt Wien, MA49 (Forstamt)

Weißstörche finden auf den Überschwemmungswiesen ausreichend Nahrung.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

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Hause. Besonders artenreich sind die Heißländen. Die Kalk-Trockenrasen beherbergen viele Orchi-deenarten wie Spinnenragwurz (Ophrys sphegodes), Brand- und Helmknabenkraut (Orchis ustulata, O. militaris). Eine bunte Vielfalt von Insekten, dar-unter mehr als 50 Wildbienenarten, findet sich hier ein. Durch geeignete Maßnahmen, wie die gelegentliche Beweidung mit Schafen, können die Heißländen vor einer Verbuschung bewahrt werden.

BesiedlungsgeschichteDie Lobau war ursprünglich eine Insel in der frei fließenden Donau. Auf Grund einer Schenkung kam sie in den Besitz des bayrischen Klosters Wei-henstephan. Später wurde sie an das Bistum Frei-sing abgetreten. 1485 erhielt Kaiser Maximilian von den bayrischen Bischöfen die Erlaubnis, in den Donau-Auen zu jagen. Die Lobau wurde zu einem beliebten kaiserlichen Hofjagdgebiet. 1745 stiftete Kaiserin Maria Theresia das Gebiet einem „Armenfonds“, dessen Verwaltung im Laufe der Zeit die Stadt Wien übernahm. Aus den Erträgen der forstlichen und landwirtschaftlichen Nutzung wurde die Versorgung der armen Bevölkerung finanziert. Im Mai 1809 richtete Napoleon, der Wien bereits besetzt hatte, in der Oberen Lobau ein Truppenlager für seine Armee ein. Bei Aspern und Eßling erlitt er erstmals in seiner Kriegslauf-bahn eine Niederlage. Ab 1926 öffnete die Stadt Wien die Obere Lobau für das „gemeine Volk“. Das Betreten des umzäunten Gebietes war aber nur von Ostern bis Allerheiligen und gegen Ein-trittsgeld möglich. Die Untere Lobau war damals noch kaiserliches Jagdgebiet. Sie wurde erst zwölf Jahre später frei zugänglich. Der Bau des Ölhafens mit Raffinerie und Pipeline folgte 1939–1941. Fliegerbomben richteten während des Zweiten Weltkriegs beträchtlichen Schaden an.

Einwohner und GemeindenIm Gebiet des Biosphärenparks „Untere Lobau“ gibt es außer vereinzelten Forsthäusern keine menschlichen Siedlungen. Zu den angrenzenden Gemeinden gehören Groß-Enzersdorf, Mühlleiten und Schönau mit insgesamt 9.635 Einwohnern. Groß-Enzersdorf, das so genannte „Tor zum Marchfeld“, ist auch Sitz der Forstverwaltung Lobau (Teil der MA 49, Forstamt und Landwirt-schaftsbetrieb der Stadt Wien), die für das Manage-ment des Biosphärenparks zuständig ist.

LandnutzungSeit jeher gehören Fischerei und Jagd zu den traditionellen Nutzungsformen in der Lobau. Bis weit ins 19. Jahrhundert war die Au jedoch noch eine fast unberührte Naturlandschaft, die Donau konnte sich mit ihren Hochwässern uneingeschränktausbreiten. Ab 1870 begannen die ersten Flussre-gulierungen zur Erleichterung der Schifffahrt. Der Bau des Hubertus- und Marchfeldschutzdammes um 1900 schnitt die Lobau vom regelmäßigen

Hochwassergeschehen ab. Auwälder wurden in Ackerland umgewandelt oder forstlich genutzt. In den 1950er Jahren rückte die Stromerzeugung in den Vordergrund. Zahlreiche Wasserkraftwerke erzeugen rund ein Viertel der öffentlichen öster-reichischen Elektrizität. Erst in den 1970er Jahren wurde dem Schutz der wertvollen Auwaldreste mit der Ausweisung der Unteren Lobau als Biosphä-renpark und der gesamten Lobau als Naturschutz-gebiet stärkere Aufmerksamkeit gewidmet. Heute wird die Flusslandschaft vor allem als Naherho-lungsgebiet genutzt. Gerade durch die Nähe zur Millionenstadt Wien sind die Donauauen einem sehr hohen Nutzungsdruck ausgesetzt. Bei einer Besucherstromanalyse wurden für das Jahr 1999 rund 600.000 Erholungssuchende erfasst (davon um die 15 Prozent in der Unteren Lobau). Wan-dern, Radfahren und Baden (besonders an den gekennzeichneten Wildbadeplätzen in der Oberen Lobau) gehören zu den wichtigsten Freizeitakti-vitäten. In Zeiten des Wassermangels dient die Lobau auch zur Trinkwasserversorgung der Wiener Bevölkerung. Die ständig wechselnden Wasser-stände der frei fließenden Donau sichern die hohe Qualität des unmittelbar angrenzenden Grund-wassers („Uferfiltrat“). Aus fünf bis zu 20 Meter tiefen Horizontalfilterbrunnen wird sauberes und sauerstoffreiches Trinkwasser gepumpt.

UmweltbildungsaktivitätenSowohl die Forstverwaltung Lobau als auch die Nationalparkverwaltung bieten zahlreiche Exkursi-onen und Informationsveranstaltungen rund umdas Thema Donau-Auen an. Diese finden aber fast ausschließlich in der Oberen Lobau statt. Für Schulklassen organisiert die Forstverwaltung Lobau kostenlose Erlebniswanderungen. 20 ausgebildete Betreuer stehen dafür zur Verfügung. Im National-park-Camp finden vielfältige Outdoor-Veranstal-tungen statt. Von Mai bis Oktober können Besu-cher mit dem Nationalparkboot täglich Fahrten vom Stadtzentrum aus zu einer kurzen Auwande-rung unternehmen. All diese Aktivitäten beziehen sich jedoch ausschließlich auf den Nationalpark. Das Thema „Biosphärenpark“ findet dabei wenig Beachtung.

UniversitätskooperationenEine enge Kooperation erfolgt mit dem Institut für Ökologie und Naturschutz der Universität Wien, insbesondere den Abteilungen Limnologie und Naturschutzforschung/Vegetations- und Landschaftsökologie. Hier wird auch ein National-park-GIS, die kartographische Grundlage aller Planungen, aufgebaut. Die limnologische Abtei-lung der ETH Zürich (Schweiz) beschäftigt sich mit hydrochemischen und limnologischen Grunder-hebungen in den Gewässern. Wildökologische Fragestellungen werden von der Universität für Veterinärmedizin in Wien bearbeitet. BirdLife Österreich berät bei der Ausweisung von Ruhege-bieten für seltene Vogelarten. Die Forschergruppe

Die Spinnenragwurz ist eine von Aussterben bedrohteOrchidee. In den Heißländender Unteren Lobau findet sie geeignete Lebensbedingungen.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

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78 79... Naherholung im Nationalpark

um Dr. Arne Arnberger vom Fachbereich Land-schaftspflege und Naturschutz an der Universität für Bodenkultur in Wien analysiert die Besucher-ströme im Nationalpark. Hauptkoordinator der naturwissenschaftlichen Forschungsaktivitäten in den Donau-Auen ist der Limnologe Prof. Fritz Schiemer, der dem Wissenschaftlichen Beirat des Nationalparks Donau-Auen vorsteht.

ForschungsaktivitätenAuf Grund der besonderen ökologischen Bedeu-tung der Lobau und der Ausweisung der Auen-landschaft als Naturschutzgebiet (1978) wurden über viele Jahre hin zahlreiche naturwissenschaft-liche Untersuchungen zur Wasserfauna, Vogel-welt, Wald- und Wiesenvegetation angefertigt. Diese Arbeiten liegen aber zum Teil weit zurück und repräsentieren nicht mehr den aktuellen Stand. Zu den Hauptauftraggebern gehört die Abteilung für Umweltschutz (MA 22) des Magistrats der Stadt Wien. Mit der Gründung des Nationalparks Donau-Auen im Jahr 1996 rückten angewandte Fragestellungen in den Vordergrund. Unter Ein-beziehung des Wissenschaftlichen Beirats wurde 1998 ein Forschungskonzept für die grundlegende Ausrichtung der Nationalparkforschung erarbeitet. Schwerpunkte waren dabei das Management der jeweiligen Naturräume sowie ein Langzeit-Monito-ring. Sämtliche Forschungsprojekte werden mit der Nationalpark-Gesellschaft abgestimmt und von der MA 22 bewilligt. MAB-relevante Forschung findet nicht statt. Zu den aktuellen Projekten gehören unter anderem die Erstellung von Managementplä-nen (Naturraum, Jagd und Fischerei) sowie Unter-suchungen zur Gewässervernetzung in der UnterenLobau, Studien zum Neophythenproblem (einge-schleppte Arten, die sich in Österreich etablieren konnten), eine Bestandsaufnahme der Heißländen sowie der Schutz der Vorkommen des Wachtel-königs und der Europäischen Sumpfschildkröte.

Internationale PartnerschaftenEs bestehen keine Partnerschaften des Biosphären-parks Untere Lobau. Der Nationalpark Donau-Auen kooperiert jedoch mit internationalen Orga-nisationen wie Europarc, IUCN und mit anderen Nationalparks.

FinanzierungEs gibt keinerlei Finanzierung für das Management des Biosphärenparks bzw. für Forschungsfragen im Rahmen des MAB-Programms. Die laufenden Betriebskosten des Nationalparks Donau-Auen übernimmt der österreichische Staat zu 50 Prozent, die Bundesländer Wien und Niederösterreich zu je 25 Prozent.

BesonderheitenDer Nationalpark Donau-Auen überlagert sämtli-che Aktivitäten. Im Gelände machen Schilder auf die Existenz eines Biosphärenparks aufmerksam. Im Prinzip ist die Unterschutzstellung als Biosphä-renpark jedoch weitgehend unbekannt.

Mögliche GefährdungDerzeit ist eine weitere Autobahnquerung der Donau in Planung, um den Nordosten Wiens zu entwickeln und besser an das Verkehrsnetz anzu-schließen. Verschiedene Streckenführungen sowie eine Untertunnelung der Donau sind im Gespräch. Der Biosphärenpark wäre davon durch Abgas- und Lärmbelastung indirekt betroffen.

LiteraturtippsGAMERITH, 1999: Donau-Auen, Naturreichtum im Nationalpark. Tyrolia Verlag.GOLEBIOWSKI & NAVARA, 2000: Naturerleb-nis Donau-Auen. Das Buch zum Nationalpark. Mit Tourenführer. Styria Verlag.HELLER: Das Buch von der Lobau. Erscheinun-gen, Gestalten und Schauplätze einer österreichi-schen Schicksalslandschaft. Nobertus Verlag.

Webseite des Nationalparks: www.donauauen.at

In der Unteren Lobau findet vor allem angewandte Forschung statt. Wissenschaftler erstellen Managementpläne für die jeweiligen Naturräume und untersuchen die Populationen von Wachtelkönig und Sumpfschildkröte.Photo: Magistrat der Stadt Wien, MA49 (Forstamt)

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GossenkölleseeJahr der UNESCO-Anerkennung: 1977Bundesland: TirolSchwerpunkt: Forschungstätigkeit

Fläche gesamt: 85 Hektar (vgl. Karte auf Seite 83)

Höhenerstreckung: 2413 bis 2828 Meter

Zusätzlicher Schutzstatus:Gemäß der Naturschutzgesetzgebung in Tirol sind Seen ab einer Fläche von 2000 m2 (0,2 Hektar) zusammen mit einem Geländestreifen von 500 Metern – gemessen vom Ufer landeinwärts – unter besonderen Schutz gestellt. Ein-griffe bedürfen einer naturschutzrechtlichen Genehmigung.

Biosphärenpark-ManagementFür den Biosphärenpark Gossenköllesee gibt es keine eigene Managementstelle. Der Leiter der Limnologischen Forschungsstation ist für die Ver-waltungsarbeit im Rahmen der Forschung zuständig.

Universität Innsbruck, Abteilung LimnologieTechnikerstr. 25, 6020 InnsbruckAnsprechpartner: Prof. Dr. Roland Psenner und Dr. Birgit Sattler Tel. 0512/507-6130, E-Mail: [email protected]; [email protected]

Zuständige Stelle des LandesAmt der Tiroler LandesregierungAbteilung Umwelt- und NaturschutzEduard-Wallnöfer-Platz 3, 6020 InnsbruckAnsprechpartner: Herr Mag. Christian PlössnigTel. 0512/508-3464, E-Mail: [email protected]/umweltabteilung

Hintergründe der EntstehungNach 16 Jahren Betrieb musste die 1959 von Otto Steinböck am Südufer des Vorderen Finsterta-ler Sees erbaute „Limnologische Station Kühtai“ einem Staudammprojekt weichen. Daraufhin wurde die Forschungsstation im Jahr 1975 mit Hilfe der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) auf

der anderen Talseite am Ufer des Gossenköllesees (2417 Meter) neu errichtet. Um die wissenschaft-lichen Untersuchungen in dem Hochgebirgssee langfristig abzusichern, wurde das Einzugsgebiet des Gewässers zum UNESCO-Biosphärenpark erklärt. Landeshauptmann Wallnöfer unterzeich-nete 1977 die internationale Deklaration. Seither finden am Gossenköllesee vor allem Forschungs-aktivitäten statt, die sich mit der Wirkung der globalen Umweltveränderungen auf hochalpine Gewässereinzugsgebiete beschäftigen. 1994 wurde die Station modernisiert, um einen emissionsfreien Betrieb zu ermöglichen.

Geographische LageDer hochalpine See am Fuße des Pirchkogls (2828 Meter) liegt auf einer Höhe von 2417 Metern in-mitten der Stubaier Alpen. Von Kühtai aus, einem Skiort 30 Kilometer westlich von Innsbruck, ist er in etwa einer Stunde Fußmarsch zu erreichen.

Geologie Die Stubaier Alpen gehören zu den Zentralalpen. Granite, Gneise und kristalline Schiefer bilden hier das Grundgestein. Während der Eiszeit war das gesamte Gebiet von Gletschern bedeckt. Mit dem Rückzug des Eises bildeten sich zahlreiche Seen. Vier davon sind heute noch erhalten, darunter als größter der Gossenköllesee. In einer Moräne südwestlich des Sees lagerte sich nach dem Glet-scherrückzug Erd- und Gesteinsmaterial ab. Der Erdwall schützt den See und die Limnologische Station vor den Blicken der Wanderer und Skifah-rer, die mit einem Lift bis an die Grenze des Bio-sphärenparks transportiert werden. Geologisch besteht die Moräne aus Amphiboliten, Granitgnei-sen und Glimmerschiefern. Die blau-grüne Was-serfarbe weist auf einen geringen Nährstoffge-halt des Hochgebirgssees hin (oligotroph). An der tiefsten Stelle misst er 9,9 Meter. Acht Monate lang bedeckt eine bis zu zwei Meter mächtige Eis- und Schneeschicht die Wasseroberfläche. Lichteinfallund Nährstoffaustausch werden dadurch entscheidendbeeinflusst. Der Gossenköllesee hat oberflächlich keine erkennbaren Zu- oder Abflüsse außer einem kleinen Ausfluss während der Schneeschmelze.

Umweltbeobachtung

im weltweit kleinsten

Biosphärenpark ...

„“

Prof. Dr. Roland Psenner erforscht seit Jahrzehnten die Einflüsse von Umwelt-veränderungen auf Hochgebirgsseen.

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KlimaDie Zentralalpen sind von einem kontinentalenKlima geprägt. Im Vergleich zu den feuchterenRandalpen fallen nur geringe Niederschläge, und zwar etwa 1200 Millimeter pro Jahr, etwa die Hälfte davon als Schnee. Kalte und schneereiche Winter wechseln sich mit trockenen und warmen Sommern ab. Die mittlere Lufttemperatur beträgt zwischen Null und ein Grad Celsius, Tendenz steigend.

Naturraum und Ökosysteme Der 1,6 Hektar große und durchschnittlich 4,6 Meter tiefe Gossenköllesee liegt in der alpinen Zone der Stubaier Alpen und damit über der Baumgrenze. Felsformationen und Moränenhügelprägen die Landschaft rings um den See. Nur 10 Prozent des Einzugsgebietes sind mit dünnen Böden bedeckt. Hier wächst eine spärliche Vege-tation mit Flechten und typischen Vertretern der alpinen Rasen und Zwergstrauchheiden. Die Eis-bedeckung des Gossenköllesees dauert meistens von Anfang November bis Ende Juni. Doch die bis zu zwei Meter mächtige Schneeschicht ist voller Leben. Mikroorganismen wie Bakterien, Algen und Protozoen bilden eine Gemeinschaft im frostigen Milieu (Lake Ice Microbial Communities, LIMICs).

Besonderheiten der Flora und FaunaHochgebirgsseen sind auf Grund der extremen Lebensbedingungen naturgemäß artenarm. Algen dominieren den Artbestand im See. Eine Beson-derheit am Gossenköllesee ist das Auftreten einer Kieselalgenart der Gattung Fragilaria, die bisher in keinem anderen Hochgebirgssee der Welt entdeckt wurde. Weiters zu erwähnen ist das Vorkommen von Donau-Bachforellen. Um das Jahr 1500 ver-anlasste Kaiser Maximilian I., viele Tiroler Berg-seen mit Forellen und Saiblingen zu besetzen. Eine Untersuchung von Dr. Steven Weiss ergab, dass mittlerweile praktisch alle diese PopulationenMischformen sind, deren Gene sowohl atlantischeals auch danubische Herkunft aufweisen. Eine Ausnahme bilden jedoch die Forellen am Gossen-köllesee, die ausschließlich aus dem Donaueinzugs-gebiet stammen. Große Felsen und die Moränen-hügel rings um den See gewähren Murmeltieren,Gämsen, Füchsen und Nattern Schutz und Lebensraum.

Einwohner und GemeindenIm Einzugsgebiet des Gossenköllesees leben keine Menschen. Der nächste Ort im Tal ist Kühtai. Er zählt zu den renommiertesten Skigebieten Tirols. Auf einer Höhe von 2020 Meter gelegen ist Kühtai nicht nur der höchste Wintersportort Österreichs, sondern mit insgesamt nur 13 Einwohnern wohl auch die kleinste Gemeinde des Landes.

LandnutzungIm Biosphärenpark findet keinerlei Landnutzungstatt. Hin und wieder beweiden Schafe das Ein-zugsgebiet des Sees. Noch im Mittelalter war der Nährstoffeintrag in den See durch eine intensive

Almbeweidung beträchtlich. Als der „Schwaighof“, eine alpine Siedlung nahe dem Gossenköllesee, 1675 an den Grafen von Spaur verkauft wurde, nahm die Landnutzung kontinuierlich ab. Um 1890 wurde die Siedlung endgültig aufgegeben. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts ließ Kaiser Maximilian I. im Hochgebirgssee Forellen aussetzen. Der Besatz mit Fischen veränderte das Ökosystem des Gossen-köllesees drastisch. Derzeit gefährdet ein Nutzungs-konflikt ganz anderer Art das Gebiet: Der Bau eines Skiliftes über den Pirchkogl ist in Planung. Die neue Lifttrasse würde in Zukunft das Einzugsge-biet des Gossenköllesees und damit den ohnehin winzigen Biosphärenpark durchqueren (siehe Bei-trag Nutzungskonflikte auf Seite 119).

UmweltbildungsaktivitätenDer Biosphärenpark Gossenköllesee dient aus-schließlich der naturwissenschaftlichen Forschung. Bildungsaktivitäten finden lediglich in Form von Exkursionen statt, beispielsweise für den Alpenver-ein, die ScienceWeek, Schulen und Universitäten (Konstanz, Hamburg etc.).

UniversitätskooperationenEine sehr enge Kooperation besteht mit der Uni-versität Innsbruck. Diese betreibt die Limnologi-sche Forschungsstation am Seeufer. Bis zu sechs Forscher können dort permanent leben und arbei-ten. Seit der Modernisierung 1994 ist die Station mit Telefon, Modem und Elektrizität ausgestattet.Klima- und hydrologische Daten werden hier auto-matisch aufgezeichnet. Dank der Forschungsstationist der Biosphärenpark Gossenköllesee ein Zentrum der alpinen Forschung innerhalb der Europäischen Union. Seit 1992 nahm der Gossenköllesee an unterschiedlichen EU-Projekten teil (ALPE, MOLAR, EMERGE). Weiters wurde er in das EUROLIMPACS-Projekt integriert und ist im 6. Rahmenprogramm der EU Teil des „Network of Excellence“ ALTER-NET. Schwerpunkte der Untersuchungen sind die Ökologie von Hochge-birgsseen sowie ein langfristiges Umweltmonitoring.

Biosphärenpark Gossenköllesee

Schafe beweiden das Einzugs-gebiet des Hochgebirgsees. Dies führt zu einem erhöhten Nährstoffeintrag.Photo: Astrid Zauner

Mit Hilfe der umfangreichen Infrastruktur der Limnologischen Forschungsstation wurde der Gossenköllesee zu einem Zentrum der Hochgebirgsforschung in Europa.Photo: Roland Psenner

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82 Biosphärenpark Gossenköllesee

Forschungsaktivitäten

Seit 30 Jahren erforscht das Institut für Zoologie und Limnologie der Universität Innsbruck den Gossenköllesee. Im Vordergrund steht dabei die limnologische Grundlagenforschung von Prof. Roland Psenner (Abteilung Limnologie). Beispiels-weise wird untersucht, wie Eisbakterien bei Minus-graden überleben oder wie sich Forellen gegen die hohe UV-Strahlung schützen. Bedeutender für die Menschheit ist jedoch die Funktion von Hoch-gebirgsseen als Indikatoren für globale Umwelt-veränderungen. Die Langzeitbeobachtung ihrer natürlichen Einzugsgebiete ist wichtig, um etwa die Zusammenhänge zwischen Klimaerwärmung und Seenversauerung zu beschreiben oder die Belastung mit atmosphärischen Schadstoffen zu verfolgen(siehe Beitrag Seite 117). In dem internationalen Forschungsprojekt „MOLAR“ (Mountain Lake Research, 1997–1999), in dem Hochgebirgsseen aus 13 europäischen Ländern verglichen wurden, nahm der Gossenköllesee eine zentrale Stellung ein. Er ist der einzige Hochgebirgssee in Europa, der über eine großzügig ausgestattete Forschungsstation verfügt. Daher können auch Messungen durch-geführt werden, die einen hohen Geräteaufwand erfordern. Auf Grund dieser besonderen Infra-struktur wurde der Gossenköllesee auch für die Teilnahme an der Forschungskooperation zwischen dem MAB-Programm der UNESCO und der Mountain Research Initiative (Schweiz) auserko-ren (GLOCHAMORE). Weltweit sollen Beobach-tungsstellen in Bergregionen eingerichtet werden, die als Frühwarnsystem für die Auswirkungen des globalen Klimawandels oder der veränderten Schadstoffeinträge dienen (siehe Beitrag Seite 53).

Internationale PartnerschaftenAußer den Kooperationen im Rahmen der UNESCO,wie z.B. BRIM und GLOCHAMORE, sind die Forschungen EU-weit vernetzt. Aktive Partner-schaften bestehen unter anderem mit Universitäten

in den USA (Montana) und Spanien (Barcelona) sowie mit Forschungseinrichtungen in Deutsch-land (MPI Bremen, MPI Marburg) und Tschechien (Akademie der Wissenschaften Budweis), dem University College London und vielen anderen.

FinanzierungFür den Biosphärenpark gibt es keinerlei Finanzie-rung. Ein Mitarbeiter der zuständigen Landesna-turschutzbehörde übernimmt offiziell die Verwal-tung, die Forschungskoordination dagegen nimmt die Universität Innsbruck wahr. Alle Forschungs-aktivitäten werden über die Universität Innsbruck sowie Drittmittel und Projektgelder finanziert.

BesonderheitenDer Gossenköllesee ist mit 85 Hektar der weltweit kleinste Biosphärenpark.

Vor rund 500 Jahren ließ Kaiser Maximilian I. Forellen in den Tiroler Seen aussetzen.Das Forscherteam um Prof. Psenner untersucht, wie diese sich vor der hohen UV-Strahlung schützen.Photo: Roland Psenner

Probeentnahme im Winter. Die Eisbedeckung des Sees dauert meist von Anfang November bis Juni.Photo: Roland Psenner

30 Jahre lang erforscht das Team um Prof. Psennerbereits die Chemie und Biologie des Gossenkölle-sees, der auf 2400 Meter Höhe in den Stubaier Alpen liegt.Photo: Roland Psenner

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Gurgler KammJahr der UNESCO-Anerkennung: 1977Bundesland: TirolSchwerpunkt: Forschungstätigkeit

Fläche gesamt: 1.500 Hektar, keine Zonierung (vgl. Karte auf Seite 89)

Höhenerstreckung: 1900 bis 3400 Meter

Zusätzlicher Schutzstatus:90 Prozent des Biosphärenparks liegen im „Ruhegebiet Ötztaler Alpen“, das 1981 eingerichtet wurde.

Biosphärenpark-ManagementAb Herbst 2004 übernimmt eine Person hauptamt-lich die Schutzgebietsbetreuung für das Ruhegebiet Ötztaler Alpen. Sie ist gleichzeitig für den Biosphä-renpark Gurgler Kamm zuständig.

Zuständige Stelle des Landes Amt der Tiroler LandesregierungAbteilung Umwelt- und NaturschutzEduard-Wallnöfer-Platz 3, 6020 InnsbruckAnsprechpartner: Mag. Christian PlössnigTel. 0512/508-3464, E-Mail: [email protected]

Hintergründe der EntstehungDer Biosphärenpark „Gurgler Kamm“ entstand im Zuge der Forschungsaktivitäten an der „Alpinen Forschungsstelle Obergurgl“, einer Außenstelle der Universität Innsbruck. In den 1960er Jahren wurde der Hohe Nebelkogel (3184 Meter) im Rahmen des „International Biological Programs“ IBP (1965–1975) untersucht. Die Verfügbarkeit von umfangreichem Datenmaterial und der zuneh-mende Druck des Menschen auf den Naturraum führten 1971 zu einem neuen Projekt, das sich mit den Auswirkungen des Tourismus-Booms im Ötztal und den zukünftigen Entwicklungsoptionen beschäftigen sollte. Diese Forschungsaktivitäten mündeten 1973 in das „MAB6-Projekt Obergurgl“ (siehe Forschungsaktivitäten). Damit waren die

Voraussetzungen für eine Nominierung des „Gurgler Kamms“ als Biosphärenpark gegeben. Prof. Moser, damaliger Leiter der „Alpinen Forschungsstelle Obergurgl“, reichte den Vor-schlag 1977 bei der UNESCO in Paris ein.

Geographische LageDer Biosphärenpark „Gurgler Kamm“ liegt im süd-östlichen Teil der Ötztaler Alpen zwischen Königs-tal und Rotmoostal. Im Nordwesten wird er be-grenzt von der Straße, die von Obergurgl (1927 Meter) nach Hochgurgl (2150 Meter) führt, im Südosten grenzt das Gebiet an Italien.

Geologie Mit ihrem Aufbau aus silikatreichen, metamorphenGesteinen zählen die Ötztaler Alpen zu den Zentral-alpen. Graue Gneise bilden die Grundlage der Gebirgsstöcke. Im Gebiet des Biosphärenparks sind sie mit Granitgneisen, Tonaliten und Amphi-boliten durchsetzt. Nahe der italienischen Grenze erscheinen buntere Gesteinsfolgen wie Glimmer-schiefer, Schiefer und Quarzite. Neben dem silikat-reichen Untergrund gibt es auch Bereiche mit kalkhaltigen Marmoren (Schneebergerzug). Dies ermöglicht ein vergleichendes Studium der Vegeta-tionsbedeckung auf den unterschiedlichen Böden. Die Hochgebirgsregion des Gurgler Kammes ist stark durch Gletscher geprägt. Zu den bedeutendsten gehören Rotmoos- und Gurgler Ferner. Auch hier machen sich die Auswirkungen des globalen Kli-mawandels bemerkbar. Seit Mitte des 19. Jahrhun-derts ziehen sich die Gletscher alpenweit zurück. Am Rotmoosferner ist der Rückzug der Eismassen in den vergangenen Jahrzehnten besonders rasch vorangeschritten (siehe Fotos auf Seite 50).

KlimaDie Ötztaler Alpen sind von einem kontinentalenKlima geprägt. Im Vergleich zu den feuchteren Randalpen fallen hier nur geringe Niederschläge von etwa 700 Millimetern im Jahr. Der Alpenrand wirkt dabei als Regenfänger. Im Jahresverlauf ist der Gurgler Kamm ausgeprägten Temperaturextremen ausgesetzt. Auf kalte, schneereiche Winter folgen trockene und heiße Sommer. Mit steigender Höhe

Umweltbeobachtung in

einer Hochgebirgsregion der

Zentralalpen ...

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Mag. Christian Plössnig ist als Mitarbeiter der Tiroler Umwelt- und Naturschutzabteilung Ansprechpartner für den Biosphärenpark Gurgler Kamm.

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nimmt die Durchschnittstemperatur ab, die Nieder-schläge dagegen werden häufiger.

Naturraum und Ökosysteme Der Gurgler Kamm umfasst eine typisch zentral-alpine Hochgebirgslandschaft auf Silikatgestein. Das Gebiet verläuft ab einer Höhe von 1900 Metern bis hinauf zu den stolzen Gipfeln wie dem Granaten-kogel (3318 Meter) oder dem Hochfirst (3403 Meter).Damit beginnt der Biosphärenpark etwa an der Waldgrenze, die in den Zentralalpen von der Zirbe gebildet wird. Diese Baumart steigt höher hinauf als jedes andere Holzgewächs. Nur mit Hilfe von symbiotischen Wurzelpilzen (Mykorrhiza) kann sie die überlebensnotwenigen Nährstoffe aus den kargen Böden aufnehmen. Die Verbreitung der Samen findet vor allem durch Tannenhäher statt. Am südlichen Ortsende von Obergurgl erstreckt sich der berühmte „Obergurgler Zirbenwald“ in einer Höhe von 1950 bis 2180 Metern. Er bedeckt eine Fläche von etwa 20 Hektar. Jahrhundertelang genoss dieser Waldbestand den besonderen Schutz der einheimischen Bevölkerung und wurde 1963 zum Naturdenkmal erklärt. In höheren Lagen schließen sich Zwergstrauchheiden an, die von der Rostblättrigen Alpenrose (Rhododendron ferrugineum) gebildet werden. An steilen Hängen finden sich Latschenbestände, in feuchteren Rinnen wachsen Grünerlengebüsche. Landschaftsprägend sind am Gurgler Kamm jedoch vor allem die alpinen Rasen über der Baumgrenze. Sie bestehen aus verschiede-nen Sauergräsern, darunter vor allem der Krumm-segge (Carex curvula). In den Schutthalden über-leben nur wenige höhere Pflanzen, wie beispiels-weise der Gletscherhahnenfuß (Ranunculus glacialis). Die seit 150 Jahren eisfreie Gletschervorfeldregion des Rotmoosferners wird von Arten wie Moschus-Schafgarbe (Achillea moschata), Borstgras (Nardus stricta) oder Kraut-Weide (Salix herbacea) neu besiedelt.

Besonderheiten der Flora und FaunaZu den botanischen Attraktionen zählt der ObergurglerZirbenwald. Die Zirbe, auch „Königin der Alpen“ genannt, steigt höher hinauf als alle anderen Baum-arten. Sie kommt vorwiegend in Seehöhen von 1500 bis 2200 Metern vor. In Obergurgl sind einige der Bäume über 400 Jahre alt. Im Zentrum des Zirbenwaldes bildete sich nach dem Abschmelzen der Gletscher ein Moor. Typische Moorbewohner wie Torfmoose (Sphagnum), Wollgräser (Eriophorum) und der Rundblättrige Sonnentau (Drósera rotundi-fólia) finden hier ideale Standortbedingungen.

Das Gebiet der Ötztaler und Stubaier Alpen ist für seinen Wildreichtum bekannt. Im Hochgebirge begegnen dem Bergsteiger vor allem Gämsen (Rupicapra rupicapra), Murmeltiere (Marmota marmota)und Steinadler (Aquila chrysaetos). Mit etwas Glück trifft man auf das scheue Steinwild. Ferner ist das Ruhegebiet Ötztaler Alpen ein wichtiger Lebens-raum für Rauhfußhühner wie etwa Alpenschnee-huhn (Lagopus mutus), Haselhuhn (Tetrastes bonasia),

Birkhuhn (Tetrao tetrix) und Auerhuhn (Tetrao uro-gallus). Auch der sehr seltene und streng geschützte Matterhorn-Bärenspinner (Orodemnias cervini) ist hier noch zu finden. Der braungefleckte Schmet-terling konnte die letzte Eiszeit auf den unverglet-scherten Gipfeln überdauern und ist bis heute an diese extremen Lebensräume gebunden.

BesiedlungsgeschichteWie verschiedene andere Täler in Tirol wurde auch das Ötztal nicht von seiner Mündung her, sondern hauptsächlich von Südtirol aus besiedelt. Die Siedler kamen über das Timmelsjoch, der tiefs-ten unvergletscherten Kerbe im Alpenhauptkamm, nach Obergurgl. Der Weg führte von Meran in das Tal von Passeier und weiter über das Timmelsjoch durch das Ötztal ins Inntal. Dieser uralte Pfad ermöglichte den nachbarlichen Wirtschaftsverkehr. Auch religiös war er von großer Bedeutung: An bestimmten Feiertagen zogen Wallfahrer zu den Marienbildern ins Ötztal und umgekehrt hinüber ins Passeiertal. Bereits in der Bronzezeit kamen Bergleute auf der Suche nach Erzen in das Gebiet. Viele Jahre lang schürften sie erfolgreich Kupfer. Im Mittelalter und der früheren Neuzeit begann der Bergbau in hoch gelegenen Bergwerken und Marmorbrüchen zu blühen. Die Ölschiefervor-kommen wurden ausgebeutet und Schmucksteine gesammelt. Auch Hirten und Bauern zogen in das Ötztal. Im Vergleich zu den morastigen Auböden des Etschtales war das Becken des höher gelegenen Seitentales besser für eine Bewirtschaftung und Be-weidung geeignet. Funde wie der berühmte „Mann im Eis“ am Tisenjoch beweisen, dass die Lebens-räume in den Ötztaler Alpen oberhalb der Wald-grenze bereits seit vielen Tausend Jahren besiedelt sind.

Einwohner und GemeindenIm Gebiet „Gurgler Kamm“ leben keine Menschen. Der bekannte Wintersportort Obergurgl liegt

Biosphärenpark Gurgler Kamm

Wildromantische Berglandschaft: der Rofenkarferner im Biosphärenpark Gurgler Kamm.Photo: I. und H. Schatz

Der Obergurgler Zirbenwald – in Natur (oben) und aus der Sicht von Wolfgang Klotz, Schüler aus Obergurgl (unten).Photo: Christian Plössnig

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nen Nutzungsform ist unter dem Namen „Tranz-humanz“ bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Tourismus als bedeutender Wirtschafts-faktor in der Region entdeckt. Ein regelrechter Bauboom setzte ein: Hotels, Skipisten und Liftan-lagen hinterließen ihre Spuren in der Landschaft. Durch die Verbindung der Skigebiete Obergurgl und Hochgurgl entstand letztendlich eine Skiregion mit 23 Liftanlagen und 110 Pistenkilometern, die in den Biosphärenpark hinein reicht. Das Ötztal zählt zu den tourismusintensivsten Regionen der gesamten Alpen.

UmweltbildungsaktivitätenIm Biosphärenpark Gurgler Kamm finden keiner-lei Umweltbildungsaktivitäten statt. Durch den alten Zirbenwald am südlichen Ortsende von Obergurgl führt jedoch ein Naturlehrpfad. In 22 Stationen erfährt der Besucher Wissenswertes über Geschichte, Ökologie und Besonderheiten dieses Waldbestandes. Im Rahmen eines Naturschutz-wettbewerbes erarbeitete die alpine Forschungs-stelle mit Schülern der Volksschule Obergurgl einen Wanderführer über das Zirbenwaldgebiet. Neben fachlichen Informationen enthält die Bro-schüre Illustrationen und Kommentare der Kinder.

Weiters erstellte der Verein „Pro Vita Alpina“ The-menwege über die „Natur und Kultur in den Ötztaler Alpen“. Eine bebilderte Broschüre infor-miert über Besiedlungsgeschichte, traditionelleNutzungsformen, alte Sagen und Bräuche sowie Pflanzen und Tiere von ausgewählten Routen. Es ist geplant, in Zukunft auch Tafeln im Gelände anzu-bringen. 1991 sorgte der „Mann aus dem Eis“ am Tisenjoch (3280 Meter) in den Ötztaler Alpen weltweit für Aufregung. Der Fund zog eine weitere Auseinandersetzung mit den frühen Kulturen im Alpenraum nach sich. Mittlerweile führt ein Pfad entlang der uralten Verbindungswege zwischen Nord- und Südtirol zu den archäologischen Fund-stellen. Markiert ist der Weg mit dem Buchstaben „A“ und der stilisierten Axt des Mannes aus dem Eis. Kurze Erläuterungen finden sich im Gelände. Eine Begleitbroschüre beschreibt den Verlauf der Wanderung. Beide Publikationen sind bei Pro Vita Alpina (Dr. Haid) gegen eine Schutzgebühr erhält-lich. Ergänzte und aktualisierte Neuauflagen sind in Bearbeitung.

Universitätskooperationen Die Universität Innsbruck forscht seit vielen Jahr-zehnten am Gurgler Kamm. 1951 gründete sie das „Institut für Hochgebirgsforschung“ und errichtete die „Alpine Forschungsstelle“ in Obergurgl. Das denkmalgeschützte Gebäude liegt auf einer Höhe von 1940 Metern und ist in fünf Gehminuten vom Ortskern aus zu erreichen. Mit vier Tagungsräu-men und einer Übernachtungskapazität von über 100 Betten bietet das Haus ideale Rahmenbedin-gungen für wissenschaftliche Kurse, Tagungen oder Lehrgänge. Lange Zeit konzentrierten sich die Untersuchungen am Gurgler Kamm weitge-

Biosphärenpark Gurgler Kamm

auf einer Höhe von 1927 Metern und grenzt im Norden an den Biosphärenpark. Der Höhenluft-kurort zählt etwa 400 Einwohner und gehört zur Gemeinde Sölden.

LandnutzungDie Alpen werden schon seit Tausenden Jahren vom Menschen genutzt. Gerade das Ötztal gilt als Modellfall für eine langjährige rücksichtslose Rodung und Ausbeutung der Wälder für die Almwirtschaft,den Bergbau und die Salzgewinnung. Um dem Raub-bau Einhalt zu gebieten, wurde 1852 ein „Reichs-forstgesetz“ erlassen, das die Waldwirtschaft regeln sollte. Der Bergwald konnte sich aber bis heute nicht vollständig erholen, so dass die Waldgrenze heute niedriger ist, als dies auf Grund der natürli-chen Bedingungen möglich wäre. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts verdienten die Familien im Ötztal ihren Lebensunterhalt weitgehend als Bauern. Von Südtirol aus werden seit über 5000 Jahren Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde durch Schneefelder über das Hochjoch (2875 Meter), Niederjoch (3019 Meter) und das Gurgler Eisjoch (3152 Meter) zu den saftig grünen Almen der Ötztaler Alpen getrieben.Noch heute finden Ende Juni spektakuläre Wander-bewegungen von über 3000 Schafen über das Timmelsjoch statt. Dieses Relikt einer vergange-

Die so genannte Transhumanz, der Schaftrieb von Südtirol aus über das Timmels-joch (Bild oben) bis in die Ötztaler Alpen (Bild unten), hat eine lange Tradition.Photos: Hans Haid

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hend auf die Anpassungen der Pflanzen und Tiere an die extremen Lebensbedingungen im Hochge-birge. Später wurden jedoch die Arbeitsrichtungen Naturraum-, Kulturraum- und Vorzeitforschung miteinander vernetzt.

ForschungsaktivitätenHinsichtlich der MAB-Forschung muss der Bios-phärenpark Gurgler Kamm besonders hervorge-hoben werden. Während in allen anderen Biosphä-renparks in Österreich die Grundidee der MAB-Forschung, nämlich die interdisziplinäre Untersu-chung der Mensch-Umwelt-Beziehungen, wenig umgesetzt wurde, begann hier ab 1973 das „Pro-jekt Obergurgl“ (MAB6). Anhand von Fallstu-dien wurde der Einfluss des Menschen auf seine natürliche Umwelt untersucht. Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler arbeiteten gemeinsam an dem Entwurf eines Computermodells, das Vor-aussagen über die Reaktionen der Ökosysteme auf die zukünftige Entwicklung des Tourismusbooms erlauben sollte. Die interessierte Bevölkerung aus Obergurgl wurde in das Projekt mit einbezogen. Auf Grund finanzieller Engpässe musste das Pro-jekt 1979 eingestellt werden (siehe den Beitrag auf Seite 112). Seit den 1980er Jahren fanden im Bio-sphärenpark Gurgler Kamm keine nennenswerten Forschungsaktivitäten mehr statt. Erst die Entde-ckung des Gletschermanns am Ötztaler Haupt-kamm brachte neue Impulse. Mit der „Modellstudie Ötztal – Landschaftsgeschichte im Hochgebirgs-raum“ wird seit 1994 unter Leitung von Prof. Gernot Patzelt die Natur- und Kulturraumentwicklung in den Alpen am Beispiel des Ötztals bis in prähisto-rische Zeit zurückverfolgt. Pollenanalysen zeigen, dass die auf 2240 Meter Höhe gelegene „Gurgler Alm“ seit etwa 4300 v. Chr. – und damit seit mehr als 6300 Jahren – als Viehweide genutzt wurde.

... Forschung und Monitoring

„Ötzi“ – der Mann aus dem Eis vom Tisenjoch

Im September 1991 sorgte eine sensationelle Entdeckung welt-weit für Schlagzeilen: Im schmelzenden Firnschnee fand das Ehepaar Simon aus Nürnberg beim Abstieg von der Finailspitze (3514 m) am Tisenjoch einen konservierten menschlichen Körper. Der seither als „Ötzi“ bekannte Fund stellte sich als einzigartig heraus: Es handelte sich um einen 5300 Jahre alten, völlig erhaltenen Körper mit allen inneren Organen. Zu den Ausrüstungsgegenständen zählten ein Beil aus Kupfer, Pfeile und Bogen, ein Tragkorb sowie ein Messer. Der Fund bewies erstmals, dass Jäger, Hirten und Händler bereits seit Tausenden von Jahren über die unwirtlichen Alpenkämme zogen. 2003 gelang es einem australischen Forscherteam, die Abstammung des Eismannes nachzuweisen. Zahnschmelzuntersuchungen der Eckzähne ergaben einer Publikation im Fachjournal „Science“ zufolge (Band 302), dass der berühmte Gletschermann aus dem Eisacktal im äußersten Norden Italiens stammte. Zeit seines Lebens bewegte sich der Ötzi nur in den Tälern bis zu 60 Kilometer südlich seines Fundortes. Die Mumie des Eismannes ist im Archäologiemuseum in Bozen ausgestellt.

Im September 1991 sorgte der „Ötzi“-Fund am Tisenjoch weltweit für Aufregung.Photo: Gerlinde Haid

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Unter der Leitung von „Pro Vita Alpina“ wurde der Biosphärenpark Gurgler Kamm zwischen 1999 und 2001 in ein grenzüberschreitendes EU-Projekt zwischen den Gebieten Naturpark Texelgruppe, Ruhegebiet Ötztaler Alpen und dem Naturpark Kaunergrat-Pitztal eingebunden. Ziel war die enge Zusammenarbeit der Schutzgebiete in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Kartenerstellung und Infor-mationsbereitstellung. Seit 1995 verfolgen die beiden Innsbrucker Wissenschaftler ao.-Univ.Prof. Rüdiger Kaufmann (Institut für Zoologie und Lim-nologie) und Dr. Brigitte Erschbaumer (Institut für Botanik) am Rotmoosgletscher die Wiederbe-siedlung der freien Flächen, die durch den Rück-zug des Eises entstanden. Auf Grund der globa-len Erderwärmung gehen die Gletscher weltweit zurück. Pionierarten wie die Moschus-Schafgarbe (Achillea moschata) oder der Wundklee (Anthyllis vul-neraria) besiedeln die Gletschervorfelder. Im Laufe der Zeit werden sie von anderen Arten abgelöst. Weiters vergleichen die beiden Hochgebirgsforscherseit 1999 alpine Rasen oberhalb der Waldgrenze mit menschlich genutzten Weideflächen und Ski-pisten. Die Langzeit-Ökosystembeobachtung soll Antworten auf die Fragen nach dem Umfang des Naturverlusts durch künftige Nutzungsvorhaben, wie beispielsweise den Bau neuer Skipisten, geben. Im Rahmen des neuen internationalen Forschungs-vorhabens „Global Change Research in Mountain Biosphere Reserves“ (GLOCHAMORE) wurden weltweit 26 Biosphärenreservate in Gebirgsre-gionen ausgewählt, darunter auch der „Gurgler Kamm“. Ziel der Gemeinschaftsinitiative zwischen der „Mountain Research Initiative“ und dem MAB-Programm der UNESCO ist die Beobach-tung der globalen Umweltveränderungen, wie bei-spielsweise des Klimawandels, und die Etablierung eines Frühwarnsystems (siehe auch Seite 53).

Internationale PartnerschaftenDer Biosphärenpark Gurgler Kamm ist Mitglied im Netzwerk alpiner Schutzgebiete (ALPARC) mit Sitz in Gap, Frankreich. Weiter besteht ein Austausch mit dem Biosphärenreservat „Julische Alpen“ in Slowenien.

FinanzierungFür den Biosphärenpark stehen keine finanziellen Mittel zur Verfügung. Die Verwaltung des Gebiets übernimmt ein Mitarbeiter der zuständigen Lan-desnaturschutzbehörde. Projektgelder stammen häufig aus EU-Fördertöpfen (INTERREG-Pro-gramm). Das „Projekt Obergurgl“ wurde über MAB-Forschungsgelder finanziert.

Potentielle ErweiterungsmöglichkeitenUm den Gurgler Kamm im Sinne der Sevilla-Stra-tegie zu entwickeln, wäre eine Erweiterung des Biosphärenparks in das Ruhegebiet Ötztaler Alpen erstrebenswert. Auf Grund der kulturell engen Verbindungen zwischen Nord- und Südtirol bietet sich weiters eine grenzüberschreitende Ausdehnung nach Italien in den Naturpark Texelgruppe an. Es fanden bereits unverbindliche Vorgespräche mit den Grundbesitzern im Ruhegebiet statt. Konkrete Schritte sollen aber erst vom neuen Ruhegebiets-Management eingeleitet werden, das im Herbst 2004 eingerichtet wird.

Besonderheiten1991 wurde der „Ötzi“, die weltberühmte Glet-schermumie, nur wenige Kilometer südwestlich des Biosphärenparkgebietes am Tisenjoch in der Nähe der Similaunhütte gefunden (siehe Seite 85).

LiteraturtippsGAISMAIR et al., 1985: Fremdenverquer. Kosten und Nutzen des Tourismus am Beispiel Obergurgl. Schriftenreihe der Michael-Gaismair-Gesellschaft.HAID, 2000: Sölden im Ötztal. Natur und Kultur im Ruhegebiet Ötztaler Alpen. Edition Löwenzahn.MOSER (in Zusammenarbeit mit Schülern der Volksschule Obergurgl): Naturdenkmal Obergurg-ler Zirbenwald. Ein Wanderführer. Fremdenver-kehrsverband Obergurgl, Tirol.PATZELT, 1987: MAB-Projekt Obergurgl. Band 10.

Pro Vita Alpina ist ein Verein zur Förderung der kulturellen, gesellschaftlichen, ökolog-ischen und wirtschaftlichen Entwicklung im Alpenraum. Zu den Schwerpunkten der Arbeit zählen die Erhaltung der Alpenkultur, die Auswirkungen des Tourismus und das Studium der unterschiedlichen Regional-dialekte. Geleitet wird die Vereinigung von Dr. Hans Haid, einem Volkskundler aus Längenfeld im Ötztal. Weitere Informationen unter www.cultura.at/pro.vita.alpina und www.similaun.at.

Die Region des ewigen Eises: der Rotmoosferner im Biosphärenpark Gurgler Kamm.Photo: I. und H. Schatz

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91Biosphärenpark Großes Walsertal

Biosphärenpark-ManagementJagdbergstr. 272, A-6721 ThüringerbergManagerin: Mag. Birgit Reutz-HornsteinerTel. 05550/20360, E-Mail: [email protected]

InformationszentrumSämtliches Informationsmaterial ist über das Bio-sphärenparkbüro in Thüringerberg sowie über die Tourismusstellen in den drei Orten Raggal, Sonn-tag und Fontanella erhältlich.

RechtsträgerREGIO - Regionalplanungsgemeinschaft Großes Walsertal, Verein zur Förderung der regionalen Entwicklung der Talgemeinschaft WalsertalREGIO-Obmann: Josef Türtscher

Zuständige Stellen des LandesAmt der Vorarlberger Landesregierung Abteilung Umwelt- und NaturschutzRömerstraße 16, 6901 BregenzAnsprechpartner: DI Max AlbrechtTel. 05574/511-24511, E-Mail: [email protected]

Büro für ZukunftsfragenWeiherstr. 22, 6900 BregenzAnsprechpartner: Dr. Manfred HellriegelTel. 05574/511-20610, E-Mail: [email protected]

Das Leben lebenswerter

und das Wirtschaften

wirtschaftlicher machen ...

Großes WalsertalJahr der UNESCO-Anerkennung: 2000Bundesland: VorarlbergSchwerpunkt: Regionalentwicklung

Fläche gesamt: 19.200 Hektar (vgl. Karte auf Seite 94) Kernzone: 4010 Hektar (20 Prozent) Pufferzone: 12.366 Hektar (65 Prozent) Entwicklungszone: 2824 Hektar (15 Prozent)

Höhenerstreckung: 580 bis 2704 Meter

Zusätzlicher Schutzstatus:Naturschutzgebiete Gadental und Faludriga-Nova (Kern-zonen des Biosphärenparks); Natura 2000 Gebiet: Gadental

Mag. Birgit Reutz-Hornsteiner koordiniert seit 2000 die Aktivitäten rund um den Biosphärenpark Großes Walsertal.

Hintergründe der EntstehungDas Große Walsertal wird häufig als das „Armen-tal“ Vorarlbergs bezeichnet. Die steilen Berghänge des Kerbtals sind weder für eine intensive Landbe-wirtschaftung noch für die Anlage von ausge-dehnten Skipisten geeignet. Seit einer dramatischenLawinenkatastrophe vor 50 Jahren, der 80 Menschen zum Opfer fielen, verließen immer mehr Ein-wohner ihre Heimat. Als schließlich auch noch der Tourismusboom der 1960er und 1970er Jahre rückläufig war, stellte sich die Frage, wie das abge-legene Tal als Lebens- und Wirtschaftsraum für die bestehenden und künftigen Generationen erhalten werden könnte. Da kam es gerade recht, dass 1997 das UNESCO-Prädikat „Biosphärenpark“ als eigene Schutzgebietskategorie in die Naturschutz-gesetzgebung Vorarlbergs aufgenommen wurde. Von der Möglichkeit, aus dem Walsertal einen Bio-sphärenpark zu machen, erhoffte man sich vor allem positive Impulse für die regionale Entwick-lung sowie die Ankurbelung des Tourismus bei gleichzeitiger Erhaltung der kulturellen Identität.1998 organisierte REGIO-Obmann Josef Türtschereine Exkursion in das deutsche „Biosphären-reservat Rhön“ und warb in öffentlichen Veranstal-tungen für das Konzept der UNESCO. Es folgte die gemeinsame Entwicklung eines Leitbildes, in dem etwa 60 engagierte Walser eine Vision für die zukünftige Entwicklung ihres Tales entwarfen. Da bereits zwei Naturschutzgebiete in der Region existierten, die als Kernzonen ausgewiesen werden konnten, war die Akzeptanz für die Einrichtung eines Biosphärenparks hoch. Im Jahr 2000 wurde das Große Walsertal schließlich in das Weltnetz der Biosphärenreservate aufgenommen.

Geographische LageDas Große Walsertal ist ein abgelegenes, dünn besiedeltes Bergtal in den Kalkalpen nordöstlich von Bludenz.

Geologie Das Große Walsertal ist aus geologischer Sicht zweigeteilt. Der nördliche Teil von Thüringerberg bis Fontanella ist von den sanften, grünen Bergen des Vorarlberger Flyschs geprägt. Der Untergrund ist hier gekennzeichnet durch ebene, harte Schichten,

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die mit weicheren, oft graubraunen Tonschiefern abwechseln. An der Grenzfläche zu den Tonschie-fern staut sich das eindringende Regenwasser. Über diesem Stauhorizont beginnen aufgelockerte und lockere Gesteine zu „fließen“. Im Laufe der Jahr-hunderte entstand so eine markante Landschaft mit vielen runden Höckern, den Rutschbuckeln. Im starken Kontrast dazu stehen die schroffen Gipfel und Schutthalden des südlichen Bereichs des Tales. Sie gehören zu den nördlichen Kalkalpenund sind überwiegend aus Karbonatgesteinen auf-gebaut. Jede Lage der Karbonate war vor der Aus-härtung zu einem Gestein eine weiche Meeres-ablagerung im ehemaligen Urmeer, der Tethys. Versteinerte Muschelschalen im Fels sind Zeugen aus Zeiten, die bis zu 250 Millionen Jahre zurück-liegen. Die unterschiedliche Härte der Gesteine bedingt auch eine unterschiedliche Ausprägung des Gewässernetzes. Im Flysch fördern die Gesteine einen oberflächennahen Wasserabfluss, Bäche sind dementsprechend zahlreich vorhanden. Mancher-orts schneiden sie sich sehr tief ein und bilden die charakteristischen Tobel. In den Gesteinen der Kalkalpen dagegen versickert das Wasser durch die Klüfte und tritt in mächtigen Sturzquellen, wie beispielsweise im Gadental, wieder ans Tageslicht. Zu den geologischen Besonderheiten des Walser-tals gehört die Trübbachhöhle im Marultal, die als Naturdenkmal unter besonderem Schutz steht. Weiters zu erwähnen sind die Reste eines ehe-maligen Ozeanbodens am nördlichen Fuße des Schönbühels – das Klesenza Fenster.

KlimaDer Grundcharakter des Vorarlberger Klimas ist typisch mitteleuropäisch geprägt, dabei aber ver-gleichsweise kühl und niederschlagsreich. HäufigeRegenfälle, vor allem im Sommer, speisen eine große Zahl an Quellen und viele wasserreiche Bäche. Mit steigender Höhe sinken die mittleren Jahrestemperaturen um 0,5 Grad Celsius pro 100 Höhenmeter, die Niederschläge hingegen nehmen zu. Dies bewirkt eine deutliche Höhenzonierung der Vegetation.

Naturraum und ÖkosystemeDie Naturräume sind sowohl durch die Geologie des Tales gekennzeichnet, die eine deutliche Zwei-teilung aufweist, als auch durch die Lage der jewei-ligen Gebiete über dem Meeresspiegel. Die typi-sche Höhenzonierung der nördlichen Kalkalpen beginnt im Tal mit Laubmischwäldern aus Buche, Esche und Ahorn. Steigt man höher hinauf, so mischen sich Tannen unter die Buchen. Dieser Waldtyp ist im Großen Walsertal sehr häufig. Je nach geologischem Untergrund zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede im Unterwuchs. Im Gaden-tal findet man beispielsweise Orchideen wie die Mückenhändelwurz (Gymnadenia conopsea) oder die Braune und die Breitblättrige Sumpfwurz (Epipactis artrorubens und E. helleborine). Die Tannen-Buchen-Wälder werden in größeren Höhen von montanen

Bergfichtenwäldern und an der Waldgrenze bei etwa 1800 bis 1900 Metern von Latschendickichten abgelöst. Der Spirkenwald im Gadental verdient eine besondere Erwähnung. Die Spirke (Pinus uncinata), auch Arve genannt, ist eine nahe Ver-wandte der Latsche. In den Westalpen ist sie weit verbreitet und besetzt dort die ökologische Nische der Latsche. Über der Waldgrenze erstrecken sich artenreiche kalkalpine Rasen bis in die dauernd schneebedeckten Gipfelregionen. Gerade in den höheren Lagen unterscheiden sich die üppigen Kalk-rasen der nördlichen, vom Flysch beeinflussten Talseite stark von den schroffen, vegetationsarmen Gipfelaufbauten und mächtigen Schutthalden der südlich gelegenen Kalkhochalpen. Als steiles Kerb-tal beherbergt das Große Walsertal noch Schlucht-wälder von hoher Ursprünglichkeit. Auf Grund der Morphologie und des vorherrschenden wasser-durchlässigen Karbonatgesteins fehlen größere Hochmoore hingegen weitgehend. Da die Vieh-wirtschaft jahrhundertelang die Lebensgrundlage des Tales darstellte, prägen Wiesen und Weiden die Landschaft.

Für die Entwicklung des Logoswurde ein Wettbewerb aus-geschrieben. Das Gewinner-motiv stammt von einer Schülerin aus dem Walsertal.

Berglandschaft in der Kernzone des Biosphärenparks: das Naturschutzgebiet Faludriga-Nova; im Vordergrund die Bewimperte Alpenrose, ein Zeiger für kalkhaltigen Untergrund.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

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Besonderheiten der Flora und FaunaDas Große Walsertal ist auf Grund der Vielfalt des geologischen Untergrundes und der unterschiedli-chen Landschaftsformen sehr artenreich. Auf den kräuterreichen Bergwiesen findet man noch Arnika (Arnica montana), eine alte Arzneipflanze zur Wund-heilung, Trollblume (Trollius europaeus) und Narzis-sen-Windröschen (Anemone nacrissiflora). Ver-schiedene Enzianarten bereichern das Landschafts-bild, darunter Tüpfel-Enzian (Gentiana punctata), Schnee-Enzian (G. nivalis), Rundblatt-Enzian (G. orbicularis) und der Gelbe Enzian (G. lutea), der zur Schnapsherstellung verwendet wird. Die Kalkmagerrasen im Walsertal sind ideale Stand-orte für das seltene Kohlröschen (Nigritella nigra), eine kleine, rötlich-braune Orchidee, die stark nach Vanille duftet. Auf den Wiesen oberhalb der Wald-grenze begleiten den Wanderer die schrillen Pfiffe des weit verbreiteten Murmeltiers (Marmota marmota).In den Kalkschuttfluren blühen unter anderen das Alpen-Leinkraut (Linaria alpina), das Rundblättrige Hellerkraut und der Blattlose Steinbrech (Saxifraga aphylla). Die leuchtend gelben Blüten der Aurikel (Primula auricula) heben sich deutlich vom grauen Felsgestein ab. Die Rote Wand, mit 2704 Metern der höchste Gipfel im Tal, ist Lebensraum für Steinwildrudel.

BesiedlungsgeschichteDie Vorfahren der Walser wanderten im 13. Jahr-hundert aus dem schweizerischen Wallis in das Tal ein. Sie lebten als freie Bauern und kontrollierten Pässe und Grenzen. Lange Zeit bildeten Milch-wirtschaft und Viehzucht die einzige Lebensgrund-lage. Ackerbau wurde nur zur Selbstversorgung betrieben. Jahrhundertelang waren die Menschen in der unwegsamen Region fast gänzlich abgeschie-den. Dies hinterließ Spuren: Heute noch sind im Walsertal eine eigenständige Kultur sowie ein eigener Dialekt verbreitet.

Einwohner und GemeindenDas Große Walsertal ist sehr dünn besiedelt. Auf einer Fläche von 192 Quadratkilometern leben nur etwa 3500 Einwohner. Sechs Gemeinden gehö-ren zum Gebiet des Biosphärenparks: Fontanella-Faschina (460 Einwohner), St. Gerold (380 Ein-wohner), Raggal-Marul (860 Einwohner), Sonntag-Buchboden (650 Einwohner), Thüringerberg (685 Einwohner) und Blons (340 Einwohner). Von den beiden höchstgelegenen Dörfern des Tales, Fon-tanella (1145 Meter) und Faschina (1486 Meter), eröffnen sich faszinierende Blicke auf die Lechtaler Alpen. In einer halben Stunde Fußmarsch erreicht man den Naturbadesee „Seewaldsee“. In St. Geroldbegann vor etwa 1000 Jahren mit dem Eremi-ten Gerold die Siedlungsgeschichte des Tales. Die Propstei St. Gerold ist das kulturelle Begegnungs-zentrum des Tales. Im Sommer bietet sich das Bergdorf Marul als Ausgangspunkt für Wande-rungen in das Schutzgebiet „Faludriga-Nova“ an. Buchboden liegt am Rande des größten Natur-schutzgebietes in Vorarlberg, dem Gadental, mit dem einzigen Spirkenwald der Gegend. Die Erlebnis-sennerei Sonntag-Boden lässt sich beim Sennen über die Schulter schauen und bietet Kurse zum Erlernen des traditionellen Handwerks an. Thü-ringerberg befindet sich am Südhang des Walser-kammes. Hier ist das Biosphärenparkbüro behei-matet und bietet einen einzigartigen Blick auf die umliegenden Berge und Ebenen. In Blons warten ein Puppenmuseum sowie ein Lawinendokumen-tationszentrum auf die Besucher. Weiters findet sich hier das größte „nachgeführte“ Solarkraftwerk Europas. Dies bedeutet, dass sich die Solarzel-len nach dem Sonnenstand ausrichten und je nach Einstrahlwinkel ihre Richtung ändern.

LandnutzungDas Große Walsertal ist ein abgelegenes Berg-tal ohne Industrie. Lange Zeit bildete die Vieh-zucht die einzige Lebensgrundlage. Heute setzen die Bauern auf biologische Landwirtschaft und eine ökologisch nachhaltige Holznutzung auf den steilen Berghängen. Geschlagen werden vor allem Starkholzstämme. Tourismus spielt mittler-weile eine bedeutende Rolle. Das bunte Mosaik aus Natur- und Kulturlandschaften lädt im Sommer zu ausgedehnten Bergwanderungen ein. Im Winter stehen in den Gemeinden Sonntag, Fontanella, Faschina, Buchboden und Raggal kleine Liftanla-gen für Wintersportaktivitäten zur Verfügung.

UmweltbildungsaktivitätenUnter dem Namen „Wilde Walser Wege“ veran-staltet das Biosphärenparkmanagement Erlebnis-wochen für Schulklassen. In einem ganzheitlichen Konzept vermitteln Pädagogen, wie Natur, Kultur und das Wirtschaften des Menschen im Großen Walsertal zusammenhängen. Beim Durchstreifen der abwechslungsreichen Berglandschaft werden Kopf und Sinne angesprochen. Die Woche bietet Selbsterfahrung und Gruppenerlebnis zugleich,

Im Großen Walsertal wird das Brauchtum gepflegt. Beim Anblick der traditionellen Walser-häuser entsteht der Eindruck, dass der Mensch hier noch im Einklang mit der Natur lebt. Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Viehzucht war lange Zeit die wichtigste Lebensgrundlage im Tal. Bei der Heuernte hilft die ganze Familie zusammen.Photo: Familie Stark

Das Alpenleinkraut ist ein typischer Bewohner von Kalkschuttfluren.Photo: Peter Schmid

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soll aber vor allem auch ein Abenteuer sein, das Spaß macht. In der Erlebnissennerei Sonntag-Boden können Besucher lernen, wie Milch zu leckerem Bergkäse wird. Das Sennerlebnis wird für Familien, Gruppen oder Schulklassen angeboten. Themenwege laden zu interessanten Spaziergängen ein. In Faschina existiert ein Blumenlehrpfad zur Alpenflora, in Blons ein Dokumentationszentrum und Lawinenlehrpfad. Im Marultal entsteht derzeit ein Walderlebnispfad.

UniversitätskooperationenBisher keine.

ForschungsaktivitätenIm noch sehr jungen Biosphärenpark fand bisher kaum MAB-relevante Forschung statt. Über das Walsertal existieren vor allem heimatkundliche Publikationen. In den 1980er Jahren führten Prof. Georg Grabherr (Universität Wien) und Dr. Mario Broggi (Büro für Umweltplanung) eine Bestands-aufnahme der besonders schutzwürdigen Biotope in Vorarlberg durch. Eine Aktualisierung des „Vor-arlberger Biotopinventars“ ist für 2005 geplant. 1999 förderte die Europäische Union das „Land-schaftsinventar Großes Walsertal“. Das Pilotpro-jekt lieferte methodische Ansätze dafür, wie auch sehr komplexe Landschaften relativ rasch erfasst werden können. 2002 wurden im Rahmen einer „Ist-Analyse“ sozioökonomische Daten erhoben. Von besonderem Interesse waren dabei die Ent-wicklung der Bevölkerung in den vergangenen 30 Jahren, die Nutzung der Energie sowie der Wandel der Wirtschafts- und Tourismusstrukturen. Bisher fehlt dem Biosphärenpark jedoch ein umfassen-des Forschungskonzept. Dabei geht es weniger um Wissenslücken in den Einzeldisziplinen als viel-mehr um Defizite im Verstehen der Interaktionen zwischen Umwelt, gesellschaftlichen Wertesyste-men und ökonomischen Rahmenbedingungen, ein Forschungsfeld, das die angewandte und inter-disziplinäre Forschung abdeckt. Derzeit wird der Aufbau von dauerhaften Kooperationen mit den Geographieinstituten der Universitäten Wien und Innsbruck angestrebt.

In den halbschattigen Laubmisch-wäldern findet man eine botanischeBesonderheit, den Frauenschuh.Photo: Umweltbüro Markus Grabherr

Auf Umweltbildung wird im Großen Walsertal viel Wert gelegt. Kinder erkun-den die Landschaft auf „Wilden Walser Wegen“.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Internationale PartnerschaftenPartnerschaften bestehen über das Gemeindenetz-werk „Allianz in den Alpen“ und das PREPARE- Netzwerk für nachhaltigen Tourismus. Ein regel-mäßiger Erfahrungsaustausch findet mit anderen Biosphärenreservaten wie Rhön, Entlebuch, Wienerwald, Vogesen und Bayrischer Wald statt.

FinanzierungDie sechs Gemeinden, die sich in der Regionalpla-nungsgemeinschaft Großes Walsertal zusammenge-schlossen haben, zahlen zehn Euro pro Einwohner an die REGIO. Diese Mittel reichen jedoch für eine langfristige Absicherung der Arbeit des Biosphären-parkmanagements nicht aus. Die Startfinanzierung erfolgte durch REGIO, Land und Bund. Von 2001 bis 2004 wurde das Projekt „ECO Monte“ mit EU-LIFE-Mitteln gefördert. Ab 2005 erhält das Management 100.000 Euro Sockelfinanzierung von der Landesregierung Vorarlberg.

BesonderheitenVorarlberg ist bisher das einzige Bundesland in Österreich, das in seinem Gesetz für Naturschutz und Landschaftspflege von 1997 die Ausweisung von Biosphärenparks als eigene Schutzkategorie vorsieht. (Derzeit bereitet nur noch das Land Nie-derösterreich eine entsprechende Aufnahme dieser Schutzkategorie in das Landesgesetz vor.)

Das Große Walsertal ist der erste Biosphären-park Österreichs, der nach 1995 in die Liste der UNESCO-Modellregionen aufgenommen wurde. Er entstand damit zu einem Zeitpunkt, als mit den Sevilla-Richtlinien die nachhaltige Entwicklungs-komponente stärker in den Vordergrund des MAB- Konzeptes gerückt war.

Der Biosphärenpark wurde bereits mit einigen Aus-zeichnungen bedacht: Umwelt- und Solarpreis Vor-arlberg 2002, Europäischer Dorferneuerungspreis 2002, Hauptpreis beim „Ford“-Umweltpreis 2003, Hauptpreis beim Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ 2003, ARGE-Alp-Preis 2004, Zertifizie-rung des Managements nach EMAS sowie eine Aus-zeichnung im Jahr 2004 mit drei „e´s“ im Rahmen des Programms für energieeffiziente Gemeinden.

... Modellregion für nachhaltige Entwicklung

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Wienerwald (in Planung)Jahr der UNESCO-Anerkennung: geplant für 2005Bundesland: Wien und NiederösterreichSchwerpunkte: Schutz und nachhaltige Entwicklung

Fläche gesamt: in Planung, jedoch mehr als 105.000 Hektar; bei den Kernzonen handelt es sich um dezentral verteilte Flächen, die ausschließlich im Wald liegen; die Pflegezonen bestehen aus Einzelflächen in Wald und Offenland; (vgl. Karte auf Seite 95)

Höhenerstreckung: etwa 160 m bis 893 Meter

Zusätzlicher Schutzstatus:Landschaftsschutzgebiet Wienerwald; Schutzgebiet Wiener Wald- u. Wiesengürtel; Naturschutzgebiete Teufelstein, Eich-kogel, Glaslauterriegel-Heferlberg und Lainzer Tiergarten; Naturparks Eichenhain, Föhrenberge, Sparbach und Sand-stein-Wienerwald; Naturwaldreservate; Natura 2000 Gebiete;

Biosphärenpark-ManagementBiosphärenpark Wienerwald ManagementC/O Verein Niederösterreich-Wien, gemeinsame ErholungsräumeSchlossplatz 1, 2361 LaxenburgManager: Mag. Günther LoiskandlTelefon: 02236/71225-15E-Mail: office@biosphaerenpark-wienerwald.orgwww.biosphaerenpark-wienerwald.org

Zuständige Stellen der beiden LänderAmt der niederösterreichischen Landesregierung Abteilung ForstwirtschaftLandhausplatz 1, Haus 12, 3109 St. PöltenAnsprechpartner: Dr. Gerfried KochTel. 02742/9005-12966, E-Mail: [email protected]

Magistrat der Stadt WienMA 49 – Forstamt und LandwirtschaftsbetriebVolksgartenstraße 3, 1082 WienAnsprechpartner: Dipl.-Ing. Herbert Weidinger, OberforstratTel. 01/4000-97912,E-Mail: [email protected]

Hintergründe der EntstehungDer Wienerwald befindet sich schon lange im Spannungsfeld zwischen Naturschutzbemühungen und zunehmendem Nutzungsdruck. Schon auf der „Wienerwald-Konferenz“ im Jahr 1994 wurden ähnliche Maßnahmen bezüglich des Erhalts und der nachhaltigen Nutzung des einzigartigen Natur- und Kulturraumes gefordert wie heute. 2002 rück-ten dann mit dem Millenniumsjahr „1000 Jahre Wienerwald“ die Fragen um die Zukunft des Wienerwaldes wieder in das Blickfeld der Öffent-lichkeit. Während des gesamten Jahres fanden zahlreiche fachliche Diskussionen und kulturelle Veranstaltungen statt. Auf Grundlage der alten Wienerwald-Deklaration von 1987 formulierten die Mitglieder der Planungsgemeinschaft Ost (Burgen-land, Niederösterreich und Wien) schließlich Ziele und Maßnahmen, die den Wienerwald auch für künftige Generationen als Natur- und Erholungs-raum erhalten sollten. Durch die Unterzeichnung der Deklaration schlossen sich fast alle Gemeinden der Region und die Wiener Bezirke mit Anteil am Wienerwald freiwillig dieser Initiative an. Die Lan-desregierungen Wien und Niederösterreich gaben im selben Jahr eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die klären sollte, welche Schutzkategorie für den Erhalt der Region besser geeignet sei: National-park oder Biosphärenpark? Das Planungsgebiet umfasste das Landschaftsschutzgebiet Wienerwald (NÖ) und das Schutzgebiet Wald- und Wiesengür-tel (Wien) ohne den Bisamberg. Nach sechs Mona-ten lagen im Oktober 2002 die Ergebnisse vor: Ein Nationalpark kann die Probleme, die im Gebiet auf Grund der vielfältigen Nutzungsansprüche auftreten, nicht lösen. Das Biosphärenparkkonzeptdagegen erwies sich als ideales Instrument für den dauerhaften Schutz der reich strukturierten Wald- und Wiesenlandschaft. Es trägt dem Wesen des Wienerwaldes als eine der ökologisch bedeutend-sten Regionen Österreichs ebenso Rechnung wie auch seiner Funktion als traditionelles Erholungs-gebiet und Wirtschaftsraum (siehe den Beitrag auf Seite 49). Für die Zonierung wurden in der Machbarkeitsstudie erste Vorschläge erarbeitet. Mit der Einsetzung des Biosphärenpark Wienerwald

Einzigartiger Natur- und

Kulturraum in unmittelbarer

Nähe zur Großstadt Wien ...

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Mag. Günther Loiskandl begleitet den Wienerwald auf dem Weg zu einem Biosphärenpark.

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Managements ab 2003 bekräftigten die Länder Niederösterreich und Wien ihre Absicht, die inter-nationalen Richtlinien der UNESCO im Wiener-wald umzusetzen. Gemeinsam mit den Landes-forstdirektionen der beiden Bundesländer werden die notwendigen Planungsarbeiten koordiniert. Ziel ist es, im Jahr 2005 bei der UNESCO den Antrag auf internationale Anerkennung als Biosphären-park einzureichen.

Geographische LageDer Wienerwald erstreckt sich westlich bis süd-westlich der Stadt Wien und liegt damit in den Bundesländern Wien und Niederösterreich. Begrenztwird er im Osten vom Wiener Becken, im Süden vom Triesting- und Gölsental, im Westen von der Großen Tulln und im Norden vom Tullnerfeld und der Donau. Der Wienerwald stellt einen Grenz-raum dar. Hier gehen die östlichsten Ausläufer der Nördlichen Kalkalpen in das Wiener Becken über.

GeologieDer Wienerwald ist geologisch zweigeteilt. Seinem Untergrund entsprechend wird er in den „Kalk-stein-Wienerwald“ und den „Sandstein-Wiener-wald“ unterteilt. Die Grenze zwischen den beiden unterschiedlichen Landschaften bildet die Linie Altenmarkt-Alland-Kaltenleutgeben-Kalksburg-Mauer. Der nördlich dieser Grenzlinie gelegene Sandstein-Wienerwald erstreckt sich auf etwa 4/5 der gesamten Fläche. Durch den Aufbau aus Flysch entstand ein einheitliches Landschaftsbild aus breiten, buchenbewachsenen Bergrücken. Die Höhe der Gipfel nimmt von Norden nach Süden zu. Die tiefgründigen Lehmböden lassen den Nie-derschlag nicht durchsickern. Quellenarmut und eine unregelmäßige Wasserführung der Täler sind daher für die Sandstein-Region charakteristisch. Im Kalkstein-Wienerwald südlich von Wien gehen die Ausläufer der Nördlichen Kalkalpen in das Wiener Becken über. Steil zerklüftete Kalk- und Dolomitfelsen, sowie scharf eingeschnittene Täler prägen das Landschaftsbild. Auf Grund der leichten Lösbarkeit des Kalkes können die Niederschläge gut in den Untergrund eindringen. Es kommt zum unterirdischen Abfließen des Regenwassers und dadurch zu zahlreichen Karsterscheinungen. Das geologische Bruchsystem am Ostabfall der Kalkalpenzum Wiener Becken hin, die so genannte Thermen-linie, verläuft von Bad Fischau über Bad Vöslau, Baden und Mödling in das Wiener Stadtgebiet.

KlimaDer Wienerwald ist nicht nur geologisch zweige-teilt, er liegt auch im Übergangsbereich zwischen dem atlantisch geprägten Klima im Westen und dem pannonischen Klimaraum im Osten. Die von Südwest nach Nordost streichenden Höhenzüge bilden dabei eine Wetter- und Klimascheide. Wäh-rend im feucht-milden Westen durchschnittlich 1000 Millimeter Niederschlag jährlich fallen, ist der östliche Teil mit nur 600 Millimeter Jahresnieder-schlägen trockener und die Sommer sind wärmer.

Naturraum und ÖkosystemeIm Wienerwald findet sich ein für Mitteleuropa einzigartiger großräumiger Waldbestand. Durch die enge Verzahnung der Waldbestände mit Offen-flächen und Sonderstandorten ist das Gebiet sehr artenreich. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 1993 gehört er zu einem der 13 Biodiversitätszentren in Österreich. Entlang der Thermenlinie ist die Viel-falt der Tier- und Pflanzenarten besonders hoch. Im Kalkstein-Wienerwald wächst der wohlrie-chende Waldmeister (Galium odoratum) im Unter-grund der Buchenbestände. Infolge des Lichtman-gels unter dem dichten Laubdach entwickelt sich ansonsten meist nur eine spärliche Krautschicht. Im Flysch-Wienerwald dagegen beherrschenEichen-Hainbuchen-Wälder das Landschaftsbild. In höheren Lagen werden sie von Hainsimsen-Buchen-Wäldern abgelöst. Eine Besonderheit stel-len die „Gipfel-Eschenwälder“ der nordexponier-ten Hänge dar. Der zentrale Teil des Wienerwaldes ist geprägt von ausgedehnten Wiesenlandschaften. Hier findet man noch auf großen Flächen extensiv bewirtschaftetes Offenland, vor allem wechsel-feuchte Trespen- und Glatthaferwiesen sowie fette Feuchtwiesen in den Tälern. An den zahlrei-chen Fließgewässern sind Reste von Auwäldern zu finden, welche von Eschen und Schwarzerlen dominiert werden.

Besonderheiten der Flora und FaunaDie Wiesen des Wienerwaldes sind besonders artenreich. Hier blühen viele seltene Pflanzenarten, von denen einige vom Aussterben bedroht sind. Dazu gehören Wanzenknabenkraut (Orchis coriophora), Kelchgras (Danthonia alpina) oder Moor-Blaugras (Sesleria uliginosa). Auf den Magerwiesen kann man noch die Pannonische Platterbse (Lathyrus pannonicus), die Prachtnelke (Dianthus superbus), die Hummelragwurz (Ophyrs fuciflora) oder die Riemenzunge (Himantoglossum hircinum), eine große bizarre Orchidee, bewundern.

Biosphärenpark Wienerwald

Artenvielfalt entsteht durch eine enge Verzahung von Wald und Offenland.Photo: Biosphärenpark Wienerwald Management

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Neben den verbreiteten Wildarten wie Rothirsch (Cervus elaphus) und Reh (Capreolus capreolus) ist das natürliche Vorkommen der Gämse (Rupicapra rupicapra) im Bereich des Hohen Lindkogels zu erwähnen. Das Ziesel (Citellus citellus), ein kleines braunes Erdhörnchen, das mittlerweile auf der „Roten Liste“ der gefährdeten Tierarten steht, bewohnt vor allem die Perchtoldsdorfer Heide. Weiters bietet der Wienerwald Lebensraum für viele seltene Fledermausarten, wie die Große und Kleine Hufeisennase (Rinolophus ferrumequinum, R. hipposideros), das Große und Kleine Mausohr (Myotis myotis, M. blythi), die Wimperfledermaus (Myotis emarginatus) sowie die Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus). Insgesamt wurden knapp 150 Vogelarten im Wienerwald nachgewiesen. Die Offenlandbereiche sind besonders wichtig für das Überleben von gefährdeten Arten wie dem Wachtel-könig (Crex crex), dem Neuntöter (Lanius collurio) oder der Grauammer (Miliaria calandra). Die zer-klüftete Kalkregion bietet Felsbewohnern wie dem Wanderfalken (Falco peregrinus), dem Uhu (Bubo bubo) und dem Kolkraben (Corvus corax) noch geeignete Lebensbedingungen. Auch Amphibienfreunde kommen im Wienerwald auf ihre Kosten. Der sel-tene Alpen-Kammmolch (Triturus carnifex) und die Gelbbauchunke (Bombina variegata) tummeln sich in manchen Gewässern. Beide Arten wurden als Kriterium für die Nominierung eines Natura 2000 Gebietes im Wienerwald angeführt. Für die reich-haltige Insektenfauna sind vor allem das extensiv genutzte Grünland, die totholzreichen Laubwald-bestände und die warmen und trockenen Stand-orte an der Thermenlinie von Bedeutung. Zu den „Highlights“ gehören Schmetterlinge wie Kaiser-mantel (Argynnis paphia), Schwalbenschwanz (Papilio machaon), Apollofalter (Parnassius apollo), Großer Feuerfalter (Lycaena dispar) und Russischer Bär (Euplagia quadripunctaria) oder Käfer wie beispielsweise der Alpenbock (Rosalia alpina).

BesiedlungsgeschichteIm Jahr 2002 feierten die Länder Wien und Nieder-österreich das „Wienerwald Millennium“ und begingen damit die erste urkundliche Erwähnung des Waldgebietes vor 1000 Jahren. Damals schenkte der deutsche Kaiser Heinrich II. dem Babenberger Heinrich I. große Teile des heutigen Wienerwaldes, um sich die Loyalität des Markgrafenzu sichern. Tatsächlich ist der Wienerwald ein viel älterer Siedlungsraum. Fundstücke wie Lochäxte im Rosental und am Abhang des Bierhäuselbergesweisen auf menschliche Aktivitäten bereits in der Steinzeit hin. Ab 300 v. Chr. kamen Kelten und Illyrer in das Gebiet, später die Römer. Nachdemdichte Wälder ursprünglich jedoch als etwas Unheim-liches und Feindliches galten, fanden die ersten Dorfgründungen vermutlich erst ab dem 8. Jahr-hundert statt. Um diese Zeit wanderten Slawen und Awaren in das Gebiet ein. Orden wie die Zis-terzienser und Kartäuser ebneten den Weg für wei-tere Siedlungsaktivitäten. Im Zuge der beiden Tür-kenbelagerungen der Stadt Wien (1529 und 1683), die auch das Umland in Mitleidenschaft zogen, mussten jedoch viele Dörfer wieder aufgegeben werden. Im 18. Jahrhundert wurden wichtige Ver-kehrswege, wie die große Reichsstraße und die Westbahn, durch den Wald angelegt. Die Erschlie-ßung ermöglichte ab dem 19. Jahrhundert eine„Eroberung“ des Wienerwaldes durch die Bewoh-ner der Hauptstadt Wien. Dem Ideal des idyl-lischen Landlebens folgend errichteten adelige Familien Landschaftsgärten mit Tempeln. Auch Künstler wie Mozart, Beethoven, Schubert und Stifter ließen sich vom Wienerwald inspirieren. 1870 gab es jedoch Pläne, den Waldbestand teil-weise zu roden. Dem öffentlichkeitswirksamen Kampf von Josef Schöffel (1832–1910) ist es zu verdanken, dass die Pläne nicht in die Tat umge-setzt wurden. Heute gilt der Wienerwald als attrak-tive Wohngegend und wichtigstes Naherholungs-gebiet der Wiener Bevölkerung.

Der Kaisermantel (im Bild ein Weibchen) ist ein typischer Schmetterling auf Waldwiesen.

Photo: BSP Wienerwald Management

Im Wienerwald gibt es noch bunte Orchideenwiesen.Photo: BSP Wienerwald Management

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Einwohner und GemeindenDen Wienerwald teilen sich die Länder Wien und Niederösterreich. In Niederösterreich liegen mit etwa 282.000 Einwohnern in 51 Gemeinden die weit-aus größeren Flächenanteile. Sieben Wiener Gemein-debezirke haben mit rund 477.000 Einwohnern Anteil am Planungsgebiet für den Biosphärenpark. Damit leben über 750.000 Menschen in der neu zu gründenden UNESCO-Region. Dies stellt eine große Herausforderung für die Öffentlichkeits-arbeit und Partizipation der Bevölkerung am Pla-nungs- und Entwicklungsprozess dar (siehe Seite..).

LandnutzungZu den vorherrschenden landwirtschaftlichen Nut-zungsformen gehören heute der Ackerbau und die Grünlandwirtschaft. Die Flyschböden im west-lichen Sandstein-Wienerwald sind nur bedingt für den Ackerbau geeignet. Dementsprechend domi-nieren dort Futterbaubetriebe sowie kombinierte land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Am Ost-rand finden sich neben Ackerland auch Obst- und Weinbaugebiete. Insgesamt hat sich jedoch die landwirtschaftliche Nutzfläche von 1973 bis 1990 stark verringert. In manchen Teilen ist sie sogar um über 25 Prozent zurückgegangen. In gleichem Maße nimmt die bebaute Fläche zu. Der Wiener-wald gilt als attraktive Wohngegend der Wiener Bevölkerung. Die stadtnahen Bereiche und die Flä-chen entlang der Thermenlinie sind bevorzugte Siedlungsgebiete. Da vor allem aber die extensiv genutzten Grünflächen für die Artenvielfalt beson-ders wertvoll sind, ist diese Tendenz für den Natur-schutz eine bedenkliche Entwicklung. Seit dem 19. Jahrhundert ist der Wienerwald ein traditio-nelles Erholungsgebiet. Zwei Millionen Wiener und Niederösterreicher wohnen in unmittelbarer Nähe des geplanten Biosphärenparks und nutzen diesen für Wanderungen, Rad-, Mountainbike- und Motorradtouren, zum Klettern, Reiten, Langlaufen oder Picknicken. Die Naherholungsnutzung kon-zentriert sich vor allem auf die Kuppenbereiche des Wienerwaldes, da bei den Besuchern vor allem das Landschaftserlebnis im Vordergrund steht. Fremdenverkehr spielt im Wienerwald eine eher untergeordnete Rolle. Zu den Hauptattraktionen zählen die Stifte Klosterneuburg und Heiligen-kreuz, Mayerling, der Leopolds- und der Kahlen-berg sowie die Seegrotte Hinterbrühl.

UmweltbildungsaktivitätenIm Zuge der laufenden Planungen werden auch künftige Umweltbildungsaktivitäten, wie beispiels-weise ein gemeinsames Schulprojekt des Biosphä-renpark Wienerwald Managements und der Öster-reichischen UNESCO-Kommission, thematisiert.

UniversitätskooperationenDa der Biosphärenpark gerade im Entstehen ist, gibt es noch keine offiziellen Kooperationen mit bestimmten Forschungseinrichtungen. Das Bio-sphärenpark Wienerwald Management pflegt jedoch gute Kontakte zu Instituten der Universität für

Bodenkultur und der Universität Wien, die sich im oder in der Nähe des Planungsgebietes befinden.

ForschungsaktivitätenDas Nebeneinander von Kultur- und Naturland-schaft, der geologische Übergang von den Nörd-lichen Kalkalpen in das Wiener Becken sowie die umittelbare Nähe zur Großstadt Wien machten den Wienerwald seit jeher zu einem begehrten For-schungsobjekt. Bisher existierte keine zentrale Koordinationsstelle für Forschung. Viele Einzel-projekte wurden auf Teilflächen des Wienerwaldes, wie beispielsweise dem Lainzer Tiergarten, dem Eichkogel oder in den einzelnen Naturwaldreserva-ten durchgeführt. Groß angelegte, interdisziplinäre Untersuchungen, die sich auf den ganzen Wiener-wald beziehen, gibt es. Sie waren aber bisher ähnlich selten wie internationale Kooperations-projekte. Themenschwerpunkte der Wienerwald-forschung sind vor allem Waldökosysteme (Buchen-wälder, Naturwaldreservate), Grünland (Management,Artenvielfalt von Trockenrasen) und Erholungs-nutzung. Im Rahmen der Studie „Hemerobie öster-reichischer Wald-Ökosysteme“ (1991–1996) war der Wienerwald als eines der 19 UntersuchungsgebieteGegenstand der MAB-Forschung in Österreich. Mitder Einrichtung des Wienerwaldes als Biosphären-park ist die Erarbeitung eines umfassenden Forschungs-und Monitoringkonzeptes für die Region geplant.

Internationale PartnerschaftenFormelle Partnerschaften mit anderen Biosphären-reservaten bestehen noch nicht. Es fanden aber bereits Besuche und Kontakte mit den Biosphären-reservaten Rhön (Deutschland), Entlebuch (Schweiz) und Cevennen (Frankreich) statt.

FinanzierungDie Länder Wien und Niederösterreich tragen und finanzieren die Einrichtung des Biosphärenparks Wienerwald gemeinsam und zu gleichen Teilen. Die langfristige Finanzierung des Managements ist Gegenstand der laufenden Planungen.

LiteraturtippsARGE WIENERWALD, 2002: Machbarkeitsstudie Wienerwald (www.noel.gv.at/service/lf/lf4/machbarkeitsstudie-wienerwald.htm)RIEDER, 2002: Der Wienerwald. Brandstätter Verlag.

... Schutz und nachhaltige Nutzung

Die schroffen Kalkfelsen im Wienerwald sind ein beliebtes Klettergebiet der Wiener.Photo: BSP Wienerwald Management

Der Wienerwald – ein

vielfältiges Mosaik aus

Kultur- und Naturlandschaft.Photo: BSP Wienerwald Management

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Partizipationsprozesse

Biosphärenpark Großes Walsertal – wie ein Leitbild entsteht

Gemeinsam mit der

Bevölkerung neue Wege

beschreiten für ein

nachhaltiges Miteinander

von Mensch und Natur ...

1999 fiel der Beschluss, das Große Walsertal als Biosphärenpark in das Weltnetz der UNESCO-Modellregionen zu integrieren. Die Einwohner versprachen sich von diesem Schritt eine Entwicklung des ehemaligen „Armentals“ Vorarlbergs hin zu einem zukunftsfähigen Wirtschafts- und Lebens-raum. Der Entscheidung war im Jahr zuvor ein gemeinsamer Besuch im Biosphärenre-servat Rhön (Deutschland) vorausgegangen. REGIO-Obmann Josef Türtscher, Bezirks-hauptmann Leo Walser, Landesnaturschutz-sachverständiger Max Albrecht sowie Vertre-ter aus allen sechs Gemeinden überzeugten sich vor Ort über die Chancen, die das UNESCO-Prädikat einer strukturschwachen Region eröffnet. Auf der Rückfahrt waren sich alle einig: „Das können wir auch!“ Wieder zu Hause angelangt, organisierte das „Büro für Zukunftsfragen“ der Vorarlberger Landes-regierung die ersten Informationsveran-staltungen, die in der Bevölkerung großen Anklang fanden: Zu den Abendvorträgen kamen jeweils zwischen 60 und 120 Menschen. Auch Josef Türtscher und Max Albrecht warben unermüdlich für die Vorteile des Bio-sphärenreservatskonzeptes. Es schien wie maßgeschneidert für die Situation im Großen

Walsertal. Das abgelegene Bergtal verfügt über keinerlei Industriezweige. Mit 17 Ein-wohnern pro Quadratkilometer ist es das am dünnsten besiedelte Gebiet in ganz Vorarl-berg. Gleichzeitig gibt es dort einen hohen Anteil an besonders schutzwürdigen und artenreichen Naturräumen. Auch die kultu-relle Identität der Walser ist stark ausgeprägt. Hier werden noch alte Bräuche und Traditio-nen gepflegt und ein eigener Dialekt gespro-chen. Im Zuge der Biosphärenparkplanungen wich die negative Stimmung bezüglich des Tals und seiner geringen Entwicklungschan-cen einer allgemeinen Aufbruchsstimmung. Das Motto lautete: „Wir wollen das Leben lebenswerter und das Wirtschaften wirtschaft-licher machen.“

Im Großen Walsertal leben lediglich 3360 Menschen in sechs Gemeinden. Die Über-schaubarkeit des Planungsgebietes erleichterte die frühe Einbeziehung aller Interessensgrup-pen. Nach etwa fünf Einführungsveranstal-tungen kam es zu einer großen Präsentation des Konzeptes in der Walserhalle, die von Landesvertretern moderiert wurde. Dabei lagen Listen auf, in denen man sich für die Teilnahme an unterschiedlichen Arbeitsgruppen

IV) Beispiele aus der Praxis

Um den vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden, muss das Biosphärenparkkonzept immer wieder mit neuem Leben ge-füllt werden. Hier Teilnehmer eines Photovoltaik-Projektes im Großen Walsertal.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

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101Partizipationsprozesse

zu den Themen Land- und Forstwirtschaft, Tourismus, Wirtschaft und Gewerbe, Kultur und Brauchtum, Freizeit und Bildung sowie Wohnbau und Verkehr eintragen konnte. In diesen Arbeitsgruppen formulierten die enga-gierten Bürger während mehrerer Treffen übergeordnete Grundsätze und Entwicklungs-ziele für die nächsten fünf Jahre. Diese Leit-bilder orientierten sich am „Landschaftsleit-bild“, das zuvor von der Naturschutzabteilung der Vorarlberger Landesregierung unter fach-lichen Gesichtspunkten erstellt wurde. Die Phase der Leitbildentwicklung war im Juni 1999 abgeschlossen. Mit Musik und kulinari-schen Genüssen feierten die Bewohner schließ-lich ihr „Leitbild“, ihre Vision für die Zukunft.Demnach ist es Ziel der Bevölkerung, „das Große Walsertal durch sinnvolles Zusammen-wirken der Bereiche Gesellschaft, Wirtschaft,Ökologie und Kultur als einen wertvollenLebensraum und eine starke Region für zukünf-tige Generationen zu erhalten und weiterzu-entwickeln“. Seither gilt das „Leitbild Bio-sphärenpark Großes Walsertal“ als Grund-satzpapier, das die grobe Richtung vorgibt und – soweit möglich – bei allen politischen Entscheidungen berücksichtigt wird. 2003 wurde das Leitbild überprüft, ein Jahr später schließlich überarbeitet. Etwa 25 aktive Walser Bürger passten – wieder aufgeteilt in unterschiedliche Arbeitsgruppen – die for-mulierten Grundsätze an die momentanen Bedürfnisse an. Bereits erreichte Ziele wurden gestrichen, andere konkretisiert. Im Wesentli-chen blieben die Vorstellungen jedoch weitge-hend erhalten. Die Aufbruchsstimmung von damals ist jedoch dem Alltag gewichen. Es wurde deutlich, dass sich die erhofften Vor-teile nicht von heute auf morgen allein durch die Ernennung zum UNESCO-Biosphä-renpark einstellen. Es handelt sich vielmehr um einen fortlaufenden Prozess, der immer wieder von jedem Einzelnen neu mit Leben gefüllt werden muss.

Die Verbindung zwischen dem Erhalt der biologischen Vielfalt und den Entwicklungs-anforderungen einer Region ist zentraler Be-standteil des Biosphärenreservatskonzeptes.Mit der Sevilla-Strategie rückten jedoch der Mensch und sein Wirtschaften stärker in den Vordergrund. Damit Biosphärenparks wirk-lich Modellregionen für ein rücksichtsvolles Miteinander von Mensch und Natur werden, müssen die unterschiedlichen Interessens-gruppen schon in der Anfangsphase infor-miert und in die Planungsprozesse einbe-zogen werden. Während diese Aufgabe im Großen Walsertal mit sechs Gemeinden und etwa 3360 Einwohnern in einem rela-tiv überschaubaren Rahmen blieb, stellt sie sich im Wienerwald mit einem Planungsge-biet von mehr als 105.000 Hektar Größe und über 750.000 Einwohnern in der Region als besondere Herausforderung dar. Wie kann ein kleines Team von Verantwortlichen alle betroffenen 51 Gemeinden in Niederöster-reich, die sieben Wiener Bezirke und die viel-fältige Landschaft an Interessensgruppen und Akteuren sinnvoll in den Planungs- und Diskussionsprozess einbeziehen?

„Die Bedeutung intensiver Öffentlichkeitsar-beit kann im Vorbereitungsprozess eines Bio-sphärenparks nicht hoch genug eingeschätzt werden“, betont Günther Loiskandl, Koordi-nator des Biosphärenpark WienerwaldManagements. Dies gilt umso mehr, als das Instrument „Biosphärenpark“ in seiner moder-nen Ausprägung seit Sevilla in Österreich relativ jung und daher wenig bekannt ist. Ent-scheidend ist es, die Menschen von Beginn an zu motivieren, die Zukunft ihrer Region aktiv mitzugestalten. Mit viel Elan und persönli-cher Überzeugungskraft stellt Loiskandl sich in zahlreichen Informationsveranstaltungen

Biosphärenpark Wienerwald (in Planung) – Öffentlichkeitsarbeit und Partizipation

In einem Gebiet von über 105.000 Hektar und mit mehr als 750.000 Einwohnern stellt die Beteiligung der Bevölkerung am Planungsprozess eine besondere Herausforderung dar.Photo: BSP Wienerwald Management

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– in kleinerem oder „saalfüllendem“ Rahmen – den Ängsten und Zweifeln der Menschen und zeigt die Chancen auf, die das UNESCO-Prädikat der Region eröffnet. Das Publikum – vor allem Gemeindevertreter, Grundbesitzer, Land- und Forstwirte – ist in der Regel bereits vorinformiert und mehr oder weniger betrof-fen von der Einrichtung der internationalen Schutzkategorie. Manche befürchten weitereNutzungseinschränkungen, was objektiv meist unbegründet ist, andere erwarten positive Effekte für Naturschutz und Regionalent-wicklung. Für unverzichtbar hält Loiskandl den Aufbau von persönlichen Kontakten und Netzwerken mit regionalen Meinungs- und Entscheidungsträgern, Multiplikatoren und „Vorreitern“. Daraus ergibt sich ein Schnee-balleffekt bei der Verbreitung von Informationund Motivation in der Region. Erste Erfolge in diese Richtung sind als Früchte der intensi-ven Kontaktsuche und -pflege bereits zu ver-zeichnen. Nirgendwo stieß das Biosphären-parkkonzept bisher auf totalen Widerstand.

Vielmehr konnten die Befürworter mit detail-lierten Informationen die anfängliche Skepsis in den Reihen mancher Interessensgruppen weitgehend ausräumen. Unterstützend wirkt hier sicher auch, dass die Initiative für den Biosphärenpark Wienerwald von den Ländern Niederösterreich und Wien gemeinsam getra-gen wird.

Trotz dieser gezielten Informationsvermitt-lung ist es unmöglich, alle 750.000 Einwohnerzu erreichen. Um die breite Öffentlichkeit anzusprechen, bedarf es einer möglichst intensiven Medienarbeit. Gemessen an den verfügbaren Ressourcen kann sich die Bilanz der Bemühungen im Wienerwald durchaus sehen lassen: Bisher erschienen an die 200 Pressemeldungen in regionalen und überre-gionalen Printmedien, zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften und Gemeindezeitungen sowie mehrere Fernseh- und Radiobeiträge. Diverse Internethomepages greifen das Thema auf. Für die Außendarstellung des Biosphären-parks wurde ein eigenes Logo sowie eine „Corporate-design“-Linie für alle Printmedienentwickelt. Die Webseite (www.biosphaeren-park-wienerwald.org) und ein Info-Folder informieren über die wesentlichen Schritte im Planungsprozess. Ferner ist eine Biosphären-park-Wienerwald-Zeitung in Vorbereitung, die in Zukunft an alle Haushalte im Planungsge-biet gehen soll. Trotz all dieser Bemühungen darf man nicht darüber hinwegsehen, dass sicherlich erst ein geringer Anteil der regio-nalen Bevölkerung die Entstehung eines Bio-sphärenparks „wahrgenommen“ hat.

Institutionalisierte PartizipationBegleitend zur laufenden Öffentlichkeitsarbeit wurden als erste Instrumente für institutiona-lisierte Beteiligungsprozesse die so genannten Beratungsforen „Wald und Forstwirtschaft“ sowie „Offenland und Landwirtschaft“ ein-gerichtet. Ein weiteres Beratungsforum zum Die Info-Mappe zum Biosphärenpark Wienerwald.

Der Info-Folder aus der neu entwickelten „Corporate design“-Linie für die Präsen-tation des Biosphärenparks Wienerwald.

Beispiele aus der Praxis

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Thema Jagd ergab sich aus dem Planungs-prozess. Die Zusammensetzung dieser Gre-mien von jeweils rund 30 Personen folgt dem Anspruch, in möglichster räumlicher und the-matischer Breite Vertreter von allen relevanten Interessensgruppen „an einen Tisch“ zu brin-gen. Dazu gehören unter anderen Land- und Forstwirte, Funktionäre der Kammerorga-nisation, Vertreter von Naturschutzorgani-sationen, namhafte Persönlichkeiten aus der Wissenschaft sowie Vertreter der Behörden und der Biosphärenpark-Planung. Eingebun-den werden vor allem Multiplikatoren, wie beispielsweise Landwirte, die unterschiedli-che Teilregionen und Betriebstypen repräsen-tieren und womöglich gleichzeitig auch als Obmänner von Vereinen oder in politischen Funktionen aktiv sind. Die Beratungsforen treten auf Einladung des Biosphärenpark Managements zusammen. Stand bisher viel-fach der Informationsaustausch zur laufenden Biosphärenparkplanung (insbesondere der naturräumlichen Zonierung) im Vordergrund,so widmet sich das Gremien zunehmend seinereigentlichen Kernfunktion: der Formulierung von Zielen und der Erarbeitung von konkretenMaßnahmen, die als Leitbilder der zukünfti-gen Entwicklung des Wienerwaldes eine Rich-tung geben sollen. Die Einrichtung analoger Beratungsforen zu anderen Themenfeldern, wie Regionalentwicklung, ist in Planung. Diese

Form der intensiven Beteiligung von Reprä-sentanten der unterschiedlichen gesellschaftli-chen Gruppen ist ein langer Prozess, der auch entsprechende Ressourcen und personelle Betreuungskapazitäten erfordert. Doch ver-spricht er gute Chancen, dass der Biosphären-park Wienerwald langfristig als ganzheitliches Modellprojekt für Nachhaltigkeit entwickelt, gelebt und von einer breiten Basis aktiver Bürger getragen wird.

Die Beratungsforen „Wald und Forstwirtschaft“ sowie „Offenland und Landwirtschaft“ treten auf Einladung des Biosphärenpark Managements zusammen. Ihre Mitglieder formulieren gemeinsam Ziele und konkrete Maßnahmen, die der zukünftigen Entwicklung des Wienerwaldes als Leitbild dienen sollen.Photo: Biosphärenpark Wienerwald Management

In einem Planungsgebiet von mehr als 105.000 Hektar Größe mit über 750.000 Einwohnern in 51 Niederösterreichischen Gemeinden und sieben Wiener Bezirken stellt die Einbeziehung der unterschied-lichen Interessensgruppen eine besondere Herausforderung dar. Begleitend zur laufenden Öffentlichkeitsarbeit wurden deshalb die Beratungsforen „Wald“ und „Offenland“ eingerichtet.Graphik: Biosphärenpark Wienerwald Management

Partizipationsprozesse

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Das Große Walsertal ist seit November 2000 anerkannter UNESCO Biosphärenpark. Die Einwohner betrachten ihre Region nicht als Naturschutzgebiet, aus dem sich der Mensch zurückziehen sollte. Ganz im Gegenteil: Sie werten die landschaftlichen Schätze als Kapi-tal für die Entwicklung von Tourismus und Wirtschaft und hoffen, damit das abgelegene Tal als Lebens- und Wirtschaftsraum für die bestehenden und zukünftigen Generationen erhalten zu können. Der Weg zur gelebten Modellregion für nachhaltige Entwicklung wird dabei nicht überstürzt, sondern gemäch-lich gegangen – wie es die Art der Walser ist. Dennoch existieren vier Jahre nach Erlangen des UNESCO-Prädikates bereits zahlreiche erfolgreiche Initiativen, die zu einer gesteiger-ten Wertschöpfung in der Region beitragen.

Das Schreinerhandwerk hat im Großen Walsertal eine sehr lange Tradition. Viele Jahr-hunderte hinweg war Holz der einzig verfüg-bare Baustoff. Die nachhaltige Bewirtschaf-tung der Wälder auf den steilen Berghängen trug wesentlich zum Erhalt der naturräumlichenVielfalt der Region bei. Dem Ziel, dies auch in Zukunft so beizubehalten, hat sich die „Bergholz-Initiative“ verschrieben, ein Zusam-menschluss von Forst- und Handwerksbetrie-ben sowie Gemeinden aus dem Tal. Nachdem es zunehmend schwieriger wurde, das Holz aus dem steilen Bergtal zu fairen Preisen zu

verkaufen, sahen die Initiatoren ihre einzige Chance in der Vermarktung eines hochwerti-gen „Öko-Holzes“ mit Herkunftsgarantie aus dem Walsertal. Dabei verstehen die Walser unter ökologischer Waldbewirtschaftung die Entnahme von einzelnen oder nur wenigen Starkholzstämmen. Die Auswahl der zu schla-genden Stämme erfolgt so, dass sich der Wald an der Stelle bestmöglich verjüngen kann. Anschließend wird das Holz verarbeitet und von qualifizierten Handwerkern im Tal ver-edelt. Der Rohstoffkreislauf bleibt in der Region, lange Transportwege zwischen Erzeu-ger und Verbraucher werden so vermieden. Für die Konservierung des Holzes verwenden die Schreiner – sofern notwendig – nur biolo-gische Wachse und Öle. Auf den Einsatz von Chemie verzichten sie vollständig. Auf Grund des langsamen Wachstums im rauen Gebirgs-klima zeichnet sich das Holz im Walsertal ganz allgemein durch eine sehr feine Struktur aus (enge Jahresringe). Gerade im Gebirge haben viele Stämme jedoch neben einer guten häufig auch eine raue Hälfte. Bereits im Säge-werk wird der schöne Anteil des Holzes her-ausgefiltert – auf Wunsch kann der Kunde beim Einschnitt seines Holzes dabei sein. Die Produktpalette reicht vom Ökohaus über Alt-bausanierungen bis hin zu Vollholzmöbel. Mit diesen hohen Qualitätskriterien sind aber auch höhere Preise verbunden. Daher wirbt die Ini-tiative bei ökologisch interessierten Kunden und der lokalen Bevölkerung für eine höhere Akzeptanz und Wertschätzung des heimischen

Das Bergholz-Projekt

Gemeinsam für eine

höhere Wertschöpfung

und Lebensqualität

in der Region ... “

Nachhaltige Regionalentwicklung im Großen Walsertal

Ein Massivholzhaus im Großen Walsertal – gebaut von lokalen Betrieben mit lokalen Rohstoffen.Photo: Artur Müller

Photo: Artur Müller

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Holzes. Mit dem Kauf eines „Bergholz“-Produktes leisten Käufer einen maßgeblichen Beitrag, den Bergwald in seiner natürlichen Beschaffenheit zu erhalten. Dies kommt auch dem Menschen zugute. Denn an den steilen Hängen des Walsertals erfüllt der Wald eine wichtige Schutzfunktion gegen Lawinen, die in der Vergangenheit immer wieder schwere Schäden angerichtet haben. Gleichzeitig werden qualifizierte Arbeitsplätze für die Tal-bewohner geschaffen. Mit der ökologischen Nutzung und regionalen Verarbeitung des heimischen Holzes leistet die „Bergholz-Initiative“ einen Beitrag zur nachhaltigen Ent-wicklung des Biosphärenparks Walsertal.

Marketinggesellschaft „BERGHOLZ“Geschäftsführer: Artur Müller6721 Blons, Großes WalsertalTelefon: 05554/20080

Die unberührten Naturschätze lockten in den 1960er und 1970er Jahren Touristen in die Gebirgslandschaft Vorarlbergs. Zur Zeit des Wirtschaftsaufschwungs war das Große Walser-tal ein beliebtes Naherholungsgebiet für den süddeutschen Raum. Bereits Anfang der 1990er Jahre stagnierte jedoch der Tourismus-boom. Die Gäste unternahmen zunehmend internationale Reisen. Im Vergleich dazu war das Große Walsertal wenig attraktiv und be-kannt. Anstatt resigniert die Umsatzeinbußenin Kauf zu nehmen, wurden einige Gastwirteaktiv. Unter ihnen Bruno Summer, Besitzer des Johannishofs und Bürgermeister in St. Gerold.Als Projektleiter setzt er sich dafür ein, die Gastronomie als Medium für die Vermittlung der Biosphärenparkidee zu nutzen. So entstan-den die Partnerbetriebe. Sie verpflichten sich, in ihren Gasthäusern die besondere Qualitätin der UNESCO-Region Großes Walsertalsichtbar zu machen. Auf der Speisekarte

werden typische Gerichte aus dem Walsertal angeboten, wie etwa Käsespätzle gewürzt mit dem Bergkäse Walserstolz. Für die Gäste steht ein Krug mit frischem Quellwasser bereit. Wichtig ist auch eine möglichst ökologische Wirtschaftsweise. Die Partnerbetriebe trennen den anfallenden Müll, verzichten auf Papier-tischtücher und sonstige Einwegprodukte und klären ihre Übernachtungsgäste über die Möglichkeiten zum eingeschränkten Wäsche-verbrauch auf. In den jeweiligen Gasthöfen liegen Informationen über den Biosphären-park und Wanderkarten für die Gäste bereit. Verpflichtet sich ein Betrieb, die 18 Muss-Kriterien für touristische Partnerbetriebe ein-zuhalten, so kann er die Glasplakette „Partner-betrieb des Biosphärenparks“ erwerben und an gut sichtbarer Stelle im Außenbereich an-bringen. Nach der Erstzertifizierung ist ein jährlicher Mitgliedsbeitrag zu entrichten. Die Einhaltung der Kriterien wird in regelmäßigenAbständen überprüft. 34 Betriebe nehmen bisher an dem Projekt teil. Sie alle versprechensich davon einen positiven Werbeeffekt. Bis sich jedoch der gewünschte Effekt einstellt, wird es einige Jahre dauern. Auf die Anfangs-euphorie der Wirte folgte schon eine gewisse Ernüchterung. Bruno Summer setzt jedoch darauf, langfristig mit der Initiative neue Kun-denschichten anzusprechen. Er ist davon überzeugt, dass sich die gute Qualität der regio-nalen Produkte auf lange Sicht durchsetzen wird. Ein schnelllebiger Massentourismus würde die Beschaulichkeit des Tales ohnehin zerstören.

Bruno Summer, Gastwirtund Bürgermeister von St. Gerold ist Projektleiterder Partnerbetrieb-Initiative.Photo: Sigrun Lange

Der Johannishof in St. Gerold ge-hört zu den 34Partnerbetrieben.Photo: Sigrun Lange

Touristische Partnerbetriebe

Die Glasplakette weist einen Gasthof als Partner-betrieb des Biosphären-parks Großes Walsertal aus.Photo: Sigrun Lange

Regionalentwicklung

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106 Beispiele aus der Praxis Regionalentwicklung 107

weinetikett vertrieben werden. Dieses wirkt als Imageträger für den Betrieb. Die Erfahrungder Weinkunden zeigt, dass sie mit diesem Etikett einen überdurchschnittlich guten, sortentypischen Wein erwerben. Familie Winkler aus Illmitz gehört zu den etwa 25 Nationalparkweinbaubetrieben der Region. Die Vollerwerbsweinbauern bewirtschaften eine Fläche von etwa zehn Hektar in integriertem Anbau. Sie verzichten nicht völlig auf den Einsatz von Chemie, greifen aber nur dann auf chemische Schädlingsbekämpfung zurück, wenn alternative Mittel keinen Erfolg ver-sprechen. Der integrierte Anbau versucht, bei minimaler Umweltbelastung eine maximaleProduktivität zu erreichen. Der Betrieb ist in erster Linie auf Qualität und nicht auf Hektar-erträge ausgerichtet. Familie Winkler hat Glück:Sie verfügt mit derzeit knapp 3000 Flaschen über das größte Kontingent für den Vertrieb von Nationalparkweinen. Mit der Entstehung des Biosphärenparks Walsertal im Jahr 2000 eröffnete sich eine neue Vermarktungsmög-lichkeit für den Illmitzer Betrieb: Ihr „Blauer Zweigelt“ aus dem Nationalparksortiment wurde nach einer internen Verkostung durch Gastronomen aus dem Walsertal als geeigneterRotwein für den Vertrieb in den touristischen Partnerbetrieben ausgewählt. Die WeinkellereiRieder in Bludenz etikettiert die Flaschen aus Illmitz als „Biosphärenparkwein Neusiedler See“. Familie Tschida, ebenfalls aus Illmitz, liefert als Ergänzung einen weißen Chardonnay.Nationalpark- und Biosphärenparkwein sind also identische Weine, was nicht verwunderlichist, da sich der Biosphärenpark flächenmäßig teilweise mit dem Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel deckt. Je nach Region, in der sie verkauft werden, werden sie unterschied-lich ausgezeichnet. In beiden Fällen dient aber die Etikettierung erfolgreich der besseren Ver-marktung der regionalen Qualitätsprodukte.

Bei einem Besuch im Johannishof in St. Geroldstutzt man beim Blick auf die Getränkekarte: Hier wird ein „Biosphärenparkwein“ angeboten.Seit wann, so fragt man sich, gedeihen im rauenKlima der nördlichen Kalkalpen Weinreben? Doch die Kriterien, denen sich die touristischenPartnerbetriebe im Walsertal verpflichtet haben, schreiben den Gastwirten vor, mindestenseinen „Biosphärenparkwein“ anzubieten. Da sich das Gebirgstal klimatisch nicht für den Weinanbau eignet, wurde ein Austausch mit dem Biosphärenpark Neusiedler See angeregt. Das Burgenland bildet zusammen mit Nieder-österreich die größte österreichische Wein-bauregion, das so genannte „Weinland“. Bekannt ist es für seine süßen Weißweine. Die mosaikartig wechselnde Vielfalt der Böden und die durchschnittlich hohe Sonnenschein-dauer bieten hervorragende Voraussetzungenfür den Anbau von hochwertigen Weinen. 1997 einigten sich die Nationalparkverwaltung Neusiedler See und die Interessensgemein-schaft der Grundbesitzer auf die Herstellung und Vermarktung eines speziell etikettiertenNationalparkweins. Gemeinsam mit den Weinbauern wurden besondere Kriterien zur Herstellung und Qualitätssicherung erarbeitet. Beispielsweise verpflichten sich die Betriebe mit ihrer gesamten Fläche zur Teilnahme am EU-Umweltprogramm „ÖPUL“. Damit wird die umweltschonende Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen gefördert. Nur jene Winzer, die Flächen an den Nationalpark verpachtet haben und Weingärten in einer Nationalparkgemeinde bewirtschaften, haben das Recht, eine limitierte Menge als „National-parkwein“ abzufüllen. Angeboten werden die charakteristischen Rebsorten Welschriesling, Blauer Zweigelt und eine hochwertige Beeren-auslese. Eine neutrale Jury beurteilt die einge-reichten Weine. Erkennt die Jury einen Wein an, darf er mit dem speziellen Nationalpark-

Qualitätsweine mit Prädikat – ein Kooperationsprojekt zwischen den beiden Biosphärenparks Walsertal und Neusiedler See

Das Burgenland ist bekannt für seine hochwertigen Weine. Im Großen Walsertal werden Rot- und Weißweine vom Neusiedler See vertrieben.Photo: NP Neusiedler See-Seewinkel

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in Vorarlberg. Bei der Photovoltaik ist das Große Walsertal Spitzenreiter, denn 310 Watt Peak installierte Leistung pro Einwohnerbedeuten 160-mal mehr als der Durchschnittin Österreich. Ferner unterstützen die Gemein-den im Tal seit Anfang 2003 den Einbau von Biomasseheizanlagen, die Installation von Solaranlagen sowie energiesparende Sanierun-gen und Neubauten. Die Zuschüsse werden zusätzlich zu den ohnehin existierenden Ener-gieförderungen von Land und Bund gewährt. Mit dieser Förderung erhielt der Biosphären-park den „Mitwelt- und Solarpreis“ des Landes Vorarlberg. Gleichzeitig erreichte das Große Walsertal im „e5“-Zertifizierungsprogramm eine Auszeichnung mit dem „European EnergyAward“. Von den geforderten energiepoliti-schen Maßnahmen wurden im Großen Walser-tal 57 Prozent erfolgreich umgesetzt. Mit Hilfe von Bevölkerung und Entscheidungs-trägern kann es gelingen, die Energieversor-gung im Tal in Zukunft unabhängig von Importen wie beispielsweise Heizöl zu machen.

In einer Musterregion für nachhaltige Ent-wicklung wie im Großen Walsertal spielt vor allem das Thema Energiegewinnung eine wich-tige Rolle. Als lokale Ressourcen stehen Bio-masse, Wasserkraft und Sonnenenergie zur Verfügung. Langfristiges Ziel ist es, sämtliche Heizenergie und Strom aus erneuerbaren Ener-gieträgern zu gewinnen. Einen Schritt in diese Richtung stellt das neue Bioheizwerk in Faschina dar, das im Frühjahr 2004 offizielleröffnet wurde. Betrieben wird es mit Holz-hackschnitzeln, die in den Sägewerken ohnehinanfallen. Es versorgt 20 Gewerbebetriebe und Privathaushalte im Ort mit Wärmeenergie. Biomasse ist CO2-neutral. Das Holz wächst im Tal nach, die Transportwege bleiben mini-mal. Im Leitbild des Biosphärenparks Großes Walsertal formulierten die Talbewohner das Ziel, bei jedem Neu- oder Umbau thermische Solaranlagen auf den Dächern zu installieren.Schon jetzt ist die Fläche, die mit Sonnen-kollektoren bestückt ist, doppelt so hoch wie

Die „Köstliche Kiste“

Jeder Laib „Walserstolz“ wird in traditioneller Hand-arbeit erzeugt (o.) und mit anderen Produkten aus der Region in der „Köstlichen Kiste“ verkauft (u.).Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Erneuerbare Energien

Das Bioheizkraftwerk in Faschina verarbeitet Holzhackschnitzel aus der Region.Photo: Sigrun Lange

Die Förderung der biologischen Landwirtschaftund die Direktvermarktung regionaler Produktegehören zum Leitbild des Biosphärenparks Großes Walsertal. Mit dem Vertrieb der „Köstlichen Kiste“ werden beide Ziele gleich-zeitig erreicht. Die Kiste aus heimischem Holz ist gefüllt mit leckeren Naturprodukten, wie beispielsweise würzigem Bergkäse, saftigenSpeckbinden oder Lammsalami. Für süße Genießer gibt es Marmelade und Dörrfrüchte.Zum Abrunden empfiehlt sich ein selbst ge-brannter Schnaps oder Tee, dessen Kräutervon einer Fraueninitiative frisch auf den Berg-hängen gepflückt werden. Für jeden Anlass oder Geschmack gibt es verschiedene Varian-ten und Größen. Die Kiste zum Verschenken oder Selbergenießen ist im Sennereiladen der Erlebnissennerei in Sonntag-Boden erhältlich.

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Mit allen Sinnen die Welt

entdecken ... “

UNESCO-Biosphärenreservate sind Modell-regionen für ein nachhaltiges Wirtschaften des Menschen in der Natur. Ferner dienen sie als Forschungs- und Umweltbildungsstätten. So auch der Biosphärenpark Großes Walertal. Junge Menschen haben hier die Möglichkeit, die Natur- und Kulturschätze auf eine ganz besondere Art und Weise kennen zu lernen. „Wilde Walser Wege“ heißt eine Schulland-woche, die das Biosphärenpark-Management für Schulklassen anbietet. Das Bildungsange-bot ist eine ganzheitliche Angelegenheit. Die Kinder und Jugendlichen beschäftigen sich mit der Natur, Kultur, Geschichte, Wirtschaft und den Menschen des Tales. Ausgebildete Betreuer begleiten die Schulklassen bei ihren Ausflügen. Theaterstücke, Rollenspiele, Phan-tasiereisen sowie Tanz- und Singspiele bilden dabei das methodische Rückgrat. So streifen die Schüler durch Wälder, Wiesen und Höhlen,schließen einen Lehensvertrag mit dem Grafenvon Montfort und versuchen sich im Kühe-melken oder Zäuneflicken. Die Erlebniswoche ist Selbsterfahrung und Gruppenerlebnis zu-gleich, soll aber vor allem auch Spaß machen und auf spielerische Art und Weise das ganz-heitliche Konzept des Biosphärenparks ver-mitteln. Durch Vorgespräche können sich die Klassen gezielt auf die Woche vorbereiten und die Inhalte in den Unterricht einbauen. Neben 3- oder 5-Tages-Programmen mit Alpüber-

nachtung wird auf Wunsch auch ein Pro-gramm für spezielle Themen zusammenge-stellt.

Mit der UNESCO-Auszeichnung hat für das Große Walsertal auch unter touristischen Gesichtspunkten eine „neue Zeitrechnung“ begonnen. Das Prädikat „Biosphärenpark“ erlaubt der Region, ein eigenes Profil zu ent-wickeln und sich klarer im Wettbewerb zwischenden unterschiedlichen Tourismuszielen zu positionieren. Was bis dato als Nachteil emp-funden wurde – etwa der im Vergleich zu den Nachbarregionen sehr geringe Erschließungs-grad mit ausgedehnten Skigebieten – stellt sich nun als Vorteil heraus. Denn intakte Natur und Landschaft sind das wesentliche Kapital für die Entwicklung eines „sanften Tourismus“.

(Umwelt)bildung im Großen Walsertal

Wilde Walser Wege – Erlebnistage für Schulklassen

Natur entdecken im Walsertal:Die Schullandwoche ist ein Aben-teuer, das vor allem Spaß macht.Photo: BSP-Management Großes Walsertal

Landwirte aktiv im Ökotourismus:Exkursionsbetriebe

Die Schüler begeben sich auf Wilde Walser Wege.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

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109Bildungsarbeit

Die Berge werden hier nicht zum Erlebnis-park degradiert. Vielmehr setzen die Talbe-wohner darauf, ihre Gäste mit den Natur-schönheiten zu begeistern und sie über Ge-schichte, Kultur und Brauchtum der Region zu informieren. Damit zielen die Walser genauins Schwarze: Laut einer Reisemarktanalyse der Schweiz aus dem Jahr 2002 gehört das Erleben von Landschaft und Natur zu den wichtigsten Reisemotiven.

In Zusammenarbeit mit der Umweltabteilungdes Landes Vorarlberg initiierte das Biosphä-renpark-Management 2002 das Pilotprojekt „Gesamtbetrieblicher Naturschutzplan“. Damit sollte das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten und extensiven Landwirtschaft, kurz ÖPUL, in der Bergbauernregion beispielhaft umgesetzt werden. 28 Betriebe nahmen an dem Projekt teil. Diese Betriebe verzichten auf den Einsatz von künstlichem Dünger, die Silageproduktion sowie die Verfütterung von gentechnisch ver-ändertem Futter und praktizieren den abge-stuften Wiesenbau mit einem Mosaik aus extensiv, mäßig intensiv und intensiv genutzten Wiesen. Das Pilotprojekt hat zum Ziel, die Landwirte für die Belange des Naturschutzes und die ökologischen Auswirkungen ihrer Bewirtschaftung zu sensibilisieren. In zwei Seminaren erklärten Experten auf ausgewähl-ten Flächen, welche Wiesentypen im Großen Walsertal vorkommen und wie die ökonomi-schen (möglichst viel und gutes Futter) und ökologischen (hohe Artenvielfalt) Anforde-rungen bei der Nutzung dieser Bergwiesen zu vereinen sind. Themen der Fortbildung waren unter anderen der Umgang mit Dünger, die regulierende Wirkung von Beweidung, das geeignete Saatgut sowie die Problempflanzen im Wiesenbau. Weiters wurde die Artkenntnisder Landwirte geschult. Jeder Teilnehmer erhielt eine Naturschutzplanmappe mit Por-träts von ausgewählten Tier- und Pflanzen-

arten, die auf den jeweiligen Wiesen vorkom-men, darunter Horn-Klee (Lotus corniculatus), Berg-Waldhyazinthe (Platanthera chlorantha) oder Kreuzotter (Vipera berus). Damit wurde bei den Bergbauern ein Bewusstsein für die Naturschätze geweckt, die eine extensiv bewirt-schaftete Wiese zu bieten hat. Mit diesem Wissen erschloss sich für die Landwirte eine neue Einkommensquelle: Neun Naturschutz-planbetriebe öffneten ihren Hof für interes-sierte Gäste und geben damit einen Einblick in ihre tägliche Arbeit. Die Angebote reichen von Betriebsführungen, Alpbesuchen bis hin zu naturkundlichen Wiesenexkursionen. Damit wird die Kulturlandschaft im Biosphärenpark erlebbar gemacht. Die Besucher erfahren, wie Bergbauern gesunde Nahrungsmittel produ-zieren und dabei gleichzeitig helfen, die Arten-vielfalt zu erhalten.

In der Gemeinde Blons begeistert Dr. Walter Dietl die Teilnehmer des Pilotprojektes „Landwirtschaftliche Exkursionsbetriebe“ für die Artenvielfalt der Bergwiesen.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Typische Blumenwiese im Großen Walsertal: Neben Gold- und Glatthafer blühen Margariten und Wiesenglockenblumen.Photo: Biosphärenpark-Management Großes Walsertal

Die neun Exkursionsbetriebe werden in einer Broschüre vorgestellt.

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„Walserherbst“ – Kultur verbindet

Das Große Walsertal zeichnet sich neben seinen Naturschönheiten vor allem durch die eigenständige Kultur, Philosophie und den Stolz seiner Bewohner aus. Im „Walserherbst“präsentierte sich das Tal drei Wochen lang mit einem vielfältigen Angebot an Kunst, Natur und Kulinarischem und knüpfte damit an die Leitidee des Biosphärenparks an wonach es Ziel ist, „das Große Walsertal durch sinnvolles Zusammenwirken der Bereiche Gesellschaft,Wirtschaft, Ökologie und Kultur als einen wertvollen Lebensraum und eine starke Regionfür zukünftige Generationen zu erhalten und weiterzuentwickeln.“ Das Festival zwischen „Tradition und Innovation“ bot Eindrücke, die das Große Walsertal in der Vielschichtig-keit seiner Natur- und Lebensräume, seiner Tradition und Geschichte zeigten. Auf dem Programm standen Jodel- und Schreibwork-shops, eine internationale Dokumentar- und Spielfilmreihe zum Thema Heimat, Klang-kompositionen in den Walser Bergkirchen, Fotoausstellungen von Nikolaus Walter und Jörg Heieck, Theateraufführungen sowie ein Praxisseminar „Wildgemüse“. Auf dem Herbstmarkt in Thüringerberg waren kulina-rische und kunsthandwerkliche Produkte aus der Region erhältlich. Mit dem Festival sollte jedoch nicht nur Raum für die Begegnung

und Auseinandersetzung mit dem Eigenen, sondern auch mit dem Fremden geschaffen werden. So konnten sich die Teilnehmer in afrikanischem Lehmhausbau oder in der aus-tralischen Nationalsportart „Australian Rules Football“ üben. Gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung stellten die Veranstalter eine unverfälschte Beziehung zum eigenen Brauch-tum her und ermöglichten gleichzeitig die Begegnung mit anderen Kulturen. Auch Men-schen von außerhalb sollten neugierig werden auf das ursprüngliche, traditionsbewusste Tal und seine Bewohner, die sich der Welt öffnen und ihre Gastfreundschaft zeigen.

Der „Walserherbst“ wird von Sieglinde Müller-Eberhart, Dietmar Nigsch und Michael Mäser (von links) organisiert. Das Festival fand von 28.08. bis 19.09.2004 im Großen Walsertal statt.

Beispiele aus der Praxis

Nikolaus Walter arbeitet als freischaffender

Photograph in Vorarlberg. Er ist bekannt für

langfristige dokumentarische Projekte mit

hohem Symbolcharakter. Mit seinem aktuellen

Werk „Steiles Erbe – Das Große Walsertal,

Photographien aus 25 Jahren“ (l.) zeichnet

er ein faszinierendes Bild des Lebens

der Menschen im Walsertal. Während

des Festivals wurden Auszüge aus dieser

Photoserie in einer Ausstellung gezeigt.

Photo: Nikolaus Walter

Photo: Dietmar Nigsch

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Biosphärenparks – Instrumente für die Integration unterschiedlicher Schutzkategorien – Beispiel Neusiedler See

Der Neusiedler See blickt nicht nur auf eine sehr lange Naturschutzgeschichte zurück, er vereinigt auf seiner Fläche auch eine Vielzahl von Schutzkategorien. Bereits 1932 stellte die neu gegründete Republik Österreich den einzig-artigen See als „Banngebiet“ unter Schutz. 30 Jahre später wurde er per Verordnung als Naturschutzgebiet, die Flächen östlich und westlich des Sees als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Ab den 1970er Jahren folgte die Ernennung zum Biosphärenpark (1977), späterzum Ramsar Gebiet (1982), zum Biogeneti-schen Reservat (1988), zum Nationalpark Neu-siedler See-Seewinkel (1993) und zum Natura2000-Gebiet (2000). 2001 nahm die UNESCOdie grenzüberschreitende Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See schließlich als Weltkul-turerbestätte in das „World Heritage“-Netz auf. In diesem Zusammenhang entstand 2003 ein Managementplan für die Region. Um die Liste der Schutzgebietskategorien „komplett“zu machen, gibt es derzeit konkrete Pla-nungen, die Flächen westlich des Sees zum „Naturpark Neusiedler See-Leithagebirge“ zusammenzufassen. Die erforderlichen Unterlagen wurden bei der Burgenländischen Landesregierung eingereicht – noch dieses Jahr ist mit einer Genehmigung zu rechnen.

Die Naturparkplanungen sind nur eine von ver-schiedenen Initiativen, die sich mit der nach-haltigen Entwicklung der Region beschäftigen.

Bereits im Jahr 1994 legte Prof. Gälzer das „Regionale Landschaftskonzept Neusiedler See-West“ vor und zeigte damit das ökologi-sche Potential der Acker- und Weinbauland-schaft westlich des Sees sowie deren Bedeu-tung als Erholungs- und Wirtschaftsraum auf. Seither wird an Konzepten gearbeitet, um langfristig alte Ortskerne zu erhalten, den Verkehr zu reduzieren und die Landwirtschaft mit dem Tourismus zu verknüpfen.

„ Biosphärenreservate – wie

maßgeschneidert für die

Integration verschiedener

Schutz- und Nutzungs-

interessen ... “

Acht Schutzkategorien existieren im Gebiet Neusiedler See –

bald gibt es die neunte:

Seit 1932 ist der Neusiedler See Landschafts- und Naturschutzgebiet

(1932 wurde er als Banngebiet ausgewiesen, ab 1962 per eigener

Natur- und Landschaftsverordnung unter Schutz gestellt)

1977 Ausweisung des Neusiedler Sees mit seinem Schilfgürtel als

UNESCO-Biosphärenpark (~25.000 Hektar)

1982 Nominierung des Neusiedler Sees und der Lacken im

Seewinkel als Ramsar-Gebiet (~60.000 Hektar)

Seit 1988 Biogenetisches Reservat

1993 Gründung des grenzüberschreitenden Nationalparks

Neusiedler See-Seewinkel (~33.000 Hektar in Österreich und Ungarn)

2000 Ausweisung als Natura 2000-Gebiet (~41.735 Hektar)

2001 Aufnahme der grenzüberschreitenden Kulturlandschaft Fertö/

Neusiedler See als Weltkulturerbestätte der UNESCO (~75.000

Hektar in Österreich und Ungarn)

Ab 2005 voraussichtlich „Naturpark Neusiedler See-Leithagebirge“

Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

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Ausgehend von den unterschiedlichen Ansät-zen, den besonderen Kulturraum zu erhalten, stellt sich die Frage, ob die Steppenlandschaft durch die Vielzahl an Schutzgebietskategorienausreichend geschützt ist. Nutzungskonfliktetreten derzeit vor allem im Bereich des LKW-Transitverkehrs entlang des Westufers auf. Der Ausbau des Straßennetzes, beispielsweise der geplante Bau der Schnellstraße nach Schützen oder das Anlegen von Überholspu-ren zwischen Jois und Winden, führen zur weiteren Zerstückelung der Landschaft. Ferner trägt der Schwerverkehr entlang der Bundes-straße 50 zwischen Neusiedl am See und Eisen-stadt maßgeblich zur hohen Schadstoffbelas-tung in der Region bei. Auch die Siedlungs-entwicklung ist problematisch. Das Burgen-land gehört zu den Ländern mit der höchsten Wohnbauförderung in Österreich. So ent-standen bis noch vor wenigen Jahrzehnten im Schilfgürtel zahlreiche Zweitwohnsitze, neue Feriensiedlungen wurden angelegt.

Keine einzige Schutzkategorie kann den Erhalteines Gebietes über lange Zeiträume und poli-tische Richtungswechsel hinweg garantieren. Auch viele Schutzkategorien, die sich in einer Region konzentrieren, vermögen dies nicht zu leisten. Gerade der Nationalpark Neusied-ler See-Seewinkel ist jedoch ein international bekanntes Schutzgebiet und beliebtes Ziel für Einheimische, Urlaubsgäste, Tagestouristenund Vogelliebhaber. Solch werbewirksame Imageträger verhindern zumindest, dass der Artenreichtum der Region kurzfristigen Inter-essen geopfert wird. Die Existenz der anderenKategorien ist in der Region weitaus weniger bekannt. Generell sind die eigentliche See-fläche, der Schilfgürtel sowie Gebiete südlich und südöstlich des Sees als Naturschutzgebiet,Nationalpark und Ramsargebiet unter stren-geren Naturschutz gestellt. Die Erhaltung der Artenvielfalt sowie Forschung und Bildung genießen hier oberste Priorität (siehe Spinnen-

diagramme auf Seite 113). In den Gebie-ten westlich des Sees stehen hingegen mit den Kategorien Landschaftsschutzgebiet, Welt-kulturerbestätte und dem geplanten Naturparkeher Instrumente der nachhaltigen Regional-entwicklung zur Verfügung. Hier werden Landwirtschaft und Tourismus noch in klei-nen Strukturen betrieben, häufig ist die Ver-mietung von Zimmern nur ein zweites Stand-bein neben dem Wein- oder Gemüseanbau.

Entscheidend für die Erhaltung der gesamtenRegion als Natur- UND Wirtschaftsraum ist vor allem die enge Zusammenarbeit zwischen den Schutzgebieten, auch wenn – oder gerade weil – sie teilweise unterschiedliche Interessen verfolgen. Bisher fehlt jedoch eine Koordina-tionsstelle zur Förderung der Kommunikation und Kooperation zwischen den jeweils Ver-antwortlichen. Das Konzept der UNESCO-Biosphärenreservate scheint für genau diese Aufgabe wie maßgeschneidert zu sein. Doch im Falle des Neusiedler Sees umfasst der exis-tierende Biosphärenpark lediglich den See mit seinem Schilfgürtel – und damit die kleinste Fläche aller vorhandenen Schutzkategorien.Ausreichende Managementstrukturen fehlen, das Prädikat existiert lediglich auf dem Papier,wird aber real nicht umgesetzt. In erweiterter Form könnte ein Biosphärenpark vom Leitha-gebirge bis zum Seewinkel und in südlicher Richtung grenzüberschreitend nach Ungarn eine sinnvolle Klammer um die Vielzahl der Schutzkategorien bilden und – mit geeigneten Managementstrukturen – die Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen fördern und ge-wünschte Synergieeffekte herbeiführen. Denn eine mit Leben gefüllte UNESCO-Modellregioneröffnet ihrer Bevölkerung große Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg bei gleichzeitig hoher Lebensqualität. Aus einem koordinier-ten Nebeneinander von Naturschutz, Touris-mus, Wein-, Acker- und Gemüsebau erwach-sen neue Perspektiven für die gesamte Region.

Beispiele aus der Praxis

Der Nationalpark Neusiedler See ist ein international bekanntes Schutzgebiet und beliebtes Ziel für Touristen und Vogelliebhaber.Photo: Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel

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Der Neusiedler See und seine Umgebung unterliegen den Richtlinien von acht verschiedenen Schutzkategorien, deren Flächen sich teilweise überschneiden. Noch dieses Jahr kommt mit dem Naturpark Neusiedler See-Leithagebirge eine neunte Kategorie hinzu. Ausgehend von den unterschiedlichen Schutzkonzepten sind Interessenskonflikte unvermeidbar. Ein erweiterter Biosphärenpark Neusiedler See könnte eine sinnvolle Klammer um die existierenden Schutzgebiete bilden, die Kommunikation und Zusammenarbeit fördern und so ein kleinräumiges Nebeneinander von Naturschutz und Entwicklung sowie den langfristigen Erhalt der Kulturlandschaft ermöglichen.Graphik: Sigrun Lange (Bewertung der Schutzgebietsprioritäten siehe Anhang ab Seite 122. Die Spinnendiagramme wurden auf Basis der Einschätzung des Umweltdachverbandes erstellt: primäre Zielsetzung: 4, sekundäre Zielsetzung: 3, mögliche beinhaltete Ziele: 2, nicht maßgeblich: 1).

Instrumente der Integration

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Forschung und Umweltmonitoring in Biosphärenparks

Biosphärenreservate

geben Antworten auf

wichtige Fragen der

Menschheit ... “

Biosphärenreservate sind in vielerlei Hinsicht Testgelände für ein ausgewogenes Miteinandervon Mensch und Natur. Neben ihrer Aufgabe,die biologische Vielfalt langfristig zu erhalten und die Regionen im Sinne der Nachhaltigkeitzu entwickeln, dienen sie auch als weltweitesForschungs- und Monitoringnetz. Es gibt sie auf allen Kontinenten der Erde – von den Tropen bis nach Alaska, von Meeresniveau

bis hinauf in schwindelnde Höhen. Der unter-schiedliche Charakter und ihre Einteilung – je nach Grad der menschlichen Nutzung – in Kern-, Puffer- und Entwicklungszonen macht sie zu idealen Umweltbeobachtungsstätten, in welchen die Rolle des Menschen in der Natur untersucht werden kann. Weiters dienen sie als Frühwarnsysteme für die Reaktion der Öko-systeme auf globale Umweltveränderungen.

Obergurgl zählt heute zu den führenden Tourismusorten im Alpenraum. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten im damals sehr abge-legenen Gurgler Hochtal nur etwa 16 bäuer-liche Familien. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte jedoch ein regelrechter Tourismusboom ein. In den 1970er Jahren kamen jährlich etwa 40.000 Gäste. Zwischen 280.000 und 300.000 Nächtigungen wurden verbucht. Die Einhei-mischen setzten voll auf Tourismus und gelang-ten dabei zu Wohlstand. So wie heute bestimm-ten damals bereits Skipisten, Lifte und Hotels das Orts- und Landschaftsbild entscheidend mit.

Zu dieser Zeit, genau im Jahr 1973, wurde Obergurgl unter neun weiteren europäischen Forschungsstandorten als Modellort des damalsneu etablierten und groß angelegten MAB-Programms der UNESCO ausgewählt. Das so genannte „MAB6-Projekt“ konzentrierte sich auf die Rolle des Menschen in der Natur

und seinen Einfluss auf die unterschiedlich genutzten Hochgebirgsökosysteme. Am Bei-spiel des Ötztaler Dorfes sollte als einer der österreichischen Beiträge zum MAB-Programmdas weltweite Problem – rasches Wachstum angesichts zunehmender Ressourcenverknap-pung – in einem überschaubaren Rahmen untersucht werden. Ausgelöst durch die berühmte Studie über die „Grenzen des Wachstums“ (sie entstand 1972 auf Initiative des „Club of Rome“ und wurde von Wissen-schaftlern des „Massachusetts Institute of Technology“ erstellt), kamen nach der Boom-Stimmung der 1960er Jahre erste Zweifel an einer endlosen Fortsetzung des Tourismus-wachstums auch in Österreich hoch. Am „Mikrokosmos“ Obergurgl schien es möglich zu sein, die Grenzen der Belastbarkeit von Hochgebirgsökosystemen und deren Nutzung repräsentativ auszuloten – so der Forschungs-ansatz. Nach intensiver Überzeugungsarbeit

Forschungsprojekt Obergurgl – ein Vorzeigeprojekt im MAB-Programm

Prof. Walter Moser war die „Seele“ des MAB6-Projektes. Nach seiner Berufung an die Universität von Alberta, Kanada, er-hielt er beim Abschieds-fest in Obergurgl als Geschenk ein Bild vom Gurgler Kamm.

Photo: Christian Plössnig

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115Forschung und Monitoring

in Gemeindeversammlungen gelang es dem Initiator und wissenschaftlichen Manager des Projektes, Dr. Walter Moser, einem gebürtigen Ötztaler und Assistent an der Alpinen For-schungsstelle Obergurgl der Universität Inns-bruck, die Bevölkerung für das Forschungs-projekt zu gewinnen. Zuerst wurde anhand vorhandener Daten ein Computermodell er-arbeitet, um Wissenslücken aufzudecken und klare Forschungsziele zu definieren. Botaniker,Zoologen, Bodenkundler, Meteorologen, Geographen, Soziologen, Wirtschaftswissen-schaftler und Raumplaner trugen aus ihren jeweiligen Disziplinen viele Mosaiksteinchen zusammen. Mit fast 150 Variablen – von der Parkplatzfläche bis zur Geburtenrate der Gämsen – simulierten die Forscher am Com-puter insgesamt 30 Entwicklungsszenarien, die einen Zeitraum von 50 Jahren umfassten. Während des ersten internationalen Work-shops am „International Institute for Applied System Analysis“ in Laxenburg bei Wien, einer der damals weltweit führenden Forschungs-stätten für Systemanalyse, diskutierten in- und ausländische Forscher mit Obergurgler Hotelbesitzern anhand des Modells über die Zukunft des Ortes. In diesem Fall fand Wis-senschaft nicht im Elfenbeinturm statt, das Projekt war vielmehr ein realer Treffpunkt für alle Interessierten. Um die Forschungsar-beiten zu koordinieren, wurde dieses MAB6-Vorhaben von einer Kommission gesteuert,der alle Projektleiter sowie je ein Vertreterder Gurgler Bevölkerung und des Amtes der Tiroler Landesregierung angehörten. Die Kommission legte die Forschungsaktivitätenfest und verteilte die finanziellen Mittel. Zu den Forschungsergebnissen gehörte beispiels-weise die Erkenntnis, dass mit zunehmender Erschließung der Berghänge die Birkhuhn-dichte abnimmt und das Auerhuhn vollständigverschwindet. Botaniker wiesen nach, dass die rasenbildende Krummsegge mechanischen Belastungen durch Skipisten und Betritt zwar lange standhält, im Falle einer Zerstörung

aber viele Jahre braucht, um eine neue Gras-decke aufzubauen und damit Erosion zu ver-hindern. Meinungsforscher ergründeten mit Fotomontagen, wie stark ein Dorf verbaut werden kann, bis die „Schmerzgrenze“ für Gäste und Einheimische erreicht ist. Hierbei wurde einmal mehr deutlich, dass von vorn-herein nur wenig lawinensicheres Bauland zur Verfügung stand und alle weiteren touristischenErschließungen diesen wesentlich limitieren-den Faktor zu berücksichtigen hatten, sollten Fehlinvestitionen vermieden werden.

Das Modell wurde später auf die wichtigsten Komponenten reduziert und auf einem zwei-ten Workshop präsentiert. Dieser entfachte intensive Diskussionen unter den Einwohnernüber die Zukunft des Tourismusortes. Es kam zu einem Baustopp, der fünf Jahre anhielt und Raum für wohlüberlegte Planungsmaß-nahmen schuf. Hotelbesitzer investierten

Hatten frühere Generationen in Obergurgl weit unterhalb damals

üblicher Lebensqualität gelebt, so ermöglichte der Tourismus in

kurzer Zeit den Aufstieg zu Wohlstand. Es war ein kurzer Schritt

vom „Überleben“ zum „wirtschaftlichen Erfolg“. Nachdem

Grenzen des Wachstums sichtbar wurden, stand die Bevölkerung

vor der Frage, wie „Leben und Wirtschaften“ unter Beachtung der

vorhandenen Begrenzung an Ressourcen möglich ist. Das MAB6-

Projekt trug zweifellos dazu bei, auf langfristige Stabilität zu setzen

und Rücksicht auf Natur und Landschaft zu fördern.

Abbildung aus der Chronik des MAB6-Projektes von Prof. Walter Moser.

„Glaubst du wirklich, ihr könnt unser Leben ändern und uns sagen, was wir zu tun haben?“ – Kommentar eines Obergurgler

Bürgers zum MAB6-Programm.

Die alpinen Rasen im Gurgler Hochtal werden vor allem von der Krummsegge gebildet. Das Sauergras hält mechanischer Belastung lange stand – ist die Grasdecke jedoch einmal zerstört, so ist der Boden der Erosion preisgegeben.Photo: Franz Michael Grünweis

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zunehmend in Qualität statt in Quantität. Es folgte ein Flächenerschließungsplan für Ober-gurgl, der die Zersiedlung des Geländes ver-hindern sollte. Skipisten wurden begrünt, eine biologische Kläranlage errichtet und der Privatverkehr im Ortsbereich eingeschränkt. Der Fremdenverkehrsverein unterstützte die Bauern finanziell, um die Viehhaltung zu erhalten. 1977 wurde der „Gurgler Kamm“ in das internationale Netzwerk der UNESCO-Biosphärenreservate aufgenommen. Damals hatte das Konzept primär die Funktion, welt-weit Forschungsstätten für die Dokumentationder Auswirkung menschlicher Nutzungsaktivi-täten zu schaffen. Für diesen Zweck sowiezur Koordination aller wissenschaftlichen Arbeiten im Raum Obergurgl wurde ein Arealplan erstellt und am Rechenzentrum der Universität Innsbruck eine Datenbank „AFODAT“ eingerichtet. Vier Jahre später erklärte die Tiroler Landesregierung die Ötz-taler Alpen zum „Ruhegebiet“.Auch wenn viele Forschungsthemen grund-lagenorientiert waren, gelang es dem MAB6-Projekt also, im Ort direkt und indirekt be-achtet zu werden. Eine Synthese des gesamtenProjektes, die als Modell für ähnliche Fälle zur Verfügung stehen sollte, konnte jedoch nicht zu Ende geführt werden. 1979 erhielt Dr. Moser auf Grund seiner früheren botanischen For-schung im Projekt „Hoher Nebelkogel“ des Internationalen Biologischen Programms einen Ruf als Professor für Pflanzenökologie an die Universität von Alberta und übersiedelte nach

Edmonton in Kanada. Somit ging gewisser-maßen die „Seele“ des Projektes verloren. Auf Weisung des Bundesministeriums für Wissen-schaft und Forschung musste das Gesamtpro-jekt im Sommer 1979 aus finanziellen Gründen abgeschlossen werden. Zu den naturwissen-schaftlichen Arbeiten lagen umfangreiche Ergebnisse vor, laufende humanwissenschaft-liche Untersuchungen konnten aber nicht vollendet werden. Das „MAB6-Projekt Ober-gurgl“ betrat als eines der ersten Vorhaben des UNESCO-Programmes Neuland. Seither gilt es weltweit als einer der „Meilensteine“ der-artiger Forschung. Von Anfang an wurde die ortsansässige Bevölkerung in die Projektarbeit einbezogen, also der Brückenschlag zwischen Forschung und Anwendung versucht. Dem-entsprechend war das Interesse der Medien groß: Zahlreiche Berichte erschienen in in- und ausländischen Zeitungen, mehrere Fern-sehsender berichteten über die Aktivitäten. Viele Veranstalter wissenschaftlicher Tagungenin Europa und Übersee luden zu Vorträgen über das Projekt. Das Obergurgler Tourismus-marketing nutzte die Chance und bewarb Obergurgl als Modellort der UNESCO auf schwarz-gold bedruckten Prospekten. Ganz im Sinne des MAB-Konzeptes trug das Projekt dazu bei, MAB-Forschungsregionen als Test-gelände für ein Miteinander von Mensch und Natur zu nutzen, wissenschaftliche Erkennt-nisse in die Praxis umzusetzen und somit die Prioritäten von un-eingeschränktem Wachs-tum auf langfristige sozioökonomische und ökologische Stabilität zu verschieben. 1979 kam es zu einer Umorientierung der For-schung in Obergurgl und damit wurde es auch um das Biosphärenreservat still. Mit der Formulierung der Sevilla-Strategie durch die UNESCO tritt nun die Frage in den Vorder-grund, inwieweit das Biosphärenreservat „Gurgler Kamm“ angepasst werden kann und welche Art von Forschung in enger Zusam-menarbeit mit der Bevölkerung zweckmäßig und für beide Seiten gewinnbringend ist.

Im Forschungsprojekt Obergurgl gelang der Brückenschlag zwi-schen Forschung und Anwen-dung. So konnten die Prioriäten von uneingeschränktem Wachs-tum auf langfristige Stabilität verschoben werden.Photo: Franz Michael Grünweis

Heute stellt sich die Frage,welche Art von Forschung im Biosphärenpark sinn-voll und zweckmäßig ist.Photo (u.): Georg Grabherr

Beispiele aus der Praxis

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116

Hochgebirgsseen als Indikatoren für globale Umweltveränderungen

Prof. Dr. Roland Psenner vom LimnologischenInstitut der Universität Innsbruck betrachtet Hochgebirgsseen als besonders sensible Indi-katoren für globale Umweltveränderungen.Unter dem Stichwort „Global Change“ ver-stehen viele vor allem den „Treibhauseffekt“.Der Innsbrucker Forscher verbindet damit aber nicht nur die Erhöhung der mittleren Luft-temperaturen und eine Änderung des Wetter-geschehens, sondern auch die Zunahme der UV-Strahlung sowie den Eintrag von Säuren und giftigen Substanzen, die sich – wie beispiels-weise DDT – gerade in den kalten Regionen der Erde verstärkt anreichern. Hochgebirgs-seen gehören zu den wenigen Ökosystemen, die bis heute – mit Ausnahme des Fischbesat-zes – von direkten menschlichen Eingriffenverschont geblieben sind. Von Vorteil ist, dass sie sehr schnell auf unterschiedliche Klima-bedingungen oder Stoffeinträge reagieren und die Zeugnisse der Vergangenheit über lange Zeit in ihren Sedimenten speichern. Der Gos-senköllesee, auf 2400 Metern in den Stubaier Alpen gelegen, steht seit etwa 30 Jahren im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Um das Gebiet für die wissenschaftlichen Unter-suchungen langfristig zu erhalten, erklärte die UNESCO den Hochgebirgssee mit seinem Einzugsgebiet im Jahr 1977 zum Biosphären-park. Dank der „Limnologischen Forschungs-station Kühtai“ am Rande des Gewässers wurde der See zu einem Zentrum der alpinen Forschung innerhalb der Europäischen Union. Regelmäßig werden hier Klima- und hydrolo-gische Daten aufgezeichnet. Für umfangreichere Analysen steht ein kleines Labor zur Verfügung.

Klimaerwärmung kontra Versauerung In den 1980er Jahren war der saure Regen das Thema Nummer eins der wissenschaftlichen Untersuchungen. Kieselalgen, die sehr empfind-lich auf Umweltveränderungen reagieren, dienten als wichtige Bioindikatoren. Mit Hilfe der im Sediment abgelagerten Kieselalgen-

schalen ließen sich Rückschlüsse auf den Säu-regehalt (pH-Wert) des Gewässers zum Zeit-punkt ihrer Ablagerung ziehen – und damit die Umweltbedingungen der letzten 200 Jahre rekonstruieren. Dabei erkannten die Forscher, dass die Versauerung in den Alpen weniger stark ausgeprägt war als in nördlichen Regio-nen (Norwegen, Schottland), aber stärker als in südlicheren Gebirgen wie den Pyrenäen. Ein Grund dafür ist der Saharastaub, der in den Pyrenäen die Säure zu 100 Prozent puffert,in den Alpen nur mehr zu etwa 20 bis 30 Pro-zent und in Norwegen überhaupt nicht mehr zum Tragen kommt. Weiters ergab sich aus den Forschungen die Schlussfolgerung, dass die Klimaerwärmung der Versauerung von Hoch-gebirgsseen entgegenwirkt. Seit Mitte der 1980er Jahre nahm der pH-Werte einiger Hoch-gebirgsseen kontinuierlich zu, weil der Eintrag von Säuren aus der Atmosphäre größer war als ihre Pufferkapazität durch Gesteinsverwitte-rung. Im selben Zeitraum stieg die mittlere Lufttemperatur um etwa ein Grad Celsius. Am Gossenköllesee führte die rasche Klima-erwärmung nicht nur zu einem früheren Ab-schmelzen der Eisdecke auf dem See, sondern auch zum Verschwinden der permanentenSchneefelder im Einzugsgebiet. In der Folge stiegen die Temperaturen auf den Gesteins-oberflächen, die Verwitterung nahm zu. Die zusätzlich eingetragenen Stäube und Nähr-stoffe neutralisierten den Säureeintrag im

In den 1980er Jahren ge-hörte der saure Regen zu den wichtigsten Umweltthemen. Mit Hilfe von Meßreihen an Hochgebirgsseen, wie hier am Gossenköllesee, kann der Eintrag von Säuren beobach-tet werden. Photos (o./u.): Roland Psenner

117Forschung und Monitoring

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farblosen Substanzen nicht selber herstellenkann, nimmt er sie mit der Nahrung über Algen auf. Schon bald stellte sich die Frage, ob der natürliche Sonnenschutz auch vom Menschen genutzt werden könnte. Versuche mit Mäusen zeigten bisher jedoch keine Er-folge, die wertvollen Verbindungen wurden schlichtweg verdaut. Realistischer wäre die äußere Anwendung als „Sonnenmilch“. Soll-ten die UV-Blocker für den Menschen von Nutzen sein, so müsste es Forschern erst gelingen, die MAA im Labor nachzubauen.

Die Beispiele zeigen, dass Biosphärenreservate wie der Gossenköllesee wichtige Daten zur Umweltbeobachtung liefern und unser Ver-ständnis für die Reaktion von Ökosystemen auf veränderte Umweltbedingungen vertiefen.Wichtig ist dabei aber vor allem die inter-nationale Forschungsvernetzung, um vergleich-ende Studien zu ermöglichen und langfristige Trends zu erkennen. Der Gossenköllesee ist an zahlreichen internationalen Projekten beteiligt. Beispielsweise nahm er in der MOLAR-Studie (Mountain Lake Research, 1997–1999), in welcher Hochgebirgsseen aus 13 europäischen Ländern verglichen wurden, eine zentrale Stellung ein. Im Rahmen der GLOCHAMORE-Initiative wurde er als eines von 26 Biosphärenreservaten weltweit als wichtige Monitoringstätte ausgewählt (siehe Seite 53).

Mycosporinartige Aminosäuren (MAA) absorbieren kurzwellige Strahlung (300-340 nm).Der Ruderfußkrebs am Gossen-köllesee schützt sich mit Hilfe von MAA vor der gefährlichen UV-Strahlung im Hochgebirge.

Gossenköllesee. Damit wirkte die Erderwär-mung der durch Luftverschmutzung beding-ten Versauerung entgegen.

UV-Schutz aus HochgebirgsseenEin weiteres spannendes Forschungsfeld ist das Überleben von Organismen in einer Umweltmit intensiver UV-Strahlung. Bedingt durch ihre Lage über der Baumgrenze und den geringen Gehalt an gelösten organischen Stoffen, sind alpine Gewässer allgemein einer sehr hohen UV-Belastung ausgesetzt. Verschärftwird die Situation derzeit durch die veränder-ten Klimabedingungen und die schwindende Ozonschicht in der Stratosphäre – weithin bekannt als „Ozonloch“. Für die Forscher stellte sich die Frage, wie die Lebewesen der hochalpinen Gewässer auf die erhöhte Strah-lenexposition reagieren. Am Gossenkölleseewar ein winziger Ruderfußkrebs (Cyclops abys-sorum tatricus) das wichtigste Untersuchungs-objekt. Das ein bis zwei Millimeter große Tier schützt sich vor einigen schädlichen Wirkun-gen der Sonnenstrahlung durch Karotine, die ihm eine knallrote Farbe verleihen. Dies wurde ihm zum Verhängnis, als Kaiser Maxi-milian vor rund 500 Jahren die Seen mit Forellen besetzte. Auf Grund der auffälligenFärbung war er ein leichtes Opfer. Überlebthat der Krebs nur, weil seine Eier den Fisch-darm passieren, ohne dabei zerstört zu werden. Überrraschend war, dass Cyclops weitere, für das menschliche Auge unsichtbare Substanzen enthielt, nämlich mycosporin-ähnliche Aminosäuren, kurz „MAA“ genannt. Mykosporine wurden in den 1960er Jahren erstmals bei Pilzen entdeckt. Es handelt sie dabei um ringförmige Moleküle, die äußerst stabil sind und UV-A- und UV-B-Strahlung absorbieren. Bekannt war ihr Vorkommen bisher nur in Meeresorganismen. Die Entde-ckung der MAA in Hochgebirgsseen durch das Team von Prof. Sommaruga (UniversitätInnsbruck) erregte großes Aufsehen in der Öffentlichkeit. Da der Ruderfußkrebs die

In der Limnologischen Station Kühtai können sechs Forscher gleichzeitig arbeiten und leben.Photo: Roland Psenner

118 Beispiele aus der Praxis

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Nutzungskonflikte

Gossenköllesee – Liftanlagen kontra Forschung und Naturschutz

119Nutzungskonflikte

Der Biosphärenpark Gossenköllesee erstreckt sich auf einer Höhe zwischen 2400 und 2800Metern in den Stubaier Alpen. Kurz vor der Grenze des Schutzgebietes endet der Schwarz-mooslift. Doch kaum einer der Skifahrer weiß, dass sich nur wenige Meter neben der Liftsta-tion – versteckt hinter einem Moränenwall – eine Drehscheibe der europäischen Hochge-birgsforschung befindet: die Limnologische Station der Universität Innsbruck. Hier, am Ufer des Sees, untersuchen Wissenschaftler seit 1975, wie Gewässer auf globale Umwelt-veränderungen reagieren. Für einen Zeitraum von etwa 30 Jahren stehen Daten zu Klima und Hydrologie zur Verfügung. Durch die groß-zügige Renovierung und den Ausbau im Jahr 1994 erlangte die Station internationale Bedeu-tung. Eine große Anzahl von Diplomarbeiten und Dissertationen wurde hier abgeschlossenund deren Ergebnisse in renommierten Jour-nalen publiziert. Zahllose Beiträge erschienen auch in Printmedien sowie in europäischen Rundfunk- und Fernsehsendern. In die For-schungsarbeiten am Gossenköllesee flossen seit Bestehen der Station etwa 5,7 Millionen Euro. Denn Hochgebirgsseen eignen sich gut als Indikatoren für die Auswirkungen der glo-balen Veränderungen unserer Umwelt. Sie reagieren frühzeitig und sensibel auf Faktoren wie Klimaerwärmung oder Stoffeinträge. Vor-aussetzung dafür ist allerdings, dass keine direk-ten menschlichen Störungen im Gewässer oderin seinem Einzugsgebiet auftreten und eine Langzeitbeobachtung über Jahrzehnte hinweg gewährleistet ist. Die alte Forschungsstation am benachbarten Vorderen Finstertaler See musste bereits nach 16 Jahren Betrieb, im Jahr 1975, einem Staudammprojekt weichen. Wich-tige Messreihen gingen damals verloren. Heutesteht die neue Station möglicherweise wieder vor dem Aus. Ein geplantes Liftprojekt ge-fährdet den wertvollen Forschungsstandort.

Skivergnügen von Dezember bis MaiDie Betreiber der Bergbahnen in Kühtai, Österreichs höchstem Skiort, werben mit ab-soluter Schneesicherheit. Pisten ab 2020 Meternaufwärts und Beschneiungsanlagen versprechen ein durchgängiges Skivergnügen von Dezem-ber bis Mai. In Zeiten einer prognostizierten Klimaerwärmung von bis zu 5,8 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 ist dies ein entscheidender Vorteil. Rolf Bürki, der an der Universität Zürich die Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus erforscht, geht davon aus, dass tiefer gelegene Skigebiete wegen des Schneemangels bald nicht mehr wirtschaftlich

Photo (o.): Christian Plössnig, Graphik (u.): Josef Essl

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120 Beispiele aus der Praxis 121

betrieben werden können. Die Konkurrenz um die begehrten Skitouristen treibt die Bran-che bereits heute dazu, das Angebot pausen-los zu verbessern und auszuweiten. So auch in Kühtai. 34 Pistenkilometer und 12 Lift-anlagen stehen den Wintersportlern dort zur Verfügung. Dies ist nicht viel angesichts konkurrierender Gebiete wie Kitzbühel oder Hochkönig, die etwa über fünffach höhere Kapazitäten verfügen. Seit 1998 gibt es nun Pläne, das Skigebiet Kühtai zum Pirchkogel (2828 Meter) hin zu erweitern. Die neu ge-plante Lifttrasse würde das Einzugsgebiet des Gossenköllesees und damit den Biosphären-park queren.

Wirtschaftliche Entwicklung kontra Naturschutz und ForschungBiosphärenparks sind per definitionem Orte des Miteinanders von Mensch und Natur. Der uneingeschränkte Schutz der Artenvielfalt in Kernzonen ist hier ebenso gewünscht wie die Umsetzung ökonomischer Interessen in Ent-wicklungszonen. Skilifte sind deshalb in den UNESCO-Modellregionen keine Seltenheit. Im Großen Walsertal gibt es sie ebenso wie am Gurgler Kamm. Der Gossenköllesee ist mit 85 Hektar jedoch der kleinste Biosphären-

park der Welt. Er besteht lediglich aus dem unter Naturschutz stehenden See und seinem Einzugsgebiet. Eine Zonierung existiert nicht.Einziges Ziel der Nominierung des UNESCO-Gebietes im Jahr 1977 war die Erhaltung des unberührten Hochgebirgssees für langfristigewissenschaftliche Untersuchungen und Umwelt-monitoring. Deshalb würden der Bau des Liftes,die Planierung von Pisten, die Errichtung von Lawinenschutzbauten, die Abgas- und Partikel-emissionen, die Verunreinigung durch Treib- und Schmiermittel von Pistenraupen sowie die erhöhte Anzahl von Besuchern die Ziel-setzung und den Status dieses Biosphären-parks ad absurdum führen.

Mit der Novellierung der Tiroler Seilbahn-grundsätze im Jahr 1996 wies die Landesre-gierung den Pirchkogel und die Feldringer Böden als mögliche Flächen für die Erschlie-ßung neuer Skigebiete aus. Dies ermutigte die Liftbetreiber zwei Jahre später dazu, Pläne für die Erweiterung der Kühtaier Liftanlagenüber den Pirchkogel nach Silz im Inntal ein-zureichen. Mit vier neuen Liften wurde der Zusammenschluss der Skigebiete Kühtai und Hochötz-Balbach angestrebt. Den Antragstel-lern zufolge sollte damit die Verkehrssituation im Sellraintal sowie zwischen Ötz und Kühtai entlastet werden. Nach Vorlage der Pläne der Liftgesellschaft leitete das Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Umweltschutz, 1999 das Naturschutzverfahren ein. 2002 sprach sich Frau Landesrätin Christa Gangl gegen das Skiliftprojekt aus, da das „Gesamt-ausmaß der Eingriffe ein bislang einzigartiges Landschaftsbild zerstören würde und die Folgen eines solchen Eingriffs in die Natur dauerhaft und irreversibel“ wären. Es erfolgte ein negativer Bescheid der Naturschutzabtei-lung, der Fortbestand der Forschungen am Gossenköllesee war vorerst gesichert. Die Entscheidung wird seither von den Liftbetrei-bern beim Verwaltungsgerichtshof in Wien

Chronologie der Ereignisse

1959 Bau der Limnologischen Station Kühtai am Südufer des Vorderen Finstertaler Sees

1974 Ende der Forschung am Vorderen Finstertaler See: Bau eines Staudammes, Zerstörung der Station

1975 Neubau der Limnologischen Station am Gossenköllesee

1994 Renovierung und Ausbau der Station durch die TIWAG

1996 Pirchkogel wird von der Tiroler Landesregierung als Planungs- raum für die Erschließung als Skigebiet ausgewiesen

1998 Liftgesellschaft reicht Pläne zur Errichtung eines Skigebietes am Pirchkogel ein; angestrebt wird ein Zusammenschluss mit dem bestehenden Skigebiet Hochötz-Balbach im Inntal

1999 Naturschutzverfahren wird eingeleitet

2000 Umweltverträglichkeitsprüfung

2002 Ablehnung des Projektes durch Frau Landesrätin Gangl

2004 Erneute Einreichung des Projektes

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120 Beispiele aus der Praxis 121Nutzungskonflikte

bekämpft. Doch auch heute, zwei Jahre später,liegt in dieser Sache noch keine endgültige Entscheidung aus Wien vor. Die Liftbetreiber hoffen auf die veränderten politischen Struk-turen im Land. Im Falle der Erschließung aus dem Inntal könnte neben dem beliebten Wander- und Skitourengebiet rund um den Pirchkogel auch das Natura 2000-Gebiet im Talboden bei Silz gefährdet sein. Dieser Bereichdes Inntals in den Gemeinden Silz, Haiming und Stams wurde nach der Vogelschutzricht-linie ausgewiesen, um die letzten Brutgebiete des Ortolan (Emberiza hortulana) zu erhalten.

Mit der Einrichtung von Biosphärenparks er-griff Österreich die Chance, als Teil eines welt-weit koordinierten Schutzgebietsnetzes dazu beizutragen, Antworten auf die drängenden Fragen der Menschheit zu geben. Am Gos-senköllesee wird nun seit fast 30 Jahren Wissen über die Prozesse in der Vergangenheit und Gegenwart zusammengetragen mit dem Ziel, die Erkenntnisse auf die Erfordernisse der Zukunft zu übertragen. In ganz Europa gibt es nur eine solche Station wie am Gossen-köllesee. Die Verbauung des Einzugsgebietes bekommt damit eine weitreichendere Dimen-sion als die „normalen“ Erweiterungen von Skigebieten. Generell aber gilt, dass mit der Um-wandlung höchster Bergregionen in Ski-gebiete nicht nur die stille Erhabenheit einsa-mer Gipfel gefährdet ist, sondern komplexe Ökosysteme massiv beeinträchtigt werden, in denen jeder Eingriff unabsehbare Ketten-reaktionen auslösen kann.

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„Biosphärenreservate? Wie bitte? Ist das so etwas wie ein Naturschutzgebiet?“ Mit dieser oder ähnlichen Fragen wird konfrontiert,wer sich für die Modellregionen der UNESCOinteressiert. Dabei ist nicht verwunderlich, dass ein derart abstrakter Begriff in der Öffentlichkeit weit-gehend auf Unverständnis stößt. Bei näherer Be-trachtung stellt sich jedoch heraus, dass besonders die Vielzahl an unterschiedlichen Schutzkategorien zur Verwirrung beiträgt. Denn wer weiß schon, was ein „Ruhegebiet“ von einem „Nationalpark“ unterscheidet und warum in Österreich neben Naturschutzgebieten auch „Natura 2000“-Flächen existieren? Um etwas Klarheit in den Begriffswirr-warr zu bringen, folgt hier eine Übersicht über die wichtigsten nationalen und internationalen Schutz-kategorien.

Internationale Kategorien

IUCN-KategorienSeit einem Vierteljahrhundert leistet die IUCN (The World Conservation Union) Orientierungs-hilfe bei der Klassifizierung von Schutzgebieten. Das Festlegen von internationalen Standards ermöglicht den Vergleich zwischen den Ländern und fördert ein gegenseitiges Verständnis auch über Grenzen hinweg. Der erste, bereits historische Schritt war eine Definition des Begriffs „National-park“ durch die Generalversammlung der IUCN im Jahre 1969. Die in der Folge entstandenen Kategorien wurden im Lauf der Jahre immer wieder überarbeitet. Seit 2000 liegen nun sechs ein-deutig definierte und voneinander zu unterschei-dende IUCN-Schutzgebietskategorien vor, die weltweit anerkannt sind.

I. Wildnisgebiete – „Natur pur“Diese Kategorie stellt Ökosysteme unter strikten Schutz, die noch auf größeren Flächen weitgehend natürlich erhalten sind. Jegliche menschliche Ein-griffe sind verboten. Die dynamischen Prozesse zwischen Pflanzen und Tieren dürfen ungestört verlaufen. So werden wissenschaftliche Studien und Umweltbeobachtung (Monitoring) inmitten einer natürlichen Umwelt ermöglicht. Wildnisgebiete sind öffentlich nur eingeschränkt zugänglich. Be-suche dienen vor allem der Wissensvermittlung, nicht aber der Erholung im klassisch touristischen Sinn. Abgesehen vom hohen Norden fehlen derar-tige Gebiete in Europa vollständig. Auf Grund der bereits lange währenden intensiven Landnutzung und der hohen Bevölkerungsdichten sind nur auf kleinen Flächen Restbestände unversehrter Öko-systeme erhalten. Das einzige in Österreich aner-kannte Wildnisgebiet ist der etwa 500 Hektar große Urwald Rothwald südlich von Lunz am See nahe der niederösterreichisch-steirischen Landesgrenze.

II. NationalparkDie Nationalparkidee stammt aus Nordamerika. Großartige Naturlandschaften sollten vor der Erschließung bewahrt und für zukünftige Gene-rationen erhalten werden. Als erster Nationalpark der Welt entstand 1872 der „Yellowstone National Park“ in den USA. Nationalparks sichern die letz-ten Reste ursprünglicher Lebensräume. Naturschutzhat hier absoluten Vorrang. In streng geschützten Kernzonen darf sich die Natur frei entfalten. Der Verzicht auf jede wirtschaftliche Nutzung auf mindestens 75 Prozent der Fläche ist Vorausset-

V) Anhang

Schutzgebietskategorien in Österreich

International

PrädikateIUCN-Kriterien

– UNESCO Weltkulturerbe– UNESCO Biosphären- reservate

I) WildnisgebietII) NationalparkIII) NaturmonumentIV) ArtenschutzgebietV) Geschütze LandschaftVI) Ressourcenschutz- gebiet

Folgende Literatur wurde der Zusammenstellung zu Grunde gelegt:

IUCN, FÖDERATION EUROPARC (Hrsg.), 2000: Richtlinien für Management-Kategorien von Schutzgebieten. Interpretation und An-wendung der Management-Kategorien für Schutzgebiete in Europa.

UMWELTDACHVERBAND (Hrsg.), FRANZ MAIER (Autor), Feb. 2004: Branding of Different Protected Area Categories – Aufbereitung der Schutzgebietskategorien. Erstellt im Rahmen des IPAM-Projektes (Integrated Protected Area Management).

Die Spinnendiagramme wurde auf Grund der Einschätzung des Umwelt-dachverbandes erstellt. Die Schwerpunktsetzung in den jeweiligen Kategorien wird wie folgt bewertet: primäre Zielsetzung: 4, sekundäre Zielsetzung: 3, mögliche beinhaltete Ziele: 2, nicht maßgeblich:1.

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Europa

PrädikateNatura 2000

– Biogenetische Reservate

– FFH-Gebiete– Vogelschutzgebiete (Special Protected Areas)

Österreich

PrädikateGesetzgebung

– Naturpark– u.a.

– Naturschutzgebiet– Landschaftsschutzgebiet– Ruhegebiet– u.a.

zung für die Anerkennung als Schutzgebiet gemäß der IUCN-Kategorie II. Im Gegensatz zu Wild-nisgebieten steht in Nationalparks Erholung und Umweltbildung im Vordergrund. Umfangreiche Exkursionsangebote laden zum Erleben der Natur mit allen Sinnen ein. Die einzigartigen Naturland-schaften sollen Begeisterung wecken und für Natur-schutzbelange sensibilisieren. Managementpläne regeln die Nutzung der natürlichen Ressourcen und lenken die Besucherströme. In Österreich bestehen sieben Nationalparks mit einer Gesamt-fläche von rund 2.500 Quadratkilometern (etwa drei Prozent der Staatsfläche). Die internationale Anerkennung nach den IUCN-Kriterien (Katego-rie II) erhielten bisher die Nationalparks Neusiedler See-Seewinkel, Donau-Auen, OberösterreichischeKalkalpen, Thayatal, Hohe Tauern (Kärntner An-teil) und Gesäuse. Mit „Nationalparks Austria“wurde eine eigene Dachmarke als Werbe- und Image-träger geschaffen (http://www.nationalparks.or.at)

Prädikate

– UNESCO Weltkulturerbe– UNESCO Biosphären- reservate

III. Naturmonument Naturmonumente stellen bestimmte Naturer-scheinungen wie beispielsweise Höhlen, Wasser-fälle oder Fossilienlagerstätten unter besonderen Schutz. In der Regel erfasst diese Kategorie klei-nere Gebiete unter 1000 Hektar. Diese können jedoch einem hohen Besucheransturm ausgesetzt sein. Die Trübbachhöhle im Großen Walsertal gehört zu den Naturmonumenten in Österreich.

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IV. Biotop/Artenschutzgebiet Biotope dienen dem Erhalt von besonders artenrei-chen Gebieten. Gerade in Europa sind diese häufig erst durch menschlichen Einfluss entstanden und langfristig nur durch Pflegemaßnahmen zu erhal-ten. Das frühe Abholzen der mitteleuropäischen Wälder beispielsweise schaffte offene Grünflächen,die von lichtbedürftigen Pflanzen und Tieren be-siedelt wurden. Dazu zählen Trockenrasen, wich-tige Standorte für viele Orchideen und seltene Insektenarten. Ohne menschliche Eingriffe würde der Wald diese Gebiete in kurzer Zeit zurücker-obern. Nur durch Mahd oder extensive Beweidung kann die Artenvielfalt langfristig erhalten werden.

V. Geschützte LandschaftEuropa wird seit über tausend Jahren landwirt-schaftlich genutzt. Ausgedehnte Kulturlandschaften prägen das Erscheinungsbild des Kontinents. Das langjährige Nebeneinander von Mensch und Natur schuf eine Vielfalt von Lebensräumen, ein Mosaik aus Natur- und Kulturräumen. Die IUCN-Katego-rie V schützt diese traditionell gewachsenen Land-schaften zusammen mit ihrem Artenreichtum. Das Management zielt darauf ab, nachhaltige Landnut-zungsformen zu fördern und die kulturelle Eigen-art zu erhalten. Derartige Regionen bieten einen besonderen Erholungswert. Über die touristischenAktivitäten findet eine Wertschöpfung für die lokale Bevölkerung statt. Die österreichischen Naturparke sind in der Regel mit dieser Kategorie ausgezeichnet.

VI. RessourcenschutzgebietDie letzte Kategorie ist gleichzeitig die neueste aller IUCN-Kategorien. Sie stellt intakte Naturräume unter Schutz, aus denen Naturprodukte entnom-men werden dürfen. Mindestens zwei Drittel des Gebiets müssen sich in einem natürlichen Zustand befinden. Auf begrenzter Fläche dürfen von Men-schenhand veränderte Ökosysteme vorkommen, nicht aber intensive Anbaugebiete, die wirtschaft-lichen Zwecken dienen. Als geeignete Gebiete kommen am ehesten einige Teile Skandinaviens in Frage, darunter der Siedlungsraum der Samen.

Internationale PrädikateDie folgenden Schutzgebietskategorien sind als „Prädikate“ zu verstehen, die von der internati-onalen Gemeinschaft auf Antrag der jeweiligen Staaten vergeben werden. Mit der Ausweisung sol-cher Gebiete verpflichten sich die Länder freiwillig, bestimmte Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Werden die Kriterien nicht erfüllt, sind keine Sanktionen vorgesehen. Allerdings kann das Prädikat wieder aberkannt werden.

Ramsar-Gebiete sind Feuchtbiotope von inter-nationaler Bedeutung. Ziele der so genannten „Ramsar-Konvention“ sind der Schutz und die aus-

gewogene Nutzung der Lebensräume von seltenen Watt- und Wasservögeln. Österreich hat das Über-einkommen 1971 in Ramsar (Iran) unterzeichnet und 1983 ratifiziert. Es ist verbindlich im Sinne des Völkerrechtes. Das nationale Ramsar-Komi-tee, koordiniert vom Lebensministerium, berichtet alle drei Jahre über den aktuellen Status quo. Bisher wurden in Österreich 16 Ramsar-Gebiete mit einer Fläche von insgesamt 137.325 Hektar (1,6 Pro-zent der Bundesfläche) ausgewiesen (Stand Jänner 2004). Dazu zählen beispielsweise das Hörfeld-Moor in Kärnten oder die Donau-March-Auen in Niederösterreich.

1972 verabschiedete die UNESCO die Konvention über den Schutz des Welterbes. Weltkultur- und Naturerbestätten erhalten die Zeugnisse vergan-gener und die Schätze bestehender Kulturen, aberauch Natur- und Kulturlandschaften von heraus-ragender Schönheit für zukünftige Generationen. Hauptziel ist dabei nicht der Schutz von ökologischbesonders wertvollen Flächen, sondern vor allem die Bewahrung von für die Menschheit einzigar-tigen Gebieten. Die Weltnaturschutzunion IUCN beurteilt die jeweiligen Anträge der Staaten. Wird eine Welterbestätte nicht ausreichend vor negativenEinflüssen geschützt, so erfolgt eine Aufnahme in eine „Rote Liste“ der gefährdeten Gebiete. Bei weiteren Verschlechterungen wird das Prädikat aberkannt. Österreich ratifizierte die Welterbe-Konvention im Jahr 1993. Die Gebiete Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut, die Wachau sowie der Neusiedler See erhielten das begehrte Prädikat.

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Biosphärenreservate sind großflächige und repräsentative Ausschnitte von Natur- und Kultur-landschaften, in denen zusammen mit der lokalenBevölkerung Konzepte zum Schutz und zur Ent-wicklung der Region erarbeitet und umgesetzt werden. Damit weicht der Ansatz von der langjäh-rigen Praxis ab, Schutzgebiete ohne jeglichen Ein-fluss des Menschen zu erhalten. Im Wesentlichen haben Biosphärenreservate drei Funktionen zu erfüllen: den Erhalt von Ökosystemen, die sozioö-konomisch und ökologisch nachhaltige Entwick-lung der Region sowie die Förderung von Bildung, Forschung und Umweltbeobachtung. Um diese umfangreichen Aufgaben zu erfüllen, ist eine Auf-teilung des Gebietes in Kern-, Puffer- und Ent-wicklungszonen vorgesehen. Die Landesregie-rungen reichen die jeweiligen Vorschläge bei der UNESCO im MAB-Programm „Der Mensch und die Biosphäre“ ein. Bei Anerkennung als Biosphä-renreservat wird alle zehn Jahre eine Evaluierung durchgeführt. Auch dieses internationale Prädikat sieht keine konkreten nationalen Schutzbestimmun-gen vor. Als einziges Land in Österreich hat Vor-arlberg die Auszeichnung jedoch als eigene Schutz-kategorie in das Naturschutzgesetz aufgenommen.

Europäische KategorienNatura 2000-GebieteDie Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, ein ökologisches Schutzgebietsnetz aufzubauen, um die natürlichen Lebensräume und die biologi-sche Vielfalt Europas dauerhaft zu sichern. Dieses Flächennetzwerk ist unter dem Namen „Natura 2000“ bekannt. Grundlage dafür bildete 1992 die Einführung der Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie. Demnach verpflichten sich die Mit-gliedsstaaten der EU zur Meldung von Gebieten, in denen besonders wertvolle Lebensraumtypen (aufgelistet im Anhang I) oder gefährdete Tier- und Pflanzenarten (benannt im Anhang II) vor-kommen. Neben Flächen, die den Kriterien der FFH-Richtlinie entsprechen, gehören seit 2004 auch die nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewie-senen Lebensräume (Special Protected Areas) zum Natura 2000-Netzwerk. Die beiden EU-Richtlinien bilden die erste umfassende gesetzliche Grund-lage des Biotop- und Artenschutzes innerhalb der

Europäischen Union mit klaren Vorgaben über Gebietsanteile und Lebensraumtypen, die unter Schutz gestellt werden müssen. Die Landesre-gierungen nominieren die Natura 2000-Gebiete, welche ein offizieller Vertreter der Bundesländer an die EU-Kommission weiterleitet. Für alle Flächen müssen Erhaltungspläne vorgelegt werden und es ist darauf zu achten, dass vorbeugend alles vermie-den wird, was zur Verschlechterung der Lebens-räume oder zur Störung der Arten führen könnte. Bisher wurden in Österreich rund 212 Gebiete nominiert (Stand 2003). Diese nehmen insgesamt 16,6 Prozent der Bundesfläche ein.

Prädikate in Europa1976 schuf der Europarat (mit Sitz in Straßburg) das Netzwerk der Biogenetischen Reservate. Es dient der Erhaltung einer repräsentativen Aus-wahl von Lebensräumen, in denen typische, ein-zigartige sowie seltene oder gefährdete Tier- und Pflanzenarten Europas vorkommen. Den Schutz der Gebiete setzen die Länder auf freiwilliger Basis um. Alle fünf Jahre berichten sie mittels eines Formblatts über den aktuellen Zustand. Das Netz-werk der Biogenetischen Reservate ebnete den Weg für die Einführung des streng reglementierten Natura 2000-Netzes.

Nationale KategorienNaturschutzgebietEin Naturschutzgebiet ist ein weitgehend natürlicheroder naturnaher Lebensraum, in dem seltene oder gefährdete Tier- und Pflanzenarten vorkommen. Alle Eingriffe, die mit dem Schutzziel unvereinbar

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sind, sollen verhindert werden. Die jeweiligen Landes-regierungen legen die Schutzinhalte in den Natur-schutzgesetzen fest. Häufig sind land- und forst-wirtschaftliche Nutzungen erlaubt. Bei Gefährdungkann jedoch auch jeder menschliche Eingriff in das Schutzgebiet, einschließlich des Betretens, unter-sagt werden. Naturschutzgebiete repräsentieren die häufigste und wichtigste Schutzgebietskategorie in Österreich. Derzeit bestehen in Österreich 377 Na-turschutzgebiete, die eine Fläche von 3.280 Quadrat-kilometern einnehmen und somit 3,8 Prozent der Staatsfläche abdecken (Stand Dezember 2000).

LandschaftsschutzgebietEin Landschaftsschutzgebiet ist ein naturnahes Gebiet von besonderem Charakter, Schönheit oder Erholungswert. Primäres Schutzziel ist die Erhal-tung des charakteristischen Landschaftsbildes für die Bevölkerung oder den Fremdenverkehr. Maß-nahmen, welche die landschaftliche Eigenart oder die historische Bedeutung des Gebietes nachhaltig verändern, müssen bewilligt werden. Die Schutz-inhalte legen die jeweiligen Landesregierungen in ihren Naturschutzgesetzen fest. Flächenmäßig sind Landschaftsschutzgebiete mit 9120 Quadratkilo-metern (rund 11 Prozent der Fläche) die am wei-testen verbreitete Schutzkategorie in Österreich.

RuhegebieteRuhegebiete sind Lebensräume, die sich für eine Erholung in der freien Natur eignen. Technische Erschließungen im Tourismus- oder Verkehrsbe-reich, wie der Bau von Seilbahnen, Schleppliften und Straßen mit öffentlichem Verkehr, werden hier unterbunden. Die Gebiete zeichnen sich also durch

eine geringe Lärmbelästigung aus. Ruhegebiete gibt es nur im Rahmen des Tiroler Naturschutzgesetzes.Der Biosphärenpark Gurgler Kamm liegt teilweise im Ruhegebiet „Ötztaler Alpen“.

Nationale PrädikateNaturparkBei Naturparken liegt der Schwerpunkt auf dem Erhalt wertvoller Kulturlandschaften. Sie dienen als Informations-, Bildungs- und Erholungsein-richtung für Bevölkerung und Besucher, sind aber gleichzeitig Instrumente für eine nachhaltige Regi-onalentwicklung. Im Gegensatz zu Nationalparks, die ebenso als Informations- und Erholungsein-richtung fungieren, sind Naturparks üblicherweise nicht mit Naturzonen ausgestattet, die menschliche Nutzungen ausschließen. Das Prädikat „Natur-park“ wird mittels einer Verordnung der Landes-regierung vergeben. Es ist in allen Bundesländern, die Naturparks als Schutzgebiete vorsehen, mit Ausnahme der Steiermark eine zusätzliche Aus-zeichnung von bereits bestehenden Schutzgebieten und keine eigene Kategorie. Im Herbst 1995 haben sich die bestehenden Naturparke im Verband der Naturparke Österreichs (VNÖ) zusammenge-schlossen mit dem Ziel, Naturparke qualitativ wei-terzuentwickeln und gemeinsame Marketingpro-jekte durchzuführen (http://www.naturparke.at).