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EINE SONDERPUBLIKATION VON ISSN 1430-9238 · 11948 · huss HUSS-MEDIEN GMBH · 10400 BERLIN Jahreskompendium 2016/ 2017 19,80 € Verpflegung in Schulen und Kitas

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Page 1: Verpflegung - Volker Abdel Fattah · eller Umgang mit Speisenvorschriften beobachten. „Es gibt Familien, die sich strikt an die Vorgaben hal-ten, aber auch Familien, die flexibel

EINE SONDERPUBLIKATION VON ISSN 1430-9238 · 11948 · huss HUSS-MEDIEN GMBH · 10400 BERLIN

Jahreskompendium 2016 / 2017

19,80 €

Verpflegungin Schulen und Kitas

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1. Inklusion – Interkulturelle Verpflegung

Vielfalt und Heterogenität wertschätzen und als Normalität anerkennen – das sind wichtige Eckpfeiler der Inklusion in Kitas und Schulen. Die inklusive Verpflegung, die Kulturen und Religionen gleichberechtigt berücksichtigt, bleibt vielerorts eine Herausforderung.

Fast ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, knapp 80 Prozent von ihnen sind Deutsche.1 Hierzulande leben insgesamt etwa 16,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, das entspricht einem Anteil von 20 Prozent der Bevölkerung. Weit über die Hälfte dieser Menschen sind Deutsche, etwa ein Drittel von ihnen wurde in Deutschland geboren. Die Zahlen wer-den mittelfristig zunehmen, denn Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wenn es um Integration und die Förderung interkultureller Kompetenz geht, sind Kitas und Schulen maßgebende Lebenswelten. Die Schul- und Kitaverpflegung nimmt dabei eine wichtige ver-bindende Rolle ein.

Integration in beide Richtungen

Gleichzeitig ist sie häufig Anlass für Konflikte, wenn von Eltern oder Kindern kulturell, ethisch oder religiös motivierte Essvorlieben geäußert werden. Schulen

und Kitas nehmen sich vielfach dieser Aufgabe an, doch zu oft wird Integration vor allem als Anpas-sungsleistung verstanden, die „die anderen“ erbrin-gen müssen. Die Konsequenz: In Kitas geben Eltern ihren Kindern im Zweifelsfall Selbstgemachtes von zu Hause mit und Schulen vermerken niedrige Beteili-gungsraten an der Schulverpflegung bei Schülern mit Migrationshintergrund. „Dies melden uns Schu-len zurück“, berichtet Ursula Tenberge-Weber von der Vernetzungsstelle Schulverpflegung NRW. „Ursa-chen dafür können wir nur vermuten: Das Angebot entspricht nicht den Essgewohnheiten oder es besteht Misstrauen gegenüber dem schulischen Angebot, das sich weitestgehend an der deutschen Küche orientiert. Oft sind die Mahlzeitenbestandteile nicht erkennbar oder die Fleischart wird nicht ausrei-chend gekennzeichnet.“

Stereotype abbauen

Für Deniz Mesekoparan muss die Individualität der Kinder im Vordergrund stehen. Die Sozialpädagogin, die für den psychologischen Beratungsdienst der Stadt Würzburg arbeitet und Familien mit Migrations-hintergrund begleitet, wünscht sich eine von Reli-gion und Kultur unabhängige Bewertung von Spei-senvorlieben. „Nehmen wir als Beispiel zwei Kinder, eines türkisch und das andere afghanisch. Sie sind zwar beide muslimisch, aber ihre Familien leben ihren Glauben vielleicht ganz unterschiedlich.“ Für sie ist es daher schwer, pauschale Empfehlungen zu geben. „Jeder lebt seine Religion anders. Das gilt auch für Christen oder Juden. Wir müssen deshalb zuerst Stereotype abbauen.“

Nur Schwein weglassen reicht nicht

Stichwort Schweinefleisch: „Den Grundsatz, dass Muslime kein Schweinefleisch essen, kennt eigentlich jeder. Doch Alternativangebote von Hähnchen oder Rind sind nicht grundsätzlich für alle geeignet. Wenn das Fleisch nicht von geschächteten Tieren stammt, lehnen es einige Muslime ab“, erklärt Deniz Meseko-paran. „Dann ist das zwar gut gemeint, geht aber viel-

Quelle: WavebreakmediaMicro/Fotolia

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Kapitel 2 – Bildung | 21

leicht an der Lebenswelt eines Kindes vorbei.“ Wie in allen Religionen lässt sich auch im Islam ein individu-eller Umgang mit Speisenvorschriften beobachten. „Es gibt Familien, die sich strikt an die Vorgaben hal-ten, aber auch Familien, die flexibel damit umgehen.“ Während die einen nur in Halal-Supermärkten ein-kaufen, essen die anderen auch Rind- oder Geflügel-fleisch ohne Beachtung der Schlachtform. „Wichtig ist deshalb, dass wir nicht von einer Person auf einen gesamten Personenkreis schließen.“ Vegetarische Alternativen können ein gemeinsamer Nenner sein. „Aber vielleicht möchte das muslimische Kind auch Fleisch essen, wenn alle anderen Kinder Fleisch essen.“ Kitas und Schulen sollten daher nicht einzelne Kinder ausgrenzen. „Wenn es zweimal in der Woche ein Fleischgericht gibt, könnte vielleicht für muslimi-sche Kinder Helal-Fleisch, das laut dem arabischen Wort erlaubt ist, angeboten werden. An den anderen Tagen essen dann alle vegetarisch.“

Knackpunkt Schächtung

Im Islam darf nur Fleisch von geschächteten Tieren gegessen werden. Beim Schächten werden die Tiere ohne vorangegangene Betäubung mit einem Schnitt durch die Kehle getötet. Das Tier muss komplett aus-bluten. In Deutschland ist das Schlachten ohne Betäubung nach dem Tierschutzgesetz verboten. „Viele sind beim Schächten entsetzt. Für Muslime ist das aber normal, weil sie damit aufgewachsen sind. Nicht geschächtetes Fleisch ist für sie haram, also ver-boten“, erklärt Deniz Mesekoparan. „Für Muslime ist es genauso unverständlich, wenn Christen Schweine-fleisch essen. Wir kommen nicht weiter, wenn jeder nur auf seinem Standpunkt beharrt.“ Rückblickend stellt sie Veränderungen fest: „Früher gab es dazu keine Diskussionen, muslimische Eltern haben das mitgemacht. Mittlerweile leben muslimische Familien in Deutschland in dritter oder vierter Generation, die sich mehr trauen und mehr Gleichberechtigung ein-fordern“, so die Sozialpädagogin.

Halal-zertifizierte Produkte

Dabei sei es nicht grundsätzlich unmöglich, in einer Kita oder Schule geschächtetes Fleisch anzubieten. „Die Frage ist, ob eine Einrichtung das möchte“, so Deniz Mesekoparan. „Eine Möglichkeit sind halal-zer-tifizierte Fleischwaren.“ Der Tiefkühlmahlzeitenher-steller Apetito bietet einige Menüs und Menükompo-nenten an, die nach Halal-Richtlinien zubereitet und zertifiziert sind. Dabei bestätigt ein externer Zertifizie-rer dem Unternehmen die Einhaltung der Anforde-rungen. „Die Zertifizierung erfolgt unter Aufsicht muslimischer Autoritäten, die auch jährliche unange-kündigte Kontrollen durchführen. Sie ziehen Stich-proben, die in unabhängigen akkreditierten Labora-torien auf ihren Alkoholgehalt sowie auf Abwesen-heit von Schweine-DNA analysiert werden“, erklärt

Angela Koch, Marketing-Managerin für den Bereich Kitas und Schulen bei Apetito. „Wir führen keine eige-nen Schlachtungen durch, sondern kaufen fertig gegartes Fleisch von entsprechend zertifizierten Her-stellern zu. Die Schlachtung der Tiere erfolgt durch einen Muslim, der während des Vorgangs Gottes Erlaubnis erbittet. Da das betäubungslose Schlachten in Deutschland verboten ist, werden die Tiere zuvor zwar betäubt, aber nicht tot-betäubt. Deshalb kann der Korpus vollständig ausbluten. Es wird darauf geachtet, dass die Tiere während des Schlachtvor-gangs keinem unnötigen Stress und Schmerzen aus-gesetzt sind.“

Stolpersteine

Deniz Mesekoparan hat in ihrer täglichen Arbeit immer wieder mit interkulturellen Konflikten zu tun. „Unsere Beratungsstelle hält ein Angebot für musli-mische Frauen bereit. Oft ist bei unseren Treffen die Verpflegung der Kinder in Kita oder Schule Thema. Bei Konflikten versuchen wir, mit der Einrichtung ins Gespräch zu kommen und einen Kompromiss zu fin-den.“ Das geht manchmal einfacher als gedacht. „Gelatine lässt sich z. B. gut durch pflanzliche Binde-mittel ersetzen.“ Oft fehlt es auch nur an Information. „Ein Beispiel sind die Schinkennudeln, bei denen die Küchenkraft den Schinken mit viel gutem Willen von den Nudeln heruntergekratzt hat. Das reicht aber nicht aus, denn Helal- und Haram-Lebensmittel, erlaubte bzw. verbotene Lebensmittel, dürfen sich nicht berühren.“

Kreuzkontaminationen vermeiden

Viele Speisenvorschriften im Islam oder im Judentum beziehen besondere Vorgehensweisen beim Einkauf, der Lagerung oder Zubereitung von Lebensmitteln ein. So wird häufig eine räumliche oder zeitliche Trennung von Küchenabläufen notwendig, um Ver-mischungen der Speisen zu vermeiden. Wenn bei Grillfesten etwa die Rindsbratwurst neben der Schweinsbratwurst liegt, ist die Gefahr der Verwechs-lung groß. Auch Eltern von vegetarisch lebenden Kin-dern sind häufig empört, wenn es zu Vermischungen kommt, weil es an Wissen oder Sensibilität mangelt. Typisches Beispiel: Für die vegetarische und die fleischhaltige Bolognese wird der gleiche Ausgabe-löffel verwendet. Solche Kreuzkontaminationen las-sen sich u. a. durch getrennte Lagerung und Zuberei-tung vermeiden. Zwischen einzelnen Arbeitsgängen sollte die Küchenkraft ihren Arbeitsplatz reinigen. Bei Schneidbrettern, Messern oder Ausgabebesteck könnten unterschiedliche Farben für einzelne Lebensmittelgruppen helfen. Auch wenn sich Kreuz-kontaminationen trotz aller Sorgfalt nie ganz aus-schließen lassen, zeigt ein solches Vorgehen, dass unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten grund-sätzlich respektiert werden.

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Misstrauen und Akzeptanzprobleme

Deniz Mesekoparan kennt die Vorbehalte vieler Menschen, wenn es um dieses Thema geht. „Das wird teilweise sehr emotional diskutiert. Es besteht immer noch Misstrauen auf beiden Seiten. Köche oder Caterer fragen mich oft ‚Was sollen wir denn noch alles machen? Es gibt doch schon Hähnchen, dann sollen die doch damit zufrieden sein.‘ Auf der anderen Seite trauen viele muslimische Eltern dem Essen in Kita oder Schule nicht und geben den Kin-dern Selbstgekochtes mit. Das kann aber auch keine dauerhafte Lösung sein, denn Essen soll verbinden und nicht spalten.“ Je mehr ethisch, kulturell oder religiös motivierte Speisenwünsche umgesetzt wer-den sollen, desto höher ist der Aufwand für die Küche. „Vielleicht ist nicht immer alles leistbar. Des-wegen sollten alle Beteiligten zunächst klären, wel-cher Bedarf überhaupt besteht. Sehr oft sind Kom-promisse möglich. Entscheidend ist, dass offen und wohlwollend über alles gesprochen wird, damit Vor-behalte auf beiden Seiten abgebaut werden.“

Gemeinsamkeiten entdecken

„Die Frage ist doch, wie man ein Essensangebot umsetzen kann, mit dem alle zufrieden sind. Viele Hürden lassen sich auf beiden Seiten schon durch einfache Informationen abbauen. Wenn die Kita möglichst mehrsprachig darüber informiert, wie das Essensangebot gestaltet wird, fassen Eltern mehr Vertrauen. Wir sollten auch Möglichkeiten der Begegnung schaffen. Ein interkulturelles Sommer-

fest, Besuche von Kirchen und Moscheegemeinden, gemeinsame Einkäufe in Supermärkten für Christen und Muslime sind Beispiele. Ein interkultureller Kalender, der die Festtage aller Religionen berück-sichtigt, kann den Kita- oder Schulalltag sehr berei-chern. Wir brauchen einen neugierigen, kritischen und offenen Austausch“, wünscht sich Deniz Mese-koparan. „Wir dürfen uns nicht nur auf die Unter-schiede fokussieren, sondern müssen Gemeinsam-keiten finden. Und gemeinsam ist uns doch, dass wir alle gerne essen!“

Interkulturelles Kochbuch

In Aschaffenburg ist eine solche Begegnung durch ein interkulturelles Kochprojekt gelungen. Das Pro-jekt „Aschaffenburg is(s)t bunt“ der Johannes-de-la-Salle-Schule in Kooperation mit dem Stadtjugend-ring und dem Jukuz Aschaffenburg bringt Jugendli-che unterschiedlicher Kulturen zum gemeinsamen Kochen landestypischer Gerichte zusammen. Ent-standen ist daraus ein Kochbuch. Für Katharina Krimm, die als Lehrerin an der Johannes-de-la-Salle-Schule das Projekt mitinitiiert hat, war es anfangs nur eine Idee. „Aschaffenburg ist eine Stadt mit Ein-wohnern aus vielen verschiedenen Nationen. Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, alle Kulturen möglichst niedrigschwellig zusammenzubringen.“ Eine gute interkommunale Vernetzung hat das Pro-jekt befördert. „Es gab schon ein gutes Netzwerk. Wir haben dann verschiedene Gruppen zu Kochaktionen zusammengeführt.“

Religion nicht im Vordergrund

„Wir haben zu Beginn nur Musik gehört, uns aus- getauscht und gemeinsam gekocht“, berichtet Katharina Krimm vom Projekt „Aschaffenburg is(s)t bunt“. „Religiöse Aspekte standen gar nicht im Vor-dergrund. Wir haben die Aktionen dokumentiert und zusammen mit Rezepten in einem Kochbuch veröf-fentlicht“, erläutert Krimm weiter. „Das war ein großer Erfolg. Das Kochbuch ist mittlerweile vergriffen, wir haben viele Preise für das Projekt bekommen.“ Trotz Projektabschluss laufen die Koch-Events weiter. „Jetzt sprechen wir auch Schüler und Erwachsene in Flüchtlingsunterkünften an. Wir erfahren viel Zulauf, müssen aber darauf achten, dass der Kreis nicht zu groß wird. Sonst können keine Gespräche mehr statt-finden.“ Für Katharina Krimm ist es wichtig, den Men-schen in den Vordergrund zu rücken. „Ich darf andere Menschen nicht in eine Schablone pressen.“ Ihr Rezept für eine Annäherung ist gleiche Teilhabe und Mitwirkung. „Was ich selber mit anderen zubereite, hat einen ganz anderen Stellenwert. Man lernt eben nicht nur die fremde Küche und Kultur kennen, son-dern auch die Menschen. Unabhängig davon brau-chen Schulen einen pädagogischen Rahmen, der interkulturelle Bildung möglich macht.“

Essen im Islam

✔ Gebote werden als halal (oder helal) und Verbote als haram bezeichnet.

✔ Helal steht für das „Erlaubte“.

Gegessen werden darf u. a.: • FleischvonpflanzenfressendenTieren (Huhn, Rind, Schaf etc.), die nach bestimmten Vorschriften geschlachtet (geschächtet) wurden •Meerestiere • Kuhmilch,frischesObstundGemüse,Eier und pflanzliche Öle • MilchproduktenurohneZusätze, wie z. B. Gelatine oder bestimmte Enzyme

✔ Haram bedeutet „verboten“. Nicht gegessen werden darf: • Schweinefleisch (Schwein ist kein Wiederkäuer) sowie alle Substanzen vom Schwein • AlkoholoderLebensmittelmitAlkohol • FleischvonTieren,dienichtdurch Ausbluten gestorben sind

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Jahreskompendium Schülermenü 2016/2017

Statement

David Topp kocht in seiner Frischeküche

in der Kita „Kleine Traber“ der Kinder- und

Jugend gGmbH der Volkssolidarität Berlin in

Lichtenberg für 179 Kinder.

„Wir haben vor Kurzem drei Flüchtlingskinder auf-genommen und haben auch diverse Probleme, weil die Eltern und Kinder sich an unsere deutsche Essenskultur gewöhnen müssen. Sie sind deswe-gen etwas zurückhaltend und sagen auch mal, dass ihre Kinder hier nichts essen sollen und bringen stattdessen gern mal ihr eigenes Essen mit. Wir erklären dann, dass wir auf die einzelnen Bedürf-nisse Kinder eingehen. Auf verschiedenste Weise: Manche wollen gar kein Fleisch, manche nur Fisch, manche nur Hähnchen. Das Gericht wird immer, soweit wie möglich, abgewandelt. Wenn kein Schweinefleisch gewünscht wird, dann kaufen wir auch Hähnchen, holen etwas Rind oder wandeln das Gericht vegetarisch ab. Darauf können wir uns individuell einstellen. Wir nehmen die Essgewohn-heiten beim Erstgespräch auf und bleiben in stän-digem Austausch – insbesondere bei Flüchtlings-kindern sowie Kindern mit Migrationshintergrund und Kindern mit Allergien. Wenn die Eltern sehen, dass die Eingewöhnung funktioniert, dann erlau-ben sie je nach Religion auch, dass ihr Kind jetzt Hähnchen, Rind oder Fisch essen darf. Wir versor-gen auch Vegetarier. Vegane Essen bieten wir aus Überzeugung nicht an. Wir beziehen Obst und Gemüse von einem regionalen Hof aus Falkenberg, der komplett ohne chemische Stoffe anbaut. Jede Woche bieten wir zwei vegetarische Gerichte – ein Fisch-, ein Fleischgericht und einmal Suppe oder Eintopf. Wir geben den Eltern, deren Kinder Ernäh-rungsbesonderheiten haben, den Speisenplan für die kommende Woche bereits Ende der vorherigen Woche mit nach Hause, dann können Sie dazu-schreiben, was speziell für ihr Kind im Speisenplan geändert werden muss. Die Eltern können jederzeit die Pädagogen auf der Etage oder uns direkt ansprechen. Sie dürfen Essen für ihre Kindern mit-bringen, aber keine Speisen für alle Kinder, die selbst hergestellt sind oder die in der Kühlkette unterbrochen sein können.“

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Nachgefragt bei Volker Abdel Fattah

Volker Abdel Fattah,

Referent für Kinder- und

Jugendhilfe im AWO

Landesverband Sachsen:

„Integration und Migration

sind nicht neu.“

Wie können Flüchtlingskinder über die Speisenversorgung

besser in die Kita integriert werden?

Ich merke immer, dass es bei dem Thema viele Unsicherheiten und Vorbehalte gibt. Beides resultiert häufig aus fehlendem Wissen und wenigen Zugängen zu Menschen mit einem Mig-rationshintergrund. Viele Fachkräfte befürchten, dass etwas vollkommen Neues auf sie zukommt. Ich versuche zu vermit-teln, dass mit Flüchtlingskindern keine neuen Themen auftau-chen, die Kitas vor unbekannte Herausforderungen stellen. Sie sollten das Thema eher unter dem Aspekt des normalen Bildungs- und Erziehungsauftrages verstehen. Die Themen Integration und Migration sind nicht neu.

Wie sieht es bei der Speisenversorgung aus?

Zur Speisenversorgung und auch zur Bekleidung kommen die meisten Fragen. Ich bin immer etwas erstaunt, weil das Thema Lebensmittelunverträglichkeiten/ Allergien seit Jahren ein Thema ist, mit dem Kitas umgehen können. Auch von der DGE sind entsprechende Empfehlungen formuliert worden. So kann jedem Kind das Essen für seine individuellen Bedürfnisse angeboten werden. Kinder, die kein Schweinefleisch oder sogar halal essen, sind eben kein „unbekanntes Phänomen“, sondern wie jedes Kind mit seinen eigenen Gewohnheiten und Bedürfnissen zu sehen. Wie bei jedem Kind muss die Kita individuell mit den Eltern reden, was das Kind bzw. die Eltern möchten oder nicht möchten. Und dann ist nicht jedes syri-sche oder irakische Kind muslimisch. Es gibt in den arabischen Ländern viele religiöse Minderheiten. Es ist auch immer die Frage, inwieweit muslimische Familien ihren Glauben ausle-ben. Ob ein Kind kein Schweinefleisch oder halal isst und inwiefern das bei der Speisenversorgung berücksichtigt wer-den kann, muss die Kita, wie bei jedem anderen Kind auch, vorab mit den Eltern klären.

Somit gibt es für Kitas keine neuen Aufgaben?

Das Einzige, was besonders hinzukommt, ist, dass die Kinder neben dem Migrationshintergrund noch Fluchterfahrung mit-bringen. Das wirkt sich verstärkt aus. Kitas müssen sich seit der Integrationsdebatte in den 1990ern zunehmend mit vielfälti-gen Lebensformen auseinandersetzen. Der heutige Inklusions-anspruch bedeutet, dass die Kita den individuellen Bedürfnis-sen jedes Kindes gerecht wird, und zwar unabhängig von der Herkunft! Die Inklusion über Essensangebote heißt, jedem Kind ein seinen Bedürfnissen entsprechendes Speisenangebot bereitzustellen, egal ob inländisch oder ausländisch.

Wie weit sollte das Speisenangebot reichen?

Grundsätzlich würde ich in einer Kita immer Alternativen anbieten. Das ist schon aufgrund der Allergien oder Lebensunverträglichkeiten geboten. Süßigkeiten sind ein wei-terer Punkt. Viele Gummibärchen enthalten Gelatine aus Schweineknochen. In diesem Fall sollte sich die Kita überle-gen, ob sie Alternativen bereitstellen kann, wie z. B. vegane Fruchtgummis. Ich würde aber z. B. davon abraten, Schweine-fleischgerichte aus Kitas zu verbannen. Dann provozieren Kitas einen Aufstand. Sie können den deutschen Kindern nicht die geliebten Wiener Würstchen wegnehmen. Das wäre eine Ungleichbehandlung. Alle Eltern haben die gleichen Rechte und Möglichkeiten, ein Essen zu bestellen, das sie ihrem Kind geben möchten. Ein viel gravierender Punkt ist, dass muslimi-sche Eltern vielfach nicht das Vertrauen haben, dass die Kita wirklich schweinefleischfreie Gerichte ausreicht. Dann verbie-ten die Eltern ihren Kindern Fleisch generell. In diesen Fällen sollte man in die Elternarbeit gehen und die Eltern einbezie-hen, indem man sie z. B. am Essen teilnehmen lässt. Jedes Kind sollte die individuelle Zuwendung erfahren, die es braucht, und alle Familien dieselbe Mitsprachemöglichkeit und das-selbe Entgegenkommen erhalten.

Stören Sprachprobleme die genaue Abstimmung?

Ich empfehle immer, die Essensversorgung im Erstgespräch zu klären, das auf jeden Fall im Beisein eines Dolmetschers erfol-gen muss. Kitas sollten ihre Möglichkeiten und Grenzen auch bei der Essensversorgung ausloten. Wenn es sich z. B. nicht einrichten lässt, dass immer dieses spezielle Essen, z. B. halal, bereitgestellt wird, sollte sich die Kita diese Grenze eingeste-hen und dies den Eltern so kommunizieren. Dann können die Eltern immer noch eine Brotdose mitgeben oder sich anders orientieren.

Kann die Mahlzeit in der Kita die Integration fördern?

Wenn es darum geht, die Familien gut in die Kita einzuleben, kann das über das Essen, wenn Familien z. B. bei Festen ihre eigene Esskultur vorstellen, besonders gut bewerkstelligt wer-den. Dazu kann man gut auf Flüchtlingsfamilien zugehen. Da ist die Frage eher, wie Kitas das aus Sicht der Lebensmittel-hygiene, Allergien und Zusatzstoffen sicherstellen können.

Wie werden die Kitaangebote angenommen?

Es gibt in Deutschland keine Kitapflicht. Zudem ist die Kinder-tagesbetreuung im arabischen Raum weitestgehend unbe-kannt. Deswegen werden Kitaangebote manchmal nur sehr zögerlich angenommen. Wenn man Kitas als Orte versteht, wo schon in jungem Alter Bildung passiert, wäre es aber wichtig, niedrigschwellige Zugänge für Flüchtlingsfamilien zu schaffen. Häufig ist es so, dass wenn eine ausländische Familie ihr Kind in die Kita bringt und positive Erfahrungen macht, alle ande-ren dann folgen. Diese guten Erfahrungen sprechen sich schnell herum und sind ein Türöffner. Das Kind erhält in der Kita vielfach eine Auszeit, in der es Kind sein kann. Das ist in Gemeinschaftsunterkünften vielfach nicht möglich.

Quelle: Privat

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Kapitel 2 – Bildung | 25

Betreuung von Flüchtlingskindern

Asylbewerber- und Flüchtlingskinder haben densel-ben Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz wie alle Kin-der: vom vollendeten ersten Lebensjahr an. Dennoch ist die Betreuungsquote unter Flüchtlingskindern noch eher gering. Um ähnliche Quoten zu erzielen, wie bei den bereits hier lebenden Kindern bräuchte man – ausgehend von rund einer Million Flüchtlingen in 2015 – rund 80.000 zusätzliche Plätze im Jahr, wie eine Sprecherin des Bundesfamilienministerium auf Anfrage bekannt gab. Für 2016 liegen noch keine Daten vor. Die Jugendämter versuchen mit den Trä-gern, öffentlichen wie freien, eine bedarfsdeckende Versorgung für alle Kinder sicherzustellen. Einige Bun-desländer und Kommunen fördern deshalb niedrig-schwellige Betreuungsangebote, die Kindern vor dem Schuleintritt und ihren Familien den Zugang zur insti-tutionellen Kindertagesbetreuung erleichtern, wie offene und halboffene Angebote wie z. B. Spielgrup-pen. Mit dem Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ unter-stützt das Bundesfamilienministerium die sprachliche Bildung in Kitas. Das Programm richtet sich hauptsäch-lich an Kitas, die von einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern mit besonderem sprachli-chem Förderbedarf besucht werden.

Was passiert in einer „Sprach-Kita“?

Die teilnehmenden Einrichtungen werden durch zusätzliche Fachkräfte, Sprachexperten, bei der sprach-lichen Bildungsarbeit unterstützt. Alltagsintegrierte sprachliche Bildung richte sich an alle Kinder in den Einrichtungen. Davon sollen insbesondere Kinder pro-fitieren, deren Familiensprache nicht Deutsch ist, also beispielsweise Kinder mit Fluchthintergrund. Hinzu kommen Kinder aus bildungsbenachteiligten Fami-lien, die zu Hause zwar Deutsch sprechen, aber trotz-dem besondere Unterstützung beim Spracherwerb brauchen. „Das Bundesprogramm ‚Sprach-Kitas‘ (erste Welle) ist am 1. Januar 2016 mit nunmehr 3.406 ‚Sprach-Kitas‘ und 268 zusätzlichen Fachberatungen gestartet“, so die Sprecherin. Vorbehaltlich der Zustim-mung des Deutschen Bundestags können voraus-sichtlich in einer zweite Förderwelle ab 1. Januar 2017 bundesweit weitere Einrichtungen und Fachberatun-gen gefördert werden, sagte sie weiter. Die erste Stufe, das online-gestützte Interessenbekundungsverfahren für die Träger von Kindertageseinrichtungen, läuft noch bis zum 30. September 2016 ausschließlich elek-tronisch über http://sprach-kitas.fruehe-chancen.de/ interessenbekundung. Im Herbst 2016 wählen die Länderministerien die antragsberechtigten Kitas aus.

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