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Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Auffälligkeiten und psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen Vortrag auf dem Lehrertag der Deutschsprachigen Gemeinschaft am 4. 10. 2012 in Eupen Referent: Prof. Dr. Norbert Havers Ludwig-Maximilians-Universität München

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Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Auffälligkeiten und

psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen

Vortrag auf dem Lehrertag der Deutschsprachigen Gemeinschaft am 4. 10. 2012 in Eupen

Referent: Prof. Dr. Norbert Havers Ludwig-Maximilians-Universität

München

Aufbau des Vortrags

• Begriffserklärungen

• Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Auffälligkeiten bei Kindern – Hyperkinetische Verhaltensauffälligkeiten

– Antisoziale Verhaltensauffälligkeiten

– Intensive Ängste („Angststörungen“)

• Emotionale Auffälligkeiten bei Jugendlichen – Depressionen

– Suizidalität

Die Anwendung des medizinischen Begriffs Psychische Störungen auf Probleme von Kindern und Jugendlichen entspricht inhaltlich weitgehend dem, was Pädagogen und Psychologen Verhaltensauffälligkeiten bzw. emotionale Auffälligkeiten nennen.

Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Auffälligkeiten bei

Kindern

Hyperkinetische Verhaltensauffälligkeiten

Hyperkinetische Störungen nach ICD 10

• Durchgehendes Muster von Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität

• Beginn schon vor dem siebten Lebensjahr

• Dauer mindestens sechs Monate

• Probleme sind deutlich stärker als bei Kindern gleichen Alters und gleicher Intelligenz

• Probleme treten nicht nur in der Schule auf

Maßnahmen im Unterricht

• Die Aufmerksamkeit fördern, z. B. durch regelmäßigen Blickkontakt und Lob für kleine Fortschritte

• Dem Bewegungsbedürfnis entgegenkommen, z. B. durch regelmäßige Bewegungsspiele

• Der Impulsivität durch klare Regeln und An-kündigung von Konsequenzen Grenzen setzen

• Die angekündigten Konsequenzen bei Regelverstößen auch durchführen

Gespräche mit den Eltern

• Den Begriff „Störung“ vermeiden

• Den Eltern konkret schildern, was vorgefallen ist

• Negative Wertungen vermeiden

• Treten ähnliche Probleme auch zu Hause auf?

• Was haben die Eltern selber schon versucht?

• Gemeinsam nach einer Problemlösung suchen

Außerschulische Hilfen

• Ratgeberliteratur für Eltern, z. B. „Wackelpeter und Trotzkopf“ und „Lernen mit ADS-Kindern“

• Beratungsstellen, z. B. KITZ, SPZ oder PMS

• Elterntrainings oder Verhaltenstherapie für die Kinder

• Behandlung mit Medikamenten nach einer genauen Untersuchung durch den Kinderarzt oder den Kinderpsychiater

Antisoziale Verhaltensauffälligkeiten („Störungen des Sozialverhaltens“)

Störungen des Sozialverhaltens - oft in Kombination mit hyperkinetischen Störungen

• Ungehorsam, Streiten oder Tyrannisieren

• Schwere oder häufige Wutausbrüche

• Grausamkeit gegenüber Menschen oder Tieren

• Destruktivität gegenüber Eigentum

• Feuer legen

• Stehlen und häufiges Lügen

• Schule schwänzen

• Weglaufen von zuhause

Antisoziale Verhaltensauffälligkeiten, die in der Schule vorkommen

• Trotz, Aufsässigkeit oder Provokationen von Lehrern

• Konflikte, die sich zu Wutanfällen aufschaukeln

• Tyrannisieren und Schikanieren von Mitschülern („Mobbing“)

• Zerstören von Schuleigentum („Vandalismus“)

Die gleichen Schüler schwänzen oft die Schule.

5 – 9 % aller Kinder bzw. Jugendlichen zeigen antisoziale Verhaltensauffälligkeiten

Vorbeugung durch einen schulischen Ordnungsrahmen

• Klarheit über die geltenden Regeln und Konsequenzen

• Disziplinierung nicht nur durch Strafen, sondern auch durch die Anerkennung angemessenen Verhaltens

• Verständigung über eine pädagogische Grundorientierung der Schule

Wichtigste Prinzipien

• Auch zu diesen besonders schwierigen Schülern eine Beziehung aufbauen, so schwer dies auch fällt

• Ein ehrliches Interesse an ihnen zeigen

• Versuchen, auch ihre Stärken und positiven Seiten zu sehen

• Ihnen trotzdem nicht mehr durchgehen lassen als anderen Schülern (Klarheit & Konsequenz)

Entschärfung von Konflikten

• Diese Schüler sind leicht frustriert und wütend

• Zeichen der Erregung: unkontrollierte Augen- oder Handbewegungen

• Die Zeichen der Erregung bewusst wahrnehmen

• Ruhe und Abstand wahren

• Verständnis für die Probleme des Schülers zeigen

• Versuchen, den Schüler von seiner Erregung abzulenken, z. B. durch bevorzugte Aktivitäten

Umgang mit Mobbing

• Die umfassende Anti-Mobbing-Strategie von Dan Olweus hat sich als zu aufwendig erwiesen

• Die „Farsta-Methode“ und die Methode von W. Kindler befürworten die direkte Konfrontation mit den mobbenden Schülern sowie Sanktionen

• Der „No-Blame-Ansatz“ vermeidet dagegen Konfrontation, Schuldzuweisungen und Sanktionen

• Beide Methoden haben nachgewiesene Erfolge

• Der „No-Blame-Ansatz“ ist meines Erachtens nur bei leichterem Mobbing gut einsetzbar, weil der Verzicht auf Sanktionen nicht immer sinnvoll ist

Außerschulische Maßnahmen

Am meisten Erfolg hat man mit Elterntrainings und zwar vor allem bei Kindern unter 8 Jahren. Beispiele sind die Trainings „Starke Eltern – starke Kinder“ und „Triple P“ (Positive Parenting Programme), das es ebenfalls auf Deutsch gibt.

Beim Umgang mit antisozialen Verhaltens-auffälligkeiten sind pädagogische Maßnahmen oft wirksamer als traditionelle Psychotherapie. Früher Beginn der Maßnahmen ist sehr wichtig!

Intensive Ängste bei Kindern

(„Angststörungen“)

Trennungsangst-Störung

Die betroffenen Kinder fürchten, dass ihnen selbst oder den Eltern etwas Schlimmes zustoßen könnte, während sie in der Schule oder im Kindergarten sind und von ihren Eltern getrennt

Behandlung der Trennungsangst

• Zuerst versuchen, im Gespräch die Ängste des Kindes abzubauen

• Zunächst nur kürzere Trennungsphasen, d. h. das Kind bleibt nur eine gewisse Zeit im Kindergarten oder der Schule

• Die Länge der Trennungszeit wird allmählich gesteigert

• Es wird nicht toleriert, dass das Kind ganz zu Hause bleibt

Sozialangst („Soziale Phobie“)

Übermäßige Angst, sich zu blamieren oder etwas zu tun, das peinlich sein könnte

Unterschied zur normalen Schüchternheit:

• unangemessen intensiv und häufig,

• unangemessen lange andauernd,

• zunehmendes Vermeiden sozialer Situationen,

• starkes Leiden.

Hilfen bei Sozialer Phobie

• Hänseleien oder Mobbing nicht dulden

• Vortragen vor der Klasse nicht erzwingen

• Ausreichende Zeit, Antworten zu überlegen

• Akzeptieren, dass der Schüler/ die Schülerin zu Beginn des Schuljahrs nichts spricht

• Diese Schüler vor den Klassenkameraden nicht als „ängstlich“ oder „schüchtern“ bezeichnen

Außerschulische Maßnahmen

Sowohl bei Trennungsangst als auch bei sozialer Phobie sind zusätzliche psychotherapeutische Maßnahmen sinnvoll. Die Erfolgsquote von Psychotherapie bei Angststörungen ist hoch.

Emotionale Auffälligkeiten bei

Jugendlichen

Depressionen bei Jugendlichen

6 % aller Jugendlichen zeigen gelegentlich depressive Störungen

Merkmale von Depressionen

• Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit

• Minderwertigkeitsgefühle

• Unlust gegenüber der Schule

• Kopfschmerzen und Essstörungen

• Übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum

• Schlappheit oder auffallender Energieverlust

Vorbeugung gegen Depressionen

• Ein angenehmes und kooperatives Klassenklima

• Mobbing in der Klasse unterbinden

• Überhöhte Leistungsansprüche und negative Erwartungen relativieren

• Den Schülern Mut machen und ihnen helfen, Misserfolge zu bewältigen

Hilfen bei Depressionen

• Gespräche mit dem Schüler/ der Schülerin und eventuell auch mit den Eltern suchen

• Mitgefühl, aber kein Mitleid, das „klein macht“

• Bereitschaft, auch über Sorgen und negative Gefühle zu sprechen

• Mögliche Überforderung ansprechen

• Erfolgserlebnisse ermöglichen

• Adressen von erfahrenen Psychologen oder Beratungsstellen, evtl. auch Bücher bereitstellen

Suizidalität bei Jugendlichen

Häufigkeit des Suizids bei Jugendlichen

• Bei Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren sind Suizide die zweithäufigste Todesursache

• Noch häufiger sind Suizide im Alter zwischen 20 und 25 Jahren

• Auf einen vollendeten Suizid kommen ungefähr 30 Suizidversuche

• Ein Suizid kommt für die betroffene Familie und die Freunde fast immer überraschend

Alarmzeichen

• Äußerungen wie: „Ich wollte, ich wäre tot.“

• Verschenken von persönlichen Gegenständen

• Anspielungen auf den Tod

• Verwahrlosungstendenzen, z. B. Weglaufen

• Intensive Beschäftigung mit den Themen „Tod“ und „Selbsttötung“ im Internet

• Aufgeben sozialer Aktivitäten

Beim Gespräch vermeiden

• Sich schockiert zeigen

• Eigene Moralauffassungen äußern, die gegen den Suizid sprechen

• Absolute Verschwiegenheit versprechen, weil man dieses Versprechen im Ernstfall nicht einhalten darf

• Den Jugendlichen allein lassen, wenn er keine Freunde und nur schlechten Kontakt zu seiner Familie hat

Beim Gespräch beachten

• Offen und ohne Umschreibung vom Suizid sprechen

• Einfühlung und Interesse zeigen für die Situation, in der sich der Jugendliche befindet

• Während des Gesprächs Ruhe bewahren

• Versuchen positiv zu bleiben, indem man mögliche Alternativen zum Suizid anspricht

Hilfen von außen bei Suizidgefahr

• Telefonseelsorge in der DG, Tel. 108

• Deutsche Telefonseelsorge im Internet: www.telefonseelsorge.org

• Psychiatrische Tagesklinik für Jugendliche der Klinik St. Josef, Vervierser Straße 26, Eupen, Tel. 087 59 83 07

• Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Aachen, Neuenhofer Weg 21, Aachen, Tel. 0049 241 800 (24 Stunden Bereitschaftsdienst) - Kooperation mit der DG

Schlussgedanke

Es gibt schwierige Probleme beim Umgang mit verhaltensauffälligen und emotional auffälligen Kindern und Jugendlichen. Aber es gibt auch Hilfen, diese Probleme zu bewältigen. Die Hilfsangebote sind nicht perfekt, aber wir sind in den letzten Jahren bei der Verbesserung dieser Hilfen ein Stück weitergekommen.

Weiterführende Literatur

• Cooley, Myles L. (2012). Besondere Schüler – Was tun? Mühlheim: Verlag an der Ruhr; praktische Tipps für den Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Auffälligkeiten in der Schule.

• Heinrichs, Nina & Lohaus, Arnold (2011). Klinische Entwicklungspsychologie – kompakt. Weinheim: Beltz; gut lesbare Einführung in den aktuellen Forschungsstand zu den psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter aus der Sicht der klinischen Entwicklungspsychologie.