unser sozialver halten im stresstest · im allta g ist es oft die z igaret te und d as stüc k...

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„Bei Alb- träumen kann das Hirn stark emotionale Erfahrungen nicht entschärfen.“ Manuel Schabus, Psychologe Wissen & Innovation SAMSTAG, 8. JUNI 2019 W1 Ob im Alltag oder im Ausnahmezustand (Bild: mexikanische Migranten) – Stress hilft uns, Herausforderungen zu meistern. [ Reuters ] Je jünger man ist, desto häufiger träumt man Schreckliches. Im Alter lassen die unangenehmen nächtlichen Erfahrungen dagegen meist nach. Warum haben Kinder öfter Albträume als Erwachsene? FORSCHUNGSFRAGE VON WOLFGANG DÄUBLE U m diese Frage zu beantwor- ten, muss man zunächst ein- mal verstehen, welche Funk- tion Träume ganz generell haben“, sagt Manuel Schabus, Psychologe und Schlafforscher an der Uni Salzburg. Verschiedene Aspekte werden dabei in Fachkreisen diskutiert: Einerseits dienen Träume dazu, Emotionen zu verarbeiten, richtig einzuordnen und zu speichern. Auch Emotionen in Ge- sichtern, die man tagsüber sieht, wer- den im Schlaf in Geschichten einge- bettet. Andererseits werden im Traum auch motorische Verhaltensweisen verfeinert, wie das Spielen einer Me- lodie auf dem Klavier oder ein be- stimmter Schlag beim Tennis. „Eine dritte Hypothese besagt, dass man durch Träume jene Fähig- keiten übt, die für das Überleben wichtig sind“, so Schabus. „Oft sind es – besonders bei Kindern – Träume, in denen Gefahrensituationen gemeis- tert werden müssen, in denen man etwa vor einem Bären flieht oder über einem Abgrund balanciert. Erwach- sene träumen dagegen häufig von so- zialen Herausforderungen, bei denen Aggressionen bewältigt werden müs- sen. Oder sie haben Träume mit se- xuellem Inhalt – schließlich ist auch die Reproduktion für unser Überleben entscheidend.“ Nie träumten wir je- doch vom Lesen oder Schreiben, ob- wohl die meisten von uns einen gro- ßen Teil ihres wachen Lebens damit verbringen, fügt der Psychologe hin- zu. Für die menschliche Evolution sei- en diese Kulturtechniken einfach noch zu jung, um sich in den Traum- schlaf zu verankern. Die Hexe im Fernsehen . . . Bei Albträumen geraten diese Funk- tionen dagegen aus den Fugen: Ihr emotionaler Inhalt ist derart intensiv, dass sie nicht normal verarbeitet und abgespeichert werden können. „Be- sonders deutlich zeigt sich das bei traumatischen Erlebnissen, etwa bei Soldaten, die aus Kriegseinsätzen zu- rückkehren, oder bei sexuellem Miss- brauch“, erklärt Schabus. „Diese ex- trem negativen Erfahrungen versucht das Gehirn nun zu entschärfen und zu integrieren, doch die Emotionen sind so stark, dass das nicht gelingt. So brennt sich der Traum ein und kommt als Albtraum jede Nacht wie- der. Im schlimmsten Fall kann sich das zu einer chronischen Störung auswachsen.“ Bei Kindern laufen ähnliche Pro- zesse ab, nur reichen hier schon all- tägliche Erfahrungen, die auf die Kin- der bedrohlich wirken, beispielsweise eine Hexe, die sie im Fernsehen gese- hen haben. Schabus: „Daraus können Albträume entstehen, weil die Kinder noch nicht gelernt haben, dieser Be- drohung zu begegnen und sich von ihr zu befreien. Auch hier versucht das Gehirn, die erlebte Emotion zu entschärfen und einzuordnen, doch es gelingt ihm nicht. Deshalb haben Kinder auch besonders häufig wieder- kehrende Albträume.“ . . . durch Malen besiegen. Der Schlafforscher hat in solchen Fäl- len ein wirksames Mittel zur Hand: „Um die Kinder von ihren Albträu- men zu befreien, lassen wir sie im Wachzustand eine ganz persönliche Lösung malen. Dabei sollen sie uns ganz genau erzählen, wie sie etwa die Hexe, die sie verzaubert oder verstei- nert, besiegen. Und diese Lösung nehmen sie dann oft mit in den Traum, dann haben sie etwa plötzlich einen Zauberstab, mit dem sie die Hexe einfrieren können.“ [ Foto: Michael Brauer ] Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an: [email protected] Unser Sozialverhalten im Stresstest Neuropsychologie. Wiener und Zürcher Forscher wollen herausfinden, warum sich manche Menschen in stressigen Situationen egoistisch verhalten, aber andere empathisch und prosozial – und welche Rolle Belohnungen dabei spielen. VON CORNELIA GROBNER D er Balken auf dem kleinen Bildschirm wandert unauf- haltsam in den roten Be- reich. Ebenso unaufhaltsam pras- seln schwierige Rechenaufgaben auf den Probanden im Magnetre- sonanztomografie-(MRT)-Gerät ein. Er versucht, sie bestmöglich zu lösen – das genervte Seufzen des wissenschaftlichen Mitarbeiters im Ohr. Dieser ermahnt die Testper- son, sich zu konzentrieren, um die Studie durch zu große Fehlerhäu- figkeit nicht ernsthaft zu gefähr- den. Wieder eine neue Gleichung. Der Proband schwitzt, sein Herz beginnt schneller zu schlagen. Aber der Balken leuchtet unbarm- herzig rot auf. Verunsicherte Probanden Was der Teilnehmer dieses psy- chologischen Experiments nicht weiß: Seine Antworten sind nicht ständig falsch, auch der Forscher ist nicht genervt, und die Studie keineswegs gefährdet. Im Gegen- teil. Genau diese Versuchsanord- nung ist Teil eines Projekts, an dem Claus Lamm und Paul Forbes vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung und For- schungsmethoden an der Uni Wien gemeinsam mit Christian Ruff und Gökhan Aydogan von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fa- kultät der Universität Zürich arbei- ten. Die Wissenschaftler untersu- chen gefördert vom Wissen- schaftsfonds FWF und dem Schweizerischen Nationalfonds welche Effekte akuter Stress auf So- zialverhalten und Empathie hat. Der Rechentest im MRT ist das erste von drei Experimenten. Da- mit soll bei den hundert Testper- sonen eine körperliche Reaktion auf Stress ausgelöst werden. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die soziale Bewertung, der die Hälfte der Probanden durch die Kom- mentare des anwesenden For- schers ausgesetzt werden. „Unvor- hersehbarkeit und Bedrohung des Selbstbewusstseins sind zwei Schlüsselkomponenten von Stress“, erklärt Forbes die Bedin- gungen, unter denen Stress ent- steht. Ein darauf aufbauender Ver- such testet dann das Sozialverhal- ten unter stressigen Bedingungen genauso wie den Wert von Beloh- nungen als Motivation. Im Alltag ist es oft die Zigarette und das Stück Schokolade, mit de- nen man sich im Stress Gutes tut, im Experiment von Lamm und Forbes gibt es stattdessen Geld. Die Testpersonen können sowohl für sich als auch für andere Geld „verdienen“, indem sie im Stress- zustand einen Handkraftmesser drücken. Dieses Element im Expe- riment soll Schwächen bisheriger Studien ausgleichen, die prosozia- les Verhalten lediglich durch Knopfdruck maßen. „Bei uns müs- sen sich die Probanden wirklich bemühen“, so Projektleiter Lamm. Er verdeutlicht die Idee dahinter mit einer Analogie: „Es geht nicht nur darum, Geld etwa für die Cari- tas zu spenden, sondern bei der dortigen Essensausgabe aktiv mit- zuhelfen. Prosoziales Verhalten er- fordert in unserem Forschungsan- satz also Energie und Zeit.“ Durch die Überwachung des Experiments im MRT können die Forscher nachverfolgen, was im Gehirn pas- siert, wenn die Probanden Ent- scheidungen treffen. Das bildge- bende Verfahren macht sichtbar, über welche Gehirnmechanismen ein bestimmtes Verhalten zustan- de kommt und ob emotionale oder kognitive Areale aktiviert werden. Kämpfen oder umsorgen? Bislang gibt es nur wenige Studien, die den Zusammenhang von Stress und Sozialverhalten untersuchen – und die widersprechen sich teil- weise. Unter Stress werden wir egoistisch, kämpfen oder fliehen, behaupten die einen in Anlehnung an den US-amerikanischen Physio- logen Walter Cannon. Empirische Ergebnisse von verhaltensökono- mischen Experimenten zeigen wie- derum in eine gegenteilige Rich- tung: Stress macht uns demnach prosozialer. Die US-amerikanische Psychologin Shelley Taylor prägte den Slogan „Tend and befriend“, also beschützen und Freundschaft schließen. So zeigen Feldstudien, zum Beispiel jene nach den Terror- anschlägen in der Pariser Konzert- halle Bataclan, dass manche Men- schen in extrem stressigen Situa- tion anderen sehr wohl helfen. Die Wiener und Zürcher Wissenschaft- ler nähern sich dem Phänomen nun von einer neuen Warte aus. Im Labor wollen sie konkreter heraus- arbeiten, wie Stress und Sozialver- halten zusammenhängen. Ihre Hypothese ist, dass man bei Stress das tut, was man sonst auch tut – schlichtweg weil es ein- fach ist. Sprich, wer sonst empa- thisch ist, ist es unter Stress eben- so. Lamm: „Wir schauen uns den Kontext an und prüfen nicht, ob Stress per se zu asozialem oder prosozialem Verhalten führt, son- dern, ob Stress eingeschliffene Verhaltensmuster aktiviert.“ Dem- zufolge antwortet eine hilfsbereite Person unter Stress mit mehr Al- truismus, eine selbstbezogene Per- son neigt dann eher zu Egoismus. Ob sich diese Annahme empirisch belegen lässt, muss sich noch zei- gen. Die im vergangenen Jahr ge- startete Studie läuft noch bis 2021. LEXIKON Stress bietet neuropsychologisch betrachtet die Möglichkeit, eine Herausforderung zu meistern. Dabei wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, das den Organismus aktiviert. Im Alltagsverständnis verbindet man oft negative Gefühle mit Stress, wenn dieser zum Dauerzustand geworden ist. Im Fachjargon wird dieser Zustand Di- stress genannt. Es handelt sich um negativen Stress, der nicht mehr reguliert werden kann. Das positive Pendant dazu heißt Eustress, ein Gefühlszustand, in dem man etwas psychologisch oder physisch bewältigen will und auch kann.

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Page 1: Unser Sozialver halten im Stresstest · Im Allta g ist es oft die Z igaret te und d as Stüc k Schokolade ,mit de-nen man sich im Stres s G utes tut , im E xper imen t von Lamm und

Wissen & Innovation

SAMSTAG, 8. JUNI 2019 W1

Ob im Alltag oder im Ausnahmezustand (Bild: mexikanische Migranten) – Stress hilft uns, Herausforderungen zu meistern. [ Reuters ]

Je jünger man ist, desto häufiger träumt man Schreckliches. Im Alter lassen die unangenehmen nächtlichen Erfahrungen dagegen meist nach.

Warum haben Kinder öfter Albträume als Erwachsene?

„Bei Alb-träumen kanndas Hirn starkemotionaleErfahrungennichtentschärfen.“

Manuel Schabus,Psychologe

FORSCHUNGSFRAGEVON WOLFGANG DÄUBLE

U m diese Frage zu beantwor-ten, muss man zunächst ein-mal verstehen, welche Funk-

tion Träume ganz generell haben“,sagt Manuel Schabus, Psychologe undSchlafforscher an der Uni Salzburg.Verschiedene Aspekte werden dabeiin Fachkreisen diskutiert: Einerseitsdienen Träume dazu, Emotionen zuverarbeiten, richtig einzuordnen undzu speichern. Auch Emotionen in Ge-sichtern, die man tagsüber sieht, wer-den im Schlaf in Geschichten einge-bettet. Andererseits werden im Traumauch motorische Verhaltensweisenverfeinert, wie das Spielen einer Me-lodie auf dem Klavier oder ein be-stimmter Schlag beim Tennis.

„Eine dritte Hypothese besagt,dass man durch Träume jene Fähig-keiten übt, die für das Überleben

wichtig sind“, so Schabus. „Oft sind es– besonders bei Kindern – Träume, indenen Gefahrensituationen gemeis-tert werden müssen, in denen manetwa vor einem Bären flieht oder übereinem Abgrund balanciert. Erwach-sene träumen dagegen häufig von so-zialen Herausforderungen, bei denenAggressionen bewältigt werden müs-sen. Oder sie haben Träume mit se-xuellem Inhalt – schließlich ist auchdie Reproduktion für unser Überlebenentscheidend.“ Nie träumten wir je-doch vom Lesen oder Schreiben, ob-wohl die meisten von uns einen gro-ßen Teil ihres wachen Lebens damitverbringen, fügt der Psychologe hin-zu. Für die menschliche Evolution sei-en diese Kulturtechniken einfachnoch zu jung, um sich in den Traum-schlaf zu verankern.

Die Hexe im Fernsehen . . .Bei Albträumen geraten diese Funk-tionen dagegen aus den Fugen: Ihr

emotionaler Inhalt ist derart intensiv,dass sie nicht normal verarbeitet undabgespeichert werden können. „Be-sonders deutlich zeigt sich das beitraumatischen Erlebnissen, etwa beiSoldaten, die aus Kriegseinsätzen zu-rückkehren, oder bei sexuellem Miss-brauch“, erklärt Schabus. „Diese ex-trem negativen Erfahrungen versuchtdas Gehirn nun zu entschärfen undzu integrieren, doch die Emotionensind so stark, dass das nicht gelingt.So brennt sich der Traum ein undkommt als Albtraum jede Nacht wie-der. Im schlimmsten Fall kann sichdas zu einer chronischen Störungauswachsen.“

Bei Kindern laufen ähnliche Pro-zesse ab, nur reichen hier schon all-tägliche Erfahrungen, die auf die Kin-der bedrohlich wirken, beispielsweiseeine Hexe, die sie im Fernsehen gese-hen haben. Schabus: „Daraus könnenAlbträume entstehen, weil die Kindernoch nicht gelernt haben, dieser Be-

drohung zu begegnen und sich vonihr zu befreien. Auch hier versuchtdas Gehirn, die erlebte Emotion zuentschärfen und einzuordnen, doches gelingt ihm nicht. Deshalb habenKinder auch besonders häufig wieder-kehrende Albträume.“

. . . durch Malen besiegen.Der Schlafforscher hat in solchen Fäl-len ein wirksames Mittel zur Hand:„Um die Kinder von ihren Albträu-men zu befreien, lassen wir sie imWachzustand eine ganz persönlicheLösung malen. Dabei sollen sie unsganz genau erzählen, wie sie etwa dieHexe, die sie verzaubert oder verstei-nert, besiegen. Und diese Lösungnehmen sie dann oft mit in denTraum, dann haben sie etwa plötzlicheinen Zauberstab, mit dem sie dieHexe einfrieren können.“ [ Foto: Michael Brauer ]

Was wollten Sie schon immer wissen? Senden SieFragen an: [email protected]

Unser Sozialverhalten im StresstestNeuropsychologie. Wiener und Zürcher Forscher wollen herausfinden, warum sich manche Menschen in stressigenSituationen egoistisch verhalten, aber andere empathisch und prosozial – und welche Rolle Belohnungen dabei spielen.

VON CORNELIA GROBNER

D er Balken auf dem kleinenBildschirm wandert unauf-haltsam in den roten Be-

reich. Ebenso unaufhaltsam pras-seln schwierige Rechenaufgabenauf den Probanden im Magnetre-sonanztomografie-(MRT)-Gerätein. Er versucht, sie bestmöglich zulösen – das genervte Seufzen deswissenschaftlichen Mitarbeiters imOhr. Dieser ermahnt die Testper-son, sich zu konzentrieren, um dieStudie durch zu große Fehlerhäu-figkeit nicht ernsthaft zu gefähr-den. Wieder eine neue Gleichung.Der Proband schwitzt, sein Herzbeginnt schneller zu schlagen.Aber der Balken leuchtet unbarm-herzig rot auf.

Verunsicherte ProbandenWas der Teilnehmer dieses psy-chologischen Experiments nichtweiß: Seine Antworten sind nichtständig falsch, auch der Forscherist nicht genervt, und die Studiekeineswegs gefährdet. Im Gegen-teil. Genau diese Versuchsanord-nung ist Teil eines Projekts, andem Claus Lamm und Paul Forbesvom Institut für PsychologischeGrundlagenforschung und For-schungsmethoden an der UniWien gemeinsam mit ChristianRuff und Gökhan Aydogan von derWirtschaftswissenschaftlichen Fa-kultät der Universität Zürich arbei-ten. Die Wissenschaftler untersu-chen – gefördert vom Wissen-schaftsfonds FWF und demSchweizerischen Nationalfonds –welche Effekte akuter Stress auf So-zialverhalten und Empathie hat.

Der Rechentest im MRT ist daserste von drei Experimenten. Da-mit soll bei den hundert Testper-sonen eine körperliche Reaktionauf Stress ausgelöst werden. Einwesentlicher Aspekt dabei ist diesoziale Bewertung, der die Hälfteder Probanden durch die Kom-mentare des anwesenden For-schers ausgesetzt werden. „Unvor-hersehbarkeit und Bedrohung des

Selbstbewusstseins sind zweiSchlüsselkomponenten vonStress“, erklärt Forbes die Bedin-gungen, unter denen Stress ent-steht. Ein darauf aufbauender Ver-such testet dann das Sozialverhal-ten unter stressigen Bedingungengenauso wie den Wert von Beloh-nungen als Motivation.

Im Alltag ist es oft die Zigaretteund das Stück Schokolade, mit de-nen man sich im Stress Gutes tut,im Experiment von Lamm undForbes gibt es stattdessen Geld.Die Testpersonen können sowohlfür sich als auch für andere Geld„verdienen“, indem sie im Stress-zustand einen Handkraftmesserdrücken. Dieses Element im Expe-

riment soll Schwächen bisherigerStudien ausgleichen, die prosozia-les Verhalten lediglich durchKnopfdruck maßen. „Bei uns müs-sen sich die Probanden wirklichbemühen“, so Projektleiter Lamm.Er verdeutlicht die Idee dahintermit einer Analogie: „Es geht nichtnur darum, Geld etwa für die Cari-tas zu spenden, sondern bei derdortigen Essensausgabe aktiv mit-zuhelfen. Prosoziales Verhalten er-fordert in unserem Forschungsan-satz also Energie und Zeit.“ Durchdie Überwachung des Experimentsim MRT können die Forschernachverfolgen, was im Gehirn pas-siert, wenn die Probanden Ent-scheidungen treffen. Das bildge-

bende Verfahren macht sichtbar,über welche Gehirnmechanismenein bestimmtes Verhalten zustan-de kommt und ob emotionale oderkognitive Areale aktiviert werden.

Kämpfen oder umsorgen?Bislang gibt es nur wenige Studien,die den Zusammenhang von Stressund Sozialverhalten untersuchen –und die widersprechen sich teil-weise. Unter Stress werden wiregoistisch, kämpfen oder fliehen,behaupten die einen in Anlehnungan den US-amerikanischen Physio-logen Walter Cannon. EmpirischeErgebnisse von verhaltensökono-mischen Experimenten zeigen wie-derum in eine gegenteilige Rich-

tung: Stress macht uns demnachprosozialer. Die US-amerikanischePsychologin Shelley Taylor prägteden Slogan „Tend and befriend“,also beschützen und Freundschaftschließen. So zeigen Feldstudien,zum Beispiel jene nach den Terror-anschlägen in der Pariser Konzert-halle Bataclan, dass manche Men-schen in extrem stressigen Situa-tion anderen sehr wohl helfen. DieWiener und Zürcher Wissenschaft-ler nähern sich dem Phänomennun von einer neuen Warte aus. ImLabor wollen sie konkreter heraus-arbeiten, wie Stress und Sozialver-halten zusammenhängen.

Ihre Hypothese ist, dass manbei Stress das tut, was man sonstauch tut – schlichtweg weil es ein-fach ist. Sprich, wer sonst empa-thisch ist, ist es unter Stress eben-so. Lamm: „Wir schauen uns denKontext an und prüfen nicht, obStress per se zu asozialem oderprosozialem Verhalten führt, son-dern, ob Stress eingeschliffeneVerhaltensmuster aktiviert.“ Dem-zufolge antwortet eine hilfsbereitePerson unter Stress mit mehr Al-truismus, eine selbstbezogene Per-son neigt dann eher zu Egoismus.Ob sich diese Annahme empirischbelegen lässt, muss sich noch zei-gen. Die im vergangenen Jahr ge-startete Studie läuft noch bis 2021.

LEXIKON

Stress bietet neuropsychologischbetrachtet die Möglichkeit, eineHerausforderung zu meistern. Dabeiwird das Stresshormon Cortisolausgeschüttet, das den Organismusaktiviert.Im Alltagsverständnis verbindet man oftnegative Gefühle mit Stress, wenndieser zum Dauerzustand geworden ist.Im Fachjargon wird dieser Zustand Di-stress genannt. Es handelt sich umnegativen Stress, der nicht mehrreguliert werden kann. Das positivePendant dazu heißt Eustress, einGefühlszustand, in dem man etwaspsychologisch oder physisch bewältigenwill und auch kann.