vicky gabriel - der alte pfad.doc

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Zur Einstimmung Hüterin des Weges Die Welt ist groß, und die Welt ist weit. Oh nein, das ist nichts Selbstverständliches. Viele Leute sagen zwar, die Welt sei groß, doch sie wissen nicht, wie groß sie ist, denn sie haben nie mehr als den Weg vom Dorf bis zum Markt oder die Blüte der heimatlichen Bäume gesehen. In Wirklichkeit aber ist die Welt noch viel, viel größer. Und es gab da jemanden; der wußte, wie groß sie wirklich ist, und dieser Jemand war eine Schildkröte. Warum gerade eine Schildkröte? Nun, Schildkröten leben sehr; sehr lange und diese eine ganz besonders - und sie haben immer Zeit. Langsam und gemächlich ziehen sie über das Land, so langsam; daß sie alles sehen können und nichts ihrem Blick entgeht. Wer so wandert, der kennt die Welt und weiß, wie groß sie wirklich ist. Unsere besondere Schildkröte - wißt Ihr noch, was sie so besonders macht? Richtig, daß sie besonders alt ist. Es ist gut; daß Ihres noch wißt, denn das heißt, daß Ihr wie die Schildkröten wandert und eines Tages wissen werdet, wie groß .die Welt wirklich ist! Diese besondere Schildkröte also zog seit vielen, vielen Jahren über das Land. Sie hatte viel gesehen: die Geburt eines Kindes, zwei Menschen, die umeinander in Liebe warben, eine Hochzeit (in Wahrheit sogar sehr viele Hochzeiten) und einen Trauerzug; und immer saß sie am Wegesrand, sah zu und sagte: »Es wird, wie es werden soll:« Auch sah sie einen Mann, der einen anderen bestahl, einen, der ein Kind rettete, das ins Wasser gefallen war und einen, der seinen Nachbarn tötete. Sie saß da und sagte: » Es wird, wie es werden soll.« Sie sah einen Harfner, der alle Menschen um sich herum mit seinem verzaubernden Lied glücklich machte, sah Menschen beim Tanz und Menschen im Streit. Sie sah Länder blühen und andere unter dem Joch der Hungersnot verdorren, doch immer sagte sie pur diesen einen Satz: » Es wird, wie es werden soll.« Nun, so eine Schildkröte, die Jahr um Jahr durch die Welt zieht, fällt irgendwann auf. Die Menschen begannen sich zu fragen, wann sie sie denn zum ersten Male gesehen hätten, und als sie es

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Zur Einstimmung

Hüterin des Weges

Die Welt ist groß, und die Welt ist weit. Oh nein, das ist nichts Selbstverständliches. Viele Leute sagen zwar, die Welt sei groß, doch sie wissen nicht, wie groß sie ist, denn sie haben nie mehr als den Weg vom Dorf bis zum Markt oder die Blüte der heimatlichen Bäume gesehen. In Wirklichkeit aber ist die Welt noch viel, viel größer. Und es gab da jemanden; der wußte, wie groß sie wirklich ist, und dieser Jemand war eine Schildkröte.

Warum gerade eine Schildkröte? Nun, Schildkröten leben sehr; sehr lange und diese eine ganz besonders - und sie haben immer Zeit. Langsam und gemächlich ziehen sie über das Land, so langsam; daß sie alles sehen können und nichts ihrem Blick entgeht. Wer so wandert, der kennt die Welt und weiß, wie groß sie wirklich ist.

Unsere besondere Schildkröte - wißt Ihr noch, was sie so besonders macht? Richtig, daß sie besonders alt ist. Es ist gut; daß Ihres noch wißt, denn das heißt, daß Ihr wie die Schildkröten wandert und eines Tages wissen werdet, wie groß .die Welt wirklich ist! Diese besondere Schildkröte also zog seit vielen, vielen Jahren über das Land. Sie hatte viel gesehen: die Geburt eines Kindes, zwei Menschen, die umeinander in Liebe warben, eine Hochzeit (in Wahrheit sogar sehr viele Hochzeiten) und einen Trauerzug; und immer saß sie am Wegesrand, sah zu und sagte: »Es wird, wie es werden soll:« Auch sah sie einen Mann, der einen anderen bestahl, einen, der ein Kind rettete, das ins Wasser gefallen war und einen, der seinen Nachbarn tötete. Sie saß da und sagte: » Es wird, wie es werden soll.« Sie sah einen Harfner, der alle Menschen um sich herum mit seinem verzaubernden Lied glücklich machte, sah Menschen beim Tanz und Menschen im Streit. Sie sah Länder blühen und andere unter dem Joch der Hungersnot verdorren, doch immer sagte sie pur diesen einen Satz: » Es wird, wie es werden soll.«Nun, so eine Schildkröte, die Jahr um Jahr durch die Welt zieht, fällt irgendwann auf. Die Menschen begannen sich zu fragen, wann sie sie denn zum ersten Male gesehen hätten, und als sie es nicht sagen konnten, fragten sie ihre Eltern, und als auch diese es nicht wußten, wieder deren Eltern ... Also, um es kurz zu machen: Bald war allen klar, daß die Schildkröte schon sehr, sehr lange in der Welt umherzog und sehr, sehr viel gesehen haben mußte. Und wie war das doch gleich mit den Leuten, die sehr langsam gehen und auf diese Weise sehr viel sehen? Ja, genau: Sie wissen irgendwann, wie groß die Welt wirklich ist. Es macht mich sehr glücklich; daß Ihr Euch auch daran noch erinnert, denn es bedeutet, daß ich meine Geschichte vor den richtigen Ohren ausbreite, nämlich jenen, die noch hören können.

So begannen die Menschen also, die Schildkröte aufzusuchen und um ihren Rat zu bitten. Die Schildkröte hörte sich die Geschichten, die ihr so am Wegesrand erzählt wurden; aufmerksam an; doch ihre Antwort lautete immer: »Es wird, wie es werden soll.« Das verwirrte die Menschen, die nicht recht wußten, wie dieser eine Satz ihnen in all ihren verschiedenen Lebenslagen von Nutzen sein sollte, und so kam es, daß die Schildkröte bald wieder allein und unbehelligt ihres Weges zog, weil die Menschen diesen Rat nicht hören wollten.

Eines Tages aber; kam ein Mann zu ihr. Seine Eltern hatten ihm die Geschichte von der. Schildkröte erzählt, die immer nur diesen einen Satz sagte, was immer sie auch sah oder hörte, und so war er neugierig geworden und hatte sich aufgemacht, das Rätsel zu lösen. In all den vielen Jahren war er der erste, der die Schildkröte nicht nach seinen Problemen fragte, sondern etwas über sie selbst wissen wollte. So ging er also hin und sagte:

»Die Menschen haben mir seltsame Dinge über dich erzählt. Warum sagst du zu allem immerzu: Es wird, wie es werden soll?«

Da lächelte die Schildkröte, erhob sich und bedeutete dem Mann, ihr zu folgen. Sie führte ihn an ein weites Gräberfeld und sagte:

»Siehst du, hier liegen all jene, die ich gesehen und gehört habe. Und es wurde immer, wie es werden sollte.«

Sie zeigte ihm das Grab des Kindes, das aus dem Wasser gerettet worden war und erzählte ihm, daß es seinen Tod nur wenige Jahre später auf dem Schlachtfeld gefunden habe. Und dann das Grab des Mannes, der seinen Nachbarn im Zorn getötet hatte; sein Leben endete nach vielen, vielen Jahren, die er in Wohlstand und Glück erleben durfte. Und dann das Grab des jungen Paares, das umeinander warb, als die Schildkröte vorbeikam; die Braut starb noch im Kindbett, doch der Bräutigam fand bald darauf eine andere Frau, mit der er viele Kinder hatte. Und das Grab des Diebes, der kurze Zeit später ein Mönch geworden war, um für seine Sünden zu sühnen und den Menschen fortan nur noch Gutes zu tun.

„ Nur das Ende ist immer und überall gleich«, sagte die Schildkröte. »Gewiß ist jedem nur der Tod.«

Der Mann fand dies grausam und ungerecht und fragte die Schildkröte, warum sie ihm auf seine Frage denn geantwortet habe, wenn sie nur Tod und Ungerechtigkeit vorweisen könne. Da lächelte die Schildkröte wieder ihr leises, altes Lächeln und sagte:

»Was weißt du denn darüber, wie die Welt wirklich ist? Wie lange bist du denn langsam gewandert und hast gesehen? Die Gerechtigkeit, die ihr Menschen immer so ehrt und selten beachtet, gibt es gar nicht. Gerecht ist nicht, was euch zusteht, sondern was geschehen muß. Jeder Mensch nimmt seinen Platz im Plan der Welt ein, und all jene, die du gesehen hast, haben ihren Teil daran getan, und sie haben ihn gut getan.«

Der Mann war mit dieser Antwort aber nicht zufrieden und fragte abermals: »Aber wozu waren all diese Leben, all diese Freuden, Mühen und Schmerzen dann gut?«

Da blickte die Schildkröte hinauf zu ihm und sagte: »Damit ich wachsen, lernen, mich wandeln und verwandeln kann.«

Und dann verschmolz sie vor den Augen des Mannes mit dem Boden unter ihren Füßen, löste sich einfach auf und ging ein in die Erde. Einen ganz, ganz kurzen Augenblick lang leuchtete alles um ihn herum - der Weg, auf dem er stand, die Wiesen, die Felder mit dem jungen Korn, ja, sogar die waldbedeckten Berge und der See - im Muster ihres Panzers auf; dann war auch das verschwunden. Der Mann aber konnte Zeit seines Lebens nie wieder einen Schritt tun, ohne zu wissen, auf welch weises Wesen er seine Füße setzte und daß alles so wird, wie es werden soll.

Vorwort

»Selbstfindung« - ein gerne und oft ge- wie auch mißbrauchtes Schlagwort unserer Tage. Anscheinend dreht t sich heute alles darum, » zu sich selbst zurückzufinden«, »sich selbst zu leben« oder gar »zu werden, was man ist«. Mal abgesehen davon, mit welch erstaunlicher Mühe

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hier das Offensichtliche betont wird - ich bin hier, wo denn schließlich sonst? - scheinen uns auch Jahre des Psycho - und Esoteriktrends in dieser Richtung keinen wesentlichen Schritt weiter gebracht zu haben. Dabei sind die Angebote enorm: Wenn Sie einen Blick in die einschlägigen Zeitschriften werfen, werden Sie unzählige Buch-, Seminar- und Vortragsangebote finden, die alle versprechen, Ihnen zeigen zu können, wie Ihr wahres Selbst denn nun aussieht. Sie können .diese Angebote wahrnehmen und Ihr altes Lebenssystem gegen ein neues Ihrer Wahl austauschen; vielleicht ist dieses neue sogar besser für Ihre Karriereaussichten, gesünder für Ihren Körper oder entspannender für Ihren Geist. Aber deswegen muß es noch lange nicht ein Teil Ihres Selbst sein.

Was also ist das eigentlich, Ihr Selbst? Ich vermute, daß es sich dabei um eine Kombination aus verschiedenen Faktoren handelt. Da wäre zum einen all das, was Sie bereits in dem Augenblick ausmachte, als Sie zur Welt kamen - ja, vielleicht schon, als Sie empfangen wurden. Irgend etwas haben Sie von Anfang an mitgebracht, es hat Sie zu jeder Sekunde Ihres Lebens ausgemacht, gekennzeichnet und einmalig sein lassen. Dazu kommen die Summe Ihrer Lebenserfahrungen und die Entscheidungen, die Sie bezüglich der Frage, wie Sie mit diesen Erfahrungen umgehen wollen; getroffen haben. Irgendwo in diesem Chaos aus Gefühlen, Gedanken, Werten und Zielen sind Ihre ureigenen Vorstellungen, all das, was aus Ihnen selbst und von sonst nirgendwo her erwachsen ist. Wenn ich mir an dieser Stelle eine kleine Intimität erlauben darf: Vertrauen Sie mir. All das ist da und in vielerlei Beziehung näher, als Sie im Augenblick vielleicht vermuten.

Ich nenne dieses Etwas die eigene, einem jeden Menschen innewohnende Natur. Ich möchte Sie hiermit einladen, sich mit mir gemeinsam auf die Suche nach dieser eigenen inneren Natur zu machen, und das sind keine leeren Worte. Auch auf die Gefahr hin, Sie jetzt enttäuschen zu müssen: Nein, ich habe die meine keineswegs restlos aufgedeckt. Ich bin nicht erleuchtet und habe Ihnen auch sonst nichts voraus. Aber ich gehe den Weg, von dem ich Ihnen hier berichten will und ,lebe trotzdem - und das im Augenblick sogar sehr glücklich, denn was ich nun gerade tue, will ich wirklich machen, es gibt mir Kraft und Lebensfreude, und ohne diese Dinge brauchen Sie sich gar nicht erst nach Alternativen für Ihre gegenwärtige Situation umzusehen - Sie könnten eine Veränderung nämlich gar nicht umsetzen. Das Leben funktioniert nicht von Null auf Hundert in acht Sekunden, es will Schritt für Schritt, Etappe für Etappe und Thema für Thema erlebt, erfahren und erweitert werden. Das klingt doch recht beachtlich für jemanden, der nicht weiter ist als Sie, oder? Also, warum sollte es nicht auch Ihnen möglich sein?

Veränderungen im eigenen Leben müssen nämlich dann in die Wege geleitet werden, wenn, es einem schlecht geht. Viele Menschen machen den Fehler abzuwarten; bis dafür »bessere Bedingungen herrschen« - bis die Gehaltserhöhung durch ist, die Kinder aus dem Haus sind oder der nächste Kredit abbezahlt ist: Sie glauben, dann wären Zeit und Geld für Veränderungen in ihrem Leben da. Interessanterweise tritt dieser Zeitpunkt jedoch nie ein; wenn der Kredit abbezahlt ist, hat der Wagen plötzlich einen Motorschaden oder es stellt sich heraus, daß Sie Ihren Keller drainieren müssen, wenn sie in diesem Haus nicht bald den Freischwimmer machen wollen: Es kommt immer etwas nach, glauben Sie mir. Daraus ergeben sich zwei Schlußfolgerungen:

1. Positive Veränderungen in Ihrem Leben fallen Ihnen nicht zufälligerweise und von außen in den Schoß, sondern werden von Ihnen selbst eingeleitet.

2. Der richtige Zeitpunkt, um mit einer Veränderung Ihrer Lebensstrukturen zu beginnen, ist immer jetzt.

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Ich möchte Ihnen kein System vorstellen, das Sie gnadenlos bis ins Detail nachahmen sollen, sondern Ihnen Anregungen zur Hand geben, die es Ihnen ermöglichen können, Ihr eigenes Lebenssystem Ihren eigenen Bedürfnissen gemäß entdecken und Stück für Stück in Ihren Alltag integrieren zu können. Zu diesem Zweck müssen sie, allerdings bereit sein zu lernen, Ihre eigenen inneren Bedürfnisse von jenen anderer Menschen und auch von Ihren eigenen Ausreden trennen zu lernen; doch das ist gar nicht so schwer, wie allgemein behauptet wird. Ich möchte Ihnen den Spaten geben, den sie brauchen, um sich selbst auszugraben, ihre eigene innere Natur freizulegen. Denn Sie sind etwas Natürliches. Wir neigen im allgemeinen Sprachgebrauch und Bewußtsein oft dazu, den Menschen als etwas von der Natur Abgetrenntes und Isoliertes zu sehen, doch dabei handelt es sich um einen Trugschluß. Wir betrachten das Krebsgeschwür an einem Baum ja auch nicht als unnatürlich; es ist erkrankte Natur, aber dennoch Natur. Ebenso verhält es sich mit uns »zivilisierten« Menschen. Das mag Ihnen zunächst hart erscheinen, aber sehen Sie es doch auch einmal so: Wir müssen nicht zur Natur zurück - wir sind Natur und waren nie von ihr ausgeschlossen, sondern haben uns nur auf eine Weise verändert, die uns und unserer natürlichen Umgebung Unbehagen bereitet. Den ersten Schritt habe ich Ihnen also bereits abgenommen - nun, ist das Buch sein Geld wert oder nicht?

Die Reise, auf die ich mich begeben habe und zu der Sie jederzeit zusteigen können, ist wie ein Tanz: neu und interessant, frustrierend, wenn Sie die Schritte immer und immer wieder üben müssen, um sie zu beherrschen, berauschend, wenn Sie -die neue Choreographie zum ersten Mal mit voller Orchesterbegleitung ausführen, fordernd, wenn Sie begreifen, daß Sie nie imstande sein werden, die dreifache Drehung bis zur Vollendung zu erlernen und Ihre Schritte angemessen verändern müssen. Es ist alles darin; ich habe kein Rezept, das Ihnen Verletzungen, Enttäuschungen, Trauer oder Wut erspart. Ich sage es Ihnen lieber gleich, dann können Sie das Buch vielleicht noch zurückgeben: Liebe, Freude, Kraft und Mut kriegen Sie ohne die Dinge und Gefühle, vor denen Sie Angst haben, nicht. Wenn Sie einen solchen Versuch starten, erhalten Sie paradoxerweise nur das, was Sie nicht wollten. Glauben Sie mir - ich habe es probiert. Es klappt nicht. Dafür ist etwas anderes möglich: Sie können lernen, Ihren Ängsten und; all dem, wovor Sie sich mittels dieser Ängste schützen, gewappnet zu begegnen. Sie können lernen, mit ihnen umzugehen, ohne davon vernichtet zu werden. Und mal ganz ehrlich: Wenn die Version, die nur Liebe und Freude enthält, sowieso nicht realisierbar ist, stellt meine Variante gegenüber dem allgegenwärtigen Sumpf aus Kälte, Depression und Frust allemal den besseren Vorschlag dar, oder?

Zu diesem Zweck werde ich Sie auf den folgenden Seiten mit Techniken und Hilfsmitteln vertraut machen, die aus der Praxis verschiedener Naturreligionen stammen, welche das Selbst ebenfalls als Teil der Natur betrachten. Um mit diesen Anregungen zu arbeiten, müssen Sie weder Ihre Religion wechseln noch überhaupt religiös werden - schließlich üben ja auch Tausende von Menschen täglich die Zenmeditation, ohne deswegen gleich zum Buddhismus überzutreten.

Wenn Sie erst einmal auf den Spuren Ihrer eigenen inneren Natur gelandet sind, werden Sie feststellen, daß dieser Weg sogar noch viel mehr als annehmbar ist. Es ist der einzige für Sie mögliche auf dem Weg zu diesem glücklichen Gefühl irgendwo tief da unten in Ihrem Bauch. Nicht immer, aber immer öfter.

Frankfurt [Vogelsberg, im Mai 1998Vicky Gabriel

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Teil I

Die Beziehung zu sich selbst

und zur Umwelt

Lebensfreude

Was es mit dem Glück auf sich hat

Die meisten Menschen, denen ich begegne, scheinen mit ihrem Leben nicht allzu zufrieden zu sein. Wenn ich Bekannten beim zufälligen Treffen auf der Straße die berühmte Frage nach ihrem Befinden stelle, höre ich gleich nach dem obligatorischen »Danke, gut« meist eine Flut von Beschwerden - das Auto ist mal wieder reparaturbedürftig, Junior hat Probleme in der Schule, die neue Position innerhalb der Firma frißt die ganze Freizeit auf, in der Ehe kriselt es ... Unglück und Unzufriedenheit allerorten. Wir tauschen unsere Beschwerden aus und gehen dann auch noch mit einem Gefühl der gegenseitigen Hochachtung auseinander - schließlich haben wir einander doch gerade mal wieder versichert, gut funktionierende und unseren gesellschaftlichen Aufgaben diszipliniert nachkommende Individuen zu sein. Nur glücklich sind wir irgendwie nicht. Aber das Glück kommt schon eines Tages noch, und auf diesen Tag warten wir - den Tag, an dem es endlich genug Geld gibt, um einen Neuwagen fahren zu können oder an dem Junior aus »dem Schlimmsten raus« ist; der Tag, an dem wir für all unsere Mühen endlich belohnt werden.

Ich verrate Ihnen jetzt eine niederschmetternde Tatsache: Dieser Tag wird niemals kommen. Das Blatt wird sich nicht plötzlich und unerwartet wenden, selbst dann nicht, wenn die Gehaltserhöhung eintritt - dann werden neue Anforderungen und Schwierigkeiten auf Sie zukommen, die nun Ihren neuen Möglichkeiten entsprechend größer geworden sind. Es wird nie der Zeitpunkt kommen, an dem Sie es geschafft haben. Warum nicht? Weil Sie erwarten, den Lohn für Ihre Anstrengungen von außen zu erhalten, eben »belohnt zu werden«, und so funktioniert die Geschichte nicht. Darauf können Sie getrost Ihr ganzes Leben lang warten.

Sie sind eben nicht mehr fünf Jahre alt. Man versorgt Sie nicht mehr und stellt nicht mehr von außen her sicher, daß Sie alles bekommen, was Sie zum Leben benötigen. Sie werden auch nicht mehr erzogen und für richtiges Verhalten belohnt. Da ist niemand mehr, der all dies tun könnte. Sie sind jetzt erwachsen und haben damit die Verantwortung, all diese Funktionen selbst zu erfüllen - und zwar nicht nur für Ihre Kinder, sondern auch für sich selbst.

Das wissen Sie ja auch bereits seit langem. Es ist .Ihnen klar, daß Sie sich um Ihren Lebensunterhalt selbst kümmern müssen, aber die andere Hälfte Ihrer Aufgaben haben Sie übersehen. Dabei ist das völlig unlogisch: Wenn erwachsen zu sein unter anderem bedeutet, all jene Funktionen, die einmal die Eltern ausübten, nun selbst innezuhaben, warum sollte das dann ausgerechnet auf die Erfüllung Ihrer eigenen Bedürfnisse nicht zutreffen? Weil das für Erwachsene nicht nötig oder gar unmöglich ist? Aha. Fühlen Sie sich so, wie Sie jetzt gerade leben, rundherum gut? Nein? Dann machen Sie es möglich, denn sonst werden Sie scheitern.

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Vom Wert der Freude

Es ist schon eine seltsame Sache mit der Lebensfreude: Alle sehnen sich danach und wollen gerne glücklich sein, aber wenn es jemandem in der Tat einmal gelingt, sich diesem stillen Rausch des Wohlbefindens hinzugeben; wird er von seiner Umgebung äußerst argwöhnisch betrachtet. Sollte der um diese Tageszeit nicht eigentlich arbeiten? Hat sie nichts zu tun, wenn sie vormittags genießerisch in der Sonne liegt? Unnützes Zeug; diese Lebensfreude, nur etwas für Reiche oder Faulenzer. Wir haben jedenfalls noch einiges zu erledigen. Wir befinden uns ja schließlich auf der sicheren Seite und wollen dafür sorgen, daß es auch so bleibt.

Und genau dafür zahlen wir einen hohen Preis. Ich weiß, es ist in unserer Kultur einfach nicht »in«, mit leichten Schritten in beschwingter Stimmung durchs Leben zu wandern. Unsere gesamte Theaterkultur basiert heute auf der hohen Kunst, die mit tiefem Sinn aber auch jedes noch so gute Stück zu ruinieren imstande ist, und wer am Vorabend die kleine Komödie im Pay-TV genossen hat, sollte dies besser nicht laut verkünden, wenn sich am nächsten Morgen im Büro alle sichtlich angeregt über diese grandiose Literaturverfilmung im Ersten unterhalten. Irgendwie scheinen Freude, Spaß und Genuß kein allzu hohes Niveau zuhaben, und Niveau ist doch wichtig, oder?

Es ist wichtig, ungemein wichtig sogar. Wenn wir aufhören, über uns und unsere Lebensbedingungen nachzudenken und uns mit unserer Umgebung kritisch auseinanderzusetzen, sprechen wir uns selbst das Urteil des langsamen, aber unaufhaltsamen Untergangs aus. Aber wer »A« sagt, muß bekanntlicherweise auch »B« sagen, wer kritisch betrachtet, muß auch zur Veränderung bereit sein, sonst war die ganze Mühe mal wieder umsonst. Können Sie mir nun bitte erklären, wie Sie das zuwege bringen wollen, wenn Sie keine Kraft dazu haben? All Ihr Niveau nützt Ihnen nichts, wenn Sie nicht über die Energie verfügen, um aus Ihren Erkenntnissen auch etwas zu machen, ihnen also Veränderungen folgen zu lassen: Sich mit Lebensenergie zu versorgen ist jedoch jederzeit und überall möglich und stellt eine Sache von einer halben Stunde dar - wenn Sie sich der Erhaltung Ihrer Kraftreserven täglich zu widmen bereit sind.

Freude und Genuß sind entgegen der landläufigen Meinung alles, nur nicht nutzlos. In diesen Momenten, in denen wir jegliche Last und Verantwortung abstreifen und voller Lust genießerisch im Hier und Jetzt schwelgen, schaffen wir die Grundlage dafür, unser Leben auf sinnvolle; angemessene und selbstverantwortliche Weise gestalten zu können. Sie kommen nicht weit, wenn Sie Ihre einzige Kraft aus der während dem Fernsehen eingenommenen Nahrung und sieben Stunden Schlaf zwischen zwei sorgenerfüllten Tagen zu beziehen versuchen. Wir brauchen mehr als das, und wie Sie sich vielleicht erinnern, sagte ich gerade, daß Sie nun die Person in Ihrem Leben sind, die dafür zuständig ist, daß Sie auch erhalten, was Sie brauchen. Natürlich kommen viele Menschen auch ohne diesen »Luxus« über die Runden, und natürlich können auch Sie auf diese althergebrachte Weise neunzig Jahre alt und Vorstandschef werden - aber deswegen wird Sie all dies noch lange nicht glücklich machen. Und darum geht es doch schließlich!

Wie aber wird man nun glücklich?

Ich habe nicht die geringste Ahnung. Für »man« habe ich kein Patentrezept, »man« -wer immer das auch ist - wird sich darüber schon selbst Gedanken machen müssen. Und da ich »man« nicht weiterhelfen kann, ist es am besten, wenn Sie von nun an aufhören, dieses Wort in Ihren

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Gedanken auf sich selbst anzuwenden. Wie ich schon sagte, ist das hier kein Kochbuch, anhand dessen es jedem möglich ist, einen guten Rinderbraten zuzubereiten (immerhin geht es hier ja auch um ein klein wenig mehr als das), sondern ein Versuch, Ihnen Mittel und Möglichkeiten zu geben, Ihre ganz persönlichen, ureigenen Lösungen zu finden. Und die, das sage ich Ihnen gleich vorweg, treffen auf, »man« mit Sicherheit nicht zu; vielleicht wird »man« sie sogar verurteilen. Aber was bedeutet das schon, wenn Sie glücklich sind?

Beobachten Sie Ihre Gedanken eine Zeitlang. Hören Sie sich selbst zu, wenn Sie einkaufen, lernen, Ihre Garderobe auswählen oder in einer geschäftlichen Besprechung sitzen. Ihr innerer Monolog ist in Wirklichkeit ein Dialog, ein Zwiegespräch zwischen Ihren eigenen Wünschen und äußeren Anforderungen. »Man« kommt immer dann zum Zuge, wenn hier Widersprüche entstehen, und dann müssen Sie eine Entscheidung fällen. Was ist Ihnen momentan wichtiger, Ihre eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen oder die Erwartungen, die von außen an Sie herangetragen werden? Ich sage keineswegs, daß es schlecht ist, äußeren Erwartungen zu entsprechen. Jeder Mensch, der gerade seinen niegelnagel-neuen Sportwagen vom Händler abgeholt hat, möchte das Prachtstück am liebsten sofort mit aufheulendem Motor durch die Innenstadt jagen - wenn er sich dennoch zumindest bis zur Autobahn geduldet, hat er, das Bedürfnis seiner Mitmenschen nach Ruhe und Sicherheit über sein eigenes, gestellt und damit eine angemessene Entscheidung gefällt. Wir alle leben nun einmal in einer Gemeinschaft, und andere haben ein ebenso großes Recht auf die Erfüllung ihrer Wünsche wie auch wir selbst. Spätestens da wird das Ganze zu einer Frage der Prioritäten: Was ist mir wichtiger - mein Fahrvergnügen oder das Leben des Fünfjährigen an der Kreuzung?

Nein, es geht keineswegs darum, Anpassung an sich zu verurteilen. Was ich möchte ist lediglich, daß Sie sich in Zukunft etwas genauer beobachten, wenn Sie diesbezügliche Entscheidungen treffen - und das tun Sie stündlich, wenn nicht sogar noch häufiger. Sind Ihre Entscheidungen immer angemessen? Oder schlagen Sie sich oft automatisch auf die Seite von »man«, obwohl das Ausleben Ihrer eigenen Bedürfnisse gar keine negativen oder mehr positive als negative Konsequenzen für Sie hätte? Verabscheuen Sie es eigentlich, bei dreißig Grad im Schatten in Anzug und Krawatte im Büro erscheinen zu müssen? Prüfen Sie, ob es möglich ist, Ihre normale Bürokleidung während dieser wenigen Tage im Jahr durch eine leichte, aber elegante Sommerhose und ein gutgeschnittenes kurzärmeliges Hemd zu ersetzen. Wichtig ist, daß Sie angemessen - also sauber, gut und stilvoll -gekleidet sind und nicht etwa, daß Sie dieselbe Uniform tragen wie Ihre Bürogenossen. Ihre Mitarbeiter wie auch Vorgesetzten kennen Sie seit langem und beurteilen Sie letztendlich aufgrund Ihrer Leistung und nichts anderem - und bevor Sie jetzt behaupten, dies treffe in Ihrem Fall nicht zu, probieren Sie es doch erst einmal aus! Schieben Sie die Schuld für Ihre unangenehme Lage nicht den anderen zu, sondern übernehmen Sie selbst die Verantwortung für Ihre Entscheidungen.

Beginnen Sie mit diesen kleinen Dingen und tasten Sie sich Schritt für Schritt an die Kernfragen Ihres Lebens heran. Irgendwann werden Sie sich nicht mehr fragen, ob es wirklich notwendig ist, sich der allgemeinen Kleiderordnung anzupassen, sondern ob sie nicht vielleicht Grundbedingungen Ihres Lebens verändern möchten. Und mit den von Ihnen bis dahin auf diesem Weg gemachten Erfahrungen werden Sie solche Entscheidungen ebenso ruhig, überlegt und auf sich selbst vertrauend treffen, wie Sie es dann schon viele Male bewußt getan und erlebt haben. Unterschätzen Sie auch die Bedeutung dieser kleinen Dinge nicht. Es wird viele Punkte geben, in denen Sie sich für eine unbequeme Situation entscheiden werden - einfach deshalb, weil Ihnen der Preis für eine Veränderung zu hoch ist. Das ist in Ordnung, und nur Sie haben das Recht, solche Situationen zu beurteilen und daraufhin zu wählen. Ich will damit nur sagen, daß nicht immer alles eitel Sonnenschein sein wird; doch Sie .können weitaus mehr bewegen und verändern, als Sie im Augenblick vielleicht glauben. Und das reicht, um glücklich zu sein,

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glauben Sie mir. Sie müssen es sich allerdings selbst gestatten - und damit kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt.

Übung: Anpassung an sich selbst

• Fragen Sie sich in den nächsten Tagen jedesmal, wenn Sie zwischen verschiedenenMöglichkeiten wählen oder eine Entscheidung treffen, inwiefern Sie sich dabei an die Bedürfnisse anderer anpassen.

• Beginnen Sie mit kleinen Dingen wie der Auswahl Ihrer Kleidungsstücke, des abendlichenFernsehprogramms oder mit dem Einkauf im Supermarkt.

Beobachten Sie nur. Ich weiß, das ist am schwierigsten, aber Sie werden eine gewisse Zeit benötigen, um in dem, was Sie feststellen, einen roten Faden zu entdecken.

• Gehen Sie bei Ihren Beobachtungen liebevoll mit sich um. Was immer Sie auch entdecken werden, hat oder hatte einmal seine Berechtigung. Sie haben nichts falsch gemacht.

• Loben Sie sich dafür, die Übung begonnen und nicht; sie beendet zu haben; seien Sie sich bereits dafür dankbar.

Selbstwert

Woher der Selbstwert wirklich kommt

Wenn ich mich so in meiner näheren Umgebung umsehe, komme ich rasch zu dem Schluß, daß es sich beim Glück um etwas handelt, das durch Leistung oder Schmerz verdient werden muß. Schließlich ist ja »jeder seines Glückes Schmied«, und jene Menschen, die gerne als »vom Glück verwöhnt« bezeichnet werden, verfügen auch zumeist über eine Reihe von Attributen, die ihnen sicherlich nicht in den Schoß gefallen sind, wie gesicherte (wenn nicht sogar luxuriöse) finanzielle Verhältnisse, ein entsprechender Lebensstandard, die Achtung ihrer Mitmenschen und eventuell ein verständnisvoller Lebenspartner oder sogar eine vorzeigbare Familie. Für all das haben diese Menschen hart gearbeitet; sie sind es also wert, dafür auch ihren Lohn zu erhalten. Die Frage ist nur, ob sie sich selbst auch achten können.

Diese Frage überrascht Sie? Nun, bisher sprachen wir nur von dem Wert, der solchen Personen von außen zugesprochen wird; in ihnen selbst mag es aber ganz anders aussehen. Sie werden es nicht glauben, wie viele erfolgreiche Vorstandschefs sich für Versager halten, weil sie nicht imstande sind, mit ihrem halbwüchsigen Sohn ein vernünftiges Gespräch zu führen. Oder weil sie das Gefühl haben, sich niemals richtig gehenlassen zu können, auch wenn die Situation es vielleicht erfordert, oder am Ende gar, weil sie nicht über die gesellschaftlich vorgeschriebene Norm-Fitness-Figur verfügen, die ihren allmorgendlichen Auftritt in der Chefetage erst richtig abrunden würde.

Haben Sie sich schon einmal so richtig unzulänglich gefühlt und waren fest davon überzeugt, den an Sie gestellten, ganz alltäglichen Anforderungen niemals gewachsen sein zu können? In solchen Momenten können noch so viele gute Freunde neben uns sitzen und noch so viele wunderbare Seiten an uns aufzählen, wir werden ihnen nicht glauben oder ihren Einfallsreichtum mit so erschütternd logischen Argumenten wie »es stimmt schon, daß ich gute Blumengebinde machen kann, aber das ist doch im Leben überhaupt nicht wichtig« vom Tisch wischen. Schon einmal daran gedacht, Floristin zu werden? Oder daran, wie wichtig und lebensspendend die

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Freude ist, die Sie anderen mit Ihren Gebinden bereiten?

Der Trick mit dem Selbstwert ist einfach folgender: Sie sind derjenige, der ihn sich zugestehen muß. Wenn Sie der Überzeugung sind, wertlos zu sein, wird daran kein noch so gutes Argument von außen etwas ändern können. Sie selbst müssen sich entscheiden, wertvoll sein zu wollen.

Das klingt unsinnig? Nun, dann schließen Sie doch für einen Moment die Augen und stellen sich die folgende Situation vor. Sie betreten Ihren Arbeitsplatz mit einem wohlgelaunten Lächeln auf Ihren Lippen, tauschen die üblichen Grußfloskeln aus und finden auf Ihrem Schreibtisch eine Notiz, die Sie dazu auffordert, sich baldmöglichst bei Ihrem Chef einzufinden. Sie gehen interessiert und neugierig hin; es gibt nichts, was Sie vor sich selbst und somit auch Ihrem Chef verheimlichen müßten. Wie jeder andere Mensch machen zwar auch Sie hin und wieder Fehler, aber Sie wissen, daß Ihre Gesamtleistung eindeutig im oberen Drittel einzuordnen ist. Ihr Chef begrüßt Sie und erzählt Ihnen von einem Konkurrenzprodukt, das in Kürze auf dem Markt erscheinen wird. Ob Sie vielleicht bereit wären, sich bei der anderen Firma zu bewerben und ein paar Details herauszufinden?

Was passiert nun in Ihrer Vorstellung? Sagen Sie zu, weil Sie nun mal ein echter Wirtschaftshai sind, dem eine solche Aufgabe gerade recht kommt, um mal wieder ein paar spannende Tage zu erleben und Ihr Unternehmen zu unterstützen - das sich danach ja auch sicherlich nicht als undankbar erweisen wird? Gut, dann los! Oder sehen Sie sich selbst, wie Sie mit einem tiefen Unbehagen ob solcher Geschäftspraktiken zögernd annehmen, weil sie Ihren Job nicht verlieren möchten? Oder lehnen Sie sich entspannt im Sessel zurück und weisen ruhig darauf hin, daß diese Taktik zwar zugegebenermaßen vielleicht funktionieren möge, Sie aber keineswegs bereit sind, eine solche Aufgabe zu übernehmen?

Nehmen wir einmal an, Sie verabscheuen eine derartige Vorgangsweise und entschließen sich zu einer Ablehnung. Wie könnte unsere Szene weitergehen? Möglicherweise schaut Sie Ihr Chef nur einen Augenblick an, um dann zu nicken und das Ganze zu vergessen. Vielleicht droht er Ihnen auch mit Entlassung, woraufhin Sie, sich Ihrer Fähigkeiten bewußt, entgegnen, daß dies unter den gegebenen Umständen vielleicht die beste Lösung wäre. Noch immer könnte Ihr Chef einlenken; er könnte Ihnen aber auch Ihre Kündigung in die Hand drücken. In diesem Fall wären Sie darauf angewiesen, Ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten gut zu kennen und anderweitig unterzubringen. Es ist durchaus möglich, daß Sie ein Jahr später als Eigentümer Ihrer eigenen, noch kleinen Firma dastehen und von der Branche beste Zukunftschancen zugesprochen bekommen oder eine nicht ganz so hoch dotierte, dafür aber mit besseren Arbeitsbedingungen ausgerüstete Stelle finden.

Ach übrigens, Sie können die Augen wieder öffnen. Verstehen Sie nun, welchen Preis Sie zu zahlen bereit sein müssen, wenn Sie sich selbst Wert zusprechen? Menschen mit Selbstwert lassen nicht über sich verfügen, sondern treffen ihre eigenen Entscheidungen, koste es, was es wolle. Sie werden dann vielleicht bewundert, wenn Sie achselzuckend Ihren Schreibtisch ausräumen, wohl wissend, daß Sie in diesem Laden so oder so auf keinen grünen Zweig gekommen wären, da Sie die dortigen Gepflogenheiten nicht unterstützen. Eine Hilfe stellt diese Bewunderung allerdings nicht dar; niemand kann es Ihnen abnehmen, Ihrer Familie klar zu machen, ,was passiert ist, beim Arbeitsamt um Überbrückungsgeld anzufragen und eine neue Stelle zu finden. Dennoch wird Ihnen all dies sehr viel leichter fallen; wenn Sie über ein gewisses Maß an Selbstbewußtsein verfügen - und es kann Sie dorthin führen, wo Sie sich wirklich wohl fühlen. Denn beim Selbstwert handelt es sich um eine absolute Größe, die nicht von äußeren oder inneren Bedingungen wie dem Geld, das Sie verdienen oder Ihrem Intelligenzquotienten abhängig ist. Sie sind von Wert, weil Sie existieren -Ende der Debatte. Das

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ist Ihnen zu einfach? Nun, wenn Sie unbedingt wollen, können Sie Ihr Leben gerne auch weiterhin mit komplizierten Formeln, deren Umsetzung sich längst als unmöglich herausgestellt hat, spicken - aber was sollte Ihnen das nützen? Probieren Sie es aus - vielleicht liegt der Z a u b e r ja doch in der Einfachheit!

Auf den ersten Blick ist Selbstwert eine unbequeme und unpraktische Angelegenheit. Wer es sich wert ist, bestimmte Dinge zu tun und andere zu unterlassen, gerät häufig in Konflikt mit den an ihn gestellten Anforderungen und mit eigenen inneren Erwartungen, die deutlich überhöht sind. Ein solcher Mensch erkennt nur sein eigenes Urteil als letzte entscheidende Instanz an und gesteht niemandem zu, Entscheidungen für ihn zu treffen; er ist also in nur sehr geringem Maß manipulierbar. Und genau das macht ihn zu einem unsicheren Arbeits- oder Lebenspartner, über den man eben nicht einfach so verfügen kann, da er seinen eigenen Weg geht. Interessanterweise sind es aber gerade solche Menschen, die umschwärmt und beachtet werden - betrachten Sie doch nur den Kult der »Teenies« um Popbands. Gerade in jenem Alter, wo sie den Umgang mit den gesellschaftlichen Formen, Werten und Vorgaben üben, fasziniert sie eben jener Menschentypus, der ein ganz anderes Leben führt als ihre Umgebung. Sie nehmen diese Möglichkeit wahr und versuchen, die entsprechenden Inhalte über das Element der Nachahmung umzusetzen, geraten jedoch in der Mehrzahl auch auf diesem Weg wieder in die Fänge einer Massenkultur, weil sie die für ein eigenständiges Leben notwendige Voraussetzung nicht kennen: den Selbstwert. Auch wer um jeden Preis zum Andersdenker wird, lebt wiederum nicht sein eigenes Selbst, sondern nimmt nur eine Antihaltung zu gegenwärtigen Trends ein - und das exakte Gegenteil von dem, was andere tun, muß noch lange nicht Ihrer ureigenen Natur entsprechen. Oder denken Sie an die Art, wie viele Menschen dem Schauspielerberuf gegenüberstehen. Diese Andersartigkeit in der Lebensführung fasziniert sie, auch wenn sie nicht bereit sind, ihr eigenes Leben entsprechend zu verändern. Wer sind diese Leute, die wirklich »nach oben« kommen? In vielen Fällen handelt es sich um schillernde Persönlichkeiten mit eigenem Kopf und eigenen Ideen - und mit eigenen Werten.

Ich sage jetzt etwas ganz Gemeines: Selbstwert können Sie sich gar nicht verdienen. Erstens, weil er niemals von außen kommt. Einem selbstbewußten Menschen ist es gleichgültig, ob er für seine Handlungsweisen gelobt oder getadelt wird, denn er hat sich seine eigene diesbezügliche Meinung längst gebildet, und nur die ist im Endeffekt für ihn ausschlaggebend. Er ist vom Urteil anderer nicht mehr abhängig, aber gleichzeitig stark genug, um die Meinungen und Ansichten anderer .Menschen gut ,und genau anzuhören, ehe er selbst entscheidet. Den Rat eines anderen zu suchen, ist für ihn kein Zeichen persönlicher Schwäche, sondern ein. Teil seiner größten Stärke, nämlich der Fähigkeit, seine eigenen Schwächen zu kennen und sich in diesen Punkten Hilfe von anderer Seite zu holen. Das wertet einen solchen Menschen nicht mehr ab, weil er längst seinen Frieden damit geschlossen hat, daß niemand alles perfekt beherrschen kann. Und seine Umgebung schätzt ihn gerade deshalb, weil erst die Tatsache, daß er nur das, was er auch kann, alleine erledigt und sich ansonsten beraten läßt, ihn zu einem verläßlichen Menschen macht. Wer niemals um Hilfe bittet, ist nicht selbstbewußt, sondern leidet unter Versagensängsten oder Größenwahn. Nicht umsonst werden die Begriffe »Selbstwert« und »Selbstbewußtsein« oft synonym verwendet, und letzterer bedeutet nichts anderes, als sich eben seiner selbst bewußt zu sein, also zu wissen, wer man ist und wo man steht.

Aber es gibt noch einen Grund, warum Sie sich Ihren Selbstwert nicht verdienen können: Sie haben ihn bereits, und zwar mindestens seit dem Augenblick Ihrer Geburt, wenn nicht sogar schon wesentlich länger. Das, was Ihren Wert ausmacht, ist Ihre Einzigartigkeit, sind Ihre ureigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die sich bei jedem Menschen anders gestalten. Es ist nicht die Automarke, die Sie fahren - nur falls das noch nicht klar geworden sein sollte. Sie können bestimmte Dinge, die anderen Menschen nicht möglich sind, und deshalb haben Sie

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einen Wert für die Gemeinschaft und werden gebraucht. Kein Mensch kommt umsonst zur Welt; jeder hat einen Platz im Gefüge, an dem er dringend benötigt wird und für den er mit speziellen Fähigkeiten versehen wurde. Dabei ist kein Platz wichtiger oder bedeutender als ein anderer, auch wenn wir hier gerne unterschiedlich bewerten - oder können Sie mir sagen, wovon ein Chefarzt leben soll, wenn ihm kein Bäcker sein Brot, kein Metzger sein Fleisch und kein Bauer seine Milch liefert? Oh, er könnte natürlich selbst auf die Jagd gehen - aber wer führt dann seine Klinik? Oder denken Sie an das hemmungslos glückliche Lachen mongoloider Menschen. Darin zeigt sich eine von deren speziellen Aufgaben an dieser Welt, und weder diese Aufgabe noch der behinderte Mensch selbst verliert an Wert, nur weil er nicht in der Lage ist, seinen Alltag allein zu bewältigen. Er befindet sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und tut dort, was er tun muß - und in Punkto Selbstwert zählt nur das.

Das, was Ihren ganz speziellen Wert ausmacht, müssen Sie nicht erst beschaffen, Sie haben es bereits in sich. Nun geht es nur noch darum, diese Dinge zu entdecken, zu ihnen zustehen, sie zu fördern und sowohl der Allgemeinheit als auch Ihrem eigenen Leben zur Verfügung zu stellen: Und das gelingt Ihnen mit ziemlicher, wenn auch nicht gänzlicher Sicherheit nicht, solange Sie Werten und Normen hinterherjagen, die vielleicht einmal wichtig für Sie waren, es jedoch mittlerweile längst nicht mehr sind oder gar solchen, die für alle gelten. Sie sind nun mal nicht »alle« - den Göttern sei Dank!

Übung: Die positive Bilanz

• Nehmen Sie sich ein Blatt Papier samt dazugehörigem Stift und eine Stunde Zeit; in derSie alleine und ungestört sind. Zeichnen Sie vier Spalten und betiteln Sie diese mit »Eigenschaften »Fähigkeiten«, »Erlerntes« und »Einzigartigkeit«.

• Tragen Sie in die Spalte »Eigenschaften« all Ihre Wesenszüge ein.• Tragen Sie in die Spalte »Fähigkeiten« all Ihre Begabungen ein – auch jene, die Sie nie

perfektioniert haben.• Tragen Sie in die Spalte »Erlerntes« all Fähigkeiten ein, die Sie sich ab Ihrem zehnten

Lebensjahr angeeignet haben.• Tragen Sie in die Spalte »Einzigartigkeit«, alles ein, was Sie von anderen Menschen

unterscheidet und worüber nicht alle oder sogar nur sehr wenige Menschen verfügen.• Wenn Ihnen zu einer der Spalten auf Anhieb nichts einfällt, beginnen Sie mit kleinen

Dingen. Machen Sie weiter, auch wenn Ihnen Gedanken wie » so etwas ist doch im Leben gar nicht wichtig«, »das klingt so angeberisch« oder »das ist ganz normal und kann doch jeder« durch den Kopf gehen. Verurteilen Sie diese Gedanken nicht; denken Sie sie einfach und fahren dann fort.

• Betrachten Sie Ihre fertiggestellte Liste. Auch wenn Sie in jeder Spalte nur einen Punkt gefunden haben sollten, ist dieser es wert, erhalten und gefördert zu werden. Diese Liste stellt einen Teil von Ihnen dar, also sind Sie es, der der Erhaltung und Förderung wert ist!

• Lesen Sie »quer«. Welche der von Ihnen vielleicht als klein und unwichtig betrachteten Punkte ergibt zusammen mit Aspekten aus anderen Spalten ein größeres Potential? Inwieweit verbinden Sie die Ihnen gegebenen bzw. von Ihnen erarbeiteten Möglichkeiten? Keine Ihrer Gaben ist sinnlos!

Vernichten Sie das Blatt - es geht niemand anderen etwas an. Sie sind die einzige Person, die Ihren Wert bestimmt und darüber Bescheid wissen muß. Wiederholen Sie diesen Prozeß in unterschiedlichen Abständen.

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Motivation

Was bewegt uns wirklich?

Motive, Motivation, Motivierung - womit bringen Sie diese Begriffe in Verbindung? »Wir haben jede Menge Verdächtige, aber kein Motiv.« So oder ähnlich klingt es in jedem zweiten Krimi. Oder vielleicht ist Ihnen das Wort auch schon in der Wirtschaft begegnet, unter dem Stichwort »Mitarbeitermotivation«. Im ersten Fall möchte der Herr Kommissar wissen, warum jemand etwas getan hat und im zweiten ein Unternehmer, wie er seine Leute dazu bringen kann, etwas Bestimmtes zu tun. Motivation hängt also mit dem Wunsch nach Handlung zusammen; genauer gesagt: Sie geht einer solchen voraus. Und zwar jeder einzelnen. Ganz gleich, ob Sie beschließen, sich die Zähne zu putzen oder Ihren Arbeitsplatz zu wechseln, sie haben dafür ein Motiv. Einen Beweggrund. Einen Grund, der Sie in Bewegung setzt und zum Handeln veranlaßt.

Wer sich die Gründe für seine Handlungsweisen ansieht, erfährt eine Menge über sich selbst. Das kann zu einem echten Abenteuer werden! Tausende von Menschen fragen sich Jahr für Jahr in teuren Lebenshilfe-Seminaren, Therapiesitzungen oder über den Psychotest in der Fernsehzeitung gebeugt, wer sie eigentlich sind. Sie können diese Antwort auch einfacher finden: Fragen Sie sich, warum Sie die Dinge tun, die Sie tun, und Sie werden Erstaunliches über sich herausfinden.Beginnen Sie auch hier mit den kleinen Dingen. Warum putzen Sie sich morgens die Zähne? Um sie gesund zu erhalten? Geben Sie diese Antwort nicht zu spontan, vielleicht ist es gar nicht die Ihre, sondern die der berüchtigten Allgemeinheit. Ganz ehrlich: Wenn ich mich morgens endlich mühevoll aus dem Bett gequält habe, besitze ich weder einen Sinn für Hygiene, noch für Gesundheit oder gar eine positive Einstellung zu mir selbst. Ich putze mir die Zähne, weil ich Mundgeruch hasse. Vielleicht nicht das weiseste Motiv, aber es tut's auch.

Betrachten Sie es als eine Übung in Selbstehrlichkeit; Sie müssen ja niemandem erzählen, was Sie da so alles feststellen. Machen Sie die schöne Entdeckung, daß Selbstehrlichkeit in neunzig Prozent aller Fälle nicht weh tut und Sie es in den restlichen zehn Prozent auch überleben. Das ist wichtig, denn wenn Sie nicht ehrlich zu sich selbst sind, werden Sie niemals erfahren, was Sie wirklich brauchen, um glücklich zu sein und es sich auch nie geben können. Und Sie erinnern sich vielleicht - außer Ihnen ist niemand für Ihr Glück zuständig, Sie sind erwachsen!

Wie bei allen in diesem Buch angeführten Übungen kommen die eigentlichen Herausforderungen erst dann auf Sie zu, wenn Sie sich mit größeren Fragen Ihres Lebens beschäftigen, aber beginnen Sie bitte dennoch immer bei den Kleinigkeiten. Auf diese Weise erreichen Sie eine gewisse Disziplin in Ihrer Arbeit an sich selbst, und die von den hier aufgeführten für Sie wirklich sinnvollen Hilfsmittel verselbständigen sich bald, so daß der Prozeß der Wandlung irgendwann ganz von selbst abläuft und Sie nicht mehr jede Sekunde Ihres Tages dahinter her sein müssen. Außerdem ermöglicht Ihnen diese Vorgehensweise, langsam mit dem neuen Verhalten Erfahrungen zu machen. Wenn es dann wirklich um Wichtiges geht, wissen Sie bereits, wie der Prozeß abläuft und daß er Sie nicht umbringt. Gehen Sie behutsam mit sich um.

Warum sind unsere Motive wichtig?

Nun, die Motive erzählen uns, ob wir für uns oder für andere leben und auch, was uns in unserem Leben zur Zeit wirklich wichtig ist. Keine Angst, Sie können Ihre Prioritäten jederzeit verändern - aber nur, wenn Sie solche Prioritäten auch bewußt s e tzen! Wenn Sie gerade

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herausgefunden haben, daß Sie diese fürchterlichen Familienfeiern, bei denen es doch jedesmal nur Streit gibt, nur deshalb besuchen, weil Sie Ihre Mutter nicht verletzen möchten, steht es durchaus in Ihrer Macht, dem ein Ende zu machen und neue Prioritäten zu setzen Ihre eigene Erholung an einem ungestörten Wochenende zum Beispiel. Das kostet natürlich seinen Preis. Sie werden absagen und entweder mit Unverständnis oder sogar Ablehnung zu leben lernen oder sich die Mühe machen müssen, Ihrer Mutter ehrlich zu erklären, warum Sie nicht mehr kommen werden. Vielleicht sind Sie auch aufgefordert, neue Lösungen zu finden: Wenn Sie und Ihre Mutter nicht auf ein Zusammensein verzichten wollen, könnten Sie sie zum Beispiel allein besuchen und einen Nachmittag mit ihr verbringen - ohne den immer streitenden Rest der Familienbande.

Sie mögen dies vielleicht für ein unglückliches Beispiel halten, weil man sich in einer derartigen Situation eher »zusammenraufen« als voneinander abwenden sollte. Das ist meiner Ansicht nach auch richtig, aber manchmal nicht möglich. Eine Beziehung zwischen verschiedenen Menschen kann nicht von einem alleine verändert werden; es muß jede der beteiligten Personen aktiv daran mitarbeiten. Für mich stellt es einen Akt der Liebe und des Respekts dar, vom anderen nicht mehr zu verlangen, als er zu sein und zu geben bereit ist. Ebenso verlangt die Achtung für mich selbst, daß ich mich nicht ständig einer Situation aussetze; die mich verletzt und zermürbt.

Das mag jetzt mühsam klingen, und vielleicht haben Sie nicht die geringste Lust, sich einer solchen Prozedur zu unterziehen. Sie glauben, daß Sie schon genug Probleme in Ihrem. Leben haben und wahrhaftig nicht noch eines schaffen wollen. Schön und gut, aber lösen Sie damit nicht auch ein anderes? Bedenken Sie, wieviel Kraft Ihnen in Zukunft zur Verfügung stehen wird, die Sie bisher auf den Familientreffen vergeudet haben! Machen Sie sich bitte keine Illusionen: Natürlich können Sie nicht handeln. Aber auch das hat seinen Preis, denn damit entscheiden Sie, weiterhin verärgert und frustriert von jeder familiären Geburtstagsfeier zu kommen.

Verstehen Sie mich richtig: Gleich, wie Sie entscheiden, gleich, ob Sie etwas tun oder lassen - es hat seinen Preis. Daran führt kein Weg vorbei. In dem Moment, wo Sie sich entscheiden, nichts zu verändern, haben Sie entschieden, die alte Situation beizubehalten und deren Konsequenzen zu tragen. In vielen Situationen ist das auch sinnvoll; nicht immer sind die Alternativen besser als die bisherige Lage. Diesen Umstand brauchen Sie dann aber niemand anderem mehr in die Schuhe zu schieben, denn Sie selbst haben die Situation wahrgenommen, beurteilt und bezüglich des Preises entschieden. Es gibt aber auch viele Momente in Ihrem Leben - große wie kleine - in denen Sie vielleicht unüberlegt und gewohnheitsmäßig Entscheidungen treffen, die des Überdenkens wert sind. Deshalb bitte ich Sie, sich die Beweggründe Ihrer Entscheidungen gut anzusehen. Oft bestehen unsere Handlungsmotive nicht in unseren eigenen Bedürfnissen, sondern in denen anderer Menschen oder gesellschaftlicher Normen, und diese müssen nicht immer gut für Sie sein. Und um Sie gleich auf die nächste Falle hinzuweisen: Ebenso oft ist auch das erste Motiv, das uns für unsere Handlungsweisen in den Sinn kommt, nicht das wahre, sondern eine bequeme Ausrede. »Ich will den Familienfrieden nicht gefährden« klingt doch viel edler als «Ich habe Angst vor der Konfrontation« - sogar dann noch, wenn es eine Lüge ist.

Werden Sie sich bewußt, daß es immer mehrere Möglichkeiten gibt, in jeder denkbaren Situation. Beobachten Sie Ihre diesbezügliche Wortwahl über einen gewissen Zeitraum: Wie oft und zu welchen Gelegenheiten verwenden Sie den Satz »Ich hatte eigentlich keine andere Wahl«? Das ist einfach nicht wahr! Es gibt immer eine Alternative, nur kann diese unsinnig, den Aufwand nicht wert oder der Preis auf eine andere Weise zu hoch sein; aber es gibt sie immer. Natürlich haben Sie beschlossen, eine neue Wohnung zu finden, als Ihr Vermieter Eigenbedarf anmeldete; aber theoretisch hätten Sie auch Ihren gesamten Hausstand verkaufen und nach

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Indien gehen können, nm dort einige Jahre nur aus dem Rucksack zu leben. Es gibt Menschen, die dies getan haben. Das soll keineswegs heißen, daß Sie es auch hätten tun sollen; es veranschaulicht nur, daß es immer, mehrere Möglichkeiten gibt.

Warum das von Bedeutung ist? Nun, ganz einfach: Sie hatten eine Wahl, und diese haben Sie getroffen. Das macht Sie machtvoll, während Sätze wie »ich hatte eigentlich keine Wahl« oder »ich konnte nicht anders« Sie klein und machtlos machen; den ungewissen Einflüssen des Schicksals mit dein Rücken an der Wand ausgeliefert. Wenn Sie derartiges oft genug sagen, glauben Sie es irgendwann auch, und dann sind Sie wirklich ein Sklave Ihrer Lebensbedingungen geworden. Die Wahrheit sieht aber ganz anders aus, und um diese zu erleben, um selbst der Dirigent Ihres Lebens zu sein, müssen Sie keinen neuen Beruf erlernen, keine Streitigkeiten mit Ihrem Partner vom Zaun brechen und auch keine Therapie machen. Sie müssen sich nur zugestehen, daß Sie wählen, und zwar in beinahe jeder Sekunde Ihres wachen Lebens. Davon abgesehen müßten Sie in einer Therapie genau dieselben Aufgaben bewältigen - sonst nutzt sie nämlich nichts. Noch ein Wort zur Macht. Viele Menschen schrecken vor diesem Begriff zurück und betrachten ihn als etwas Negatives, mit dem sie sich nicht identifizieren möchten. Wir werfen im alltäglichen Sprachgebrauch gerne zwei Begriffe in einen Topf: nämlich Macht und Machtmißbrauch. Es gibt in unserer Sprache nicht umsonst zwei verschiedene Worte für diesen Bereich, denn es handelt sich auch um verschiedene Dinge. »Macht« hat dieselben Wurzeln wie das Zeitwort »machen«, also tun, handeln, aktiv werden. Und genau darum geht es auch bei der Macht: Wer über sie verfügt, der macht etwas; er befindet sich nicht in einem Zustand der Hilflosigkeit oder Ohnmacht (ohne Macht), sondern ist in der Lage zu handeln. Wir sagen ja auch »das macht nichts«, wenn jemand etwas getan hat, das er als für uns abträglich betrachtet und sich dafür entschuldigt. Mit dieser Antwort geben wir zu erkennen, daß der betreffende Vorgang nichts »mit uns macht«, uns also nicht berührt und somit keine Macht über uns hat. Wer sich dazu entscheidet, zu handeln, beschließt im gleichen Atemzug, die ihm zur Verfügung stehende Macht zur Anwendung zu bringen. Und erst von diesem Zeitpunkt an zeigt sich, ob er seine Macht mißbraucht oder zum Wohle aller - das eigene eingeschlossen - einsetzt.

Betrachten Sie Ihre Entscheidungen der letzten Jahre unter diesem Aspekt, auch und gerade jene, mit denen Sie unzufrieden sind. Wo haben Sie das Gefühl, etwas versäumt zuhaben? Wo den Eindruck, daß sie besser hätten handeln können? Dann sehen Sie sich doch bitte mal ehrlich Ihre damaligen Motive an und akzeptieren Sie sie.

Eine gute Bekannte von mir arbeitet in der Datenverarbeitung. Vor einigen Jahren bekam sie ein Angebot von ihrer Firma, die eine Zweigstelle eröffnen und ihr die Leitung dieses neuen Hauses übertragen wollte. Sie lehnte ab, weil sie ihren Kindern keinen Umzug in eine neue Stadt zumuten wollte. Jetzt sind die Kinder ein paar Jahre älter und bei weitem nicht mehr so sehr wie früher auf sie angewiesen, und sie macht sich seit geraumer Zeit Vorwürfe, „diese Wahnsinnschance« damals nicht angenommen zu haben. In einem gemeinsamen Gespräch fand sie heraus, daß sie sich jahrelang bezüglich der Gründe für ihre Ablehnung dieser Stelle belogen hatte - in Wahrheit hatte sie sich zum damaligen Zeitpunkt einfach noch nicht in der Lage gefühlt, eine Führungsposition einzunehmen. Als ihr dies klar wurde, änderte sich ihre Einstellung zu den Geschehnissen schlagartig. Plötzlich begriff sie, daß sie mit diesen Ängsten wohl kaum eine gute Chefin gewesen wäre, und sie machte ihren Frieden damit, sich einen beruflichen Weg ausgesucht zu haben, der es ihr allmählich ermöglichte, in eine solche Funktion hineinzuwachsen. Sie hätte die für sie bestmögliche Entscheidung getroffen und konnte dies nun klar sehen. Sofort hörte sie damit auf, den Kindern gegenüber unterschwellige Aggressionen zu hegen, weil diese sie ja »von ihrer. Karriere abgehalten« hätten und stürzte sich mit viel Energie in die Suche nach einer neuen Stelle. Mittlerweile verfügt sie nämlich über die entsprechenden

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Fähigkeiten und hat dies auch in einer anderen Firma bereits unter Beweis gestellt.

Was lernen wir daraus? Erstens: Sie haben zu jeder Zeit Ihres Lebens die für Sie damals richtige Entscheidung getroffen. Und zweitens: Sie verändern sich von Tag zu Tag, und es ist niemals zu spät. Was damals vielleicht zum falschen Zeitpunkt kam, könnte heute eine überlegenswerte Alternative sein. Was könnten Sie also von den Dingen, die Sie versäumt zu haben glauben, heute tun? Und erzählen Sie mir bitte nicht, daß es mittlerweile zu spät dafür sei! Ich habe Menschen mit Vierzig einen neuen Beruf und mit Achtzig eine neue Sprache erlernen sehen. Natürlich können Sie wahrscheinlich kein Ballettänzer mehr werden; aber vergessen Sie nicht, Sie haben sich verändert. Vielleicht genügt es heute, Tanzunterricht zu nehmen und sich einfach an Ihren Bewegungen zu freuen, ohne gleich zur Bühne zu gehen - worüber Sie nicht einmal traurig sein müssen, die hat nämlich (wie auch alle anderen Dinge, die Sie bewundern mögen) ebenfalls ihre Schattenseiten.

Grenzen, die keine sind

Es gibt noch eine Redewendung, die einer genaueren Betrachtung wert ist: »Das kann ich nicht tun«. Ach ja? Sie können keine Bank überfallen? Natürlich sind Sie jederzeit dazu in der Lage, Sie haben nur entschieden, daß Ihnen der Preis dafür - eine mögliche Inhaftierung oder selbst im Erfolgsfall ein lebenslanges Versteckspiel mit der Polizei nicht angemessen erscheint! Im Klartext heißt das, daß Sie die Bank nicht überfallen wollen und nicht etwa, daß Sie es nicht können. Wiederum dürften Sie fast jedesmal in Ihrem Leben, wo Sie »ich kann nicht« sagen, in Wahrheit »ich will nicht« meinen. Ich weiß, Sie können keinen Schneeball braten, aber glauben Sie wirklich, daß Sie das glücklicher machen würde?

Betrachten Sie auch dies als eine Übung. Beobachten Sie Ihre Worte, und beginnen Sie, »ich kann nicht« systematisch und konsequent durch »ich will nicht» zu ersetzen. Auf diese Weise werden Sie zu spüren beginnen, daß Sie kein machtloses, dem Schicksal hilflos ausgeliefertes Wesen sind, sondern beurteilen, beeinflussen und entscheiden können -und dies bereits stündlich tun. Sie haben eine Menge Erfahrung mit dem Treffen von Entscheidungen! Zum anderen werden Sie feststellen, daß dies nur der Anfang ist: Irgendwann spüren Sie nämlich nicht nur, daß Sie bestimmte Dinge nicht wollen, sondern auch, welche Sie wollen. Unterschätzen Sie diesen Moment nicht. Wissen Sie, wieviel Geld Menschen zum Psychotherapeuten tragen, nur um ihre tief inneren Bedürfnisse zu klären? Natürlich kann ein Therapeut bei dieser Aufgabe eine große Unterstützung darstellen, aber da Sie dieses Problem auf dem Weg zu sich selbst höchstwahrscheinlich ebenso hier wie auch dort anpacken müssen, können Sie es doch eigentlich auch erst einmal alleine versuchen, meine ich.

Übung: „Ich hatte eigentlich keine Wahl« und »Ich kann nicht/will nicht«

• Beobachten Sie von nun an Ihre diesbezügliche Wortwahl. Beginnen Sie, die Formulierungen »Ich habe eigentlich keine andere Wahl« und »Ich kann doch nicht« durch »Das will ich nicht« zu ersetzen.

• Stehen Sie zu den Dingen, die Sie nicht wollen. Sie haben das Recht, diese Entscheidung zu treffen - und niemand sonst. Schließlich kennt Sie niemand so gut wie Sie selbst, denn niemand sonst hat soviel Zeit wie Sie so nahe mit Ihnen verbracht. Wer sonst sollte also am meisten von Ihnen und Ihren Notwendigkeiten verstehen?

• Diese Übung macht Mut. Spüren und genießen Sie es!

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Kreativität .

Der kleine Gott in jedem Menschen

Kreativ zu sein, bedeutet, einer schöpferischen Tätigkeit nachzugehen, etwas zu erschaffen und zu gestalten, das zuvor noch nicht in Ihrem Leben war. Dabei bringen Sie eine ureigene menschliche Eigenschaft zur Anwendung, die jeder besitzt und ständig einsetzt; zum Beispiel beim Kochen, bei der Urlaubsplanung oder in der Erziehung der Kinder. Der Alltag funktioniert ohne Kreativität nicht, denn sie ist jenes Werkzeug, welches Sie befähigt, all das zu bestimmen, festzusetzen und hervorzubringen, was Ihr Leben ausmacht und es von dem anderer Menschen unterscheidet. Dafür benötigen Sie verschiedene Fähigkeiten: Zum einen sollten Sie bereit sein, Ihre wirklichen Bedürfnisse zu erkennen und von jenen, die Ihnen von außen auferlegt werden, zu unterscheiden; andererseits ist es aber ebenso wichtig, daß Sie über eine gut entwickelte und keinen Einschränkungen unterworfene Vorstellungsgabe verfügen. Leider neigen viele Menschen dazu, Kindern ihre »überschäumende Phantasie« vorzuwerfen und diese zu ersticken, da sie als gefährlich betrachtet wird, was ja an sich auch nicht ganz unrichtig ist: Ein Kind ist oft noch nicht in der Lage, reale und Traumwelten voneinander zu unterscheiden und muß begreifen lernen, welche der von ihm erkannten Bedingungen wirklich sind und welche nicht. Allerdings geht der erzieherische Trend im allgemeinen eher dahin, die kindliche Beschäftigung mit der Phantasie. stark einzuschränken, wenn nicht sogar diese als gänzlich unnütz darzustellen. Und genau das ist nicht der Fall.

Wenn wir uns unseren Tagträumen hingeben, begeben wir uns nicht etwa in eine irreale und daher überflüssige Welt, sondern in eine Welt der Möglichkeiten oder Symbole, und beide erfüllen in unserem Leben wichtige Funktionen. Dies gilt vor allem dann, wenn Sie sich in diesen »grauen Stunden« träumerisch mit eigenen möglichen Handlungsweisen beschäftigen und nicht damit, wie es Ihnen ginge, wenn einfach alles anders wäre. Unsere Vorstellungsgabe versetzt uns in die Lage, die Welt unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten und hilft uns somit, sinnvolle - nämlich eigene - Verhaltensalternativen auszuwählen. Diese Fähigkeit ist Tag für Tag von enormer Bedeutung für uns, denn wann immer wir eine Entscheidung treffen, geht dem eine Phase aktiver Phantasie voraus, in der wir die möglichen Konsequenzen unserer Entscheidung durchgehen und ob ihrer Effektivität prüfen. Dieselbe Gabe, die einen Vierjährigen von UFOs oder Elfen faseln läßt, wird ihn vierzig Jahre später befähigen, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, deren Tragweite einen ganzen Konzern erfaßt. Wobei es Ihnen durchaus passieren kann, daß, er auch dann noch auf die Realität der Elfen besteht ...

Wichtig ist hier, daß Sie keinerlei Einschränkung ihrer Vorstellungskraft zulassen. Natürlich gibt es Dinge, die Sie auf keinen Fall außerhalb Ihrer Phantasie tun sollten; aber oft führt ein solcher »verrückter« Gedanke zu einer neuen, überraschenden und durchaus praktikablen Idee! Niemand kann in Ihren Kopf hinein sehen; wenn Sie mit wachen Augen träumen; wer also sollte Ihnen diesbezügliche Vorhaltungen machen können? In diesen Phasen findet sich Ihr Verstand meist vor ein Problem gestellt; mit dem er zuvor in dieser Weise noch nicht konfrontiert worden ist. Er hat mit dem, was Sie von ihm fordern, noch keine Erfahrung und muß also sein »Suchgebiet« ausweiten; da er selbst noch nicht weiß, was sich eigentlich außerhalb der bekannten Grenzen befindet, geht er nach dem Schema von Versuch und Irrtum vor - wie die Natur, die zunächst einmal alles zuläßt, was entsteht und danach dessen praktische Eignung überprüft. Wenn Sie Ihren Verstand dafür» tadeln«, indem Sie ihn wieder einschränken, nehmen Sie sich selbst die Möglichkeit, aus den üblichen Bahnen Ihres Denkens auszubrechen und neue Lösungen für alte Probleme zu finden. Kennen Sie das Lied »Die Gedanken sind frei«?

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»Die Gedanken sind frei,wer kann sie erraten?Sie ziehen vorbeiwie nächtliche Schatten.Kein Mensch kann sie wissen,kein Jäger erschießenmit Pulver und Blei:Die Gedanken sind frei!Ich denke, was ich willund was mich beglücket.Doch alles in der Still'und wie es sich schicket.Mein Wunsch und Begehrenkann niemand verwehren!Es bleibet dabei:Die Gedanken sind frei!«

Dieses Lied war ursprünglich Ausdruck einer revolutionären Bewegung und scheint auf den ersten Blick wenig mit Kreativität in unserem Sinne zu tun zu haben. Und doch ist die Umsetzung einer jeden neuen Idee eine kleine Revolution, da in diesem Moment die altgewohnten Bahnen und Grenzen des Denkens sowie Handelns verlassen bzw. überschritten werden. Wer etwas verändern, etwas Neues schaffen will, bekämpft damit immer auch alte und überlebte Strukturen. Und die Scheu vor Fehlern vergessen Sie dabei am besten sofort, denn für die Natur sind Fehler völlig normal und zum Prozeß gehörig. Jede Möglichkeit bekommt ihre Chance, auf der Bühne der Evolution aufzutreten und wird dann emotionslos beobachtet. Erweist sie sich als praktikabel, wird sie mit Freuden in das momentane Inventar aufgenommen - und wenn nicht, wird eben etwas Neues ausprobiert. Ebenso wird mit Lösungen verfahren, die einmal äußerst sinnvoll waren, aber unter den neuen, veränderten Umständen nur noch Hindernisse darstellen. Mutter Natur sitzt nicht händeringend auf einem Baumstumpf und bedauert ihre Fehlleistungen; sie nimmt sie wahr und verändert entsprechend. Fehler waren außer für uns zivilisierte Menschen noch nie ein Grund, sich besonders aufzuregen.

Mit der Welt der Symbole verhält es sich etwas anders. Jeder von uns kann sich Dinge vorstellen, die kaum umsetzbar sind, wie zum Beispiel einen hundert Meter hohen Wasserfall im eigenen Garten. Unser Unterbewußtsein spricht oft eine andere Sprache als unser wacher Verstand, und wenn wir diese Sprache verstehen lernen, können wir nicht nur ausgedehnte Gespräche mit unseren eigenen Tiefen führen, sondern deren Bilderreichtum auch zur Verbesserung unserer Lebensumstände einsetzen. Phantasie ist keine Einbahnstraße: Wir können sowohl den Situationen und Landschaften folgen, die sie uns anbietet, als auch selbst aktiv gedankliche Umgebungen schaffen, die uns gut tun -und das zu jeder Zeit und an jedem beliebigen Ort.

Übung:

a) der Phantasie freien Lauf lassen

Nehmen Sie sich für die eine oder andere Entscheidung demnächst etwas mehr Zeit als sonst.

Lassen Sie Ihren Geist schweifen und gestatten Sie sich, auch die „ verrückten« Ideen einen Moment zu prüfen. Vielleicht enthalten sie einen winzig kleinen Nebenaspekt, der durchaus zur Lösung Ihres Problems beitragen könnte.

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Verurteilen Sie Ihren Geist nicht für unrealistische Vorstellungen; freuen Sie sich lieber darüber, welch flexible, farbenfrohe und ungewohnte Bilder er zu erstellen in der Lage ist!

Beobachten Sie, wann und warum Sie Ihre Vorstellungsgabe mit abwertenden Argumenten einschränken möchten. Machen Sie sich dann bewußt, daß niemand wissen kann, was gerade in Ihrem Kopf vorgeht.

Ungewohnte, vielleicht sogar abwegige Bilder und Gedanken machen Sie noch längst nichts einem Verrückten. Sie würden staunen, wenn Sie wüßten, was für ein turbulentes Zeugs sich manchmal in meinem Kopf abspielt - und ich bin ein psychisch erstaunlich stabiler Mensch.

Denken Sie daran - alleine, die Übung begonnen zu haben, stellt ein Geschenk dar, das Sie sich selbst machen.

b) mit Symbolen arbeiten

Antworten Sie bitte schnell und spontan: Welches Naturelement empfinden Sie als besonders entspannend? Welches Bild taucht da vor Ihrem inneren Auge auf? Ein Baum? Das Meeresufer? Hohe Berge? Oder irgend etwas anderes?

Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich das von Ihnen gewählte Element vor. Überlegen Sie, wie es aussieht und ob Geräusche oder Gerüche da sein könnten. Ergänzen Sie Ihre Imagination um diese Punkte:

Fügen Sie nun sich selbst in das vorgestellte Bild ein. Nehmen Sie sich von außen, aber auch in der Situation befindlich aus sich selbst heraus wahr.

Führen Sie diese Übung so lange durch, wie Sie möchten. Auch ein oder zwei Minuten genügen bereits, um ein Lächeln auf Ihre Lippen zu zaubern.

Variieren Sie die Übung je nach Bedarf. Sie fühlen sich energielos? Gut, was fällt Ihnen denn ganz schnell und spontan zum Thema Lebensenergie ein?

Bleiben Sie nicht bei der ersten Antwort stehen, sondern schauen Sie weiter. Lebensenergie zum Beispiel wird ebenso durch Essen wie auch Schlaf regeneriert - und durch Spielen, Wanderungen in der Natur, Freude, Sex und vieles mehr. Variieren Sie diese Übung regelmäßig, dann wird sie nie langweilig!

Eigene Ziele

Die Not wenden

So, nun haben wir lange genug um den heißen Brei herumgeredet. Kommen wir zum ersten Kernpunkt des Weges, auf den Sie sich hier mit mir begeben haben: Ihre eigenen Notwendigkeiten. Ja, nicht etwa Wünsche, Sehnsüchte oder auch nur Bedürfnisse, sondern all jenes, was Ihre Not wendet - und zwar hin zu einem glücklicheren und erfüllteren Leben. Dabei geht es darum, Ihre eigenen Illusionen erkennen zu lernen, denn es ist äußerst sinnlos, seine Zeit damit zu verschwenden, andere verändern zu wollen. Diese verschwinden dann aus Ihrem Leben, weil Sie der oder die Alte geblieben sind, während Sie sofort wieder jene Gattung Mensch in Ihr Leben holen, die Ihnen schon einmal Probleme bereitet hat und wieder am Punkt

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Null beginnen. Verändern Sie lieber sich und nicht andere. Das ist einfach logischer und auch weitaus ökonomischer: Sie können sich nicht von sich scheiden lassen und dabei all Ihr Geld mitnehmen, sich eines Morgens sang- und klanglos in der gemeinsamen Wohnung zurücklassen oder sich wegsterben. Was Sie an und in sich erschaffen und erarbeiten, kann Ihnen niemals wieder genommen werden - ganz gleich, was auch geschieht!

Warum sind Menschen unzufrieden? Weil sie nicht sind, haben oder vorfinden, was sie wollen, weil ihnen bestimmte Aspekte an sich selbst oder ihrer Lebenssituation nicht behagen. Alles, was wir tun müssen ist also, diese nicht zufriedenstellenden Aspekte durch akzeptablere zu ersetzen. Klar, oder etwa nicht?

Natürlich ist es eben nicht ganz so einfach. Fragen Sie mal einen depressiven Menschen, warum es ihm schlecht geht - Sie werden in der überwältigenden Mehrzahl aller Fälle die (für jeden hilfsbereiten Freund und Zuhörer übrigens äußerst frustrierende) Antwort »ich weiß es nicht« erhalten. Ja, Himmel wenn wir schon nicht in der Lage sind zu erkennen, warum es uns schlecht geht, wie wollen wir dann jemals herausfinden, was uns gut tut?

Über den ersten hier notwendigen Schritt haben wir schon gesprochen, und vielleicht üben Sie ihn ja sogar bereits: das Wechselspiel von »Ich kann nicht« und »Ich will nicht«. Als ich Ihnen diese Übung erklärte, wies ich Sie zwar darauf hin, daß Sie auf diese Weise über kurz oder lang auch herausfinden werden, was Sie wollen, habe Ihnen aber eine kleine Gemeinheit vorerst verschwiegen: Es zu wissen, genügt nicht. Sonst gäbe es hier ja auch kein Problem, und alle Menschen wären sich über ihre tiefsten Bedürfnisse ständig im klaren. In Wirklichkeit hingegen folgt dem Prozeß der Bedürfnisfindung ein weiterer Schritt, der so bedrohlich erscheint, daß die meisten Menschen darauf verzichten, sich ihren Wünschen zu stellen. Wer entgegen den Tatsachen steif und fest behauptet, mit allem zufrieden zu sein, muß ja schließlich nicht für seine Ziele kämpfen und kann anderen Menschen oder den Umständen noch die Schuld dafür geben.

Die Antriebsfeder der Veränderung

Wir kommen nun an einen sehr schwierigen Punkt. Im Laufe der nächsten Zeilen werde ich einige Behauptungen aufstellen, die weder brav, selbstlos und bescheiden noch anständig oder gar aufopferungsvoll sind. Wenn Sie damit nicht zurechtkommen, verschenken Sie das Buch einfach - noch haben Sie es ja nicht zerlesen und können es ohne weiteres für neu verkaufen. Achten Sie also vorsorglich bis zum Ende dieses Kapitels etwas darauf, was Sie mit Ihrer Kaffeetasse tun - denn ich bin notorische Teetrinkerin, und den Fleck auf Seite 27 können Sie mir nicht in die Schuhe schieben!

Von dem Augenblick an, wo Sie entscheiden, Ihre eigenen Bedürfnisse erfahren zu wollen, müssen Sie bereits beschließen, auch dazu zu stehen, denn sonst stellen Sie sich selbst eine Falle. Es ist schon schlimm genug, sich schlecht zu fühlen und nicht zu wissen, warum; noch schlimmer ist es allerdings, es zu wissen und vermeintlich nichts dagegen tun zu können. Diese Situation werden sie automatisch vermeiden, indem Sie auf der Suche nach Ihren inneren Zielen nie zu wirklich wichtigen Punkten vordringen werden. An dieser Stelle dieses Buches müssen Sie sich entscheiden, ob Sie für sich einstehen oder untergehen wollen. Jetzt sind Sie aufgerufen, für sich selbst Stellung zu beziehen. Überlegen Sie sich das gut! Sind Sie es sich wert? Ist es wichtig, daß Sie überleben seelisch wie im Endeffekt auch körperlich? Ich kann diese Fragen ohne mit der Wimper zu zucken und ohne Sie auch nur einmal gesehen zu haben mit »Ja« beantworten - aber das nützt Ihnen nichts. Sie müssen das ewige Theater so leid sein, daß Ihnen alles lieber ist als Ihre jetzige Situation.

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In dieser Phase steht Ihnen ein unschätzbarer Helfer zur Seite, der Sie ständig begleitet; von dem Sie aber vielleicht gar nichts wissen oder den Sie sogar fürchten: Ihre Wut. Ja, richtig gelesen. Wie auch die Angst stellt die Wut einen Anzeiger für jene Dinge in Ihrem Leben dar, die nicht in Ordnung sind und Sie unglücklich machen. Beide Gefühle enthalten darüber hinaus noch ein weiteres Potential: Sie mobilisieren unglaubliche Energien. Während jene der Angst jedoch meist auf die Vermeidung einer Situation gerichtet sind (denken Sie nur an die berühmte Mutter, die einen ganzen Lastwagen anhebt, um ihr Kind zu retten), dienen die Kräfte der Wut der Erschaffung bestimmter Umstände. Erlauben Sie sich; wütend zu sein und zu spüren, daß Sie verdammt noch mal nie wieder zulassen werden, auf eine bestimmte Weise behandelt zu werden, sich selbst so zu behandeln oder auf bestimmte Dinge, die Sie zum, Überleben brauchen, verzichten zu müssen. Verwechseln Sie dabei aber die bewegende Kraft der Wut nicht mit der behindernden des Gekränktseins, denn beleidigtes Schmollen hat noch niemanden weitergebracht. Spüren Sie diese zentrierte, zielgerichtete Kraft des »nie wieder!« . Werden Sie ein einziger, gerichteter Pfeil aktiver Energie. Haben Sie schon mal diese entschlußfreudigen Managertypen bewundert, die mit einem einzigen Entschluß ihr ganzes Leben zu verändern imstande sind? Diese Menschen verfügen über den Schatz ihrer Aggression. Kraftvolle Menschen sind wütende Menschen. Sie unterdrücken dieses Gefühl nicht und sind auch nicht sein Diener; sie haben gelernt, ihre Wut bewußt zu lenken und dies auch noch zu genießen. Oh ja, Wut ist ein gutes Gefühl - vor allem dann, wenn man gerade mit ihrer Hilfe Veränderungen durchsetzt, die das ganze Leben auf kraftvolle und positive Weise durchdringen.

Natürlich können Sie sich dieses wunderbaren Hilfsmittels nur dann bedienen, wenn Sie bereit sind, gegen eines der Grundgesetze unserer Kultur zu verstoßen. Man wird bei uns nämlich nicht wütend, Nonchalance - mittlerweile nennt man das, glaube ich, Coolness -ist alles. Wer die Stimme erhebt, hat »die Fassung verloren« oder sich »unangemessen verhalten« (bei Frauen wird »unangemessen« auch gerne durch »hysterisch« ersetzt). Haben Sie derartige Vorwürfe schon einmal gehört? Es hat weh getan, nicht wahr? Das liegt aber nicht an Ihrem zugegebenermaßen etwas irritierten Gesprächspartner, sondern an Ihnen selbst; Sie haben nämlich nicht zugehört. Wer »die Fassung verloren« hat, befindet sich in einem Zustand, in dem er keine Einfassung, also keinen »Rand« hat; der wütende Mensch aber tut genau das Gegenteil: Er grenzt sich entschieden gegen Menschen und Situationen ab, die, er als für sich nicht gut oder verträglich empfindet. Genauso kann er dieses Mittel zur Abgrenzung gegenüber eigenen hemmenden oder zerstörerischen Denk- und Hand l ungsweisen einsetzen. Wenn Sie auf kontrollierte Weise wütend sind, verfügen Sie über eine sehr große Kraft. Wer Sie nun als »fassungslos« hinstellt, möchte Ihnen auf diese Weise das Gegenteil suggerieren, weil er befürchtet, Ihnen nicht mehr gewachsen zu sein. Ebenso verhält es sich mit den Begriffen »unangemessen« und »hysterisch«: Man will Sie klein und machtlos machen. Man manipuliert Sie zu Ihren Ungunsten, und einzig darum geht es bei der Problematik der Findung und Umsetzung eigener Bedürfnisse.

In unserer Gesellschaft stehen Werte wie Bescheidenheit, Selbstlosigkeit und Aufopferungsbereitschaft auf eine ziemlich kuriose Weise hoch im Kurs. Kurios deshalb, weil unsere eigene Selbstlosigkeit zumeist der Egozentrik eines anderen dient! Wenn diese Werte von so hoher Bedeutung sind, warum gilt die Selbstlosigkeit dann nur für die vielbeschäftigte Hausfrau, die ihre Freunde zugunsten eines reibungslos funktionierenden Haushalts hintenan stellt, aber nicht für ihren Mann, der in seiner freien Zeit den Kegelclub besucht? Warum gilt Bescheidenheit nur für den Angestellten, der mit Lob kaum umzugehen weiß, aber nicht für seinen Vorgesetzten, der die lobenswerte Idee in der nächsten Vorstandskonferenz lautstark als seine eigene ausgibt? Warum ist Aufopferungsbereitschaft nur bei Müttern eine angesehene Eigenschaft, während ihre Kinder im Teenie-Alter nicht einmal ihre eigene Wäsche waschen, geschweige denn mal eine Bluse der Mutter mitzubügeln bereit sind?

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Ganz einfach: Weil diese Eigenschaften alle nur so lange von Wert sind, wie wir selbst davon profitieren. Als Wert an sich haben sie für die wenigsten Menschen eine Bedeutung, es geht lediglich darum, unter der Flagge der Moralität auszunutzen öder ausgenutzt zu werden. Selbstlosigkeit ist eben immer noch dann am bequemsten, wenn sie einem von jemand anderem entgegengebracht wird - oder man seinen Selbstwert darüber aufrecht erhält.

Wenn Sie glücklich werden wollen, müssen Sie lernen, dem Vorwurf des Egoismus oder der Selbstsucht sehr viel mehr Gelassenheit entgegenzubringen. Und Sie werden lernen müssen, in angemessener Weise egoistisch zu werden. Ich will nun nicht zum hundertsten Male den Satz »Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst« interpretieren; aber auch Jesus, dieser vielleicht größte aller Menschheitslehrer, wußte und lehrte, daß nur er des Wunders fähig sei, aus dem Nichts Nahrung zu erschaffen. Wenn wir normalen Menschen auf seelische wie auch materielle Weise nähren wollen, müssen wir dafür sorgen, daß der Topf in regelmäßigen Abständen wieder aufgefüllt wird; wir müssen lernen, an uns selbst zu denken. Oder wollen Sie weiterhin von anderen dazu benutzt werden, daß es diesen gut geht - und zwar auf Ihre Kosten?

Hören Sie auf, mit zweierlei Maß zu messen! Bestehen Sie darauf, daß jeder, der etwas von Ihnen fordert, bereit ist, dasselbe auch für Sie zu tun und es auch tatsächlich tut. Lassen Sie sich nicht von Versprechungen hinhalten, weder im Beruf noch in der Familie. Es gibt hier keine Täter und Opfer, keine Schuldigen und Unschuldigen, denn wer Zuhause vielleicht den Part des ewig Fordernden hat, mag im Büro in der Position des ewig Gebenden sein. Selbst innerhalb ein und derselben Partnerschaft kann sich diese Aufteilung von Lebensbereich zu Lebensbereich verändern - seien Sie also auch umgekehrt darauf gefaßt, leisten zu müssen, was Sie von anderen fordern. Dann allerdings werden Sie dies, da Sie es freiwillig tun, als Gabe Ihrerseits und nicht mehr als demütigende Unterordnung bzw. als einen Zwang empfinden. Wer allerdings um der Gebens willen gibt - also ein Geschenk macht - darf daraus umgekehrt keine Forderu n g e n ableiten, denn dann hat er kein Geschenk gemacht, sondern einen Vertrag mit Leistung und Gegenleistung abgeschlossen, und zwar unabhängig davon, ob der »Beschenkte« davon weiß oder nicht. Das abstruseste Argument in diesem Zusammenhang ist »Ich habe es doch nur aus Liebe getan!«, denn Liebe beinhaltet keine Forderungen. Und vergessen Sie eines nie: Nur wenn Sie selbst sich für wert halten, auf Ihre Bedürfnisse zu achten, werden auch andere dies anerkennen. Haben Sie keine Angst davor, maßlos oder unverschämt zu werden, auch wenn man Ihnen vielleicht genau das ab und zu vorwerfen wird - Sie wissen ja nun, daß solche Argumente meist dazu dienen, Sie zu schwächen. Stehen Sie zur Erfüllung Ihrer Bedürfnisse und kümmern Sie sich dann erst ebenso konzentriert um die Wünsche Ihrer Umgebung. Manchmal wird das eine nicht mit dem anderen vereinbar sein, dann ist es sehr wichtig, daß Sie sich die Auswirkungen eines Verzichts Ihrerseits sehr deutlich vor Augen, führen. Sind Sie wirklich bereit, auf diesen bestimmten Punkt zu verzichten? Stehen Sie zu diesem Verzicht auch als Folge Ihrer eigenen Entscheidung oder wollen Sie anderen die Schuld dafür in die Schuhe schieben? Ist er in der Tat nicht von allzu großer Bedeutung, oder verkrampft sich Ihr Magen oder Ihre Kehle leicht bei dem Satz »ist auch nicht so wichtig für mich«?

Lassen Sie sich nicht mehr überrumpeln, und überrumpeln Sie sich auch selbst nicht mehr. Vielleicht ist es Ihnen nicht sofort möglich zu erkennen, warum der Vorschlag Ihres Gegenübers gerade so eine seltsame Unlust auslöst. Dann helfen Sie sich a besten, wenn Sie um eine gewisse Bedenkzeit bitten, in der Sie in aller Ruhe und ohne irgend einen Druck von außen nachforschen können, speziell welchem Ihrer eigenen Bedürfnisse das, Vorhaben Ihres Gesprächspartners zuwiderläuft. Ebenso können Sie derartige Situationen unter ruhigen Bedingungen im Nachhinein analysieren: Warum spürten Sie dieses leise Widerstreben, als Sie zustimmten, etwas Bestimmtes zu tun? Was hätten Sie lieber unternommen? Weshalb wäre Ihnen diese Alternative

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lieber gewesen? Und warum haben Sie nachgegeben? Lernen Sie, ehrlich Ihre eigenen Ausreden zu erkennen - zum Beispiel dann, wenn Sie mit Ihrem Verhalten eine Situation vermeiden wollten, vor der Sie Angst hatten oder damit Ihren mangelnden Selbstwert zu kompensieren versuchten. Das passiert, und zwar jeden Augenblick. Es ist nicht etwa schlimm, ein solches Verhalten zu zeigen, sondern es dann mit Ausreden zu entschuldigen, anstatt es regelmäßig zu hinterfragen. Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie Ihre Bedürfnisse nicht sofort und in jeder Situation zum Ausdruck bringen können - es ist niemals zu spät, und jede dieser Situationen hat ihren sinnvollen Zweck erfüllt, wenn Sie ihr danach ein paar Minuten des Nachforschens widmen. Außerdem haben auch andere ein Recht auf die Umsetzung ihrer Bedürfnisse und der Weg vom faulen Kompromiß zu r gemeinschaftlichen und gleichberechtigten Lösung will geübt und gelernt werden.

Übung: Negative Erfahrungen umwandeln• Betrachten Sie die folgende Liste:

selbstlos selbstsüchtig Ich achte auf michbescheiden unbescheiden Ich folge meinen eigenen und nicht fremden Bedürfnissenaufopferungsvoll egoistisch Ich erfülle zunächst meine Bedürfnisse und dann die der anderenbrav, schlimm Nichts, was ich tue, ist einfach schlechtmaßvoll maßlos Ich verhalte mich meinem eigenen Maß entsprechendverantwortungsbewußt verantwortungslos Ich handle für mich selbst verantwortlichvernünftig eigensinnig Dies ist für mich sinnvollanständig unanständig- Dies ist für mich notwendiggehorsam ungehorsam Ich bin mir selbst gehorsamtreu. treulos Ich bin mir selbst treugut böse Dies ist für mich angemessen

Die erste Spalte listet die klassischen Eigenschaften auf, die von den meisten Menschen vor allem dann geschätzt werden, wenn sie davon profitieren. Die zweite Spalte .nennt deren ungefähres Gegenteil -jene unschönen Eigenschaften, die Ihnen Ihr wohlerzogener. Verstand in genau dem Augenblick vorwerfen wird, wo sie mit dem Gedanken spielen, mal etwas für sich selbst zu tun. Die dritte Spalte zeigt mögliche auf Sie zutreffende Antworten. Beobachten Sie Ihren inneren Dialog, wenn Sie die Umsetzung Ihrer eigenen Wünsche und Träume in Betracht ziehen. Greifen Sie aktiv in diesen Dialog ein: Das kann sich etwa so anhören: »Das kannst du nicht machen, das ist selbstsüchtig.« »Keineswegs. Ich achte nur auf mich und versorge mich mit dem, was ich brauche.«

Verlassen Sie sich nicht auf diese Liste. Prüfen Sie Ihre Gedanken; wann immer diese eine abwertende oder verurteilende Haltung Ihnen selbst gegenüber einnehmen, und stellen Sie diese unwahre Behauptung mit Ihren eigenen Worten richtig. Belohnen Sie sich dafür, diese Übung begonnen zu haben.

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Selbstklärung in und mit der Natur

Die Funktion des Selbstgesprächs

Bestimmt haben Sie das auch schon einmal erlebt: Sie stehen vor einer roten Ampel und werfen einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Dort sehen Sie im Wagen hinter Ihnen einen Menschen, der sich offensichtlich angeregt unterhält. Die Person zeigt ein emotionsgeladenes Gesicht und gestikuliert mit den Händen - vielleicht wendet sie den Kopf sogar ab und an dem Beifahrersitz zu. Und als Sie dem Blick dieses Menschen folgen, stellen Sie fest, daß neben ihm gar niemand sitzt! Abgesehen vom Fahrer ist der Wagen leer, und dieser spricht offenbar angeregt mit der leeren Luft.

Falls es sich um eine Frau mit langem, braunen Haar handelt, könnten Sie gerade mir begegnet sein, und ich kann Ihnen mit aller Bestimmtheit versichern, daß ich nicht spinne. Natürlich gibt es hin und wieder Menschen, denen während solcher Gespräche nicht bewußt ist, daß sie keinen materiellen Gesprächspartner haben, aber diese sind relativ selten anzutreffen. Meiner Erfahrung nach zählen weit über achtzig Prozent aller Leute, die sich im Auto, bei einem Waldspaziergang oder auf der Straße mit sich selbst unterhalten einfach zu jenen Menschen, denen es schlichtweg egal ist, was andere von ihnen denken - und dies zeugt meiner Ansicht nach von einer kraftvollen Persönlichkeit. Wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden, und zwar die Verfassung der psychisch verwirrten Person, die aufgrund ihres Alters oder einer besonderen seelischen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, Phantasie von Realität zu unterscheiden, und den Zustand des Kindes, das sich stundenlang mit den Spielgefährten in seiner Vorstellung oder auch einer Puppe unterhalten kann und sich dennoch der Tatsache bewußt ist, daß es selbst dem Gegenüber eine Stimme verleiht. Diese kindliche Haltung wird von einigen von uns bis ins Erwachsenenalter hinüber gerettet, und da liegt das Problem. Bei Kindern würde in einem solchen Fall niemand eine psychische Erkrankung vermuten, denn in der Phase des Heranwachsens gilt dies als normal und sogar notwendig. Viele Erwachsene jedoch betrachten ein derartiges Verhalten bei sich als unangemessen.

Der Grund dafür liegt unter anderem in einer Verwechslung. Wir halten zwei Erscheinungsformen dieser kindlichen Selbstgespräche für dasselbe: die Unterhaltung mit einem vorgestellten Spielgefährten und jene mit nichtmateriellen Wesenheiten wie Elfen, Feen oder Zwergen. Die erste Form können wir gerade noch akzeptieren, auch wenn sie uns - wie viele Ausprägungen der hemm u ngslosen kindlichen Phantasie - als Erwachsene oft peinlich berührt, denn dies stellt eines der Tore zur Kommunikation mit nichtmenschlichen Wesen dar, die wir aus irgend einem Grund im Laufe der Menschheitsgeschichte aufzugeben und sogar als »verrückt« zu bezeichnen beschlossen haben. So ist es für die meisten Menschen von enormer Wichtigkeit, dafür zu sorgen, daß unsere Kinder so früh wie möglich damit beginnen, sich »vernünftig« zu verhalten. Die Sache hat nur einen Haken: Was wir als vernünftige Weiterentwicklung eines heranwachsenden Menschen betrachten, ist in Wirklichkeit der Abbruch einer Entwicklung. Natürlich meine ich damit nicht, daß Erwachsene besser leben würden, wenn Sie diese Verhaltensform auf eine kindliche Weise beibehalten. Nein, es geht viel mehr darum, eine reifere, unseren erwachsenen Anforderungen gemäße Einstellung zu unserer Phantasie und deren Möglichkeiten zu finden.

Das gut erlernte Selbstgespräch gibt uns eine Reihe von Möglichkeiten und Werkzeugen zur Hand. Auf diese Weise können wir in Kontakt mit jenen inneren Anteilen treten, denen wir uns üblicherweise verweigern oder zu denen wir zwar gerne Zugang hätten, an die wir aber sonst nicht herankommen. Hier ist es uns möglich, neue Verhaltensweisen zu erproben, Problemlösungsstrategien zu testen und neue Lösungen für schwierige Situationen zu erarbeiten.

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Das Selbstgespräch kann als eine Art Computersimulation dienen, in, der wir sowohl Neues entwickeln als auch dieses Neue üben können.

Dafür muß man nur einen relativ klaren Zugang zu seiner Phantasie haben. Viele Erwachsene glauben, dieser sei ihnen abhanden gekommen, weil sie nicht mehr in der Lage sind, sich farbige Bilder oder gar Geräusche vorzustellen und dies über einige Augenblicke aufrechtzuerhalten. Tatsächlich aber hat sich die erwachsene Vorstellungskraft oft nur entsprechend der mit dem Heranwachsen veränderten Anforderungen an sie gewandelt. Viele Menschen, die sich für phantasielos halten, sind ohne weiteres in der Lage, sich graphische Darstellungen, Zahlen oder eine geschäftlich wichtige Person vor ihr inneres Auge zu rufen. Das Selbstgespräch, das sich eher abstrakter Begriffe und der Worte als eines, großen Bilderreichtums bedient, kann hier oft perfekt greifen.

Das Rollenspiel mit sich selbst

Viele Therapeuten verwenden das Rollenspiel, wenn es darum geht, ein Verhalten zu erkennen, mit dem man sich selbst blockiert oder andere, angemessenere Verhaltensweisen zu erproben. Im Mittelpunkt einer solchen Übung steht ein Klient, der den Eindruck hat, in bestimmten Situationen immer wieder zu denselben, für ihn unbefriedigenden Strategien zu greifen. Er wählt aus der Gruppe einige Menschen. aus, welche die Rollen der anderen an solchen Situationen beteiligten Personen übernehmen und erzählt ihnen genau, was sich aus seiner Sicht in diesen Problemfällen abspielt. Gemeinsam machen nun, alle Beteiligten die Konfliktsituation anfaßbar und begreifbar, indem sie diese zusammen darstellen -wenn nötig immer und immer wieder, bis der Knackpunkt gefunden i s t.

Eine solche Gruppe hat Vor- und auch Nachteile. Sicherlich hilft es enorm, wenn man die problematische Si t uation auf diese Weise materiell vor sich hat, ohne mit den im Alltagsleben zu erwartenden Folgen rechnen zu müssen. Für viele Menschen ist es jedoch selbst im sicheren Raum einer Therapie- oder Selbsterfahrungsgruppe noch schwierig, die eigenen, mit der Situation verknüpften Gefühle deutlich wahrzunehmen und zum Ausdruck zu bringen. Diese sind jedoch der Schlüssel zur Erkenntnis der einem Konflikt zugrunde liegenden Handlungsweisen sowie deren Motivation. Erst wenn wir wissen, warum wir etwas tun; können wir angemessenere Ausdrucksformen für diese Motive finden - und dieses Warum ist im Endeffekt immer emotionaler oder instinkthafter Natur. Wen n Sie solche Situationen nun alleine durchspielen, können Sie es sich erlauben, jedes in Ihnen aufsteigende Gefühl zu beobachten, und sei es noch so verboten, denn es sieht Ihnen ja niemand zu. Sie brauchen diese Empfindungen weder auszuagieren noch zu verarbeiten; im Rahmen des Rollenspiels mit sich selbst genügt es völlig, zu beobachten und einfach zu erfahren, welche Gefühle die eine oder andere Reaktion Ihres vorgestellten Gegenübers auslöst. So ist es Ihnen möglich herauszufinden, was Sie wirklich zu bestimmten Handlungsweisen treibt und welches Bedürfnis Sie damit eigentlich auszudrücken wünschen. Nun können Sie die im normalen Ablauf der Situation den Konflikt auslösende Stelle durch ein klares Aussprechen Ihrer Gefühle zu diesem Zeitpunkt und den diesen zugrundeliegenden Bedürfnissen verändern. Sie nehmen von diesem Moment an sozusagen einen Kurswechsel vor, der die Entwicklung der gesamten Situation in eine ganz andere Richtung lenken kann. In derselben Übung haben Sie nun die Möglichkeit, diese neue Verhaltensweise zu üben. Natürlich wissen Sie nicht, wie die weiteren am Konflikt beteiligten Personen mit dieser Kursänderung Ihrerseits umgehen werden - deshalb stehen Ihne n nun grundsätzlich zwei Varianten zur Fortführung der Übung zur Verfügung.

1. Beginnen Sie einfach, die Situation in Ihren Gedanken durchzuspielen und bringen Sie am kritischen Punkt die Kursänderung ein. Dann reagieren Sie auf das erste, was Ihr Gegenüber in

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Ihrer Vorstellung nun tut: Oft kennen Sie den anderen besser, als Sie vielleicht glauben, weil Sie auf unbewußtem Wege Informationen über die entsprechende Person aufgenommen haben, die Ihrem Verstand nicht sofort zur Verfügung stehen -Ihrer Phantasie, die aus unbewußten und emotionalen Bereichen schöpft, aber schon. Oft wird das von Ihnen erspürte Verhalten auch im Realfall wirklich eintreten, oder Sie werden eine völlig andere Reaktion erhalten, die sich als unerwartet unproblematisch herausstellte Dann hat Ihr Konfliktpartner aufgrund Ihrer neuen Verhaltensweise erstmals jene Informationen erhalten, die er benötigt, um wirklich auf Sie eingehen zu können.

2. Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und erstellen Sie eine Liste aller Reaktionen, mit denen Ihnen Ihr Konfliktpartner im Realfall begegnen könnte. Notieren Sie alles, was Ihnen dazu einfällt, und spielen Sie dann jede Situation einzeln durch.

Nun kommt der wichtige Punkt. Oft werden Sie nun als nächstes auf eine Reaktion des Gegenübers treffen, die eine konsequente Verhaltensänderung Ihrerseits blockiert und scheinbar unmöglich macht; hier finden Sie den eigentlichen Grund für Ihre bisherige, für Sie nun unbefriedigende Kurswahl. An diesem Punkt erfahren Sie, was Sie im Realfall wirklich fürchten. Doch das größte Potential des Rollenspiels besteht gerade darin, daß es eben nicht die Realität ist, was bedeutet, daß Sie nun in völlig gefahrloser Umgebung die Gelegenheit ergreifen können, sich mit dieser gefürchteten Reaktion auseinanderzusetzen und in aller Ruhe Ihre Gefühle, Bedürfnisse und daraufhin auch Antworten zu klären. Finden Sie heraus, womit man Sie »kriegen« kann und überlegen Sie sich, ob Sie dies im Realfall wirklich erhalten und wenn ja, ob es das überhaupt wert ist. Seien Sie erfinderisch und suchen Sie nach Möglichkeiten, die Situation trotz einer blockierenden Antwort zum für Sie bestmöglichen Ergebnis zu bringen. Vielleicht müssen Sie zu diesem Zweck auf etwas verzichten; dies kann zum Beispiel das Ziel sein, von jedem gemocht zu werden oder der Versuch, eine offene Auseinandersetzung zu vermeiden. Überlegen Sie sich in einem solchen Fall, was Sie für den Verzicht auf einen solchen Punkt erhalten können, was Ihnen zu erreichen möglich ist, wenn Sie sich nicht mehr von einer dieser Bedingungen einschränken lassen. Es ist gut möglich, daß Sie mehr gewinnen, als Sie aufgeben.

In einem solchen Solo-Rollenspiel ist es meiner Erfahrung nach nicht notwendig, auch die Rollen der anderen an einem Konflikt beteiligten Menschen laut zu sprechen und darzustellen, denn Sie möchten sich ja auf sich und Ihre eigenen Gefühle in dieser Situation konzentrieren. Es kann allerdings interessant sein, nach der Klärung dieses Teils mal in die Rolle des Konfliktpartners zu schlüpfen, um auf diese Weise ein wenig dessen nachvollziehen zu können; was sich in ihm abspielen mag. Auf diese Weise erhalten Sie zwar nicht unbedingt ein hundertprozentig verläßliches Bild vom Inneren des anderen, weil Sie diesen vielleicht anders wahrnehmen als er sich selbst, aber Sie erfahren auf jeden Fall, welche Rolle Sie diesem Menschen im Streitfall zuordnen. So erhalten Sie unter Umständen ein Bild, das beide Seiten Ihres persönlichen Dilemmas aufzeigt.

Nur um Mißverständnisse zu vermeiden: Das Rollenspiel - und zwar gleich, ob Sie es in einer Gruppe oder mit sich selbst durchgehen - ist selbstverständlich nur ein Probelauf. Hier haben Sie die Gelegenheit herauszufinden, warum Sie in bestimmten Situationen immer wieder am selben Punkt landen und was Sie dagegen unternehmen können. Doch all das nützt Ihnen überhaupt nichts, wenn Sie Ihre neuen Verhaltensstrategien dann nicht auch im realen Konfliktfall ausprobieren. Nur Spielen gilt nicht! Da draußen finden Ihre Konflikte statt, und nur dort können Sie diese auch lösen.

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Stille

Wie ich schon erwähnte, liegt das Potential des Solo-Rollenspiels in der Tatsache, daß uns niemand zusieht, dem wir bestimmte Bewertungen dessen, was wir da gerade tun, unterstellen können. Auf diese Weise kann so manch verborgenes Motiv oder Gefühl ungehinderter nach oben steigen. Der Nachteil liegt darin, daß wir mit diesen Entdeckungen dann alleine sind, und deshalb rate ich hier immer zu einer eher beobachtenden Haltung - es sei denn, Sie sind in der Auseinandersetzung mit Ihren Tiefen bereits erfahren und neigen eher dazu, sich Ihren Gefühlen zu stellen, anstatt vor ihnen davonzulaufen.

Für Menschen, die mit diesem Prozeß noch nicht allzuviele Erfahrungen haben, wird sich ein solches Rollenspiel mit sich selbst eher als eine fragile Angelegenheit darstellen; von der man sehr leicht abgelenkt werden kann. Es ist nicht einfach, sich selbst zuzuhören, wenn man dies nie gelernt hat. Achten Sie deshalb zu Anfang darauf, daß Sie während einer solchen Übung weder durch andere Menschen und deren mögliches Urteil noch von lauten Geräuschen oder hektischen Geschehnissen gestört werden können: Suchen Sie sich einen Ort, an dem es still ist, und bedenken Sie dabei, daß nicht nur Geräusche eine ablenkende Wirkung haben können. Ich zum Beispiel habe lange üben müssen; bis mir das Solo-Rollenspiel auch in der Stadt auf eine sinnvolle. Weise gelang, weil mich nicht nur die ständige Geräuschkulisse, sondern auch die für mich ungewohnte Vielzahl und Stärke anderer Schwingungen und Gefühle gestört hat, die ich dort mit meinen inneren Sinnen wahrnahm. Ein Bienenkorb war nichts dagegen!

Man kann zwar lernen, sich gegen solche Störfaktoren abzuschirmen, aber dann müssen Sie den Faktor in Rechnung stellen, daß Ihre Sinne nicht mehr nach außen gerichtet sind und Ihnen wichtige Informationen entgehen könnten - wie zum Beispiel die Tatsache, daß die letzte Ampel leider nicht grün war. Wenn Sie zum Ausführen dieser Übung die Umwelt ausblenden, was in unterschiedlichem Maß immer geschieht, wenn Sie sich auf Ihr inneres Wesen konzentrieren; ist es unbedingt erforderlich, vorher eine sichere Umgebung aufzusuchen; in der Ihnen auch in fortgeschrittenen Stadien der Selbstfokussierung nichts passieren kann. Praktischerweise sind solche Orte meist auch still genug, um Ihnen zu erlauben, die zarte Stimme Ihres inneren Selbst zu hören. Sie merken es wahrscheinlich schon - im Endeffekt läuft das Ganze auf einen Wald oder die Ihren Wohnort umgebenden Wiesen hinaus. Ich persönliche bevorzuge zudem noch nächtliche Stunden, wenn sich der allgemeine Schwingungspegel der Emotionen und technischen Vibrationen auf einem Tiefstand befindet und es da draußen wirklich still ist. Sie sollten diesem Vorschlag aber nur dann folgen, wenn Sie keine Angst vor der Dunkelheit haben und dies nicht in städtischer Umgebung tun müssen. Was auch immer Sie tun oder für sich erreichen wollen: Sie haben die verflixte Pflicht, für Ihr Wohlergehen zu sorgen, und das betrifft auch und gerade Ihre Bemühungen, dieses zu verbessern. Es bringt Ihnen nun mal überhaupt nichts, hervorragende Strategien zur Bewältigung Ihrer Probleme zu entwickeln, wenn Sie unmittelbar danach überfallen oder von einem Auto niedergefahren werden.

Noch ein Wort zur Dunkelheit: Was immer Sie auch sonst gehört haben mögen - auch Erwachsene fühlen sich zu nächtlicher Zeit alleine im Freien nicht wohl, und das unabhängig davon, ob sie sich in einer gefährlichen Umgebung wie einer Stadt oder draußen auf dem Lande befinden. Dabei handelt es sich schlicht und ergreifend um die Erinnerung an frühere Stadien der Menschheitsgeschichte, in denen es zwar noch keine Städte, dafür aber große Raubtiere und andere Gefahren gab, welche die heutzutage eher harmlose ländliche Nacht für den Wanderer bereithielt. So manches in der Dunkelheit aktive Tier, das bis zur industriellen Revolution unsere Natur bevölkerte, hatte im Notfall durchaus auch den Menschen auf seiner Speisekarte und scherte sich nicht im mindesten darum, ob dieser zum Zwecke der Selbstklärung oder aufgrund einer Schlafstörung dort draußen herumwanderte. Zudem assoziieren viele Menschen mit der

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Nacht eigene, ungeliebte Persönlichkeitsanteile, die sie als eine Bedrohung empfinden. Es ist also absolut nichts Ungwöhnliches und erst recht nichts Kindisches daran, die Nacht zu meiden; es kann Ihnen je nach Intensität der Ablehnung nur etwas über sich selbst sagen.

Der meditative Spaziergang

Wenn Sie sich zum Zwecke der Selbstklärung in die freie Natur begeben, haben Sie außer dem Rollenspiel noch weitere Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Ihren Problemen zur Verfügung. Die Naturphilosophie im hier verwendeten Sinne betrachtet die Natur als lebendig, intelligent und sich ihrer selbst bewußt, und ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung versichern, daß dies zutrifft, auch wenn dieses Bewußtsein etwas anders strukturiert sein mag als das unsere. Diese Intelligenz ist von übergreifender, verstehender sowie äußerst weiser Art und durchaus in der Lage, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine solche Kommunikation zu, erreichen, eine davon stellt eine Erweiterung des Rollenspiels mit sich selbst dar.

Dafür nehmen Sie sich einige Augenblicke Zeit, um die Sie umgebende Landschaft genau zu betrachten. Lassen Sie Ihren Blick einmal rundum wandern und nehmen Sie so viele Eindrücke wie möglich in sich auf. Bemerken Sie auch die Düfte, die Sie umgeben, sowie die Vielfalt der natürlichen Geräusche. Werden Sie vielleicht sogar grade berührt? Können Sie den Luftzug auf Ihrer Haut oder das Streichen eines tiefhängenden Astes spüren?

Jede Umgebung unterscheidet sich von der nächsten, und jede Landschaft hat ein eigenes Gesicht sowie eine eigene Persönlichkeit. Machen Sie sich ein Bild vom Wesen der Landschaft, in der Sie sich gerade befinden. Verschaffen Sie sich einen Eindruck davon, wie Sie es auch bei einem Menschen tun würden, dem Sie soeben zum ersten Mal begegnet sind. Vielleicht gelingt es Ihnen sogar, die seelische Ausstrahlung Ihrer Umgebung zu erspüren. Lassen Sie mich dies erklären: Wenn Sie mit einem anderen Menschen einen Schlafraum teilen, können Sie dessen Anwesenheit höchstwahrscheinlich auch dann wahrnehmen, wenn Sie die Augen geschlossen haben und sogar dann noch, wenn der andere sich so weit von Ihnen entfernt befindet, daß Sie seinen Atem nicht hören. Sie spüren einfach die Ausstrahlung eines anderen Wesens im Raum. Auf dieselbe Weise erfahren Sie die innere Persönlichkeit der Natur; einfach, indem Sie hinausfühlen.

Wenn Sie sich nun ein Bild vom Äußeren sowie dem für Sie erfaßbaren Inneren der Sie umgebenden Landschaft gemacht haben, können Sie diese direkt ansprechen. Stellen Sie sich einfach vor und erzählen Sie, warum Sie hier sind und was Sie sich erhoffen. Bitten Sie darum, daß man Ihnen zuhört und einen Rat erteilt. Wenn Sie damit fertig sind, hören Sie in sich hinein und achten Sie auf Ihre Gedanken und Empfindungen, denn diese können wichtige Anregungen für Sie enthalten. Beantworten Sie ruhig, was da so in Ihnen auftaucht, und lauschen Sie, erneut - auf diese Weise treten Sie in einen echten Dialog mit sich und dem, was in Ihnen selbst natürlich, also ursprünglich ist und deshalb mit der Natur kommunizieren kann.

Es gibt noch eine andere Möglichkeit, in ein solches Gespräch zu treten. Wenn Sie einen Eindruck von der Persönlichkeit Ihrer Umgebung gewönnen haben, erschaffen Sie vor Ihrem inneren Auge das Bild eines Wesens, das diese Charakterzüge trägt - irgendeine Gestalt, die zu dieser Landschaft paßt. Wenn Sie sich in den Alpen befinden und von hohen schneebedeckten Gipfeln umgeben sind, könnte dies zum Beispiel ein uralter Einsiedler mit langem, weißem Bart sein. An einem quirligen Bach im Frühling finden Sie eventuell ein fröhliches junges Mädchen, während Sie in den sommerlichen Weizenfeldern auf eine stattliche, herrschaftliche Frau treffen könnten. Das Bild; das Sie der Natur verleihen, ist immer das richtige, denn es entsteht nicht

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gänzlich aus Ihnen selbst; einen Teil davon wird der lebendige Geist der Natur selbst vorgeben. Mit diesem Wesen - es kann sich auch um einen Elf oder einen Zwerg handeln - könn e n Sie nun sprechen. Stellen Sie sich vor, wie die Person neben Ihnen geht und sich mit Ihnen zu Ihrem Problem unterhält. Wenn Ihr Gespräch beendet ist, bedanken Sie sich herzlich und fragen vielleicht auch, ob Sie etwas für Ihr Gegenüber tun können.

Naturbegegnung in Orakelform

Sie wissen vielleicht, daß spirituell Eingeweihte vieler antiker Kulturen die Erscheinungsformen der Natur als eine Art Tarot betrachteten, dem sie direkt Informationen über die Zukunft wie auch den Willen der Götter entnahmen. Am bekanntesten ist hier wohl das Vogelflug-Orakel der keltischen Druiden. Die komplette Beschreibung auch nur eines dieser Orakelsysteme würde mehr als den Rahmen eines Buches sprengen, und deswegen werde ich damit erst gar nicht anfangen -zumal ich gerade vom berühmtesten Beispiel, dem Vogelorakel, nicht die geringste Ahnung habe. Ich möchte statt dessen eine Abwandlung dieser Orakel vorschlagen, die auf dem Gespräch mit der Natur beruht und somit eine Tätigkeit darstellt, der nur der Übung und nicht der jahrelangen, detaillierten Anweisung bedarf. Sie können Ihre Fragen auch an einzelne, in Ihrer Umgebung zu sehende Tiere richten. Diese sind Teil eines größeren, ebenfalls intelligenten Ganzen und jederzeit dazu in der Lage, auf dessen Weisheit zuzugreifen. Dabei empfiehlt es sich allerdings, nicht gerade auf das Tier loszustürmen, ihm die Hand zu reichen und dann einen Monolog zu beginnen spätestens, wenn Sie beim Händereichen angekommen sind, ist Ihr Gesprächspartner nämlich schon über alle Berge. Wenn Sie die Tierwelt, um ein Orakel bitten wollen, setzen Sie sich am besten an einer gemütlichen Stelle nieder und senden Ihre inneren „ Fühler« hinaus. Versuchen Sie, sich der Artenvielfalt um sich herum bewußt zu werden und senden Sie einen begrüßenden Gedanken hinaus. Dann bitten Sie um ein Orakel und erklären Ihre Situation.

Wenn Sie Ihre Erzählung beendet haben, bleiben Sie ein paar Minuten ganz still sitzen und beobachten, welche Tiere um Sie herum zu sehen sind, um dann eines davon auszuwählen und in Gedanken ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Senden Sie das, was Sie bewegt, direkt zu ihm und lauschen Sie in Ihrem Inneren auf eine wie auch immer geartete Antwort. Auch hier besteht die Möglichkeit, einen Dialog zu beginnen. Wenn Ihr Gespräch beendet ist oder das Tier sich entfernt, bedanken Sie sich und verlassen den Platz.

Bereits die Art des Tieres, das in Ihrer Nähe auftaucht, kann Ihnen wertvolle Informationen zu Ihrer Fragestellung vermitteln. Jede Tierart hat eine besondere Aufgabe innerhalb der Schöpfung und weist durch ihre Anwesenheit somit bereits in, eine bestimmte Richtung hin. Die folgende Aufteilung wurde von Philip und Stephanie Carr-Gomm erarbeitet und greift auf keltisches Wissen zurück; wenn Sie die Arbeit mit Tiergeistern interessiert, kann ich Ihnen deren Buch »Das keltische Tierorakel« allerwärmstens empfehlen.

Adler Intelligenz, Erneuerung, MutAmsel Zauber, Tor zu anderen Welten, der innere RufBär Urkraft, Souveränität, Intuition gepaart mit InstinktBiene Gemeinschaft, Berühmtheit, OrganisationBulle Reichtum, Macht, WohltätigkeitEber der Geist des Kriegers, Führerschaft, LeitungEule Loslösung, Weisheit, WechselFalke, Habicht Adel, Erinnerung, Gedächtnis, ReinigungFischotter Freude, Spiel, HilfsbereitschaftFuchs Schlauheit, Diplomatie, Wildheit

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Gans Wachsamkeit, Elternschaft, produktive KraftHase Wiedergeburt, Intuition, GleichgewichtHirsch Stolz, Unabhängigkeit; LäuterungHirschkuh Anmut, Feinsinnigkeit, WeiblichkeitHund Führung, Schutz, LoyalitätKatze Wächterschaft, Loslösung, -SinnlichkeitKranich geheimes Wissen; Geduld, LanglebigkeitKuh Nahrung, Mutterschaft; die GöttinLachs Weisheit, Inspiration, VerjüngungPferd die Göttin, das Land, ReisenRabe, Rabenkrähe Heilung, Initiation, SchutzRobbe Liebe; Sehnsucht, DilemmaSau Großzügigkeit, Nahrung; EntdeckungSchafbock, Widder Opfer, Durchbruch, LeistungSchlange Transformation, Heilung, LebensenergieSchwan Seele, Liebe, SchönheitWolf Intuition, Lernen, der SchattenZaunkönig Demut, Schlauheit, Gott

Sie finden in dieser Liste auch das eine oder andere Tier, das Sie wahrscheinlich höchst selten in freier Natur erleben dürften, auch wenn das nicht ganz unmöglich ist. In einigen österreichischen Wäldern findet man durchaus noch Bären, die Robbe kann Ihnen an der Küste und der Adler dort oder in den Alpen begegnen. Auch der eine oder andere Wolf wurde in den letzten Jahren wieder entlang der tschechischen Grenze gesichtet. Wenn Sie sich die Aufgabenbereiche dieser bei uns kaum mehr vorkommenden Tierarten betrachten; wird schnell deutlich, wie wichtig diese nicht nur für unser ökologisches, sondern auch seelisches Gleichgewicht sind. Wir sollten ihre allmähliche Wiedereinbürgerung daher begrüßen und nicht fürchten. Das, wovor wir in Wahrheit Angst haben, wird von, diesen Tieren nur repräsentiert, und verschwindet nicht einfach, wenn wir sie ausrotten. Es bleibt uns erhalten und nimmt nur andere, noch schwerer zuerkennende und zu beherrschende Formen an.

Des weiteren habe ich diese seltenen Tierarten eingefügt, weil Ihr Geist in der Lage ist, zu ersetzen, was wir der Natur genommen haben. Wenn Sie möchten, können Sie versuchen, in Form einer Phantasiereise Kontakt zu einem bestimmten Tier aufzunehmen. Dazu suchen Sie sich einen sicheren und ungestörten Ort, schließen die Augen, entspannen sich bei einigen tiefen, aber nicht forcierten Atemzügen in den Bauch und stellen sich einen Ort vor, der Ihnen gefällt und an dem Sie sich geborgen fühlen. Dort bitten Sie den Tiergeist der von Ihnen gewählten Art um seine Anwesenheit. Einige werden recht schnell erscheinen, bei, anderen wird es unter Umständen mehrere solcher Versuche benötigen, bis sie zu Ihnen Vertrauen fassen. Wenn der Tiergeist erscheint, stellen Sie sich vor, und bitten um ein Gespräch, in dem Sie all Ihre Fragen stellen können. Danken Sie dem Tiergeist nach Beendigung des Gesprächs und verabschieden Sie sich.

Alle in diesem Kapitel beschriebenen Übungen erhalten einen wesentlich tieferen Aspekt, wenn sie in einem Zustand der Halbtrance ausgeführt werden, doch auch der normale Ruhezustand kann bereits erstaunliche Ergebnisse zeigen. Da es sich bei den hier erwähnten Wesenheiten - sei es nun eine Personifikation der Natur oder ein Tiergeist -keineswegs um reine Phantasiegeb i l de Ihrerseits, sondern um real existierende, mit einem eigenen Willen und großem Wissen ausgestattete Gestalten handelt, sollten Sie die Übungen ruhig eine Zeitlang in dieser leichteren Version durchführen,, um sich langsam in diese neue Welt einzuführen und mit den dortigen Bedingungen vertraut zu machen. Bringen Sie jedem, dem Sie begegnen, eine große Achtung

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entgegen und respektieren Sie eventuelle Verbote, denn diese verschließen meist Bereiche vor Ihnen, denen Sie noch nicht gewachsen wären und dienen somit zu Ihrem Schutz. Aus demselben Grund sollten Sie Zonen meiden, die von aggressiv agierenden Tieren, Feuersbrünsten oder anderen Dingen versperrt werden, die in der Alltagswelt eine Gefahr für Leib und Leben darstellen würden. Machen Sie sich Stück für Stück mit den Symbolen der anderen Seite dieser Welt vertraut und lassen Sie sich die nötige Zeit, um dort eine gewisse Erfahrung und Sicherheit zu gewinnen. Später können Sie diese Orte oder Wesenheiten auch .in der Trance aufsuchen.

Die Funktion der Großfamilie.

Die Familie hat in der menschlichen Gemeinschaft über Jahrtausende hinweg wesentliche Aufgaben übernommen, denen sie nur aufgrund ihrer Größe gerecht werden konnte. Diese Gemeinschaft war lebensaufbauend, -erhaltend und -schulend zugl e ich. Der hilflose Säugling verfügt in einer Großfamilie über eine Vielzahl von unterschiedlichen Bezugspersonen, die gemeinsam in der Lage sind, all seine seelischen wie auch geistigen und körperlichen Bedürfnisse zu erfüllen. Schlüsselkinder gibt es hier nicht, ,und für jeden Aspekt der inneren Entwicklung steht zumindest eine Person zur Verfügung, die ihre diesbezüglichen Erfahrungen mitteilen kann. Das Kind muß bereits recht früh einen Teil der gemeinsamen Aufgaben übernehmen, was nicht nur eine Belastung bedeutet, unter der er im besten Fall seine Ausdauer sowie seine Fähigkeiten trainieren kann; sondern ihm auch bald ein Gefühl der Erfüllung verschafft, da es sich nicht nur als versorgunsbedürftigen, sondern auch als produktiven Teil der Gemeinschaft wahrnehmen kann. Dies ist von nicht unwesentlicher Bedeutung für die Entwicklung eines stabilen Selbstbewußtseins. Auf diese Weise Schritt für Schritt in die Ausübung aller Funktionen eines Erwachsenen eingeführt; kann es dessen Aufgaben zu einem weitaus früheren Zeitpunkt seiner Entwicklung erledigen, als dies in einer Kleinfamilie der Fall wäre, auch wenn seine emotionale Reife seinen praktischen Erfahrungen noch hinterher hinkt. Dies ist aber nicht tragisch, da der junge Mensch, der im Rahmen einer Großfamilie mit vielleicht bereits fünfzehn oder sechzehn Jahren den Aufgabenbereich eines Erwachsenen wahrnimmt, dies nie alleine tun muß. Er verläßt den familiären Verband entweder gar nicht oder kann auch unter den Umständen einer räumlichen Trennung jederzeit darauf zurückgreifen, indem er zum Beispiel einen erfahreneren Verwandten bittet, für die Dauer einer schwierigen Phase bei ihm zu leben und ihn zu unterstützen.

Familienpfade

Auf diese Weise ist der nun erwachsene Mensch immer in ein Netz aus Erfahrungswerten und emotionaler Hilfe eingebunden. Dies schafft die zum Angehen neuer Aufgaben und Herausforderungen notwendige Sicherheit, und aus der gemeinsamen erfolgreichen Bewältigung solcher Herausforderungen bezieht er wiederum persönliche Kraft. Es wird in seinem Leben selten Situationen geben, mit denen noch kein Mitglied der Familie zuvor konfrontiert wurde; fast alles, was dem in einem solchen Verband aufwachsenden Menschen widerfährt, haben andere bereits vor ihm erlebt und sind daran gewachsen. Gerade in jenen Bereichen, die den heutigen, mit seinem jungen Erwachsenenleben oft alleine dastehenden Menschen auf angstvolle Weise mit seiner eigenen Unwissenheit und Unerfahrenheit konfrontieren, bietet die Großfamilie in früheren Zeiten wie manchmal auch heute noch eine nahezu rituelle Schulung an. Ich denke hier vor allem an die Frage der inhaltlichen Bedeutung des Erwachsenseins sowie an Schwangerschaft und Kindererziehung. Man weiß eben nicht automatisch, wie man als frischgebackene Eltern mit so einem goldigen, aber auch reichlich anstrengenden Säugling fertig wird, ohne daß daran die Partnerschaft zugrunde geht. Der Mythos »wenn das Kind erst mal da ist; wird alles toll« bleibt ein Mythos; auch wenn ihn noch so viele Menschen begeistert

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weitertragen, weil sie tatsächlich glauben, sie seien die einzigen; denen ihr eigenes Kind manchmal mehr als nur auf die Nerven geht - um es noch vorsichtig auszudrücken. In einer Großfamilie bleibt diese Last nicht nur an den Eltern od e r gar alleine an der Mutter hängen; gerade die Großelterngeneration hat hier die Aufgabe, jene zu unterstützen, die ihr Überleben im Alter sicherstellen oder, was den Säugling angeht, einmal sicherstellen werden, so wie sie selbst einst ihre eigenen Großeltern erhalten haben, die ebenfalls im Austausch dafür eigenes Wissen und die eigene Zeit zur Verfügung stellten. So funktioniert der Generationenvertrag.

Es ist mir absolut unverständlich, wie unsere moderne Gesellschaft zu der Ansicht kommen kann, alte Menschen wären nutzlos. Haben all jene, die Pflegekosten, medikamentöse Versorgung und ärztliche Behandlung aufrechnen, bereits vergessen, wer auf sie aufpaßte und sie vor unter Umständen tödlichem Schaden bewahrte, wenn die Eltern nicht zur Verfügung standen? Oder wer da verständnisvoll lächelnd sagte »Ich weiß, der Kleine ist im Trotzalter und eure Nerven sind ruiniert - bringt ihn dieses Wochenende zu mir und macht mal zwei Tage frei«? Natürlich kommen wir auch ohne die älteren Menschen in unserer Gemeinschaft zurecht, aber der Preis dafür besteht im Verlust unschätzbarer Erfahrungen und der seelischen Deformierung unserer Kinder, die unter der Überlastung ihrer Eltern zu leiden haben. Ich kenne so viele junge Paare, für die eine verständnisvolle Großmutter in greifbarer Nähe die letzte noch denkbare Rettung darstellen würde - es tut mir förmlich weh, dies beobachten zu müssen und dabei zu wissen, wie nahe die Lösung für uns alle liegt.

Leider entspricht die drei- bis vierköpfige Familie bei uns mittlerweile dem Standard, und weitreichende Un t ersuchungen weisen bereits auf Probleme bei der Entwicklung der gemeinschaftlichen und sozialen Kompetenz von Einzelkindern hin. Nein, es tut mir leid, aber wir schaffen es eben nicht alleine und lassen unsere Kinder für unseren Egoismus bitter büßen - mal ganz abgese hen davon, was wir uns selbst damit antun.

Die Wahlfamilie als moderne Lösungsstrategie

Was aber tun in einer Zeitgin der viele Arbeitgeber eine zunehmende Mobilität fordern und Arbeitsplätze eine Rarität werden, die den Wahl des Wohnortes immer mehr von finanziellen und weniger familiären Erwägungen abhängig macht? Was tun, wenn eine Familie zwar in greifbarer Nähe vorhanden ist, aber aufgrund ihrer Zersplitterung bereits keine sinnvolle Kommunikation mehr miteinander zu unterhalten in der Lage ist?

Wenn man nicht haben kann, was man möchte, muß man nehmen, was man kriegt. Sie sind nicht der oder die einzige mit derartigen Problemstellungen, und viele andere Menschen in derselben Situation haben einfach auf das Prinzip der Wahlfamilie zurückgegriffen. Während diese in Form der Wohngemeinschaft bis vor wenigen Jahren noch hauptsächlichen finanziellen Erwägungen diente und fast ausschließlich in Studentenkreisen anzutreffen war, greifen mittlerweile mehr und mehr Menschen aus gemeinschaftlichen Gründen auf solche Modelle des Miteinanderwohnens und -lebens zurück. Oft muß zu diesem Zweck nicht einmal eine gemeinsame Wohnung gefunden werden. Wenn die junge Frau im Haus neben Ihnen auch gerade ihr erstes Kind bekommen hat und Sie sowieso immer wieder das eine oder andere Wort am Hauseingang mit ihr gewechselt haben, erweitern Sie einen solchen Plausch doch einfach mal um eine Einladung zum Kaffee. Wenn Sie der Gedanke erschreckt, die junge Dame gleich in Ihre Wohnung zu bitten, verabreden Sie sich mit ihr in einer Konditorei um die Ecke. Sie werden mit Sicherheit sofort ein gemeinsames Thema haben, und falls Sie noch mehr Übereinstimmungen entdecken, schlagen Sie bei einem dieser Kaffeegespräche eine gemeinsame Kinderbetreuung vor. Es ist leichter, ab und an zwei von der Sorte und dafür regelmäßig »kinderfrei« zu haben, als niemals dem einen, das man selbst hat, entrinnen zu können - auch

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wenn der Kopf noch so weh tut.Oder Sie tun sich mit einer Ihnen bereits vertrauten Person wie zum Beispiel einer Freundin zusammen, die sich in derselben Situation befindet, und betreiben eine Art Teilzeit-Kinderbetreuung. Die eine arbeitet vormittags, die andere nachmittags, und wer gerade frei hat, versorgt den Nachwuchs. Nicht jede Frau kann sich heute noch den Luxus leisten, zwanzig Jahre lang (oder auch nur während der ersten fünf) ausschließlich für ihr Kind dazusein - dennoch kann auch Ihr Sprößling im Gefühl liebevoller Fürsorge aufwachsen und Ihnen all jene Freude vermitteln, welche. Elternschaft neben aller Mühe ebenso bedeutet. Beides gehört zusammen; und es ist durchaus nicht verboten, bessere Lösungen für die anstrengenderen Teile zu suchen, um auf diese Weise um so mehr Platz für das Glück zu haben. Auch das stellt sich nämlich nicht automatisch ein. In vielen sogenannten »primitiven« Kulturen wird eine gemeinsame Kinderbetreuung gepflegt, um allen Beteiligten (welchen Alters oder Geschlechts auch immer) eben jenen Freiraum zu verschaffen, den Eltern wie auch Kinder zur freudvollen Bewältigung ihrer enormen Aufgaben benötigen. Vergessen Sie nie, daß es sich hierbei um einen Initiationsprozeß handelt - für beide Seiten.

Der Grundgedanke dieses Prinzips beschränkt sich aber nicht nur auf das Thema der Kindererziehung. Die zunehmende Isolation,, in der Menschen heutzutage bereits in Kleinstädten geraten, schadet nicht nur unseren Kindern, sondern beraubt auch uns Erwachsene vieler Möglichkeiten. Gehen Sie denn immer noch zum Nachbarn hinüber, wenn Ihnen eine Tasse Zucker fehlt? Viele tun nicht einmal mehr das und verschieben das Backen lieber auf morgen. Wozu sind wir eigentlich geworden; wenn bereits ein kurzes Gespräch an der Haustür zur Last oder gar Bedrohung wird? Eine Gemeinschaft im Sinne des Wortes kann man unsere moderne Lebensordnung wohl kaum mehr nennen; überall sind Rückzug, Isolation und Abtrennung im Vormarsch. Wir, kommen zwar durchaus auch so zurecht, aber stellen Sie sich doch einmal vor, Sie hätten gerade eine schlimme Nachricht erhalten und bei Ihrer Familie, die eh weit weg wohnt, geht niemand ans Telefon. Sie sitzen alleine in dieser verflixten Stadt, die sich nicht im Geringsten für Sie interessiert. Was wäre das für ein Gefühl, jetzt in der, Wohnung über Ihnen anklingeln und der Frau, mit der Sie seit Wochen regelmäßig einen Kaffee trinken gingen, Ihr Herz ausschütten zu können? Wir sind an unserer Einsamkeit selbst schuld, und nur wir selbst sind in der Lage, daran auch wieder etwas zu verändern. Wir haben es einfach verlernt, mit anderen zu sprechen, uns mit ihnen auszutauschen und dabei auch etwas von uns selbst zu geben. Mittlerweile ist uns all das eine Last oder macht uns im Geheimen sogar Angst. Was ist, wenn dem Nachbarn meine Wohnung zu unordentlich oder meine Gläser zu fleckig sind? Um Himmelswillen, der hat schließlich auch ein Kind - fragen Sie nicht, wie es bei ihm meistens aussieht! Warum lassen wir uns von der Werbung so eindringlich einreden, die Sauberkeit der Wäsche oder ein gewisser Lebensstandard seien wichtiger oder gar ein Ersatz für Charakter; Menschlichkeit und gemeinsames Erleben? Nur damit einige wenige viel Geld an ihren Produkten verdienen können, lassen wir es zu, daß man uns Angst macht zu versagen und deshalb auf das verzichten, was wirklich wichtig ist. Was diese Meinungssteuerung mit uns anstellt, ist eine pure Unverschämtheit, und Sie haben alles Recht der Welt, so etwas mit sich nicht machen zu lassen.

Wenn sich keiner wirklich um Sie kümmert, dann haben Sie niemanden in sich und Ihr Leben hineingelassen. Das ist gut so, denn Sie können nur jene Punkte verändern, für die Sie einen Ansatz haben - und hier ist er: Vielleicht starten Sie Ihre ersten Versuche in einem kulturellen Umfeld, das mit dem Konzept der Gemeinschaft weniger Probleme hat als das unsere; italienische oder skandinavische Familien beispielsweise stehen unserem Verhalten mit profundem Erstaunen gegenüber und finden überhaupt nichts Ungewöhnliches an lebendigen nachbarschaftlichen Beziehungen. Und wenn Sie sich ein wenig umsehen; werden Sie rasch feststellen, daß Sie sich dort keineswegs in gesellschaftliche Randzonen begeben müssen.

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Ausländer arbeiten bei uns ebenso als Kassiererinnen wie auch Vorgesetzte oder Computerspezialisten, und auf, diese Weise schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Hat es Sie nicht schon immer interessiert, wie die Menschen in Japan leben?

Arbeiten Sie wieder aktiv am Aufbau zwischenmenschlicher Gemeinschäften mit, denn diese sind das einzige soziale Netz;, über das wir im Endeffekt wirklich verfügen. Wir können es uns nicht leisten, auf Gemeinschaft zu verzichten. Bedenken Sie auch, daß Sie jedesmal, wenn Sie zuhören, die Voraussetzung dafür schaffen, daß man beim nächsten Mal für Sie dasein wird ganz abgesehen vom Spaß, den ein einfacher, schnell improvisierter Grillabend oder eine spontane Kaffee-Einladung während des zufälligen Treffens auf der Straße machen kann. Dafür müssen Sie sich nicht einmal auf gefährliches Gebiet begeben oder Ihre Nachbarn, in Ihre .Wohnung einlassen. Es ist, wirklich gar nicht so schwer!

Passageriten

Als Passageriten, bezeichnet man Anlässe, zu denen der Wechsel bzw. Übergang in einen neuen Lebensabschnitt auf rituelle Weise gewürdigt wird. Frühere Gesellschaften haben auf diese Art die Bedeutung eines solchen Augenblicks im Leben eines Menschen betont und ihm alles mitgegeben, was er von da an brauchte. Die Wichtigkeit dieser großen, Wandlungen wie Geburt, Pubertät, erste Blutung; Erwachsenwerden, Wechseljahre und Tod hat sich im Laufe der Jahrhunderte nicht verändert, und durch das Fehlen einer speziellen Beschäftigung mit diesen Themen sind uns große Nachteile entstanden. Nehmen wir als Beispiel das Erwachsenwerden heraus. Früher wurde ein junger Mensch mit allen Informationen versorgt, die er benötigte, um eine eigene Familie zu gründen und zu erhalten. Man gab ihm die Möglichkeit, die entsprechenden Fähigkeiten sowie das dazugehörige Wissen zu erproben und zu erweitern, bevor er in seine neue Lebensphase eintrat, und wenn dieser Zeitpunkt gekommen war, unterzog man ihn einer Prüfung, die ihm deutlich bewußt machte, daß er den auf ihn zukommenden Anforderungen auch wirklich gewachsen war. Heute können junge Menschen froh sein, wenn ihnen jemand noch ein paar Sätze zum Thema Ausbildung erzählt - ob sie wirklich einmal ,in der Lage sein werden, ihren gemeinschaftlichen Aufgaben gerecht zu werden, wissen sie meist erst, wenn es erstmals gelungen oder schief gegangen ist. Oft stehen sie dann mit diesem Ergebnis alleine da, was in beiden Fällen fatal ist, :da ihnen eine Rückmeldung fehlt, die es ermöglicht, ihre Leistung innerhalb eines vernünftigen Rahmens einzuordnen. Auf diese Weise erschaffen wir Menschen, die niemals mit dem zufrieden sind, was sie leisten, und sich bei dem Versuch, eine unbekannte Zielmarke zu erreichen, selbst zerstören - oder solche, denen es an wesentlichen Informationen zur Erkenntnis und Veränderung ihrer Fehler mangelt. Da es sich bei diesen Informationen um überlebenswichtige Rückmeldungen handelt, versuchen viele Heranwachsende unbewußt, die Bestätigung ihrer Kraft und Funktionsfähigkeit auf andere Weise zu erhalten; dieser Vorgang findet nun oft ungeleitet und unüberlegt statt und schafft so teilweise tödliche Gefahren. In unserer Gesellschaft ist die Führerscheinprüfung zum Passageritus in das Erwachsenenleben geworden, und die hohe Zahl von Verkehrsanfängern, die im Rausch einer Macht, die ihnen nie wirklich erklärt und bestätigt wurde, Verkehrstote produzieren, zeigt deutlich, wohin die unbewußte Sehnsucht junger Erwachsener nach Selbstbestätigung führen kann. Hier wird auf das Erlangen der Fahrerlaubnis inhaltlich der gesamte Komplex menschlicher Reifwerdung übertragen, aber unser Fahranfänger hat eben nur das Fahren gelernt und nicht auch die Verantwortung, das Einfühlungsvermögen und die vielen, vielen anderen Dinge, die dieser Komplex beinhaltet.

Wenn wir eine solche Übertragung vermeiden wollen, müssen wir das Bedürfnis junger Menschen nach Orientierung und einer Bewertung ihrer praktischen Leistungsfähigkeit anerkennen und ihm entsprechen, und zwar in Bereichen, die im Alltag wirklich relevant sind.

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Natürlich nützt es einem Fünfzehnjährigen bereits viel, über die Erfolge mit seinem Handballteam eine Rückmeldung bezüglich seiner körperlichen Leistungsfähigkeit erhalten zu können; solange diese aber nicht auch außerhalb seines Trainings positiv bewertet und zu, seinen Alltagsanforderungen in Beziehung gesetzt wird, kann der junge Mensch daraus keine wirkliche Sicherheit beziehen. Auch deckt sein Hobby nur einen Teil der Aufgaben ab, die als Erwachsener auf ihn zukommen werden, und er dürfte sich dieses Mankos deutlich bewußt sein.

Ich halte es für wichtig, daß wir unsere Kinder wieder vermehrt und auch früher mit erwachsenen Lebensaufgaben konfrontieren. Dies muß sie weder ausbeuten noch belasten; auf die richtige Weise durchgeführt ermöglicht es ihnen im Gegenteil sogar, die Befriedigung und den Selbstwert zu erfahren, der jedem Menschen aus dem Gefühl der eigenen Nützlichkeit und Produktivität entstehen kann: Es ist kein Wunder, daß wir zunehmend selbstunsichere und von Versagensängsten geplagte Kinder finden, wenn man bedenkt, wie diese sich selbst sehen müssen: Als jemanden, der nur Zuwendungen erhält, aber wenig davon zurückgeben kann, der dauernd finanziert, unterhalten und versorgt werden muß, aber nicht in der Läge ist, ebenfalls einen wertvollen Beitrag zum Wohle der Familie zu leisten. Von dort aus ist der Schritt zu Empfindungen wie Schuld und dem Gefühl, nur eine Last zu sein; kein allzu großer mehr: Um so verständlicher wird die unbewußte Wut und Ablehnung vieler solcher Kinder, wenn sie später als Jugendliche oder junge Erwachsene feststellen müssen, daß diese angeblich so »glückliche Kindheit« sie nicht einmal mit den zur Bewältigung des Alltags notwendigen Informationen und Fähigkeiten versorgt hat.

Wir wollen alle das beste für unsere Kinder. Dazu gehört eine Vorbereitung auf ihr späteres Leben, die über Puppenspiele und Laubsägekästen hinausgeht. Beobachten Sie doch mal Ihre Kleine, wenn sie sich heimlich Ihre hohen Schuhe und den Lippenstift schnappt. Erwachsen zu werden stellt für sie noch eine Verlockung und keine Last dar -etwas, das sie lieber heute als morgen lernen würde und dem sie ein fröhliches Interesse entgegenbringt. Nutzen Sie diese Neugier, indem Sie ihr nicht den Lippenstift wegnehmen, sondern gemeinsam mit ihr »erwachsen sein« spielen. Auf diese Weise können Sie auch ein paar andere Aspekte dieses Themas mit einbringen, wie zum Beispiel das Einkaufen, den »Wäschekreislauf« innerhalb eines Haushaltes oder die Fähigkeit des Organisierens -alles natürlich ohne auch nur den geringsten Leistungsdruck; »spielerisch« ist hier das Schlüsselwort. Von dem Augenblick an, wo sich Ihr Kind über Ihre Besitztümer hermacht, um Mami oder Papa zu spielen, können sie aufatmen: Jetzt ist es bereit dafür, Stück für Stück die nächsten Jahre lang aus der Rolle des Versorgten in die des eigenverantwortlichen Versorgers eingeführt zu werden, der genauso seine Aufgaben innerhalb der Familie hat wie jeder andere auch. Je eher Sie die Umstellung vom hilflosen Säugling zum handlungsfähigen Kind schaffen, desto besser für alle Beteiligten. Natürlich wird Ihr Vierjähriger die meisten Dinge, noch nicht oder nicht alleine tun können, aber auch er ist in der Lage; beim Abräumen des Abendbrottisches eines der Holzbrettchen in die Küche zu tragen, ohne sich dabei gleich umzubringen oder den halben Hausstand zu zerstören. Die Umstellung betrifft zunächst mehr das kindliche Selbstverständnis als seine ,praktischen Möglichkeiten, denn es hat sich bisher als ein Wesen wahrgenommen, das versorgt wird und dem andere alle Tätigkeiten abnehmen. Es hält dies unter Umständen für seinen Normalzustand, der sich nie verändern wird, weil es bisher nichts anderes erlebt hat und weiß noch nicht, daß dies nur: an seinem bisherigen körperlichen Einschränkungen lag. Es mag, auch sein, daß das Kind bereits seit einiger Zeit in der, Lage wäre, kleine Aufgaben zu übernehmen und dies auch durchaus weiß, es aber vorzieht, in einem Zustand des Versorgtwerdens zu verbleiben; dann wird es zu Anfang eventuell heftig um die Beibehaltung seines alten Lebens kämpfen. Dies legt sich aber meist ganz schnell, wenn es spürt, wie es für seine neue Funktion von der Familie Anerkennung erhält. Es ist ein schönes Gefühl, etwas wert zu sein und auch durch die Übung täglicher Prozeduren mehr und mehr die Sicherheit zu erlangen, Dinge selbst tun zu können. Hier entsteht

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die Grundlage für einen, gesunden Selbstwert.

Kinder sollen es gut haben und in einer Art Paradies aufwachsen, weshalb viele Menschen Aufgaben wie die oben erwähnten für eine unangemessene Belastung halten. Meiner Ansicht nach vermitteln wir auf diese Weise jedoch die schädliche Botschaft, daß die Kinderzeit die schönste Zeit ist und die Anforderungen erwachsener Menschen im Gegensatz dazu eine Last darstellen. Kein Wunder, daß viele, das Erwachsensein als eine Bürde empfinden. Ich sehe es als weitaus sinnvoller an, bereits im frühen Alter deutlich zu machen, daß es nicht darum geht, was man tut, sondern wie man sich seinen Aufgaben stellt; dann schaffen wir eine Generation, die mit Freude an ihre täglichen Pflichten herangehen kann. Christus sprach vom „Paradies auf Erden«, und ich verstehe nicht ganz, warum wir damit bis zu seiner Wiederkehr warten müssen. Dieses Paradies will von, uns selbst erschaffen werden; hier können wir damit beginnen.

Moderne Passageriten für unsere Zeit entwickeln

Wie also können wir für uns heute angemessene Formen der Würdigung solcher Phasen der Wandlung erschaffen? Denn ehrlich gesagt scheint es mir nicht sehr sinnvoll, aus einem Moment der fernen Erinnerung an die Bedeutung des Überganges in einen neuen Lebensabschnitt dem Geburtstagskind zu erklären, daß mit fünfzig alles vorbei ist. Mal ganz abgesehen davon, daß dies nicht stimmt - eine sinnvolle Vorbereitung auf seine neuen Aufgaben und Verantwortungen stellt dies bestimmt nicht dar. Um die Frage nach der Beschaffenheit eines geeigneten Übergangsritus beantworten zu können, müssen wir uns zunächst dessen Bestandteile näher ansehen. So baut sich ein Passageritus üblicher Weise auf:

1. Ausstattung des Initianten mit den seinem bisherigen Status entsprechenden Kleidungsstücken und Gegenständen

2. Isolierung des Initianten von der Gemeinschaft

3. Entfernung aller den bisherigen Status anzeigenden Symbole

4. Reinigung und Belehrung des Initianten

5. Prüfung

6. Ausstattung des Initianten mit den seinen neuen Status anzeigenden Symbolen

7. Wiedereingliederung des Initianten in die Gemeinschaft

Ich werde diese einzelnen Punkte nun näher erklären und ihre Umsetzung innerhalb unserer modernen Kultur am Beispiel des Erwachsenwerdens erläutern. Auf diese Weise werden Sie dann in der Lage sein, eigene Passageriten für weitere Übergangsphasen innerhalb des menschlichen Lebens zu entwickeln. Unser Initiant dürfte etwa vierzehn bis achtzehn Jahre alt sein - je nachdem, wie früh seine Einweisung in die Aufgaben des Erwachsenenlebens begonnen hat. In unserer Gesellschaft fällt dieser Ritus nicht mehr mit der sexuellen Reifwerdung eines Jungens oder Mädchens zusammen, da wir einen späteren Zeitpunkt als den ersten Samenerguß oder die erste Blutung für den Eintritt eines jungen Menschen in ein unabhängiges; selbstverantwortliches Leben als geeignet betrachten. Diese Anlässe sollten dementsprechend gesondert gewürdigt werden und beziehen sich ausschließlich auf den Fruchtbarkeits- und Beziehungsaspekt. Dennoch werden ihre Inhalte im Erwachsenwerdungsritual noch einmal aufgegriffen:

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1. Ausstattung des Initianten mit den seinem bisherigen Status entsprechenden Kleidungsstücken und Gegenständen

In früheren Kulturen wie auch in einigen sogenannten »primitiven« Gesellschaften unserer Zeit wurde bzw. wird der Status einer Person anderen Mitgliedern der Gemeinschaft mittels bestimmter Kleidungsordnungen oder anderer Merkmale angezeigt. So band die junge, unverheiratete Frau der Schwalm (ein Gebiet nördlich des Vogelsberges) ihr Haar mit einem roten, auf .kunstvolle Weise verschlungenen Band zu einem als »Dutt« bezeichneten Knoten zusammen, der ihre Position innerhalb der Gesellschaft weithin leuchtend anzeigte. Die verheiratete Frau hingegen trug einen schwarzen Dutt. Auf diese Weise wußte jeder Mann, für wen er sich interessieren durfte und wer schon vergeben war. Darüber hinaus aber hatten beide Frauen auch unterschiedliche gemeinschaftliche Aufgaben und waren innerhalb dessen durch ihre Haar- und auch Kleidertracht für jeden erkennbar. Die Gebrüder Grimm haben das Märchen vom Rotkäppchen übrigens in diesem Landschaftsstrich niedergeschrieben und sich dabei von der dortigen Tracht, die auf so symbolträchtige Weise zwischen der sexuell reifen, aber noch unverheirateten Frau und jener, die bereits die Verantwortung für eine Familie trägt, anregen lassen. Rotkäppchen spielt in der Schwalm!

Bei den Wikingern diente der »Kransen«, ein von Frauen edler Geburt im aufgesteckten Haar getragener Goldring, als Zeichen der Jungfräulichkeit. Auch war der skandinavischen Frau am Tage ihrer Hochzeit zum letzten Mal in ihrem Leben das offene Tragen ihres Haares erlaubt; den Kransen gab sie später an ihre Tochter weiter, der er von der ersten Blutung an bis zu ihrer eigenen Hochzeit als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit diente.

Heute verwenden wir solche Merkmale einer bestimmten Lebensphase eher unbewußt. Die lässige, undefinierte, die Körperformen verbergende und somit schützende Kleidung der Jugendlichen stellt ein solches Merkmal dar; auch Turnschuhe oder buntes und ausgefallenes Zubehör können eine solche Funktion erfüllen. Am Morgen eines Übergangsfestes wird der Initiant ein letztes Mal in diese »Insignien» gekleidet, und gerade weil unser junger Mann oder unsere junge Frau im Gegensatz zur mittelalterlichen Wikingerin nicht ab dem nächsten Tag traditionell ausschließlich die Symbole der Erwachsenenwelt tragen wird, ist die bewußte Durchführung dieses Vorgangs so wichtig. Hier kann dem jungen Menschen klar werden, was ihn als Jugendlichen kennzeichnet und welche Verhaltensweisen er damit verbindet; am besten wählt er ein Schmuckstück, eine Kappe oder etwas ähnliches aus, das er bisher oft getragen hat und nach dieser Zeremonie zwar behalten, aber nie wieder anlegen wird. Dies sollte gemeinsam mit anderen jungen Menschen geschehen, die nur wenig älter sind als der Initiant und von diesem als junge Erwachsene betrachtet werden, denn jede Person, die sich einem Passageritus unterzieht, wird darin üblicherweise von Menschen begleitet, die diesen Schritt bereits vollzogen haben. So wird ein Mädchen, dessen erste Blutung gerade stattgefunden hat, von sexuell reifen Frauen eingeführt und ein Bräutigam wird von seinen verheirateten Freunden umgeben sein.

2. Isolierung des Initianten von der Gemeinschaft

Nun agieren der Initiant oder die Initiantin zum Beispiel bei einem gemeinsamen Frühstück zum letzten Mal als Jugendliche im Kreise ihrer Familie. Vielleicht gab es eine bestimmte Aufgabe bei der Zubereitung des Frühstücks, die bisher immer in die Verantwortung des Initianten fiel und die er heute auf ganz besonders bewußte Weise erfüllen kann, denn ab dem folgenden Tag wird der andere Tätigkeiten übernehmen. Danach wird der von der Gemeinschaft separiert, um sich selbst als Individuum stärker wahrnehmen zu können, denn schließlich ist er es, der sich verändern will und die entsprechenden Vorbereitungen treffen muß: Auch ist der Wandel selbst

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eine sehr persönliche Angelegenheit, die er nur mit jenen teilen sollte, die er wirklich dabei haben möchte. Der Initiant zieht sich nun mit diesen ausgewählten Menschen, die im Großen und Ganzen der Ankleidegruppe entsprechen dürften, an einen zum Zweck der Reinigung und Selbstklärung vorbereiteten Ort zurück - meist handelt es sich dabei um das Badezimmer, das zuvor dem Anlaß entsprechend geschmückt und dadurch mit einer ebenso festlichen wie auch persönlichen Atmosphäre versehen wurde, aber auch ein sommerlicher See oder Bach eignen sich hervorragend. Wichtig ist, daß mit diesem Rückzug die vorübergehende Abgabe aller Bindungen und Verantwortungen des Initianten an bzw. für die Gemeinschaft verdeutlicht wird. In den nächsten Stunden hat er nur die Pflicht, für sich selbst da zu sein und muß sich bei der Konzentration auf seine Bedürfnisse und inneren Vorgänge nicht von äußeren Verpflichtungen beeinträchtigen lassen.

3. Entfernung aller den bisherigen Status anzeigenden Symbole

Am Ort der Reinigung angekommen, entkleiden die Helfer den Initianten und nehmen alle Zeichen seines Status als Jugendlichem ab. Mit besonderer Sorgfalt kümmern sie sich um jenen Gegenstand, den der Jugendliche als Symbol jener Lebensphase, die er nun verlassen will, gewählt hat und wickeln ihn in ein schönes Tuch ein oder legen ihn in ein hübsches Kästchen. Vielleicht will der Initiant dies auch selbst tun. In dieser Phase des Ritus ist es gut, dem Initianten viel Zeit zu lassen; um sich der in ihm aufsteigenden Gefühle und Gedanken bewußt zu werden. Wenn er möchte, kann er mit seinen Begleitern darüber sprechen.

4. Reinigung und Belehrung des Initianten

Nun wird der Initiant einer äußerlichen Reinigung unterzogen, die zugleich auch eine innere Klärung symbolisiert. Zu diesem Zweck muß dieser Vorgang etwas anders aussehen als die morgendliche Dusche, was auf verschiedene Weise erreicht werden kann. Es ist üblich, einen sich einem solchen Ritual unterziehenden Menschen von seinen Helfern reinigen zu lassen, da er sich auf diese Weise gänzlich auf sich selbst einlassen kann. Außerdem drücken die Helfer dadurch ihre Wertschätzung des Initianten aus, der sich wie Cleopatra im Bade verwöhnen und bedienen lassen darf. Wenn die Zeremonie im Haus stattfindet, kann man ein Bad mit den Lieblingsdüften des Initianten bereiten und kostbare Zutaten wie pflanzliche Öle, Honig oder etwas Milch hinzugeben. Diese machen die Haut ganz zart, symbolisieren die Fruchtbarkeit eines jeden neuen Lebensabschnitts und vermitteln ein Gefühl des Luxus: Die im Freien feiernde Gruppe hat eine besondere Umgebung zur Verfügung, welche die Einzigartigkeit des Reinigungszeremoniells bereits betont. Dennoch kann auch sie Elemente wie Blütenschmuck, das rituelle vollkommene Untertauchen oder das Beträufeln bestimmter; als wichtig empfundener Körperstellen zur Hervorhebung der Bedeutung dieses Augenblicks einsetzen. Während der Reinigung gehen die Helfer auf Fragen ein, die der Initiant bezüglich seines neuen Lebensabschnitts hat. Sie erzählen ihm von ihren Erfahrungen mit dieser Lebensphase und teilen ihm ihre Gefühle mit. So kann auch der Initiant über seine Wahrnehmungen sprechen und sowohl Freude als auch eventuelle Ängste äußern, ohne sich damit allein herumschlagen zu müssen.

5. Prüfung

Hier werden einige der Fähigkeiten und Eigenschaften, über welche der Initiant zur Erfüllung seiner neuen, mit dem nächsten Lebensabschnitt verbundenen Aufgaben verfügen sollte, gefordert und beurteilt. Dies diente in vergangenen Zeiten zum einen dazu sicherzustellen, daß sich die Gemeinschaft nicht in Zukunft auf einen jungen Erwachsenen verläßt, der nicht ausreichend auf seine Aufgaben vorbereitet wurde und so Schadenanrichten kann; andererseits

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aber gab und gibt es hier kein völliges Versagen oder glanzvolles Bestehen: Jeder der Beteiligten weiß, wie viel Erfahrung und Übung dazu gehören, sich die Fähigkeiten eines neuen Lebensabschnitts anzueignen, und aus diesem Grund geht es bei der Prüfung mehr darum, dem Initianten eine Rückmeldung bezüglich der Qualität seiner Ausführungen zu geben - ihn auf Punkte hinzuweisen, an denen er noch sorgfältiger sein sollte oder auch andere hervorzuheben, die seine Stärken darstellen. Auf diese Weise lernt er, das eine mit dem anderen zu kompensieren und begreift, daß die Gesamtheit seiner Leistungen ausschlaggebend ist. So lernt der Initiant, seinen Fehlern oder Schwächen ohne Angst ins Gesicht zu blicken, denn er ist sich zu gleicher Zeit seiner Stärken bewußt, die ihn ebenfalls auszeichnen und mit denen er schwächere Teile seiner selbst unterstützen kann, bis diese gewachsen sind. So besteht der zweite wesentliche Zweck der Prüfung darin, dem in eine neue Lebensphase wechselnden Menschen recht drastisch - nämlich am eigenen Leib - zu demonstrieren, daß er seinen neuen Anforderungen durchaus gewachsen ist, weil niemand von ihm eine absolute Perfektion erwartet, die zur Bewältigung dessen, was auf ihn zukommt, auch gar nicht vonnöten ist. Wenn es der prüfenden Gruppe gelingt, Stärken und Schwächen des Initianten aufzuzeigen und gleichzeitig zu verdeutlichen, daß er über alles verfügt, was er zur Bewältigung seiner neuen Aufgaben benötigt, hat sie die Grundlage dafür geschaffen, daß der Initiant selbstkritisch und dennoch selbstbewußt und sich seiner nicht vollkommenen, aber dennoch ausreichenden Fähigkeiten sicher in den neuen Lebensabschnitt geht. Etwas Kostbareres als diese Einstellung kann niemand seinem Kind mitgeben. Bitte haben Sie auch keine Scheu davor, sich bezüglich der Stärken und Schwächen des Initianten eine Meinung zu bilden; das gehört einfach dazu, wenn man in einer Gemeinschaft füreinander Verantwortung übernimmt und miteinander nahe Beziehungen eingeht. Wichtig ist, daß Sie es aus einer liebenden und verstehenden Haltung heraus tun. Sie sollen den Prüfling nicht etwa besserwisserisch und selbstgerecht maßregeln, sondern ihm eine Chance zur Selbsterprobung bieten. Gerade im Moment der Prüfung sind Sie ein Werkzeug des Initianten - sein Diener und nicht sein Herr.

Dieser Teil findet entweder am Ort der Reinigung und im Anschluß an diese statt oder an einem anderen Platz. Dies hängt davon ab, welche Form der Prüfung von der Gemeinschaft bzw. Familie gewählt wurde und vor wem sie abgelegt werden soll. Vielleicht hat man beschlossen, die, Durchführung der Prüfung sowie die Beurteilung des Ergebnisses jener Helfergruppe zu überlassen, die bereits Erfahrungen mit, der neuen Lebensphase gesammelt und den Initianten bis hierher begleitet hat; unter Umständen verfügt die Gemeinschaft aber auch über ein Oberhaupt oder eine sie leitende Gruppe, der die Überwachung und Beurteilung der Prüfung obliegt. Wer auch immer sie durchführt, muß sich zuvor ein paar Gedanken gemacht haben. Früher wurde der sich einer Erwachsenenprüfung unterziehende Jüngling zum Beispiel damit beauftragt, ein großes Tier zu erlegen - aber abgesehen davon, daß die wenigen in Europa freilaufenden Bären unter strengem Naturschutz stehen und der Bauer nebenan über die rituelle Tötung einer seiner besten Milchkühe auch nicht gerade erfreut sein dürfte, hat all das wenig mit den heutigen Anforderungen und Merkmalen des Erwachsenseins zu tun. Die Frage ist also: Was ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Lebensabschnitt, den der Initiant gerade verläßt und jenem, in den er sich begibt? Was kennzeichnet diesen neuen Abschnitt inhaltlich wie auch äußerlich? Welche besonderen Anforderungen und Aufgaben machen ihn aus?

Wie steht diese neue Phase mit der Gemeinschaft in Verbindung? Es hat heutzutage eine ganz andere Bedeutung, erwachsen, verheiratet oder greise zu sein als vor zum Beispiel fünfhundert Jahren! Über welche Stärken verfügt der Initiant, die ihm die Bewältigung dieser Aufgaben erleichtern könnten? Wo dürfte er Schwierigkeiten bekommen, was muß er noch üben? Wenn es der prüfenden Gruppe gelungen ist, ein zufriedenstellendes Bild von sowohl der neuen Lebensphase als auch den diesbezüglichen Potentialen des Initianten zu erarbeiten, schafft sie eine Situation, in der die von ihr als besonders wichtig empfundenen Elemente einer praktischen

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Erprobung unterzogen werden können. Für die Dauer der Prüfung kann der Initiant ein schlichtes, den Witterungsbedingungen entsprechendes Kleidungsstück anziehen, das keine besonderen Identifikationsmerkmale enthält. Dieses Mal erhält er beim Ankleiden keine Hilfe, denn nun muß er für sich selbst stehen.

In unserem Beispiel könnte die Gruppe folgende Aspekte des Erwachsenenlebens für besonders wichtig halten: Verantwortung für sich und die umgebenden Menschen; die Fähigkeit des Organisierens; die ständige Bereitschaft, zu lernen sowie die Fähigkeit zu klarer und strukturierter Kommunikation. Da der Initiant sich schwer damit tut, seine Gefühle auszudrücken, benutzen die Prüfer den letzten Punkt als Aufhänger und beschließen, die Prüfung in Form eines Streitgespräches stattfinden zu lassen, in dem sie den Initianten mit seinen neuen Anforderungen sowie seinen dazugehörigen Emotionen konfrontieren wollen. Der Initiant wird vor die geschlossene Reihe der Prüfer geführt, die ihn genauestens zu seinen Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen bezüglich der Themen Verantwortung und Lernen befragen. Sie stellen schwierige Präzedenzfälle auf und machen die Wichtigkeit dieses Gesprächs durch ihr bedeutsames Verhalten sichtbar. Da es auch um den Faktor des Lernens geht, werden die Prüfer keinen Frage-Antwort-Test durchführen; sondern es dem Initianten erlauben, aufgrund wichtiger Hinweise neue Ideen zu formulieren und seine Ansichten zu erweitern, bis er in seiner Argumentation einen Punkt erreicht hat, der von der prüfenden Gruppe als zufriedenstellend empfunden wird. Eventuell wird der Initiant auch zu einem eigenen Lösungsansatz gelangen; den die Gruppe bisher nicht bedacht hat, der aber ebenso funktional ist; dann sollte die nach der Befragung erfolgende Rückmeldung auch diese Tatsache enthalten. Auch ein alter Hase kann manchmal noch von jungen Hunden lernen, und das sollte Hunden wie Hasen durchaus bewußt gemacht werden!

Während der anschließenden Rückmeldung erfährt der Initiant dann, daß der Auftrag, vor dem Fest die Getränke und Lebensmittel für alle beteiligten Personen und für eine bestimmte Menge Geld zu organisieren, ebenfalls Teil seiner Prüfung war.

An diesem Beispiel ist deutlich zu erkennen, wie schwieriges ist, allgemeine Aussagen zum Prüfungsteil eines Passageritus zu machen, da sich dessen Form und Inhalte immer nach völlig subjektiven Kriterien richten werden. Nicht jeder Mensch sieht im Erwachsensein dieselben Aufgaben, Schwerpunkte und Anforderungen, und jeder Initiant geht mit anderen persönlichen Vorgaben in den Ritus hinein. Sie können die Prüfung durchaus rein symbolisch gestalten, wenn Sie ihre Bedeutung betonen, aber dieser Teil sollte in irgend einer Form präsent sein. Seine Funktion für den Initianten ist einfach zu wichtig. Rufen Sie sich beim Erstellen eines Passageritus immer in Erinnerung, was Ihr Prüfling gut beherrscht (worüber er Selbstbewußtsein und Sicherheit gewinnen kann) und wo Probleme bestehen, über die er oder sie sich im Klaren sein sollte. Sorgen Sie dafür, daß dem Initianten jene seiner Schwächen, die sein Wohlergehen in der neuen Lebensphase ernsthaft beeinträchtigen könnten, deutlich bewußt werden, aber vermitteln Sie gleichzeitig auch die Tatsache; daß jeder Mensch mit solchen Aufgaben in einen neuen Lebensabschnitt geht und nicht das Vorhandensein, sondern die fehlende Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit diesen Problemen erst eine Schwäche ausmacht. Achten Sie des weiteren darauf, daß im Verlaufe der Prüfung sowie der anschließenden Rückmeldung eine Betonung der Stärken des Initianten überwiegt - schließlich besteht der Zweck der Übung darin, den im Übergang befindlichen Menschen mit Wachsamkeit, Mut und Freude in seine nächste Lebensphase zu schicken und nicht darin, ihn völlig geknickt in einer Ecke zurückzulassen, während sich der Rest der Gesellschaft über das Festessen hermacht!

Eine gute Prüfung - gleich in welchem Bereich unseres Lebens sie stattfindet - stellt immer für beide Seiten e i n e Herausforderung dar. Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie den

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Anforderungen eines solchen Rituals alleine gewachsen sind, suchen Sie sich einen älteren Menschen, mit dem Sie Ihre Ängste sowie Bedenken teilen und mit dessen Hilfe Sie diese aufzulösen oder zumindest auf ein verantwortliches Maß zu verringern imstande ist. Führen Sie ein Übergangsritual erst dann durch, wenn Sie den Fähigkeiten des Initianten in einem solchen Maß vertrauen, daß Sie ihn fordern können. Spielen Sie niemals mit einem Passageritus -dafü r ist seine Wirkung auf alle Beteiligten (und nicht nur auf den Initianten!) zu machtvoll.

Es gibt Passageriten, für die Sie keinen Prüfungsteil zu erstellen brauchen das Geburtsritual gehört dazu, da es für beide Hauptpersonen schon Prüfung genug ist und sie kaum über die Zeit oder Konzentration für etwas verfügen, was in einer solchen Situation reiner Humbug wäre. Dieses Ritual verbindet man üblicherweise mit dem der Namensgebung und läßt es je nachdem Befinden von Mutter, Vater und Kind einige Tage oder Wochen nach der Geburt stattfinden.

6. Ausstattung des Initianten mit den seinen neuen Status anzeigenden Symbolen

Wenn die Prüfung zu einem befriedigenden Abschluß gelangt und eine ausgiebige Rückmeldung erfolgt ist, wird der Initiant von seinen Helfern auf eine Weise gekleidet und mit Symbolen versehen, die seinen neuen Status kennzeichnen. Vielleicht erhält er ein Schmuckstück von seinen Helfern zum Geschenk, das für den neuen Lebensabschnitt steht und den Initianten von nun an überall hin begleitet. Es ist auch möglich, Kleidung in bestimmten, mit der neuen Phase in Verbindung stehenden Farben bereitzuhalten. So kann man den Initianten nach der Prüfung zum Beispiel in die folgenden Farben hüllen:

Namensgebung, Kindheit Weiß, helles Rosa oder Blausexuelle Reife helles Rot, lichtes Grün, GelbHochzeit; Mutter- bzw. Väterschaft tiefes Rot, leuchtendes Dunkelblau, tiefes Grün Wechseljahre Dunkelblau, Rotbraun, Bordeauxrot, DunkelgrünAlter tiefes Violett, Schwarz, tiefes Dunkelblau

Vielleicht finden Sie andere Farben angemessener; dies soll nur eine Anregung sein. Führen Sie das Ankleiden sehr bewußt durch, damit der Initiant Gelegenheit erhält, die Bedeutung dieses Vorgangs auf allen Ebenen seines Seins erspüren und seine Gefühle dazu äußern zu können. Dieser Teil des Rituals macht viel Spaß. Überhaupt sollte der gesamte Ritus (abgesehen von der Prüfung) von einer leichten, fröhlichen Stimmung geprägt sein - schließlich handelt es sich immer um einen freudvollen Anlaß!

7. Wiedereingliederung des Initianten in die Gemeinschaft

Nun wird der mit seinen neuen „ Insignien« versehene Initiant zu seinen Gästen geführt, die ihn oder sie gebührend in der neuen Ausstattung bewundern. Vielleicht trägt unser jünger Erwachsener den ersten Anzug seines Lebens oder sie nennt die ersten hohen Schuhe ihr eigen. Wie auch immer – die Person sollte im Kreise der Gemeinschaft herzlich willkommen geheißen, beglückwünscht und liebevoll aufgenommen werden. Dann schließt sich eine gemeinsame Feier an, die im Idealfall mit viel gutem Essen verbunden ist und für unseren Initianten vielleicht das erste, wenn auch unter Umständen nur halbvolle Glas Wein seines Lebens beinhaltet. Wenn Sie allerdings noch eine Weile Freude am Fest haben wollten, sollten Sie diesem Glas nicht unbedingt auch gleich die erste Zigarette folgen lassen ...

Wenn Sie ein solches Fest einmal erlebt haben, werden Sie nie wieder seine Kraft, Schönheit und die Geborgenheit, die es vermittelt, vergessen können. Und jeder glückliche Mensch, für den ein Passageritus ausgerichtet wurde, trägt die Erinnerung an diesen Tag und das sichere Gefühl,

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einen wichtigen Platz in der Gemeinschaft zu haben, ein Leben lang mit sich. Hier wird der Selbstwert zementiert, den wir versuchen; unseren Kindern zu vermitteln; hier erfahren Menschen ihre ureigene Kraft und Schönheit - hier werden wir eine Gesellschaft, deren Individuen einander nicht nur brauchen, sondern sich auch aufeinander verlassen können. Hier entsteht das große Band, das niemanden aus dem Kreis fallen läßt. Hier werden wir eins.

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Teil II

Körperbewußtsein

und Gesundheit

Natürliche Lebensrhythmen wieder einbinden

Natürliche Rhythmen in und um uns

Alltagsrhythmen sind etwas ziemlich, Selbstverständliches für uns. Wir sind ständig von ihnen umgeben; sie begleiten uns und bestimmen unseren Tagesablauf. Aus diesem Grund sind wir es durchaus gewohnt, unser Leben rhythmisch auszurichten - nur sind diese Rhythmen überwiegend künstlicher Natur, erstellt nach Zugfahrplänen, Arbeitsschichten und Maschinenauslastung. Da es sich beim Menschen jedoch um ein natürliches Wesen handelt, kommt es hier sehr schnell zu Konflikten. Der Fluß, in dem wir leben, ähnelt nun mal nicht dem einer Maschine, deren Grundzustand weitaus statischer ist als jener eines Lebewesens.

In der Tat sind sehr viele Menschen gar nicht mehr in der Lage, ihren. eigenen Fluß und dessen Veränderungen wahrzunehmen. Dabei ist es uns unmöglich, nur nach künstlichen Rhythmen zu leben, denn einige der uns gegebenen natürlichen Abläufe (wie z.B. die Atmung) können wir nicht öder nicht lange ignorieren. Als Teil der natürlichen Welt haben aber noch eine ganze Reihe weiterer naturgegebener Rhythmen ihre Wirkung auf uns. Wer sich diesen Rhythmen entgegenstellt, läuft ebenso Gefahr, Schaden davonzutragen, wie es auch der Fall wäre, wenn er auf Nahrung verzichten wollte. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber ich meine hier keineswegs die Mondrhythmen!

Ich finde es immer wieder interessant zu beobachten, wie kaum, daß sich in esoterischen Kreisen das Thema den natürlichen Rhythmen zuwendet, die Menschen wissend nicken und ihren Mondkalender hervorholen. Wer sich jedoch seine Rhythmen aus Büchern holt, gerät nie in Gefahr, sie wirklich am eigenen Leibe spüren und sich ihnen tatsächlich hingeben zu müssen. Nichts gegen den Zyklus des Mondes und die sich uns damit bietenden Einflüsse und Möglichkeiten - aber meinen Sie nicht, daß Sie das Pferd vielleicht von hinten aufzäumen? Wenn Sie einen Kalender benötigen, der sie über die gerade aktuelle Mondphase informiert, dann sollten Sie sich vielleicht erst einmal mit der Natur von Rhythmen überhaupt vertraut machen, ehe Sie sich an so etwas Kompliziertes wie die Himmelskörper wagen. Ich werde den Verdacht nicht los, daß diese erst kürzlich über uns hereingebrochene Mode nichts weiter als ein bequemes Alibi für unentschlossene Naturbewunderer darstellt.

Genau darum geht es aber bei natürlichen Rhythmen: Diese nur zu beobachten bringt Sie keinen wesentlichen Schritt weiter, und auch die sture Befolgung von Anweisungen aufgrund des bloßen Glaubens hat noch niemanden erleuchtet. Alles, was Ihnen daraus erwachsen wird, ist eine zunehmende Frustration, weil Ihre Bemühungen im Alltag nur wenige oder gar keine Veränderungen nach sich ziehen.

Natürliche Rhythmen sind faszinierend,. und das gerade deswegen, weil wir als Teil der Natur in

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der Lage sind, ihr Walten und Wirken an und in uns selbst nachvollziehen zu können. Wir sind es nur nicht mehr gewohnt, sie wahrzunehmen und unsere Aufmerksamkeit bewußt auf sie zu lenken. Wenn Sie dies wieder lernen möchten, ist es sehr viel sinnvoller, sich zunächst mit deutlicher spürbaren und näher liegenden Zyklen zu beschäftigen - auf diese Weise verinnerlichen Sie bald die Grundprinzipien natürlicher Rhythmen. und werden diese dann auf eine neue Art erfahren können; nämlich auf eine, die wahrhaftig und erfahrbar etwas mit Ihnen selbst zu tun hat. Solche kleineren und auch näherliegenden Zyklen gibt es in rauher Menge; sie sind für unser Wohlergehen von allerhöchster Bedeutung und spielen sich praktischerweise direkt in unserem Körper ab. Ich spreche von den circadianen Rhythmen eines jeden Menschen.

Das Wort »circadian« stammt aus dem Lateinischen und bedeutet »über einen Tag hinweg«: Circadiane Rhythmen sind von unserer inneren biologischen Uhr gesteuerte Abläufe, die sich auf zyklische Weise einmal pro Tag in unserem Körper ereignen und sich auf unser Verhalten auswirken - oder zumindest auswirken sollten. Leider neigen wir dazu; diesen uns sozusagen »einprogrammierten« Vorgängen entgegenzuwirken und unser körperliches wie auch. seelisches Wohlbefinden damit empfindlich zu beeinträchtigen.

Die Idee von der biologischen Uhr taucht neuzeitlich erstmals zu Anfang des 18. Jahrhunderts auf. Daraus entwickelte sich die Chronobiologie, die sich etwa seit der Mitte des 20. Jahrhunderts als ernstzunehmende Wissenschaft etabliert hat. Mittlerweile, ist man bezüglich der Funktionsweise dieser inneren Uhr zu verblüffenden Erkenntnissen gelangt, die unsere Arbeitswelt wie auch die Medizin in naher Zukunft tiefgreifend verändern dürften. Das System stellt ein ausgeklügeltes Zusammenspiel zweier Komponenten dar: des suprachiasmatischen Kerns (SCN) zum einen und des sogenannten Clock-Gens zum anderen. Beim SCN handelt es sich um einen etwa stecknadelkopfgroßen Zellhaufen im Gehirn; genauer gesagt befindet er sich im Hypotalamus direkt über jener Stelle, an der sieh die .beiden von den Augen kommenden Hauptstränge des Sehnervs auf ihrem Weg zum Sehzentrum kreuzen. Der SCN verfügt sowohl über eine Verbindung zu den beiden Ästen des Sehnervs als auch über ein, eigenes und unabhängiges Nervengeflecht. Hier spielt sich die zeitliche Steuerung des menschlichen Körpers ab; hunderte physiologische Abläufe werden vom SCN tagtäglich durch einen auf- und dann wieder absteigenden Zyklus geführt. Zu diesen Abläufen gehören unter anderem Schlaf und Erwachen, die Steuerung von Körpertemperatur und Blutdruck sowie die Produktion von Hormonen und Verdauungssäften. Auch die gesamte Hirntätigkeit gehört dazu.

Um dies bewerkstelligen zu können, greift der SCN auf zwei verschiedene zeitliche Systeme zu. Das eine wird vom natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus vorgegeben, während das andere direkt in unseren Körper implantiert ist: Menschen, d i e unter Testbedingungen ohne einen regelmäßigen Lichtwechsel lebten, etablierten sehr bald einen eigenen Rhythmus, der sich allerdings nicht in über vierundzwanzig; sondern über fast fünfundzwanzig Stunden erstreckte. Dieser in sich aber völlig stabile interne Rhythmus wird vom Clock-Gen vorgegeben, das zu diesem Zweck ebenfalls auf einen zyklischen Vorgang zurückgreift: Die Funktion dieses Genes besteht darin, die Herstellung eines bestimmten Proteins anzuregen. Dieses Protein dringt nun in den Zellkern ein und »schaltet« damit das Clock-Gen »aus«. Nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer im Zellkern zerfällt das Protein jedoch, und das Gen beginnt wieder zu arbeiten - bis ein neues Protein den Zellkern erreicht hat. Dann beginnt in unserem Körper die nächste Einheit unserer ureigenen Zeitmessung. Somit stellt das Clock-Gen unser inneres Uhrwerk dar, während der SCN diesem Uhrwerk ein Ziffernblatt gibt, indem er entsprechend der gerade herrschenden Zeit bestimmte körperliche Vorgänge, anregt oder unterdrückt. Außerdem stellt er unsere Uhr ständig »richtig«, indem er sie mit dem Zyklus des Tageslichts abstimmt.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, was all das mit Naturphilosophie und den dazugehörigen

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Mysterien zu tun hat. Nun, eine ganze Menge. Die Menschheit verfügt über dieses Wissen keineswegs erst seit Anfang des 18. Jahrhunderts. Die Lehre von den circadianen Rhythmen war bereits in vorchristlicher Zeit Teil der mythischen Überlieferungen vieler naturreligiöser Völker, und dieses Wissen ist nicht nur deshalb weniger wert oder von geringerer Bedeutung für uns, weil es heutzutage an Universitäten gelehrt wird - dem Ausbildungsort unserer wahren modernen Priesterschaft. Damals wie heute waren und sind diese Informationen das Tor zu einer anderen Weltsicht, auch wenn dieses Tor von der Wissenschaft nur selten als solches betrachtet oder gar verwendet wird. Und umgekehrt sucht in den letzten Jahren eine Unzahl von Menschen verzweifelt nach den »wahren Lehren der Druiden« und ist zu diesem Zweck bereit, jedem phantasiebegabten Individuum zu vertrauen, das ihnen Zugang zu diesen Lehren anbietet -dabei wäre es ein guter Anfang, sich zunächst einmal mit der Grundlagenforschung in den Natur- und Geisteswissenschaften auseinanderzusetzen. Viel des ehemals zur Geheimüberlieferung a l t er Kulturen zählenden Wissens wird heute jedermann, der daran interessiert ist, an Schulen und Universitäten gelehrt; doch das bedeutet durchaus nicht; daß es an Bedeutung verloren hätte. Ganz im Gegenteil stellen diese Informationen nach wie vor den ersten Schritt zur Bewältigung größerer kosmischer Zusammenhänge dar, und Sie würden von Ihrem Kind doch auch wohl kaum erwarten, die Bruchrechnung zu beherrschen, bevor es das Teilen und Malnehmen gelernt hat, oder?

Was aber können wir nun mit diesem Wissen zum Zweck des Kennenlernens natürlicher Rhythmen anfangen? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich Ihnen noch etwas mehr über das Wunder unserer inneren Uhr erzählen.

Die Zyklen, von denen ich hier spreche, laufen Tag für Tag in unserem Körper ab, und zwar unabhängig davon, ob wir sie unterstützen oder ihnen zuwiderhandeln. Letzteres führt jedoch unweigerlich zu körperlichen wie auch seelischen Problemen, die im Grunde genommen aus einer Entfremdung von unserem Innenleben resultieren. Vielen Menschen sind die Folgen dieser Entfremdung gar nicht bewußt, weil diese Verhaltensweise und die daraus entstehenden Schwierigkeiten so weit verbreitet sind, daß sie als menschlicher Normalzustand begriffen werden. Nichts ist jedoch falscher als das. Wenn drei Milliarden Menschen ein Leben in einem ihrer Natur widersprechenden Zustand verbringen, wird dieser Zustand dadurch jedenfalls noch lange nicht natürlich. Wir können etwas dagegen tun, jeder einzelne von uns für sich selbst. Dazu bedarf es nur der Information - und der Entscheidung.

Eigene Rhythmen bestimmen

Die circadianen Rhythmen sind für uns vielleicht am ehesten anhand unseres Schlafmusters nachzuvollziehen. Hier ist ein sensibler Umgang mit den eigenen Gegebenheiten wohl am wichtigsten und gleichzeitig auch am schwierigsten, da der Tagesablauf der meisten Menschen von äußeren Bedingungen und gesellschaftlichen Üblichkeiten vorgegeben wird. Unsere zivilisierte Welt ist eine Welt der Frühaufsteher, und wer sich in diesen Lebensrhytmus nicht so ohne weiteres einzubinden vermag, gerät schnell in den Ruf, ein Tagedieb und Faulenzer zu sein. Mittlerweile mehren sich jedoch die Hinweise darauf, daß bestimmte Veränderungen des Clock-Gens einen inneren Zeitablauf schaffen, der eine Verschiebung des gesamten circadianen Rhythmus des betroffenen Menschen um mehrere Stunden verursacht. Wissenschaftler sprechen hier von »Lerchen« und »Eulen« - dem Morgenmenschen und dem eher nachtaktiven. Typ.. Dazwischen gibt es jede nur erdenkliche Abstufung, und es bleibt jedem einzelnen Menschen selbst überlassen, seinen persönlichen Grundtyp und dessen »Schweregrad« zu ermitteln. Beobachten Sie sich einfach selbst: Zu welchem Zeitpunkt wachen Sie morgens von selbst auf wenn Sie keinen Wecker gestellt haben? Fühlen Sie sich dann klar im Kopf und bereit, Ihr Bett zu verlassen? Wie sieht es zu der Uhrzeit aus, zu der normalerweise Ihr Wecker klingelt - sind Sie da frisch und verfügen über eine gute Körperenergie und -kontrolle oder sind Sie a u c h nach

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mehr als acht Stunden Schlaf immer noch hundemüde und kommen mit zentnerschwerem Körper kaum aus dem Bett? Wie lange brauchen Sie, bis Sie schließlich »ganz da« sind - ein paar Minuten, eine halbe Stunde oder gar mehr als eine Stunde?

All das sind Zeichen, die Ihnen wertvolle Informationen über die Lage Ihres eigenen circadianen Rhythmus im 24-Stunden-Tag geben können. Etwa zwei Stunden vor dem Aufwachen befindet sich unser Körper in seiner tiefsten Ruhephase; der Herzschlag ist langsamer, Temperatur und Blutdruck befinden sich auf ihrem nächtlichen Tiefststand. Wer nun aufzustehen versucht, wird sich sehr schwer tun, kaum richtig wach werden und eventuell sogar mit Schwindel- oder Frieranfällen zu kämpfen haben. Im Verlaufe der nächsten zwei Stunden leistet der Körper nun jene Arbeit, die er normalerweise buchstäblich »im Schlaf« erledigt, noch zusätzlich zu den üblichen morgendlichen Tätigkeiten: Er »fährt hoch«, indem er Herzschlag, Temperatur und Blutdruck wieder auf tagesübliche Werte bringt. Muß der Körper diese Dinge im Wachzustand erledigen, geht eine Menge Energie verloren, über die Sie im Laufe des Tages nun nicht mehr verfügen können. Wenn Sie sich also ständig müde und kraftlos fühlen, kann dies durchaus damit zusammenhängen, daß Sie nicht Ihrem persönlichen circadianen Rhythmus gemäß leben.

Was aber tun, wenn Sie feststellen, daß, Sie kein Morgenmensch sind?

Finden Sie zunächst heraus, welchen zeitlichen Verlauf Ihr circadianer Rhythmus höchstwahrscheinlich hat. Beobachten Sie, wann Sie an Ihren freien Tagen am selbstverständlichsten aufwachen und notieren Sie diese Zeiten über einen gewissen Zeitraum hinweg. Vielleicht hinken Sie Ihrem inneren »Stundenplan« nur eine halbe Stunde nach und können Ihren Tagesablauf leicht um diese Differenz verschieben - indem Sie zum Beispiel den Frühstückstisch weitestgehend schon abends vorbereiten, sich eine Kaffeemaschine mit Zeitschaltuhr anschaffen und Ihre Kleidung für den nächsten Tag bereits am Abend zuvor zurechtlegen. Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Raum; tragen Sie Ihrem vierzehnjährigen, morgens, vor Aktivität sprühenden Sohn die Pflichten des morgendlichen Frühstückmachens an und befreien Sie ihn dafür vom Spüldienst, den er sowieso haßt. Seien Sie außergewöhnlich und stolz darauf!

Bei größeren zeitlichen Abweichungen Ihrer inneren Uhr von, der allgemein üblichen könnten Sie eine Verschiebung Ihrer Arbeitszeit zu erreichen versuchen. Unsere Arbeitswelt wird diesbezüglich immer flexibler, und so mancher Kollege ist wahrscheinlich sehr dankbar, wenn ihm jemand die verhaßte Spätschicht abnimmt, in der, er als Morgenmensch sich einfach nicht mehr zu konzentrieren in der Lage ist: Falls Sie nach eigener Zeiteinteilung - zum Beispiel von Zuhause aus - arbeiten und morgens kein Kind zu versorg e n haben, könnten Sie als letztes Familienmitglied aufstehen, Ihre Arbeit später beginnen und den Abend ganz normal mit Ihrer Familie verbringen. Was hindert Sie daran, die Ihnen fehlenden ein oder zwei Arbeitsstunden danach anzuhängen - wenn alle anderen im Bett und Sie sowieso noch so fürchterlich wach sind?

Falls Ihnen all dies nicht möglich sein sollte, bleibt nur noch eines: Sie müssen Ihre innere Uhr umerziehen. Das erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin und wird Ihnen auf Dauer nur dann möglich sein, wenn Sie wirklich tiefinnerlich davon überzeugt sind, alle anderen Möglichkeiten bereits erfolglos durchdacht und erprobt zu haben. Wir leben zunehmend in einer Nonstopwelt; schon länger wird bei uns rund um die Uhr versorgt, produziert und verkauft. In immer mehr Berufen wird eine Verfügbarkeit beinahe oder tatsächlich rund um die Uhr vorausgesetzt, und dies unter völliger Ignoranz der täglichen körperlichen Rhythmen. Doch unser circadianes System ist flexibel - sonst könnte kein Mensch auf der Welt Nachtschichten leisten oder sich nach einem langen Flug an eine neue Zeitzone anpassen. Wenn Sie Ihrem Körper jedoch einen anderen Tagesverlauf als den ihm „implantierten« anerziehen wollen; wird das Thema Rhythmus

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für Sie zu einer zwingenden Notwendigkeit.

Wie bereits erwähnt, stellt der SCN den körperinternen Rhythmus täglich anhand des Tageslichts mit dem äußeren Tag synchron. Die von ihm zu diesem Zweck eingesetzten Informationen wie Sonnenauf- und -untergang bezeichnet man als »Zeitg e ber«. Der SCN ist jedoch recht anspruchslos, was die Pluswahl dieser Zeitgeber angeht - bieten Sie ihm einen anderen an, und er wird ihn akzeptieren. Als ein solcher Zeitgeber kann das Wecksignal ebenso dienen wie die morgendliche Dusche. Wichtig ist nur, mehrere derartige Signale miteinander zu kombinieren, damit ihr »Gewicht« dem der Tageslichtveränderungen und dem Ihrer persönlichen inneren Uhr überlegen ist. Ebenso von Bedeutung ist die strikte Einhaltung des von Ihnen gewählten Rhythmus - selbst das Ausschlafen am Sonnta g morgen kann Ihre bisherigen Erfolge zunichte machen.

Zyklische Riten

Gerade in naturreligiösem Zusammenhang ist ein Ritual auch immer ein Zeitgeber, denn genauso; wie wir über Tagesrhythmen verfügen, haben wir auch solche, die sich über das ganze natürliche Jahr erstrecken. Rituale sind also bestens zur Etablierung eines gewünschten Tagesrhythmus geeignet. In der Tat bezeichnet die Psychologie jede sich regelmäßig wiederholende Handlung wie zum Beispiel den Beginn jedes Abends mit dem Anschauen der Fernsehnachrichten als ritualisiert und erkennt damit die Funktion des Rituals als Rhythmusgeber im täglichen Leben durchaus an; wer sich aber mit Ritualen in ihrem ursprünglichen spirituellen Kontext auseinandersetzt, erhält damit ein Werkzeug zur rhythmischen Lebensplanung; das allein aufgrund seines natürlichen Zweckes höhere Wirksamkeit besitzt als jeder noch so aufdringliche Wecker: Sie können Riten zur Verstärkung jedes von Ihnen gewählten Zieles einsetzen - Sie müssen nur wissen, wie.

Hier geht es zunächst einmal um kleine Rituale, die Ihren ganzen Tagesablauf in einen Rhythmus bringen und damit weg vom starren, statischen in einen schwingenden Zustand versetzen können: Das ist der erste Schritt für all jene, die gerne »in kosmischem Einklang« schwingen möchten! Geben Sie Ihrem Tag also »Eckpfeiler«, die Sie möglichst wenig verschieben, und versehen Sie diese mit kleinen Ritualen. Solche Eckpfeiler wären zum Beispiel das Aufstehen und Zubettgehen sowie die Mahlzeiten. Auch andere, täglich wiederkehrende Ereignisse eignen sich dafür. Sie kochen jeden Tag für Ihre Familie? Prima - denken Sie sich einen kleinen Ritus dazu aus, den Sie jedesmal dabei ausführen! Entscheiden Sie sich dafür, entweder morgens oder abends zu duschen und versehen Sie auch diese Tätigkeit mit einem unaufwendigen Ritual. Wenn Sie erst einmal damit beginnen, bewußt auf Ihren Tagesablauf zu achten, werden Sie erstaunt sein, wie viele Dinge sich darin regelmäßig zu bestimmten Zeiten wiederholen. Sollten Sie aber kaum oder keine solchen zeitlich gebundenen Wiederholungen finden, wird es höchste Zeit, daß sie welche schaffen. Regelmäßige Rhythmen sind in unserem Leben keineswegs spießige Zwänge einer bürgerlichen Gesellschaft, sondern Teil der menschlichen wie auch der nichtmenschlichen Natur. Wir brauchen sie, wenn wir mit uns selbst und der Natur im Einklang sein wollen. Diese Ordnung erhält nur dann kleinkarierte Züge, wenn wir uns nicht erlauben, sie zumindest teilweise unseren eigenen Bedürfnissen - und damit unserer inneren Natur - anzupassen. Ganz neb e nbei schlagen Sie mit dieser Klappe auch noch eine weitere Fliege, die zu jagen sich fast alle ein spirituelles Leben anstrebenden Menschen schon immer plagten: nämlich das Problem der Einbindung spiritueller Inhalte in den täglichen Alltag. Wie aber könnte ein solches Kleinritual nun aussehen?

Machen Sie sich bewußt, was ein bestimmter Moment des Tages für Sie bedeutet, in welchem Zusammenhang er für Sie steht und welche Hoffnungen oder Wünsche. Sie damit verbinden. Geben Sie dem Moment einen Sinn, der über die bloße Handlung des Kochens oder

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Zubettgehens hinausgeht., Ein Morgenritual könnte zum Beispiel so aussehen:

Nach dem Aufwachen räkeln Sie sich ein wenig und erheben sich langsam. Hier sollten Sie das erste Mal am Tag »nach sich selbst sehen«: Wie weit ist Ihr Körper mit dem »Hochfahren« bereits gekommen? Bewegen Sie sich langsamer, wenn Sie sich schwer fühlen oder leichte Orientierungsschwierigkeiten haben, aber bewegen Sie sich, um Ihrem Körper Gelegenheit zu geben, den Kreislauf in Schwung zu bringen. Begeben Sie sich am besten gleich unter die Dusche - vor allem dann, wenn Ihr Körper noch keine »Betriebstemperatur« erreicht hat. Stellen Sie sich vor, wie das Wasser alle Verunreinigungen, die sich im Laufe der Nacht in Ihrem Körper breitgemacht haben können, abwäscht und in den Abfluß schickt. Reinigen Sie Körper, Geist und Seele, bis Sie sich rein und klar wie ein unbeschriebenes Blatt fühlen. Nach dem Ankleiden nehmen Sie sich ein paar Augenblicke Zeit, um den neuen Tag zu begrüßen. Vielleicht öffnen Sie ein Fenster und spüren die Qualität des Morgens einen Moment lang. Nähern Sie sich dem Tag mit allen Sinnen; spüren Sie die Temperatur der Luft auf Ihrer Haut und riechen Sie sie, schauen Sie sich einen Moment da draußen um. Nicht jeder Tag sieht aus wie der andere. Betrachten Sie ihn wie einen neuen Menschen, der in ihr Leben tritt und mit dem Sie sich bekannt machen wollen.

Überlegen Sie, was Sie für heute alles geplant haben. Gehen Sie Ihre Vorhaben im Geiste kurz durch und stellen Sie sich vor, wie Ihnen Ihre Aufgaben leicht und entspannt von der Hand gehen und Sie dabei Freude daran haben. Wenn Sie etwas tun müssen, das Ihnen keine Freude bereiten wird, stellen Sie sich vor, wie Sie dieser Pflicht nachkommen können, ohne von ihr belastet zu werden. Bitten Sie den Tag oder eine andere für Sie in Frage kommende Wesenheit um Unterstützung bei den auf Sie zukommenden Aufgaben.

All dies kann in nur wenigen Minuten geschehen.

Auf diese Weise können Sie alltägliche Vorgänge zu heiligen Handlungen machen. Gerade jene Dinge, die tagtäglich wiederkehren, können nicht nur eine Last darstellen, sondern gerade auch ein Anlaß sein, Stetigkeit und Rhythmus zu feiern - und die Tatsache des Lebens überhaupt. Oft drückt sich dies nur in einigen wohlwollenden Gedanken aus, aber wenn Sie es schaffen, ,dem Tag und somit Ihrem Leben als solchem regelmäßig ein paar dieser wohlwollenden Gedanken entgegenzubringen, haben Sie schon viel erreicht. Entscheiden Sie dabei selbst, welche Momente des Tages Ihrer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen und welche nicht. Falls Sie gerne kochen, schaffen Sie bei der Zubereitung Ihrer Mahlzeiten vielleicht ohnehin bereits eine angenehme, hingebungsvolle Stimmung, die Sie jetzt eventuell nur etwas intensiver wahrnehmen; dann befinden Sie sich zu dieser Zeit des Tages bereits in Ihrem persönlichen Lebensfluß und können Ihre Aufmerksamkeit auf andere Punkte richten, an denen Sie eher Ihre eigene liebevolle Unterstützung benötigen.

Zyklische, das heißt regelmäßig wiederkehrende Rituale sind der Schlüssel zu einem Leben im Einklang mit dem Pulsschlag der Natur. Wenn Sie diesen erspüren lernen wollen, müssen Sie Ihre Aufmerksamkeit zunächst auf sich selbst und Ihre eigenen Zyklen richten können, denn Sie sind jenes Stück Natur, das Ihnen am nächsten liegt. Wenn Sie sich selbst nicht wahrnehmen können, sind Sie auch nicht in der Lage, sich größeren Sie umgebenden Rhythmen hinzugeben. All die sorgsame Liebe, die Sie vielleicht Wald und Flur entgegenbringen, ist sinnlos, solange sie nicht auch in freundlicher Zuwendung für Sie selbst zum Ausdruck kommt.

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Der Vergiftungsfaktor

Reinigung - was ist das eigentlich?

»Reinheit« und »Klarheit« sind auch zwei dieser Begriffe, deren Einsatz in esoterischen Kreisen ebenso häufig wie nebulös anzutreffen ist. Offensichtlich wird der Reinheit auf dem Weg zu einer wie auch immer gearteten Erleuchtung große Bedeutung zugemessen. Dagegen ist an sich ja auch nichts einzuwenden; jedermann ist klar, daß eine schmutzige Lampe kein helles Licht abgibt. Doch exakt von diesem Moment an hört die Angelegenheit abrupt auf, »klar« oder gar »einleuchtend« zu sein: Während die zur Reinigung der Lampe erforderlichen Maßnahmen auf der Hand liegen, scheint man im »Selbstreinigungsbereich« einer unendlichen Diskussion bezüglich des geeigneten Putzmittels zu erliegen!

Jede gute Hausfrau (was immer das auch ist) weiß, daß man Schmutz am besten auf zwei Ebenen zugleich bekämpft: Man entfernt ihn zum einen und sorgt zum anderen dafür, daß er sich nicht so schnell wieder ansammeln kann. Das klingt recht einfach -aber wie soll ich bitte meine Seele auf Hochglanz bringen? Jeder auch nur minimal spirituell interessierte Mensch nickt beim Stichwort »Seelenhygiene« verständnisinnig, aber wie habe ich mir bitte so einen Psychohausputz vorzustellen?

Wenn ich ein Haus bauen will, muß ich zunächst einmal wissen, wie ein Haus überhaupt aussieht. Weiß ich das nicht oder nicht genau genug, frage ich jemanden, der es weiß - am besten jemanden, der bereits erfolgreich eins gebaut hat. Kein Mensch wird mir meine Unwissenheit vorwerfen; Hausbau wird nun mal nicht in der Schule gelehrt. Innere Reinheit auch nicht. Dennoch werde ich ob meines Verantwortungsbewußtseins gelobt, wenn ich mich vor Baubeginn gründlich informiere - immerhin geht es ja um viel Geld. Was sind dagegen schon mein Leib und Leben? Und bezüglich des Themas Reinheit geht es um nichts Geringeres als das.

Man scheint im allgemeinen davon auszugehen, daß sich der Vorgang der inneren Verunreinigung oder gar Vergiftung auf zwei miteinander verknüpften Ebenen abspielt: der geistigen und jener der Nahrungsmittel. Als spirituell orientierter Mensch habe ich Fleisch zumindest mißtrauisch gegenüberzustehen, Alkohol als Gefahr für meine geistige Entwicklung zu betrachten und selbstverständlich nicht zu rauchen. Übrigens: Sex ist auch nicht in allen spirituellen Lehren erlaubt; zumindest nicht, wenn sein einziger Zweck im Vergnügen daran besteht. Alles, aber auch wirklich alles, was ich tue, denke oder zu mir nehme, scheint nur dann meiner inneren Entwicklung zu dienen, wenn ich damit „meinen Geist zu höheren Ebenen führe« oder ihn zumindest »kläre«. Das ist Erleuchtung im Akkord: Wissen Sie was? Wenn ich mir das Leben von »spirituell disziplinierten« Menschen ansehe, dann habe ich keine Lust mehr dazu. Alles, was ich wirklich will, ist, mich wohlzufühlen - das reicht mir völlig. Und darin liegt meiner Ansicht nach auch das einzig wirklich ausschlaggebende Kriterium zur Definition des Begriffes »Reinheit«: Es geht mir gut! Nun, wahrscheinlich nicht immer, aber schon im Yoga steht, daß dieser Zustand stetig neu erarbeitet werden will, und schon kurze Momente echter Lebensfreude sind ein unbezahlbarer Fortschritt. Reinigung ist ein Prozeß, der sich in vielen Abstufungen abspielt - und völlig steril ist gleichzeitig auch völlig tot!

Tatsächlich zählt meiner Ansicht nach nur das Maß Ihres persönlichen Wohlbefindens. Um dieses zu steigern, können Sie alle handelsüblichen spirituellen Mittel einsetzen oder auch alles, was dem ungebremstem Ideenreichtum Ihrer eigenen Trickkiste entstammt; wichtig ist nur, daß Sie sich nicht selbst betrügen. Jeder Alkoholiker redet sich tagtäglich ein, es ginge ihm nach dem ersten Bier besser, und dabei weiß er ganz genau, daß sein »besser« jeden Tag ein wenig schlechter ist. Denken Sie nicht nur an den Augenblick; Sie haben ein ganzes Leben, das Sie mit diesem Körper verbringen - und ich verwette meine innere Reinheit darauf, daß Sie es mit Ihrer

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Seele noch viel länger werden aushalten müssen. Verlassen Sie sich nicht auf die Versicherung berühmter Autoren, diese Übung oder jene Diät führe automatisch zu einem inneren Reinigungseffekt. Sie haben ja ein eindeutiges Mittel zur Hand, um diese Aussage zu überprüfen: Wenn Sie sich damit nicht wohler fühlen, vergessen Sie es einfach. Vielleicht war die Diät nur esoterischer Humbug; oder es ist momentan einfach nicht der richtige Zeitpunkt im Verlauf Ihrer eigenen Entwicklung, so daß die von Ihnen gewählte Maßnahme augenblicklich nicht zum Tragen kommen kann. Es ist auch möglich, daß sich der Punkt, an dem eine bestimmte Übung ansetzt, bei Ihnen gerade in einem reinen Zustand befindet - und wenn Sie ein sauberes Fenster putzen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn sich objektiv nichts verändert. Machen Sie auch niemals andere zum Maßstab Ihres Erfolges, denn wenn eine Handlungsweise bei Ihnen nicht den gleichen Erfolg zeigt wie bei jemand anderem heißt das nur, daß Sie die falsche Übung erwischt haben - und sonst nichts. Weiß derjenige alles über die Natur des Universums und ebenso alles über Sie? Warum glauben Sie ihm unbedingt, daß diese Übung nur von Fortgeschrittenen beherrscht werden kann?

Völlig rein?

Auf dem Weg zu innerer Reinheit stellen sich eine Menge Probleme. Das beginnt bereits bei den Hunderten von Ernährungsweisen, die angeblich alle ins direkte Nirwana führen sollen. Wie erleuchtungsfördernd kann eine fleischlose Diät sein, deren pflanzliche Nährstoffe hochgezüchtet, mit Wasser aufgepumpt, bestrahlt, überdüngt, pestizidverseucht und mit Konservierungsstoffen überlastet sind? Sie sind »ausgestiegen« und züchten Ihr Gemüse selbst? Herzlichen Glückwunsch! Welches Wasser verwenden Sie zum Gießen - das chlorhaltige aus dem Hahn, das düngemittelhaltige aus dem Boden oder das Regenwasser mit dem hübschen Schwefelsäurezusatz?

Es gibt für uns schon längst keinen Ausweg mehr aus der Vergiftungskrise. Sie können eine Ernährung wählen, mit der Sie sich weniger vergiften, aber niemals eine frei von Giftstoffen. Warum erstellen Sie also nicht gleich Ihre eigene Diät - die, von der Sie selbst wissen, daß sie Ihr Wohlbefinden steigert, weil Sie es am eigenen Leib gespürt haben? Ich stehe den tieferen Motiven von Menschen, die aus Gründen der spirituellen Weiterentwicklung eine besondere Nahrungsmitteldiät einhalten, sowieso eher mißtrauisch gegenüber - und je strenger diese Diät ist, desto mißtrauischer werde ich. Es gibt in der Natur so gut wie keine Regel, die nicht auch irgendwann einmal ihre Ausnahme findet; was soll ich also von Menschen halten, die niemals auch nur für einen Moment von Ihren Ernährungsregeln abzuweichen in der Lage sind? Die Wahl eines bestimmten Extrems in striktester Weise zeigt selten echte Höherentwicklung an; wahrscheinlicher ist, daß der betreffende Mensch keinerlei Kontrolle über das besitzt, was er meidet, und deshalb keinerlei Ausnahmen zuläßt. Der Alkoholiker, der seit zwanzig Jahren keinen Tropfen mehr getrunken hat, ist noch immer süchtig - und das weiß er auch, denn sonst würde er sich nicht vom Alkohol fernhalten. Wer ein Element des Lebens völlig vermeiden muß, befindet sich immer noch in dessen Griff. Nur wer es nach Belieben einsetzen oder weglassen kann, steht wirklich darüber.

Des weiteren finde ich die zwischenmenschlichen Verhaltensweisen, die solche Extremdiäten oft mit sich bringen, äußerst verdächtig. Wer mir mit welchem Argument auch immer vorzuschreiben versucht, wie ich mich zu ernähren habe, versucht meiner Ansicht nach nicht, mir etwas Gutes zu tun, sondern mich auf seine Seite zu ziehen und mich somit zu manipulieren. Alles in allem ergibt sich ein recht fanatisches Bild - und Fanatismus hat mit Erleuchtung ungefähr soviel zu tun wie Stricken mit Fahrradfahren. Die beste und vielleicht auch wirksamste Überzeugung ist nicht viel wert, wenn man nicht gelassen mit ihr umgehen kann.

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Wenn Sie sich also nun auf die Suche nach einer Ernährungs- oder Lebensweise machen, die Ihr Wohlbefinden steigert, sollten Sie wissen, wie man dieser Falle aus dem Weg geht. Dabei ist es hilfreich, Informationen über die Ursachen solcher Verhaltensweisen zu haben. Wir haben bereits gesehen, daß jede der inneren Reinigung dienende Maßnahme vor allem zwei Funktionen erfüllen soll: den Abtransport vorhandener Verunreinigungen und die Reduktion einer neuerlichen Aufnahme verunreinigender Elemente. Solche Vergiftungen finden sich sowohl auf körperlicher wie auch feinstofflicher Ebene, und da beide Ebenen aufeinander einwirken, werden gerne gerade physische Maßnahmen zur Manipulation eingesetzt. Und da beginnt der Irrtum. Natürlich kann ich meinen feinstofflichen Haushaltmittels meiner Ernährung und auch die Qualität meines körperlichen Befindens mittels geistiger Übungen verändern, aber das hat seine Grenzen, und diese Grenzen sind eher erreicht, als so mancher Diätfan zu glauben scheint. Viele Menschen kennen einfach den Unterschied zwischen einer seelischen und einer körperlichen Verunreinigung nicht. So mancher, der hingebungsvoll seinem Putz- und Waschzwang, oder seiner rigiden Diät frönt, versucht, sich von etwas zu reinigen, das sich nicht in oder an seinem Körper befindet und nur durch entsprechende psychohygienische Maßnahmen geklärt werden kann - sprich: durch therapeutisches Vorgehen. Hier findet eine Verlagerung statt. Wenn die Augen die Fenster der Seele sind, dann nutzt es nichts, dauernd die Brille zu putzen; davon wird die Seele nicht rein.

Wenn Sie also nach Selbstklärung und -reinigung streben, ist es immer ratsam, beide Seiten der Medaille mit einzubeziehen, die körperliche ebenso wie die geistige. Auch wenn Sie kein Vegetarier sein oder kein ayurvedisches Kochbuch besitzen sollten, können Sie Ihren Körper auf dem Weg der Nahrungszufuhr von Schlacken und Verunreinigungen befreien, indem Sie regelmäßige Kuren durchführen. Dies können ein paar Fastentage sein, aber auch Teekuren mit zum Beispiel blutreinigender Wirkung haben diesen Effekt - vor allem, wenn Sie diese Maßnahmen durch ein wenig Selbstklärung unterstützen.

Feinstoffliche Verschmutzungen

Bei den seelischen Verunreinigungen wird es etwas komplizierter. Zum einen ist es unsere Kultur nicht gewohnt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und zum anderen sehen viele Menschen etwas als Verunreinigung an, das gar keine ist: nämlich verdrängte eigene Anteile - Seiten, die wir an uns nicht mögen oder Erlebnisse, an die wir nicht erinnert werden wollen. Solche Aspekte Ihres Selbst werden Sie auch mit allen Diäten und Visualisationsübungen nicht los.

Wenn solche Persönlichkeitsanteile ein echtes Problem für Sie darstellen, sollten Sie sich darüber mit einem guten Therapeuten unterhalten; die Fachrichtung sei dabei Ihrer Wahl vorbehalten. Nicht integrierte Persönlichkeitsanteile sind definitiv keine seelischen Verunreinigungen; sie sind wertvoll, erfüllen eine Funktion und bergen so manchen kostbaren Schatz. Wenn ich von seelischen Verunreinigungen spreche, dann meine ich jenen Müll, für den Sie wirklich nichts können - aufgefangene Stimmungen des vergangenen Tages, der. Frust eines Kollegen, der sie mal wieder als Blitzableiter benutzt hat, die Unzahl an Gedanken, Gefühlen und Schwingungen, die Sie in der U-Bahn überflutet haben. Oder dieses seltsame Gefühl, das Sie regelmäßig nach langen Sitzungen am Computer haben. Falls Sie es noch haben - ich konnte selbst feststellen, wie erschreckend schnell man sich daran, gewöhnt.

Verstehen Sie? „ Reinigung« und »Weiterentwicklung« sind zwei verschiedene Dinge, zumindest technisch gesehen. Eine gute Körper- wie auch Seelenhygiene sind Sie sich selbst schuldig, und Sie haben sie auch verdient; doch gerade auf der feinstofflichen Ebene umfaßt eine solche Sorgfalt auch ein paar Dinge, die wir vielleicht nicht sehen, aber sehr wohl spüren können. Wir sind zum Beispiel tatsächlich in der Lage, die Gefühle anderer Menschen zu

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erspüren und sogar in uns aufzunehmen. Wenn Ihr Kollege den ganzen Tag über am Schreibtisch nebenan saß wie ein Stier, dem man zwar das rote Tuch vor die Nase gehalten, aber die Füße einzementiert hat, so dürfen Sie sich nicht wundern, wenn diese Wut eine Art »Fingerabdruck« in Ihrer emotionalen Landschaft hinterläßt, der auch Sie in Folge ungeduldig und verärgert werden lassen kann. Tag für Tag, stürmt so vieles auf uns ein, das wir weder bestellt noch selbst produziert haben, und die tägliche Reinigung von diesen Einflüssen ist ebenso wichtig wie die Dusche für Ihren Körper. Wie im vorhergehenden Kapitel gesehen, lassen sich diese beiden Punkte wunderbar miteinander verbinden; oft genügt auch eine kleine Visualisation auf dem Nachhauseweg, wo Sie sich vor stellen, wie sie die an Ihnen haftenden Einflüsse des .Tages mit jedem Meter; den Sie zurücklegen, mehr und mehr hinter sich zurücklassen. Eine gute Freundin von mir stellt sich beim Nachhausekommen mit dem Rücken zur Haustür und sagt einfach nur: »Tschüß, Tag!« Dann dreht sie sich um, öffnet die Tür und sagt zu ihrem Flur: »Hallo, Feierabend!« Mit diesem kleinen Ritual läßt sie draußen, was nicht hinein gehört.

Versuchen Sie; den Ursprung Ihrer Stimmungen und Gefühle für sich zu klären. Hat der entsprechende Einfluß außerhalb Ihrer Persönlichkeit seinen Ursprung, kann die folgende Übung hilfreich sein.

Ritual zur Reinigung von äußeren Einflüssen

Nehmen Sie eine Haltung Ihrer Wahl ein und schließen Sie für einen Moment die Augen. Stellen Sie sich vor, wie um Sie herum ein Kreis aus einem Element, das Sie als schützend empfinden, entsteht - das kann eine Mauer, Feuer, eine Wasserwand oder jeder andere Faktor, dem Sie diese Aufgabe zutrauen, sein. Betrachten Sie das gewählte Element als sich seiner selbst bewußten Helfer und bitten Sie ihn, nur hilfreiche Einflüsse einzulassen. Nun atmen Sie einige Male konzentriert in den Bauch, wobei sich Ihre Bauchdecke beim Einatmen deutlich hebt und beim Ausatmen wieder senkt.

Wenn sich diese Art der Atmung stabilisiert hat, wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit Ihrem emotionalen Zustand zu. Welches ist das gerade in Ihnen vorherrschende Gefühl? Konzentrieren Sie sich auf diese Wahrnehmung und ,lassen Sie die damit einhergehende Verstärkung der entsprechenden Emotion zu. Man kann nur wegschicken, was man kennt, und auf diese Weise lernen Sie die jeweilige Stimmung sehr gut kennen. Versuchen Sie Bilder, Geräusche oder andere Formen der Vorstellung entstehen zu lassen,- die Ihnen wichtige Informationen zu Ihrer augenblicklichen emotionalen Lage vermitteln; dies können Sie zum Beispiel erreichen, indem Sie sich ganz einfach fragen: » Wo kommt diese Wut (Angst, Trauer, Nervosität etc.) her?« Betrachten Sie die Bilder eine Weile und entnehmen Sie Ihnen genügend Informationen, um Veränderungen einleiten zu können. Dann machen Sie sich ein Bild vom körperlichen Sitz des Gefühls. Bestimmte Emotionen neigen dazu, sich an besonderen Stellen des Körpers zu »verdichten«, und das, können durchaus bei jedem Menschen andere Orte sein. Welche Farbe verbinden Sie zum Beispiel mit diesem Gefühl? Betrachten Sie Ihren, Körper mit Ihren inneren Augen vom Scheitel bis zur Fußsohle, die Vorder- wie auch die Rückseite, und halten Sie dabei nach dieser Farbe Ausschau. Wenn Sie die betreffenden Stellen gefunden haben, führen Sie die »liebende Berührung« aus: Stellen Sie sich vor; wie die kraftvolle, lebensspendende Energie der Sie umgebenden Natur aus allen Richtungen auf Sie zu und in Sie einströmt. Diese Kraft ist gesund und ausgeglichen, denn es ist dieselbe, die Sie in einem Bergwald oder an einem klaren Gebirgsbach spüren können. Nehmen Sie diese Energie mit tiefen, langsamen Atemzügen auf und konzentrieren Sie sie in Ihren Händen.

Nun werden Sie sich selbst zum Priester oder zur Priesterin, indem Sie jene Körperstellen, an denen Sie die Farbe Ihrer Stimmung wahrnehmen, sanft und fürsorglich mit -falls möglich

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-beiden Händen berühren und die darin gesammelte, E n e r gie auf das betroffene Körperglied einwirken lassen. Vielleicht lassen Sie sie hineinfließen, vielleicht genügt aber auch die pure Ausstrahlung Ihrer Hände, um die Situation zu verändern. Lassen Sie geschehen, was geschieht - die Kräfte der Natur wie auch Ihre Intuition wissen genau, wie der Vorgang vonstatten zu gehen hat. Wenn Sie den Eindruck haben, zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr erreichen zu können, lassen Sie alle .überflüssige Energie aus Ihrem Körper hinaus in den Boden fließen. Bedanken Sie sich kurz, aber ehrlich bei der Sie umgebenden Natur sowie Ihrem den Kreis bildenden Helfer; dann verabschieden Sie sich von Letzterem und lassen ihn seiner Wege gehen:

Diese Übung nimmt mit zunehmender Praxis immer weniger Zeit in Anspruch; bald werden Sie in der Lage sein, den Kreis mit ein, zwei einladenden Gedanken aufzubauen und mit nur wenigen Atemzügen Art und Lage der störenden Schwingungen zu bestimmen. Das Ganze hat allerdings keinen Sinn, wenn Sie einen der beiden beliebtesten Fehler machen:

1. Gefühle oder Schwingungen auflösen zu wollen, die ihren Ursprung in Ihnen selbst haben. Wenn die Wut, die Sie spüren, Ihre eigene Reaktion auf ein Ihnen kürzlich oder auch vor längerem widerfahrenes Erlebnis ist, gibt es nur einen Weg, damit umzugehen: sie herauszulassen und sich mit ihrem Ursprung auseinanderzusetzen. Es ist nicht möglich, mit diesem Ritual einfach eigene unbequeme Emotionen „ wegzuzaubern«, und das ist auch ganz gut so, denn ohne diese Gefühle hätten Sie keine Möglichkeit herauszufinden, was Ihnen schadet und dies zu verändern.

2. Wenn Sie zwar jedesmal, wenn Ihr Kollege seinen Frust im Büro mal wieder eimerweise um sich geworfen hat, brav diese Übung machen, aber ansonsten alles beim alten lassen, haben Sie das eigentliche Potential dieses Rituals vergeudet. Es dient nämlich keineswegs dazu, den Status quo aufrechtzuerhalten, sondern soll Ihnen den Rücken freihalten und Kraft geben, damit Sie die Ursachen Ihres Problems verändern können. Im erwähnten Beispiel kann bereits die Vorstellung einer Wand zwischen Ihrem und dem Schreibtisch des Kollegen hilfreich sein; eventuell bedienen Sie sich dazu wieder Ihres Kreiselements. Vielleicht werden Sie dem Kollegen aber auch klar machen müssen, daß er seinen Ärger bitte dort zu lassen hat, wo er hingehört - und das ist mit Sicherheit nicht der gemeinsame Arbeitsplatz, selbst, wenn Sie der Auslöser sein sollten. Immerhin arbeiten höchstwahrscheinlich noch mehr Menschen dort, und dieselbe Rücksichtnahme, die Sie erwarten, sollten Sie auch anderen entgegenbringen.

Zum Schluß noch ein Hinweis: Die Natur - und damit auch jeder Mensch verfügt über ganz erstaunliche Selbstreinigungskräfte. Tatsächlich ist im Prozeß der Reinigung befindlich zu sein sogar ihr natürlicher Zustand; der Wasserkreislauf zum Beispiel stellt nichts anderes dar als eine riesige phosphatfreie Waschmaschine mit anschließender perfekter Abwasserklärung. Dieses System bricht normalerweise nur bei Überlastung zusammen, und demzufolge besteht unsere Hauptaufgabe auf persönlicher wie auch weltweiter Ebene vorherrschend in einer Regulierung der „Dosierung« unserer Giftstoffe. Ihr Körper kann mit ein bißchen Koffein durchaus fertig werden, nur ein seine Selbstreinigung überforderndes Maß verschafft Ihnen Magenschmerzen und zittrige Hände. Viele Substanzen; die als Gifte verschrieen sind, stellen in geringen Mengen sogar hilfreiche Wirkstoffe dar, deren völliger Entzug sich unter bestimmten Bedingungen negativ auswirken kann. Wichtig ist es nicht, sich selbst zu knechten und gnadenlos einer bestimmten Lebensweise auszuliefern, sondern vielmehr das auf den eigenen Körper oder die eigene Seele abgestimmte rechte Maß zu finden. Man könnte dieses Maß auch durchaus als die eigene Mitte bezeichnen.

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Gartenbau nach Pflanzenanleitung

Welcher Gartentyp sind Sie?

Wenn ich durch eine Schrebergartenkolonie wandere; erhalte ich :recht schnell einen Eindruck davon, was man hierzulande unter einem anständigen, gut gepflegten Garten versteht. Das sind jene mit den sauber abgezirkelten Beeten, die auf mir rätselhafte Weise immer unkrautfrei zu sein scheinen, mit dem regelmäßigen Stückchen Rasen und den sauber geschnittenen Hecken. Die Mehrzahl der Gärten stellt sich so -oder ähnlich dar und bietet ein sehr hübsches Bild. Dummerweise weiß ich genau, daß ich das niemals hinkriegen werde - und sei es nur, weil ich einfach, nicht in der Lage bin, einen Buchsbaum gerade zu schneiden. Das übernimmt immer mein Vater, denn der hat das Augenmaß eines Zimmermanns, und ich frage mich jetzt, schon, was ich einmal machen soll, wenn er nicht mehr dazu in der Lage ist. Auf meinen Spaziergängen sehe ich aber auch andere Gartenformen, und die gefallen mir ebenfalls irgendwie. Einer besteht nur aus Obstbäumen, die sich auf einer blumenübersäten Wiese genießerisch gen Himmel recken. Ein anderer stellt so eine Art alternatives Chaos dar, mit kaum zu bändigender Brombeerhecke, riesigem Komposthaufen und einem kleinen Teich (oder ist das doch eher ein Feuchtbiotop?), an dem immer jede Menge los ist, weil sich dort Frösche, Libellen und manchmal sogar ein Eisvogel tummeln. Auf eine gewisse Weise zieht mich sogar jene Parzelle an, die seit über einem Jahr nicht verpachtet ist und seitdem wildfröhlich vor sich hin wuchert, denn da sind immer die meisten Schmetterlinge zu sehen. Jeder der Pächter scheint eine Gartenform gefunden zu haben, die seinem persönlichen Geschmack und auch seinen sonstigen Anforderungen entspricht. Die daraus entstehende Vielfalt erfreut mich jedesmal wieder. Andererseits kann ich aber bei aller Liebe zum und Freude am Garten selbst ein Lied davon singen, wie nervend dieser manchmal sein kann -vor allem im späten Frühjahr, wenn unter dem Einfluß des feucht-warmen Wetters das Unkraut sc h einbar dreimal so schnell wächst wie alles andere und die jungen Mücken auf jedermanns Haut ein Frühlingsfest zu feiern scheinen! Gerade dann, wenn das Teichwasser am klarsten und somit am besten geeignet ist, um überflüssige Pflanzen herauszunehmen und die Seerosen ein Stück tiefer zu setzen, ist es nun mal auch am kältesten, und irgendwie fällt das dringend notwendige Einpacken der nicht ganz so winterfesten Rosenstöcke meist auf den einzigen Novembersonntag, an dem es nicht nur regnet,, sondern auch noch alle paar Minuten Graupelschauer vom Himmel prasseln. Logisch, sonst wäre mir auch kaum klar geworden, das es höchste Eisenbahn für die Rosen ist. Aber ist es nicht ein herrliches Gefühl, danach mit verfrorenen Händen ins warme Haus zu stapfen, sich einen heißen Tee (vorzugsweise mit, Rum) zu machen und diesen in dem sicheren Wissen zu genießen, daß der Garten für die nächsten Wochen erstmal Pause hat? Ja, ja = das Leben mit den Elementen kann doch herrlich sein ... wenn man erst mal wieder vor dem warmen Ofen sitzt zumindest.

Wer einen Garten bewirtschaftet, weiß nur zu gut; daß -dies nicht immer ein Honiglecken ist. Um einen Ausgleich zwischen den mehr und weniger angenehmen Aspekten des eigenen Gartens zu schaffen, sollte man für diesen eine Form wählen, die den eigenen Bedürfnissen am ehesten entspricht. Dabei gibt es keine guten oder schlechten, richtigen öder falschen Vorgehensweisen, sondern nur jene, die für Sie eher oder auch nicht angemessen sind. Deshalb habe ich mir den Spaß gemacht, einen Fragebogen zu entwerfen; der Ihnen Aufschluß über Ihren persönlichen Gartentyp geben kann - falls Sie diesen nicht sowieso bereits kennen. Aber auch dann könnte es hilfreich sein; sich mit dieser Frage noch einmal zu beschäftigen. Vielleicht finden Sie Ihren sauberen Vorgarten ja in Wirklichkeit fürchterlich langweilig und haben es nur noch nicht bemerkt!

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Der kleine Gartentest

Ich würde aus meinem Stück Land für mein Leben gern einen japanischen Garten machen. Oder einen Wassergarten, das wäre auch etwas Feines! EJe mehr Wiese, desto besser. FGartenschauen ziehen mich magisch an. D, FJe seltenere Tierarten ein Garten aufweisen kann; desto besser ist sein ökologischer Zustand. Bei uns war neulich ein Eisvogel zu Gast! GWarum einen kurzen Rasen, den man jeden Samstag schneiden muß, wenn eineWiese so schön aussieht und es hindurch gemähte Wege auch tun? FIch habe seit zwanzig Jahren ein Abonnement für eine Gartenzeitschrift und willsie seit fünf Jahren schon abbestellen, aber jedesmal, wenn sie kommt, ist wieder irgend etwas darin, was es wert erscheinen läßt, sie weiterzubeziehen. 17Eigentlich brauchen wir das Vogelfutterhäuschen gar nicht; wir lassen immer soviel Obst an den Bäumen zurück, daß die Vögel prima über den Winter kommen.Aber man kann ja nie wissen, wie hart so ein Winter wird. CEin Garten muß saubere Kanten und regelmäßige Formen aufweisen. X Schaukel und Sandkasten gehören einfach mit hinein. Und Gartenmöbel sollten so beschaffen sein, daß man sie immer draußen lassen kann. FFledermäuse im eigenen Garten sind das Tollste überhaupt. CGärtnern ist kein Handwerk und auch kein Freizeitvertreib, sondern eine vergessene Kunst. EDichte Hecken und Gehölze stellen wunderbare Brutstätten für Schmetterlinge und Vögel dar. Also warum sie ausreißen? GDu kannst doch die Pinie nicht neben eine Weißbirke pflanzen - schließlich kommt die eine aus dem Süden und die andere aus Nordeuropa! GIch sitze gerne im Sommer vor dem Haus und putze die Bohnen aus meinem Garten. BLöwenzahn hat auf meinem Zierrasen Hausverbot. AIch frage mich, was die anderen alle an diesen fürchterlichen BBlumen und Zierhölzern finden - wo Gemüse doch etwas so Praktisches und Leckeres ist!Irgendwie haben wir in unserem Garten mehr Vögel bei Cuns als alle Nachbarn zusammen!Eigentlich ist der Buchsbaum jetzt groß genug, um Eihn zu einer hübschen Kugel zu schneiden ... oder vielleicht doch eine Figur?Formen, Linien, Farbzusammenstellungen - was für Fein Käse. Hauptsache, es sind ein paar Beerenbüsche drin.Feuchtbiotope sind eine feine Sache. In unseres habe Gich Molche gesetzt - als Öko-Anzeiger sozusagen, die nehmen nämlich nur gutes Wasser.Ich mag Gemüsebeete. Vor allem, wenn sie gut begehbar sind. BIch hätte in meinem Garten gerne ein kleines Stück DTrockenzone, etwas Waldland, einen Feuchtbereich und ein, paar Quadratmeter Gebirgsregion.In meinem Gartenhäuschen gibt es keines von diesen fürchterlichen Fläschchen mit Totenkopf, die man im Gartenmarkt immer nur hinter Glas verschlossen sieht. Man kann seine Pflanzen ja schließlich auch ohne Gift schützen.Ich hasse Unkraut, und in meinem Garten bin ich A, Bfürchterlich dahinter her. Deswegen gibt es dort auch so, gut wie keines.Ich möchte mich in meiner Gartengestaltung nicht sonderlich von den Gärten in der Nachbarschaft abheben - nur ein bißchen sauberer als diese sollte er vielleicht sein.Wage es ja nicht, der wilden Hagebuttenhecke mit C .

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der Schere zu kommen - dadrin verpuppen sich die Schmetterlingsraupen!Ich würde für mein Leben gerne mal den Englischen Garten sehen. E,DEin Garten muß nicht perfekt aussehen, wenn man Gdiese Perfektion nur mit radikalen Mitteln erreichen kann.Ein bißchen Wildwuchs schadet nicht! FWir leben in Mitteleuropa - also tu mir einen Gefallen Dund bring diese japanische Zierkirsche wieder zum Gärtner zurück!Meine Pflanzen habe ich am liebsten in Reih und Glied. BGartenzeitschriften sind recht praktisch, aber nichts, Aworin ich jemals noch abends im Bett geschmökert hätte.Teiche müssen Froschinseln haben - sonst können Csich die armen Viecher ja gar nicht sonnen!Auch Unkraut hat seinen Zweck - man muß nur wissen, Gwo es hingehört!Ich will etwas, das ich später essen kann und keinen Farbenrausch BWir lassen umgestürzte Gehölze immer liegen. Die Csich darin ansiedelnden Insekten ziehen jede Menge Vögel an!Gartenzeitschriften interessieren mich vor allem dann, Ewenn sie sich Spezialgärten und ausgefallenen Gartenformen widmen. Wenn ich da nur an den Pagodengarten aus der letzten Ausgabe denke Ich will in meinem Garten .Spaß haben und nicht ständig auf den Knien herumrutschen. FSchöne, gerade Hecken sind einfach etwas Feines. A

Nun ordnen Sie bitte noch den zeitlichen bzw. finanziellen Aufwand zu, den Sie für Ihren Garten leisten können oder zu leisten gewillt sind:

Zeitaufwand während der Gartensaisongar keine Zeit Bitte planieren Sie Ihren Garten und legen

Sie statt dessen einen hübschen Parkplatz an.an jedem zweiten Wochenende ein paar Stunden C, Fjedes zweite Wochenende geht voll drauf f C, D, Gzweimal wöchentlich zwei bis drei Stunden A, B,ein bis zwei Stunden täglich A, E

Finanzieller Aufwandgar keiner Am besten verpachten Sie Ihren Garten an

den Nachbarn:eher gering A, B, C, Fmittelmäßig A C, D, G :eher hoch A; ,Dich bin bereit, für meinen Garten auf D, Eden Neuwagen zu verzichten

Nun zählen Sie bitte nach, wie oft Sie welchen Buchstaben haben. Jener, der am meisten auftaucht, repräsentiert Ihren Haupt-Gartentyp, der zweithäufigste jenen, mit dem sich Ihr Haupttyp mischt. Sollten Sie keine klaren Mehrheiten vorfinden, schauen Sie sich die Punkte, denen Sie zustimmen konnten, noch einmal genau an, und basteln Sie sich Ihren einzigartigen Wunschgarten! Nach dem Ausfüllen der Liste wissen Sie ja schließlich ganz genau, was Sie wollen und was nicht.

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Auswertung

A: Der Vorzeigegarten

Unkraut ist Ihnen ein Greuel, und ein adretter, gut geschnittener Rasen kann Ihr Herz ebenso erfreuen wie eine sauber getrimmte Hecke als Beetumrandung. Sie sind bereit, viel Zeit in Ihr Werk zu investieren und auch etwas Geld dafür hinzulegen. Dabei beschränken Sie sich gerne auf klassische Gartenpflanzen, damit die eine oder andere Exote auch zur Geltung kommt -drumherum genügen Stiefmütterchen und ein paar Primeln. Und ein kleiner Gemüsegarten gehört auf jeden Fall auch dazu.

B: Der Nutzgarten

Sie verbinden den Begriff „Garten« hauptsächlich mit Gemüse und anderen eßbaren Pflanzen, und der Johannisbeerbusch stellt bereits einen Luxus dar, den Sie eigentlich gar nicht brauchen. Ihr Garten ist praktisch aufgeteilt und von allen Seiten her gut begeh- sowie bewässerbar. Sie sind kein Freund von Raupen und anderen Insekten, und zu bestimmten Jahreszeiten können Ihnen auch die Vögel gerne vom Leib bleiben. Eine großartige Gestaltungsästhetik ist für Sie weitaus weniger von Bedeutung als die Geschmacksqualität Ihrer Erdbeeren. Ein solcher Garten kostet Sie relativ wenig Geld, verlangt aber doch einen mittleren bis - zu gewissen Zeiten im Jahr - auch höheren Zeitaufwand.

C: Der Tiergarten

Sie hatten schon immer ein Faible für Tiere, und da man Ihnen leider nie erlaubt hat, den Zoo zu bauen, den Sie sich schon immer sehnlichst wünschten, machen Sie nun zumindest den heimischen Garten zu einem Paradies für alles; was bei uns so kreucht und fleucht. Ihnen ist die Anzahl der auf Ihrem Grundstück brütenden Vogelpaare wichtiger als die preisgekrönten Kürbisse des Nachbarn, und es ist Ihnen auch egal, wenn dieser argwöhnisch in Richtung Ihrer ungepflegten Wildhecke schaut - im Gegensatz zu ihm wissen Sie nämlich, daß jedes Jahr in Europa mehrere Schmetterlingsarten aussterben, weil sie diese für sie lebenswichtigen Brutgehölze kaum mehr vorfinden. Ein Gartenteich, wie kleiner auch immer sein mag, gehört für Sie einfach dazu, weil Sie Stunden an seinem Rande auf dem Bauch liegend und in seine »Tiefen« starrend verbringen können. Ihr idealer Garten entspricht zwar vielleicht nicht den Perfektionsvorstellungen des Vorzeigegarten-Freundes, dennoch haben Sie jede Menge Spaß darin und einen geringeren bis maximal mittleren zeitlichen wie auch finanziellen Aufwand dafür.

D: Der Landschaftsgarten

Ihnen wäre es am liebsten, wenn Sie mindestens fünf Hektar Land und sieben Gartenarbeiter zur Verfügung hätten und man dann gar nicht genau sehen könnte, wo Ihr Werk endet und die freie Natur beginnt. Sie sehen niemals einzelne Pflanzenarten vor sich, sondern immer ganze Klimagesellschaften. Der einzige Wurmfarn inmitten all der Wiesengewächse fällt Ihnen sofort als Waldpflanze und damit am falschen Standort befindlich auf; und Sie können Stunden damit verbringen, darüber zu grübeln, wie Sie den Übergang vom Hochwald- in den Niederwaldbereich Ihres Gartens fließender gestalten könnten. Daß beide Bereiche aus gerade mal je drei Bäumen bestehen, stört Sie dabei überhaupt nicht - schließlich ist es die Zusammenstellung, die zählt. Sie sind bereit, relativ viel Zeit in Ihr Hobby zu investieren, und interessante Lösungen lassen Sie sich auch mal ein paar Mark mehr kosten.

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E: Der Kunstgarten

Ihr idealer Garten sieht mit Sicherheit nicht im entferntesten wie der Ihres Nachbarn aus. Entweder hat bei Ihnen jeder Buchsbaum eine andere Form, oder Sie sind ein Meister im Anlegen kunstvoller Wege und Gewässer. Sie haben Vorbilder wie die japanischen Gärten oder die englischen Landschaftsparks und holen sich immer wieder Anregungen aus Fachzeitschriften. Für Sie ist Gärtnern kein Hobby, sondern eine kunstvolle Lebensphilosophie, und wenn Ihr Körper die schwere Arbeit einmal nicht mehr mitmachen sollte; werden Sie wahrscheinlich mit der Zucht von Bonsais beginnen - falls Sie das nicht im Winter eh bereits tun. Sie sind bereit, viel Zeit und Geld in Ihr grünes Opus zu stecken und schrecken auch vor komplizierteren Vorhaben wie kleinen, eleganten Teichbrücken nicht zurück-- und wenn der Teich hundertmal nur einen Meter achtzig breit ist.

F: Der Freizeitgarten

Da stehen Sie also mit dem Stück Land, zudem Sie irgendwie mehr oder weniger zufällig gekommen .sind und beäugen jetzt schon mißtrauisch die bieder-gepflegte Heiterkeit in den Gärten um Sie herum. Während die Nachbarn gerade begeistert irgend so ein asiatisches Edel-Dingsda einbuddeln, für das sie angeblich mehrere hundert Mark hingelegt haben, beschließen Sie plötzlich, zum gartentechnischen Aussteiger zu werden. Resolut machen Sie sich als erstes daran, alles, was zum wilden Wuchern neigen könnte, mit Stumpf und Stiel dem Komposthaufen anzuvertrauen und schaffen sich dann einen guten Rasenmäher an. Was brauchen Sie schließlich mehr als eine Wiese mit ein paar schönen Bäumen? Ein Garten ist für Sie etwas, worin man liegt und sich sonnt = was Ihnen nach der ersten Aufräumphase auch oft gelingen dürfte, ohne daß Ihnen die Brennesseln gleich über den Kopf wachsen. Und ein gutes Buch können Sie sich bei dieser Bewirtschaftungsform auch ohne weiteres leisten - nur beim Rasenmäher sollten Sie nicht knauserig sein.

G: Der Ökogarten

Wenn Ihre Nachbarn darüber schimpfen, daß die Unkrautvernichtungsmittel schon wieder teurer und noch schlechter zugänglich geworden sind, zucken Sie nur milde mit den Schultern -Sie wissen schließlich, wie man die Pflanzen so gruppiert, daß eine Art die andere vor Schädlingsbefall schützt. Überhaupt gibt es Schädlinge für Sie nicht wirklich, denn schließlich kann man sogar aus der Brennessel einen schmackhaften Eintopf zubereiten. Die Vielfalt der Tierarten in Ihrem Garten bestätigt Sie darin, daß sich dieser im ökologischen Gleichgewicht befindet, und ein perfektes Aussehen ist etwas, das Sie erstens nicht schön finden und wofür Sie zweitens nicht den grausamen Preis der Vergiftung zahlen möchten. Sie haben wahrscheinlich auch einen kleinen bis mittleren Nutzgartenbereich, aus dem Sie das einzige Gemüse beziehen, auf dessen Qualität Sie sich wirklich verlassen können. Sie haben alles, was Sie sich von einem Garten wünschen, bei mittlerem zeitlichen wie auch finanziellen Aufwand, zumindest solange Sie nicht auf die Idee kommen, Ihre Pflänzchen statt mit natürlichem Dünger mit einer Dauerberieselung von Beethoven-Sonaten zu beglücken - live, versteht sich .

Wozu das Unkraut da ist

Eigentlich gibt es gar kein Unkraut, denn nichts auf dieser Welt existiert ohne eine bestimmte Funktion. Wir wählen innerhalb eines Gartens lediglich gewisse Funktionsbereiche aus und sind an anderen weniger bis gar nicht interessiert; so werden die einem von uns nicht erwünschten Bereich zuordbaren Pflanzen als überflüssig betrachtet. Die meisten Menschen haben an ihren Garten einen ästhetischen und/oder nahrhaften Anspruch, was sie dazu bewegt, all jene Gewächse, die scheinbar nicht in dieses Schema passen, leidenschaftlich zu verfolgen. Dabei

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gehen sie aber von dem Trugschluß aus, daß es in der Natur wichtige und unwichtige Teile gibt. In Wahrheit jedoch stellt die Schöpfung ein großes Ganzes dar, in dem jedem Individuum eine Aufgabe zugeordnet ist, die es nur innerhalb der Gesamtheit erfüllen kann - und die eben diese Gesamtheit bei Abwesenheit eines solchen Teils mehr oder weniger schmerzhaft vermißt.Das kann sich auf verschiedenartige Weise bemerkbar machen; wir spüren es zum Beispiel bei unserer Mono-Anbauweise, die nur eine bestimmte Pflanzenart auf jedem Feld oder Beet zuläßt. Viele der von uns als Unkraut definierten Arten haben jedoch die Angewohnheit, sich nicht umsonst gerade in der Nähe gewisser Kulturpflanzen anzusiedeln, da sie jene so vor Schädlingsbefall schützen - wir bezahlen für die Mißachtung dieses natürlichen Regelkreislaufs mit den ungesunden Auswirkungen giftiger Schädlingsbekämpfungsmittel. Andere wiederum sehen zwar nicht so schön wie unsere Zierblumen aus und sind auch nicht so nahrhaft wie der Grünkohl, verfügen aber über dringend benötigte Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der Heilung. Durch die gezielte Auswahl einiger weniger, von uns bevorzugter Pflanzenarten zerstören wir eine aufeinander eingespielte Ganzheit, zu der auch wir gehören und die nur dann reibungslos ineinander greifen kann, wenn sie unversehrt ist. Das bedeutet aber keineswegs, daß wir ruhig zusehen müssen, wenn die Kletten unseren liebevoll hochgepäppelten Zierfarn zu Boden zwingen wollen; dann befände sich der Garten nämlich bald im Zustand der Wildnis und wäre also kein Garten mehr. Nein, hier geht es darum, ein sorgfältig ausgewogenes, Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen der Pflanzen zu finden und dieses in gewissem Maße auch im heimischen Gemüse- oder Blumenbeet zu gestatten. In der freien Natur gibt es keine Blumen, die auf bloßer Erde stehen; überall finden wir Pflanzengemeinschaften vor, die einander gegenseitig unterstützen. Gehen wir doch spaßeshalber mal ein paar der typischen Unkräuter und deren Wirkungsweise durch; vielleicht stellen Sie danach fest, daß es auch in Ihrem Garten durchaus das eine oder andere Plätzchen dafür geben könnte!

Ackerschachtelhalm

stark kieselsäurehaltig, stärkt daher Bindegewebe, Haut, Schleimhaut, Näge1, Muskeln, Knochen, Sehnen, Haare und Zellwände, gegen Hautunreinheiten, Milchschorf, zu starke Menstruationsblutungen, allgemeine Schwäche, Blutarmut, harntreibend, kräftigt Blase und Niere, zusammenziehend, blutstillend, nerven-, stärkend, ausschwemmend bei Rheuma und Gicht, gegen Reizblase, geschwächtes Lungengewebe, chronische Bronchitis; im Garten gegen Pilzkrankheiten (vor allem Rost und echter wie auch falscher Mehltau!), Schorf, Blattfleckenkrankheit der Tomate und zur Pflanzenstärkung, bevorzugt als Brühe

Brennessel

fördert die Wundheilung und Blutbildung, entzündungshemmend, gefäßerweiternd, entgiftend, harntreibend und entwässernd, unterstützt die Freisetzung männlicher Hormone,, regt die Libido an, fördert den Milchfluß bei stillenden Müttern, gegen Kopfhautschuppen, antirheumatisch, hilft im Garten gegen Blattläuse, Spinnmilben sowie gegen Krautfäule, fördert den Pflanzenwuchs und die Chlorophyllbildung (Brennesseljauche stark verdünnen!), verhindert frühes Welken, fördert die Verrottung toter Pflanzenteile

Brombeere

gegen Magen-Darm-Reizungen, Durchfall, Ausfluß, Hauterkrankungen und Eisenmangelanämie, fördert den Stoffwechsel, schleimlösend

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Erdrauch

unterstützt die Gallenfunktion, bei Gallenbeschwerden entkrampfend, verdauungsfördernd, appetitanregend, gegen Magen-Dann-Krämpfe, Hämorrhoiden, Milzschwellung sowie Hauterkrankungen infolge mangelnder Entgiftung, blutreinigend, antirheumatisch

Gänseblümchen

hilft bei Prellungen, blauen Flecken, Verspannungen; Verrenkungen; wirkt gegen Pickel, Akne sowie Ekzeme und ist antirheumatisch

Gänsefingerkraut

entkrampft Muskeln wie auch Organe, gegen entzündliche Magen- und Darmerkrankungen, sowie Durchfall, schwächt eine zu starke Menstruation ab

Gundelrebe

gegen Atemwegsinfekte, starke Verschleimung, Bronchitis und Bronchialasthma, erleichtert das Abhusten, stoffwechselanregend, nervenstärkend

Hagebutte

gegen Husten, Heiserkeit, Lungenschwäche, Fieber, nervöse Herzbeschwerden, Nervenschwäche, Appetitlosigkeit, Menstruationsstörungen, rekonvaleszenzfördernd

Hirtentäschel

blutstillend, wird daher bei inneren wie auch äußeren Blutungen aller Art eingesetzt, kreislaufregulierend, wehenfördernd, gegen zu starke Menstruationsblutung, Blutungen nach der Entbindung sowie verzögerte Gebärmuttersenkung

Klette

gegen Hauterkrankungen wie Akne, Milchschorf und Ekzeme, stoffwechselanregend, blutreinigend, unterstützt die Leber- und Gallenfunktion, antirheumatisch, schweißtreibend bei Fieber, senkt den Blutzuckerspiegel leicht

Löwenzahn

kräftigend, belebend, stoffwechselfördernd, magenstärkend, unterstützt die Funktion von Leber und Galle, antirheumatisch, fiebersenkend, gegen geschwollene Augen und Warzen; fördert im Garten die Verrottung toter Pflanzenteile, allgemein wachstumsfördernd

Odermennig

Anregung der Leber- und Gallenfunktion, verdauungsfördernd, gegen Blähungen und Völlegefühl, Magen-Darm-Katarrh und Magen- sowie Zwölffingerdarmgeschwüre, unterstützt die Nieren- und Milzfunktion, harnsäurespiegelsenkend (Rheuma und Gicht), gegen zu starke Menstruationsblutung und Blutgerinnungsstörungen, schleimhautstärkend, gegen nervöse Reizbarkeit

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Quecke

stoffwechselanregend, hilft bei der Ausscheidung von Harnsäure (Rheuma, Gicht), entwässernd, abwehrstärkend, schleimlösend, lungen- und knochenstärkend, leberstärkend, entgiftend, blutbildend

Rainfarn

früher als Wurmmittel sowie gegen Krampfadern verwendet; im Garten wirkt er wachstumshemmend und wird gegen Ameisen, Erdraupen, Blattwespen, Blatt- und Wurzelläuse, Erdbeer- und Brombeermilben, Kohlweißlinge und Apfelwickler einges e tzt

Steinklee

reinigend und anregend für den Lymphfluß, unterstützt den Blutkreislauf, venenstärkend, gegen dicke Füße, Krampfadern, Hämorrhoiden, als Thrombosevorbeugung; vertreibt im Garten Mäuse

Taubnessel

gegen verzögerte, schmerzhafte Monatsblutung, Ausfluß, prämenstruelles Syndrom, MagenDarm-Katarrh, Infektionen der oberen Atemwege, unterstützt Gebärmutterfunktion, Magen- und Darmfunktion sowie Stoffwechsel

Wegerich

kräftigt und entschlackt das Bindegewebe, reinigt und stärkt die Atemwege, stoffwechselanregend, harntreibend, blutbildend, gegen Verschleimung, . Husten, Keuchhusten, Bronchitis, Asthmabronchiale, Appetitlosigkeit, Magen-Darm-Katarr h

Weißdistel

leberschützend, unterstützt die Fettverdauung, gegen Blähungen, Völlegefühl, Hämorrhoiden, und zu starke Säurebildung, entgiftend, unterstützt die Gallenfunktion, leicht fiebersenkend

Sehen Sie sich die Wirkungsweisen der in Ihrem Garten hauptsächlich vorkommenden »Unkräuter« genau an,- höchstwahrscheinlich finden Sie Krankheitsbilder wieder, die bei Ihnen oder Ihrer Familie des öfteren aufscheinen. Dies ist kein Zufall, sondern hängt damit zusammen, daß die Natur Sie ebenfalls als einen Teil der Siedlungsgemeinschaft lebendiger Wesen an Ihrem Ort begreift und dementsprechend zur Verfügung stellt, was Sie benötigen. Bei den in unseren Breiten hauptsächlich auftretenden Gartenunkräutern handelt es sich sämtlich um entgiftende, reinigende und den Stoffwechsel anregende Pflanzen wie Brennessel, Löwenzahn, Klette und Quecke; wenn man bedenkt, daß die meisten Zivilisationskrankheiten mit einer den Körper stark belastenden Fehlernährung sowie Übergewicht in Verbindung stehen, wundert das kaum noch. Wir ziehen an, was wir brauchen - und zwar nur, um es dann entrüstet wieder aus dem Garten hinauszuwerfen.

Ich habe nun keineswegs die Absicht, Ihnen nahezulegen, den Salat in Zukunft alleine gegen die Quecken kämpfen zu lassen. Aber vielleicht finden Sie ein Eckchen in Ihrem Garten, wo sich auch Brennesseln ansiedeln dürfen, um Ihnen bei Bedarf zur Verfügung zu stehen. Wichtig ist nur, daß diese Pflanzen ebenfalls ein Teil Ihrer kleinen Wachstumsgemeinschaft sein können, damit das Gleichgewicht gewahrt bleibt. Auch ein Kräutergärtchen kann eine solche Funktion

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erfüllen. Die Gefahr des Verwucherns läßt sich hier leicht bannen, indem Sie wachstumsfreudigere Pflanzen in Pflanzschalen setzen.

Seien Sie Ihrem Garten ein liebevoller Regent

Eines dürfte mittlerweile klar sein: Im Garten gelten etwas andere Regeln als in der freien Natur. Es ist, so oder so für uns beinahe unmöglich, diesen Unterschied deutlich herauszuarbeiten, da wir die echte Wildnis kaum noch kennen; fast jeder Quadratmeter Mitteleuropas wird auf die eine oder andere Weise im Zaum gehalten. Wir bewirtschaften Wiesen, Felder wie auch den Wald und verleihen diesen Landschäften damit ein von uns erwünschtes Erscheinungsbild. Dennoch bewegen wir uns anders durch Wald und Flur als durch den eigenen Garten, und das ist auch ganz angemessen, - es sei denn, wir haben den Beruf des Landwirtes oder Försters gewählt.

Während wir mit der Natur im Wald auf gleichberechtigtem Fuß stehen oder zumindest stehen sollten, sind wir im Garten weitaus prägender und formender tätig. Hier haben wir die Funktion des Leiters dieser kleinen Wachstums- und Lebensgesellschaft inne und sind sozusagen deren Fürst! Nun sieht es mit dem Garten ähnlich aus wie mit einer Nation; der man ein guter Regent oder ein diktatorischer Herrscher sein kann. Der Diktator erfüllt auf selbstsüchtige Weise vornehmlich seine eigenen Bedürfnisse und nützt zu diesem Zweck die Kapazitäten seiner Untertanen bedenkenlos aus, während ein sorgfältiger, von Liebe zu seinem Volk erfüllter Regent über seine eigene Lebensspanne hinausdenkt und den ihm unterstellten Menschen die bestmöglichen Lebensbedingungen schafft. Er weiß, daß ein Volk auf Dauer nur dann produktiv sein kann, wenn es alles hat, was es benötigt. Mit ihm verhält es sich wie mit dem Kaiser im Tarot, der herrscht, indem; er dient. Er ist Führer nicht etwa aufgrund der Umstände seiner Geburt, sondern wegen seiner diesbezüglichen, denen anderer überlegenen Fähigkeiten, und diese Fähigkeiten stellt er nun in den Dienst seiner Untertanen. So bringt das höchste Amt auch die größte Demut mit sich; aber nur daran erkennen wir auch das, was wir gerne als »natürliche Autorität« bezeichnen. Dieser Mann wird aufgrund seiner Fähigkeiten und nicht seiner Position geachtet sowie in seiner Funktion anerkannt.

Nun erwarten ja auch Sie eine Menge von Ihrem Garten. Er soll Ihnen Freude bereiten, Nahrung spenden und Ihnen das Gefühl des Erfolgs vermitteln. Zu diesem Zweck und auf dieses Ziel hin lenken Sie ihn, und je mehr Ihnen dies in Achtung der Bedürfnisse des Gartens gelingt, desto größer wird Ihr Lohn sein. Für viele Menschen ist Gartenarbeit ein einziger Kampf gegen widrige Elemente wie Blattläuse, Unkraut und schlechtes Wetter, was ihnen nie ermöglichen wird; die tiefe Zufriedenheit zu erleben, die aus dem Gefühl entsteht, Seite an Seite mit jener Gemeinschaft erfolgreich zusammenzuarbeiten, zu der man auch selbst gehört. Es gibt nichts Schöneres, als in den Garten zu treten und von diesem freudig begrüßt zu werden, und dazu gehört gar nicht so viel.

Setzen Sie zum Beispiel keine Pflanzen, denen ihr Boden nicht genügt. Wenn Sie einen Rhododendron in kalkhaltige Erde setzen, um dann mehrmals im Jahr Torf unterheben zu müssen, quälen Sie damit die Pflanze ebenso wie sich selbst. Dieses Problem läßt sich am ehesten vermeiden, wenn Sie Gewächse wählen; die in Ihrer Gegend und damit auf dem bei Ihnen vorherrschenden Boden heimisch sind. Auch hat es wenig Sinn; Nadelhölzer zu setzen, ohne auf ihrem Standort zuvor einen Baumstamm vermodern zu lassen - die berühmte Walderde, die so ein Wald produziert, brauchen seine Gehölze nun einmal für ein gesundes Wachstum. In diesem Sinne fahren Sie am besten, wenn Sie Ihre Pflanzen den gewünschten Standort so oft wie möglich selbst wählen lassen, denn diese spüren ganz genau, wo die für sie geeigneten Bedingungen optimal vorliegen. Das bezieht sich nicht nur auf die Bodenbeschaffenheit, sondern auch auf dessen energetische Qualität, und beides kann sich innerhalb weniger Quadratmeter

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ändern: Außerdem ist es sehr wirkungsvoll, den Boden, auf dem Sie pflanzen wollen oder auf dem bereits Gewächse stehen; nicht nur, mit allen notwendigen Stoffen, sondern auch mit herzlicher und wachstumsfördernder Energie zu versorgen. Es macht einen großen Unterschied, ob Sie Ihr Gemüsebeet jäten, während Sie lauthals über das Unkraut und den harten Boden schimpfen, öder ob Sie angesichts dieser Umstände Verständnis für Ihre Pflanzen sowie die fürsorgliche Bereitschaft, ihnen bessere Bedingungen zu schaffen, hegen. Ebenso wächst Ihr Setzling erheblich besser, wenn Sie das vorbereitete Pflanzloch segnen, bevor Sie ihn seinem neuen Zuhause anvertrauen. Immerhin fühlen Sie sich in einem gemütlichen Heim ja auch viel wohler als in einem Rohbau.

Der nächste Schritt besteht darin, einander unterstützende Pflanzengemeinschaften zu setzen. Gewöhnen Sie sich an, jedesmal, wenn Sie beschließen, einen bestimmten Busch oder eine spezielle Blume in Ihren Garten zu bringen, vorher zu erfragen, welche anderen Pflanzen normalerweise in Begleitung der von Ihnen gewählten auftreten und diese gleich mit einzukaufen. In solchen, Gemeinschaften unterstützt ein Individuum das Wachstum des anderen, und wenn Sie eines ausschließen, verursachen Sie bei den verbleibenden einen Mangel. Manchmal sind auch einander fremde Pflanzen in der Lage, einander zu helfen. Wenn Sie Probleme mit der Möhrenfliege haben sollten; können Sie zum Beispiel Zwiebeln zwischen die Karotten setzen; der. Geruch läßt die Fliege rasch Reißaus nehmen. Gegen Erdflöhe bei verschiedenen Kohlsorten hilft dazwischen gesetzter Salat, und die Kohlfliege wird, von Tomaten vertrieben. Auch Ihre schimmelnden Erdbeeren sind nicht zum Untergang verurteilt, wenn Sie ein paar Knoblauchgewächse dazwischen plazieren, denn dieser wirkt gegen verschiedene Pilzkrankheiten. Auch Wühlmäuse mögen ihn übrigens nicht. Diese fürchterlichen kleinen weißen Würmer, die so gerne an den Wurzeln vieler Pflanzen knabbern, haben entschieden etwas gegen die Tagetesblume - oft genügt es schon, den Beetrand damit zu verzieren, nur in hartnäckigen Fällen muß die leuchtende Blume direkt unter die befallenen Arten gesät werden. Sie glauben gar nicht, wie hübsch das aussieht! Die Blattläuse auf Ihren Rosen wiederum kriegen die Kündigung in Form von untergesäter Kapuziner- oder Gartenkresse, und das, was Ihre Rosen schützt, schmeckt auch noch gut!

Ebenso können Sie Ihre Nützlinge bei Bedarf einfach umziehen lassen! Setzen Sie jeden Marienkäfer, dem Sie begegnen, auf einen Ihrer Rosenstöcke, und Sie werden von Blattläusen weitestgehend verschont bleiben. Die Käfer wiederum finden es ganz toll, wenn sie Ihr liebstes Futter nicht erst lange suchen müssen. Auch Regenwürmer nehmen harte und nährstoffarme Böden erstaunlich begeistert an, um sie binnen weniger Jahre in lockere, fruchtbare Erde zu verwandeln. Wenn Sie nun ausgegrabene Schädlinge wie zum Beispiel Engerlinge nicht töten, sondern auf einem Stein den Vögeln überlassen, werden diese bald regelmäßige Gäste in Ihrem Garten sein und bei dieser Gelegenheit noch eine Menge weiterer, bei Ihnen eher unbeliebter Insektenarten einer durchgreifenden Inventur unterziehen. Vögel sind einfach gefräßig. Locken Sie sie zum Beispiel mit Obst oder Beeren, indem Sie die entsprechenden Bäume und Büsche nur zur Hälfte abernten oder ihnen ein kleines Gewässer als Futterreservoir und Badewanne bieten, und Ihre neuen Dauermieter werden sich mit Freuden auch um Gallwespen, Raupen, Schnaken und sonstiges Getier kümmern.

All das ist nur ein kleiner Ausschnitt jener Möglichkeiten; die Ihnen der biologische Pflanzenschutz bietet. Auf diese Weise können Sie dafür sorgen, daß bei Ihnen alles gut wächst, ohne daß in Ihrem Garten der reinste Giftterror herrscht. Allerdings ist Wachstumsförderung nur eine Seite des Gartenbaus; umgekehrt stehen wir genauso oft vor der Aufgabe, etwas, das zu hoch oder in die falsche Richtung gewachsen ist, stutzen zu müssen. Es ist kein Zeichen von Edelmut, den Apfelbaum einfach so zu lassen; wie er ist was Sie spätestens zur Erntezeit merken werden, wenn die dünnen, seit Jahren nicht mehr beschnittenen Äste sich unter der Last seiner

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Früchte qualvoll beugen oder gar brechen. Generell können Sie viele unnötige Schnitt- oder gar Entfernungsaktionen vermeiden, wenn Sie von Anfang an nicht zu dicht pflanzen. Ich weiß, Sie wollen in ein paar Jahren eine schöne; dichte Baumhecke Ihr eigen nennen, und die paar lächerlich kleinen Tannen-Setzlinge sehen jeweils vier Meter voneinander entfernt wirklich alles andere als vielversprechend aus; dennoch sollten Sie sich diesen Anblick eine gewisse Zeit lang zumuten, falls Sie nicht nach sieben oder acht Jahren mit einem Ungezieferbefall zu kämpfen haben wollen, der Sie über kurz oder lang zur Auslichtung der Hälfte. Ihrer jungen Bäume zwingt. Und eines kann ich Ihnen sagen - dann sieht Ihre Hecke wirklich seltsam aus!

Lassen Sie Gewächse, die Sie schneiden, umsetzen oder völlig entfernen wollen, an Ihrer diesbezüglichen Planung teilhaben. Sprechen Sie unter dem betreffenden Baum darüber, was Sie vorhaben und wie dies aussehen könnte. Damit geben Sie dem Baum Gelegenheit; sich auf die eintretenden Veränderungen vorzubereiten und Ihnen mitzuteilen, was er sich wünscht. Um diese Informationen zu verstehen, brauchen: Sie nicht einmal in Trance zu gehen - nehmen Sie nur einfach so, wie Sie gerade da stehen, Kontakt mit dem Baum auf und betrachten Sie ihn dabei. Welche Äste wenden sich gen Boden, als wenn er sie vergessen hätte? Welche scheinen ihm wichtig zu sein, so, wie er sie kleinen Pfeilen ähnlich in den Himmel schickt? Wo fühlt er sich eingeengt, wo will er hin? Teilen Sie dem zu schneidenden Gehölz ruhig laut mit, was Sie wahrnehmen, dann wird es Sie mit weiteren Informationen versorgen. Wägen Sie dort, wo sich Ihre Wünsche und die der Pflanze widersprechen, beides sorgfältig gegeneinander ab und erklären Sie dem Baum Ihre Entscheidung danach auch ihm fällt es viel leichter, auf einen Ast zu verzichten, wenn er einen Sinn darin sieht.

Wenn feststeht, wo Sie schneiden werden, teilen Sie dies dem Baum oder Strauch ganz genau mit - vielleicht berühren Sie die betreffenden Äste kurz und erklären ihm, was Sie damit vorhaben. Dann gehen Sie für eine halbe Stunde Unkraut jäten oder Blumen gießen. In dieser Zeit gibt der Baum die bezeichneten Zweige auf, indem er seine Lebensenergie daraus zurückzieht. Diese Kraft geht ihm nun beim Schnitt nicht verloren, sondern steht ihm an anderen Stellen weiterhin zur Verfügung; auch fallen die Schnittverletzungen auf diese Weise viel geringer aus. So behandelte Bäume »bluten« merkbar weniger als unvorbereitete, aber verzichten Sie bitte bei dickeren Zweigen dennoch nicht auf eine Nachbereitung mit Baumharz. Ein Arzt läßt seinen Patienten ja schließlich auch nicht mit offener Wunde nach Hause laufen, nachdem er ein Furunkel herausgeschnitten hat. Auch hier kann eine zusätzliche Versiegelung durch die Kraft Ihres eigenen Herzens erstaunliche Heilungserfolge zeigen. Ebenso haben sich Bachblüten im Gießwasser schon des öfteren bewährt, denn Pflanzen benötigen nur äußerst geringe Mengen der Urtinktur, um darauf anzusprechen. Ich kippe immer die Reste meiner eigenen Mischungen mit hinein.

Pflanzen sind nicht »einfach so da«, sondern vollbringen in jeder Sekunde ihres Lebens genauso beachtliche Aufgaben und Leistungen wie wir auch. Teilen Sie Ihrem Garten mit, daß Sie diesen Einsatz zu schätzen wissen. Bedanken Sie sich bei Ihrem Apfelbaum für die reiche Ernte, und erzählen Sie Ihrer Ulme davon; wie schön es ist, in ihrem Schatten zu liegen. Erkennen Sie die Leistungen Ihrer Pflanzen an und bedanken Sie sich dafür, indem Sie diese an Ihrer Freude teilhaben lassen. Und nehmen Sie, Ihre Gewächse so, wie sie sind. Einen ausgewachsenen Weidenbaum, der viele Quadratmeterversumpften Bodens entwässert und somit erst bepflanz- oder gar bebaubar, macht; nur aufgrund seiner schneefallartigen, alles verschmutzenden Blüte während ganzer drei Frühlingswochen zu fällen, ist nicht weit davon entfernt, ein Kind zu töten; weil es schreit: Die, Natur ist nicht dazu da, um uns zu gefallen, sie hat wesentlich kompliziertere und zusammenhängendere Aufgaben, mit denen unsere Ästhetik- oder Sauberkeitsansprüche nicht das Geringste zu tun haben. Indem wir unsere lächerlichen Ideen zum Maßstab der Schöpfung aufschwingen, stehen wir dieser bei der Auseinandersetzung mit

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wirklich wichtigen Dingen nur im Weg herum: Genau darum geht es in diesem Kapitel. Es ist für uns an der Zeit, damit aufzuhören; uns, wie trotzige, unverständige Kinder zu benehmen und jenes partnerschaftliche Verhalten anzuwenden, das man von uns erwartet - und für das wir, nebenbei gesagt; auch hier sind. Statt dessen ziehen wir es vor; wie ein Fünfjähriger, der genau weiß, daß er nun eigentlich den Abfall hinaus bringen sollte, lieber durch die Hintertür auszubüxen und unseren eigenen Interessen nachzugehen, die mit den Bedürfnissen der ganzen großen Familie nichts zu tun haben, Zu unserem unendlichen Glück ist die Natur weitaus geduldiger als jede menschliche Mutter, aber wenn es ihr durch unser Verhalten an den Kragen geht, findet auch ihre Geduld ein abruptes und durchaus konsequentes Ende. Die Natur umfaßt, weitaus mehr als nur diesen Planeten; aber wenn wir ihn zugrunde richten, sind wir darauf eingesperrt - ein Hausarrest galaktischen Ausmaßes sozusagen.

Gartenriten

Ich möchte nun einige Anregungen dazu geben, wie die bereits angesprochene magische Umgangsweise mit Ihren Gartenpflanzen im einzelnen aussehen könnte. Wie immer soll dies lediglich ein paar Ideen vermitteln; nur Sie selbst sind in der Lage, herauszufinden, was Ihre eigenen Bäume, Blumen und Büsche benötigen!

Einpflanzen

Bereiten Sie das Pflanzloch wie üblich vor. Bevor Sie den Setzling nun in die Erde geben, schaffen Sie vor Ihrem inneren Auge kurz das Bild eines Ortes; an dem Sie sich üblicherweise besonders glücklich und geborgen fühlen. Lassen Sie jene Empfindungen, die Sie dort immer haben, in Ihnen aufsteigen sowie stark und deutlich werden. Darin breiten Sie Ihre Hände über dem Pflanzloch aus und stellen Sie sich vor, wie Sie diese Energie direkt hineinleiten: Sehen Sie vor sich, wie die warme, gemütliche Atmosphäre das Loch ausfüllt, an den Wänden entlangschwimmt und in jede Öffnung dringt, bis nur noch Geborgenheit und Wohlbehagen darin sind. Dann nehmen Sie den Setzling liebevoll in Ihre noch immer von dieser Kraft erfüllten Hände und pflanzen ihn ein, während Sie vielleicht ein Lied summen, daß Sie immer glücklich gemacht hat. Bei schwierigen Schützlingen können Sie in das Wasser zum Aufschwemmen der lockeren Erde auch, ein paar Tropfen der Bachblütenessenz Rescue Remedy hineingeben. Schließlich legen Sie einen schützenden Kreis aus sanfter Energie um das Pflanzloch; um schädliche Einflüsse fernzuhalten - oder Sie bitten die Zwerge Ihres Gartens, um den Setzling herum Wache zu halten. Jene Wesen sehen vielleicht ein wenig anders aus als Ihre Vorgartenfiguren oder die niedlichen Wesen aus der Werbung; aber vom Prinzip her kommt es schon hin:

Schneiden

Bereitem Sie den Baum oder Busch vor, indem Sie mit ihm zusammen besprechen, wie die Schnitte im einzelnen aussehen sollen und lassen Sie ihm dann einige Minuten Zeit; uni die Lebensenergie aus den betroffenen Teilen abzuziehen. Kehren Sie danach mit der Astschere oder Säge zu ihm zurück. Machen Sie sich bewußt, daß Sie ,in diesem Moment in die Rolle der Alten schlüpfen, der dunklen Göttin oder des greisen Gottes; deren Aufgabe es ist, zu schneiden, was überlebt oder behindernd ist, damit sich das gesunde Leben ausbreiten kann. Dies geschieht mit ebensoviel Härte wie auch Liebe - oft drückt sich unsere Liebe gerade in jenen Handlungen aus, die jenen, für die wir da sind, zunächst Schmerz bereiten, aber im Endeffekt ein gesundes Wachstum welcher Art auch immer unterstützen. Wenn Sie ein Gefühl für diese Einstellung gefunden haben, versichern Sie dem Baum, daß Sie aus dieser Haltung heraus mit aller gebotenen Sorgfalt vorgehen werden. Dann führen Sie die Schnitte durch.

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Danach versiegeln Sie größere Wunden zuerst mit Ihren Händen, indem Sie sich vorstellen, mit der ihnen entfließenden Energie eine Barriere zu schaffen, die keine Lebensenergie des Baumes ausfließen und keine schädlichen Keime eindringen läßt. Versorgen Sie die Wunden danach mit Baumwachs und bitten Sieden Garten in Gedanken, Ihnen jene Energie zu senden, die alle Pflanzen durchströmt. Sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wie Sie zum Zentrum eines Sogs aus grüner Lebensenergie werden, und lassen Sie diese durch Ihre Hände in den Stamm des geschnittenen Baumes fließen. Schauen Sie auch in den nächsten Tagen immer wieder nach ihm, und versichern Sie sich, daß es ihm gut geht.

Entfernung eines Gehölzes

Falls Sie einen. Baum fällen oder einen Busch entwurzeln wollen, sollte die Zeit für dessen Vorbereitung einige Tage umfassen, in der Sie immer wieder zu ihm gehen, mit ihm sprechen und erfragen, ob er Hilfe benötigt. Wenn eine Pflanze stirbt, geht deren Lebensenergie ungebunden in der Natur auf, um an anderer Stelle ein neues oder bereits geschwächtes Gewächs zu erfüllen. Wird der Geist des Baumes jedoch ohne Vorwarnung seiner Behausung beraubt, kann dieser Vorgang gestört werden und der Geist wesentliche Verletzungen davontragen. Weite Teile unserer Umweltprobleme sind das direkte Ergebnis eines derartig unsensiblen Umgangs mit der empfindungsfähigen Natur; wir sind umgeben von verstörten und verletzten Naturgeistern; die .verzweifelt auf der schmerzvollen Suche nach Heilung umherirren. Wenn Sie Ihren Baum jedoch vorwarnen, geben Sie ihm dadurch die Gelegenheit, sich aus seinem materiellen Leib auf schonende Weise zurückzuziehen und neue Aufgabenbereiche zu finden, in die er fließend übergehen kann. Am besten ist es, wenn Sie für jeden gefällten Baum innerhalb oder außerhalb, Ihres Gartens einen, neuen pflanzen, in den der Geist Ihres alten Schützlings überzugehen vermag.

Hier ist es noch wichtiger, sich in die Rolle der Alten Schnitterin bzw. des Schnitters zu begeben. Jedes Wesen dieser Erde stirbt einmal, doch ist der Tod ein wichtiger Übergang und sollte mit entsprechendem Respekt behandelt werden - ob es sich nun um den eines Menschen oder eines Baumes handelt. Danken Sie dem Baum für seine Verdienste, und zählen sie dabei ruhig auf, was er alles für uns und die anderen Wesen in seiner Umgebung getan hat (und auch für jene Dinge, von denen Sie gar nichts wissen). Segnen Sie ihn und auch die Säge, mit der Sie ihn nun fällen werden. Dann sagen Sie Lebewohl und senden den Geist des Baumes fort. Er sollte nun ein paar Augenblicke haben, um sich völlig aus seinem Leib zurückziehen zu können, und wahrscheinlich werden auch die letzten noch in seinen Ästen sitzenden Vögel nun den Abflug antreten. Einer von ihnen trägt die Seele des Baumes mit sich.

Arbeiten Sie schnell, aber sorgfältig, und lassen Sie sich nicht von Emotionen mitreißen. Was getan werden mußte, wurde getan, und auch diese Arbeit gehört zu unseren Aufgaben auf der Erde. Daran ist nichts Unnatürliches, wenn es in Achtung und Sorgfalt geschieht.

Behalten Sie ein Stück des Stammkerns zurück, das Sie mitnehmen, wenn Sie den neuen Baum pflanzen. Geben Sie das Stück mit ins Pflanzloch hinein; denn alle neuen Bäume leben, weil sie von den vermoderten Überresten ihrer Vorfahren genährt werden. Laden Sie den Geist des gefällten Baumes ein, in den jungen einzuziehen, und verfahren Sie bei der weiteren Pflanzung wie bei jedem anderen Setzling. Segnen Sie die junge Pflanze in dem Bewußtsein, den Kreis wieder geschlossen zu haben.

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Umsetzen .

Ein Gewächs an einen anderen Ort zu verpflanzen, ist vor allem bei älteren Individuen die vielleicht schwierigste, weil ihrer Natur am wenigsten entsprechende Aktion. Pflanzen wachsen, leben und sterben, aber sie wandern dabei nicht von einem Ort zum anderen; deshalb sollte dies nur in Notfällen angewendet werden und nur dann, wenn es für Ihren Schützling keinen schlechten Tausch bedeutet. Heben Sie einige Tage vor der Umsetzung etwas Erde von dem neuen Platz unter jene der Stelle, an der das Gewächs augenblicklich sitzt, und informieren Sie es über die Bedeutung dieser Handlungsweise. Nehmen Sie dazu ein paar Blätter von der Pflanze und graben Sie diese an der neuen Stelle ein. Nach dem Ausstechen versiegeln Sie die Wurzelwunden energetisch ähnlich wie die Schnittstellen eines Baumes und bereiten das neue Pflanzloch besonders sorgfältig vor. Das Einsetzen, geschieht dann wie gewohnt. Besuchen Sie auch diesen Schützling in den nächsten Wochen regelmäßig, um ihm beizustehen; manchmal werden da einige ermunternde Worte genügen, ab und zu wird aber auch mehr von Nöten sein. Beobachten Sie die Pflanze gut und hören Sie immer wieder in sich hinein, um zu erfahren, was sie braucht, und geben Sie dem Gießwasser sowohl während der Pflanzung als bei Bedarf auch später noch einige Male die Bachblütenessenz Rescue Remedy hinzu.

Düngen

Nehmen Sie das Düngegut in die Hände oder halten Sie diese darüber (das ist vor allem bei Pferdemist empfehlenswert). Stellen Sie sich vor, wie sich die Lebenskraft aus Ihrer Umgebung in Ihren Händen konzentriert und von dort aus in den Dünger übergeht, der sich auf diese Weise zu purem Pflanzengold verwandelt. Heben Sie nun einige Blätter von jenen Gewächsen unter, die in Ihrem Garten am besten gedeihen und verteilen Sie das Gemisch da, wo es hin soll. Wenn Sie Lust haben, setzen Sie sich danach einige Augenblicke lang zu den gedüngten Pflanzen und speisen Sie genußvoll mit ihnen zusammen, indem auch Sie sich ein Stück Kuchen oder ein belegtes Brot zuführen: Ihre Schützlinge sind nämlich nicht die einzigen, die Nährstoffe und Arbeitspausen benötigen!

Bewässerung

Gießen ist ein Freudenfest für Ihre Pflanzen, und an diesem sollten Sie ruhig teilnehmen! Keine Tätigkeit eignet sich mehr als diese, um singend oder summend ausgeführt zu werden. Zaubern Sie ein Lächeln auf Ihr Gesicht, was Ihnen nicht schwer fallen sollte, wenn Sie bedenken, was für eine Freude Sie Ihren Pflanzen gerade bereiten. Besonders gut tut ihnen Wasser, das zuvor ein wenig Sonnenstrahlung aufnehmen konnte, aber mit Ihrer guten Laune können Sie denselben Effekt erreichen. Danach wäre ein, guter Zeitpunkt, um sich einen Moment lang in Ihren feucht glitzernden und sich vor, Wohlbehagen räkelnden Garten zu setzen, um gemeinsam mit ihm einen ;Schluck Wasser oder etwas anderes zu trinken.

Alles nimmt an allem teil

Überhaupt gibt es nichts Schöneres, als die gemeinsam geleistete Arbeit auch gemeinsam zu feiern. Ihre Pflanzen wachsen; schaffen Sauerstoff, Schönheit und Nahrung und erfreuen Sie, während Sie ihnen die dazu bestmöglich geeignete Umgebung bereitstellen sowie erhalten: Das klingt nach einem guten Team, und gute Teams treffen sich regelmäßig, um ihre Kameradschaft kräftig zu begießen. So können auch Sie sich von Zeit zu Zeit in Ihren Garten begeben; um dort nichts anderes zu tun, als Ihren gemeinsamen Erfolg mit ein paar leckeren Speisen und Getränken zu feiern. Meine Familie schließt solche kleinen Feste gerne an einen Tag voller Gartenarbeit an, und dann wandert immer ein Teil der Nahrungsmittel auf unseren Altarstein,

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von wo .ihn die in unserem Garten beheimateten Wesen materieller wie auch nichtmaterieller Art meist recht bald abholen.

Viele Menschen bewegen sich in einer natürlichen Umwelt, die ihnen als verstandes- und empfindungslos erscheint, obwohl dies meiner Erfahrung nach überhaupt nicht den Tatsachen entspricht. Es wundert mich nicht, daß solche Leute Gartenarbeit eher als Fron denn als Freude verstehen und mit verbissenen Gesichtern in ihren Beeten herumstochern und -zupfen. Wer sich jedoch für die bewußte Lebensfreude seines Gartens zu öffnen imstande ist, wird bald merken, daß er nie wieder wirklich einsam sein kann oder, besser gesägt, es niemals war. Da draußen befindet sich eine muntere Gemeinschaft aus interessanten Individuen wie den, weisen Bäumen, den lustigen Blumen und dem einen oder, anderen Pflanzenelf - und wir Gartenfreunde gehören zu dieser Runde ganz selbstverständlich dazu. Wir müssen nur das Hinhören lernen.

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Teil III

Magische Praxis

Rituale

Was ist ein Ritual und wie funktioniert es?

Gute Frage. Manchmal sieht man im Fernsehen Leute in seltsamen, wahlweise schreiend bunten oder auch völlig schwarzen Gewändern, die steif in einem Kreis aus seltsamen Zeichen mit einem mehr oder weniger eindrucksvollen Feuer in der Mitte herumwandern und hört sie unverständliche, meist eher weniger melodische Liedwerke singen. Das wollen Sie nicht machen. Nein, dabei kämen Sie sich ziemlich komisch vor.

Sie werden es vielleicht nicht glauben: ich mir auch.

Rituale erscheinen uns fremd und seltsam, weil wir bei der Erwähnung dieses Themas sofort ein Bild wie das eben gezeichnete vor uns haben. Dabei sind sie uns allen geläufig; jeder hat seine kleinen, liebgewonnen Gewohnheiten, die vielleicht keinen großen Sinn zu machen scheinen oder auf die wir leicht verzichten könnten - und doch halten wir an ihnen fest, an der genußvollen Zigarette nach einem guten Essen, dem opulenten Versöhnungsmahl nach einem Streit in der Partnerschaft oder auch der Angewohnheit, den Vorgesetzten zuerst ins Büro eintreten zu lassen. So haben Höflichkeitsformeln, Bräuche und Rituale viel gemeinsam. Man verwendet Symbole, die allen bekannt sind, die diese Etikette oder diesen Brauch verwenden, um damit auf kurze und praktische Weise ganze miteinander verknüpfte Botschaften zum Ausdruck zu bringen. Wenn Sie Ihrem Chef an der Bürotür den Vortritt lassen, sagen Sie damit zum Beispiel: »Ich respektiere Ihre Erfahrung, die der meinen überlegen ist. Deshalb haben Sie diese Position zu Recht. Ich bin bereit, mich Ihrem Urteil zu beugen und von Ihnen zu lernen, und ich bin bereit, meinen Teil dazu beizutragen, daß unsere gemeinsame Arbeit reibungslos abläuft. Ich erwarte nun, daß auch Sie Ihren Teil beitragen und auch meine Arbeit ebenso achten wie ich die Ihrige.« Stellen Sie sich einmal vor, Sie müßten das Ihrem Chef jeden Morgen sagen -wenn man bedenkt, daß es sich hierbei nur um eine von vielen Tag für Tag ablaufenden Symbol-Kommunikationen handelt, kämen Sie unter Garantie zu nichts anderem mehr.

Wir haben hier bereits einige der wesentlichen Merkmale des Brauches oder Rituals erarbeitet: Es dient der Kommunikation, verkürzt diese mittels der Verwendung einer dem Kommunikationspartner vertrauten Symbolik und stellt auf diese einfache Weise komplexe Inhalte dar. Zu diesen kommt nun noch eine weitere Funktion: All diese Umgangsformen binden den einzelnen Menschen in seine soziale Gemeinschaft ein. Mit der Anwendung einer nur in dieser Gruppe geläufigen Symbolik identifiziert er sich sozusagen; in gewisser Weise teilt er den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft mit, daß er „ eingeweiht« ist, also die Formen und Bräuche dieser Gruppe kennt, respektiert und nicht zu gefährden denkt. Er stellt sich als positiver Mensch dar, der, aktiv am Wohl der Gemeinschaft mitzuarbeiten bereit ist.

Bräuche wie auch Rituale haben aber noch einen weiteren Zweck, und dieser ist den meisten Menschen, die solche Gewohnheiten im Alltag praktizieren, nicht oder nur sehr nebelhaft

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bewußt: Sie verbinden uns mit unserer Spiritualität, mit dem Unfaßbaren, Heiligen in unserem Leben. Ja, auch die Zigarette nach dem Mittagessen. Was geschieht denn in diesem Moment, wo ein Mensch den leeren Teller zurückschiebt,, sich wohlig seufzend zurücklehnt und sich in aller Ruhe eine Zigarette anzündet? Warum steht er nicht einfach auf und kehrt wieder an seinen Arbeitsplatz zurück? Schließlich ist es notwendig zu essen, und es ist ebenso notwendig, danach mit den anliegenden Aufgaben fortzufahren. Auf das Rauchen, trifft dies doch wohl kaum zu, oder? Warum finden dann selbst Nichtraucher, die Zeit, noch einen Kaffee zu trinken oder ein paar, Worte mit ihren rauchenden Kollegen zu wechseln, bevor sie der Arbeitsalltag wieder einholt?

„Alltag« ist hier das Schlüsselwort. Rituale heben uns aus dem Alltag heraus, sie markieren eine vorübergehende Unterbrechung des Normalzustands und zeigen einen anderen Zustand an. Auf der anderen Seite des, Alltags liegt das Besondere, das Außergewöhnliche - das Heilige eben, welches unsere Aufmerksamkeit und unsere Achtung verdient. Die normalen Regeln gelten hier nicht; man muß nicht schnell wieder ins Büro und fleißig gute Arbeit leisten. Für einige wenige Minuten hat der Alltag Pause; man feiert das gute Essen, das man gerade genossen hat und bringt auf diese Weise seine, Dankbarkeit für diesen Gaumenschmaus zum Ausdruck. Das moderne Tischgebet, sozusagen.

Lassen Sie uns also die Grundfunktionen eines guten Rituals zusammenfassen. Es sollte:

• eine Kommunikation herstellen,

• eine allen Beteiligten verständliche Symbolik verwenden;

• mittels dieser Symbolik komplexe Zusammenhänge auf praktische Weise zum Ausdruck bringen,

• eine Einbindung, des einzelnen Menschen in die Gemeinschaft ermöglichen,

• eine Verbindung mit dem Heiligen herstellen:

Sehen Sie sich diese Liste noch einmal an - all dies vollzieht sich während einer einzigen Zigarette! Wäre der Suchtfaktor nicht, würde ich sagen, dieses Ritual ist genial geschrieben. Eben diese geniale Einfachheit ist den meisten unserer unbewußten Alltagsrituale zu eigen; wer sich angewöhnt, diese etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, kann sehr viel über den Aufbau eines guten Rituals lernen. Für mich persönlich gilt hier: Je einfacher und selbstverständlicher die Inhalte umgesetzt werden, desto besser ist das Ritual. Was zählt ist, was sich in Ihnen abspielt und nicht um Sie herum.

Natürlich stellt sich die Frage, an wen oder was sich die Grundfunktionen eines bewußt ausgeführten Rituals richten. Vor allem die Kommunikationsebene ist hier von großer Bedeutung, denn die Naturphilosophie im hier verwendeten Sinn betrachtet die Schöpfung als intelligent und sich ihrer selbst bewußt wenn auch vielleicht auf andere Weise, als dies bei einem Menschen der Fall sein mag. Ein Ritual; das aus einem Geist naturbezogener Spiritualität heraus vollzogen wird, stellt immer eine Art Gespräch mit der Natur dar. Allerdings vollzieht sich dieses Gespräch auf zwei Ebenen zugleich: mit der uns umgebenden Schöpfung ebenso wie mit uns selbst. Das sollte Sie nun, nachdem wir mehrmals festgestellt haben, daß auch der Mensch Teil der natürlichen Schöpfung ist, nicht mehr wundern. Der Teil in uns, mit dem wir während des Rituals kommunizieren und den ich gerne unser „Urwesen« nenne; ist so alt, daß er von Dingen wie der Zivilisation, unserer Erziehung oder unserem Schulwissen nie berührt oder gar

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verändert wurde; er befindet sich also noch im selben Zustand wie die uns umgebende Natur. Diesen Faktor machen wir uns bei der Ausübung von Riten zunutze. Des weiteren wird durch diese Kommunikation jener Teil in uns angesprochen, den wir heute oft als das »innere Kind« bezeichnen; dieses ähnelt unserem Urwesen, ist aber nicht ganz dasselbe, da es sich für Formung und Erziehung empfänglich zeigt. Beiden Wesensanteilen ist jedoch gleichermaßen eine gewisse Wildheit, Direktheit und starke emotionale Kraft zu eigen, und genau diese Eigenschaften machen ein Ritual erfolgreich.

Wir wissen also nun, mit wem wir im Laufe eines Rituals kommunizieren; nun ist es nur logisch, eine Sprache zu wählen, die allen »Gesprächspartnern« gemeinsam ist. Das ist die Sprache der Handlungen und Symbole. Wir befinden uns hier auf einer sehr frühen menschlichen Kommunikationsebene, auf der Bilder, Gefühle und symbolhafte Handlungsweisen von großer Bedeutung sind. Ich möchte dies mit einem Vergleich verdeutlichen: Sie können einer Person, die noch nie einer Blume begegnet ist, diesen Gegenstand in allen Einzelheiten beschreiben, oder ihr einfach eine Blume in die Hand drücken. Letzteres geht schneller und vermittelt ihrem Gegenüber weitaus mehr und auch genauere Informationen, da er seine eigenen Sinne zum Erfassen des Konzepts »Blume« einzusetzen in der Lage ist und sich nicht auf die Subjektivität Ihrer Wortwahl beschränken muß. Während die Umsetzung einer Beschreibung einen analytischen Vorgang darstellt, ist die direkte Erfahrung ein sinnlicher Prozeß, der beide Hirnhälften einsetzt, was ein weiteres Merkmal eines guten Rituals ist. Und nun stellen Sie. sich dieselbe Situation noch einmal ,unter Hinzunahme einer weiteren Voraussetzung vor -nämlich der, daß Ihr Gegenüber gehörlos ist. Wenn Sie in dieser Situation keinen Aufsatz zum Thema Blume schreiben wollen, werden Sie schon den nächsten Vorgarten plündern müssen. Und ich sagte ja bereits, daß sich ein gutes Ritual immer durch eine geradezu geniale Einfachheit und Geradlinigkeit ausdrückt - wenn man dieses Prinzip erst einmal verinnerlicht hat, kommen die prachtvollen Ausschmückungen ganz von selbst. Auf diese Weise zäumen Sie das Pferd von der richtigen Seite auf und laufen nicht Gefahr, äußerlich höchst beeindruckende, aber im Inneren völlig wirkungslose Rituale zu zelebrieren.

Nun wissen wir also, welche Funktionen ein Ritual erfüllt, aber noch nicht, wie es das bewerkstelligt. Um es kurz zu machen: gar nicht. Vielleicht, sind auch Sie schon einmal stolz mit Büchern a la »Ich lerne hexen in fünf Minuten« nach Hause gekommen, haben die darin enthaltenen Anweisungen buchstabengetreu ausgeführt und mußten dann enttäuscht feststellen, daß eben genau das passierte: gar nichts. Und das nur, weil der Autor vergessen hatte, Ihnen mitzuteilen, daß nicht das Ritual eine Veränderung bewirkt, sondern Sie. Gemein, oder nicht?

Ein Ritual ist nur Ihr Handwerkszeug, mehr nicht. Wenn Sie seine Anweisungen zwar genau ausführen, dabei aber innerlich einen deutlichen Abstand zu der ganzen Sache haben, weil sich das alles »so albern anfühlt«, werden Sie etwa ebenso erfolgreich sein wie wenn Sie Hammer, Säge, Nägel und Holz auf den Boden legen und nun erwarten, daß, sich Ihr Schrank von selbst baut. Hingabe und Leidenschaft sind ganz wesentliche Elemente eines Rituals. Sie sollten soweit nur irgend möglich Sie selbst sein können, denn es sind Ihre Intensität und Ihr Elan, die das Räderwerk einer rituellen Handlung erst zum Laufen bringen. Aus diesem Grund erzähle ich Ihnen hier soviel über die einem Ritual zugrundeliegende Theorie, denn die besten werden immer jene sein, die Sie selbst geschrieben und auf Ihre ganz eigenen Bedürfnisse abgestimmt haben. Darin haben Sie völlig freie Hand - der eine zieht schweigende, von einem Lächeln begleitete Gesten vor, während ein. anderer erst richtig aufblüht, wenn er die Schöpfung in weiten Gewändern wortreich preisen kann. Wichtig ist nur eines: Wenn Sie sich irgendwie blöd dabei vorkommen, lassen Sie es, Sie vergeuden damit nur Ihre Zeit. Schreiben Sie lieber Ihr Ritual um - und wenn es hundertmal von Starhawk persönlich ist. Starhawk kennt Sie nicht und kann also auch keine perfekten Rituale für Sie schreiben -sie wird es Ihnen bestimmt nicht

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übelnehmen.

Der Aufbau des Rituals

Kommen wir also zur Grundstruktur eines Rituals. Ich werde die folgenden Punkte bewußt ziemlich abstrakt halten, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, bereits beim ersten Lesen eigene Ideen zur Umsetzung zu entwickeln. Vielleicht ermöglicht Ihnen dies, sich von den Beispielen, die ich im weiteren Verlauf noch zur Verfügung stellen werde, nicht allzusehr gefangen nehmen zu lassen. Die grundlegenden Elemente sind folgende:

1. Schaffung eines abgegrenzten Bereichs

2. Erdung des Praktizierenden

3. Herstellung eines Kontaktes zu den umgebenden Energien .

4. Bewußtwerdung des und Kontaktaufnahme mit dem universalen schöpferischen Prinzip

5. Ausführung des persönlichen Anliegens

6. Dank an das universale schöpferische Prinzip sowie Beendigung des Kontaktes damit

7. Dank an die umgebenden Energien sowie Beendigung des Kontaktes

8. Öffnung des abgegrenzten Bereichs

Wahrscheinlich kommt Ihnen das jetzt fürchterlich technisch vor und sagt Ihnen auch nicht allzuviel. Dennoch möchte ich Sie bitten, sich diese Liste einige Minuten lang anzusehen und sich dabei zu gestatten, Ihre eigenen Ideen und Bilder aufsteigen zu lassen -ganz gleich, wie sinnvoll oder seltsam diese Ihnen auf den ersten Blick erscheinen mögen: Vielleicht schreiben Sie die Ergebnisse Ihrer Überlegungen sogar auf, um später wieder darauf zurückgreifen zu können, denn ich werde im folgenden zur Erläuterung dieser Punkte auf meine eigenen Formen und Erfahrungen zurückgreifen müssen - sonst geht das Buch nicht weiter. Es wäre schade, wenn Ihre eigenen Ansätze von meiner spezifischen Herangehensweise überlagert werden würden.

1. Schaffung eines abgegrenzten Bereichs

Betrachten Sie sich die Orte, an denen die großen Religionen ihre Rituale ausführen -Kirchen, Moscheen, Synagogen und ähnliches. Sie alle sind heilige, aus dem Alltag herausgelöste Plätze, die ausschließlich der Anbetung einer bestimmten Variante des universellen schöpferischen Prinzips dienen. Dort finden keine alltäglichen Verrichtungen statt, und oft stellen sie sogar einen Ort dar, an dem die Gesetze der Gesellschaft außer Kraft gesetzt sind, weil hier ein höheres, nämlich göttliches Gesetz den Vorrang über, alle irdischen Belange hat. In einer Kirche findet der Verfolgte Zuflucht, und selbst der Highlander darf sich dort nicht prügeln! Mit dem Eintritt in einen solchen Ort unterwirft sich der Mensch einer Gerichtsbarkeit, die höher ist, als es die menschliche jemals sein kann. Zudem sind hier Dinge erlaubt, die in der Gesellschaft eher ungern gesehen werden: Die junge Frau am Marienaltar kann ihrer Angst um ihr Kind, das mit einer schweren Erkrankung um sein Leben ringt, offen mit ihren Tränen Ausdruck verleihen, während zwei Reihen vor ihr vielleicht ein Mann glücklich strahlend für die Geburt eines Sohnes dankt. Kirchen sind sehr gefühlsbetonte Orte und schaffen damit Raum für eine Form der emotionalen Hingabe, die sonst als eher unzivilisiert betrachtet wird. Sie sind in dieser Welt,

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gehören aber dennoch nicht ganz dazu - ein Ort zwischen den Welten. Genau das sollte auch der Platz sein, an dem Sie ein Ritual ausführen. Sie sollten sich dort geborgen und geschützt fühlen können, -um sich und allem, was Sie im Laufe der Feier in sich entdecken sollten, freien Raum zu lassen. Deswegen ist es hilfreich, den Ort zu kennzeichnen und von der Alltagswelt abzugrenzen, denn auf diese Weise wissen Sie immer, wo Sie sich gerade befinden und werden das in der einen Welt übliche und sinnvolle Verhalten nicht in die andere tragen, wo es Sie nur behindern würde. Es bringt Ihnen einfach nichts, mit der relativ verschlossenen, zurückhaltenden Alltagshaltung im Ritual zu agieren, und ebenso werden Sie keine Freunde gewinnen, wenn Sie im Büro plötzlich nackt zu singen und zu tanzen beginnen, weil sie gerade erfahren haben, daß Ihre Frau schwanger ist. Alles doch bitte dort, wo es hingehört.

Ein heiliger Ort sollte Sie aber nicht nur schützen und eine vom Alltag losgelöste Situation markieren, sondern auch ein Gefäß sein, ein Kessel der Wandlungen, der Sie in sich aufnimmt und dafür sorgt; daß Sie Ihre Kräfte nicht ziellos in alle Richtungen verstreuen. Er bewahrt Ihre Energie und Sie selbst damit vor dem Auspowern.

In der Naturmagie wählt man für diesen heiligen Ort meist die Form eines Kreises; denn dies ist die einzige geometrisch völlig regelmäßige Figur; die in der sichtbaren Natur vorkommt und fasziniert den Menschen deshalb bereits seit Jahrtausenden. Sonne und Mond, zwei der wichtigsten Bezugspunkte naturreligiöser Völker; erscheinen als perfekte runde Scheiben - nun ja, zumindest manchmal, soweit es den Mond betrifft: Aber gerade der Umstand; daß der Mond durch alle möglichen Teilphasen des Kreises wandert, macht ihn ja so interessant. Der Kreis ist unendlich, da er im Gegensatz zur Linie keinen Anfang und kein Ende besitzt; er ist eine Linie, die in sich selbst zurückkehrt und symbolisiert damit ein klassisches naturphilosophisches Konzept, nämlich den ewigen Kreislauf allen Lebens.

Zur Kennzeichnung des Ritualortes kann dieser Kreis mit Steinen, Blättern oder jedem anderen gerade greifbaren Material markiert werden - einige Menschen verwenden weißes Mehl, weil man das auch in Mondnächten noch recht gut sehen kann. Aber bitte mißverstehen Sie mich hier nicht, denn ich, meine wirklich »markieren« und nichts anderes - wenn Sie eine Linie aus Mehl ziehen, haben Sie eine Linie aus Mehl und sonst nichts. Diese Markierung soll Ihnen später nur als Stütze dienen, wenn Sie ihren Kreis tatsächlich ziehen und soll Ihnen und Ihren eventuellen Begleitern auch im weiteren Verlauf des Rituals ermöglichen, genau zu wissen; ob Sie sich: noch innerhalb dieses umgrenzten Bereiches befinden.. Mit der Kennzeichnung allein haben Sie noch keinen Platz »zwischen den Welten« erschaffen„- dazu wird Ihr Kreis erst durch die Kraft Ihrer, Imagination. Da beginnt die eigentliche Magie.

Klingt eindrucksvoll, nicht wahr? »Magie« - ob Sie das auch hinbekommen? Ihnen ist ja durchaus klar, daß Sie den Kreis mit Ihrem Geist bauen müssen, aber wie um alles in der Welt macht man das?

Sie stellen es sich einfach vor: Nein, ernsthaft - das ist alles, was Sie tun müssen! Es ist so einfach. Geniale und zugleich funktionierende Dinge sind in neunzig Prozent aller Fälle sehr schlicht, und hier ist der Schlüssel zum Erfolg so simpel, daß die meisten erfahrenen Leute diesen Punkt einfach vergessen, wenn sie einem anderen, sich erstmals mit Naturmagie beschäftigenden Menschen diesen Vorgang erläutern. Auch mir passiert das immer wieder; also wann immer Sie sich im weiteren Wortlaut dieses Buches dabei ertappen sollten, sich die Frage »Schön, aber wie?« zu stellen, schauen Sie auf dieser Seite nach, da steht es. Stellen Sie es sich einfach vor, und machen Sie sich bitte keine Gedanken darüber, ob so etwas auch funktioniert. Das tut es. Was Ihre Hände in dieser Welt sind, ist Ihre Vorstellungskraft in der anderen.

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Da haben wir wieder so ein imposant, klingendes Wort - »die andere Welt«. Genaugenommen ist diese Bezeichnung eigentlich falsch. Vielleicht haben auch Sie schon einmal gelesen, daß sich diese andere Welt an genau derselben Stelle befände wie die unsere, nur natürlich in einer anderen Dimension. Und daß sie uns ständig umgebe und durchdringe, weil sie ja am selben Ort ist wie unsere Welt. Wahrscheinlich haben Sie das Buch daraufhin zur Seite gelegt und ebenso erfolglos wie ich versucht, ein Konzept zu verinnerlichen, für das unser Verstand einfach nicht geschaffen ist, um es dann einfach dabei zu belassen.

Machen wir es uns doch etwas einfacher: Die andere Welt ist eigentlich gar nicht anders als die uns vertraute, sondern sie gehört zur unseren und befindet sich damit selbstverständlich an derselben Stelle, weil sie dasselbe ist. Es handelt sich um, ein einziges, ganzes Gefüge - von dem wir lediglich ein paar Aspekte mit unseren Augen wahrzunehmen nicht in der Lage sind. Zumindest die meisten von uns nicht. Und so können Sie Ihren mit Vorstellungskraft erschaffenen Kreis aus dem gleichen Grund nicht sehen, aus dem Sie Geräusche im Ultraschallwellenbereich nicht hören können: einfach weil Ihre materiellen Sinne nicht dafür konstruiert worden sind. Zu diesem Zweck haben die Götter Sie mit anderen, feineren Sinnen ausgestattet, die Ihnen mit zunehmender Praxis immer vertrauter werden dürften.

Wie also (Achtung, Fachsprache!) »ziehen« Sie nun den Kreis? Sie stellen sich einfach vor, wie entlang seiner Linie ein schützendes Element entsteht, das Sie in Ihrer Phantasie so lange dort entlangführen, bis es wieder auf sich selbst trifft, was den Kreis schließt. Dabei kann es sich um eine Feuerwand, eine Mauer, einen Wasserfall, eine Art Energiewand oder alles andere handeln, was Ihnen für diesen Zweck geeignet erscheint. Und das war es auch schon.

2. Erdung des Praktizierenden

Das ist ein enorm wichtiger Punkt. Wenn Sie den auslassen, laufen Sie Gefahr, zu einem dieser komischen Typen zu werden, denen man schon von weitem den Esoteriker ansieht - Sie wissen schon, diese Leute mit dem unglaublich bedeutungsvollen Gebaren, die ihren höheren Auftrag bereits im ersten Satz des Gespräches unverlangt vor Ihnen ausbreiten und scheinbar alle Fähigkeiten beherrschen, mit Ausnahme einer ganz bestimmten - über sich selbst lachen zu können. Wenn Sie also nicht ebenfalls so enden wollen, sollten Sie sich schleunigst zum Thema Erdung kundig machen.

Im Verlaufe eines Rituals meint dieser Begriff nichts weiter als eine bestimmte Übung; die Sie unmittelbar nach dem Erstellen des Kreises ausführen sollten. Darüber, hinaus aber beschreibt er eine innere Haltung; die Sie sich immer wieder, am besten täglich, vergegenwärtigen sollten, wenn Sie mit fortschreitender magischer Praxis nicht irgendwann »abheben« wollen. Geerdet sein bedeutet, bei all dem, was Sie auf dieser Reise erkennen, erleben und erreichen werden, niemals zu vergessen, was Sie sind und wo Sie hingehören. Nur für den Fall, daß da Zweifel bestehen: Sie sind ein Mensch und gehören für dieses Leben auf die Erde, und zwar mit beiden Beinen. Weder die Naturphilosophie noch die Naturmagie werden Sie eines schönen Tages in ein leuchtendes Wesen verwandeln und zu höheren Sphären tragen, von denen aus Sie fortan in seligem Glanze erstrahlend das Los der Menschheit beobachten oder gar steuern werden, denn dafür ist dieser Weg nicht da. Ganz im Gegenteil werden Sie mehr und mehr in diese Welt integriert werden; zumindest, wenn Sie es richtig machen. Allerdings könnten Sie im Laufe der Zeit feststellen, daß diese Welt weitaus größer ist und erstaunlichere Dinge enthält, als Sie sich jemals vorzustellen vermochten. Vielleicht werden Sie eines Tages sogar feststellen, worin Ihre Funktion hier wirklich besteht und wie Sie Ihren ureigenen Platz in diesem Gefüge einnehmen können, an dem jene Aufgabe auf Sie wartet, die nur Sie zu erfüllen in der Lage sind, weil sie

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Ihnen bestimmt ist. Allerdings gibt es für jeden Menschen einen solchen Platz und eine solche Aufgabe; nichtsdestoweniger ist beides im Getriebe der Welt sehr wichtig. Mehr Exklusivität kann ich Ihnen nicht bieten. Dafür wird auch niemals das Gewicht des Schicksals der gesamten Welt auf Ihren Schultern lasten. Höchstwahrscheinlich würde Sie das im, Ernstfall sowieso ebenso überfordern, wie mich, also haben. Sie damit auch nicht allzuviel verloren. Vielleicht klingt das seltsam für Sie, aber manchmal gibt es wichtigere Dinge als das Los der Welt, und manchmal werden diese von einem kleinen Angestellten in einem ganz ordinären Supermarkt erledigt, ohne daß dieser auch nur davon weiß. Vergessen Sie niemals, daß die ganze Maschine ohne Ihre Schräubchen nicht funktionieren kann und wertlos ist, und erlauben Sie sich von Zeit zu Zeit, herzlich über sich selbst und diesen gigantischen Witz zu lachen, den wir so ehrfurchtsvoll die Schöpfung nennen. Bedeutung und Verantwortung kehren früh genug wieder zu Ihnen zurück, und dann ist noch immer Zeit, zu seufzen und wieder, mit der Arbeit zu beginnen. Wenn Sie dieses Gleichgewicht aufrecht erhalten können, brauchen Sie sich über Ihre Erdung keine Sorgen mehr zu machen.

Leider haben wir es hier aber mit einer gemeinen Falle zu tun. Dummerweise hält sich gerade ein nicht gut geerdeter Mensch für äußerst realitätsbewußt, nur daß seine Realität eben etwas anders ist als die der anderen. Wenn Sie den Boden unter den Füßen verlieren, sind Sie zumeist der letzte, dem das auffällt. Bis dahin haben Sie sich bereits gründlich lächerlich gemacht und ein paar Freunde verloren, die keine waren. Denen, die jetzt noch übrig sind, sollten Sie gut zuhören, denn von nun an können Sie es sich nicht leisten, sie zu verlieren. Sie brauchen sie nämlich, und vielleicht werden diese Ihre diesbezüglichen Dienste auch einmal benötigen. Dann können Sie sich mit demselben Humor revanchieren, der auch Sie gerade wieder auf den Boden zurückholt - und Ihre Ehre ist auch gerettet.. Schau an; wir sind doch alle Menschen, nicht mehr, aber auch auf keinen Fall auch nur einen Deut weniger!

Es gibt ein paar Hilfsmittel, mit denen Sie Ihre Erdung unterstützen können. Zuallererst einmal wirken Sie jeder verdächtigen Rückzugstendenz, die nicht zeitlich begrenzt ist und bewußt Ihrer Selbstklärung dient, energisch entgegen. Interessieren Sie sich für die Welt! Sehen Sie die Nachrichten; verfolgen Sie Ereignisse, die Sie berühren und halten Sie sich auf dem laufenden. Suchen Sie sich einen Fachbereich, der Sie interessiert, und sehen oder hören Sie sich regelmäßig Sendungen dazu an oder lesen Sie. Es ist völlig unwichtig, ob es sich dabei um Wirtschaft, die Wissenschaften, soziale Belange oder etwas anderes handelt, sondern nur, daß Sie dabei nicht gerade vor Langeweile einschlafen. Sie müssen sich nicht für Politik interessieren, es gibt genug Menschen, die das tun, und es ist deren Aufgabe, diesen Bereich zu beobachten. Ihre Aufgabe liegt. in dem, was Sie interessiert. Also seien Sie offen für diese Welt und das, was Sie darin spannend finden; nehmen Sie teil, diskutieren Sie darüber und werden Sie dabei ruhig ein wenig emotional. Keine Angst, es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einem faszinierenden, mitreißenden Menschen und einem Choleriker!

Eine weitere Möglichkeit, sich zu erden, besteht in der Ausübung körperlicher Tätigkeiten. Falls Sie von Beruf Bauarbeiter, Landschaftsgärtner oder Profisportler sein sollten, können Sie diesen Absatz getrost überspringen - eine Sache weniger, um die Sie sich kümmern müssen. Fall Sie Ihren Lebensunterhalt allerdings vornehmlich am Schreibtisch, -an der Kasse oder im Auto bestreiten und kein sportliches, Hobby haben, sollten Sie sich über diesen Punkt vielleicht den einen oder anderen Gedanken machen - wenn schön nicht der Erdung halber, dann wenigstens Ihrer Wirbelsäule zuliebe. Erdung bedeutet, im Hier und Jetzt, in dieser Welt und in diesem Körper zu sein. Gerade letzteres erreicht man recht schnell durch körperliche Betätigungen. Wichtig ist hier nicht die Menge, sondern die Regelmäßigkeit dessen, denn bei der Erdung handelt es sich um einen steten Prozeß, der sich dauernd weiterentwickelt - wie sooft sind also auch hier zwanzig Minuten pro Tag effektiver als drei Stunden am Wochenende. Einige

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Gruppen, die ich kenne, verwenden einen kurzen und ausgelassenen gemeinsamen Tanz- zu Beginn des Rituals als Erdungsübung. Das kann gerade dann, wenn man zu mehreren ist, eine Menge Spaß machen!

Auch mit Visualisationsübungen können Sie Ihre Erdung wesentlich verbessern, und aufgrund ihrer Wirksamkeit und, des geringen damit verbundenen Zeitaufwands werden sie zumeist am Beginn eines Rituals eingesetzt. Die bekannteste, Erdungsübung ist. wohl. der Baum.

Übung: Die Baumerdung

• Stellen Sie sich entspannt und aufrecht hin, die Füße haben einen Abstand, der in etwa Ihrer Schulterbreite entspricht. Die Knie sind leicht gebeugt - gerade soviel, daß sie nicht blockieren. Das Becken neigt sich dadurch ein wenig nach vorne; ganz so, als. wenn an Ihrem Beckenboden ein Seil befestigt wäre, über das ein sanfter Zug nach vorn ausgeübt wird. Rücken und Nacken sind locker aufgerichtet, und ein zweites Seil scheint den höchsten Punkt am Scheitel Ihres Kopfes leicht hinauf zu heben: Die Arme hängen locker an Ihren Seiten herab.

• Atmen Sie gleichmäßig, in den Bauch hinein. Nun stellen Sie sich vor; wie aus Ihren Füßen Wurzeln wachsen, die sich in den Boden unter Ihnen versenken. Zuerst graben sie sich in die lockere Erde, dann treffen sie auf Lehm, den sie mühelos überwinden. Dann geraten sie in kiesigen Grund und durchqueren unterirdische Wasserreservoirs. Sorgsam schlängeln sie sich nun an großen, Gesteinsblöcken vorbei und finden immer einen Weg; schließlich vereinen sie sich mit dem Feuer im Erdinneren. Gehen Sie nun in Ihrer Vorstellung an diesen Wurzeln entlang in Ihren Körper zurück und stellen Sie sich vor, wie Sie zu einem festen, gesunden Stamm werden, aus dem eine runde, volle Baumkrone wächst. Lassen Sie die Kröne größer und mächtiger werden; bis sich ihre Zweige in den weiten Himmel recken. Vögel kommen geflogen und lassen sich vergnügt zwitschernd in diesem wunderschönen Baum nieder. Genießen Sie den Wind, der sanft durch Ihre Äste streicht und .den warmen Sonnenschein auf Ihren Blättern. Spüren Sie, wie schön es ist, ein Baum zu sein.

• Gehen Sie nun mit Ihrer Aufmerksamkeit wieder in Ihre Wurzeln und stellen Sie sich vor, wie die Kraft der uralten, lebensspendenden Erde in diese eindringt und durch sie hinaufsteigt, immer weiter und höher, durch Ihren Stamm hindurch und bis in jeden einzelnen Ast hinein, von wo aus die Kraft Ihren Baumkörper verläßt und in den Himmel aufsteigt. Dort vereint sie sich mit dem Licht der Sonne und kehrt gemeinsam mit diesem wieder über Ihre Blätter und Äste und Ihren Stamm zurück, um durch Ihre Wurzeln in die Erde zurück zu fließen. Sie befinden sich im Zentrum eines wunderbaren Kreislaufs zwischen Himmel und Erde und dienen beiden als Kanal sowie Vermittler zugleich:

• Wenn Sie die Übung beenden möchten, geben Sie alle überschüssige Energie an die Erde ab und behalten Sie nur das, was Sie brauchen. Sie merken schon, wieviel das sein sollte. Dann lassen Sie die Vorstellung langsam verblassen und beginnen Sie vorsichtig, sich zu bewegen.

Falls Sie diese Übung in einem geschlossenen Raum machen, führen Sie Ihre Wurzeln zunächst durch den Fußboden, eventuelle Räume darunter und das Fundament des Hauses, bevor Sie in die Erde eintreten. Das geht ganz leicht und problemlos.

Je öfter Sie diese Übung im Freien ausführen, desto mehr wird Ihre Fähigkeit wachsen, den

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momentanen Zustand und die augenblickliche Stimmung, der Sie umgebenden Natur wahrzunehmen, und Sie, werden mehr und mehr am freudevollen Austausch der Energien dort draußen teilhaben können. Auch auf diese Weise bauen Sie eine fröhliche Kommunikation mit der Natur auf.

3. Herstellung eines Kontaktes zu den umgebenden Energien

Wie ich bereits erwähnte, ,geht die Naturmagie von der Belebtheit und Bewußtheit der gesamten Natur aus. Vielen Menschen, die eine Naturreligion praktizieren, erscheint dieses Bewußtsein in viele einzelne Sphären unterteilt, die sich zwar individuell verhalten, aber dennoch ständig als Teil des größeren Ganzen wahrnehmen. Diese Sphären haben im Laufe der Jahrtausende und in verschiedenen Regionen der Erde die unterschiedlichsten Bezeichnungen erhalten; uns sind vielleicht die Begriffe Elementarwesen, Elfen, Devas oder eventuell auch Engel am geläufigsten. Allen gemeinsam sind gewisse Steuerungsfunktionen innerhalb der Natur und Ihre Hilfestellung bei der menschlichen Bewußtseinsentwicklung. Man könnte sagen, sie sorgen dafür, daß alles läuft.

In einem naturmagischen Ritual wenden wir uns nun an diese Wesen, begrüßen sie, teilen ihnen mit, was wir heute vorhaben und laden sie ein, an unserem Ritual teilzuhaben. Eventuell bitten wir sie auch um ihren Schutz. Das kann auf ganz einfache Weise geschehen, indem Sie sich ein wenig auf Ihre Umgebung konzentrieren und diese zu erspüren versuchen. Dann senden Sie Ihre Gedanken mit einem Gruß hinaus und erzählen den Wesen, was Sie ihnen zu sagen haben. Übrigens hat es sich oft als vorteilhaft erwiesen, auch dann, wenn man ein Ritual ausführt, laut zu sprechen. Die rein gedankliche oder gar emotionale Kommunikation setzt voraus, daß Sie sich beim Denken nicht von Ihrer Botschaft ablenken lassen, denn sonst könnte diese »zerfasern«. Es fällt einfach leichter, sich auf das gesprochene Wort zu konzentrieren, auch und gerade wenn dies nicht sehr laut geschieht: Auch Elfen mögen es nicht, wenn man sie anbrüllt - und sie haben verflixt gute Ohren!

Viele naturreligiöse Traditionen unterteilen diese Kontaktaufnahme in vier Bereiche, die den vier Himmelsrichtungen entsprechen. Dadurch entsteht folgende Einteilung:

Osten das Element Luft; Luft in allen Erscheinungsformen; die Sylphen; Geist, Verstand, rationales Denken, der Morgen

Süden das Element Feuer; Feuer in allen Erscheinungsformen; die Salamander; Leidenschaft, Transformation, Reinigung; der Mittag

Westen das Element Wasser; Wasser in allen Erscheinungsformen; die Nymphen; Gefühle, Intuition; Fruchtbarkeit; der Abend

Norden das Element Erde; Erde in allen Erscheinungsformen; die Zwerge; Weisheit, Alter, Materie; die Nacht

Sie können diese Methode oder eine eigene verwenden - wichtig ist nur, daß es funktioniert und Sie sich damit wohl fühlen.

4. Bewußtwerdung des und Kontaktaufnahme mit dem universalen schöpferischen Prinzip

Wenn Sie bis hierher gekommen sind, kann ich wohl davon ausgehen, daß es für Sie sehr wohl ein kosmisches Prinzip gibt, dem Sie eine kreative wie auch ordnende Funktion in diesem Universum zuerkennen - ob Sie dies nun Gott, die Götter, den universalen Logos, die Urkraft oder wie auch immer nennen, ist in diesem Zusammenhang völlig bedeutungslos. Wichtig ist nur, daß Sie bitte sofort damit aufhören; in naturmagischen Büchern nachzulesen, wie man

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dieses Was-nunauch-immer korrekt und möglichst eindrucks v oll anruft. Dieser Teil eines jeden, Rituals ist der persönlichste von allen, und niemand hat das Recht, Ihnen vorzuschreiben, wie man ihn ausführt.

Was genau ist aber nun eine Anrufung? Nun, da scheiden sich die Geister: Die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, sind vielfältig; und Sie sind wie immer am besten beraten, wenn Sie die Ihnen angenehmste Form wählen. Meist genügt ein Gebet, in dem Sie Ihre persönliche Gottheit begrüßen, einladen und um Schutz bitten. Viele naturmagische Traditionen rufen ihre Götter direkt in ihren Priester hinein, der nun als Gefäß und Bote fungiert, aber das will gelernt sein und ist meiner Ansicht nach meistens auch gar nicht notwendig. Die Götter sind überall und können sehr gut auch vom nächsten Baum aus zuhören: Und auch um ihrerseits mit Ihnen Kontakt aufzunehmen, benötigen sie meiner Erfahrung nach, nicht unbedingt einen menschlichen Leihkörper- wir müssen nur das Zuhören lernen, und das ist gar nicht so schwer; wie es jetzt vielleicht scheint. In der Tat wächst diese Fähigkeit mit zunehmender Ritualpraxis von selbst. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß Sie Ihren inneren Zensor solange zu Hause lassen. Vergessen Sie nicht: Der Kreis ist ein Raum, in dem Dinge vorfallen können, die im Alltagsleben eher weniger zu suchen haben; also fahren Sie am besten, wenn Sie sich im Ritual Ihren eigenen Gedanken und vor allem inneren Bildern gegenüber sehr offen verhalten. Lassen Sie es zu, daß in Ihnen Assoziationen und Vorstellungen entstehen und betrachten Sie diese vorbehaltlos. Wenn vor Ihrem geistigen Auge Personen oder Wesenheiten erscheinen sollten, verhalten Sie sich respektvoll und sprechen Sie mit Ihnen, denn auf diese Weise kommuniziert die unsichtbare Welt sehr gerne. Auch plötzliche Ideen und Eingebungen können sehr wichtig sein.

Es ist allerdings immer hilfreich, wenn Sie sich zunächst ein wenig über jene Wesenheiten, mit denen Sie Kontakt aufnehmen wollen, informieren. Dieses Wissen kann Ihnen helfen, sich auf die betreffende Kraft »einzuschwingen« und zu vermeiden, daß Sie plötzlich mit etwas konfrontiert werden, das Sie sich so eigentlich gar nicht vorgestellt haben. Es ist nun einmal nicht unbedingt zielführend, Mars um Frieden in der Familie zu bitten .:.

5. Ausführung des persönlichen Anliegens

An diesem Punkt des Rituals tun Sie das, weswegen Sie sich die ganze Mühe ursprünglich gemacht haben. Jetzt können Sie ein Fest feiern, um etwas bitten, Dank sagen oder alles andere tun, das Sie in diesen Kreis geführt haben mag. Nähere Informationen dazu finden Sie in den nächsten Kapiteln.

6. Dank an das universale schöpferische Prinzip sowie Beendigung des Kontaktes damit

Wenn Ihr Ritual seinen Zweck erfüllt hat, drehen Sie sich bitte nicht einfach um und verlassen den Kreis. Ihre nichtmateriellen Gäste verdienen ebenso ein Lebewohl wie die Menschen, mit denen Sie zusammen gefeiert haben mögen. Danken Sie Ihrer Gottheit oder Ihren Gottheiten für deren wohlwollende Aufmerksamkeit und verabschieden Sie sich von Ihnen mit Ihren eigenen Worten,

7. Dank an die umgebenden Energien sowie Beendigung des Kontaktes

Dasselbe gilt natürlich für die Elementarwesen; beenden Sie den Kontakt auch hierauf freundliche und respektvolle Weise. Dies dient auch der Wiedereinbindung Ihrer selbst in den Alltag, der Sie auf der anderen Seite der Kreislinie erwartet. Sie können all diese Wesenheiten zwar bitten, Sie auch weiterhin zu umgeben, zu lehren und zu schützen, aber Ihre momentane,

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sehr enge und einzigartige Verbindung zu ihnen würde Sie dort draußen nur einschränken oder ablenken. Es gibt für alles eine Zeit; Ihre Zeit der innigen Einheit mit allen Sie umgebenden Wesen ist nun vorbei. Akzeptieren Sie das und verabschieden Sie sich - Sie können ja jederzei t zurück kommen!

8. Öffnung des abgegrenzten Bereichs

Bedanken Sie sich bei dem Element, das Ihren Kreis gebildet hat und stellen Sie sich vor, wie es seine Position daraufhin verläßt. Wie das geschieht, ist nicht so wichtig, es sollte nur nichts davon auf der Kreislinie verbleiben. Eine Ausnahme bilden Kraftorte, die Sie regelmäßig besuchen oder als Ritualort verwenden; dort können Sie einen schwachen Kreis verbleiben lassen, der aber niemanden und nichts daran hindern darf, diesen Ort zu betreten oder zu verlassen. Am besten überlassen Sie die Wahl der Natur eines solchen Kreises dem Ort und seinen dort ansässigen Wesenheiten selbst. Ich persönliche halte es bei Ritualen mit feinstofflichen Dingen ebenso wie mit den materiellen Gegenständen: Wenn ich einen Platz verlasse, hat er so auszusehen wie er war, als ich dort eingetroffen bin, auf materieller Ebene genauso wie auf der feinstofflichen. Es mag ja sein, daß ich meine Energiekreise für etwas sehr Hilfreiches halte, aber ein Gnom, der an diesem Ort wohnt und von mir übersehen wurde, ist da vielleicht ganz anderer Meinung. Immerhin ist das seine Wohnung!

Solorituale

Die Vorschläge für Rituale, die man heute in den meisten Büchern findet, sind für eine Gruppe von drei bis dreizehn Menschen konzipiert; dies läßt sich für viele von uns jedoch nicht umsetzen. Aufgrund des eher verschrobenen Rufs; den naturreligiöse Elemente nun mal noch immer in unserer meist nicht informierten Öffentlichkeit haben; finden Treffen unter ihren Anhängern eher informell oder gar zufällig statt. Vielleicht möchten Sie auch Ihre Reise gar nicht mit einem oder mehreren Gefährten antreten oder spüren das Bedürfnis, sich eine Zeit lang nur mit sich selbst auseinanderzusetzen. Aus diesen Gründen werden Sie im vorliegenden Buch keine detaillierten Ritualbeschreibungen finden, sondern ich werde vielmehr versuchen, Sie mit den Hintergründen einzelner Ritualanlässe sowie dem Schreiben des dazugehörigen Ablaufs auf eine Weise vertraut zu machen, die es Ihnen ermöglichen soll, selbst für jede Situation geeignete Vorschläge zu entwickeln.

Zum Soloritual wären nun ein paar Dinge anzumerken. Vielleicht haben Sie bereits das eine oder andere Buch zum Thema Naturreligion gelesen und fasziniert die komplexen Feste darin bestaunt; eine solche Vielfältigkeit ist aber nur dann sinnvoll, wenn die dazugehörigen Aufgaben auf mehrere Personen verteilt werden. Natürlich können Sie auch all diese Punkte nacheinander selbst ausführen, aber das erfordert sehr viel Energie, Erfahrung und ist manchmal auch sehr anspruchsvoll. Sie können durchaus einen Gott und eine Göttin gleichzeitig in sich hineinrufen, aber das tun selbst »alte Hasen« nur selten und ungern alleine. Das Wichtigste bei der Durchführung von Ritualen ohne weitere Menschen ist, sich nicht zu überfordern; halten Sie Ihre Ausführungen schlicht und geradlinig. Nehmen Sie sich für eine einzige Feier nie zu viel vor; bringen Sie immer nur ein Anliegen ein. Auf diese Weise nehmen Ihre Rituale keinen ganzen Tag in Anspruch, und Sie schaffen sich ein positives Erlebnis, das Sie gerne wiederholen werden.

Üben Sie die Grundelemente wie das Ziehen des Kreises und die Erdung regelmäßig, bis Sie es beherrschen: Bald werden Ihnen diese Punkte sehr schnell von der Hand gehen, denn sie stellen nur den Rahmen des Rituals dar und sollten bezüglich des dafür benötigten Zeit- wie auch Kraftaufwands den eigentlichen Zweck der Feier nicht übertreffen. Lernen Sie auch, die Worte,

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mit denen Sie die Wesenheiten der Elemente oder Ihre Gottheiten rufen, zu improvisieren - Ihre eigenen, ehrlich empfundenen Worte sind sowieso die besten. Es gibt keinen richtigen Weg, dies zu tun, sondern nur den besten, und das ist immer jener, in dem Sie sich am wohlsten fühlen.

Konzentrieren Sie Solorituale auf einige wenige Symbole, Gegenstände und Handlungen. Vergessen Sie nicht, daß es an Ihnen alleine liegt, die notwendige Energie und Hingabe aufzubringen; das fällt über einen längeren Zeitraum hinweg jedem Menschen schwer, sei er auch noch so erfahren darin.

Es gibt ein paar Dinge, die Sie alleine nicht unternehmen sollten, zumindest nicht am Anfang; dazu gehören tiefe Trancen oder Visionen. Sollte Ihnen etwas in dieser Art unbeabsichtigt widerfahren, lassen Sie es ruhig zu; Ihre Seele wie auch die Sie umgebenden Wächter wissen schon, was gut für Sie ist. Aber bitte versuchen Sie zu Beginn niemals, solche extremen Bewußtseinszustände alleine hervorzurufen, denn dabei kann man leicht »verloren gehen«, was im Nachhinein aufgrund von Verwirrung oder Orientierungslosigkeit Probleme verursachen kann. Viele naturmagische Traditionen halten die Begleitung eines in Trance befindlichen Menschen durch einen Freund für ein absolutes Muß, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Anfänger oder einen erfahrenen Reisenden handelt.

Wem oder was immer Sie auch begegnen, seien Sie stets höflich und versuchen Sie nie, etwas zu erzwingen. Wenn Ihnen in einer Trancereise der Zutritt zu einem bestimmten Bereich verwehrt wird, dann bedanken Sie sich für die Warnung und gehen Sie fort - was immer Sie auch dahinter vermuten.

Die magische Trance

Trancen eignen sich hervorragend, um Kontakt mit allen möglichen Ebenen des Lebens aufzunehmen, und da Sie höchstwahrscheinlich früher oder später von selbst in eine hineingeraten werden, erzähle ich Ihnen lieber gleich, was es damit auf sich hat.

Die Zustände der Trance, Meditation, tiefen Entspannung sowie des Traums haben alle eines gemeinsam: eine Veränderung der Hirnwellenaktivität. Dies ist also an sich nichts Neues für Sie, denn diese Veränderung durchläuft Ihr Gehirn mehrmals pro Nacht. Aber auch tagsüber stellen sich solche Muster oft spontan ein, nämlich immer dann, wenn Sie sich dabei ertappen, wie Sie völlig in sich versunken und ohne zu blinzeln einen unbestimmten Punkt anstarren, während Sie über irgend etwas nachdenken. Diesen Zustand kennen Sie? Na prima, das ist schon alles. Und jetzt versuchen Sie doch bitte mal eben, genau diese Situation herzustellen.

Klappt nicht auf Anhieb? Das dachte ich mir. Auch ich kann das nicht immer ohne einige Vorbereitungen einfach »herbefehlen«, aber der Trick ist ganz einfach. Sie werden vielleicht bemerkt haben, daß ich es vorziehe, wenn Sie über das, was Sie tun, gründlich Bescheid wissen; deshalb folgt nun eine kurze Einführung in das Thema »Gehirnaktivitäten«.

Trancezustände wurden lange als abergläubischer Humbug betrachtet. Glücklicherweise ist es der Wissenschaft wie auch in anderen Fällen »magischer Phänomene« mittlerweile endlich gelungen, eine Ausrüstung zu entwickeln, mit der sie etwas messen kann, das auch ohne die Meßgeräte schon immer da war: die elektrischen Ströme des Gehirns. Diese sind nicht immer stetig; sondern verändern sich in regelmäßigen Abständen und werden deshalb als Hirnwellen bezeichnet. Interessanterweise verändert sich deren Frequenz (also die Häufigkeit ihres Auftretens innerhalb eines bestimmten Zeitraums) je nachdem, was wir gerade tun. Mittlerweile unterscheidet man vier verschiedene Frequenzbereiche:

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Betarhythmus 14 bis 30 Wellen pro Sekunde, die im körperlich wie auch geistig wachen Zustand, während physischer Aktivitäten sowie in Begleitung von Angst; Freude oder Spannung auftreten.

Alpharhythmus 7 bis 14 Wellen pro Sekunde. Hier ist der für uns interessante Bereich, denn mit diesem Muster stehen Entspannung, Meditation, Traum, und Trance in Verbindung.

Thetarhythmus 4 bis 7 Wellen pro Sekunde. Sie finden sich zumeist in Zuständen der Schläfrigkeit oder tiefen Ruhe, aber auch bei Euphorie.

Deltarhythmus 1 bis 3 Wellen pro Sekunde; die im tiefen, traumlosen Schlaf auftreten.

Man, könnte den Alphazustand also gut als Übergang vom Wachsein zum Schlaf bezeichnen, und tatsächlich wird er dort auch angemessen. Er vereint sozusagen das Beste beider Welten in sich, denn mit der seelischen Öffnung und körperlichen Entspannung bleibt die geistige Bewußtheit noch eine Zeitlang erhalten - bis man in den Thetarhythmus und damit in den Schlaf gleitet. We r die Kunst beherrscht, das Alphamuster auch im nicht schläfrigen Zustand herzustellen, läuft nicht Gefahr, während seines Rituals sanft ins Land der Träume zu entschwinden und eröffnet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, denn fast alle »magischen« oder »parapsychologischen« Fähigkeiten treten in diesem Zustand auf. Das war schon immer so und ist etwas Natürliches im wissenschaftlichen Sinne des Wortes, wir dürfen es heute also glauben, weil es endlich bewiesen werden kann. In diesem Zwischenland finden jene Erfahrungen statt, die man gemeinhin unter den Bezeichnungen »Telepathie«; »Hellsicht« oder »Zukunftsvorausschau« kennt - eben das klassische Handwerkszeug einer jeden Hexe. Dazu gehören auch außerkörperliche oder mystische Erlebnisse. Alle haben miteinander gemeinsam, daß sie eine Form der Kommunikation darstellen, die sich von der unseres wachen Alltagsbewußtseins insofern unterscheidet, als sie ganzheitlich ist. In diesem Zustand können Sie besser als nirgends sonst erleben, daß die Welt tatsächlich eins ist. Jegliches naturmagische Erleben steht und fällt mit diesem Himwellenrhythmus, ganz gleich, ob Sie ihn nun bewußt oder unbewußt einleiten. Für viele Menschen genügt bereits eine gut durchgeführte Entspannungs- und Erdungsübung am Beginn eines Rituals, aber ich möchte erreichen, daß Sie bewußt zu unterscheiden lernen, wann Ihr Gehirn in welchem Muster schwingt. Deshalb kann es auf jeden Fall lohnend sein, zu lernen, den Alphazustand an- und wieder auszuschalten - und das teilweise buchstäblich wie mit einem Lichtschalter, denn manchmal werden Sie nicht über die für die übliche Einleitung notwendige Zeit verfügen. Wenn Sie sich die weiter unten angeführte Übung zu eigen machen, werden Sie auch die Möglichkeit eines »Schnelleintritts« in diesen Zustand haben - vor allem bei der Parkplatzsuche vor einem belebten Einkaufszentrum kann dies von enormer Hilfe sein!

Wie aber funktioniert diese andere Form der Kommunikation? Der Grund dafür, daß man im Alphazustand Zugriff auf normalerweise, nicht erhältliche Informationen erlangt, ist einfach die holographische Struktur des Gehirns, welcher der berühmte Neurophysiologe Karl Pribram in den sechziger Jahren an der Universität von Stanford auf die Spuren kam. Er fand heraus, daß unser Gehirn Erinnerungen auf holographische Weise lagert. Man wußte zu diesem Zeitpunkt bereits, daß das Hirn die Erinnerungen des Menschen scheinbar willkürlich über das ganze Hirn zu verteilen scheint, aber niemand konnte erklären, wieso diese Erinnerungen unter Zugriff auf nur einen Hirnbereich wieder aktiviert und ins Tagesbewußtsein geholt werden können. Pribram ergänzte die diesbezüglichen Forschungen um die Hypothese des holographischen Gehirns und nahm an, daß Nervenimpulse im gesamten Gehirn eine Art Netz aus Informationen weben. Von dieser Hypothese ist es nur ein kleiner Schritt zur Annahme, daß unser gesamtes Universum holographischer Natur ist; ein Hologramm also, in dem das Gehirn nur einen Teilabschnitt darstellt. Unter dieser Voraussetzung stellt der Zugriff auf alle im Universum enthaltenen

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Informationen kein magisches Wunder, sondern eine natürliche Selbstverständlichkeit dar, denn als Teil des gesamten Hologramms beinhaltet unser Gehirn eben auch all diese Informationen. Im Alphazustand sind darüber hinaus unser Ego sowie der innere Zensor nahezu inaktiv; dies ermöglicht uns, Dinge zu tun und die Welt auf eine Weise zu erleben, wie es uns im Alltag niemals gelingen kann. Diese Trennung ist jedoch sinnvoll und notwendig, denn während des Alpharhythmus richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf andere Wahrnehmungsebenen als sonst, und wir neigen dazu, wichtige Dinge außer acht zu lassen. Erinnern Sie sich an das Beispiel mit der gedankenversunkenen Blickstarre? In solchen Momenten kann Sie jemand mehrmals ansprechen, aber Sie werden ihn vielleicht nicht hören - das ist hier noch kein Problem, wird aber ein sehr ungesunder Zug, wenn man sich gerade mitten im Straßenverkehr befindet. Der Betazustand des Alltags dient der Garantierung unserer Sicherheit sowie unseres Überlebens, und deshalb ist es von großer Bedeutung, die bewußte Einleitung des Alphamusters zu erlernen,- und wenn es nur darum geht, es als solches wahrnehmen und vor der Beendigung einer Trance oder eines Rituals wieder abstellen zu können.

Der Schlüssel zu diesem Zustand sind die Farben. Letztendlich sind alle Informationen, die das Universum enthält, in Form von Lichtenergie gespeichert, und so können wir mit unterschiedlichen Lichtvarianten auch unterschiedliche Informationen vermitteln. Interessanterweise ist gerade die Zirbeldrüse besonders empfänglich für Lichteinstrahlungen - und die befindet sich auf Höhe des dritten Auges, jenem Punkt auf der Stirnmitte zwischen den Augenbrauen, der in enge Verbindung mit nichtalltäglichen Wahrnehmungen gebracht wird.

Die Problematik bei der Erreichung und Aufrechterhaltung des Alpharhythmus liegt weniger im Zugriff darauf - der ist recht einfach - sondern in der Bewertung dieses besonderen Bewußtseinszustandes. Bedauerlicherweise werden damit verbundene Phänomene wie Tagträume und geistige Abwesenheit als negativ betrachtet; tatsächlich jedoch stellen sie das Tor zu einem enormen Reichtum an Fähigkeiten sowie Möglichkeiten dar, die jedoch aufgrund ihrer Dominanz der rechten Gehirnhälfte völlig mißachtet werden: Unsere Kultur schätzt die lineare, analytische Funktionsweise der linken Hirnhemisphäre als wesentlich wertvoller ein,, was für mich persönlich absolut unverständlich ist - meiner Ansicht nach können wir es uns gar nicht mehr leisten, auf unser hellsichtiges, kreatives und ganzheitsfähiges Potential zu verzichten, denn unser weltweites Überleben hängt heute mehr denn je von der Nutzung eben jener Möglichkeiten ab.

Bitte machen Sie sich jetzt keine Illusionen - auch wenn, die Beschreibung der Potentiale des Alphazustands ziemlich blumig klingen mag, ermächtigt Sie auch die beste Trance nicht zu einer Umkehr der Naturgesetze. All das hat seine Grenzen, und auch nach dem Erlernen dieser Technik werden Sie Ihren Unterhalt noch mit Ihren eigenen Händen oder Ihrem eigenen Kopf verdienen müssen; es kann allerdings sein, daß sich dies dann etwas müheloser und freudvoller abspielt, je nachdem, wozu Sie dieses Tor einsetzen.

Die nachfolgende Übung zum Erreichen des Alphazustandes sollten Sie zunächst täglich absolvieren, ohne im Zustand selbst viel zu unternehmen. Werden Sie erst einmal sicher darin, denn auf diese Weise ersparen Sie sich Enttäuschungen, wenn es später an die Arbeit geht. Die Übung wird von unterschiedlichsten Gruppen aus therapeutischen wie auch esoterischen Kreisen in einigen wenigen Varianten gelehrt, diese besondere hier aber stammt von Laurie Cabot. Ich habe sie immer als besonders wirksam empfunden.

Übung: Der Alphazustand

• Bitte machen Sie sich mit dem gesamten Ablauf gut vertraut, denn während der Übung

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selbst können Sie nicht nachlesen; wie es denn nun weitergeht.

• Suchen Sie sich einen ungestörten Ort und sorgen Sie dafür, daß er auch ungestört bleibt - hängen Sie ein „ Bitte nicht stören«- Schild an die Tür und ziehen Sie den Telefonstecker. Nun machen Sie es sich bequem, schließen die Augen und verbringen ein oder zwei Minuten damit, sich zu entspannen und tief, aber natürlich zu atmen. Wenn Ruhe in Ihnen eingekehrt ist, stellen Sie sich vor Ihrem inneren -dritten - Auge einen Bildschirm oder. eine Projektionsfläche vor; eine einfache weiße Leinwand gen ü gt auch. Was es auch immer ist, es befindet sich genau in Augenhöhe etwa einen halben Meter vor Ihnen. Vielleicht umschließt die Leinwand auch Ihren ganzen Kopf, aber die meisten Menschen nehmen hauptsächlich das wahr, was vor ihnen abläuft.

• Eventuell fangen Ihre Augen an, herumzurollen und ein wenig zu »flattern«, aber das braucht Sie nicht zu verunsichern. Dies entspringt lediglich unserer Überzeugung, nur mit geöffneten Augen sehen zu können. Wenn Sie eine Zeitlang Erfahrungen mit den Sehfähigkeiten Ihres inneren Auges gemacht haben, wird dies von selbst aufhören.

• Nun stellen Sie sich auf dem Schirm vor Ihrem inneren Auge eine rote Sieben vor. Falls es damit Schwierigkeiten geben sollte, versuchen Sie es einfach mit einem roten Feld, und setzen Sie die Sieben darauf, wenn das Feld deutlich sichtbar ist. Vielleicht stellen Sie sich zunächst einfach einen Gegenstand vor, der üblicherweise rot ist - ein Feuerwehrauto, einen Feuerlöscher oder ein Herz - und übertragen diese Farbe dann auf Ihren inneren Bildschirm. Sollte Ihnen die Imagination von Farben generell Probleme bereiten, können Sie dieses Verfahren auch bei den folgenden Schritten anwenden.

Halten Sie die Vorstellung der roten Sieben einen Moment lang aufrecht und lösen Sie sie dann auf. Nun erschaffen Sie vor Ihrem inneren Auge eine orangefarbene Sechs, die Sie auch einen Augenblick betrachten und dann loslassen: Danach folgen eine gelbe Fünf, eine grüne Vier, eine hellblaue Drei, eine tiefblaue Zwei (indigofarben) und zum Schluß eine violette Eins. Auf diese Weise sind Sie alle Spektralfarben in der Reihenfolge des Regenbogens durchgegangen, und das etwas leichtere Violett am Ende hält im Gegensatz zum dunkleren Indigoblau Ihre Konzentration leicht und aufrecht. In der germanischskandinavischen Mythologie stellt der Regenbogen, genannt Bifrost, die Brücke zwischen der Welt der Menschen und jener der Götter dar - Sie befinden sich nun am Fuße genau dieser Brücke zwischen den Welten.

Nun stabilisieren Sieden erreichten Zustand, indem Sie, ohne Farben von Zehn bis Eins zurückzählen; dann sagen Sie sich selbst in etwa das folgende: "Ich bin jetzt im Alphazustand (oder am Fuße der. Regenbogenbrücke, zwischen den Welten etc.). Alles, was ich nun tue, wird genau und richtig ausgeführt sein. So ist es." Finden Sie eine Formulierung, die diese Zusammenhänge auf die für Sie treffendste Weise zum Ausdruck bringt und verwenden Sie diese immer. Wenn das getan ist; können Sie sich der von Ihnen gewählten Aufgabe zuwenden.

Wenn Sie Ihre Arbeit beendet haben, achten Sie immer sorgfältig darauf, sich wieder bewußt in den normalen Alltagszustand des Bewußtseins zurückzuführen. Die entsprechenden, nun folgenden Anweisungen können Sie auch dann ausführen, wenn Sie dazu neigen, während Ihrer täglichen Verrichtungen unvermittelt in den Alpharhythmus zu fallen und dann Schwierigkeiten haben, sich auf die Außenwelt zu konzentrieren.

Löschen Sie alles, was sich auf Ihrem inneren Bildschirm befinden mag. Dann reinigen Sie sich von jeder schädlichen oder ungesunden Schwingung, die Sie im Alphazustand aufgefangen oder bereits mit in ihn hineingebracht haben sollten, indem Sie eine Ihrer Hände - die Wahl bleibt

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Ihnen überlassen - mit dem Körper zugewandter Handfläche einige Zentimeter über den höchsten Punkt des Kopfes, also über das Kronenchakra, bringen und von dort aus in einer einzigen, schwungvollen Bewegung vor Ihr Gesicht, Ihren Hals entlang und über Ihren Magen bis, zum Solarplexus (knapp über dem Bauchnabel) führen. Dort drehen Sie die Handfläche nach außen und schieben sie kraftvoll vom Körper weg. Auf diese Weise nehmen Sie alles, was Ihnen schaden oder Sie krank machen könnte, mit Ihrer Hand auf und stoßen es dann von sich fort. Dann sagen Sie zu sich selbst einen Satz in etwa dieser Art: "Ich bin völlig klar und gesund. Ich gebe mir Klarheit und Gesundheit." Bitte tun Sie das routinemäßig vor Beendigung jedes Alphazustandes. Erinnern Sie sich daran, was ich im zweiten Teil dieses Buches über die, menschliche Fähigkeit, emotionale Schwingungen von außen aufzunehmen, sagte? Während Sie sich zwischen den Welten befinden, verstärkt sich dieser Effekt noch um etliches. Versichern Sie sich auf diese Weise einfach, daß Sie nichts mitgebracht haben, was am Fuße der Regenbogenbrücke zwar kein Problem für Sie darstellt, sich im Alltag aber als belastend herausstellen könnte. Außerdem arbeiten Sie, so jedesmal, wenn Sie aus dem Alphamuster auftauchen, aktiv an der Herstellung sowie Erhaltung Ihrer gesamten Gesundheit mit - und alleine die daraus resultierenden positiven Effekte auf Ihr: Wohlbefinden sind den Aufwand schon wert!

• Danach zählen Sie langsam von Eins bis Zehn und führen dann die Imagination der Zahlen Eins bis Sieben samt der dazugehörigen Farben durch, nur daß Sie diesmal mit der Eins beginnen und der Sieben aufhören - schließlich wollen Sie ja nicht in den Tiefschlaf fallen, sondern sich wach und erfrischt wieder, der äußeren Welt zuwenden. können.

Praktizieren Sie diese Übung, bis sie Ihnen leicht fällt und rasch gelingt am besten täglich und zunächst einmal über mindestens einen Monat hinweg. Wenn Sie den Alphazustand erreicht haben, können Sie erste kleine Experimente durchführen, bevor Sie wieder zurückkehren; stellen Sie sich zum Beispiel ein Blatt, eine Frucht oder etwas anderes, das Ihre Neugier weckt, vor und untersuchen Sie diesen Gegenstand in Ihrem Zustand zwischen den Welten. Setzen Sie all Ihre inneren Sinne ein. Es gibt für jeden menschlichen Alltagssinn ein inneres Äquivalent; so verfügen Sie nicht nur über einen materiellen Satz an Sinnesorganen, sondern auch über innere Augen, Ohren, Hände, eine Zunge und eine Nase. Unter diesen besonderen Umständen können Sie mit Ihren inneren Sinnesorganen jedoch weitaus mehr bzw. andere Informationen erlangen als mit den äußeren, was die Welt, in der Sie sich täglich bewegen, ganz schön faszinierend gestalten kann! Zudem werden Sie mit der Zeit noch einige weitere Sinne entdecken, die nur in uns selbst existieren und keinen äußeren Partner haben, und dann wird es spannend. Mein ganz persönlicher Geheimtip bei der Erforschung materieller Gegenstände sind übrigens Kristalle und - unglaublich interessant - Wassertropfen. Aus einem lebendigen Gewässer, versteht sich.

Wenn Sie den Weg hinab zum Fuß der Regenbogenbrücke sicher beherrschen, können Sie an diesem Ort eine Vielzahl von Aufgaben angehen. Es ist zum Beispiel möglich, von dort aus Ferndiagnosen bezüglich des Gesundheitszustandes eines bestimmten Menschen zu erlangen oder Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen. Generell sind alle psychischen Fähigkeiten wie Hellsehen, Telepathie und so fort hier einübbar und im fortgeschrittenen Stadium auch anwendbar; ebenso ist jede Form des Rituals weitaus effektiver, wenn Sie es im Alphazustand ausführen. Sie können dort auch zaubern -einfach; indem Sie eine klare, alle Ihnen erreichbaren inneren Sinne umfassende Vorstellung Ihres magischen Ziels schaffen. Wenn Sie dies tun, sollten Sie sich jedoch immer das Urteil einer Ihnen vertrauten höheren Macht erbitten und sich diesem beugen, sonst könnte es Ihnen passieren, daß Ihnen der erzauberte Sportwagen zwar recht gut gefällt, Sie aber lieber vorher gewußt hätten, daß seine Besteuerung drei Tage nach der Anmeldung ins Unermeßliche gesteigert wird ... Lassen Sie die Götter entscheiden, was Ihnen und Ihrer Umgebung wirklich gut tut - die haben eine Menge Erfahrung darin!

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Wenn Sie das Erreichen des Alphazustandes einige Wochen lang geübt haben und sicher darin geworden sind, können Sie eine Art „ Schnelleinstieg« programmieren. Manchmal werden Sie einfach nicht die Zeit für die gesamte Übung haben oder sich an einem lauten und unruhigen Ort befinden, der Ihre Konzentration auf den Abstieg wesentlich beeinträchtigt. Auch im Alltag kann es manchmal praktisch sein, auf die Möglichkeiten zwischen den Welten zugreifen zu können, und sei es nur, um einen Parkplatz zu organisieren. Mit dem Schnelleinstieg erreichen Sie seinen nicht ganz so tiefen Alphazustand wie in Ihren Übungen, aber für »da draußen« genügt es.

Übung: Den Schnelleinstieg programmieren

• Um ein solches »Instant-Alpha« auszulösen, gehen Sie zunächst wie gewohnt mit der Ihnen schon vertrauten Visualisation der Zahlen Sieben bis Eins und der dazugehörigen Farben sowie dem anschließenden Countdown von Zehn bis Eins in den Alphazustand.

Wenn Sie diesen erreicht haben, legen Sie den Mittelfinger Ihrer linken Hand über den Zeigefinger - Sie kreuzen die beiden Finger also, denn das aktiviert über einen Akupressurpunkt die Zirbeldrüse.

• Halten Sie diese Fingerstellung, während Sie sich selbst sagen, daß Sie jedesmal, wenn Sie Ihre Finger kreuzen, sofort in den Alphazustand gehen werden. Ihr Verstand wird sich an diesen Befehl erinnern, wann immer Sie ihm das vereinbarte Kurzsignal geben.

• Danach gehen Sie wieder in den Alltagsrhythmus. Von nun an können Sie den Ort zwischen den Welten ganz unmittelbar erreichen, wann immer dies notwendig sein sollte; dennoch sollten Sie diesen Schnelleinstieg nur dann verwenden, wenn Ihnen für den normalen Weg nicht genügend Zeit oder Ruhe zur Verfügung stehen, damit Sie das Erreichen der tieferen Zustände sowie den bewußten Ausstieg daraus nicht verlernen.

Viele Menschen sind auch ohne diese Übungen in der Lage, sich in eine Halbtrance zu begeben, und falls Sie nicht zu diesen gehören sollten, wird dies nach wenigen Wochen konsequenter Übungswiederholung auch bei Ihnen der Fall sein. Dann ist es nicht mehr nötig, die Farben und Zahlen zu imaginieren einige tiefe Atemzüge und die Erinnerung an den Ort am Fuße der Regenbogenbrücke werden genügen, um Sie schnell und sicher dorthin zu bringen.

Den eigenen Kraftort finden

Was ist ein Kraftort?

Ein Kraftort ist ein Platz, der eine Sie unterstützende und Ihnen wohltuende Atmosphäre beherbergt - behaupte ich jetzt einfach mal. Natürlich ist diese Definition äußerst subjektiv, da immer von Ihrer persönlichen Befindlichkeit abhängig, aber genau das soll sie ja auch sein. Es nützt Ihnen nämlich überhaupt nichts, mit einem Kraftplatzbuch in der Hand, unzählige amtlich anerkannte uralte keltische oder sonstigen Kulturen entstammende Orte aufzusuchen, wenn Sie mit den dort vorherrschenden Energien nichts anfangen oder diese Ihnen sogar schaden können. Umgekehrt liegt es durchaus im Rahmen des Möglichen, daß ein bestimmter Ort, von dem Ihnen aufgrund seiner »schlechten Schwingungen« dringend abgeraten wurde, für Sie ein ideales Umfeld darstellt - einfach, weil Sie vielleicht mit einem bestimmten, dort energetisch zum Ausdruck kommenden Aspekt des Lebens besser zurechtzukommen imstande sind als andere Menschen. Es könnte sich hier zum Beispiel um einen Ort handeln, an den sich in früheren Zeiten alte Menschen begaben, um dort auf würdevolle Weise zu sterben. Wenn Sie selbst noch

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nicht Ihren Frieden mit dem Gedanken an den unausweichlichen Tod jedes Lebewesens - und so auch mit dem Gedanken an Ihren eigenen - gemacht haben sollten, wird Sie dieser Ort höchstwahrscheinlich überfordern, und Sie nehmen ihn als »negativ« wahr. Ein anderer Mensch, der keine Angst mehr vor dem Tod hat, findet dort vielleicht genau jene Bedingungen, die er benötigt, um zwischen den Welten zu wandern. Informieren Sie sich ruhig über in Ihrer Nähe befindliche archäologische Fundorte und besuchen Sie diese auch, denn unter Umständen ist ein Platz dabei, der Ihnen ebenso von Nutzen sein kann wie Sie ihm. Aber bilden Sie sich immer ein ganz eigenes, nur auf Ihre persönlichen Wahrnehmungen an diesem Ort begründetes Urteil, wenn es um die Qualitäten desselben gilt. Vergessen Sie aber bitte niemals, daß ein auf diese Weise gewonnenes Urteil wiederum nur für Sie selbst gelten kann und erlauben Sie anderen Menschen dieselbe persönliche Zugangsweise.

Ein Kraftort ist also ein Ort, an dem ein anderes energetisches Gefüge vorherrscht, als wir es üblicherweise in unserem Alltag vorfinden. So gesehen ist für den durchschnittlichen Klein- wie auch Großstadtbewohner die gesamte Natur »da draußen« bereits ein Kraftort, und wer den größten Teil seines Lebens in einer städtischen Umgebung verbringt, tut gut daran, sich generell erst mal mit. der Schwingungsqualität »freie Natur« vertraut zu machen, bevor er nach besonderen Unterschieden Ausschau hält. Ein kleiner Tip: Die Grundschwingung einer nichtstädtischen Umgebung findet sich irgendwo in Ihrem eigenen Inneren wieder, denn auch Sie sind Natur. Je stärker diese Schwingung in den eine Ansiedlung bewohnenden Menschen ist, desto angenehmer stellt sich die Atmosphäre ihres Wohnortes dar - das sind oft gerade jene kleinen und mittleren Städte, von denen Sie bei der Durchreise vielleicht schon mal dachten: »Ist das schön hier. Hier würde ich auch gerne leben.« Je, größer ein Ort ist, desto schwieriger wird es selbstverständlich, diese Qualität aufrechtzuerhalten; aber sie muß keineswegs völlig verschwinden. Meiner Ansicht nach hat zum Beispiel London davon weitaus mehr bewahrt als Frankfurt. Auch München stellt sich mir diesbezüglich klarer dar als etwa Kassel - und das, obwohl München um ein Vielfaches größer ist. Wenn Sie sich also als Bewohner einer Stadt auf den inneren wie äußeren Weg machen, die Natur da draußen und jene in sich selbst wiederzuentdecken, tragen Sie damit einen Teil zur Lebensqualität Ihres Wohnortes bei, und je mehr Menschen dies tun, desto mehr wird man davon im modernen Stadtbild zu sehen und zu spüren bekommen!

Es gibt natürlich auch eine von Ihrer subjektiven Wahrnehmung unabhängige Definition des Begriffes »Kraftort«. Wir sprechen hier vornehmlich von Plätzen, die über ein besonderes Muster an Erdenergie verfügen. Der Planet Erde ist von einem Gitternetz aus Energielinien überzogen, und gerade an den Kreuzungspunkten zweier solcher Linien findet man oft eine unglaublich dichte, eben »geladene« Atmosphäre vor. Fast alle ursprünglichen Kulturen der Welt wußten bzw. wissen vom Vorhandensein dieses Netzes, und auch in der unseren haben eine Menge Hinweise auf dieses Wissen in Form des Volksglaubens bis in unsere Tage überlebt. Wegkreuzungen zum Beispiel waren schon immer Gegenstand volksmagischer Überlieferungen. Man vermutete, daß sich dort die Hexen um Mitternacht treffen - was gar nicht so falsch ist, da jene Menschen, die sich mit Naturmagie beschäftigen, die Kreuzungspunkte zweier Gitterlinien gerne zur Unterstützung ihrer Arbeit aufsuchten. Und gerade in alten Zeiten wurden Straßen und Wege oft entlang bestimmter Energielinien geführt; eine Wegkreuzung war also meist auch ein Kraftort. Eine andere Überlieferung erwähnt die erstaunliche Häufigkeit, mit der Blitze in Eichen einschlagen. Das liegt zum Teil natürlich an den tiefen Wurzeln dieses Baumes, die eine direkte Verbindung zu unterirdischen Wasserreservoirs herstellen - aber auch daran, daß Eichen vermehrt auf den Kreuzungspunkten zweier Kraftlinien wachsen, und die dort vorhandene Erdenergie korrespondiert ebenso mit dem Blitz wie das unterirdische Wasser. Ebenso pflegte man früher, Verbrecher an, einem neben einer Wegkreuzung aufgestellten Galgen zu erhängen -, eine weitere Erinnerung an den Gitternetzkno t enpunkt als heiligem Ort der, Verehrung wie auch

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des Gerichts. Derselbe Zusammenhang drückt sich in der Vorliebe unserer Ahnen für Eichen als Gerichtsbäume aus.

Die meisten sakralen Monumente, die unsere Ahnen errichteten; befinden sich auf einer solchen Kreuzung oder einer Linie dieses Gitternetzes, und noch heute weisen die meisten Kirchen einen ähnlichen Bezug zu diesem System auf. Das liegt zum einen an der Besetzung heidnischer Kultorte mit christlichen, Sakralbauwerken zur Zeit der Christianisierung, zum anderen aber auch schlicht und einfach daran, daß das Wissen um die Potentiale des Leyliniennetzes auch dem frühen Christentum bereits zu eigen war. Immerhin hat sich auch dieses einmal aus naturreligiösen Bezügen heraus entwickelt, und spätestens die irischen Druiden dürften die christlichen Priester zu einer Zeit, wo das Miteinander beider Kulturen etwas besser funktionierte, schon darauf hingewiesen haben. Tatsächlich hat die christliche Kirche dadurch, daß sie solche Orte erkannte und zu ihren heiligen Bezirken machte, viele dieser Plätze erhalten und vor der Verbauung sowie der Unkenntlichmachung bewahrt; ebenso wurden auf diese Weise hochinteressante archäologische Funde erhalten oder zumindest vor ihrer Zerstörung genauestens in, schriftlichen Beschreibungen niedergelegt - etwas, was man von der modernen Bauindustrie nicht gerade behaupten kann. Die Wissenschaftler des europäischen Mittelalters wie auch der Renaissance waren zum größten Teil christliche Mönche, da deren Aufgabe darin bestand, die göttliche Schöpfung erkennen, begreifen und beschreiben zu lernen; aus welchem Motiv oder welcher Voreingenommenheit heraus sie dies taten, ist für uns nicht von Bedeutung, da wir ihre Ergebnisse selbstverantwortlich zu bewerten imstande sein sollten. Auch die moderne Wissenschaft hegt und pflegt etliche Vorurteile, deren Richtigkeit nicht bewiesen ist, sondern mittlerweile wenn auch zögernd - mehr und mehr widerlegt wird, und oft greifen christliche und moderne Wissenschaft sogar nahtlos ineinander; so war zum Beispiel Gregor Mendel, der Begründer der Vererbungslehre und damit Urheber der genetischen Forschung; ein Augustinermönch.

Woran erkennt man einen Kraftort?

Ein solcher Ort zeigt sich Ihnen meist durch seine besondere Atmosphäre. Oft liegt er sehr schön oder ist auf eine andere Weise für das Auge attraktiv. Einen für Sie geeigneten Kraftplatz erkennen Sie aber immer daran, daß Sie sich dort schlicht und einfach wohl fühlen. Es sind jene Orte, an die Sie sich als Kind zurückgezogen haben; wenn Sie Ihre Ruhe haben wollten oder solche, an denen Sie bei Ihren Spaziergängen gerne eine entspannende Pause einlegen. Vielleicht sieht der Platz gar nicht so besonders aufregend aus, aber aus irgendeinem Grund fällt Ihnen das Atmen dort etwas leichter, und eine friedvolle Stimmung breitet sich in Ihnen aus, wenn Sie eine Zeitlang dort sitzen. Manchmal hat der Ort auch schützende Aspekte - er ist von Bäumen oder Hecken umgeben oder nicht von allen Seiten einsehbar. Er kann sich auch an besonders markanten Landschaftspunkten wie der Kuppe eines Hügels oder auf der Spitze einer Klippe befinden; er kann auch eine Ecke in Ihrem Wohnzimmer sein. Wirklich! Viele mit der Naturmagie arbeitende Menschen schaffen sich irgendwo in ihrem Haus eine dem Herrgottswinkel in katholischen Haushalten vergleichbare heilige Ecke, in der sie Gegenstände aufstellen, die für sie eine besondere, mit der Natur verknüpfte Bedeutung haben. Manchmal werden dort auch Rituale gefeiert, was dem Ort eine ganz eigene Qualität verleiht. Ein bereits vorhandener Kraftplatz befindet sich jedoch meist in einer natürlichen Umgebung - oder ist eine Kirche. Solange Sie dem Pfarrer nicht erzählen, was Sie da tun und eine respektvolle Haltung gegenüber dem Glauben der anderen dort befindlichen Menschen zu bewahren imstande sind, können Sie auch eine geeignete Kirche für eine naturmagische Andacht aufsuchen; Christentum und ein achtungsvoller Umgang mit der Natur widersprechen sich keineswegs, wenn beide Seiten einander Respekt und Toleranz entgegenbringen.

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Sie können einen Kraftort auch selbst erschaffen, indem Sie die energetische Qualität des ausgewählten Platzes regelmäßig auf eine für Sie positive Weise beeinflussen. Dies geschieht zum Beispiel, wenn Sie Ihre Rituale dort feiern und den Ort auch sonst häufig aufsuchen, um dort einen Kreis zu errichten und darin zu meditieren. Jede Form von Energiearbeit verändert die Atmosphäre der Stelle, an der man sie ausführt; je öfter und intensiver man dies tut, desto deutlicher ist die Veränderung zu spüren. Ich möchte in diesem Zusammenhang jedoch darauf hinweisen, daß wir meiner, Ansicht nach größtenteils nicht dazu berufen sind, die energetischen Qualitäten aller, möglichen uralten Kraftplätze zu manipulieren, und mögen wir hundertmal der Ansicht sein, dies diene nur dem besten des Platzes. Das Heilungs- und Reinigungspotential der Erde ist um ein Vielfaches höher als das menschliche, im Vergleich dazu sind wir naturmagische Stümper. Wenn ein Ort auf energetischer Ebene Hilfe braucht, sind wir meist eher diejenigen, die diesen Zustand verursacht haben und die letzten, die ihn wirklich heilen können. Es gibt einige; wenige Fachleute, die einen solchen Prozeß auf positive Weise zu unterstützen in der Lage sind, aber die haben zumeist ein ganzes Leben damit verbracht, die Wirkungsweise der damit verbundenen Abläufe erkennen und sinnvoll beeinflussen zu lernen. Für Sie wie auch mich ist es am wichtigsten, einen Platz so zu verlassen, wie wir ihn vorgefunden haben, und zwar auf materieller wie auch energetischer Ebene. Das gilt um so mehr, wenn der Ort auf uns eine wohltuende Wirkung hat.

Welcher Ort Ihnen gut tut und welcher nicht, sollte immer Ihrer eigenen Beurteilung vorbehalten bleiben. Es mag ja sein, daß dieser alte keltische Steinkreis eine einfach »unglaubliche Power« hat, aber vielleicht liegt Ihr Unwohlsein daran, daß Sie in der Runde der Sie umgebenden Kraftplatzenthusiasten als einzige die energetischen .Überreste seines spätmittelalterlichen Gebrauchs als Hinrichtungsplatz spüren können. Ist es etwa Ihre Schuld, daß alle diesbezüglichen schriftlichen Belege den Flammen des Dreißigjährigen Krieges zum Opfer gefallen sind?

Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Es gibt nur verflixt wenige Menschen, die sich mit der Naturmagie sowie der dazugehörigen Philosophie wirklich auskennen, und die schreiben meistens keine Bücher und sind nur selten im Fernsehen zu sehen. Es gibt ein paar Menschen auf dieser Welt, bei denen ich gerne als Einsiedler einziehen würde, wenn ich nicht die klare Aufgabe hätte, Ihnen und Ihren Lesekollegen zumindest das zu erzählen, was ich von Menschen dieser Art erfahren durfte. Und diese wenigen wirklichen „Gelehrten« werden Ihnen meiner Erfahrung nach niemals erklären, welche Bedeutung ein Ort für Sie zu haben hat, sondern Sie immer ermutigen, aufgrund Ihres eigenen Urteils zu handeln, denn kein anderer Mensch auf der Welt kennt Sie so gut wie sich selbst und kann dementsprechend besser als Sie wissen, was Ihnen gut tut.

Häufig anzutreffende Bewohner von Kraftplätzen

Vielleicht haben Sie dieses Buch zwischenzeitlich zur Seite gelegt und sind hinaus gegangen, um ein wenig mit einem Ort, der Ihnen gefällt, zu plaudern. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, daß Sie dabei beobachtet wurden. Na, nun werden Sie mal nicht rot -viele Dinge, die in unserer Gesellschaft tabuisiert sind, werden dort draußen mit großem Wohlwollen betrachtet.

Wer sich in die freie Natur begibt; ist laut den Grundlagen der Naturphilosophie im hier verwendeten Sinne niemals alleine. Einsamkeit gibt es für einen naturreligiösen Menschen nicht, ihm kann höchstens mal die Gesellschaft anderer Menschen fehlen! Für uns ist die Welt als solche bereits intelligent und sich ihrer selbst bewußt, doch da sich ihre Form der Intelligenz von der unseren unterscheidet, kann die Kommunikation auf herkömmliche Weise etwas schwer fallen. Stellen Sie sich das Bewußtsein die Erde als einen dieser figurenförmigen Luftballons

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vor, einen mit einem runden Körper, an dem viele weitere, kleinere runde Formen sitzen. Alles zusammen ist das Erdbewußtsein, das, sich jedoch in den kleineren Bällen auf eine Weise sammelt, die eine Kommunikation zu entwickeln und zu pflegen erleichtert. Unser menschliches Gesamtbewußtsein ist ein solcher Ball, und ebenso ist es die tierische Bewußtseinsform in all ihren vielen Formen. Alle diese Bälle haben eine Verbindung zum Hauptkörper des Ballons und teilen dieselbe Luft, die zwischen all seinen Teilen hin- und herströmt: Im Endeffekt sind sie alle eins; und ich habe den starken Verdacht, daß wir Menschen die einzigen sind, die das nicht wissen.

In unserem normalen, alltäglichen Bewußtseinszustand können wir viele, aber nicht alle dieser Gemeinschaften, welche die kleinen Bälle ausmachen, mit unseren materiellen Augen sehen. Dazu zählen wir selbst, die Tiere, die Pflanzen und die Steine - auch wenn wir nur deren äußere Hülle zu erkennen imstande sind, nicht aber ihren eigentlichen Geist. Es gibt jedoch auch Gemeinschaften, deren Wesen wir normalerweise gar nicht sehen können. Wir wissen dennoch von ihrer Existenz, da es immer wieder einzelnen Menschen gelungen ist, zwischen den Welten Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Diese Menschen haben jenen Wesen Namen gegeben, unter denen wir sie noch heute kennen: Engel, Elfen, Devas, Zwerge, Gnome, Dryaden, Sylphen, Salamander, Feen und viele andere mehr. Zusammengefaßt werden sie oft als Elementarwesen bezeichnet. Diese Wesen stellen die eigentlichen Steuerungsfaktoren der Natur dar, sie sind deren Regler und Impulsgeber zugleich. Ein Sturm entsteht nicht einfach so, sondern er wird von den Wesen der Luft in die Wege geleitet. Pflanzen wachsen nicht einfach, sondern werden von Pflanzengeistern dazu angeregt. Auf dieser Welt - und ich vermute mal stark, auch auf ein paar weiteren - geschieht nichts aus sich selbst heraus, sondern immer, weil eine steuernde Intelligenz auf ähnliche Weise in alle Prozesse eingreift wie dies unser Gehirn mit unseren Körperfunktionen tut.

Da sich diese Wesen - wenn auch auf eine der unseren nicht gleichende; sondern dieser nur verwandte Weise - i hrer selbst bewußt sind, verfügen sie über die Fähigkeit der Kommunikation und des Austausches. Sie sind überall dort draußen und verstehen die Symbolik des Rituals sehr gut. Diese Wesen werden von uns modernen, zivilisierten Menschen meistens in der Ausübung ihrer Aufgaben erheblich, behindert und nehmen jeden Versuch der Annäherung unsererseits mit vorsichtiger Neugier auf - zumindest solange wir sie nicht gerade bei etwas Wichtigem stören; dann können sie recht ähnlich reagieren wie wir auch: Deshalb fordern wir ihre Anwesenheit im Ritual nicht, sondern laden sie ein; dann bleibt es ihnen überlassen, ob sie dieser Einladung Folge leisten wollen oder nicht. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn es um Sie herum nicht sofort von Disneyfiguren wimmelt. Zum einen können die Elementargeister für Ihr inneres Auge ganz anders aussehen als die sieben Zwerge im Film, und zum anderen will die Fähigkeit der Wahrnehmung solcher Individuen erst sorgsam trainiert sein. Außerdem sind diese Wesen recht scheu, was man ihnen kaum verdenken kann - erst gestern haben wir einen Elf zum dritten Mal kurz hintereinander zum Umzug gezwungen, weil wir seinen Wald unbedingt für eine Feriensiedlung roden mußten, und nun ist er verletzt und schaut sich Ihr Treiben erst einmal aus sicherer Entfernung, an. Es ist nicht leicht; das Vertrauen der Elementarwesen zu erlangen, aber wer dies einmal geschafft hat, kann sich wirklich als vertrauenswürdiger Mensch betrachten.

Vergessen Sie nicht, daß Sie die Elementargeister wahrscheinlich eher mit Ihrem inneren Auge als mit dem Paar in Ihrem Gesicht wahrnehmen werden. Nur wenige Menschen verfügen über die Fähigkeit, Elfen mit materiellen Augen sehen zu können, und meistens handelt es sich dabei um Kinder: Aber das ist auch gar nicht notwendig, denn Ihre inneren Sinne sind am Fuße der Regenbogenbrücke ebenso zuverlässig wie Ihre materiellen.Elementarwesen können den Erfolg eines Rituals wesentlich beeinflussen. Sie schützen und unterstützen sowohl Ihr magisches Vorhaben als auch Ihren Weg zu Ihrer eigenen inneren Natur,

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wenn sie dies für sinnvoll halten. Auf ihre eigene Weise sind sie sehr kommunikativ und können dem aufmerksamen Beobachter vieles mitteilen. Aber auch Sie können einiges für diese Wesen tun. Allein schon Ihre Begrüßung und die Tatsache, daß Sie die Elementargeister mit in Ihr Ritual einbeziehen, bedeutet jenen viel, denn sie sind diese Form der Kommunikation seit vielen Jahrtausenden gewohnt. Auf diesem Weg haben sie den Menschen schon immer Informationen mitgeteilt, die wichtig für das Wohlergehen des ganzen Planeten sind. Wir nehmen ihnen viel ab, wenn wir uns für diesen Teil ihrer und auch unserer Aufgabe wieder zugänglicher zeigen.

Kraftorte pflegen

Geben und Nehmen im Gleichgewicht

Wenn Sie einen Ort gefunden haben und regelmäßig besuchen, der. Ihnen gefällt, an dem Sie sich entspannen und sich wirklich wohl fühlen können, dann haben Sie diesem Platz gegenüber auch eine Verpflichtung. Bedenken Sie doch einmal, was Ihnen ein solcher Ort mit seinen Wesenheiten alles gibt! Schon sehr bald werden Sie dort ein guter alter Bekannter sein, der mit Freude erwartet wird und nie ohne ein Geschenk wieder fortgeht. Oft sind diese Gaben immaterieller Natur wie Einsichten, Informationen oder einfach Lebenskraft, aber manchmal wird dort auch ein kleiner Gegenstand für Sie bereitliegen -ein gerader Ast, der sich gut zum Wandern eignet und Ihre Füße immer leicht machen wird oder ein seltsamer Stein, dessen Funktion Sie erst noch ergründen müssen. Wenn in der Umgebung Ihres Kraftortes Beeren oder andere eßbare Pflanzen wachsen, erhalten Sie immer dann, wenn diese reif sind, das Geschenk magischer Nahrung. Von dem Augenblick an, an dem Sie sich an jenem Platz Freunde und Vertrauen geschaffen haben, werden Sie umsorgt und beschenkt, und Ihre neuen Freunde wiederum verdienen nichts weniger als das.Mein persönlicher Kraftort befindet sich in meinem Garten. Ein großer, flacher Stein markiert den Altar unter einem Holunderbaum, in dem ich schon als Kind stundenlang sitzen und -meinen sowie seinen Gedanken nachhängen konnte. Ich habe während des Sommers oft und gerne Gäste in diesem Garten, und es vergeht kaum ein Abend draußen vor dem Kaminfeuer, wo wir nicht in Erstaunen geraten über die Vielfalt der Tiere dort und deren Vertrauen zu uns. Manchmal können wir auch die Elementarwesen spüren, wie sie am Rande des Feuerscheins stehen und uns vergnügt beobachten. Sie erhalten immer einen Teil der Speisen und Getränke, die wir dort draußen zu uns nehmen, und oft machen wir auch Musik für sie. An keinem anderen Ort der Welt empfinde ich unter dem freien Sternenhimmel eine solche Wärme und Geborgenheit wie in diesem Garten, gleich zu welcher Jahreszeit. Der Segen der unsichtbaren Welt liegt darüber, und jeder, der dort lebt, ist sich dessen wohl bewußt.

Es gibt so vieles, was Sie für Ihren Kraftort und die dort lebenden Wesen tun können. Jeder intensive, dankbare und liebevolle Gedanke, der in ihre Richtung geht, ist pure Lebensenergie für sie. Bringen Sie auch ihnen Geschenke mit; besonders Lebensmittel von weißer Farbe wie Milch oder Eier, aber auch Honig, Wein oder andere geistige Getränke sind für sie auf feinstofflicher Ebene gut verwendbar. Bitte meiden Sie weißes Mehl und weißen Zucker; diese gehen durch viele Verarbeitungsschritte, um ihre Farbe zu erhalten und haben kaum noch Lebensenergie. Wenn Sie Ihre Gaben zuvor noch in die Hände nehmen und die Energie Ihrer warmen, herzlichen und umsorgenden Gefühle hinein fließen lassen, haben Sie für Ihre Elfen das reinste Ambrosia erschaffen. Sie werden es Ihnen danken, denn auf der anderen Seite weiß man sehr wohl, wie ungeheuer wichtig das Gleichgewicht aller Dinge und Energien in dieser Welt ist.

Aber es gibt noch mehr, was Sie für die andere Welt tun können. Gewöhnen Sie sich an, auf Ihren Spaziergängen einen Müllbeutel mitzunehmen, in dem Sie all den Unrat sammeln, den weniger sorgsame und auch einfach unwissendere Mitmenschen in der Natur zurückgelassen

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haben. Tun Sie dies nicht nur an Ihrem Kraftort, sondern wann immer Sie hinaus gehen; auch im Wald oder auf den Feldern leben sichtbare wie unsichtbare Wesen, die absolut keine Verwendung für Plastikfolien und Getränkedosen haben - eher im Gegenteil! Starten Sie auf diese Weise eine neue Mode, indem Sie Ihre Sammelgänge an sonnigen Sonntagnachmittagen durchführen, wenn viele Familien mit ihren Kindern draußen sind. Die Kinder werden schnell begreifen, was Sie da tun, und ihre Eltern bald überreden, sich Ihnen anzuschließen. Einige von uns haben eine solche Aktion einmal im Wiener Wald begonnen, und noch heute treffen Sie dort wandernde Menschen mit Mülltüten an, obwohl seit Jahren fast niemand mehr aus unserer damaligen Gruppe dort wohnt.

Gewöhnen Sie sich an, achtsam durch die Natur zu gehen. Tierpfade muß man nicht unbedingt als Wanderwege mißbrauchen, denn auf diese Weise werden die diesen Pfad benutzenden Tiere vom menschlichen Geruch beunruhigt und verängstigt. Pilzgruppen, die in Form von Kreisen wachsen, sollten Sie ebenfalls in Ruhe lassen, und wenn Sie die saftigen Steinpilze noch so lecker ansehen; diese Ringe werden nicht umsonst als Feentanzplätze bezeichnet. Viele der großen Steinfindlinge aus der Eiszeit haben ein ganz eigenes, sehr uriges Bewußtsein; wenn Sie ein wenig auf ihnen herumklettern möchten, können Sie so manchem alten Fels eine Freude bereiten, wenn Sie ihn freundlich begrüßen und ein wenig sein moosiges Fell kraulen. Zwischen den Welten könnten Sie ihn dabei sogar fast schnurren hören - auf seine eigene knarzige und brummende Art.

Überhaupt gibt es da draußen so gut wie nichts, mit dem Sie nicht reden können, und vieles davon wird Ihnen auch antworten. Ich spiele für mein Leben gern mit der Windsbraut, diesem leicht böigen Luftzug, der im Herbst die dürren Blätter in lustigen Kreisen über die Erde wirbeln läßt. Wenn mir der Windstoß plötzlich durch die Haare fährt, wie es meine Mutter früher immer getan hat, und mich dabei völlig zerzaust, weiß ich, daß die Windsbraut wieder da ist und mich zum Spielen auffordert. Oder die Weide am Teich, an der ich nie vorbeigehe, ohne guten Tag zu sagen. Manchmal unterhalten wir uns auch länger, und ich habe schon umfassende Informationen über das Wesen der Natur wie auch über mich selbst von ihr erhalten. All die Wesen dort draußen können sich gut an eine Zeit erinnern, in der für uns Menschen das Gespräch mit allem, was ist, eine Selbstverständlichkeit war. Sie vermissen dieses Miteinander; auch wenn sie es uns nicht zum Vorwurf machen, da ihnen klar ist, daß wir Menschen uns von ihnen entfernen mußten, um unsere eigene Aufgabe innerhalb der Schöpfung erfüllen zu können. Doch nun ist eine Zeit gekommen, in der wir uns der Erde und all ihren Geschöpfen wieder annähern können und auch sollen, denke ich, und die Freude, mit der meine Kontaktaufnahme zumeist beantwortet wird, bestätigt mich in dieser Annahme.

Sie werden allerdings nicht immer auf eine freundliche Einstellung treffen. Viele dieser Wesen sind über Jahrhunderte hinweg von Menschen gequält, gepeinigt und im Stich gelassen worden. Jene unter ihnen, die verletzt sind, .werden Ihnen zumindest mit einem profunden Mißtrauen begegnen und sich vielleicht, verängstigt jeglicher Kontaktaufnahme verweigern. Gerade diese Orte sind es jedoch, die unserer liebevollen Gedanken und fürsorglichen Pflege besonders bedürfen, und wenn Sie einige Wochen lang dort regelmäßig Spaziergänge mit Mülltüten gemacht und mit Ihrer Herzenswärme aufgeladene Geschenken hinterlassen haben, werden sich auch diese Wesen irgendwann öffnen. Dann können Sie zum Fuße der Regenbogenbrücke gehen und die Elementargeister des betreffenden Ortes um genauere Anweisungen bitten, wie Sie ihnen helfen können. Das sind manchmal ganz seltsame Sachen. Ich wurde einmal darum gebeten, einen großen, reifen Apfel in einen Teich zu werfen, auf dem ein leichter Ölfilm stand. Fragen Sie mich nicht, was ein Apfel mit Reinigung zu tun hat -jedenfalls war der Teich einige Wochen später klar. Vielleicht hatte der Apfel selbst auch gar nichts damit zu tun, und die Wesen dort brauchten nur ein wenig umsorgende menschliche Energie, aber im allgemeinen halte ich mich

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buchstäblich an die mir gegebenen Anweisungen. Ich weiß einfach zu wenig über die feinstoffliche Seite der Welt, um mir da Improvisationen leisten zu können. Und wenn ich einen Fachelf zur Verfügung habe, reicht es ja eigentlich, wenn einer von uns beiden weiß, was er tut, oder?

Manchmal treffen Sie auch auf Wesen, die Sie scheinbar ärgern wollen, denn einige unter ihnen neigen zum Schabernack. Wenn Ihr Schnürsenkel während eines Waldspaziergangs alle fünf Minuten aufgeht, obwohl er doch sonst immer hervorragend hielt, machen Sie sich nichts daraus und lachen Sie einfach mit - denn irgendwo in Ihrer unmittelbaren Umgebung lacht unter Garantie gerade ein Kobold herzlich über seinen gelungenen Streich. Wenn Sie allerdings etwas gegen kleine, aus dem Spülbecken aufspritzende Wasserfontänen und ebenso plötzlich verschwindende wie am selben Ort wieder auftauchende Haushaltsgegenstände haben, sollten Sie das Kerlchen vor dem Verlassen des Waldes bitten, doch dort draußen zu bleiben. Meistens wird er Ihrer Bitte Folge leisten - wenn nicht, merken Sie es daran, daß Ihre Katze seit neuestem offenbar einen unsichtbaren Spielgefährten hat. Wenn Sie dessen häusliche Aktivitäten nicht wirklich stören, belassen Sie es dabei. Ein Hans, in dem die Elementarwesen zu Gast sind, ist ein gesegnetes Heim.

Die feinstoffliche Welt braucht uns ebenso wie wir sie, ,und das größte Geschenk, das Sie ihr machen können, ist zugleich auch eine der wichtigsten Aufgaben eines jeden Menschen, der geboren wurde, um den alten Pfad zu gehen: Bringen Sie das Vorhandensein einer Realität neben jener, die wir mit unseren körperlichen Sinnen sehen können, wieder in das Bewußtsein der Menschen zurück. Dazu müssen Sie keine Herkulesarbeit leisten, tun Sie einfach nur, was Ihnen möglich ist und wofür Sie in diese Welt gekommen sind. Erzählen Sie Ihren Kindern von der Existenz dieser Wesen und von dem, was Sie mit ihnen erlebt haben. Schenken Sie den Worten der Kinder Glauben, wenn diese von ihren eigenen Begegnungen mit der feinstofflichen Welt, heimkehren und lassen Sie die Rückkehr dieses Wissens in unseren Alltag zu. Wenn das, wovon ich hier schreibe, auch nur die geringste Bedeutung für Sie hat und es Sie auf irgendeine Weise persönlich berührt, dann zählen Sie zu jenen Menschen, deren Aufgabe es unter anderem ist, für die andere Seite unserer Welt tätig zu sein, und sind ein Kollege oder eine Kollegin von mir. Wenn nicht, haben Sie eine andere Aufgabe in dieser Welt - aber mal ehrlich, hätten Sie dann dieses Buch gekauft?

Ritual zur Kontaktaufnahme mit den Bewohnern eines Kraftortes

Dieses Ritual hat den Zweck, Ihnen beim Kennenlernen der Wesen eines Ortes, den Sie gerne als Kraftort verwenden und erhalten möchten, zu helfen. Bringen Sie einige Gaben mit, und seien Sie großzügig - ich rede hier keineswegs von einem Ei und einem Fingerhut voll Wein. Gestehen Sie den Elementargeistern ebensoviel zu, wie Sie selbst haben möchten. Tatsächlich ist es ein sehr schöner Brauch, vor Ort gemeinsam mit den dortigen Wesen zu speisen. Laden Sie »Ihre« Elfen doch mal zu einem Picknick ein!

Gehen Sie zudem von Ihnen ausgewählten Platz und schmücken Sie diesen ein wenig. Ein paar mitgebrachte Blüten aus Ihrem Garten, ein schönes, mit Wasser gefülltes Gefäß oder einige Getreideähren können bereits eine festliche Atmosphäre schaffen; seien Sie da erfinderisch und gehen Sie, bevor Sie zu Ihrem Kraftort aufbrechen, mit offenen Augen durch Ihr Haus und Ihren Gärten.

Wenn Sie den Platz geschmückt haben, breiten Sie Ihre Gaben in hübscher Form aus. Dann gehen Sie zwischen die Welten und betrachten den Ort durch ihre inneren Augen. Inwiefern unterscheidet sich, was Sie erkennen, von dem, was Sie zuvor mit ihren materiellen Augen

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gesehen haben? Vielleicht erhalten Sie hier bereits erste wichtige Informationen. Öffnen Sie dann Ihre Augen wieder und sprechen Sie die Wesen des Ortes an. Stellen Sie sich Ihnen vor und erklären Sie Ihnen, warum Sie hier sind. Dann bitten Sie die Elementargeister um die Erlaubnis, regelmäßig an diesen Ort kommen und mit ihnen kommunizieren zu dürfen. Erzählen Sie ihnen, wie Sie sich das vorstellen, was Sie alles vorhaben und wie Sie sich Ihre Beziehung zueinander wünschen. Nun geben Sie den Wesen etwas Zeit für eine Antwort - das heißt, genaugenommen geben Sie sich selbst die Zeit, um diese Antwort zu verstehen. Betrachten Sie Ihre Umgebung mit wachen Augen -nickt dieser Ast dort in der lauen Brise nicht wie ein Mensch, der » Ja« signalisiert? Vielleicht kommt auch unvermittelt eine starke Böe auf, die Sie fast vom Platz zu schieben scheint; dann stören Sie gerade und sollten es später noch einmal versuchen. Wenn sich Ihnen kleine Tiere nähern, sind Sie eingeladen zu bleiben. Schauen Sie genau hin und versuchen Sie, die Geschehnisse um Sie herum als eine Art Geheimsprache zu verstehen - wie würden Sie sich ausdrücken, wenn Sie ein Baum, ein Bach oder eine Wiese wären und »Nein« oder » Ja« sagen wollten?

Natürlich können Sie auch versuchen, die Antwort mit Ihren inneren Sinnen zu erfassen. Wenn Sie darin bereits geübt sind, dürfte sie sich auf diese Weise sehr viel direkter und deutlicher darstellen. Vielleicht schließen Sie dazu wieder die Augen, aber mit zunehmender Erfahrung werden Sie in der Lage sein, Ihre inneren Bilder »über« oder „hinter« die Wahrnehmung Ihrer materiellen Sinne zu legen. Bei mir ist es total verrückt - ich sehe die materielle Seite der Welt vor der vorderen Hälfte meines Kopfes und die immaterielle Seite vor der hinteren, als wenn mein inneres Auge nicht auf der Stirn, sondern im Hinterkopf säße. Manchmal sehe ich im Alphazustand sogar mit dem Hintern. Was immer also bei Ihnen der Fall sein mag - es kann wohl kaum seltsamer sein als bei mir!

Falls Sie nun eine negative Antwort erhalten haben sollten, bedanken Sie sich - immerhin hat man Sie vorgewarnt - packen Sie Ihre Sachen bis auf die Gaben ein und gehen Sie. Vielleicht haben Sie ein andermal mehr Glück. Es könnte aber auch sein, daß dieser Ort nicht für Sie geeignet ist - oder Sie nicht für den Ort. Das kann passieren und ist auch nicht dramatischer, als morgens das falsche Paar Schuhe erwischt zu haben - man tauscht es aus und macht weiter. Sollten Sie jedoch eine positive Antwort erhalten, laden Sie alle Wesen in der Umgebung zu einem gemeinsamen Mahl ein, um einander näher kennenzulernen. Bitten Sie darum, nicht überfordert zu werden; einige Elementarwesen sind sehr kraftvoll und mächtig und könnten Ihnen eventuell schaden. Wenn Sie im Laufe Ihrer Einladung noch einmal in Erinnerung rufen, daß Sie zerbrechlich sind und dieselbe Sorgfalt von den Wesen erhoffen, die Sie auch ihnen entgegenbringen werden, wird man vorsichtig mit Ihnen umgehen. Wahrscheinlich wird man sich zunächst einmal eher zögernd verhalten, aber lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Auch wenn Sie selbst mit dem inneren Auge niemanden zu entdecken vermögen, können Sie doch sicher sein, daß Ihre Einladung nicht völlig unbeachtet geblieben ist. Man hält sich wahrscheinlich in Ihrer Nähe auf, beobachtet Sie und hört Ihnen zu.

Helfen Sie den Wesen nun, Vertrauen zu fassen, indem Sie ihnen von sich erzählen. Beschreiben Sie ihnen, was für ein Mensch Sie sind, was Ihnen Freude bereitet; was Sie traurig macht und erzählen Sie ihnen von den Dingen, die Sie im Moment gerade beschäftigen. Machen Sie nicht den Fehler, zu lügen. Ihre Aura verändert sich dann leicht, und das sieht ein durchschnittlicher Waldzwerg auf drei Kilometer Entfernung. Ehrlichkeit ist überhaupt eines der Schlüsselwörter bei der Kontaktaufnahme mit Elementarwesen, sie ist Ihre zweitgrößte Kraft gleich nach der Liebe und Ihr größter Schutz. Die Kombination von Liebe und Ehrlichkeit steht in der anderen Welt in ganz hohem Kurs!Wenn Sie alles gesagt haben, was Ihnen im Augenblick wichtig erscheint, richten Sie Ihre Sinne wieder nach innen und schauen Sie, ob man Ihnen vielleicht auch etwas zu sagen hat.

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Beantworten Sie eventuelle Fragen ehrlich und nach bestem Wissen. Wenn Sie nicht sicher sind, was Sie sagen sollen, nehmen Sie sich ein paar Augenblicke Zeit zum Nachdenken. Im Gegensatz zu unserer Alltagswelt sind am Fuße des Regenbogens nicht unbedingt schnelle, sondern eher wohlüberlegte Antworten und Entscheidungen gefragt.

Fragen Sie die Wesen oder den Kraftplatz selbst, was Sie für sie bzw. ihn tun können. Die erste Antwort, die Sie in Ihrem Inneren spüren, ist meist die richtige, aber vielleicht erhalten Sie weitere Erklärungen; wenn Sie noch ein wenig zuhören. Versprechen Sie zu tun, was Ihnen aufgetragen wurde, falls es in Ihrer Macht steht. Versprechen Sie niemals etwas, das Sie dann nicht auch einhalten. Versprechen haben in der feinstofflichen Welt eine sehr viel bindendere Bedeutung als bei uns, in der Tat ähneln sie eher einem Schwur. Zögern Sie die Ausführung dessen, was Ihnen aufgetragen wurde, auch nicht zu lange hinaus. Für uns Menschen ist es manchmal schwer zu erkennen, wie dringend ein Anliegen der feinstofflichen Welt ist, und wenn mir jemand sagt, ich soll doch bitte einen Apfel in einen Teich werfen, vermutet mein analytisches Alltagsbewußtsein dahinter nicht unbedingt einen Akt, von dem auf der anderen Seite vielleicht Leben oder Tod abhängen.

Wenn Sie den Eindruck haben, daß Ihr Gespräch zu seinem Ende gelangt ist, bedanken Sie sich herzlich für alles, was Sie erhalten und erfahren haben und verabschieden sich. Wenn Sie möchten, können Sie den Ort und seine Bewohner segnen sowie auch deren Segen erbitten - dazu erfahren Sie später noch mehr. Räumen Sie den Platz auf, aber lassen Sie die Speisen für die Elementarwesen hübsch angeordnet zurück. Getränke können Sie in den Erdboden gießen, aber ich persönlich finde es schöner, ein kleines, flaches Gefäß zurückzulassen, das ich später wieder abhole. Meist sind Tiere die verlängerten Gliedmaßen jener Wesen, die Sie beschenken, und auf diese Weise haben sie mehr von den Getränken, als wenn Sie sie auf den Boden kippen. Sie können alte Schälchen nehmen, deren Verlust Sie notfalls verschmerzen können oder auch Pappgefäße. Wenn diese verloren gehen, verrotten sie wenigstens. Vergessen Sie auf keinen Fall, vor dem Verlassen des Platzes aus dem Alphazustand herauszugehen.

Besuchen Sie Ihren Kraftort regelmäßig. Sie müssen dort nicht immer ganze Rituale feiern, aber es wäre schön, wenn Sie immer wieder mit Ihren neuen Freunden plaudern. Vielleicht haben diese wichtige Informationen für Sie oder benötigen Ihre Unterstützung - mal abgesehen davon, daß sie sich gerne mit Ihnen unterhalten und ebenso an Ihnen interessiert sein dürften, wie Sie umgekehrt ein Interesse an den Ereignissen in der feinstofflichen Welt haben werden. Sie können den Elementarwesen jede Frage stellen, die Sie beschäftigt. Manchmal werden Sie vielleicht keine Antwort erhalten oder diese nicht sofort verstehen, aber ebenso oft wird man Sie mit einer Fülle an Informationen und auch Lebenskraft versorgen können. Vergessen Sie niemals, aus Ihrer eigenen Fülle zurückzugeben. Friede allen Wesen an diesem Ort.

Kraft schöpfen aus der Natur

Was ist Lebenskraft und woher kommt sie?

Die Energie, aus der wir täglich schöpfen, besteht nur zum Teil aus Kohlehydraten, Fetten und Proteinen und mit der materiellen Komponente unserer Nahrung alleine sind wir nicht in der Lage, unseren diesbezüglichen Bedarf abzudecken. Unser Körper wie auch unsere Seele benötigen noch eine zweite, nicht mit einer Kalorientabelle meßbare Energiezufuhr, die ich gerne als Lebenskraft bezeichne. Diese Kraft ist eine allem Natürlichen eigene feinstoffliche Substanz, ohne die ein Wesen stirbt, auch wenn es noch so viel materielle Nahrung erhält. In früheren Zeiten mußten sich die Menschen um eine ausreichende Menge dieser Energie kaum kümmern, da sie in jeder Pflanze und jedem Tier, dessen Fleisch sie verzehrten, in hohem Maße

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vorzufinden war; heute jedoch behandeln wir unsere Nahrung auf eine Weise, die ihr mehr und mehr Lebenskraft entzieht. Die Kartoffel draußen auf dem Feld enthält davon trotz Massenanbau und Düngemittel sowie Pestizidverwendung noch relativ viel, aber wenn sie in Scheibchen geschnitten, frittiert, gesalzen, konserviert und in Plastiktüten verpackt als Kartoffelchips auf unserem Tisch landet, ist davon so gut wie nichts mehr zu spüren. Das sind leere Kalorien in mehr als nur der üblichen Hinsicht. Je stärker unsere Nahrungsmittel sowie deren Lieferanten mißbraucht und bearbeitet werden, desto weniger Lebensenergie können sie uns noch bieten.

Wie aber kommt die Lebenskraft nun in die Kartoffel? Tatsächlich nimmt diese sie aus der Umgebung auf. Diese »grüne Kraft« ist die Grundsubstanz der gesamten Erde. Wir wissen, daß alle materiellen Dinge im Grunde aus einzelnen Atomen bestehen, aber keiner weiß so ganz genau; was eigentlich das Zeugs zwischen diesen Teilchen darstellt. Fragen Sie einen Taoisten, der wird es Ihnen sagen: Da steckt die göttliche Energie der Liebe, die jede Schöpfung erst möglich macht und die den Ursprung des Lebens darstellt. Ja, die Grundsubstanz des Universums ist Liebe. Schade, daß so wenige Menschen davon wissen.

Das klingt ein wenig provokant, nicht wahr? Es erweckt vielleicht Erinnerungen an die Flowerpower-Zeit und scheint so gar nicht zu uns heutigen Menschen zu passen. Ich kann Ihnen diese Zusammenhänge natürlich auch in pseudowissenschaftlichen Begriffen darlegen, aber halten Sie das wirklich für sinnvoll? Woher kommt denn unser Bedürfnis, uns mittels einer analytischen Haltung von unserer Umgebung zu distanzieren? Warum macht es uns so große Angst, das Wort „Liebe« in der Öffentlichkeit zu verwenden, am Ende gar in Zusammenhang mit uns selbst?

Der westliche Mensch neigt dazu, einen Abstand zwischen sich und der restlichen Schöpfung zu errichten, aus dem heraus er es sich leisten kann, die Welt zu betrachten, ohne wirklich von ihr berührt zu werden. Das Ergebnis dieser Haltung besteht in einem völligen Realitätsverlust - anders ist der Umgang nicht zu bezeichnen, den wir mit der Erde pflegen und der über eher kurz als lang fatale Folgen für uns haben wird. Jetzt, am Vorabend unseres eigenen, selbstverschuldeten Untergangs, sehe ich nur noch einen Ausweg aus dem Dilemma: Wir müssen wieder den Mut aufbringen, aus unserer emotionalen Reserve herauszukommen, uns berühren zu lassen und uns bewußt zu werden, daß wir in die ganze Angelegenheit involviert sind, ganz egal, ob wir sie vom Rand aus beobachten oder uns aktiv hineinstürzen. Unsere scheinbare Abgehobenheit ist so oder so nichts als eine Illusion - ein tödliche allerdings.

Wie schon im Ballonbeispiel gezeigt, möchte ich auch hier darauf hinaus, daß die gesamte Erde - und vielleicht noch mehr, aber bleiben wir erst einmal bei diesem Schritt - eine Einheit darstellt, ein größeres Ganzes, in dem wir in etwa das sind, was eine Hand für den menschlichen Körper ist. Wichtig, aber nicht unverzichtbar; ein großes Hilfsmittel, aber wenn sie erkrankt, können wir auch ohne sie leben. Die Basis dieser Ganzheit stellt im Ballonbeispiel die frei durch den ganzen Kugelhaufen strömende Luft dar. Sie ist die wache Persönlichkeit des Modells; etwas, das all seine Teile gemeinsam haben und von dem sie in regem Austausch durchdrungen werden. Lebenskraft eben.

Nun liegt die Verbindung zur Liebe recht nahe. Leben und Liebe sind beinahe dasselbe, das Leben wird von uns nur über materielle Erscheinungsformen definiert. Aber wenn etwas wächst, dann geschieht dies aus Liebe, und wenn es darin von Elementarwesen angeregt und geleitet wird, kann auch dies nur erfolgen, weil eine umsorgende Form der Liebe im Spiel ist. Außer uns hat anscheinend nichts und niemand auf diesem Planeten Angst davor, zu lieben.

Mißverstehen Sie mich bitte nicht: Was ich hier zeichne, ist keine heile Paradieswelt, in der

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Löwe und Lamm sich friedvoll die Vordertatze reichen. So weit sind wir noch nicht -immerhin will so ein Löwe auch etwas essen. Zur Liebe gehört auch Leidenschaft, und so ist die Aggression, mit der sich der Kampf ums Überleben darstellt, Ausdruck eben dieser Leidenschaft. Eine Welt ohne Aggression, ohne den überzeugten, leidenschaftlichen Eintritt und Einsatz für die Belange aller Teile der Schöpfung ist ebenso tot und steril wie die schon erwähnten Kartoffelchips. Das wußten bereits unsere Vorfahren, wenn sie im sommerlichen Ritual den Tod des Erntegottes feierten, weil er Jahr für Jahr um diese Zeit seine Lebenskraft dem Korn und damit uns Menschen gibt. Dies ist nur eine andere, etwas symbolischere Art, den göttlichen Ursprung der Lebensenergie und ihre Verbindung zu Liebe und Aggression darzustellen.

All dies legt den Schluß nahe, daß ein Zugriff auf die Lebenskraft nicht nur über unsere Nahrung möglich ist. Das trifft zum Glück zu, denn wir sind heute kaum mehr in der Lage, unseren diesbezüglichen Bedarf aus dem Essen zu decken - nach all dem, was wir damit und mit den Tieren und Pflanzen, die es liefern, angestellt haben. Wir sind also heute mehr denn je darauf angewiesen, andere Quellen der Lebenskraft bewußt aufzuspüren und einzusetzen.

Spontaner und ritueller Umgang mit natürlichen Elementen

Das Grundprinzip im Umgang mit Bäumen, anderen Pflanzen, Felsen, Elfen oder was immer Ihnen auch über den Weg läuft, ist der Austausch, das bereits erwähnte Prinzip von Geben und Nehmen. Und das schließt die Ihnen begegnenden Menschen keinesfalls aus. Unsere Gesellschaft hat diese Kunst schön lange vergessen; man wählt hier meist eine von zwei Extremhaltungen und neigt entweder dazu zu nehmen, »was man kriegen kann«, oder sich in völlig selbstversagendem Geben zu ergehen. Wie üblich ist die Mitte das Sinnvollste, aber machen Sie das mal einer Frau klar, die ihren ganzen Selbstwert aus der Aufopferung ihrer persönlichen Bedürfnisse für jene der Familie bezieht oder auch dem Teenie, der unbedingt glaubt, die Welt »schulde ihm etwas«. Die Notwendigkeit der Balance und Ausgleichung aller ihrer Elemente zieht sich durch die gesamte Schöpfung wie ein holographisches Muster, das sich auf allen Ebenen und in allen Situationen finden und aktivieren läßt. Diese Aktivierung können wir nicht an- oder ausschalten, sie findet jedesmal statt, wenn wir geben oder nehmen. Und wenn wir uns nicht bemüßigt fühlen, einen Ausgleich zwischen diesen beiden Polen zu schaffen, tut dies das Universum für uns - nur daß sich dieses unter Umständen herzlich wenig darum kümmert, ob uns seine Art des Ausgleiches persönlich auch gefällt. Hier geht es um die Existenz, und basta.

Kommunikation im eigentlichen Sinne des Wortes stellt immer einen Austausch auf grundlegendster Ebene dar. Deshalb ist es so wichtig, sich im Gespräch sowohl selbst darstellen als auch dem anderen genau und aufmerksam zuhören zu können, denn in dieser Situation wird so deutlich wie in kaum einer anderen Energie ausgetauscht, und dies in einer Form, die jener der Lebenskraft bereits sehr ähnelt, da Gedanken sowie Gefühle letztendlich ebenfalls immaterielle Erscheinungsformen sind. Von dort ist der Schritt zum Fluß der Lebensenergie nur noch ein Katzensprung, wie jeder weiß, der schon einmal an einer engagierten und zielführenden Diskussion teilgenommen hat. Diese Verbindung können Sie jedoch nur dann herstellen, wenn Sie es sich erlauben; nicht nur Ihre rationale; sondern auch Ihre emotionale Ebene zum Ausdruck zu bringen: Ich weiß, daß eine solche Gesprächsform heutzutage nicht gerade in Mode ist; wir schwingen das Zepter der Objektivität und verweigern dem anderen auf diese Weise, an dem teilzuhaben, was uns wirklich bewegt, vorantreibt und lebendig macht. Aus diesem Grund haben wir verlernt, uns den Gefühlen anderer wie auch unseren eigenen auszusetzen; diese machen uns Angst, und wer sie mit in eine Diskussion einbringt, wird schnell als »unsachlich«, »irrational« oder gar »hysterisch« abgetan: Ein stichhaltiges Argument wird aber um keinen Deut weniger wichtig, wenn es von emotionalen Äußerungen begleitet ist. Ganz im Gegenteil erhöht dies seine

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Bedeutung noch oder zeigt zumindest an, daß es für. denjenigen, der es vertritt, von großer Wichtigkeit ist. Wenn wir uns von unseren Gefühlen distanzieren, gewinnen wir nicht die Fähigkeit, für uns Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, sondern wir verlieren sie:

Natürlich gehört zu einer emotionalen Diskussion unbedingt die Fähigkeit; diese auf angemessene Weise zu führen. Ebensowenig wie eine rein verstandesmäßige Auseinandersetzung nutzt es uns, eigene Gefühle auf den anderen, zu projizieren oder ihn damit zu erdrücken. Mir ist bewußt, daß diese Fähigkeiten bei den meisten Menschen nur in geringem Maß ausgebildet sind, was die sogenannte »objektive« Diskussionsform zumindest als das geringere Übel erscheinen läßt. Dies ist jedoch eine Illusion. Es gibt die objektive Diskussion gar nicht, weil man sein Gegenüber auch mit völliger Ruhe und Emotionslosigkeit auf das Negativste manipulieren kann. Sie ist in diesem Rahmen also Schlichtweg hinfällig, da sie ihren Zweck nicht erfüllt. Des weiteren halte ich die Möglichkeiten des emotionalen Gesprächs für weitaus zielführender und für so bedeutsam, daß ich dazu anregen möchte, lieber bald mit dem Erlernen dieser Fähigkeit zu beginnen - auch wenn das anfangs mehr Kommunikationsschwierigkeiten schaffen mag als es löst. Das ist nun einmal so, wenn man etwas Neues lernt, wertet aber die eigentliche Fähigkeit keineswegs ab.

Diese emotionale Kommunikation ist der Schlüssel zum Austausch von Lebenskraft. Sie kann in verbaler wie auch nonverbaler Form erfolgen; die Gefühle, die Frischverliebte wortlos miteinander austauschen, werden auch von Bäumen hervorragend verstanden. Der Mensch ist in der Lage, ganze und hochkomplizierte Zusammenhänge in einem einzigen Moment zum Ausdruck zu bringen, wenn er alle Ebenen der Kommunikation mit einbezieht - Worte, Mimik, Gestik, Gefühle, Telepathie und Empathie. Der Informationsstrom, den wir zu einem anderen Menschen schicken, transportiert weitaus mehr als nur visuelle und akustische Signale; auf derselben Welle reiten noch eine Unmenge weiterer Details, die vor allem von nichtmenschlichen Lebensformen sehr gut empfangen .und verarbeitet werden können.

Einem Baum müssen Sie nicht erzählen; wie Sie sich fühlen - lehnen Sie sich einfach an seinen Stamm und lassen Sie Ihre Emotionen zu ihm fließen. Auch Bilder versteht er sehr gut. Unter Umständen müssen Sie sich an ein anderes Kommunikationstempo gewöhnen. Meiner Erfahrung nach haben Steine eine etwas gemächlichere Art zu denken, während ich bei Kleinvögeln oft kaum mitkomme - vielleicht ist das aber auch nur meine Art und Weise, die Persönlichkeit eines nichtmenschlichen Wesens in Symbole umzusetzen; die ich verstehen kann, und Sie machen ganz andere Erfahrungen.

Unter einem spontanen Umgang mit natürlichen Elementen verstehe ich zum Beispiel, auf einem Spaziergang kurz bei meinem Lieblingsbaum stehenzubleiben, meine Hand oder meinen Rücken an seinen Stamm zu legen und mal eben »Hallo« zu sagen: Ich sende einige freundliche Gefühle hinüber und warte, was geschieht. Oft dauert es ein paar Minuten, bis aus den wurzeligen Tiefen unter mir etwas heraufzusteigen scheint, manchmal aber erhalte ich auch direkt eine Antwort. Ich vermute, daß diese Unterschiede nicht unwesentlich mit meiner eigenen Fähigkeit des Zuhörens zusammenhängen - es gibt Tage, an denen ich es besser kann und andere, wo ein Baum schon mal zwei, drei Minuten bei mir »anklopfen« muß, ehe ich bemerke, daß da jemand auf der anderen Seite ist. Diese Antwort kann auf verschiedene Weise erfolgen. Oft werden Sie Bilder empfangen, die mehrere Informationen enthalten, denn auch nichtmenschliche Wesen können in einem einzigen Moment sehr viel vermitteln. Vielleicht hören Sie aber auch eine Stimme, die jener Ihrer eigenen Gedanken ähnelt oder sich von ihr unterscheidet. Ich merke meistens daran, daß ich von selbst nie auf diesen Gedanken gekommen wäre, ob jemand von außerhalb meines Geistes mit mir spricht.

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Ähnliches gilt für Unterhaltungen mit allen anderen Wesen, die Ihnen begegnen mögen. Fragen Sie immer kurz an, ob Sie vielleicht gerade stören auch Felsen haben einen Job zu erledigen. Akzeptieren Sie es, wenn Sie fortgeschickt werden; die meisten von ihnen empfinden uns Menschen als ziemlich unentschieden, nämlich entweder völlig uninteressiert oder im Gegenteil recht aufdringlich. Wenn Sie ein »Jetzt nicht« akzeptieren und später wiederkommen können, haben Sie bei Ihrem Felsen schon mal einen Stein im Brett!

Meistens werden Sie in solchen Gesprächen irgend etwas erhalten. Dies kann eine gute Idee, aufmerksames Zuhören, Lebenskraft oder auch etwas anderes sein. Worum es sich auch immer handeln mag, alleine durch die Tatsache, daß man Ihnen Zeit widmete, haben sie eine Zuwendung bekommen; für die Sie sich revanchieren sollten. Es gibt erstaunlich viel, was Sie für Ihr Gegenüber tun können. Manche Menschen nehmen auf solche Spaziergänge immer die eine oder andere Kleinigkeit mit, die sie verschenken wollen. Ich selbst habe Unmengen von Trommelsteinen unter Baumwurzeln vergraben, bis ich eines Tages eine hochinteressante Entdeckung machte. Stellen Sie sich vor, wie ich da auf meinen Knien herumrutschte und meine wohlgepflegten Fingernägel dem Erdreich opferte, als ich plötzlich in mir die Stimme der Föhre wahrnahm, die ich gerade beglücken wollte: » Hmmm ... wozu das?« Ich schaute erstaunt hoch. »Als Dankeschön. Du hast mir wertvolle Hinweise gegeben, und ich dachte, Geben und Nehmen sollten immer im Ausgleich sein!?!« Ein unterdrücktes Gelächter kam vom Baum, ich, hatte fast den Eindruck, ich sollte nicht merken, daß er mich komisch fand. Dann erzählte er mir, daß er sich schon immer gefragt habe, wie sich der Sonnenschein wohl direkt auf unserer für ihn unglaublich zarten, glatten und weichen Haut anfühle und fragte in der Tat, ob das Licht von uns herabfließen würde! Na, dieses Problem war leicht zu lösen. Ich lehnte mich an seinen Stamm, zog das Hemd aus und aalte mich in der sommerlichen Wärme, während ich dieses Gefühl direkt zum Baum weitersandte. Selten habe ich einen Baum so erstaunt und zufrieden erlebt.

Heute nehme ich nur noch selten Steine mit in den Wald, es sei denn, ich werde ausdrücklich darum gebeten. Mir sagte mal ein Bach: »Ich bekomme viel mehr von deiner Lebensfreude mit, wenn du sie mir selbst vermittelst. In einen Stein gepackt, geht immer etwas davon verloren.« Manche Wesen allerdings ziehen materielle Geschenke vor -denken Sie nur an die Elfen und ihre Vorliebe für Süßes. Und Zwerge finden Kristalle, die bei uns nicht sehr rein vorkommen, einfach wunderbar.

Bitte vergessen Sie niemals, daß ich Ihnen hier meine ganz ureigenen Erfahrungen schildere. All diese Wesen haben ebenso eine Persönlichkeit wie auch Sie selbst, nur daß diese in weitaus engerer Verbindung zu jener ihrer Artgenossen steht und manchmal nicht ganz so individuell ausgeprägt erscheint wie die Ihre. Dennoch können sich auch hier Vorlieben und Abneigungen individuell unterscheiden. Machen Sie Ihre eigenen Erfahrungen und verlassen Sie sich auf Ihr Urteil.

In einer spontanen Begegnung spreche ich mein Gegenüber immer als Individuum an, auch wenn dieser Begriff für zum Beispiel ein Tier eine ganz andere Bedeutung haben mag als für mich. Diese Treffen können sehr tief gehen und recht emotionsgeladen sein, vor allem dann, wenn ich in einem Zustand starker innerer Bewegung hinausgehe, weil mich etwas hocherfreut oder auch sehr traurig gemacht hat. Oft ähneln diese Gespräche aber auch einfach dem Plaudern mit einem guten Nachbarn.

Wenn ich mich der nichtmenschlichen Schöpfung im Ritual nähere, geschieht dies meist auf andere Weise. Dann spreche ich zum Beispiel keine bestimmte Eiche an, sondern den Geist aller Eichen, oder ich wende mich an den generellen Eulengeist. Das einzelne Individuum erscheint dann nur noch als eine Verlängerung oder Ausprägung dieses Geistes, ähnlich wie Ihr Arm eine

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Verlängerung Ihrer Person darstellt. Im Alphazustand können Sie auch Kontakt mit Ihrem Arm aufnehmen und werden dann vielleicht überrascht feststellen, daß dieser Vergleich gar nicht so hinkt, wie es jetzt den Anschein haben mag; auch dort werden Sie eine Art lebendiges Bewußtsein finden, wenn auch eines, das sich von dem Ihren sehr. unterscheidet.

Im Ritual begeben Sie sich auf eine Kommunikationsebene, die - um bei diesem Vergleich zu bleiben – eher den Menschen als seinen Arm anspricht. Mir ist nicht ganz klar, wie sich diese Hierarchie auf Seiten der nichtmenschlichen Wesen darstellt; ich weiß nur, daß Sie es da mit etwas anderem zu tun haben, das doch zugleich auch jene Eiche ist, an der Sie so oft vorbeispazieren - jene Eiche und noch viel, viel mehr: Hier wird es einfach schwierig, die Dinge in Worte zu fassen. Vielleicht kommen wir noch einmal auf das Ballonbeispiel zurück: Während Sie es bei der spontanen Begegnung mit einem Individuum aus der Kugel »Eichen« mit einem kleinen Fleck auf diesem Ball zu tun haben, sprechen Sie im Ritual mit dem ganzen Ball, und der hat interessanterweise ein Eigenbewußtsein, das jenes aller einzelnen Eichen mit einschließt. Beide Seiten können ständig aufeinander zugreifen, und so sind alle Eichen im selben Augenblick ein sich selbst wahrnehmender Baum, der in ständiger Verbindung zu allen anderen Eichen auf der Welt steht, als auch ein All-Eichen-Geist, dessen eine Verlängerung unter vielen Sie gerade vor sich haben.

Aus diesem gegenseitigen Austausch können nun sowohl Sie wie auch Ihre Gesprächspartner Lebenskraft gewinnen. Wir Menschen stellen im großen Fluß der Lebensenergie eine Art Widerstand dar, weil wir uns ihr nicht mehr wirklich hinzugeben in der Lage sind, und blockieren auf diese Weise den gesamten Durch- und Weiterfluß in nicht unerheblichem Maß. Allein schon unsere Bereitschaft, uns diesen Energien wieder zu öffnen und uns für sie durchlässig zu machen, verbessert diesen Zustand und auch unser eigenes Wohlbefinden bereits sehr.

Ritual zum Erspüren und Aufnehmen der Lebenskraft

Begeben Sie sich an Ihren Kraftort oder an einen anderen Platz, der Ihnen hierfür geeignet erscheint. Begrüßen Sie die dortigen Wesen, setzen Sie sich hin und, gönnen Sie sich ein paar Augenblicke, in denen Ihr Geist zur Ruhe kommen kann - ein paar tiefe, aber nicht forcierte Atemzüge in den Bauch hinein können dabei helfen. Seufzen Sie laut, und lassen Sie mit dem Geräusch alle Anspannungen oder Ärgernisse, die Sie mit hierher gebracht haben mögen, aus Ihnen herausfließen.

Erstellen Sie als nächstes einen Kreis und bitten Sie die Elementarwesen um ihren Schutz und ihre Unterstützung bei dem, was Sie nun vorhaben. Dann gehen Sie zum Fuße der Regenbogenbrücke und bitten dort jene, denen Sie vertrauen, um ihren Rat. Es kann sich hierbei um eine oder mehrere Gottheiten oder einen nichtmenschlichen Freund von Ihnen handeln; auch ein eventueller Geistführer oder Ihre Ahnen werden Ihnen gerne zur Seite stehen. Warten Sie, bis Sie das betreffende Wesen, vor Ihrem inneren Auge sehen, dann begrüßen Sie es und erzählen ihm, daß Sie hier sind, um Ihre .persönliche Quelle der Kraft zu finden.

Nun entspannt sich vielleicht ein Gespräch zwischen Ihnen und dem Wesen, das Sie hergebeten haben. Möglicherweise nimmt man Sie auch mit auf eine kleine Wanderung, um Ihnen Ihre Quellen zu zeigen. Folgen Sie in allem den Anweisungen Ihres Führers und haben Sie Vertrauen. Sie sind auf dreifache Weise geschützt: durch den Kreis, die Elementarwesen und auch durch die Kenntnisse Ihres Führers. Vertrauen Sie auch dem, was Sie sehen. Jede Information, die Sie in einem echten Alphazustand erhalten, ist zutreffend und wichtig für Sie. Keine Sorge, Sie phantasieren hier nicht herum, sondern betreten gerade eine andere, innere Welt, die genauso

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real ist wie die alltägliche - auch wenn Sie diese beiden tunlichst nicht miteinander verwechseln sollten. Auch wenn Sie da drinnen die Kunst des Fliegens noch so gut beherrschen, würde ich dennoch davon abraten, diese Fähigkeit auf Ihr normales Leben übertragen zu wollen!

Versuchen Sie, sich den Weg, den Sie entlanggehen, zu merken. Sollte er zu lang sein, bitten Sie Ihren Führer um ein Zauberwort, das Sie direkt an diesen Ort versetzt, sobald Sie das nächste Mal zu diesem Zweck in den Alphazustand gegangen sind. Auf diese Weise können Sie jederzeit zu Ihrer persönlichen Kraftquelle zurückkehren. Bitten Sie auch um ein Wort, mit dem Sie diesen Ort wieder verlassen können. Es macht aber nichts, wenn Sie dies vergessen - Sie können jeden Platz, zu dem Sie Ihre inneren Reisen führen sollten, sofort verlassen, indem Sie sich einfach wieder ins Tagesbewußtsein hinaufzählen. Ein solches „Rückkehr-Wort« hat nur seine Vorteile, wenn man nach dem Besuch der inneren Kraftquellen noch eine andere Aufgabe zwischen den Welten erledigen möchte. Oft genügt es aber auch einfach, »Zurück!« zu denken.. Manchmal werden Sie kein Wort, sondern einen immateriellen Gegenstand erhalten, der Sie an Ihren Kraftort versetzt. Lassen Sie diesen dann einfach am Fuß der Regenbogenbrücke zurück; Sie werden ihn, dort vorfinden, wann immer Sie zurückkehren. Vielleicht schauen Sie sich dort nach einem geeigneten Platz zur Aufbewahrung solcher Gegenstände um - ein hohler Stamm, eine kleine Höhle oder ein Loch in einem Felsen eignen sich ganz hervorragend: Es kann auch sehr interessant sein, eine solche Gabe in der materiellen Welt nachzubauen, wie es zum Beispiel mit Stäben oder Beutelchen möglich ist.

Wenn Ihre Reise beendet ist, bedanken Sie sich bei Ihrem Führer und allen anderen, die Sie unterstützt haben. Öffnen Sie den Kreis; gehen Sie wieder ins Alltagsbewußtsein - und lassen Sie Ihren feinstofflichen Freunden eine Gäbe zurück.

Eine weitere, einfachere Form der Energiegewinnung in der Natur besteht einfach darin, sich an einen Ort, an dem Sie sich geborgen fühlen; zu setzen und die Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen. Beobachten Sie, in welch mannigfaltiger Form um Sie herum das Leben tanzt - im Summen der Bienen; dem Zwitschern der Vögel; dem sanften Wiegen der Zweige in der Brise. Erinnern Sie sich an das Konzept der alles durchströmenden, alles darstellenden Lebenskraft und werden Sie sich bewußt, selbst ein Teil dieses Ganzen zu sein. Stellen Sie sich vor, wie Sie innerlich weit offen und durchlässig für diese »grüne Kraft» werden. Nun kann das Leben Sie frei und ungehindert durchströmen. Nehmen Sie aus diesem Fluß, was Sie benötigen, und geben Sie den Rest ungehindert weiter. Diese Kraft ist immer da; es besteht keine Notwendigkeit, sie zu hamstern, denn es ist der Urstoff unseres Planeten. Senden Sie mit dem, was Sie nicht benötigen, Ihre Freude und Ihren Dank hinaus: Auf diese Weise tragen auch Sie Ihren Teil zu diesem Kreislauf bei.

Wenn Sie sich auf den alten Pfad begeben, treten Sie in eine Gemeinschaft ein, in der Sie niemals alleine sein werden - selbst dann nicht, wenn Sie kein anderer Mensch begleitet. Gemeinsamkeit ist ein Grundmerkmal der natürlichen Wesen, da viele von ihnen über eine nicht annähernd so stark wie die unsere ausgeprägte Persönlichkeitsstruktur verfügen. Ein anderer Grund dafür liegt aber auch im Wissen der belebten Schöpfung um die Einheit, die vom gesamten Planeten gebildet wird. Etwas anderes als Gemeinschaft erscheint ihnen unsinnig. Natürlich kann sich jedes Individuum für eine gewisse Zeit zurückziehen und auf sich selbst besinnen, wenn es das möchte, doch wird es deshalb niemals aufhören, eine Verlängerung der Einheit und somit ein Teil von ihr zu sein. Deshalb haben Gemeinschaftsriten, deren einziger Zweck in der Anerkennung und Stabilisierung der AllEinheit sowie der Freude daran bestehen; in der Naturreligion eine große Bedeutung. Eines davon möchte ich Ihnen im folgenden vorstellen.

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Das Quellopfer

Teil eines Gemeinschaftsritus ist immer auch die Anerkennung der Aufgaben aller feinstofflichen Wesen, die uns umgeben. Die Menschen früherer Zeiten wußten von der Bedeutung dieser Pflichten für, ihr tägliches Dasein. Wasser ist heute wie damals eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Leben, und doch nehmen wir sein Vorhandensein mittlerweile als eine Selbstverständlichkeit hin, die keiner besonderen Aufmerksamkeit, geschweige denn Pflege bedarf. Das Ergebnis dieser Einstellung ist eine ständig sinkende Wasserqualität und auch -menge. Der Pegelstand unseres Brunnens hat in den letzten fünf, sechs Jahren um gut einen Meter abgenommen - und ich lebe in einer regenreichen Gegend Deutschlands. Unsere Mißachtung der Wasser-Elementarwesen hat uns verseuchtes oder künstlich chloriertes und sterilisiertes Wasser gebracht - eine Entwicklung, die wohl hätte kaum so weit voranschreiten können, wenn wir den Kontakt zu den dieses Element verwaltenden Wesenheiten aufrecht erhalten hätten. Diese wären durchaus bereit und in der Lage gewesen, uns die Konsequenzen unseres selbstsüchtigen Verhaltens rechtzeitig vor Augen zu führen, aber wir haben es ja vorgezogen, einfach nicht mehr hinzuhören. Damit haben wir nicht nur die uns zur Verfügung stehende Menge guten Wassers, sondern auch, die Zahl der Hüter dieses Elementes empfindlich dezimiert. In einer Kloake kann kein Wasserwesen leben, und jene, die dennoch an solchen Orten ausharren, sind krank und kaum mehr in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen.

Der Zustand eines Wasserwesens entspricht dem seines Gewässers. Ist dieses krank, kann auch das Wesen nicht auf seine Kräfte zählen. Nun überlegen Sie mal kurz, wie viele wirklich gesunde und unbegradigte Bäche, Flüsse, Seen und Teiche wir noch haben - vom Meer wage ich in diesem Zusammenhang gar nicht zu sprechen. Verstehen Sie nun, wie dringend unsere Zuwendung von gerade diesen Wesen benötigt wird?

Mit dem Opfer machen Sie eine Gabe, die keine Gegenleistung erwartet, sondern einfach der Unterstützung jener Wesenheit dient, die Sie damit ansprechen. Auf diese Weise stellen Sie einen kleinen - nämlich Ihren - Teil der zerbrochenen Gemeinschaft wieder her und erkennen die Tatsache des großen Gesamtgefüges sowie Ihrer Zugehörigkeit dazu wieder an. Sie versprechen, auch Ihre Aufgabe und Ihren Teil der Gesamtverantwortung wieder wahrzunehmen. Das bedeutet nicht nur, den Kontakt in den Hüter-Wesenheiten erneut herzustellen, sondern auch, sich zu Hause ein paar Gedanken zu Ihrem Wassergebrauch zu machen. Vergessen Sie bitte nicht, daß dies nicht nur die Frage betrifft, wieviel Sie davon verwenden; sondern auch, was Sie hineintun. Die besten Methoden des Wassersparens nutzen nicht viel; wenn Sie das wenige, das Sie verwenden, mit ätzenden oder antibakteriellen Wirkstoffen belastet den Abfluß hinunterschicken - zu all dem anderen, vielen, vielen Wasser dort unten, das ebenfalls davon verunreinigt wird.

Die meisten Quellen, an denen Sie ein solches Opfer ausführen können, werden heutzutage gefaßt sein. Das macht nichts, solange es sich um eine echte Quelle handelt -also einen Ort, an dem das Wasser aus der Erde tritt und uns auf diese Weise von ihr gegeben wird. Hier findet die Übergabe, das kostbare Geschenk statt; und aus diesem Grund wurde dem Quellopfer schon immer eine besondere Bedeutung zugemessen. In der heutigen Zeit sollten wir allerdings darauf verzichten, irgend etwas in das Wasser hineinzugießen, denn es schlägt sich bereits mit genug Fremdstoffen herum. Bringen Sie statt dessen einen Trommelstein, Blüten oder etwas anderes mit, das in Ihren Augen die Botschaft der Freude und auch der Reinigung mitteilen kann. Irgendwo im Wasser selbst oder in unmittelbarer Nähe der Quelle hält sich meist der Quellgeist auf, und der ist durchaus in der Lage, auch eine am Rand der Einfassung abgestellte Gabe zu würdigen. Darüber hinaus hinterlassen Sie anderen Menschen ein Zeichen Ihrer Aktivitäten, das

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ganz alte, gemeinschaftliche Erinnerungen in ihnen wecken wird. Wer weiß, vielleicht finden Sie sogar früher oder später eine Nachricht an diesem Ort vor - dann hat ein wissender Mensch Ihre Zeichen erkannt und möchte gerne erfahren, wer denn da noch regelmäßig zum Quellgeist geht.

Nähern Sie sich der Quelle in ruhiger, gefaßter Stimmung und breiten Sie Ihre Gaben aus. Nehmen Sie dann neben dem Wasser Platz und begrüßen Sie den Quellgeist - ein unmögliches Wort, denn meiner Erfahrung nach scheint es sich hierbei meist um weibliche Persönlichkeiten zu handeln! Erklären Sie dem Wasserwesen, daß Sie seinetwegen hier sind und Ihnen bewußt ist, wie wichtig seine Aufgabe für unser aller Überleben ist. Vielleicht tauchen Sie Ihre Hand in das Wasser, genießen dessen Klarheit und Kühle und geben dem Wesen auf diese Weise zu verstehen, wie sehr Sie seine Anstrengungen zu würdigen wissen. Lassen Sie es Ihren Dank für das Geschenk des Lebens, das Ihnen das Wasser jeden Tag aufs neue macht, aus vollem Herzen spüren. Vielleicht handelt es sich bei diesem speziellen Wesen um einen der weniger zurückhaltenden und eher verspielteren Vertreter seiner Art, dann können Sie ruhig ein wenig mit ihm planschen und spielen. Meist jedoch werden Sie mit großer Behutsamkeit vorgehen und tief in sich hineinhorchen müssen, um die zarte Gestalt eines Quellgeistes zu erspüren. Bäche und Flüsse sind da ein wenig direkter. Erzählen Sie dem Wesen, wie Sie die Gemeinschaft zwischen sich und ihm wahrnehmen und was diese Ihnen bedeutet; vielleicht trinken Sie sogar zusammen mit dem Quellgeist auf Ihre ganz persönliche, soeben entdeckte Gemeinsamkeit einen Schluck seines Wassers. Feiern Sie miteinander die Einheit allen Lebens: Übrigens: »Feiern« bedeutet durchaus nicht, daß man dabei immer ausschweifenden Tätigkeiten nachgehen und das Ganze sich bis zum Morgengrauen hinziehen muß. Ein feierlicher Augenblick kann,, wenn er ernst gemeint ist, von tieferer Art sein als eine ganze Party.

Fragen Sie das Wasserwesen, ob Sie etwas Bestimmtes für es tun können. Bevor Sie gehen, können Sie einen Segen aussprechen. Lassen Sie nichts außer Ihren eß- bzw. abbaubaren Gaben zurück.

Elemente und Naturgeister

Vom Wesen des Feuers, des Wassers, der Luft und der Erde

Wahrscheinlich sind Sie der Einteilung des Universums in vier - eigentlich sogar fünf -Elemente schon einma l begegnet und wissen, daß es sich hierbei weniger um chemische Grundstrukturen, sondern um Qualitäten handelt, die ebenso auf materieller wie auch feinstofflicher Ebene zum Ausdruck kommen. Jedes existierende Ding, jeder Gedanke und jedes Gefühl setzt sich aus all diesen Elementen zusammen, auch wenn innerhalb dieses Gemisches oft eine Betonung eines bestimmten Elementes vorliegt, die es uns formal diesem zuordnen läßt. So betrachtet man eine Flamme meist als vorwiegend feuriges Wesen, das aber auch seine luftigen Qualitäten zeigt - man muß nur den Funkenflug betrachten, um dies verstehen zu können. Die stille, äußerlich bereits graue und innen dennoch heiße Bodenglut zeigt uns die erdige Seite des Feuers, und seine wasserartige finden wir bei der Betrachtung der fließenden Flammenformen oder auch eines Lavaflusses wieder. Dennoch stellt die Flamme natürlich die reinste materielle Erscheinungsform des Elementes Feuer dar, in der die anderen Elemente nur noch in Spuren zu erkennen sind.

Übrigens ist diese Betrachtungsweise so nur im westlichen Raum geläufig. Andere Kulturen verwenden andere und mehr oder weniger Elemente; um die Wirklichkeit zu beschreiben, woran deutlich sichtbar wird, daß es sich dabei um ein symbolisches System handelt. Ich habe beschlossen, bei jener Darstellung zu bleiben, die von unseren eigenen Vorfahren erarbeitet wurde, weil es sich dabei noch immer. um die uns am naheliegendste handeln dürfte. In den

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meisten europäischen Traditionen finden wir vier Elemente vor, die im allgemeinen als Erde, Feuer, Wasser und Luft benannt und durch ein fünftes unterschiedlicher Bezeichnung ergänzt werden. Der geläufigste Name für dieses fünfte Element ist wohl der Begriff „ Transformation«, und alleine das zeigt schon, daß es sich hierbei offensichtlich um nichts Eßbares handelt - und auch um nichts, was man anfassen könnte., Nun ja, auf dieses Problem kommen wir später zurück. Zunächst einmal sollten wir die anderen vier unter die Lupe nehmen.

Luft

Alle vier Grundelemente werden bestimmten Tageszeiten zugeordnet, und bei der genaueren Befrachtung dieser Tagesabschnitte erfahren wir bereits eine ganze Menge über das jeweilige Element. Die Luft repräsentiert den Morgen und alles, was so zu diesem gehört.

Eine kühle Brise streicht über die Wiesen. Von einem kleinen Fluß in der Talsohle steigen grauweiße Nebelschwaden nach oben, und die Hänge jenseits seiner Ufer liegen noch in den Überresten des nächtlichen Schattens, der die dunkelgrünen Bäume beinahe schwarz erscheinen läßt. Ein dunkles; aber dennoch seltsam leuchtendes Blau überzieht den Himmel; während man darin am westlichen Horizont noch einzelne Sterne entdecken kann, geht das tiefe Blau am östlichen Himmel bereits in diffuses Zwielicht über. Einzelne Konturen schälen sich heraus - ein paar Bäume am Fluß und einige Rehe, die still über die Wiesen ziehen. Alles erscheint irgendwie grau, als wenn man es durch einen Schleier hindurch betrachten würde. Hier und da klingt das verschlafene Zwitschern eines einzelnen, soeben erwachten Vogels durch die jedes Geräusch weithin tragende Luft, und die Grashalme zu unseren Füßen sind schwer vom feuchten, ziemlich kalten Tau.

Etwas geschieht auf der östlichen Seite des Tales, gerade über dem Kamm der bewaldeten Hügel: Unendlich langsam, aber dennoch unaufhaltsam verwandelt sich das Grau des Himmels erst in ein helles Gelborange, um sich dann mehr und mehr zu vertiefen, bis ein leuchtend roter Streifen über den Baumwipfeln steht. Um uns herum wird es lebendig. Immer mehr Vögel stimmen in das Lied ihres früh erwachten Freundes ein, und die Wiese beginnt sich mit weiteren Rehen und vereinzelten Hasen zu füllen. Eine erste Hummel schwirrt vorbei, ganz schwer noch, denn die Kühle des Morgens sitzt ihr in den. Gliedern. Mit ihr zusammen umflattern einige Zitronenfalter die sich zögernd öffnenden Blütenkelche.

Mittlerweile ist der Himmel heller geworden, und das Rot wandelt sich wieder zum Orange hin; durch welches bereits das tiefe, blaue All durchschimmert, als ein goldener Reif über dem Horizont erscheint. Während er sich zur Scheibe rundet, erhält die Welt plötzlich eine helle und eine dunkle Seite - Schatten bilden sich und strecken sich weit hin. Noch bevor die Sonne ganz über den Horizont gestiegen ist, hat sie die Nebelschwaden bereits aufgelöst und eine klare, reine Luft geschaffen, die mit jeder Minute merklich wärmer wird. Ein über dem Hügelkamm schwebender Falke kann nun beinahe unendlich weit in das Land hinein blicken. Unten im Tal jedoch hebt eine eifrige Geschäftigkeit an - alles ist bereit für den neuen Tag, der sich in lichtem Blau und tiefem Gold über die Wiesen und Bäume erstreckt.

Das Element Luft repräsentiert alles, was leicht, vergänglich, filigran und doch äußerst koordiniert wie auch strukturiert ist. Alle in diesem Lebensraum existierenden Tiere sind seine Vertreter, und so vielfältig wie diese kann sich auch die Luft selbst darstellen: leicht und tanzend wie ein Schmetterling, geschäftig und planend wie eine Biene oder auch wild und gewaltig wie der Raubvogel, wenn er auf seine Beute niederstürzt. Die Luft kann wiegen, biegen, beugen, beuteln, niederdrücken, sanft umschmeicheln oder tosend stürmen und für all diese Erscheinungsformen gibt es in unserem Leben eine Entsprechung. Im allgemeinen wird diesem

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Element die Welt der Gedanken zugeordnet, denn unsere Ideen sind der Beginn all dessen, was wir tun oder erschaffen -der Morgen unserer täglichen Realität sozusagen. Alles, was sich auf der materiellen Ebene manifestiert, hat zuvor bereits in der feinstofflichen Welt immaterielle Form angenommen; das gehört einfach dazu, so funktioniert das mit der Schöpfung eben. Wenn Sie ein Haus bauen wollen, stellen Sie es sich zunächst in vielen Einzelheiten vor und zeichnen Pläne davon, ehe Sie die ersten Steine aufeinander stellen, und genau dann bedienen Sie sich des Elementes Luft. Der Raum, in dem Ihr Phantasiehaus entsteht, ist dabei ebenso real wie das graue, schattenlose Zwielicht, des frühen Morgens und diesem sehr verwandt - in der Tat zählt der Übergang zwischen Tag und Nacht zu jenen Zonen, in denen es möglich ist, zwischen diesen beiden Welten hin und her zu wandern, was jeder, der schon einmal zur Zeit der Dämmerung aus einem besonders intensiven Traum erwacht ist, weiß.

Die Welt ohne Schatten ist aber auch jene ohne Wertungen. Hier gibt es kein Hell oder Dunkel, Gut oder Böse, denn in diesem Raum und während jener kurzen Zeit des Tages haben sich die Dualitäten wieder zusammengefügt. Die Spaltung existiert für einige Minuten nicht mehr; alles ist richtig und möglich zugleich. Deshalb können wir in der Welt ohne Schatten alles erdenken, planen, durchgehen sowie gedanklich erproben, was uns nur in den Sinn kommt, und aus demselben Grund haben wir dort die besten Einfälle. Wo die Polarität der Existenz aufgehoben ist, wird das Universum auch für uns Menschen wieder eins, und wir können auf Gedanken oder Inhalte zugreifen, die uns unter den Bedingungen der materiellen Welt sowie des normalen Tagesbewußtseins nicht zugänglich wären. Es ist der Raum, in dem Magie gewebt wird, aber auch eine Umgebung, die uns schützt und bewahrt - die Gedanken sind frei, Sie erinnern sich? Diese Schutzfunktion nehmen wir Tag für Tag auf vielerlei Weise in Anspruch, sei es, wenn wir einen Gedanken für uns behalten, im Geheimen etwas planen, das wir erst prüfen wollen, bevor wir es anderen mitteilen oder auch schlicht und einfach nur, indem wir atmen. Nichts verdeutlicht die schützende Funktion des Elementes Luft mehr als die dünne und dennoch so unendlich wirksame Lufthülle, die unseren Planeten umgibt. Luft ist lebensspendend, wie jedes der vier Elemente. Ebenso kann sie aber auch vernichtend sein. Ein Wirbelsturm reißt alles mit sich, was sich in seinem Weg befindet, und auch verpestete Luft ist ein Vertreter ihres Elementes. Luft kann ebenso erhalten und schützen wie auch vergiften und zerstören.

Das Problem beim Erfassen naturphilosophischer Konzepte liegt in deren analoger Art und Weise. Im Gegensatz zum logisch-linearen Gedankengebäude, in dem ein Punkt den nächsten ergibt und sich diese in einer Kette voneinander ableitbarer Ursachen sowie Wirkungen wie ein einzelner Faden entwickeln, stellt die analoge Denkweise die Betrachtung nicht der Abfolge einzelner Ereignisse oder Komponenten, sondern deren Ganzheit dar. Stellen. Sie sich einen Wollfaden vor, in den in regelmäßigen Abständen kleine Knoten geknüpft wurden. Wenn Sie nun erfahren wollen, wie viele davon sich darauf befinden, werden Sie wahrscheinlich ein Ende des Fadens in die Hand nehmen und die Knoten einen nach dem anderen zählen, bis Sie am anderen Ende angekommen sind. Diese Vorgehensweise entspricht dem logischen Denken. Wollten Sie die Zahl der Knoten auf analoge Weise in Erfahrung bringen; würden Sie den Faden zu einem kleinen Haufen zusammenlegen, ihn eine Weile mit all Ihren inneren wie auch äußeren Sinnen wahrnehmen und dann ebenfalls die exakte Knotenzahl nennen können - und außerdem wahrscheinlich das Material des Fadens, das genaue Färbemittel und das Geschlecht des Menschen, der den Faden gesponnen hat (bzw. den Maschinentyp). Während sich das logische Denken in Abfolgen ergeht, beschäftigt sich das analoge mit Zusammenhängen und den daraus hervorgehenden hierarchischen Ordnungen. Und, bevor ich Sie nun noch mehr mit etwas verwirre, das man nun einmal nicht mit logischen, sondern nur mit analogischen Mitteln erklären kann, erstelle ich hier einfach eine Analogie des Elementes Luft. Stürzen Sie sich hinein und versuchen Sie, die darin enthaltenen Beziehungen zu erfühlen, dann wird Ihnen das analoge Denken bald recht problemlos gelingen. Davon haben Sie unter Umständen eine ganze Menge:

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Meiner Erfahrung nach gestaltet sich der Alltag viel leichter, wenn man beide Denkweisen einzusetzen in der Lage ist, und in der Naturmagie kommen Sie ohne gewisse Kenntnisse analoger Strukturen so oder so nicht allzu weit.

Luft-Analogien

Erscheinungsformen Flaute, sanfte Brise, steter Wind, Böe, Sturm, Wirbelsturm, Orkan, verspielter Luftzug, schneidender Wind, warme Sommerluft, stinkendes Industrieabgas, schützende Erdatmosphäre und so fort

mythische Gestalten Hermes, Merkur, Athene, Minerva, Odin, Merlin, die Windsbraut, der Heilige Geist, Engel, Feen, Geister

Stichworte Hoffnungen, Wünsche, Bildung, Kommunikation, Denken, Planen, Wissenschaften, Verstand, der Morgen, die aufgehende Sonne, Elektrizität, Überblick, klare Gedanken, Falke, Dolch und Schwert,

Handwerk Weben, Spinnen, Glasbläserei, Sticken, Elektriker, Programmierer, Kommunikationstechniker

Instrumente alle Blasinstrumente wie Flöte, Oboe oder Trompete, aber auch das Windspiel und die Orgel

Tiere alle flugfähigen Vogelarten, Insekten, Spinnen, SchmetterlingePflanzen Mandel, Espe, Anis, Stangenbohnen, Zitrone, Löwenzahn (als

Pusteblume), Haselnuß, Lavendel, Eisenkraut, Ahorn, Majoran, Minze, Mistel, Palnie, Salbei, Petersilie, Kiefer, Sternanis

Kristalle Bergkristall, heller Saphir, Amethyst, Beryllätherische Öle Anis, Bergamotte, Zitrone, Lavendel, Zitronengras, Pfefferminze,

Myrte, Eisenkraut, Salbei, Eukalyptus, Cajeput, Kiefernadel, Lorbeer, Olibanum, Majoran

Metall Quecksilber, KupferPlanet Merkur, Venus, UranusTierkreiszeichen;. Zwillinge, Waage; Wassermann

Feuer

Während wir uns in die Analogien vertieft haben, ist der Tag vorangeschritten. Die Sonne steht nun direkt über uns am höchsten Punkt des Himmels und macht unsere Schatten ganz klein, aber dafür sehr dunkel und deutlich sichtbar. Es ist heiß geworden hier im Tal; die Tiere haben sich an schattige Stellen zurückgezogen, und auch wir lassen unsere Füße im Wasser baumeln. Das Gras neigt sich trocken und müde zur Erde; hier und dort sehen wir einige von der Sonne versengte Stellen, die wieder zu Erde werden. Dennoch scheint sich alles, was grün ist, dem Licht förmlich entgegenzurecken und die Sonnenblumen verfolgen jede noch so winzige Bewegung ihrer Namensgeberin. Die Luft scheint zu flirren. Die Wärme tat uns nach der Kühle des Morgens zunächst gut, doch nun schlägt sich die Hitze schwer auf unsere Glieder und zwingt uns dazu, Pullover sowie warme Hose abzulegen und in den Schatten zu flüchten. Auch unsere Haut hat bereits begonnen, sich zu röten und sogar ein wenig zu schälen. Ebenso ist in der prallen Sonne das Denken unmöglich geworden. Abgesehen von den Bienen ist die Wiese wie leergefegt, nur unter den schützenden Bäumen des Waldes liegen ein paar Rehe regungslos auf dem kühleren Boden und warten geduldig den Abend ab. Selbst die Vögel haben sich in den Schutz ihrer schattigen Nester zurückgezogen, wo sie still der Erleichterung harren, von der sie genau wissen, daß sie kommen wird. Zeit zu ruhen; Zeit, geschehen zu lassen. Der Hitze kann sich sowieso nichts entgegenstellen; sie verzehrt unsere Gedanken, unseren Widerstand und unsere Pläne. Weckt mich, wenn es kühler wird - nein, nicht einmal Schlafen ist möglich, nur geduldiges Ausharren und Vor-sich-hin-Brüten. Wie ein Ei unter der Henne o d e r ein

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Hefekuchen im Backofen. Was dabei wohl herauskommt?

Das Element Feuer steht für alles, was heiß, scharf, brennend, inspirativ und auf eine ganz eigene Weise reinigend ist. Seine Vertreter sind vor allem die Raubtiere, aber auch die „Sonnenanbeter« des Tierreiches wie die Eidechse, der Feuersalamander und natürlich das Glühwürmchen - auch wenn dieses ebenfalls eine ganze Menge vom Element Luft versteht. Feuer kann wärmen, schützen, verzehren, vernichten, sengen, brennen; etwas sieden, in vielen Farben leuchten und vieles andere mehr; es ist ebenso als Lagerfeuer wie auch als Vulkanausbruch zu finden. In unserem Leben wird diesem Element meist die schöpferische Kraft wie auch jene der Reinigung zugeordnet, was auf den ersten Blick vielleicht verwundern mag, aber gar nicht so fern liegt. Wenn wir mal von dem absehen, was Menschen mittels der Konstruktion nuklearer Waffen aus dem Feuer gemacht haben, befindet sich im Gefolge der Zerstörung durch die Flamme immer auch die Neuerschaffung. So hinterläßt zum Beispiel ein Lavastrom derart fruchtbaren Boden, daß viele Menschen trotz der Gefahr an den Hängen von aktiven Vulkanbergen siedeln. Auch nach jedem Buschfeuer kehrt die Vegetation mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die verbrannte Erde zurück, was zum Teil im hohen Nährstoffgehalt der Pflanzenasche begründet ist. Feuer schafft fruchtbaren Böden für alles Neue, seien dies Pflanzen, Ideen oder Persönlichkeitszüge. Es bereitet die Erde mittels der Vernichtung all dessen, was alt und überlebt ist oder seiner Funktion auf andere Weise nicht mehr gerecht werden kann auf das Wachstum des Neuen vor und versorgt die jungen Triebe mit Nahrung. Wie Phönix aus der Asche eben. Daher stammt auch der reinigende Aspekt des Feuers, auch wenn diese Reinigung mit jener des Wassers kaum zu vergleichen ist: Während das Wasser sanft Verschmutzungen und Verunreinigungen hinwegschwemmt, brennt die Flamme alles aus, was überflüssig geworden ist. Unter dem Einfluß des Feuers sind wir gezwungen, uns auf das Wesentliche zu beschränken und dabei herauszufinden, was uns wirklich ausmacht, was nicht brennbar ist und der reinigenden Flamme so widerstehen kann. Der eiserne Kern eben. Während dieser Prüfung sind die Schatten kurz, aber sehr deutlich zu sehen - das Unbewußte liegt offen zutage, Stärken wie auch Schwächen werden schonungslos ausgebreitet, und im Akt des puren Seins sowie Überlebens übernehmen unsere ursprünglichsten, ältesten Fähigkeiten das Regiment, um alles zum Guten zu führen. Manchmal wird das Feuer aber auch so heiß, daß es selbst harte Metalle oder Stein zu schmelzen imstande ist; aber es wandelt diese Dinge nicht wirklich um. Wenn geschmolzenes Eisen erstarrt, ist es immer noch Eisen - es sei denn, wir nutzen den Umwandlungsaspekt der Flamme und fügen ein weiteres Metall hinzu. Doch selbst wenn wir dies nicht tun, wird die Schmelzmasse nach dem Abkühlen zwar wieder zu Eisen, aber in einer anderen, neuen Form. Wir haben uns verwandelt.

Nicht umsonst ranken sich die größten Mysterien der Alchemie um die Feuertransformation, denn in diesem Element liegt ein Geheimnis verborgen, das unser ganzes Leben verändern kann. Mut, Tapferkeit, Durchsetzungskraft und Willensstärke sind feurige Eigenschaften, aber auch Wut, Sexualität und Zerstörung haben hier ihre Wurzeln. Nichts davon ist von vornherein gut oder schlecht; das kommt immer darauf an, wie wir die Flamme nähren. Ein Zuviel verbrennt uns und versengt unsere Umgebung; ein Zuwenig verhindert notwendige Veränderungen.

Am atemberaubendsten und zugleich deutlichsten ist das Feuer als schöpferische Urkraft wohl bei der Fortpflanzung in all ihren Spielarten zu beobachten. Das Urfeuer brennt noch immer und leuchtet jedesmal dann auf, wenn Blütenstaub in einen Blumenkelch hineintaucht, um sanft den Stempel zu berühren -oder wenn sich Ei- und Samenzelle begegnen, um die letztendliche alchemi s t i s che Verschmelzung einzugehen, in der aus zwei unterschiedlichen Sphären ein neues Wesen entsteht. Dabei geht von den beteiligten Zellen ein unirdisch schönes Leuchten aus, das von sensitiven Menschen durchaus wahrgenommen werden kann - das Feuer der Schöpfung, wie es in jedem Augenblick auf diesem Planeten wirkt. Auch deshalb wird diesem Element

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gerne die Inspiration zugeordnet.

Auch Feuer ist Leben und Tod zugleich. Auf der einen Seite verzehrt es alles, was ihm im Weg steht, doch andererseits sind es winzige Verbrennungsprozesse, die uns am Leben erhalten - von der Photosynthese bis hin zum Stoffwechsel im tierischen wie auch menschlichen Körper. Wir werden während jeder Sekunde unseres Lebens ein Stück weit neu erschaffen, weil das göttliche Schöpfungsfeuer weiterhin in uns wirkt. Leben ist eine feurige Angelegenheit -immerhin ist es ein riesengroßer Glutball namens Sonne, dem wir unsere Existenz nicht unwesentlich verdanken. Wann immer etwas entsteht, sich verändert, umwandelt oder gezeugt wird, ist dieses Element im Spiel. Wenn wir uns unter seinem Einfluß befinden, ist keine Gegenwehr mehr möglich; wir können den Prozeß nur noch über uns ergehen lassen und geduldig abwarten, als was wir daraus hervorgehen werden. Doch sollten wir die Flamme immer dosieren, denn es nutzt niemandem etwas, wenn wir uns ausbrennen oder umgekehrt »auf nur halber Flamme« fahren. Es ist durchaus möglich, sich das Feuer zu Diensten zu machen, wie jeder Besitzer einer Heizungsanlage oder einer Petroleumlampe weiß. Es kann uns erhalten oder wahrhaftig »ein Licht aufgehen« lassen; doch wer es nicht zu achten weiß, wird darunter leiden. Muß ich in diesem Zusammenhang etwas zu den Themen Treibhauseffekt oder Atombombe sagen?

Feuer-AnalogienErscheinungsformen schwelende Glut, kleines Flämmchen, Kerzenlicht, Funke, Lagerfeuer,

Flächenbrand, Feuersbrunst, Vulkanausbruch und so fort ...mythische Gestalten Christus, Loki, Vulkan, Govannon, Sachmet, Hephaistos, Wayland,

Ares, Mars, Apollon, Helios, Freyr und Freya, LughStichworte Transformation, Schöpfung, Kreativität, Wut, Krieg, Blut, Sexualität,

Triebe, Fieber, Sonne; Hitze, Leidenschaft, Kunst, Alchemie, Phönix; brennender Dornbusch, Stab und Speer, Kessel

Handwerk Schmiedekunst, Glasbläserei, Metallgießen; Chemiker, Psychotherapie, Heilen, Kochen

Instrumente Leier, Fanfare, Kriegsharfe, metallbespannte Seiteninstrumente, Trommel

Tiere Löwe, Feuersalamander, Widder, die Räuber unter den SäugetierenPflanzen Ingwer, Pepperoni, Pfeffer, Lauch, Sonnenblumen, Zwiebel, Paprika,

Knoblauch, Brennessel, Anemone, Esche, Erle, Kaktus, Karotte, Zeder, Sellerie, Kastanie, Zimt, Koriander, Dill, Feige, Flachs, Enzian, Weißdorn, Stechpalme, Eiche, Orange, Rosmarin, Eberesche (Vogelbeere), Löwenmäulchen, Tabak, Venusfliegenfalle

Kristalle Rubin, Bernstein; Topas, Diamant, Amethyst, Granat, Karneol, Feueropal

ätherische Öle Zeder; Chrysantheme, Zimt, Weihrauch, Ingwer, Pinie; Orange, Pfefferminz, Rosmarin, Sassafras, Rose, Nelke, Flieder

Metall Gold, EisenPlanet Sonne, Mars, JupiterTierkreiszeichen Widder, Löwe, Schütze

Wasser

Mittlerweile ist die Sonne weitergewandert, und nachmittägliche Schatten haben sich über das Tal gesenkt. Schließlich berührt die goldene Scheibe den westlichen Horizont. Wieder sammeln sich die Tiere auf der Wiese am kleinen Fluß. Das Licht wird sanfter, während die Luft sich mehr und mehr abkühlt: Für einige Minuten liegt flüssiges Gold über den Bäumen und zieht sich dann auf die Hügelkuppen zurück, wo es sich langsam, aber stetig in ein leuchtendes Rot

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verwandelt, das die Ränder der vereinzelten Wolken scharf umrissen silbrig aufglänzen läßt. Inmitten all dessen steht ein kleiner, feuriger Glutball wie eine Blutorange und so wahrhaftig, daß man beinahe meint, ihn greifen und vom Himmel pflücken zu können. Während die Sonne unter den Horizont sinkt, lebt die Tierwelt im Tal noch einmal auf: Da werden letzte eifrige Bäder im Fluß genommen, saftiges Gras gesucht und noch ein paar Mäuse durch den Falken ihrem letztendlichen Schicksal zugeführt. Doch wenn die Farben am Himmel verblassen, kehrt auch hier unten langsam Ruhe ein. Vom Wasser steigen wieder Nebelschwaden auf und benetzen das dankbare ausgedörrte Gras. Die Welt wird still und grau; in den Nestern stecken die Vögel ihre Köpfe unter das Gefieder, und die Bienen sind längst zu ihren Stöcken zurückgekehrt. Auch die Schatten sind verschwunden. Eine kurze Zeit lang, schwebt die Welt in einem grauen Zwischenland ohne sichtbare Grenzen oder Markierungen.

Das Element Wasser steht für alles, was feucht, fließend oder von Momenten des Übergangs geprägt ist. Seine Vertreter sind alle Wasserlebewesen, aber ganz besonders die Wassersäuger: Es kann tröpfeln, stetig fließen, schäumen; springen; toben, still daliegen, fallen oder sich aufgewühlt präsentieren. Ebenso kann es klar und kühl, salzig und warm oder auch verschlammt oder verunreinigt sein. Wir ordnen es meist dem Fluß der Gefühle zu; Intuition, Emotionen; Beharrlichkeit und auch Reinigung sind seine Stichworte. Die Kraft intensiver Gefühle kann uns aufwühlen und orientierungslos zurücklassen, doch ebenso sind Empfindungen wie stille Freude oder stete Liebe in der Lage, uns Ruhe und Ausgeglichenheit zu verschaffen. Gefühle verhalten sich in der Tat wie das Wasser: Werden sie angestaut oder bricht zuviel davon über uns hinein, bersten unsere inneren Dämme; wir werden von ihrer Macht überflutet und davongerissen. Der sanfte Fluß jedoch erhält uns am Leben, und wenn wir über keinerlei Empfindungen mehr verfügen, trocknen wir innerlich aus und sterben schließlich. So kann auch das Wasser Leben geben wie auch nehmen, doch ähnlich dem Feuer hinterläßt es nach jeder Überschwemmung einen mit fruchtbarem Schlamm überzogenen Boden, auf dem das Neue um so besser gedeihen kann.

Das Wasser repräsentiert den Abend des Tages wie auch des Lebens, und deshalb werden diesem Element Weisheit, Intuition und das Urwissen zugeordnet. All diese Dinge befinden sich in jedem von uns, doch es braucht eine gewisse Zeit, um in jene Tiefen der Seele vorzudringen, wo wir sie finden können. Auf diesem Weg müssen wir durch all unsere Gefühle und Empfindungen hindurch, denn diese sind buchtstäblich das Tor zur inneren Weisheit. Wer unangenehme Emotionen vor sich selbst verschließt, versperrt so auch den Weg zum Urwissen in sich. Um diese Blockade aufzulösen, ist es wiederum notwendig, die Einheit all dessen, was existiert, zu verstehen, weshalb der Abend und auch das Element Wasser uns wiederum die Möglichkeit bieten, die Welt ohne Schatten zu betrachten oder gar in sie einzutreten. In dieser Zwischenzone finden wir sowohl unsere verdrängten Gefühle als auch - gleich dahinter - den im Abschnitt zum Element Luft bereits erwähnten Zugang zur schöpferischen Ureinheit wieder. Viele Menschen arbeiten ein Leben lang an der Öffnung dieses Tores und werden schließlich reich belohnt. Dann wenden sie sich ein letztes Mal der Außenwelt zu, um die Jungen zu lehren, was sie erfahren haben und zur Nachfolge zu ermutigen. So geben Menschen, die diesen Weg gegangen sind, ihr Erbe vor dem Tod an all jene weiter, die ihnen zuhören.

Wasser ist das vielleicht flexibelste und anpassungsfähigste Element überhaupt, denn es beherrscht beide Seiten dieser Kunst. Wenn dem Bach etwas im Weg steht, fließt er einfach darum herum und sucht sich ein anderes Bett, das ihn zum Ziel führt. Auf der anderen Seite aber wird er das Hindernis solange schleifen und polieren, bis es verschwunden ist und er seinen ursprünglichen Lauf wieder einnehmen kann. Bei all dem wird er niemals zu Übertreibungen neigen; weder wird er das Hindernis weiter umgehen als unbedingt notwendig noch mehr einebnen, als er zum ungehinderten Fließen an Raum benötigt. Das Wasser tut immer nur, was

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nötig und damit angemessen ist und lehrt uns auf diese Weise die Kunst der effektiven Beeinflussung: Wasser vergeudet keine Kraft, aber es hält sie auch nicht zurück, wenn der Druck, zu groß geworden ist.

Auf unserem Planeten hat das Wasser vielleicht die größte gestalterische Macht bewiesen. Gut, auch das Feuer hat uns mächtige vulkanische Gebirge hinterlassen- aber was sind diese im Vergleich zu den fünf Weltmeeren? Ein Vulkanausbruch stellt die massivste landschaftliche Erscheinungsform des Feuers dar und kann doch immer nur einige Berghänge berühren. Ein einziges großes Seebeben ist in der Lage, mit seinen Flutwellen ganze Küstenstriche zu verwüsten - und zwar auf mehreren Kontinenten gleichzeitig. Die Macht des Wassers ist von gewaltiger und geduldig-sanfter Art zugleich; auf beiden Wegen erreicht es sein Ziel, sei dies an den Niagarafällen oder im Grand Canyon. An beiden Orten hat es unzweifelhaft das Gesicht der Erde auf eindrucksvollste Weise geprägt, wenn auch mit völlig gegensätzlichen Mitteln. Sieht aus, als ob beides funktioniert - das Ganze scheint lediglich eine Frage des angemessenen Einsatzes dieser Mittel zu sein!

Darüber hinaus verfügt dieses Element über eine große reinigende Kraft, die besonders im salzigen Meerwasser zum Ausdruck kommt, aber durchaus auch dem klaren Bergquell oder einem dunklen Waldsee zu eigen sein kann. Wasser schwemmt Verunreinigungen seelischer wie auch materieller Art hinweg und ist alleine deshalb schon ein Meister im Säubern, weil es über einen einzigartigen Selbstreinigungsmechanismus verfügt: Von der Sonne aufgeheizt oder starken Temperaturschwankungen ausgesetzt verwandelt es sich in Dampf bzw. Nebel und steigt auf diese Weise in purer Form auf, wobei alle Verunreinigungen zurückbleiben. Wenn man's genau nimmt, stellt der Wasserkreislauf einen riesigen Destillationsapparat dar!

Unsere Zivilisation neigt zu einem ziemlich unausgeglichenen Umgang mit dem Element Wasser. Tiefe Gefühle werden in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen, Jungs weinen nicht und wir haben uns gefälligst zusammenzunehmen. Von Zeit zu Zeit können wir dann bei anderen beobachten oder an uns selbst erleben, wie sich ein solcher Stau gewaltsam entlädt, wenn jemand urplötzlich emotional zusammenbricht .oder gar ganze Menschenmassen ihrem lange angestauten Ärger auf der Straße Luft machen. Analog betrachtet finden wir dasselbe Phänomen in der Natur wieder, wo wir zwischen Phasen besorgniserregender Trockenheit und ebenso plötzlich eintretenden Überschwemmungen hin- und hergebeutelt werden. In dieser Welt ist nun einmal alles mit allem verbunden; es ist zwar schwer zu sagen, ob wir unter der Unausgeglichenheit des Elementes Wasser in der bewußten Natur leiden oder diese sich aufgrund unserer Unfähigkeit zur inneren Zentrierung so verhält, sicher ist jedoch, daß sich die Lage auf beiden Seiten entspannen könnte, wenn wir nur bewußt daran arbeiten würden. Im Endeffekt gibt es diese beiden Seiten gar nicht wirklich. Der Mensch ist ebenso eine Verlängerung des universellen Geistes wie die übrige Natur auch; er hat nur die Neigung, dies zu übersehen!

Wasser-AnalogienErscheinungsformen Tropfen, Rinnsal, Quelle, Bach, Fluß, Strom, Wasserfall; See, Teich,

Tümpel, Pfütze, Meer; Regen, Hagel, Schnee, Eis, Dampf und so fort ...mythische Gestalten Njord, Manannan, Lyr, Neptun, Poseidon, Isis, Tiamat, Maria, Gabriel,

Nixe, Nöck, Meerjungfrau, die Töchter des RheinsStichworte Gefühle, Empfindungen, Intuition, Weisheit, Urwissen, Hingabe,

Anpassung und Anpassen, Mond, Liebe,, Ausgleichung, Fruchtbarkeit, Pferd, Dreizack, die Gezeiten, Mondgöttin, Kelch und Kessel

Handwerk Metallgießen, Waschen, Heilen, Therapie, Installateur, Maler, Fischer, Seefahrt

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Instrumente Harfe, Wasserorgel, Regenhölzer, Cello, BratscheTiere alle Wassertiere, vor allem aber Delphin, Wasserschildkröte, Fische,

Quallen, MuschelnPflanzen Aloe, Apfelbaum, Tollkirsche, Birke, Kohl; Kokosnuß, Krokus,

Gänseblümchen, Datura, Holunder, Ulme, Weintraube, Heide, Hibiscus; Irisch Mobs, Lobelie, Myrte, Passionsblume, Pfirsich;Pflaume, Stachelbeere, Erdbeere, Tomate, Weide, Immergrün; Eibe, Geißblatt

Kristalle Koralle, Perle, Perlmutt, Opal, Mondstein, Smaragd, Aquamarin, Achatätherische Öle Veilchen, Kampfer, Kamille, Kirsche, .Eukalyptus, Hyazinthe, Iris,

Jasmin, Zitrone, Flieder, Lilie, Lotus, Mimose, Myrrhe, Orchidee, Rose, Sandelholz, Thymian, Vanille

Metall SilberPlanet Mond, Neptun, PlutoTierkreiszeichen Krebs, Skorpion, Fische

Erde

Die Nacht hat sich über unser kleines Tal gesenkt, und es ist still geworden. Hier und da raschelt eine Maus durch das Gras, die vor dem Schatten der lautlosen Eule flieht. Silbern glitzern die Sterne am schwarzen Firmament, und silbern zieht auch der halbvolle Mond seine Bahn. Ein leichter Wind ist aufgekommen. Ab und zu ertönt der Ruf eines vereinzelten Nachtvogels, was den Eindruck tiefer Stille jedoch eher verstärkt denn stört; selbst das unveränderte Glucksen des Wassers scheint in den Hintergrund getreten zu sein und wird von uns kaum noch als eigenständiges Geräusch wahrgenommen. Es ist kühl geworden. Sorgsam ziehen wir den Mantel enger um uns herum und gehen ein paar vorsichtige Schritte fort vom feuchten Fluß. Unser Füße prüfen vor jedem Auftreten den Boden, denn es ist nicht allzuviel dort auszumachen. Vor uns erhebt sich die dunkle Wand des Waldrandes; zögernd gehen wir darauf zu und bleiben kurz davor stehen. Dunkel und unheimlich sieht es dahinter aus. Aber da zieht es wenigstens nicht so - also geben wir uns einen Ruck und kriechen ins schützende Unterholz. An einen Findlingsfelsen gelehnt blicken wir hinaus in die silbrig-schwarze Landschaft, die sich nun vor uns ausbreitet. Vielleicht hätten wir doch ein Zelt mitbringen sollen - aber wir haben ja alles gefunden, was wir wirklich brauchen.

Das Element Erde repräsentiert alles, was mit Materie, Umsetzung; Form, Behältnis, Wachstum und der Gestaltung unseres Alltags zusammenhängt. Seine Vertreter sind schwere, bodenständige Tiere wie der Ochse oder der Büffel. Es kann in Form von Erdkrümeln, Bergen, Ebenen, Wiesen, Feldern, Dünen, Wüsten, kargem Felsgestein, saftigen Weiden und auf viele andere Arten vorkommen. Im Leben des Menschen wird der Erde meist die Umsetzung von Zielen auf der materiellen Ebene wie auch die für das grundlegende Überleben notwendigen Bereiche zugeordnet. Darüber hinaus steht auch dieses Element für Weisheit und Urwissen, wenn auch in einer etwas anderen Art als beim Wasser.

Die tollsten Hoffnungen, Wünsche, Pläne und Ziele nutzen uns nichts, wenn wir sie nicht auch umsetzen, also auf der materiellen Ebene Realität werden lassen. Immer dann, wenn dies .geschieht, kommt das Element Erde ins Spiel. Letztendlich erschaffen wir uns mit seiner Hilfe selbst, denn alles, was wir tun, spiegelt unsere eigenen Bedürfnisse wieder. Wie im nächtlichen Tal ist alles, was wir zu diesem Zweck benötigen, bereits vorhanden und will von uns nur eingesetzt werden. Die Stille und Stetigkeit des Elementes unterstützt uns in der Suche nach unseren wahren Zielen; ihre Festigkeit gibt diesen Zielen einen guten Boden.

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Das Element Erde spricht aber auch immer von der Basis, den Grundlagen unseres Seins, und die bestehen schlicht und ergreifend in der puren Materie dieses Planeten. Ohne ihn gäbe, es uns nicht - oder zumindest nicht in dieser Form und Lebensweise, und ob eine. andere besser wäre, bleibt noch abzuwarten. Ich persönliche schätze das Leben auf diesem Planeten sehr, und bin der Ansicht, daß sie sich alle Mühe gemacht hat, um uns ein gemütliches Zuhause zu schaffen, das alles bietet, was wir wirklich brauchen. Wer sie ist? Oh Verzeihung - die Erde natürlich. Oder von mir aus auch Demeter oder Gäa. Wie auch immer wir sie nennen, es handelt sich hier um eine uralte, ziemlich erfahrene Persönlichkeit, die durchaus bereit ist, uns ihr enormes Wissen zur Verfügung zu stellen. Dazu müssen wir nur hinabsteigen, uns von unserem luftighohen Roß auf den Boden zurück begeben - und manchmal sogar in diesen hinein, denn dort hat Gäa kleine Zettel für uns versteckt, auf denen alles steht, was wir zu wissen benötigen (und eine ganze Menge mehr). Wir erfahren sehr viel darüber, wer und wozu wir hier sind, wenn wir den Botschaften der Erde lauschen, sei es nun in Form von Kristallen, geologisch-archäologischen Forschungsergebnissen oder auch einfach nur einem gewaltig vor uns aufragenden Berg am Urlaubsort.

Das Element Erde wird der Nacht und somit dem Tod zugeordnet, was angesichts seiner Betonung der Alltagsrealität vielleicht, etwas seltsam anmutet. Doch werden hier die eigentlichen Grundlagen für das Leben selbstgeschaffen; der wahre Anfang unseres Schicksals liegt vor unserer Geburt und somit »im Dunkeln«. Auch werden wir gerade kurz vor dem Tod mit unserer physischen Realität auf vielleicht deutlichste Weise konfrontiert -wir nehmen sie selten so klar wahr wie in jenem Augenblick, wo wir sie verlassen müssen. Das hohe Alter symbolisiert und verfügt zum Teil auch über die Weisheit, die der Erde zu eigen ist und die nur durch eine lebenslange Auseinandersetzung mit diesem Element -darauf und darin - gewonnen werden kann. Darüber hinaus kann die Erde ebenso wie d i e anderen Elemente zerstörerischer wie auch lebenserhaltender Natur sein; das hängt davon ab, ob Sie ihr in Form eines Weizenfeldes oder als Erdrutsch über den Weg laufen.

Erde bedeutet Heimat im. buchstäblichen Sinne. Wir fühlen uns »verwurzelt« wie ein Baum an einem Ort, den wir seit vielen Jahren kennen und lieben, und diese, Liebe erhalten wir in Form von Nahrung, Kleidung und Obdach zurück. Sie kümmert sich wie eine Mutter um uns, indem sie alles bereitstellt, was wir benötigen - nur das Bauen, Säen, Ernten und Brotbacken müssen wir schon selbst tun. Und übrigens: das Danken auch!

Erd-Analogien

Erscheinungsformen Erdkrume, Lehm, Ton, Stein, Sand, Kiesel, Hügel, Berg, Wiese, Ebene, Wald, Gebirge, Fels, Höhle, Kristall, Tal und noch so einiges

mythische Gestalten Nerthus, Cernunnos, Cerridwen, Demeter, Gäa, Ceres, Jehova, Zwerge, Gnome, Riesen

Stichworte Erde, Planet, Mutter, Getreide, Beständigkeit, Nahrung, Realität, Umsetzung, Form, Wachstum, Höhle, Urwissen, Weisheit, Aufbau und Niedergang, Tod, Frucht, Saat, Ernte, Sichel und Schild

Handwerk Ackerbau, Landwirtschaft, Viehzucht, Gartenbau, Straßenbau, Hausbau, Pflegen, Kochen

Instrumente Trommel, Pauke, Kontrabaß, CelloTiere alle schweren, gemächlichen Landtiere, die keine Räuber sind wie Stier,

Kuh, Büffel, Bison, Auerochse, ElefantPflanzen Alfalfa; Getreide, Baumwolle, Zypresse, Geißblatt, Magnolie, Hafer,

Kartoffel, Pfingstrose; Rhabarber, Roggen, Rüben, Weizen, Eiche, Buche, Farnkraut, Ahorn, Eisenkraut

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Kristalle Onyx, Gagat, schwarze Koralle, Rauchquarz, Jaspis, Landschaftsachatätherische Öle Zypresse, Geißblatt, Patchouli, Pfingstrose, Vetivert, Nelke, Benzoe,

Weihrauch, Kümmel,FichtennadelMetall Blei, Eisen, ErzePlanet Erde, SaturnTierkreiszeichen Stier, Jungfrau, Steinbock

Wahrscheinlich werden Sie beim Lesen der Analogien das eine oder andere Mal erstaunt gedacht haben »Was, das gehört zum Feuer? Aber es hat doch auch klare Lufteigenschaften!«, und Sie dürften damit recht haben. Das Interessante an den Elementen ist nämlich in der Tat nicht ihre Existenz als solche, sondern die Art ihrer Interaktion untereinander. Sehen Sie sich eine Möwe an. Wo würden Sie dieses Tier einordnen? Für mich stellt es eine wunderschöne Verbindung der Elemente Luft und Wasser dar, und obwohl die Vulgärastrologie der Frauenjournale und »Wie angele ich mir einen Waagemann«-Bücher gerne behauptet, diese beiden seien unverträglich, scheint es den Möwen recht gut zu gehen!

Tatsächlich wirken alle Elemente aufeinander ein, verbinden sich miteinander und erschaffen gemeinsam etwas. Neues und unter Umständen Höheres. Erst dann ist der Schöpfungsprozeß im Gange, hat die alchemistische Verschmelzung und Verwandlung begonnen - entsteht Leben. Und dieses Leben ist meiner Ansicht nach das fünfte Element. Diese seltsamen Wellen zwischen den schon erwähnten atomaren Teilchen, die Liebe zwischen zwei Menschen, der allgegenwärtige Strom des Bewußtseins und der holographisch angeordneten Information - im Zusammenspiel allen Seins spiegelt es sich wieder, dieses fünfte Element. Es ist die Mitte, das Zentrum, das sich überall zugleich befindet und jedem Menschen in Zuständen der Meditation, Trance oder auch einfach nur beim Überquerender Straße zugänglich ist. Der Narr unter den Elementen und dessen König zugleich, Anfang und Ende in einem und damit unendlich. Die letzte Antwort dieses Universums - und, zugleich alle Fragen des darauf folgenden.

Es ist enorm schwierig, Nummer fünf mit menschlichen Begriffen zu umreißen. Am besten meditieren Sie selbst einige Male darüber, dann werden Sie merken, was ich meine. Im übrigen entsteht dieses Element ganz von selbst und nimmt in Ihnen zu, je mehr Sie die ersten vier in Ihr persönliches Gleichgewicht zu bringen und damit so anzuordnen in der Lage sind, daß Ihnen sowie Ihrer Umgebung daraus ein größtmögliches Wohlbefinden entsteht. Wissen Sie was? Falls ich es jemals fertigbringen sollte, mich bezüglich dieses Elementes anders als kryptisch-verzückt äußern zu können, werde ich darüber schreiben. Bis dahin allerdings halte ich einfach den Mund, in Ordnung?

Elementewesen

Elemente und Naturgeister hängen nun logischerweise ziemlich eng zusammen. Wenn die Elemente der Stoff sind, aus dem die Welt ist und diese Welt über ein eigenes Bewußtsein verfügt, liegt der Schluß recht nahe; daß sich diese Intelligenz uns gegenüber in Form von bestimmten Vertretern erkenntlich macht. Und da Gemeinschaft wie auch Kommunikation grundlegende Bedürfnisse des Wesens Erde darstellen, verwundert es auch nicht, daß sie zu diesem Zweck Instanzen geschaffen hat, die sogar wir Menschen -zwar mit ein wenig Mühe, aber doch - anzusprechen in der Lage sind. Einige davon habe ich im Kapitel über Kraftorte bereits beschrieben. Es ist nicht immer so ohne weiteres möglich, diese Wesen einem bestimmten Element zuzuordnen; eine Baumdryade ist eine Baumdryade, und dabei ist es ihr herzlich egal, ob ihr Schützling nun in der Savanne oder in einem Sumpf steht. Generell ist Dryaden aufgrund des Wachstumsaspekts und der verwurzelten Art der Bäume eine eher erdige Natur zu eigen, aber auch über das Element Luft wissen sie durch ihre feinstofflich-filigrane Art

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einiges zu berichten. Andere wiederum sind so knorrig wie die von ihnen bewohnten Bäume geworden. Machen Sie die nun folgenden Zuordnungen also nicht zum Gesetz, sondern betrachten Sie sie eher als Richtschnur, und gestatten Sie sich, jedes Ihnen begegnende Wesen aufgrund seiner ureigenen Einzigartigkeit wahrzunehmen. Damit werden Sie höchstwahrscheinlich am besten fahren.

Kommen wir noch einmal auf den Aspekt der andersartigen Intelligenz sowie Selbstwahrnehmung von Naturgeistern zurück. Ich erwähnte zuvor, daß ich diese. Wesen als weitaus enger miteinander verbünden erlebe, als dies in menschlichen Gemeinschaften der Fall ist. In gewisser Weise scheint kaum ein Unterschied zwischen zum, Beispiel einzelnen Elfen zu bestehen, auch wenn diese in jeweils anderer Form und charakterlicher Ausprägung in Erscheinung treten können; dennoch habe ich immer den Eindruck, daß all diese verschiedenen Persönlichkeiten ein bewußtes Ganzes bilden. Stellen Sie sich vor, Ihre Finger, Zehen und sonstigen Körperglieder hätten ein Eigenbewußtsein und wären sich dennoch ständig darüber im klaren, daß, sie zusammen gleichzeitig Sie sind; dann haben Sie das Bild in etwa. Individualität und Gruppenbewußtsein scheinen auf bestimmten Existenzebenen der Natur einander nicht auszuschließen, sondern zu ergänzen. Marko Pogacnik beschreibt dieses Phänomen in seinem Buch Elementarwesen -Die Gefühlsebene der Erde als eine Entfaltung der Naturgeister über drei verschiedene Ebenen hinweg. Dabei um faßt die erste Ebene jene Wesen, die einer einzelnen Pflanze zugeordnet sind und sich um deren Wohlergehen, ja eigentlich sogar ihr materielles Erscheinen und Wachsen überhaupt kümmern. In der zweiten Ebene siedelt er jene Naturgeister an, die mit rhythmisch wiederkehrenden Abläufen wie zum Beispiel den Jahreszeiten zu tun haben und somit die sich in Form eines Kreislaufs abspielenden Tätigkeiten einer Pflanzengruppe ordnen und lenken. Als letztes nennt er auf der dritten Ebene jene Wesen, die dem Ganzen einen Sinn geben und beschreibt sie als diejenigen, die »in ihrem realen Dasein überall zugleich anwesend« sind. Auch Pogacnik sieht die Hierarchie der Elementarwesen nicht als eine Trennung der einzelnen Ebenen voneinander, sondern als unterschiedliche Grade der Entwicklung bzw. »Entfaltung« dieser Wesen. Ich persönlich habe damit keine Probleme, eher im Gegenteil - meiner Erfahrung nach kann jede Dryade, die in einer Eiche sitzt, ein Tor zu allen anderen Eichendryaden auf der ganzen Welt sein.

Menschen haben die Zivilisation der Naturgeister wahrscheinlich seit Tausenden von Jahren beobachtet und zum Teil auch mit deren Vertretern kommuniziert. Seit Paracelsus können wir darüber sogar nachlesen. Er war es, der den Elementen die uns heute geläufigen Namen sowie Funktionen zuordnete und kam dabei zu folgendem Ergebnis:

Element Bezeichnung der Funktion dazugehörigen WesenLuft Sylphen Steuerung der räumlichen Anordnung von LebewesenFeuer Salamander Steuerung aller Wandlungsprozesse von Fortpflanzung

über Wachstum bis zur ZersetzungWasser Nymphen Steuerung der Art, in der das Leben die Lebewesen

durchströmtErde Zwerge Steuerung des Erscheinungsbildes der einzelnen

Individuen

Ich persönlich habe immer etwas Schwierigkeiten mit den meinem Kulturkreis nicht entstammenden Namen; irgendwie erwarte ich, eine Nymphe eher in Griechenland und weniger in Deutschland anzutreffen. Dennoch möchte ich die entsprechenden Bezeichnungen hier weiter verwenden, denn zum einen kann ich noch nicht alle durch heimische Namen ersetzen, und zum anderen dürften die hier genannten Ihnen vertrauter sein. Meiner Erfahrung nach macht es für die einzelnen Elementarwesen kaum einen Unterschied, aus welchem Kulturkreis der Name stammt;

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mit dem sie angesprochen werden, was angesichts ihrer Verbundenheit untereinander auch kaum verwundert.

Im Element Luft begegnen wir da den Sylphen, die hier auch als Feen bezeichnet werden.. Diese Naturgeister sind meiner Erfahrung nach von verspieltem, aber -manchmal auch stürmisch-brüskem Charakter, und wann immer Sie gerade eine Gabe a n Ihrem Kraftort hinterlassen oder eine andere rituelle Tätigkeit ausüben wollen und man Ihnen dabei sanft bis nachdrücklich die Haare zerzaust, können Sie sicher sein, Gesellschaft zu haben. Diese Wesen bringen einen »frischen Wind« in alles hinein, sie ordnen und strukturieren alle Abläufe in der natürlichen Welt - und somit auch in Ihnen. Wann immer Sie sich konfus und unkonzentriert fühlen, Ihnen der rote Faden abhanden gekommen ist oder Sie sich nicht imstande sehen, eine wahre Flut von Informationen auf sinnvolle Weise zu ordnen, können Sie sich an Feen wenden. Für die ist das ein Klacks! Darüber hinaus verfügen diese Wesen über ein ausgesprochen gutes Raumgefühl - immerhin sind sie die Vertreter des einzigen Elementes, das auf die eine oder andere Weise fast überall hin gelangt. Wenn Sie also mal nicht wissen sollten, wo Sie Ihre Tomaten einpflanzen möchten, fragen Sie getrost eine Fee, die das Gewächs dann ganz selbstverständlich in ihren Arbeitsplan einbauen wird. Und zwar an jener Stelle, wo sie selbst die geringste Mühe damit hat - was wiederum automatisch dort ist, wo die besten Tomatenbedingungen vorliegen. Feen haben etwas unheimlich Praktisches an sich, wissen Sie?

Bei den Feuerwesen wird es mit der Bezeichnung wirklich karg, außer Paracelsus' »Salamandern« ist mir nie ein weiterer Begriff begegnet, und dieser läßt in mir auch nicht gerade Bilder von tanzenden Lagerfeuern entstehen - schon gar nicht, wenn man bedenkt; welche Qualen deren Namensvettern im Tierreich aufgrund dieser unglücklichen Wortwahl erleiden mußten ; denn bis in die frühe Neuzeit hinein war es noch üblich, sie in Brände hinein zu werfen, um diese zu löschen. Feuerwesen sind überall dort anzutreffen, wo sich ein Umwandlungsprozeß vollzieht - so natürlich in jeder Flamme, die mal eben aus Holz Asche macht, aber auch in Komposthaufen; Tierkadavern, lebenden Wesen (der berühmte Stoffwechsel) und überall sonst, wo ein Ding von einem Zustand in einen anderen übergeht. Wann immer Sie den Eindruck haben sollten, mit sich selbst gewissermaßen »festzustecken«, kann ein Gespräch mit Feuerwesen wahre Wunder wirken. Aber auch, wenn Sie nicht weiterwissen, kann Ihnen ein Feuergeist sozusagen »heimleuchten«, denn auch vom Licht versteht er etwas! Aufgrund der schwer kontrollierbaren und oft zerstörerischen Natur des Feuers wurden die ihm zugeordneten Wesen lange Zeit gefürchtet und gemieden, so daß heute kaum noch jemand weiß, wie man mit ihnen einen Kontakt zu beiderseitigem Nutzen aufbauen kann. Dabei ist es ganz einfach: Jeder, der den Mut hat, sich seiner Aggression zu stellen verfügt über eines der besten Mittel zum Erlernen eines sinnvollen Umgangs mit dem Feuer. Mut, Wut und Leidenschaft, vor allem jene sexueller Ausrichtung, aber auch kreative Vorgänge sowie die Bereitschaft zur Veränderung sind Dinge, mit denen Sie die Feuerwesen in Ihr Leben holen.

Die Wasserwesen werden gerne als Nixen, Nöcks (die männliche Variante), oder als Nymphen und Undinen bezeichnet. Ihren schlechten Ruf verdanken Sie unserer Angst vor den eigenen Gefühlen und sonst nix - äh, nichts. An ihrer mythischen Neigung zum Umbringen von Menschen ist allerdings zumindest metaphorisch gesehen schon etwas dran: Der Schatz in den Tiefen, mit dem sie so gerne locken, stellt den Reichtum unserer eigenen Gefühle und der dahinter verborgenen Intuition sowie Urweisheit dar, und wer da ran will, muß nun mal zuerst durch seine Schattenseiten gehen. Das macht einen anderen Menschen aus ihm, womit man durchaus zu Recht sagen könnte, daß jener, der er vorher war, gestorben ist. Wasserwesen kommen immer dann zum Einsatz, wenn wir von emotionalen Blockaden behindert werden oder einfach jemandem von unseren Gefühlen erzählen wollen, denn davon verstehen sie etwas. Ihr Metier ist die Lebensqualität im Sinne des Wortes - nicht umsonst erinnert das Wort »Erfüllung«

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an fröhlich fließende Bäche aus Milch und Honig! Darüber hinaus sind sie hervorragende Lehrer in den Bereichen der Intuition sowie des inneren Wissens, und auch von überfließendem Reichtum haben sie eine gewisse Ahnung. Aber Achtung - wer von den Wasserwesen nimmt, muß auch das Geben beherrschen, sonst wird der Hahn ebenso schnell wieder zugedreht, wie er geöffnet wurde!

Zur Gattung der Erdwesen zählen wir Elfen, Zwerge; Gnome; Kobolde, Heinzelmännchen und die Dryaden, die Pogacnik als Faune bezeichnet - ein Begriff, der zwar auch nicht aus unserer Kultur stammt, mit dem. ich persönlich aber irgendwie besser leben kann. Zumindest weiß man da, wie es ausgesprochen wird. Pogacnik fügt diesen noch den Pan als Erdgeist der dritten Ebene hinzu; wer diese Gestalt eher als Gottheit begreift, könnte damit vielleicht Schwierigkeiten bekommen, sollte aber bedenken, daß sich diese Grenzen innerhalb naturreligiöser Sichtweisen etwas fließender gestalten. Die Erdwesen sind Meister, wenn es darum geht, etwas real werden, also auf der materiellen Ebene in Erscheinung treten zu lassen. Auch von der Verwurzelung in dieser Welt, Heimat und Selbstfindung verstehen sie sehr viel. Wer an einem Mangel an zum Überleben notwendigen Gütern leidet, wende sich ruhig an sie, sollte aber nicht erwarten, dafür nichts tun zu müssen. Die Erdwesen versehen uns nicht mit unvorhersehbaren Geschenken, auf deren Regelmäßigkeit wir uns nicht verlassen können, sondern verschaffen uns jene Möglichkeiten, die wir benötigen, um selbst zu erarbeiten, was wir brauchen. Allerdings sehen Zwerge, Faune, Kobolde und Gnome erst dann einen Sinn in der Arbeit, wenn sie erfüllend ist und zumindest zeitweise Freude bereitet. Wer also zwar keinen Mangel leidet, aber eine ungeliebte Arbeit tun muß, wird bei ihnen Verständnis sowie Unterstützung finden.

Was fängt man nun mit den Elementarwesen an?

Dazu habe ich eben bereits einige Anregungen gegeben, am wichtigsten ist aber vielleicht die Kommunikation mit ihnen überhaupt. Naturgeister können uns unendlich viel lehren, und das nicht nur über die Natur da draußen, sondern auch jene in uns selbst. Vielleicht überrascht Sie der Gedanke, daß nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch wir Menschen von diesen Wesen geführt und in unserem physischen wie auch psychischen Wachstum geleitet werden, aber wenn Sie die sich durch die gesamte Schöpfung hindurchziehenden Steuerungsfunktionen der Elementarwesen bedenken, würde der Mensch als einzige Ausnahme doch recht seltsam anmuten, oder? Wir sind ebenso Natur wie das Gänseblümchen und der Schmetterling --wenn Sie so wollen, haben wir ein Recht auf unseren Menschenelf!

Ich bin mit dem meinen einige Male in direkten Kontakt geraten. Dabei haben mir die Ränken des Efeu geholfen, und vielleicht können diese dasselbe auch für Sie tun. Wenige Erfahrungen, in meinem Leben waren mir so kostbar wie jener Moment; als ich zum ersten Mal begriff, daß ein Teil meines Wesens immer in der Anderswelt ist. Ich empfinde diese Verbindung als äußerst lehrreich und beglückend, und da ist nichts, was Ihnen dieselbe Erfahrung verwehren könnte. Aber Sie können auch ohne umständliche Rituale versuchen, in Kontakt mit Ihrem Menschenelf zu kommen. Beginnen Sie einfach damit, seine Existenz anzuerkennen und in Ihr Leben mit einzubeziehen. Vielleicht tun Sie dies bereits und nennen ihn Ihr höheres Selbst oder Ihren Schutzengel - all diese Begriffe sind einander verwandter, als Sie vielleicht vermuten und stellen nur verschiedene Weisen dar, denselben Zusammenhang zu benennen: Wir sind nicht alleine.

Doch auch die Elementargeister können Ihnen von ebenso großem Nutzen sein wie Sie ihnen. Eine unserer vordringlichsten Aufgaben im Leben besteht darin, ein Gleichgewicht der in uns vertretenen Elemente zu schaffen. Das bedeutet keineswegs, daß Luft, Wasser; Feuer und Erde zu jeweils einem Viertel in jedem Menschen vorhanden sein sollten, denn wir sind ebenfalls nur Bausteine des größeren Ganzen, das insgesamt ausgewogen ist, weil seine Teile eine

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Gewichtung in die eine oder andere Richtung zeigen. Wenn Sie sich also als eher luftdominiertes Geschöpf verstehen, sind Sie keineswegs angehalten; die Vorherrschaft dieses Elementes in Ihnen einzudämmen; Sie erfüllen Ihre Funktion, und zwar genau so, wie Sie geschaffen wurden. Allerdings neigen wir dazu, die Elemente, die uns fremd erscheinen zugunsten jener, die wir besser kennen, zu vernachlässigen. So zeigt sich in luftbetonten Menschen oft ein Mangel an Wasser, was zu Gefühlsstauungen oder sogar Emotionslosigkeit führt. Dieser Zustand entspricht keineswegs dem natürlichen, da sich in der Natur immer alle Elemente miteinander vermischen und nur gemeinsam das Wunder des Lebens hervorzubringen in der Lage sind. Wenn Sie in Ihrer Persönlichkeit ein solches Ungleichgewicht feststellen, können Sie sich an die Wesen des unterrepräsentierten Elementes wenden, um Hilfe zu finden.

Manchmal ist ein Element aber auch zu stark in uns vertreten, da wir ein fehlendes mit uns vertrauteren Schwingungen zu ersetzen versuchen. Ein überaktiver, strenge Lebensvorgaben erteilender Verstand ist ein Beispiel einer solchen Überbetonung. Oder eines der in uns vorhandenen Elemente gerät in einen Zustand der Verunreinigung, wie es bei der Depression mit dem Wasser geschieht. Auch dann stehen uns Elementarwesen mit Rat und Tat zur Seite. Selbst alltägliche Aufgaben wie die Bepflanzung eines Beetes können wir zusammen mit ihnen gestalten, aber vergessen Sie dabei nie, Ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Die Naturgeister wissen keineswegs alles; weite Bereiche des modernen menschlichen Lebens stellen für sie nach wie vor, ein Buch mit sieben Siegeln dar. Bedenken Sie immer, daß alles, was auf dieser Erde existiert, seinen Sinn und eine Funktion hat; wäre das bei uns Menschen nicht so und wüßten die Elementarwesen wirklich alles besser zu erledigen als wir, gäbe es uns schlicht und einfach nicht. Meiner Erfahrung nach kann zum Beispiel keines dieser Wesen auch nur annähernd nachvollziehen, was Individualität in unserem Sinne bedeutet und ist deswegen auch nicht in der Lage, entsprechende Entscheidungen für Sie zu treffen. Darin unterscheiden wir uns einfach grundlegend, weil es die Aufgabe der Menschen ist, die diesbezügliche Entwicklung zu durchlaufen um die damit verbundenen Erfahrungen zu machen - zum Wachstum und Wohl der gesamten Schöpfung, innerhalb der auch wir unseren Job zu erledigen haben, den uns niemand abnehmen kann.

Rituelle Kontaktaufnahme mit den Elementen

Nachdem Sie nun einen kurzen Einblick in das erhalten haben, was man so mit den Elementen tun kann, stellt sich natürlich die Frage, wie man dies anstellt. Und da ich annehme, daß Sie weder Stunden unter einem eisigen Wasserfall noch inmitten eines zuvor sorgsam ausgehobenen Feuergrabens verbringen möchten (obwohl auch diese Methode zu ganz erstaunlichen Resultaten führen kann), habe ich hier einige einfachere Rituale skizziert, die ebenso effektiv sind - solange sie mit der zu Beginn dieses Teils angesprochenen inneren Hingabe ausgeführt werden.

Sie haben eine größere Kontrolle über Ihren Verstand, als Ihnen vielleicht bewußt ist. Deshalb sind Sie negativen Gedanken keineswegs hilflos ausgeliefert, sondern durchaus in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen! Vielleicht haben auch Sie schon einmal den Satz gehört, man dürfe während der Durchführung eines magischen Akts niemals zweifeln, da dies die Erfüllung des Ziels unmöglich mache. Das trifft auch zu; bedeutet aber nicht, daß Sie während des ganzen Rituals keine Sekunde lang negativ denken dürfen. Erstens ist dies so gut wie unmöglich, und zweitens brauchen Sie diesen kleinen Gnom in Ihrem Gehirn, der immer wieder kopfschüttelnd »na, wenn das mal gutgeht« murmelt - er hat nämlich ab und zu mit seinen Bedenken recht, und wenn Sie ihm dann nicht zuhören, laufen Sie direkt in einen Mißerfolg hinein.

Eigentlich ist mit dem Verbot, zu zweifeln, etwas ganz anderes gemeint. Es geht nicht darum, dem Vorgang unkritisch gegenüberzustehen, sondern grundsätzlich von dem, was Sie tun,

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überzeugt zu sein. Fragen Sie sich vor dem Ritual, ob Sie in dieser Art der Kontaktaufnahme wirklich einen Sinn sehen und alles zur Vorbereitung getan haben, was Ihnen möglich ist. Mehr verlangt niemand von Ihnen. Die berühmte gedankliche Disziplin während des Ritus selbst besteht dann nicht in der rigorosen Unterdrückung jeglichen destruktiven Gedankens, sondern vielmehr in der bewußten Auseinandersetzung damit. Wann immer Sätze wie »Das ist doch lächerlich, was ich hier tue - wahrscheinlich gibt es diese Wesen gar nicht« in Ihnen auftauchen, erinnern Sie sich daran, was Sie fühlten, als Sie beschlossen, dieses oder ein anderes Ritual durchzuführen, und setzen Sie einen positiven Satz gegen den negativen. Dabei ist es wichtig, bei der Wahrheit und darüber hinaus logisch zu bleiben; immerhin ist es Ihr wacher, intelligenter Verstand, mit dem Sie hier debattieren und den Sie gerne auf Ihrer Seite haben möchten. Es hilft also nichts, a la »Stimmt gar nicht!« einfach das Gegenteil zu behaupten, denn Ihr Verstand will Argumente sehen. Sinnvoller ist es, auf die Realität zurückzugreifen und vielleicht wie folgt zu antworten: »Ich kann für mich im Augenblick weder die Existenz noch das Nichtvorhandensein dieser Wesen beweisen, aber die ganze Sache klingt sinnvoll und hilfreich. Ich werde es aufrichtig versuchen, um mir eine Meinung bilden zu können.« Sagen Sie sich selbst einfach, daß die negative Annahme Ihres Verstandes ebenso gut zutreffend wie auch unzutreffend sein könnte - und solange die positive Möglichkeit noch nicht widerlegt ist, besteht aus Gründen der Wahrscheinlichkeit mindestens eine fünfzigprozentige Chance für einen Erfolg. Wenn Sie dazu noch die Tatsache addieren, daß Sie hier aufgrund Ihrer Intuition und des Gefühls innerer Richtigkeit stehen, senkt sich die Waagschale bereits eindeutig zu Ihren Gunsten!

Noch eine Bemerkung am Rande: Ich habe die den verschiedenen Elementen üblicherweise zugeordneten Tages- sowie Jahreszeiten beigefügt, da sich der Kontakt in solchen Momenten meist besonders intensiv und lehrreich gestaltet. Sie müssen sich an diese Zeiten nicht unbedingt halten, denn Ihre persönlichen Anforderungen tun es oft auch nicht - es nutzt nun einmal herzlich wenig, auf den nächsten Herbst zu warten, wenn Sie Ihre Depression gerade im Frühjahr erwischt hat. Sollten Sie jedoch vorhaben, sich tiefer mit den Elementen vertraut zu machen, bietet sich der über einen Jahreskreis hinweg erstreckte »Lehrgang« durchaus an, da Sie die Zeit zwischen zwei Ritualen für die Beobachtung des entsprechenden Elementes im Alltag sowie die Übung des Umgangs damit verwenden können. Nach diesem Jahr werden Sie auch zu ungünstigsten Zeiten oder an gänzlich ungeeigneten Orten in der Lage sein, mit der gewünschten Energie in Kontakt zu treten!

Luftige Begegnung

Suchen Sie sich einen Ort aus, an dem die Qualitäten des Elementes. Luft für Sie deutlich spürbar sind. Das kann eine baumlose, windumspielte Hügelkuppe oder auch eine Baumschonung sein, die locker in Reihen gepflanzt ist. Ebenso eignen sich Plätze, die etwas Zerbrechliches oder Filigranes an sich haben, wie zum Beispiel eine, Lichtung mit Feengras. Auf jeden Fall sollten Sie einen Tag wählen, an dein der Wind deutlich spürbar ist - eine windfeste, wenn möglich aber nicht aus Kunststoff bestehende Jacke könnte Ihnen gute Dienste tun. Ein guter, Freund von mir meinte zwar mal ganz richtig: »Wenn die Kelten bereits unsere regendichten Kunststoffarten gehabt hätten, hätte sie wohl ebenso nichts davon abgehalten, diese bei dem scheußlichen britischen Wetter auch zu benutzen«, allerdings sollte man diese allein schon von der Produktion her eher zweifelhaften zivilisatorischen Segnungen erst dann einsetzen, wenn man über eine gewisse Erfahrung mit den draußen anzutreffenden Energien verfügt. Eine Nylonjacke kann wie eine Wand wirken, durch die natürliche Schwingungen viel schwerer wahrnehmbar, sind als ohne sie. Der beste Zeitpunkt für dieses Ritual ist ein luftiger Frühlingsmorgen, aber es kann auch an anderen Tagen ausgeführt werden.

Bevor Sie zu dem von Ihnen gewählten Ort aufbrechen, sollten Sie ein paar Dinge einpacken, die

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für Sie luftigen Charakter haben. Reste eines Spinnennetzes, Federn, ein hübscher Käfer (der seinen Tod aber bitte ohne Ihre Mitwirkung gefunden hat), ein filigranes Glas oder auch ein klarer Kristall eignen sich sehr gut. Nehmen Sie auch etwas Brot, einen Kelch und einen leichten Wein mit. Brot vereint alle Elemente in sich, da es mit Wasser und dem der Erde entwachsenen Getreide hergestellt, vom Feuer gebacken und der Luft gekühlt wurde. Geistige Getränke stehen in direkter Verbindung zum Element Luft, aber wenn Sie keinen Alkohol verwenden wollen; erfüllt ein heller Traubensaft denselben Zweck. Falls Sie bereits einen Dolch besitzen, packen Sie auch diesen ein. Dann können Sie sich auf den Weg machen.

Wenn Sie Ihren Ritualort mit dem Auto aufsuchen, ist es von Vorteil, den Wagen etwas entfernt stehen zu lassen und die letzten ein oder zwei Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Ich tue dies gerne schweigend und nutze die Gelegenheit, um mich bereits ein wenig mit der heute an diesem Platz herrschenden Stimmung vertraut zu machen und mich auf diese Weise auch auf das Thema des Rituals einzuschwingen. Eine ähnliche Aufgabe haben die rituellen Prozessionswege früherer Zeiten erfüllt und auch die zu vielen abgelegen liegenden christlichen Kapellen führenden Passionswege haben unter anderem diesen Zweck. So kommen Sie bereits gesammelt; zentriert und geerdet am Ritualort an. Bleiben Sie dort einen Augenblick stehen und begrüßen Sie Ihre Umgebung. Wenn Sie möchten, können Sie einen Energiekreis errichten, bevor Sie Ihre Hilfsmittel in Form eines Sterns ausbreiten. Der Stern symbolisiert den ursprünglichen Verstand des Universums den kosmischen Logos sozusagen. Halten Sie jeden der Gegenstände eine Weile in der Hand, bevor Sie ihn ablegen und denken Sie einen Moment darüber nach, was daran so luftiger Art ist. Ordnen Sie den Stern auf eine logische Weise an, die Ihrem persönlichen Empfinden entspricht. Damit reichen Sie den Elementargeistern eine Art Visitenkarte Ihres eigenen Luftanteils.

Wenn Sie möchten, können Sie nun einen ersten spielerischen Kontakt zum Element Luft aufnehmen, indem Sie versuchen, den Wind auf Ihrem Körper zu spüren und sich von ihm durch die Gegend dirigieren zu lassen. Beginnen Sie mit kleinen Bewegungen, geben Sie sanft nach, wenn Sie von einer Seite aus angeblasen werden, und verstärken Sie ihre Bewegungen allmählich, soweit es Ihnen möglich ist. Lassen Sie sich so richtig herumschubsen, und haben Sie Freude daran, denn die Luftgeister mögen Wesen, die Spaß am Spielen haben. Versuchen Sie dann das genaue Gegenteil: Erden Sie sich gründlich und versenken Sie Ihre Wurzeln tief in den Boden, wobei Sie sich vorstellen, wie ein Fels in der Landschaft zu stehen, unerschütterlich und voller Ruhe. Spüren Sie die Energie, die dafür aufgewendet werden muß, aus der Erde in Ihren Körper hinaufsteigen und lassen Sie sich einfach von der Luft umtosen. Schließlich stellen Sie sich vor, für den Wind durchlässig zu werden, so daß er einfach, ohne auf einen Widerstand zu treffen, durch Sie hindurch wehen kann. Dabei werden Sie selbst ganz leicht und luftig, doch die Erde hält Sie sicher fest. Auf diese Weise haben Sie schon drei der möglichen Umgangsformen mit dem Element Luft kennengelernt und gezeigt, daß Sie sich ihm auf unterschiedliche Weise hinzugeben vermögen.

Setzen Sie sich dann bequem hin und gehen Sie zum Fuße der Regenbogenbrücke, von wo aus Sie den Ort nochmals betrachten können. Nun wenden Sie sich an die versammelten Wesenheiten, stellen sich vor und bitten um Kontakt zu den Feen dieses Platzes. Ich kann Ihnen nicht sagen, was daraufhin geschieht - höchstwahrscheinlich aber wird sich Ihnen eine Wesenheit nähern und auf die eine oder andere Weise mit Ihnen kommunizieren. Bringen Sie Ihr Anliegen höflich vor und behandeln Sie das Wesen mit Respekt - erstens verdient es den schon von Hause aus, und zweitens kann es Ihnen gründlich die Frisur ruinieren, wenn Sie es verärgern. Ich meinte einmal, unbedingt ein Ritual ausführen zu müssen, obwohl man vor Ort gerade anderweitig beschäftigt war, und habe prompt einen verdächtig lokal begrenzten Regenschauer abbekommen.

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Bedanken Sie sich, bevor Sie das Gespräch beenden und aus der Trance oder Meditation, wie immer Sie es auch nennen möchten, zurückkehren. Teilen Sie Ihre Speisen und Getränke mit den anwesenden Geistern, indem Sie etwas davon auf die Erde legen, und verlassen Sie den Ort ansonsten so, wie Sie ihn vorgefunden haben. Achten Sie auf dem Rückweg auf kleine Gaben, die vielleicht für Sie ausgelegt wurden und mit dem Element Luft oder Ihren Erlebnissen damit in Verbindung stehen könnten, wie zum Beispiel eine hübsche Feder. Aber falls Sie von Ihrem Gesprächspartner erfahren haben, daß Sie über zuviel Luft und zuwenig Erde verfügen, könnte es auch ein Stein sein. Manchmal wird man Ihnen mitteilen, wonach Sie Ausschau halten sollen, aber meist ist es am sinnvollsten, selbst die Augen offen zu halten.

Falls Sie für Ihre naturmanischen Arbeiten Werkzeuge verwenden möchten, bietet Ihnen ein solches Ritual auch die Gelegenheit, diese - hier wären es Dolch oder Schwert - zu weihen. Reinigen Sie Ihr Werkzeug zu diesem Zweck zunächst, indem Sie es mit Salzwasser beträufeln und sich vorstellen, wie Ihr es von innen nach außen in einem klaren Licht zu erstrahlen beginnt. Dann nehmen Sie die immaterielle Form des Werkzeugs mit zum Fuße der Regenbogenbrücke und widmen es in Anwesenheit Ihres dortigen Gesprächspartners der Arbeit mit dem Element Luft. Bitten Sie darum, durch diesen Dolch oder dieses Schwert immer einen klaren und hilfreichen Kontakt zu den Wesen der Luft haben zu können und versprechen Sie, Ihr Werkzeug nur im Bewußtsein der damit verbundenen Verantwortung einzusetzen. Halten Sie sich an dieses Versprechen. Nach Beendigung Ihrer Trancereise ist es Ihnen möglich, den Gegenstand auch äußerlich zu weihen, indem Sie ihn durch den Rauch eines Räucherbeckens ziehen oder einfach dem Wind aussetzen. Wiederholen Sie die Reinigung des Werkzeugs in regelmäßigen Abständen.

Eine feurige Angelegenheit

Wiederum gilt es, einen Ort zu finden, der die Eigenschaften des Elementes Feuer repräsentiert. Hier bieten sich zwei verschiedene Möglichkeiten an. Zum einen können Sie einen Platz aufsuchen, an dem Feuer in der näheren öder auch weiter zurückliegenden Vergangenheit eine bestimmende Rolle gespielt hat, wie zum Beispiel einen erloschenen Vulkan oder eine ehemalige Brandstätte. Da werden Sie mit den Ergebnissen des Einsatzes dieser Energie konfrontiert. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich dem aktiven Umwandlungsprozeß dieses Elementes selbst zu stellen, was in der Nähe eines Lagerfeuers oder auch eines Verrottungsvorgangs - in Form eines Komposthaufens oder vermodernden Baumes zum Beispiel - recht gut gelingen dürfte. Wenn Sie für dieses Ritual ein Feuer entfachen wollen, achten Sie bitte auf die entsprechenden Gesetze des Landes, in dem Sie dies tun, und sorgen Sie in jedem Fall für angemessene Sicherheitsvorkehrungen. Es ist sinnvoller, den Geist des Feuers in Form einer Kerze kennenzulernen, als bei dieser Begegnung einen Waldbrand zu entfachen. Idealerweise wählen Sie für dieses Ritual einen sonnigen, vielleicht sogar heißen Mittag im Sommer.

Sammeln Sie vor Ihrem Aufbruch wieder einige Gegenstände zusammen, die Sie mit dem Element Feuer in Verbindung bringen. Vielleicht nehmen Sie etwas Rinde eines modernden Baumes, eine Kerze (samt Streichhölzern, versteht sich) oder ein Stück Räucherkohle mit. Auch ein flammenfarbener Gegenstand, der für Sie mit. dem Feuer in Verbindung steht, sowie gekochte Nahrung eignen sich recht gut. Falls Sie über einen zeremoniellen Stab verfügen, packen Sie auch diesen ein. Ein für dieses Ritual geeignetes Opfer besteht neben dem Brot in rotem Wein, Tomatensaft, rotem Traubensaft oder scharf schmeckenden Getränken.

Am Ritualort angekommen arrangieren Sie die Gegenstände in Sonnenform - ein Kreis, von dem Strahlen ausgehen - oder in der Gestalt einer Flamme. Machen Sie sich mit dem feurigen Aspekt

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jedes Gegenstands vertraut, bevor Sie ihn ablegen. Falls Sie ein Lagerfeuer entfachen wollen, machen Sie dieses zum Zentrum Ihrer Anordnung.

Als nächstes kommt die Erdung. Stellen Sie sich dieses Mal vor, wie Sie von Ihren Füßen aus Wurzeln tief in die Erde hineinsenken, bis Sie das Feuer in der Erdmitte berühren; die älteste und zugleich stetigste Form des Feuergeistes auf diesem Planeten: Grüßen Sie ihn und beobachten Sie ihn einige Augenblicke, bevor Sie Ihre Aufmerksamkeit wieder nach oben senden. Auf dem Weg zu Ihrem Körper reisen Sie an verschiedenen Erdschichten vorbei, und die letzte davon, auf der Sie stehen, verdient wiederum Ihre besondere Beachtung, denn hier finden unendliche viele Verfaulungs- und Verrottungsprozesse statt. Haben Sie sich schon einmal gefragt, was diese seltsamen Elementeinteilungen in manchen Tarotdecks zu bedeuten haben? »Wasser der Luft« oder „Luft der Erde« - was sollen diese Begriffe eigentlich vermitteln? Nun, nach Betrachtung dieser obersten Bodenschicht und, der in ihr vonstatten gehenden Vorgänge wird zumindest die Bezeichnung »Feuer der Erde« kein Geheimnis mehr für Sie sein. Wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit schließlich dem Himmel über Ihnen zu und stellen Sie sich vor, für einen Augenblick die Sonne zu berühren. Spüren Sie, wie Ihr feinstofflicher Körper zum Bindeglied zwischen der tiefsten Flamme im Erdmittelpunkt und der höchsten dort am Firmament wird, und nehmen Sie die beruhigende Kraft der Erde wahr, die den Mittelpunkt dieser Begegnung bildet - den Platz, an dem Sie stehen.

Nun können Sie sich wieder eine bequeme Haltung suchen und die Reise zum Fuße der Regenbogenbrücke antreten, wo Sie um einen Kontakt zu den Feuergeistern des Ritualortes bitten. Wie immer auch diese Begegnung ablaufen mag, bleiben Sie höflich, ehrlich und respektvoll. Danach verlassen Sie die Trance und teilen Ihre Gaben mit den Wesen des Elementes Feuer; wobei es sich anbietet, Brot oder auch Wein direkt in das eventuell vorhandene Lagerfeuer zu geben.

Falls Sie einen Stab weihen möchten, nehmen Sie diesen nach der Reinigung durch Salzwasser mit zum Fuße der Regenbogenbrücke, um ihn dort der Arbeit mit dem Element zu widmen, und verfahren Sie dabei im Prinzip wie bereits im Luftritual geschildert. Danach können Sie ihn äußerlich weihen, indem Sie ihn kurz durch eine Kerzen- oder Lagerfeuerflamme ziehen. Es ist natürlich auch möglich, den Stab in einen Komposthaufen zu stecken, was ich aber aufgrund des unter Umständen noch lange anhaftenden Geruchs nicht empfehlen würde.

Ein Treffen mit den Wasserleuten

Für dieses Ritual sind natürlich am besten jene Orte geeignet, die sich direkt am Wasser befinden - sei dies nun eine Quelle, ein Bach, ein Teich, See oder sogar das Meeresufer; je unberührter das Gewässer ist, desto mehr eignet es sich. Begradigte oder verunreinigte Flüsse zum Beispiel könnten Sie mit verwirrten, verärgerten oder - je nach Beeinträchtigungsgrad - auch stark verletzten Elementarwesen konfrontieren. Auch diese benötigen unsere Aufmerksamkeit, sind aber oft nicht bereit, den Kontakt so ohne weiteres zu gestatten. Der frühe Abend eines nebligen oder vielleicht sogar regnerischen Herbsttages eignet sich hervorragend, wenn Sie für warme Kleidung und einen Unterschlupf gesorgt haben - direkt ins Gesicht peitschende Niederschläge beeinträchtigen die Konzentration nun doch zu sehr, von der nachfolgenden Erkältung gar nicht zu reden. Allerdings hat es auch Vorteile, dieses Ritual im Sommer auszuführen, weil Sie dann unter Umständen teilweise oder ganz in das Wasser hineinsteigen können.

Vor Ihrem Aufbruch suchen Sie wieder jene Gegenstände heraus; die eine Verbindung zum Element Wasser haben: Vielleicht besitzen Sie ein schönes blaues Gefäß oder Kristalle mit entsprechender Qualität wie Aquamarin, Mondstein oder Perlmutt. Auch eine Perle bzw.

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Muscheln erfüllen diese Funktion. Als das Brot begleitendes Opfer eignet sich klares, pures Wasser am besten, aber selbstverständlich erfüllt jede Flüssigkeit diese Funktion. Die diesem Element zugeordneten Werkzeuge sind der Kelch und in gewisser Weise auch der Kessel. Letzterer vereint Eigenschaften des Wassers wie auch des Feuers und der Erde in sich, weshalb er eine Sonderstellung einnimmt.

Ordnen Sie die Gegenstände dieses Mal in Form des Halbmondes an, in dessen Zentrum Sie das mit Wasser gefüllte Gefäß stellen. Zur Erdung begeben Sie sich an das Ufer des Gewässers und senden Ihre imaginären Wurzeln wieder tief in den Boden hinab: Beobachten Sie dabei die Bewegungen des Wassers in der Erde; verfolgen Sie, wie es in die Krume sickert, sich zu kleinen Rinnsalen sammelt, Steinplatten umfließt und sich schließlich hier und da zu riesigen unterirdischen Seen versammelt, von wo aus es durch den Druck der Erdkruste wieder nach oben gepreßt wird, um in Form von Quellen an das Tageslicht zu treten. Sehen Sie zu, wenn es über den Boden fließt, sich mit anderen Rinnsalen vereinigt, immer größer wird und schließlich in das Meer mündet., wo die Sonne es in den Himmel hinauf holt. Lassen Sie sich gemeinsam mit den Wolken vom Wind über das Land treiben, um mit Myriaden anderer Tropfen zugleich den Flug zur Erde anzutreten und zu Ihren Füßen wieder in den Boden einzudringen. Lassen Sie die Tropfen den Kreislauf dort erneut beginnen, während Sie über die Erde um Ihre imaginierten Wurzeln herum wieder in Ihren Körper zurückkehren.

Nun begeben Sie sich auf die feinstoffliche Reise zu den Wasserwesen. Auch hier gelten dieselben Regeln wie schon bei den vorangegangenen Elementen ganz gleich, ob Sie auf eine Nymphe, Sylphen, Undinen, eine Nixe oder einen Wassermann treffen. Vielleicht offenbart sich Ihnen das Element auch in ganz anderer Form. Begleiten Sie es und beobachten Sie aufmerksam.

Teilen Sie danach Ihre Gaben mit den Elementwesen, indem Sie den Inhalt Ihres Gefäßes in das natürliche Gewässer hineingießen. Auch den gereinigten und dem Element gewidmeten Kelch können Sie durch das Eintauchen darin nochmals weihen.

Sie, die nährt

Felsige, aber auch waldige Landschaften bieten schöne Orte für die Begegnung mit dem Erdelement; ebenso eignet sich die aufgebrochene Krume eines frischgepflügten Ackers oder eine kleine Höhle. Der beste Zeitpunkt wäre eine Winternacht, aber wenn Ihnen das zu kalt und ungemütlich ist oder Sie über keinen Skianzug verfügen, tut es auch jede andere Jahreszeit.

Nehmen Sie Dinge wie besondere Steine, irdene Gefäße, Getreidekörner oder Salz mit. Das Opferbrot können Sie mit Getränken ergänzen, die Sie mit Mineralien vermischt haben; auch leicht gesalzenes bzw. mit Rüben- oder Ahornsirup vermengtes Wasser; Kartoffelsaft, Brottrunk oder Bier in geringen Mengen eignen sich. Spirituosen wie zum Beispiel Kornbrände tendieren immer zu einer Aktivierung des Luftelementes, da Alkohol leicht flüchtig ist; deswegen sehe ich hier die einzig wirklich sinnvolle Möglichkeit zum Einsatz von alkoholfreiem Bier. Vergessen Sie aber nicht, daß jedes Ritual ein Fest darstellt also nehmen Sie ein halbwegs geschmackvolles! Die entsprechenden Werkzeuge sind die Sichel sowie der Schild. Die Sichel repräsentiert die schneidenden, beendenden Erntequalitäten des Elementes, während der Schild seine einem Wall ähnliche Schutzfunktion symbolisiert. Die Anordnung der Gegenstände am Ritualort entspricht der Form, eines Baumes.

Führen Sie in diesem Ritual die bereits beschriebene Baumerdung auf langsame und sehr aufmerksame Weise durch; wobei Sie sich auf die verschiedenen unter Ihnen befindlichen Erdschichten konzentrieren und diese mit all Ihren Sinnen wahrnehmen. Wenn Sie am Erdkern

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angelangt sind; kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit auf demselben Weg entlang der Wurzeln wieder zu Ihrem Körper zurück, um in Ihrer Vorstellung den Stamm sowie die ausladende Krone des Baumes zu erschaffen. Wenn Ihnen dies gelungen ist; genießen Sie das Gefühl des puren Da-Seins für einen Augenblick, ehe Sie beginnen, Ihre feinsinnliche Wahrnehmung auszubreiten. Dabei werden Sie vielleicht entdecken, daß die inneren Sinne eines Baumes weitaus stärker ausgeprägt sind als jene des Menschen; diese Vorstellung gibt Ihnen einen gewissen, wenn auch nicht vollständigen Zugang zu den erweiterten Sinnesfähigkeiten dieser Geschöpfe. Nehmen Sie die Welt um sich herum nun so wahr, wie es ein Baum tut; fühlen Sie die lebendige Ganzheit aller Geschöpfe, die hin und herfließende Lebenskraft sowie die alles durchdringende Freude, an der Sie teilhaben: Weiten Sie Ihre Wahrnehmung wiederum aus, bis diese sich über den Horizont hinweg erstreckt und auch jene Bereiche der Landschaft umfaßt, die Sie mit menschlichen Augen im Moment nicht sehen könnten. Betrachten Sie, was Sie dort vorfinden und welche Qualität der Landstrich hat. Sie stehen nun im Mittelpunkt eines großen Wahrnehmungskreises, den Sie stückweise so lange erweitern, bis er die ganze Erde umfaßt. Was ist das für ein Wesen? Wie fühlt es sich an, und in welcher Stimmung ist es gerade? Schließlich schränken Sie Ihr Wahmehmungsfeld Stück für Stück wieder ein, bis Sie wieder Ihren Körper spüren können.

Für die Reise zu den Elementarwesen der Erde eignet sich eine Höhle am besten, aber grundsätzlich ist nur von Bedeutung, daß Sie Ihren Körper auf natürlichen Boden setzen bzw. legen können: Dann rufen Sie die Erdgeister Ihres Ritualortes und begleiten diese in das Reich der Erde hinein. So mancher Zwerg, Elf oder Gnom mag Ihnen zunächst etwas trocken oder grummelig erscheinen, aber wenn Sie ihm mit der gebotenen Achtung begegnen, wird sich dies schnell ändern.

Vergraben Sie das Opfer im Boden. Auch die Ritualwerkzeuge erhalten eine ganz andere, weitaus intensivere Qualität, wenn Sie sie in ein Baumwolltuch eingewickelt einige Nächte lang der Erde überlassen - aber vergessen Sie nicht, den Platz gut zu kennzeichnen. Schließlich wollen Sie ja hinterher nicht den ganzen Wald auf der Suche nach Ihrer Sichel umgraben.

Bäume

Weisheit und Lebenskraft in einem

Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, wieso naturreligiöse Menschen immer so ein Aufhebens um Bäume machen, wo es doch so viele verschiedene Pflanzen da draußen gibt, die teilweise auch viel bunter oder aufsehenerregender sind! Tatsächlich erleben wir Bäume als so etwas wie die Säugetiere unter den Pflanzen - sehr bildlich gesprochen. Die Baumintelligenz stellt sich für uns Menschen als am differenziertesten und der unseren am ähnlichsten unter den Pflanzenarten dar, weshalb wir einfach einen leichteren Zugang zu ihr haben. Hinzu kommt der Umstand; daß Bäume zu jenen Gewächsen gehören, die am ältesten werden -teilweise beträgt ihre Lebensspanne ein Vielfaches von der des Menschen. So ein Baum hat eine Menge gesehen, und glücklicherweise sind die meisten von ihnen bereit, ihr Wissen sowie ihre Erfahrungen mit uns zu teilen. Trotz allem, was wir ihnen angetan haben, sind Bäume dem Menschen gegenüber oft immer noch erstaunlich positiv eingestellt. Sie haben, was uns betrifft, die Hoffnung noch nicht verloren und zeigen viel Freude daran, uns beim Lernen und Begreifen zu unterstützen. Manchmal glaube ich fast, sie sind nur dazu da, um uns Menschen immer wieder geduldig aufzufangen, wenn wir Fehler gemacht haben, und uns wieder auf einen sinnvolleren Pfad zurückzuführen. Bäume, haben mich immer bedingungslos so akzeptiert, wie ich bin. Das hat mir einerseits immer ein Gefühl großer Geborgenheit vermittelt, mich andererseits aber auch oft mit meinen eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert. Gerade weil ein Baum die Menschen so

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nimmt, wie sie sind, hat er keine Probleme damit, uns unsere Schwächen oder Fehler an den Kopf zu werfen, das macht ja nichts, denn er hat diese Schwächen bereits gekannt, als er beschloß, sich uns zuzuwenden. Bäume sind manchmal fürchterlich konsequent. Aber ich vermute, das muß man sein, wenn man sein ganzes Leben an ein und derselben Stelle verbringt.

Weite Teile dessen, worüber ich hier schreibe, haben Bäume mir wieder ins Bewußtsein gebracht, indem sie buchstäblich ganze Zusammenhänge vor mir ausbreiteten und mich an ihrem Wissen teilhaben ließen. Dieses Wissen ist enorm, und ich bedauere es oft, daß so viele Menschen, die in ihrem Leben einen spirituellen Lehrer vermissen, sich nicht einfach an die Bäume wenden, die doch im wahrsten Sinne des Wortes Lehrer von Natur aus sind. Ein Baum wird Sie niemals überfordern, Ihnen aber immer das zur Verfügung stellen, was Sie in Ihrer jetzigen Situation gerade benötigen, um einen optimalen Lernerfolg erzielen zu können; so, wie es ein wirklich guter Pädagoge tut. Nicht umsonst haben fast alle Bäume schützende Eigenschaften, die gerade wir Menschen besonders zu spüren bekommen, falls wir uns dafür öffnen, denn sie schaffen einen sicheren Raum, in dem wir lernen und wachsen können.

Übrigens sind auch manche Buschpflanzen aufregende Gesprächspartner. Die Grenze zwischen Baum und Busch ist oft fließend, wie man beispielsweise am Holunder sehen kann. So zählen auch die Kelten zu ihren heiligen Bäumen Büsche und mehrere Rankengewächse, die in fortgeschrittenem Alter durchaus richtiggehende Stämme entwickeln; einige davon werden in diesem Kapitel noch zur Sprache kommen.

Ein ungleiches Gespräch

Nun ist das mit dem Reden ja noch recht einfach - knifflig wird es erst, wenn es darum geht, die Antwort zu verstehen. Wieder einmal kann ich Ihnen hier leider keine Pauschallösung servieren. Meiner Erfahrung nach gestaltet sich diese Kommunikation eher als Übertragung von Bildern sowie Gefühlen denn in Form von Worten; auch habe ich oft die Erfahrung gemacht, im Bruchteil einer Sekunde ganze Informationspakete übermittelt zu bekommen, die sich dann innerhalb meiner Persönlichkeit sozusagen »entfalteten« und komplexe Zusammenhänge enthielten. Manchmal war mir zunächst gar nicht klar, Informationen von außerhalb zu erhalten, weil sich die Bilder und Gedanken in mir selbst entwickelten und wie meine eigenen Ideen anfühlten. Erst, die Neu- oder auch Fremdartigkeit der Inhalte, also das Gefühl, darauf nicht von -selbst gekommen, zu sein, brachte mich auf die Spur.

Die meisten Laubbäume sind im Winter weniger ansprechbar als während der anderen Jahreszeiten, da sie dann ruhen. Nadelbäume sowie immergrüne Gehölze haben zwar ebenfalls eine winterliche Ruhephase, ziehen sich aber meiner Erfahrung nach nicht ganz so tief zurück wie ihre Blatt-tragenden Kollegen. Am besten beginnen Sie eine solche Kommunikation, indem Sie sich zunächst einmal zum Baum setzen und mit dem Rücken an ihn lehnen. Werden Sie ruhig; lassen Sie Ihre Gedanken treiben und beobachten Sie deren Fluß. Oftmals schaltet sich der Baum bereits hier mit kleinen Hinweisen und Einwendungen in Ihre Gedankenwelt ein. Begrüßen Sie ihn dann und stellen Sie sich vor.

Sie können Ihre Aufmerksamkeit auch ganz gezielt auf den Baum richten. Versuchen Sie, sich im wahrsten Sinne des Wortes ein »Bild« von dessen Persönlichkeit sowie Ausstrahlung zu machen, denn auf diese Weise begeben Sie sich auf seine Kommunikationsebene. Wenn Sie das Gefühl haben, den Baum gut spüren zu können, sprechen Sie ihn laut oder auch nur in Gedanken an. Ich persönlich ziehe in diesem Fall den gedanklichen Kontakt vor, weil mich der Klang meiner Stimme oft von der inneren Wahrnehmung bäumischer Äußerungen ablenkt. Erzählen Sie nun ein wenig von sich oder dem Grund, aus dem Sie das Gespräch mit diesem speziellen

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Baum suchen, und achten Sie auf alle möglichen Bilder und Gedanken, die sich nun in Ihrem Inneren manifestieren. Wann immer Sie das Gefühl überkommt, sich die Antworten nur einzubilden, sagen Sie sich selbst, daß dies zwar möglich ist, aber auch die Chance einer echten Kommunikation besteht und Sie dies erst entscheiden können, wenn Sie es ausprobiert haben. Es macht nichts, sich ein wenig lächerlich vorzukommen - das gehört zu neuen Erfahrungen nun einmal dazu, und schließlich brauchen Sie ja niemandem davon zu erzählen. Solange es keiner mitbekommt, können Sie sich so lächerlich verhalten, wie Sie wollen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Nur durch stetes Ausprobieren werden Sie erfahren, wie sich Ihre persönliche Form der Baumkommunikation gestaltet.

Sie können Ihrem Gesprächspartner ruhig Ihre Unsicherheit mitteilen, dann erhalten Sie unter Umständen sogar Hilfe; auf jeden Fall werden Sie auf ein profundes Maß an Verständnis treffen. Vergessen Sie nicht, sich zu bedanken und auch zu erkundigen, ob Sie vielleicht etwas für Ihr Gegenüber tun können.

Besuchen Sie bestimmte Bäume regelmäßig, das intensiviert den Kontakt ungemein. Es ist einfach schön, schon von weitem mit wehenden Zweigen begrüßt zu werden. Manchmal wird Sie ein bestimmter Baum lange begleiten und Sie mit seinem Wissen sowie seinen Einsichten durch Lernprozesse führen; aber auch der einmalige Kontakt mit zum Beispiel einer besonders schönen Fichte an Ihrem Urlaubsort kann große Freude bereiten. Wo immer Sie sich auch befinden mögen - wenn Bäume in Ihrer Nähe sind, haben Sie dort Freunde.

Verschiedene Baumarten und ihre Eigenschaften

Ich möchte hier einige Baumarten in Form einer Kurzvorstellung beschreiben. Meiner Erfahrung nach sind einige wenige Informationen alles, was Sie benötigen, um den für Ihre Frage oder Ihr Problem geeigneten Baum zu finden; alles weitere wird er Ihnen selbst mitteilen. Man benötigt ein nur sehr geringes Wissen, um die Kommunikation mit diesen Wesen zu beginnen, kann jedoch im Laufe der Zeit eine Unmenge an Kenntnissen daraus gewinnen!

Ahorn

Der Ahorn wird meist dem Planeten Jupiter sowie dem Element Luft zugeordnet. Da die Ernte seines süßen Safts immer ungefähr mit der Frühlingstagundnachtgleiche zusammenfallt und er auf diese Weise jahrhundertelang einer der Anzeiger für das Ende des winterlichen Darbens war, steht er auch heute noch in engem Zusammenhang mit Überfluß und Erfolg. Auch zum Thema Liebe weiß er viel zu berichten - schließlich hat auch diese eine fließende Qualität. Darüber hinaus verfügt er über die große Gabe, dem ruhelosen Menschen Frieden zu gewähren und die Nachwirkungen schwerer seelischer Schocks sowie, jene von inneren Verletzungen zu lindern.

Apfelbaum

Dieser dem Planeten Venus sowie dem Element Wasser zugeordnete Baum gehört zu jenen, die zwei Seiten zeigen und somit Hüter der Schwelle darstellen. Er symbolisiert Erotik, Liebe, Fruchtbarkeit und Schwangerschaft, aber auch die Anderswelt sowie die Welt der Toten, als deren Nahrung er gilt (daher der Name »Apfelfest« für Samhain bzw. Halloween). Da der Apfelbaum beide Seiten des Zyklus von Leben und Tod versteht und darüber hinaus in vielen Kulturen ein Symbol für die menschliche Seele ist, weiß er viel über die sich daraus ergebende Unsterblichkeit zu sagen; aus demselben Grund ist er auch in Sachen Heilung versiert. Für den Apfelbaum ist Gesundheit gleichbedeutend mit innerer Reinheit sowie Klarheit, was ihn zu einem wertvollen Helfer bei Reinigungsritualen macht. Er ist ein guter Führer in die Anderswelt,

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kann aber auch aus dieser stammende Wesen anziehen. Die ihm zugeordnete Gottheit ist Iduna.

Birke

Sie wird ebenfalls dem Planeten Venus sowie dem Element Wasser zugeordnet. Als früh blühende Pflanze steht sie für Reinigung, Neuanfang und den Übergang von einer Phase des Zyklus in die nächste. Ihr Wesen ist von lichter und fröhlicher Art, und sie weiß viel zu den Bereichen Liebe, Fruchtbarkeit sowie Heilung zu erzählen. Ihre Anwesenheit kann ganz wesentlich zur Beruhigung eines aufgewühlten Nervenkostüms beitragen. Auch lehrt sie verhärtete und verbitterte Menschen bzw. solche, die unter hart oder unbeweglich machenden Krankheiten leiden, wieder nachgiebig und flexibel zu werden. Als Gott des Ackerbaus und damit auch der Fruchtbarkeit steht Thor in enger Beziehung zur Birke, doch auch Brighid und Freya sind mit Hilfe von Birkenzweigen leicht erreichbar.

Buche

Dieser Baum wird dem Planeten Saturn teilweise auch dem Jupiter und dem Element Erde zugeordnet. Wer sich unter den Einfluß der Buche begibt, kann damit rechnen, bald neuartige Erfahrungen zu machen und bisher unbekannte Informationen zu erhalten, die ganz wesentlich mit seiner eigenen Entwicklung zu tun haben werden. Die Kombination aus den saturnisch-erdhaften Aspekten der Buche mit ihrer enormen kreativen sowie die Phantasie beflügelnden Kraft machen sie zum idealen Gesprächspartner, wenn es darum geht, eigene Wünsche und Sehnsüchte auf stabile sowie geordnete Weise Wirklichkeit werden zu lassen. Den geistig erschöpften Menschen bringt sie wieder »auf den Erdboden« und damit in die Verwurzelung mit seinen ursprünglichen Kraft quellen zurück.

Eberesche

Dieser auch als Vogelbeere bekannte Baum wird der Sonne sowie dem Element Feuer zugeordnet und gilt als einer der bedeutendsten „Hexenbäume überhaupt, da er ein ausgezeichneter Lehrer in den Bereichen Wahrsagen, Telepathie, Hellsehen und anderen psychischen Begabungen ist. Darüber hinaus weiß die Eberesche viel über Heilung und Schutz zu sagen - man behauptet nicht umsonst, daß sie das Haus, neben dem sie steht, vor negativen Energien bewahrt. Auch sie ist mit der Anderswelt und dem Totenreich verbunden, wobei sie jedoch eine deutlich positive Wirkung hat, indem sie den Verstorbenen Ruhe gibt. Sie beschützt in Form des Wanderstabes den nächtlichen Spaziergänger, zieht Wesen aus der Anderswelt an und stimmt diese sogar positiv - all das sind Eigenschaften, die den unschätzbaren Wert der Eberesche als sanfte Führerin in der Welt der Nacht, des Dunkels sowie jener der anderen Seite beschreiben. Auf diesem Wege hilft sie jenen, die mit ihr in Verbindung stehen, sich von den aus früheren Ereignissen entstandenen Behinderungen zu befreien .und ein Leben im Hier und Jetzt zu führen.

Efeu

Dieses Rankgewächs, das im hohen Alter stammartige Stöcke erstaunlicher Dicke entwickeln kann, wird im allgemeinen dem Planeten Saturn sowie dem Element Wasser zugeordnet. Auch er ist ein schützendes und die Heilung unterstützendes Gewächs. In der Pflanzenmagie bilden Efeu und, Stechpalme ein Paar, in dem der Efeu die Frau und die Stechpalme den Mann darstellt. Deshalb wird Efeu als besonders für Frauen glückbringende Pflanze gesehen, was den Brauch, ihn in den Brautstrauß einzubinden, ein wenig erhellt. Hier soll er vor allem vor negativen Gedanken und unglücklichen Ereignissen schützen. Darüber hinaus aber stellt auch der Efeu ein

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Tor zur Anderswelt dar - und zwar vor allem jener in uns selbst.

Eibe

Die Eibe wird mit dem Planeten Saturn sowie dem Element Wasser in Verbindung gebracht. Während der vergangenen Jahrhunderte wurde sie zur Anrufung Verstorbener eingesetzt, was in Anbetracht der hohen Giftigkeit all ihrer Teile mit Ausnahme des den Kern umgebenden Fruchtfleisches kaum verwundert. Hinzu kommt noch die halluzinatorische Wirkung, welche die Ausdünstungen des Harzes auf den an einem warmen Sommertag ahnungslos im Eibenhain sitzenden Wanderer haben können - alles in allem also ein mächtiger, aber auch mit dementsprechendem Respekt zu behandelnder Baum, der viel über Magie, Tod, Wiedergeburt, Visionen und auch die Anderswelt zu sagen hat. Mittlerweile weisen jüngere Forschungsergebnisse sogar darauf hin, daß es sich beim Weltenbaum Yggdrasil der germanisch-skandinavischen Mythologie nicht um eine Esche, sondern eine Eibe gehandelt habe, was den Baum automatisch mit den Runen in Verbindung bringt. Die Germanen scheinen die Eibe als „ Nadelesche« bezeichnet zu haben, was die Esche selbst als Laubbaum in dieser Funktion eher unwahrscheinlich erscheinen läßt. Die Fähigkeit der Eibe, magische wie auch psychische Gaben zu verstärken, die Seelen Verstorbener zu beschützen sowie ihre unglaublich lange Lebensspanne prädestinieren die Eibe für eine solche Funktion natürlich. Als der Schwellenbaum schlechthin wäre niemand besser als sie geeignet, die drei Welten miteinander zu verbinden.

Eiche

Sie wird der Sonne sowie dem Feuer zugeordnet, und entsprechend scharen sich auch die Götter um sie: Wer Dagda oder Thor rufen möchte, erhält durch die Eiche mächtige Unterstützung. ;Aufgrund ihrer gewaltigen Kraft und auch ihrer langen Lebensspanne ist sie vielleicht der Schutzbaum schlechthin; ihr Wissen gilt den Bereichen Gesundheit, Wohlstand, Heilung, Stärke, Fruchtbarkeit, sexuelle Kraft und Glück. Man sagt ihr nach, sie sei imstande, einem Menschen seine Jugendlichkeit bis ,ins hohe Alter zu erhalten -zumindest innerlich, was ja der eigentliche Schlüssel zur Unsterblichkeit ist: Einige Sprachwissenschaftler führen im Englischen die Bezeichnung »Druide» auf den Begriff »Eichenkundiger« zurück, und dort wird auch der Jägergott Herne als Anführer der wilden Jagd, in enge Verbindung mit dem Baum gebracht. Dieselbe Funktion hat im germanischskandinavischen Raum der Gott Wotan inne Darüber hinaus weist die mit ihrer Stabilität und Beständigkeit imponierende Eiche aber auch erdige Charakterzüge auf, was sie zum geeigneten Gesprächspartner macht, wenn es um Erfolg, Macht, Ausdauer oder Stetigkeit geht. Vor allem die Mooreiche (in einen Sumpf gefallene und dort konservierte Brauneiche) hat überaus stark erdende Eigenschaften. Aber auch wer zum Beispiel nach einer langen Krankheit einfach nur Energie schöpfen möchte, ist bei der Eiche fast immer willkommen.

Esche

Die Esche steht mit der Sonne, aber auch mit dem Mond und dem Element Feuer in Verbindung, die ihr zugeordneten Gottheiten sind zum Beispiel Thor, Wotan und auch Gwydion. Bis vor kurzem hielt man sie für jene Art, die den Weltenbaum Yggdrasil stellt, doch ist diese These mittlerweile wie schon erwähnt zugunsten der Eibe ins Wanken geraten - dennoch ist auch diese Variante nicht unbegründet, wenn man das Wissen der Esche zu den Themen Schutz, Heilung, Gesundheit sowie ,Wohlstand bedenkt und vor allem ihre interessante Beziehung zum Element Wasser betrachtet. Sie kann dessen Macht ebenso fördern wie auch in Schach halten, was sie vor allem für Menschen; deren emotionale Balance in der einen oder anderen Richtung gestört ist,

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zum hilfreichen Gesprächspartner macht. Auch die Verbindung von Kreativität, Phantasie und der Fähigkeit zur Förderung von Wahrträumen macht sie zu einem schamanischen Baum, der gerne seine Unterstützung bei der Auflösung seelischer wie auch körperlicher Verbitterung und Verhärtung gewährt.

Fichte

Dieser dem Planeten Mars, aber ganz wesentlich auch der Venus, dem Mond sowie dem Element Luft zugeordnete Baum beherbergt ganz besondere, wunderbare Kräfte in sich. Wie kein anderer ist er in der Lage, uns das Gefühl von Schutz und warmer Geborgenheit zu vermitteln. Die Fichte weiß alle emotionalen Stimmungen auszugleichen und die Seele auf liebevolle Art zu beruhigen. Zu ihren Gottheiten zählt Sylvanos, ein heute nur wenig bekannter, dem Herne vergleichbarer Waldgott der Kelten Mitteleuropas. Leider wissen wir nicht mit Sicherheit, inwieweit sein uns überlieferter Name auch von diesen verwendet bzw. von den Römern abgeändert wurde. Wer mit seinen Sorgen oder seinem Kummer zu einer Fichte geht, wird mit tiefem Verständnis beschenkt werden und bald wieder frei durchatmen können.

Hasel

Der Haselnußstrauch wird der Sonne, dem Element Luft und dem Gott Thor zugeordnet. Wann immer es um die Themen Glück, Fruchtbarkeit, die Umsetzung von Wünschen und natürlich - wie bei fast allen Bäumen oder Büschen Schutz geht, ist er der geeignete Gesprächspartner. Doch geht sein Wissen weit darüber hinaus, und wer sich diesem Strauch ohne materielle Begierden zu nähern vermag, kann von ihm einen Schatz erhalten, der weit über Geld und Besitz hinaus geht. In der keltischen Mythologie befinden sich am Rande jenes Teiches, in dem der Lachs der Weisheit schwimmt, Haselsträucher. Deren Früchte fallen in den Teich und werden dort vom Lachs verspeist, wonach sie zu einem weiteren der vielen Flecken auf seiner bunt schillernden Haut werden. Woher bekommt der Lachs die Weisheit? Von der Haselnuß!

Da verwundert es nicht, daß diesem Busch auch die Fähigkeit, großes Wissen wie auch künstlerische Inspiration zu vergeben, zugesprochen wird. Vor allem Dichter sollen von seiner Großzügigkeit in hohem Maß profitieren können. Seine Verbindung zum Feenreich stattet ihn mit Eigenschaften aus, an denen er uns gerne teilhaben läßt: Der Haselnußstrauch kann Unsichtbarkeit verschaffen und das Auge für den Anblick von Feen öffnen. In vielen Hexentraditionen wird die Hasel als Zauberstab verwendet, und manche ziehen den rituellen Schutzkreis nur mit einer Haselrute.

Holunder

Er wird dem Planeten Venus, aber auch Saturn und Merkur sowie dem Element Wasser zugeordnet gewissermaßen ein. Meister aller Klassen. Wie der Name schon sagt, steht die Göttin Holle, die wir später als Hel wiederfinden, in enger Beziehung zu diesem Baum. Der Holunder schützt das Haus, neben dem er steht, auf zweierlei Weise: Zum einen wehrt er schädliche Geister sowie Energien, die von außen einwirken, ab und nimmt zum anderen negative Einflüsse aus dem Hausinneren auf: Deshalb sollte man einen Holunder nicht entfernen, weil dabei die von ihm aufgenommenen Schwingungen auf denjenigen übergehen können, der ihn schneidet. Volksüberlieferungen raten dazu, einen Holunder nur von einer Frau schneiden zu lassen, da diese seiner Wirkung eher zu begegnen imstande sei als ein Mann.

Der kleine Baum kann Heilung wie auch einen tiefen und ruhigen Schlaf bringen. Seine Anwesenheit im Garten stellt einen ständigen Segen dar, der Wohlstand, Schutz und Frieden

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bringen kann, wenn man sich seinen Gaben öffnet. Auch als Ehe- und Fruchtbarkeitssegen ist er bekannt. Darüber kann der Holunder Naturgeister rufen und vor allem eine Verbindung zu jenen der Erde herstellen, was immer dann sehr hilfreich ist, wenn man mal wieder den Boden unter den Füßen verloren hat.

Kiefer

Die Kiefer steht in Verbindung zum Planeten Mars, der Luft und - ähnlich wie die Fichte -dem Waldgott Sy l v a n os. Dieser Baum verfügt über eine enge Beziehung zur menschlichen Seele, weshalb er dort, wo die Fichte sich auf Trost beschränkt, Veränderungen einzuleiten in der Lage ist. Die Kiefer heilt, wehrt Böses ab und sorgt für Fruchtbarkeit sowie Wohlstand. Auch gleicht sie emotional aus und fördert den Schlaf. Am wichtigsten ist aber vielleicht, was sie zum Thema Verantwortung weiß, jener Last, mit der viele von uns nicht wirklich umzugehen imstande sind. Wer sich immer zuviel auflädt, ständig gibt und selten nimmt, durch diese Überforderung dauernd erschöpft ist und sich dann auch noch Vorwürfe macht, wird bei der Kiefer Hilfe finden. Sie kann das Selbstbild wieder gehörig zurechtrücken .und die Schwermut vertreiben.

Linde

Dieser Baum wird dem Planeten Jupiter sowie dem Element Luft zugeordnet. Ihre Gaben bilden eine wunderschöne Einheit: Liebe, Glück, Schutz und Unsterblichkeit machen sie zu einem Wesen; daß über alle Bereiche des zwischenmenschlichen Zusammenseins bestens Bescheid weiß. Sie repräsentiert die weise und gütige Mutter Erde. Viele Kulturen betrachten sie als Lebensbaum; so wurde vielerorts anläßlich der, Geburt des Stammhalters oder der Stammhalterin eine Linde gepflanzt; welche die Unsterblichkeit des Familienclans symbolisierte. Wie kaum ein anderer Bauire verhilft die Linde dem erhitzten, aufgeregten Gemüt zu innerer Stille, tiefer. Ruhe und Zentrierung.

Pappel

Die Pappel wird dem Planeten Saturn sowie dem Element Wasser zugeordnet. Sie vermag Wohlstand zu verleihen; und vermittelt interessanterweise eine recht direkte Verbindung zur Anderswelt: Seit Jahrhunderten schon werden verschiedene Teile des Baumes in sogenannte Flugsalben eingearbeitet. So kann die Pappel viel zum Thema Astralprojektion erzählen, doch werden ihre Knospen - vor, allem jene der Espe (Zitterpappel) - auch von allen Baum- bzw. Erdwesen gerne als Geschenk angenommen. Die P a p pel lehrt den korrekten Umgang mit jenen Fähigkeiten, die eine Wahrnehmung astraler bzw. feinstofflicher Vorgänge oder Wesenheiten einschließen. Auch kann sie den Wachstumsprozeß bei innerlich zum Stillstand gekommenen Menschen wieder anregen, indem sie Verhärtungen und Verkrampfungen löst.

Schlehe (Schwarzdorn)

Die Schlehe steht mit dem Planeten Mars sowie dem Element Feuer in Verbindung. Sie ist äußerst effektiv bei der Abwehr negativer Energien oder sogar der Vermeidung von Katastrophen. Oft sammeln sich Erdelementarwesen unter diesem Busch, die seine Früchte gerne als schmackhaftes Geschenk annehmen - und sich dafür unter Umständen auch revanchieren: Die Schlehe zählt nämlich zu jenen Hölzern, die im Ruf stehen, Wünsche zu erfüllen. Außerdem wehrt sie unsichtbare Wesen mit negativen Absichten wirkungsvoll ab.

Im Bezug zum Menschen spricht die Schlehe das. Thema des sozialen Kontakts an und lehrt einen ausgeglichenen Umgang damit. Vor allem Personen, die sich in Bezug auf andere

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Menschen generell eher zwiespältig verhalten; können hier Rat und Hilfe finden - ich denke hier zum Beispiel an Allergiker, die mittels ihrer Haut oder des Atmungsapparats reagieren und auf diese Weise andere Menschen zur gleichen Zeit auf Distanz halten wie auch auf sich aufmerksam machen, um Zuwendung zu erlangen.

Stechpalme

Diese meist buschartig auftretende Pflanze wird dem Planeten Mars sowie dem Element Feuer zugeordnet. Sie schützt vor allem vor Blitzschlag, Gift, bösen Geistern sowie Schadenszaubern und wird mit dem Glück in Verbindung gebracht, da sie sowohl Wahrträume fördert als auch Ihre »Träume wahr werden« läßt. Sie ist die dem Efeu entsprechende Glückspflanze für Männer. Aufgrund ihres Wissens bezüglich des Themas von Tod und Wiedergeburt, wie es sich gerade zur Zeit der Wintersonnenwende in der Natur erfüllt, wird die Stechpalme noch heute gerade in diesen Tagen des Jahres gerne als Raumschmuck verwendet. Sie kann bei allen Problemen, die mit Schlaf und Ruhe zusammenhängen, weiterhelfen; es wird ihr sogar nachgesagt; daß sie den Augenblick des Todes erleichtere. Die Stechpalme nimmt die Verbundenheit aller existierenden Dinge im Universum auf direkte Weise wahr und ist deswegen ein großer Helfer, wenn es darum geht, schwierige Entscheidungen zu fällen:

Ulme

Die Ulme wird dem Planeten Saturn sowie dem Element Wasser zugeordnet. Über sie sind Odin, Hoenir sowie sämtliche Mutter- und Erdgottheiten gut erreichbar. Sie gilt bei Elfen als geschätzter Aufenthaltsort und bringt den Menschen mit den Luftgeistern in Kontakt: Darüber hinaus verleiht sie vor allem magischen Vorhaben Stabilität und eine gewisse Erdung - eine Alleskönnerin sozusagen. Die Ulme steht in dem Ruf, Liebe anzuziehen und immer dann hilfreich zu sein, wenn es um Auflösung alter Muster, Umwandlung oder Transformation geht. Außerdem schützt sie vor Blitzschlag.

Weide

Die Weide steht mit dem Mond, dem Element Wasser und der Göttin Hel in Verbindung. Sie verbindet diese Welt mit der Unterwelt; sei es jene der Toten oder unserer eigenen Seele. Dabei geht sie auf sehr liebevolle Weise vor und ermöglicht in ihrem schützenden Geäst eine sanfte, aber dennoch tiefgreifende Heilung. Als »Schwellenbaum«, den man häufig am Übergang der Elemente Wasser und Erde vorfindet (wie zum Beispiel an Seeufern), weiß sie viel über die Magie des Mondes, die Anrufung von Geistern und Wasserwesen sowie den Tod zu lehren. Die Weide versteht, umfängt und tröstet bei allen Arten von Kummer, die ihre Wurzeln in` der Trauer um etwas oder jemanden haben, indem sie lösend, erweichend, reinigend und dadurch erneuernd wirkt. Sie selbst ist von großer Reinheit. Die Weide läßt uns aber auch träumend unseren Sehnsüchten nachhängen, womit sie uns liebevoll aufzeigt, wohin es unser Herz wirklich zieht.

Weinrebe

Der Wein wird dem Mond sowie dem Element Wasser zugeordnet; meiner Erfahrung nach weist er aber auch eindeutige Beziehungen zur Sonne auf. Wein ist ein guter Gärtner, der das Wachstum anderer Pflanzen durch seine Ausstrahlung unterstützt und im Gespräch wertvolle Hinweise für die Gartenarbeit geben kann. Er symbolisiert Fruchtbarkeit auf allen Ebenen und regt auf diese Weise sowohl die Kreativität als auch die Zeugungskraft und den inneren wie äußeren Wohlstand an. Sämtliche geistigen Kräfte werden durch ihn gestärkt. Am

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erstaunlichsten und vielleicht lehrreichsten für uns ist jedoch seine einzigartige Fähigkeit der Sammlung und Speicherung lebensspendender Sonnenenergie, die er über seine Früchte den ganzen Sommer sowie Herbst lang aufnimmt, um sie in Form des Weingetränks für uns bereitzuhalten. So bedeutet der winterliche Genuß eines sonnigen Südweins auch immer, sich mit der gesammelten Lebensenergie der Sonne aufzuladen. Darüber hinaus weiß Wein auch einiges zur sinnvollen Kräfteeinteilung im Alltag zu erzählen.

Weißdorn

Dieser Busch steht mit dem Planeten Mars sowie dem Element Wasser in Verbindung. Er repräsentiert sowohl Frühling und Hochzeit als auch Fruchtbarkeit, steht aber ebenso für Keuschheit und Enthaltsamkeit. Dieser Gegensatz erklärt sich aus seinen wunderschönen weißen Blüten einerseits und den langen Dornen andererseits. Früher hielt man Weißdornbüsche oft für verwandelte Hexen, und noch heute versammelt sich diese seltene Spezies Mensch gerne um einen solchen Strauch, denn er wehrt negative Energien ab und zieht Feen an. In der keltischen Mythologie werden Eiche, Esche und Weißdorn als Feendreiheit bezeichnet, und überall dort, wo diese drei Pflanzen zusammen wachsen, soll man die Luftgeister auch sehen können. Der Weißdorn hat eine Verbindung zur menschlichen Herzregion und kann aus diesem Grund helfen, alte verdrängte Gefühle und Selbstanteile aufzudecken.

Welcher Baum ist für mich wichtig?

Generell kann es nicht schaden, sich mit so vielen Vertretern der Gattung Baum wie nur möglich zu beschäftigen, denn alle zeigen bestimmte Aspekte der Gesamtheit des Lebens auf. Dennoch werden manche Themen für Sie von größerem Interesse sein als andere; vielleicht, weil Sie selbst gerade daran arbeiten oder einen diesbezüglichen Bedarf verspüren. Manchmal meiden wir auch gerade den Baum, dessen Botschaft im Augenblick für uns von Bedeutung wäre, weil wir noch nicht bereit sind, uns seiner Wahrheit zu stellen.

Dennoch gibt es Möglichkeiten, die Auswahl zunächst ein wenig einzugrenzen. Gibt es eine Baumart, die Sie schon immer fasziniert hat? Welche finden Sie besonders schön? In was für einem Baum haben Sie sich als Kind am liebsten aufgehalten? Auch jene Arten, deren Vertreter gehäuft in Ihrem Leben vorkommen, können von Bedeutung sein. Wenn. Sie bereits das dritte Mal hintereinander in ein Haus gezogen sind, vor dem eine prächtige Birke steht, hat das durchaus etwas zu bedeuten.

Beobachten Sie die Gefühle, die beim Betrachten bestimmter Baumarten in Ihnen ausgelöst werden. Fragen Sie jene, die Sie leicht, hell, fröhlich oder gutgelaunt machen, warum dies so ist und was in Ihnen mit diesen Arten übereinstimmt. Aber auch die instinktive Ablehnung eines bestimmten Baumes hat ihre Gründe. Vielleicht sind Sie für seine Botschaft zur Zeit nicht bereit - oder Sie spüren unbewußt deutlich, wie wichtig sein Wissen gerade jetzt für Sie wäre, möchten sich aber noch nicht den damit verbundenen Konsequenzen stellen. Auch dann haben Sie die Möglichkeit, den Baum einfach zu fragen und darauf hin zu entscheiden, ob Sie sich öffnen oder den Kontakt noch ein wenig verschieben wollen. Bäume sind sehr geduldig und werden auf Sie warten. Die Frage ist, ob Sie sich eine weitere Verzögerung leisten können.

Bald werden Sie Ihren ganz speziellen Freund unter den Bäumen gefunden haben, ein bestimmtes Exemplar, zu dem es Sie wieder und wieder zieht, um regelmäßig mit ihm zu plaudern. Diese ganz besondere Freundschaft ist für mich schon immer von großem Wert gewesen - ein Geschenk, das in meinem Leben weitreichende Veränderungen veranlaßt hat. Ich danke dir, alte Weide.

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Rituale mit Bäumen

Wann immer Sie in Bezug auf Bäume ein Ritual ausführen, werden Sie sich höchstwahrscheinlich mit dem Gesamtgeist einer bestimmten Art verbinden . und weniger ein einzelnes Individuum ansprechen. Für die Begegnung mit dem einzelnen Baum benötigen Sie kein Ritual; hingehen und „ Hallo« sagen genügt da vollkommen. Ich habe im folgenden drei Beispiele für ein solches Ritual erarbeitet, anhand deren es Ihnen möglich sein sollte, selbst Baumriten für die unterschiedlichsten Anlässe zu erschaffen.

Die spezielle Frage

Wenn Sie ein bestimmtes, klar formulierbares Anliegen haben, ist es sinnvoll, zunächst eine Baumart auszuwählen, die Sie mit Ihrem Problem oder Ihrer Frage konfrontieren möchten. Zu diesem Zweck können Sie entweder aus der vorangegangenen Aufstellung oder auch der entsprechenden Literatur jene Art auswählen, die mit dem betreffenden Thema in Verbindung steht, oder einfach intuitiv entscheiden, aus welcher Richtung wohl am ehesten eine hilfreiche Antwort zu erwarten ist. Nehmen wir einmal an, Sie haben ein kräfteraubendes und langwieriges, aber auch lohnendes Projekt vor sich und sind sich nicht ganz darüber im klaren; wie Sie dies durchhalten sollen - ein Thema, zu dem die Eiche bestens Bescheid weiß.

Sammeln Sie nun einige Gegenstände, die für Sie sowohl mit dem Problem als auch einer eventuellen Lösung zusammenhängen. Vielleicht gehört dazu ein Seidenschal, den Sie immer gerne zur Geschäftskleidung tragen; der Briefkopf Ihrer Firma und etwas, das Ihr Aufgabengebiet symbolisiert; wenn Sie zum Beispiel im Baubereich tätig sind, könnte das etwas Sand, ein Stück von einem Ziegelstein oder ein Zollstock sein. Suchen Sie dann nach Gegenständen, die Ihren Wunsch darstellen. Für die nötige Kraft könnten Sie ein Stück Ingwerwurzel oder einen Granatstein wählen, und ein kleines Tonhaus, wie man es zum Räuchern verwendet, steht vielleicht für das angestrebte Endprodukt. Vergessen Sie bei der Auswahl der Gegenstände nicht, daß es sich hier nicht um einen Erfolgszauber, sondern um ein Ritual zur Wissenserlangung handelt. Sie wollen den Erfolg Ihrer Arbeit schließlich selbst erreichen und immer genau wissen, welche Mittel dafür eingesetzt werden müssen. Denken Sie bitte auch an das Opfer und entscheiden Sie selbst, was Sie für geeignet halten.

Dann suchen Sie sich eine Eiche, von der Sie den Eindruck haben, daß sie Ihnen weiterhelfen könnte. Legen Sie die mitgebrachten Gegenstände im Kreis um den Baum aus und begeben Sie sich dann in diesen Themenkreis hinein. Begrüßen Sie den Baum. Nun vertiefen Sie sich einige Augenblicke lang in die Sie umgebenden Dinge; überlegen Sie, warum diese Gegenstände hier liegen und welche Aussage sie vermitteln sollen. Sie befinden sich nun im Kessel Ihrer Fragestellung - in einer Art Intensivsitzung sozusagen.

Erklären Sie dem Baum als nächstes, warum Sie hier sind und bitten Sie ihn darum, zum Tor für den Eichengeist zu werden. Schließen Sie dann die Augen, um zwischen die Welten zu gehen, wo Sie dieses Wesen um seine Aufmerksamkeit sowie Anwesenheit bitten.

Ich weiß nicht, in welcher Form Sie den Eichengeist wahrnehmen werden; bei mir sieht er meist aus wie eines dieser in Stein gehauenen Gesichter an den Außenmauern alter Kirchen, die mit Eichenlaub umkränzt sind. Bei Ihnen könnte das anders sein, und was immer Sie sehen, ist richtig. Begrüßen Sie den Geist, stellen Sie sich vor und erzählen Sie ihm, warum Sie hier sind.

Meiner Erfahrung nach gestaltet sich die Kommunikation mit dem Wesen einer ganzen Baumart

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etwas unterschiedlich von der mit dem einzelnen Individuum. Meist erwartet mich nun weniger ein Gespräch als eine Reise zu den verschiedensten Orten der inneren Welt. Solche Baumgeister haben eine machtvolle Ausstrahlung und sind zu Handlungen fähig, die uns überraschen und auch überrumpeln können, doch bin ich niemals dabei zu Schäden gekommen, sondern immer nur so weit gefordert worden, wie ich auch folgen konnte. Solche Geister einer ganzen Art - sei es nun eine pflanzliche, tierische oder mineralische - neigen dazu, die Dinge in einem größe r en Zusammenhang darzustellen und uns mitten in ihre Erklärungen »hineinzuwerfen«. Wenn es Ihr Eichengeist für angemessen hält, ein Thema anhand des Sonnensystems zu illustrieren, wird er Ihnen davon wahrscheinlich nicht erzählen; sondern Sie einfach mitten hineinversetzen. Deshalb ist es wichtig, daß Sie sich einen sicheren Ort für dieses Ritual aussuchen und gutes Wetter wählen. Ich habe mal einen wolkigen Tag im Herbst ausgewählt und mich bei der Rückkehr vom Fuße der Regenbogenbrücke in einem satten Regenguß wiedergefunden. Was der, Kerl erzählt hat, war aber auch so spannend, daß ich nichts davon bemerkt hatte! Ich selbst war noch gar nicht wirklich naß geworden, denn die Baumkrone hatte mich geschützt, aber fragen Sie nicht, wie ich aussah, als ich zu Hause ankam.

Baumkraft magisch einsetzen

Vielleicht möchten Sie auch die Energie und Erfahrung einer Baumart für Ihr spezifisches Problem nutzen, wenn Sie sich nicht unter seiner Krone befinden. Dafür nehmen Sie einen Gegenstand mit, in den Sie diese Kraft bündeln können; in unserem Beispiel würden sich ein Stück Basaltgestein, ein Werkzeug wie der Hammer oder auch ein mit Salz gefülltes Schälchen aus Ton eignen. Nachdem Sie den Baum begrüßt haben, begeben Sie sich zwischen die Welten und bitten den Eichengeist um seine Anwesenheit. Erklären Sie ihm Ihr Vorhaben und bitten Sie um eine angemessene Menge seiner Energie sowie seines diesbezüglichen Wissens. Überlassen Sie die Dosierung ihm, denn er weiß, wieviel Sie vertragen können; eventuell werden Sie auch besondere Anweisungen bezüglich des weiteren Umgangs mit dem geladenen Gegenstand erhalten. Als ich mit der Renovierung meines alten Fachwerkhauses begann, riet man mir, die zu diesem Zweck mitgebrachte Basaltrose zu vergessen und statt dessen einen Zweig vom Baum, unter dem ich saß, abzuschneiden und einzumauern. Bis jetzt hält die Wand sehr gut!

Wenn Sie keine besonderen Anweisungen erhalten, können Sie den geladenen Gegenstand dort plazieren, wo Sie Ihre Aufgabe zu erfüllen haben - in unserem Beispiel wäre das Ihr Schreibtisch oder die Baustelle. Dort wird er seine Kraft stetig so lange abgeben, bis Ihr Projekt erfolgreich abgeschlossen worden ist. Die Kenntnisse des Baumgeistes werden immer dann, wenn sie benötigt werden, auch jene Mitarbeiter durchdringen, die vom Vorhandensein des Gegenstandes gar nichts wissen, und wenn Sie mal nicht weiterkommen, können Sie mit seiner Hilfe solange über das Problem meditieren, bis Sie eine Lösung gefunden haben.

Einen Stab schneiden

Wenn Sie beschließen, sich einen magischen Stab zuzulegen, sollten Sie zunächst betrachten, welche Ausrichtung Ihre persönliche Art der magischen Arbeit hauptsächlich aufweist. Falls Sie ein starkes Interesse in Richtung von Heilung und Gesundheit haben, eignen sich zum Beispiel Zeder, Holunder, Roßkastanie, Efeu, Eiche, Pflaume, Kiefer, Fichte, Eberesche, Immergrün und Walnuß sehr gut. Wenn Sie vornehmlich an Ihrer spirituellen Entwicklung arbeiten möchten, werden Weide, Holunder, Zeder, Pfirsichbaum, Apfelbaum, Buche, Eibe, Haselstrauch, Pappel und Weißdorn Sie unterstützen. Ein Stab, der hauptsächlich zur Durchführung von Zaubern gedacht ist, sollte aus Buche, Hasel, Walnuß, Eberesche, Ahorn, Hasel oder Stechpalme sein. Das sind nur einige Beispiele, aber es ist immer gut, sich gründlich zu überlegen, welches Holz man für seinen Stab wählt.

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Wenn Sie diese Entscheidung getroffen haben, begeben Sie sich zum entsprechenden Baum und bringen eine Gäbe mit, die Sie für den Stab hinterlassen möchten. Diese darf ruhig einen gewissen Wert für Sie haben, aber bedenken Sie bitte, daß der Baum auch etwas damit anfangen können sollte. Von einem Säckchen voller Fünfmarkstücke hat er relativ wenig!

Wählen Sie nun jenen Zweig aus, den Sie schneiden möchten, und binden Sie ein rotes Band oder einen roten Faden darum. Erklären Sie dem Baum, was Sie vorhaben und bitten Sie um diesen Ast; falls der Baum ablehnt oder einen anderen Ast empfiehlt, folgen Sie seiner Anweisung. Gehen Sie nun zum Fuße der Regenbogenbrücke, um den Geist dieser Baumart um seine Anwesenheit zu bitten. Auch dieser muß seine Erlaubnis zum Schneiden des Astes geben, und wahrscheinlich wird er Ihnen einiges zu Ihrem speziellen magischen Thema mitteilen können. Eventuell hat er bestimmte Auflagen für Sie, die Sie vor dem Schneiden des Stabes oder auch während der Arbeit damit erfüllen sollen. Überlegen Sie gut, ob Sie dies tun wollen, und stimmen Sie nur dann zu, wenn es Ihnen aus vollem Herzen möglich ist. Vergessen Sie nie; sich zu bedanken, bevor Sie das Gespräch beenden und den Ort am Fuße der Regenbogenbrücke verlassen.

Vergraben Sie die Gabe für den Baum unter dessen Wurzeln und gehen Sie fort. Drei Tage und Nächte lang sollten Sie sich dem Baum nicht nähern. Idealerweise fällt diese Zeit in die drei Nächte vor dem Vollmond. Auf diese Weise geben Sie dem Baumgeist Gelegenheit, den für Ihren Stab bestimmten Ast auf eine nur auf Sie zugeschnittene Weise zu laden. Nach Ablauf der drei Tage begeben Sie sich mit etwas Siegelharz (in Gartenmärkten erhältlich und zum Versiegeln größerer Baumwunden gedacht) zum Baum zurück. Erkundigen Sie sich, ob inzwischen alles beim alten geblieben ist und teilen Sie dem Baum mit, daß Sie den Ast nun schneiden werden. Lassen Sie ihm aber noch eine halbe Stunde Zeit, damit er sich vollständig daraus zurückziehen und nur die für Ihren Stab bestimmte Kraft darin belassen kann.

Führen Sie den Schnitt mit einem scharfen Messer oder einer ebensolchen Säge aus, um ausgefranste Wundränder zu vermeiden. Arbeiten Sie zügig. Legen Sie den geschnittenen Ast nicht auf die Erde, bevor Sie ihn bearbeitet, seine Schnittenden geschlossen und geweiht haben, sonst könnte er Teile seiner Kraft an den Boden abgeben. Die Baumwunde versiegeln Sie mit dem mitgebrachten Harz, auch wenn sie noch so klein sein sollte. Damit zeigen Sie, daß Sie das Opfer des Baumes zu schätzen wissen und sich darum bemühen, die für ihn damit verbundenen Unbequemlichkeiten so gering wie möglich zu halten. Manche Traditionen schreiben nun ein weiteres Opfer vor, das Sie mit einem Tropfen Ihres Blutes bringen. Ein Stück meines Lebens für ein Stück des seinen ich persönlich finde das fair.

Bearbeiten Sie den Stab nun Ihren Wünschen gemäß und weihen Sie ihn zum nächsten Vollmond. Wenn Sie den Baum, von dem Sie Ihren Stab geschnitten haben, weiterhin regelmäßig besuchen, werden Sie wahrscheinlich fortlaufende „Lektionen« zu Ihrem magischen Interessengebiet erhalten, für das Sie den Stab angefertigt haben.

Ahnenkult

Leben und Tod aus naturmagischer Sicht

Ahnenkult - das klingt ein wenig provokant, nicht wahr? »Kult« hat alleine schon den Ruch des Unseriösen, und dann auch noch um Tote?

Nun, die Verehrung, die viele naturreligiöse Menschen ihren Vorfahren entgegenbringen, hat

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nichts mit Nekromantie oder anderen morbiden Tätigkeiten dieser Art zu tun. Weder kleiden sie sich dafür in tiefes Schwarz, noch halten sie es für nötig, ihre Gesichter bleich zu schminken und die Lippen dunkelblau zu färben. Und sie führen diese Rituale zumeist tagsüber aus - im hellen Sonnenschein, wenn die Welt so ist, wie sie auch unsere Ahnen liebten, als sie noch auf ihr wandelten.

Im Gegensatz zum allgemeinen Bild, das sich die meisten Menschen von Halloween machen, pflegt bei den Ahnenfesten der meisten naturreligiösen Traditionen eine herzliche, warme und heitere Atmosphäre vorzuherrschen. Wir verbinden den Gedanken an unsere geliebten Verstorbenen nicht mit der Vorstellung von düsteren Gräbern, skelettartigen Gestalten und dem Geruch finsteren Moders, sondern sehen sie so vor uns, wie sie zu ihren besten Zeiten waren - nur ein wenig durchsichtiger vielleicht und mit den Zeichen der anderen Welt versehen. Für jemanden, der sich mit Naturreligion beschäftigt, ist das Leben nach dem Tod nicht einfach zu Ende, und dabei handelt es sich keineswegs um Glauben, sondern um sichere Gewißheit., Wenn Sie einmal beobachten konnten, wie das Leben aus einem sorgsam auf das Fällen vorbereiteten Baum herausfließt, um mit der umgebenden Natur zu verschmelzen, werden auch Sie wissen, daß immer nur der Körper, aber nie das Wesen eines Geschöpfes vergeht, sei es nun Pflanze, Tier oder Mensch. Und wenn Sie dem Wechsel der Jahreszeiten aufmerksam über einige Jahre hinweg folgen, werden Sie bemerken, daß Leben und Tod nur einander abwechselnde Teile eines größeren Zyklus darstellen. Ich persönlich sehe keinen stichhaltigen Grund dafür, warum ausgerechnet wir Menschen von diesem Kreislauf ausgenommen sein sollten.

Die meisten naturreligiösen Traditionen gehen davon aus, daß sich Verstorbene entweder dauerhaft oder vorübergehend in feinstofflicher Form in einer anderen Welt befinden, die der unseren sehr nahe liegt. Viele glauben, daß diese Welt nicht nur den Toten vorbehalten ist, sondern auch den natürlichen Aufenthaltsort anderer geistiger Wesen wie der Elementargeister darstellt - was mich zu der anfangs bereits erwähnten Schlußfolgerung brachte, daß es sich hier in Wirklichkeit gar nicht um voneinander getrennte Welten handelt, sondern wir Menschen lediglich nur einen Teil der Ganzheit mit unseren materiellen Augen zu sehen in der Lage sind. Aus dieser Sichtweise heraus erklärt sich die Nähe, die naturreligiöse Menschen zu ihren verstorbenen Familienmitgliedern verspüren; es erscheint nur logisch, eine solche Beziehung nun auch mit Ritualen der Gemeinsamkeit zu feiern.

Es gibt innerhalb dieses Bildes nur wenige »böse Geister«. Meist handelt es sich bei jenen Toten, die unbedingt in der menschlichen Welt herumstreifen und Unheil stiften müssen um verwirrte Seelen, die über ihren neuen Status noch nicht Bescheid wissen. Wesen, die sich über die Tatsache ihres Todes im klaren sind, haben meist anderes zu tun, als ratlose Menschen zu verfolgen. Aus diesem Grund sehen wir eine gewisse Notwendigkeit darin, uns auf den Tod in bewußter Weise vorzubereiten und den Sterbenden diesen Übergang zu erleichtern. Wir haben auch nach diesem Leben wichtige Aufgaben zu erfüllen, und wer sich seines Todes nicht bewußt ist, kann diese nicht in angemessener Form wahrnehmen. Meiner Meinung nach schwirren unsere. Verstorbenen also keineswegs zu jeder Tages- und Nachtzeit um uns herum wie die Motten um das Licht, es sei denn, ihre Hilfe wird dringend benötigt. Ansonsten müssen wir sie schon rufen, damit sie von ihrer Arbeit aufsehen und zu uns herüberschauen.

Ehrlich gesagt schreckt mich die Vorstellung, von den, unsichtbaren Augen meiner dahingegangenen Familienmitglieder wahrgenommen zu werden, auch keineswegs so sehr wie manch andere. Alles, was ich anstellen könnte, haben sie ebenfalls getan - sie sind ebenso Menschen wie ich einer bin. Alle meine Ahnen, mit denen ich jemals in Kontakt kam, zeigten ein Verständnis der Zusammenhänge des Lebens sowie der Seele, das weit über gesellschaftliche Normen hinausgeht. Sterben scheint schlau zu machen.

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Und so eröffnet der Ahnenkult jedem Menschen, der ihn auf eine, angemessene Weise betreibt, eine weitere Form der Gemeinschaft, die sich mit jener, die wir mit den nichtmenschlichen Geschöpfen teilen, sehr gut verträgt. Wiederum: Wir alle sind Natur, alle Welten sind eins, und davon werden auch jene, die zufälligerweise gerade leinen Körper mit sich herumtragen, nicht ausgeschlossen.

Die moderne westliche Zivilisation pflegt freilich einen gänzlich anderen Umgang mit diesem Thema, aber das war auch hier nicht immer so. In der keltischen wie auch der germanisch-skandinavischen Kultur stellt die Aufrechterhaltung der Verbindung mit verstorbenen Familienmitgliedern einen Akt der Verwurzelung und Rückverbindung dar, der die seelisch-geistige Gesundheit der Gemeinschaftsmitglieder auf beiden Seiten unterstützt. Kein Wunder, daß wir heutzutage so viele Probleme mit sogenannten »erdgebundenen«, also sich ihres Todes nicht bewußten Geistern haben - wenn sich auch niemand mehr um sie kümmert ... Aber auch das frühe Christentum kannte die liebevolle Vereinigung mit den Toten noch, wie sie im Totensonntag sowie dem Glaubensbekenntnis weiterhin anklingt. Bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war es in vielen meist katholischen Haushalten üblich, im Herrgottswinkel, dem kleinen Hausaltar, neben dem Marien- oder Christusbild auch ein immerbrennendes Licht für jene Familienmitglieder aufzustellen, die diese Welt bereits verlassen hatten.

All dies setzt jedoch eine konstruktive Beschäftigung mit dem Thema Tod voraus, und das ist heutzutage verpönt. Unsere Zivilisation hat die raffinierte Angewohnheit, alles, wovor sie sich fürchtet, einfach als unanständig hinzustellen - und mit unanständigen Sachen gibt man sich nun einmal nicht ab. In einer Zeit, in der Jugend, das meiner Ansicht nach reichlich seltsame Schönheitsideal der Laufstege und stetiges Wachstum Idealbilder darstellen; sind Tod und Verfall natürlich das Unanständigste überhaupt. Dabei betrachten wir nur die beängstigenden Seiten dieses Vorgangs und ignorieren seine schönen.

Oh ja, der Tod hat schöne Seiten. Stellen Sie sich nur einmal vor; wie diese Welt ohne ihn aussähe - es wäre reichlich eng, um damit zu beginnen. Es gäbe zu wenig Nahrung, und wir würden uns - alle hundert Millionen oder so -gegenseitig noch mehr auf die Nerven gehen, als dies jetzt schon der Fall ist. Wollen Sie wirklich ewig in diesem Körper leben? Was ist, wenn Sie in ein paar Tausend Jahren alles gesehen und alles gelernt haben sollten, was diese Existenzform zu bieten hat? Möchten Sie sich wirklich bis zum Ende des Universums langweilen?

Der Tod macht Platz, indem er alles mitnimmt, was seine Funktion erfüllt, seine Aufgabe erledigt und sein Leben gelebt hat - und dafür bin ich ihm unendlich dankbar; weil er mir die Möglichkeit gibt, die von ihm hinterlassene Leere mit neuen, frischen und zum jetzigen Zeitpunkt effektiveren Gedanken, Ideen und Verhaltensweisen zu füllen. Ohne den Tod könnten wir weder lernen noch uns weiterentwickeln. Ohne ihn gäbe es keine Freiheit, weil wir das, was uns gefangenhält, nicht sterben lassen könnten.

Nicht umsonst lehren viele esoterische Traditionen, daß die Geburt in diese Welt der Tod in der anderen sei - Sterben ist nur die Rückseite aller Entstehung, und wir kommen einfach nicht darum herum. Jedesmal, wenn wir etwas erschaffen, stirbt auch etwas dafür, und wenn es nur die vorhergegangenen Pläne sind. Das muß uns nicht traurig machen, denn das Sterben dieser Vorgänger hat Platz für das jetzige und zufriedenstellende Ergebnis gebracht. Ja, ich glaube wirklich: Tod und Geburt sind ein und dasselbe.

Auf genau diese Sichtweise bauen auch all jene Rituale auf, die einen Initiationsprozeß

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beinhalten. Das haben wir ja bereits beim Passageritus gesehen: Der Jugendliche muß vergehen, damit der Erwachsene hervortreten kann. Es können nun einmal nicht zwei Dinge zur selben Zeit am selben Ort existieren, und wer etwas Neues in sich aufnehmen will, muß zunächst einmal das Alte und Überlebte vertreiben - sonst ist einfach kein Platz für etwas anderes da! Diese schlichte physikalische Wahrheit gilt nicht nur für materielle Gegenstände, sondern ebenso auch für Lebenseinstellungen und Verhaltensweisen. Wie viele Menschen fühlen sich in ihrem Leben nicht wohl, können aber nichts daran ändern, weil sie sich aufgrund einmal gemachter Erfahrungen immer auf dieselbe Weise verhalten? Erst wenn sie bereit sind, diese Verhaltensweisen loszulassen, sie dem Tod anheim zu stellen, sind sie frei für neue Erlebnisse. Man kann eben nicht ein bißchen schwanger sein.

In diesem Sinne stellt der Ahnenkult für den naturreligiösen Menschen nicht nur eine gegenseitige Fürsorge über den Augenblick des Sterbens hinaus, sondern auch die praktische Achtung sowie Wertschätzung dieses so grundlegend wichtigen Alltagsprozesses an sich dar. Gemeinsam mit jenen, welche die letztendliche Form dieser Erfahrung bereits gemacht haben, üben wir die Auseinandersetzung mit einem Thema, das während jeder Sekunde des Lebens von außerordentlicher Bedeutung ist und mit dem Moment des körperlichen Todes nur seine Krönung erfährt. Ja, auch das Sterben will gelernt sein - durch viele, viele kleine Loslassprozesse über ein ganzes, langes Leben hinweg.

Die Bedeutung von Sippe und Verwandtschaft

Ich habe die Funktion der Großfamilie als unterstützendes Organ früherer Gesellschaften bereits im ersten Teil dieses Buches angedeutet. Die dort erschaffene Gemeinschaft wurde auch über den Tod einzelner ihrer Mitglieder hinaus aufrechterhalten, da man keinen vernünftigen Grund dafür sah, eine fruchtbare Beziehung nur deshalb zu beenden, weil sich einer der Beteiligten plötzlich nicht mehr in einem materiellen Körper befand. Verstorbene Familienmitglieder sind für naturreligiöse Menschen auch heute noch weiterhin wichtige Quellen der Erfahrung, des Rates und des Wissens. Sie empfinden einen gewissen Trost bei dem Gedanken, von jenen, die sie lieben, nicht völlig getrennt zu sein und jahrzehntelang auf eine eventuelle Wiedervereinigung warten zu müssen. Für sie wird die Familienbande auch durch das Sterben einer Schwester oder eines Vaters nicht zerrissen; die Einheit verändert ihre Form ein wenig, bleibt jedoch bestehen. So werden diese Menschen durch ein tief in die Vergangenheit hinein reichendes Band aus Vorfahren sowie deren Geschichte und Erlebnissen auf ursprünglichste Weise in ihrem Leben verwurzelt. Ahnenkult bedeutet immer, sich dem Leben zu- und sich nicht etwa von ihm abzuwenden. Ein Teil seiner Funktion besteht durchaus auch darin, sich mit der Tatsache des Todes eines geliebten Menschen abzufinden, um nicht fortan in der Vergangenheit zu leben; dies fällt jedoch um vieles leichter, wenn man dafür, auf die Hilfe des präsenten Bewußtseins dieses Menschen zurückgreifen kann. Umgekehrt ermöglicht dieser Prozeß dem Verstorbenen, sich mit seiner neuen Realität vertraut zu machen, da er von seinen Hinterbliebenen ständig damit konfrontiert wird. Wenn man einem Gespenst nur oft genug sagt, daß es tot ist, kann es diese Tatsache einfach nicht mehr verdrängen!

Nach dem Abschluß dieser Trauerphase dient die Verbindung zu unseren Ahnen zugleich auch als Verbindung des lebenden Menschen mit dem, woher er kam, woraus er entstand und somit dem, was er heute ist. Ahnenkult hat eine Menge mit Selbstfindung zu tun -und es ist einfach schön, zu spüren, daß auch der Tod uns von unseren geliebten Menschen nicht wirklich trennen kann. Ein solcher Mensch muß nicht immer ,mit uns verwandt gewesen sein; auch ein guter Freund oder liebevoller Lehrer hat die Möglichkeit, seinen Platz unter unseren Vorfahren zu finden, wenn wir ihn nur darum bitten. Unsere Ahnen sind all jene, die vor uns da waren und auf deren Wissen sowie Erfahrungen wir heute aufbauen.

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Ahnenrituale

Die Gemeinschaft

Die einfachste und wohl am häufigsten, anzutreffende Form ritueller Einbindung unserer Vorfahren in unser Leben stellt das Gemeinschaftsfest dar. Dafür müssen Sie nichts weiter tun, als Ihre verstorbenen Familienmitglieder zu jeder Feier oder jedem Ritual, das Ihnen diesbezüglich geeignet erscheint, einzuladen, indem Sie sie einfach herbitten. Legen Sie vor einem Stuhl, der im Laufe des Festes frei bleibt, ein Gedeck auf und laden es mit einer anständigen Portion der angebotenen Speisen und Getränke voll. Erinnern Sie sich immer wieder an Ihre unsichtbaren Gäste, indem Sie den anderen von ihnen erzählen und sie in Toasts oder ähnliche gute Wünsche mit einbeziehen. Bitten Sie Ihre Ahnen auch, an Ritualen teilzunehmen, denn deren Wissen könnte Ihnen so manche hilfreiche Eingebung bescheren. Halten Sie Ihre Ahnen selbst ebenfalls bezüglich dessen, was sich so in der Familie tut und es an Neuem gibt, auf dem Laufenden - vor allem wenn es sich um Verstorbene handelt, die Sie noch persönlich gekannt haben. Allein Ihr Bedürfnis, sie weiterhin am familiären Leben teilhaben zu lassen, wird auf der anderen Seite viel Freude auslösen.

Lassen Sie die Vorfahren immer an den Speisen und Getränken teilhaben, und auch von einem Opfer sollten sie ihren Teil erhalten. Im Ritual widmen Sie einfach etwas von den Gaben jenen, die vor Ihnen da waren. Bei einem Fest wie dem oben beschriebenen tragen Sie den Teller sowie das Trinkgefäß danach ins Freie, wo diese einige Tage stehen bleiben. Sie können die Gaben auch über die Wiesen und Felder verstreuen, aber ich persönlich finde es einfach hübscher und liebevoller, das Ganze in bruchfestem Geschirr und mit ein paar Blüten dekoriert darzubieten. Vielleicht macht es Ihnen auch Freude, irgendwo in Ihrem Haus oder Garten eine kleine „Ahnenecke« einzurichten, in der sich ein schöner Kristall, einige Blumen oder andere Gegenstände befinden, an denen sich. Ihre Vorfahren erfreuen könnten. Auf diese Weise werden Sie auch während des Alltags immer wieder an jene Menschen erinnert und haben die Möglichkeit, sie in Ihre guten Wünsche und liebevollen Gedanken mit einzubeziehen. Dann wird Ihr Haus immer von guten Geistern umgeben sein - im wahrsten Sinne des Wortes.

Ratsuche

Oft können uns verstorbene Familienmitglieder auch, hilfreiche Informationen oder Anregungen übermitteln. Wählen Sie dazu einen jener Bäume aus, die mit dem Tod oder der Anderswelt in Verbindung stehen, und nehmen Sie dorthin neben dem Opfer auch ein paar Dinge mit, die Sie an jene Personen erinnern, an die Sie sich nun wenden möchten. Falls vorhanden, kann das Ritual natürlich auch an der Ahnenecke stattfinden. Da sich solche Formen des Gesprächs meist auf sehr feine und filigrane Weise gestalten, ziehen viele Menschen vor, es zur Zeit der Abenddämmerung auszuführen, wenn alles schön etwas ruhiger geworden ist. Nachts sollte man es nur tun, wenn man mit den Schatten der eigenen Seele äußerst gut vertraut ist - auch wenn die nächtlichen Stunden sich alleine schön aus analogischen Gründen hervorragend für derartige Unternehmungen eignen. Wenn Sie sich damit sicherer fühlen, können Sie vor der Anrufung Ihrer Vorfahren einen Schutzkreis erstellen.

Grüßen Sie den Baum, gehen Sie zum Fuße der Regenbogenbrücke und erschaffen Sie vor Ihrem inneren Auge ein deutliches Bild des Menschen, um dessen Rat Sie bitten wollen. Wenn Sie keine bestimmte Person, sondern eher die Gesamtheit des Wissens Ihrer Familie im Sinn haben, stellen Sie sich die Kette all jener vielen, vielen Menschen vor, die Sie aufgrund der Verwandtschaft weit durch die Vergangenheit zurück mit dem Ursprung Ihrer familiären

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Wurzeln verbindet - zu dem Punkt, den Sie alle miteinander gemeinsam haben und der jedem von Ihnen innewohnt. Bitten Sie dann die Person oder Gruppe, sich zu Ihnen zu begeben.

Vielleicht werden sich nun in Ihrer Umgebung kleine, aber nichtsdestoweniger bedeutsame Veränderungen einstellen - ein Windhauch; der durch die Zweige des Sie überschattenden Baumes weht, Vögel, die sich in den Ästen niederlassen, oder andere Ereignisse. Dann können Sie davon ausgehen, daß man Ihrer Einladung gefolgt ist. Manche Menschen wiederum nehmen die Anwesenheit ihrer Ahnen mit ihrem Geist wahr. Vielleicht werden Sie die betreffenden Personen schemenhaft oder sogar recht klar vor Ihrem inneren Auge sehen oder deren Präsenz einfach spüren können; dies ist oft ein machtvolles, warmes und liebevolles Gefühl.

Nun ist es Zeit, Ihre Ahnen zu begrüßen und etwas Saft oder Wein mit Ihnen zu teilen. Erzählen Sie einander von den neuesten Ereignissen auf beiden Seiten, bevor Sie über jene Frage sprechen, mit der Sie hergekommen sind. Bedanken Sie sich herzlich für alle Informationen oder Vorschläge, die Sie erhalten, und lassen Sie beim Verlassen des Platzes einige Gaben für den Baum wie auch Ihre Vorfahren zurück.

Bedenken Sie auch hier, daß niemand Sie so gut kennt wie Sie selbst. Was immer Sie auch im Zuge einer solchen Begegnung erfahren mögen, sollte Ihnen nie zur Vorschrift werden. Überdenken Sie, was man Ihnen mitgeteilt hat, verbinden Sie dies mit jenen Informationen, die Ihnen bereits zur Verfügung standen und treffen Sie Ihre eigene Erstscheidung.

Wiedergeburt

In vielen naturreligiösen Gesellschaften ging bzw. geht man davon ans, daß die Verstorbenen einer Familie auch in dieser wiedergeboren werden. Aus diesem Grund suchte man bereits in den Zügen von Neugeborenen nach Ähnlichkeiten mit Vorfahren, welche die lebenden Verwandten noch persönlich erlebt hatten. Auch eine ganze Reiht von Orakeln wurde extra zu diesem Zweck erdacht, und man beobachtete die heranwachsenden Kinder aufmerksam in ihren Verhaltensformen, Vorlieben, Abneigungen oder sogar einzelnen Äußerungen, die einen Hinweis auf ihre seelische Identität geben konnten: Daraus entstand verständlicherweise bald die Überlegung, ob es wirklich notwendig sei, die Wiedergeburt eines geliebten Menschen im Körper des eigenen Kindes dem Zufall oder auch den Göttern zu überlassen, oder ob man nicht selbst etwas in dieser Hinsicht unternehmen könne. So entstanden Rituale, mittels derer man geliebte verstorbene Familienmitglieder einlud, in den jüngsten, noch im Bauch der Mutter befindlichen Sproß der Sippe einzutreten. Auch heute haben viele von uns einen besonders gütigen Großvater oder eine herzliche und weise Tante verloren, die wir immer noch vermissen und gerne wieder in unserem Leben hätten - oder deren Wissen oder Eigenschaften für die Familie wieder von großer Bedeutung wären. Oft haben solche Menschen während ihres Lebens viel für uns getan, und der Gedanke, ein wenig davon zurückzugeben, indem ich dieses Mal die versorgende, ratende und helfende Person, bin, hat etwas Wunderschönes für mich.

Der Vorgang an sich ist recht simpel, wie alles, was in der Naturreligion wirklich funktioniert. Meist wird es sich um ein Paar handeln, das dieses Ritual gemeinsam ausführt, aber auch eine einzelne Frau kann sich ihm jederzeit unterziehen - selbst dann, wenn sie noch gar nicht schwanger ist, sondern nur vorhat, es zu werden. Einige Menschen, die das Ritual bereits versucht haben, sind der Ansicht, daß sich im Falle einer bereits eingetretenen Schwangerschaft die Zeit zwischen dem zweiten und sechsten Monat besonders gut dafür eignet - ich persönlich vermute, daß jeder Zeitpunkt der richtige ist, solange sich das Kind noch nicht auf der Welt befindet.

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Falls Sie eine Frau sein und das Glück haben sollten, über einen vorhandenen Vater zum Kind zu verfügen, unternehmen Sie das Ritual bitte nicht ohne Rücksprache miteinander. Sie haben nicht viel davon, wenn Sie Ihre verstorbene Mutter zur Wiedergeburt einladen, auch wenn Ihr Mann nie mit seiner Schwiegermutter zurecht kam - es sei denn, Sie suchen nach einem legitimen Scheidungsgrund!

Suchen Sie nach einem Gegenstand, der eine deutliche Beziehung zum Element Erde und im Idealfall auch zu der betreffenden verstorbenen Person und/ oder dem ungeborenen Kind hat. Begeben Sie sich dann - falls vorhanden, gemeinsam mit Ihrem Partner - an einem schönen, angenehmen Abend zur Zeit des Sonnenuntergangs zu einem jener Bäume, die über das Mysterium von Tod und Wiedergeburt wissen - Apfelbaum, Eibe, Holunder, Linde oder auch Weide sind gute Beispiele. Ziehen Sie einen Schutzkreis um den Baum, denn es ist möglich, daß der Eintritt der eingeladenen Seele noch vor Ort erfolgt, was ein störungsanfälliger Vorgang sein kann, der keine querschießenden Energien benötigt. Begrüßen Sie den Baum, und treten Sie wie im vorhergehenden Ritual beschrieben mit der erwünschten Person in Kontakt; um ihr von Ihrem Wunsch zu berichten. Falls Sie keine ablehnende Antwort erhalten, können Sie ein wenig in der Phantasie schwelgen, sich gemeinsam erlebte Augenblicke in Erinnerung rufen und ein Bild davon malen, wie ein neuerliches Zusammenleben unter den veränderten Bedingungen wohl aussehen könnte. Fassen Sie Ihren Wunsch dann in klare, eindeutige Worte, wie zum Beispiel: »Tante Anna-Elvira, ich bin mit dem jüngsten Sproß unserer Familie schwanger und wünsche mir, daß dieses Kind von deiner Seele erfüllt werden soll. Ich lade dich ein, in den Körper dieses Kindes einzuziehen und wieder eine von uns zu werden.« Das ist wichtig, weil die Seele eines verstorbenen Verwandten nicht gegen unseren ausdrücklichen Wunsch handeln wird - sei dieser vor oder während unseres Lebens formuliert. Spüren Sie, was Sie da sagen: Dies ist eines jener Rituale, bei denen die bereits zu Beginn dieses Buchteils angesprochene Hingabe und Leidenschaft eine noch größere Bedeutung erhalten.

Nun kommt das Wichtige. Nehmen Sie den mitgebrachten Gegenstand und vergraben Sie ihn unter den Wurzeln des Baumes. Auf diese Weise schaffen Sie einen Erdungsfokus für die verstorbene Person, der es ihr um vieles leichter machen wird, wieder materielle Form anzunehmen.

Falls der Eintritt nicht an diesem Ort erfolgt; wird sich die Seele der eingeladenen Person im Laufe der nächsten Wochen im Körper des ungeborenen Kindes heimisch machen. Deswegen müssen Sie keineswegs ständig einen Schutzkreis um sich ziehen, aber es ist hilfreich, wenn Sie ein- bis zweimal täglich um sich herum eine leuchtende Hülle visualisieren, mit welcher Sie störende Energien abweisen können. Morgens und abends wäre ideal. Des werteren, ist es möglich, den Inkarnationsprozeß zu unterstützen, indem sie immer wieder liebevoll an die eingeladene Person denken und sich innerlich mit ihr unterhalten. Immerhin gibt es eine Menge Dinge .zu klären - wer sagt denn schließlich, daß die, fröhliche Tante Anna-Elvira noch ein weiteres Leben mit diesem Namen verbringen möchte?

Selbstfindungsriten und -orakel,

Orakel als „Entwicklungshelfer«

»Ist das toll«, sagte vor etwa fünfzehn Jahren die englische Austauschschülerin zu mir; die wir eine Woche lang bei uns beherbergten, »bei euch kann man ja in beinahe jeder Buchhandlung Tarotkarten kaufen!« Diese Aussage beantwortete eine Frage, die ich mir bis dato gestellt hatte - nämlich, ob ich sie in die Aktivitäten unserer Familie einweihen sollte und brachte dafür eine neue auf. Was, bitte, war daran so überwältigend?

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Und so erfuhr ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas über den Witchcraft Act, jenes Gesetz; das in England bis 1951 jegliche Ausübung von Magie oder verwandten Künsten unter strenge Strafe stellte und eine legale Grundlage für die Verfolgung von sogenannten Hexen bot - bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein!

Meine (wie sich herausstellte, in den alten Künsten recht versierte) Austauschfreundin konnte selbst 1984 noch von den Auswirkungen dieses so lange aufrechterhaltenen Gesetzes erzählen. Zum Beispiel gab es eben zum damaligen Zeitpunkt nur sehr wenige Buchhandlungen, die Tarotkarten führten oder gar darauf spezialisiert waren. Ihre Mutter, so erzählte mir, habe ihr eigenes Kartendeck in den frühen fünfziger Jahren nur unter der Hand kaufen können. Also, das war mir neu.

Heute erhält man Tarotdecks aller Arten wie auch Runensätze, Pendel, Ruten und was man sonst noch zum Wahrsagen gebrauchen könnte, an beinahe jeder Straßenecke -übrigens auch in England. Was einstmals die Lehre von Eingeweihten war, wird mittlerweile großzügig über die breite Bevölkerung verteilt. Nicht, daß ich etwas dagegen hätte; meiner Ansicht nach ist es höchste Zeit für unsere Zivilisation, sich der Existenz des Mystischen wieder zu stellen, und gerade Tarotkarten bieten da einen relativ ungefährlichen und zugleich äußerst lehrreichen Einstieg -jede Karte eine Lektion sozusagen. Die mittlerweile recht große Bandbreite guter Literatur zu diesem Thema ermöglicht jedem eine umfassende Information dazu und somit auch einen verantwortungsvollen Umgang damit. Da frage ich mich doch, wozu ich überhaupt noch für andere Menschen die Karten lege.

Wirklich, ich meine das völlig ernst. Es gibt nur wenige Personen, für die ich mehr als drei Legungen vorgenommen habe. Die meisten kamen spätestens beim dritten Mal nur wieder, um sich eine Entscheidung von mir abnehmen zu lassen, die sie in ihrem Inneren schon selbst getroffen hatten, und zwar auf die für sie beste und daher richtige Weise. Dennoch zogen sie es vor, den letztendlichen Beschluß nicht von ihrem Urteilsgefühl, sondern von den zehn vor ihnen ausgebreiteten Karten abhängig zu machen. Wenn es dann schief ging, konnten sie die Verantwortung ja auf mich schieben, anstatt sich zu fragen, was ihnen dieser Mißerfolg wohl Wichtiges sagen wolle, und sich dementsprechend zu verändern. Nachdem mir diese Erfahrung einige Male widerfahren war, begann ich damit, den Leuten in der dritten Sitzung nicht etwa die Karten zu legen, sondern ihnen die Grundbegriffe des Umgangs mit dem Tarot zu vermitteln. Anscheinend bin ich nicht auf der Welt, um mit meinen Lesungen das große Geld zu machen, sondern um anderen zu zeigen, wie sie sich die vierzig Mark sparen und selbst mit diesem Medium umgehen lernen können ...

Tarotkarten sind seit ihrer immer noch im Nebel der Unwissenheit liegenden Entstehung für verschiedenste Zwecke gebraucht worden, aber aus irgend einem Grund hat mich immer nur ihr Potential zur Selbsterkenntnis sowie Bewußtseinserweiterung interessiert. Es mag ja sein, daß ich die Zukunft zu verändern imstande bin, wenn ich nur genau genug weiß, was da auf mich zukommt; dennoch hat es mir zumeist völlig ausgereicht, über die mich erwartenden Aufgabenstellungen Bescheid zu wissen. Es genügt einfach zu wissen, daß ich mich in der nächsten Zeit mit meinen negativen Gedanken sowie deren Macht über mein Leben auseinanderzusetzen habe; ob mir diese Lektion nun in Form einer Depression oder eines verpfuschten Auftrags präsentiert wird, hat nur wenig Bedeutung für mich; was immer es auch sein mag, je mehr ich mich der Bewältigung meiner Selbstzweifel widme, desto weniger unangenehm wird es sich darstellen.

Dieser am eigenen Wachstum orientierte Zugang hat seine Vorteile. Anstatt eine Vielzahl von symbolischen Bedeutungen auswendig lernen zu müssen, nur um anhand der auf einer

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bestimmten Karte dargestellten Personen oder Gegenstände genaue Aussagen bezüglich zukünftiger Ereignisse im Leben des Fragestellers machen zu können, haben Sie hier die Möglichkeit, das Tarot als einzigartiges, nur auf Sie zugeschnittenes Instrument intuitiver Selbsterfahrung zu nutzen. Die Bilder eines guten Tarotdecks erfüllen zwei Funktionen:. Zum einen komprimieren sie komplexe, für alle Menschen bedeutsame Lehrinhalte in Form von symbolischen Darstellungen, die zum anderen gleichzeitig auch als Assoziationshilfe bei Ihren ureigenen Problemen dienen können. Ein solches Deck benötigt genaugenommen gar kein Begleitbuch, auch wenn dieses den Einsteig natürlich wesentlich erleichtert. Was immer Ihnen beim Betrachten der Bilder auch in den Sinn kommt, ist die auf Sie zutreffende Deutung, deren Tiefe und somit Bedeutsamkeit jetzt nur noch von der Haltung abhängt, mit der Sie sich einer solchen Sitzung hingeben.

Der Schlüssel für jede Form des für sich selbst angewendeten Orakels ist die Selbstehrlichkeit. Wenn Sie nicht bereit sind, wenigstens sich selbst einzugestehen; daß Sie in einer bestimmten Situation an einer kunstvoll erschaffenen Selbstlüge festhalten, kann das ganze Deck wunderbarerweise nur aus Karten bestehen, welche die fünf Kelche zeigen - und Sie werden dennoch der festen Überzeugung sein, das könne Sie doch nicht meinen. Dies ist der Grund, warum ich der inneren Einstellung eines Menschen im ersten Teil des Buches soviel Raum gewidmet habe, denn ohne die dort skizzierten Verhaltensweisen werden Sie auf dem Weg zur Natur in sich selbst nur unwesentlich vorankommen.

Führen Sie eine Wahrsagesitzung deshalb nur dann durch, wenn Sie den Eindruck haben, in gutem Kontakt zu sich selbst zu stehen, oder stellen Sie einen solchen zunächst über äußere Mittel wie Meditation oder Entspannung her. Machen Sie sich bewußt, daß alles, was Sie erkennen mögen; Ihnen nur zum Besseren helfen kann selbst wenn es noch so schlimm aussehen mag. Die Erkenntnis jener Haltungen, mit denen Sie Ihr Vorwärtskommen behindern, stellt schließlich bereits einen ersten und beileibe nicht gerade unwichtigen Schritt zur Veränderung Ihrer Situation dar. Aber es ist eben nur der erste Schritt. So oft sitze ich Menschen im Gespräch gegenüber und höre den Satz: »Ich weiß, ich neige nun einmal dazu, die Welt durch eine rosarote Brille zu betrachten.« Beifallheischender Blick. Ist es nicht toll, welche Einsicht ich schon über mich besitze?

Mag ja sein, aber von Einsicht alleine hat sich noch niemands Leben verändert. Wenn es Ihnen genügt, zu wissen, warum Sie in der Misere stecken, können Sie sich gerne in dieser Erkenntnis sonnen - ansonsten schlage ich vor, daß Sie sich kurz und dankbar auf die Schultern klopfen und dann aufstehen, um etwas dagegen zu tun. Ich möchte wirklich wissen, wer das Gerücht aufgebracht hat, das Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit sei eine Entschuldigung dafür, nichts dagegen unternehmen zu müssen. Wenn Graham Bell es bei der Feststellung belassen hätte, daß es doch wirklich unpraktisch ist, sich nicht über eine weitere Entfernung als ein paar Meter hinweg unterhalten zu können, hätten wir heute noch kein Telefon!

Vielleicht sagen Sie jetzt, das sei ja genau der Grund, warum Sie sich die Karten, Runen oder was auch immer lieber von jemand anderem legen lassen; weil dieser andere Mensch eben nicht so stark emotional beteiligt ist wie Sie und deshalb nicht der Versuchung erliegen könnte, wichtige, aber unangenehme Dinge einfach auszublenden. Leider ist das ein Trugschluß. Sie sind ein intelligenter Mensch und als solcher durchaus in der Lage, eine Botschaft zu ignorieren, auch wenn diese Ihnen direkt mitgeteilt wird. Wenn Sie nicht einmal in der Sicherheit des Alleinseins bereit sind, sich den Inhalten der Karten zu stellen, werden Sie das in Anwesenheit einer mehr oder weniger fremden Person auch nicht tun, und wenn es sich dabei hundertmal um die berühmteste Wahrsagerin zwischen hier und Afrika handelt. Ob eine solche Lesung hilfreich für Sie ist, hängt weitaus weniger von der Qualität des Interpreten ab, als von Ihrer eigenen

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Bereitschaft, selbstehrlich zu sein.

Eines noch vorneweg: Viele Menschen scheinen das nicht zu wissen, aber Gott hat uns zum Treffen von Entscheidungen unseren Verstand sowie die Intuition gegeben und nicht das Kartendeck. Dieses erfüllt einen gänzlich anderen Zweck, nämlich uns zu helfen, uns selbst in die beste Ausgangslage für eine Beschlußfassung zu versetzen. Sie glauben nicht, wie oft ich am Ende einer Legung auf die Frage: »War die Sitzung für Sie hilfreich?« die Antwort erhalte: »Ja, denn sie hat meine eigene Entscheidung bestätigt.« Es ist zum Haareraufen. Warum geht jemand, der schon weiß, was er tun muß und tun wird, zu einer Tarotlegerin? Seine Entscheidung war bereits richtig, bevor er zu mir kam und wird durch die Sitzung nicht richtiger. Und was hätte er bitte gemacht, wenn ich ihm das Gegenteil von dem erzählt hätte, was er da plant? Ich hoffe, er wollte die Umsetzung seiner Entscheidung nicht ernsthaft von meiner Tagesform abhängig machen. Ich kann mich nämlich auch irren, und die Gefahr, daß mir ein solcher Irrtum bei einem Fremden unterläuft, ist weitaus höher als die, daß er sich falsch entschieden hat - einfach, weil er sich weitaus besser kennt; als ich das kann.

Nur um das klarzustellen: Auch Wahrsager jeglicher Art sind Menschen, und was die können, ist Ihnen schon lange möglich - auf jeden Fall, solange es um Ihre ganz persönlichen Probleme geht:

Woran erkennen Sie nun; daß Sie eine Orakelform mißbrauchen? Da gibt es verschiedene Anzeichen.

• Sie sind mehr an zukünftigen Ereignisse interessiert als an der Frage, was Sie selbst tun müssen, um Ihre Zukunft angenehm zu gestalten.

• Sie verwenden das Orakel, um Antworten auf Fragen zu erhalten, die der Rest der Menschheit problemlos mittels des eigenen Verstandes löst - zum Beispiel: »Soll ich dieses Buch kaufen?«. Werfen Sie einen Blick in das Inhaltsverzeichnis, darin sind alle Informationen enthalten, die Sie für diese schwerwiegende Entscheidung benötigen.

• Sie schlagen das Tarotdeck oder die Runen immer in der Hoffnung auf, endlich eine ganz bestimmte Karte oder Rune an einer ebenso bestimmten Stelle zu finden, weil in irgend einem Buch stand, daß dies das große Glück, ,die ewige Liebe oder was auch immer bedeutet.

• Sie haben zum dritten Mal dieselbe Antwort erhalten; irgendwie ergibt die Lesung nichts Neues mehr. Das bedeutet schlicht und ergreifend, daß die Situation nach wie vor dieselbe ist, weil Sie Ihren Teil an einer Veränderung noch nicht geleistet haben.

• Sie müssen Ihr Orakel immer dabei haben - auch dann, wenn Sie nur zwei Tage unterwegs sind oder gar nur einen Kaffee trinken gehen. Ausnahme: Sie haben einen auf Papier notierten Kurz-Code des Orakels dabei, um sich während unerwarteter freier Momente ein wenig damit vertraut machen zu können.

Das Tarot

Wie viel eine Person zu den Einzelheiten des Tarots weiß, ist also bei weitem nicht so wichtig, wie oft behauptet wird. Auch Sie können binnen weniger Wochen zu einem Fachmann oder einer Fachfrau in Sachen Kartenlegen werden zumindest, was Ihre eigenen Probleme betrifft. Wirkliche Erfahrung brauchen Sie erst dann, wenn Sie detailliert in die Zukunft sehen oder

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jemand anderen beraten wollen. Was Ihre eigenen Fragen angeht, sind Sie unter Garantie die am besten geeignete Person für eine Legung, solange Sie nur die Bereitschaft aufbringen können, sich selbst so offen wie nur irgend möglich gegenüberzutreten. Und das heißt, immer ein klein wenig offener, als Sie es in dem Augenblick waren, als Sie die Karten in die Hand nahmen.

Nehmen Sie sich vor der Legung einen Augenblick Zeit, um sich mit sich selbst zu befassen. Versuchen Sie, ein wenig Ruhe zu finden und schaffen Sie eine sichere, eventuell sogar gemütliche Atmosphäre. Das darf ruhig ein wenig Zeit in Anspruch nehmen; Wahrsagesitzungen sind etwas Besonderes und sollten zumeist sowieso nicht zweimal täglich stattfinden. Eine Ausnahme stellt das morgendliche Ziehen sogenannter Tageskarten dar, was gerade zum Kennenlernen des Decks sehr zu empfehlen ist. Bedenken Sie aber immer, daß eine solche Tageskarte einen relativ geringen Zeitraum abdeckt und Sie deswegen eher selten mit Ereignissen größerer Tragweite konfrontieren wird. Gerade deshalb ist diese Praxis so geeignet; um die Feinheiten des Tarots zu erfassen.

Eine komplette Legung allerdings sollten Sie nur dann durchführen, wenn es wirklich notwendig ist, Sie einen Rat brauchen, den nächsten Schritt nicht nachvollziehen können oder den, Eindruck haben, sich selbst nicht klar genug wahrzunehmen, um angemessene Entscheidungen zu treffen. Die Legung dient vor allem in letzterem Fall wohlgemerkt nicht dazu, besagte Entscheidung aus den Karten zu lesen, sondern soll Sie vielmehr in einen intensiveren Kontakt mit Ihren Bedürfnissen und Ängsten bringen. Aus dieser Erkenntnis heraus stellt sich die einzige für Sie wirklich befriedigende Alternative meist sonnenklar dar. Indem Sie rund um Ihre Legung ein wenig Aufwand betreiben, stellen Sie sicher, die Karten nicht öfter anzuwenden als unbedingt nötig, denn wer macht sich die ganze Mühe schön gerne für nichts und wieder nichts. Zudem ermöglicht Ihnen eine intensive Vorbereitung auf die Legung auch, den für einen Erfolg so dringend benötigten Kontakt zu sich selbst herzustellen.

Räumen Sie das Zimmer auf, in dem die Legung stattfinden soll, und säubern Sie es. Stellen Sie sich währenddessen vor, wie dieselbe Reinheit, die Sie gerade um sich herum verbreiten, auch in Ihr Inneres einzieht - wie innen, so außen oder in diesem Falle umgekehrt. Legen Sie eine Musik auf, die Sie mögen, aber nicht als ablenkend empfinden, und zünden Sie vielleicht ein oder zwei Kerzen an. Breiten Sie auf dem Tisch ein schönes Tuch aus, auf das Sie die Karten und vielleicht auch einige Ihnen besonders wichtige Gegenstände legen. Dazu können Sie eine Räucherung verbrennen oder ein ätherisches Öl verdampfen, das die angenehme Stimmung innerhalb des Raumes verstärkt. Versuchen Sie nicht, mitten in einem unaufgeräumten Raum und am Ende noch auf dem Fußboden wahrzusagen, denn wenn Sie sich wirklich sich selbst stellen wollen, benötigen Sie dafür eine Atmosphäre der Wärme und Sicherheit.

Setzen Sie sich dann zu dem Altar, den Sie soeben geschaffen haben, und entspannen Sie sich ein wenig. Atmen Sie tief und ruhig, aber nicht forciert ein und aus, wobei Sie vor Ihrem inneren Auge ein heilsames oder beruhigendes Bild Ihrer Wahl entstehen lassen können. Bäume eignen sich da ganz hervorragend. Vielleicht wählen Sie sogar eine Baumart, die mit Ihrer Frage in Verbindung steht - zum Beispiel eine Eiche, wenn Sie sich kraftlos fühlen, oder eine Buche, wenn Sie wissen möchten, warum Ihnen gewisse Dinge immer wieder geschehen. Stellen Sie fest, wie Sie sich gerade fühlen - ob da Trauer, Freude, Wut oder Unruhe in Ihnen ist oder Sie vielleicht auch ganz ruhig und gelassen sind. Welche Gedanken gehen Ihnen so durch den Kopf, und welche Körperteile nehmen Sie unter Umständen besonders stark wahr? Betrachten Sie sich genau und sagen Sie »Hallo« zu sich selbst.

Legen Sie dann die Karten in einer Form Ihrer Wahl aus und drehen Sie sie langsam um. Verharren Sie einen Augenblick bei jeder Karte und betrachten Sie, wie sich Stück für Stück ein

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Muster ergibt, das sich mit jedem neuen Bild um ein weiteres Puzzleteil ergänzt. Achten Sie vor allem auf jene Eingebungen, die Ihnen zuerst in den Kopf oder auch Bauch kommen. Nach dem Umdrehen aller Karten betrachten Sie das gesamte Bild. Welche Gedanken und Gefühle löst es in Ihnen aus? Damit haben Sie bereits mehr als die Hälfte der Informationen erhalten, die Ihnen eine solche Sitzung bieten kann.

Nun vertiefen Sie sich nacheinander in jede einzelne Karte. Betrachten Sie die Darstellung auf eine beschreibende Weise und versuchen Sie noch nicht, eine Interpretation vorzunehmen. Was sehen Sie?. Vielleicht ist es ein Mann inmitten von mehreren Stäben, der auf einer Anhöhe steht und in das Tal hinunter sieht. Er scheint entspannt zu sein, sich aber nicht in Bewegung zu befinden; offenbar wartet er auf irgend etwas. Verstehen Sie, was ich mit "beschreibend" meine? Machen Sie sich bewußt, was die Karte alles zeigt -mehr zunächst nicht. Danach erst können Sie überlegen, inwiefern die dargestellte Situation Ähnlichkeit mit einem Aspekt Ihres eigenen Lebens zeigt und eventuell auch schon erste Schlußfolgerungen dazu ziehen.

Begeben Sie sich auf diese Weise Karte für Karte durch die gesamte Legung. Erst dann sollten Sie das dazugehörige Buch öffnen und die dort vorgegebenen Interpretationen nachlesen. Wenn Sie dem Tarot auf die eben beschriebene Weise begegnen, werden Sie viele Übereinstimmungen zwischen Ihrer Deutung und jener des Autors finden; aber auch, wo diese beiden voneinander abweichen, weist dies nicht auf einen Mißerfolg, sondern auf das genaue Gegenteil hin. Bei den übereinstimmenden Passagen war es Ihnen möglich, die bereits erwähnten, in der Symbolik des Tarot verschlüsselten Menschheitslehren zu erfassen, doch dort, wo der Autor anderer Meinung ist als Sie, ist es Ihnen gelungen; in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Diese Teile der Interpretation sind ganz besonders wichtig und werden sich durch die im Buch wiedergegebenen Symbolbedeutungen vielleicht noch mehr erhellen.

Runen

Bevor ich damit begann, mich mit den Runen auseinanderzusetzen, hielt ich diese für so etwas Ähnliches wie das Tarot - andere Symbole, gleicher Inhalt, gleiche Anwendungsweise. Dies sollte sich bereits während meiner ersten Begegnung mit den Runen als der aufregendste Irrtum herausstellen, dem ich jemals unterlegen war.

Runen sind lebendige Wesen. Wirklich! Anders kann ich mir meine diesbezüglichen Erfahrungen einfach nicht erklären. Wer auf intuitive und für sich selbst offene Weise mit ihnen zu arbeiten beginnt, kann unter Umständen sehr bald recht erstaunliche Erlebnisse haben. Diese alten germanisch-skandinavischen Zeichen verfügen über eine äußerst ursprüngliche Kraft sowie Macht und auch Wissen. Eigentlich haben sie es gar nicht, sondern sie sind Wissen.

Wer sich auf Runen einläßt, muß damit rechnen, wie von einem Lehrer begleitet zu werden - nur mit dem Unterschied, daß dieser Lehrer unsichtbar ist und zu jeder nur möglichen Zeit in Ihrem Leben mit seinen Lektionen zuschlagen kann. Dabei kümmert er sich herzlich wenig um Ihre momentane Bereitschaft, auch zuzuhören. Die Gelegenheit ist günstig, also los - ob Sie nun gerade in einer Konferenz sitzen oder ein äußerst wichtiges Telefongespräch führen, ist den Runen auf deutsch gesagt wurscht. Sie wollten lernen? Sie werden lernen!

Aufgrund ihrer Wesenhaftigkeit eignen sich Runen für weitaus mehr als nur das Orakeln. Sie stellen wirksame Kräfte dar, die gezielt. in eine Richtung oder auf einen Punkt gelenkt werden können - wenn man sich damit auskennt. Und einer der besten Wege, sie kennenzulernen, stellt meiner Ansicht nach ihr Gebrauch als Weissagemittel dar.

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Als Produkt einer ursprünglichen, die Naturreligion pflegenden Gesellschaft bzw. mehrerer solcher Gesellschaften haben die Runen einen ganz besonderen Zugang zur Natur. Sie sind Natur und somit die wirksamste, aber auch forderndste aller mir bekannten Orakelweisen, die sich auf einfache Art anwenden lassen. Darüber hinaus bieten sie weitaus mehr Annäherungsmöglichkeiten als nur jene der Betrachtung und Meditation. Zu jeder Rune gehört ein Laut, den man singen oder rufen kann; und wem das noch nicht genügt, der kann sich über die ihnen zugeordneten Körperstellungen mit ihrem Potential und Reichtum vertraut, machen.

Allerdings sehe ich mich veranlaßt; hier etwas zur Vorsicht aufzurufen: Den Runen ist es nicht gleichgültig, wie Sie mit Ihnen umgehen; sie fördern Aufmerksamkeit, Wachheit und Umsicht. Es bedeutet, einzugreifen, zu beeinflussen und Wirkungen auszulösen. Es ist nicht möglich, sich mit den Runen rein theoretisch auseinanderzusetzen; entweder Sie lesen darüber - das ist dann aber auch schon alles, was Sie tun - oder Sie arbeiten mit. ihnen. Und dann verändern Sie sich sowie Ihre Umgebung.

Wer sich auf Runen einläßt, sollte also ein waches Auge für sein tägliches Leben haben, um die neuen, auf seinen Alltag einwirkenden Energien spüren und verstehen zu können. Mehr als dieser offenen Grundhaltung bedarf es nicht. Den Rest tun die Runen - wie sie es wollen und wann sie es wollen.

Für mich hat diese Zusammenhänge a in schönsten Igor Warneck in Worte gefaßt, wenn er in seinem Buch Runenwelten schreibt:

Es gibt Menschen, die interessieren sich ihr Leben lang nicht für Runen. Einige wenige stolpern jedoch auf ihrem Lebensweg über alte, archaische Zeichen, bewundern die Geometrie einer Bienenwabe, kommen ins Nachdenken, betrachten fasziniert Fachwerkhäuser und ihre Strukturen, und eines Tages stoßen sie auf ein Buch über Runen, einen Artikel in einer Zeitschrift oder was auch immer. Plötzlich sind sie da, zum ersten Mal: DIE RUNEN. Und sie kommen wieder, manchmal schnell, manchmal langsam, teilweise ganz sanft,, oft stark und heftig. Doch sie gehören nicht zu den Systemen, die maße günstig auf dem esoterischen Flohmarkt kaufen kann, sie wollen einen Wegezoll, wehe maße ihnen begegnet: Sie fordern die Bereitschaft des Suchenden, sich und seine Welt, seine bekannten und vertrauten Systeme in .Frage zu stellen, sie fordern eine unerbittliche Offenheit gegenüber dem Leben in all seinen Formen.

Irgendwann kommt in jedem von uns die Zeit dieser Offenheit, und dann ist es soweit: Der Ruf wird mit einem Ruf beantwortet, und die Suche beginnt. Vorher hat es gar keinen Sinn, sich die Mühe zu machen, etwas über Runen, über die Geheimnisse unserer germanischen Vorfahren erfahren zu wollen, was über ein wissenschaftliches Verständnis hinausginge: Der erlernte Stoff bliebe trocken wie Erde ohne Regen, unfruchtbar (...) Runen wollen gelebt werden, belebt sind sie schon.

Es ist durchaus möglich, sich auch den Runen auf rein intuitivem Weg zu nähern, für uns Augenmenschen stellt sich dies aber als weitaus schwieriger dar, als es zum Beispiel beim Tarot der Fall ist. Deshalb würde ich hier unbedingt die Begleitung durch eine erfahrene Person oder ein gutes Buch empfehlen, und wo wir schon dabei sind: Auch wenn er mein Freund ist (worauf ich stolz bin) - Igors diesbezügliche Werke zählen zu den besten, die auf dem deutschsprachigen Markt erhältlich sind. Den Runen kann man nicht mit Komplexität oder Fachsimpelei beikommen, je einfacher und klarer ein Führerin Buchform gestaltet ist, desto direkter wird der Zugang sein, den Sie mit seiner Hilfe erlangen können.

Aus dem bisher Gesagten wird deutlich erkennbar, daß Runen das Letzte. sind, worauf Sie die

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Verantwortung für Ihr Leben und Ihre Entscheidungen abwälzen können - versuchen Sie es am besten gar nicht, das geht nur schief. Im besten Fal l e bleibt Ihnen ein sündhaft teures, Runenset zurück, das aus unerfindlichen Gründen nicht mehr mit Ihnen reden will , womit Sie bei einem gekauften Set sowieso früher oder später rechnen sollten. Ab einem gewissen Zeitpunkt (und der liegt meiner Erfahrung nach relativ früh) werden Sie Ihre Runenkenntnisse nur noch dann erweitern können, wenn Sie sich die Mühe machen, selbst ein Set herzustellen. Die Runen wollen Sie und nicht irgendeine Schnitzmaschine. Aber wenn sie Sie wollen, können Sie sich glücklich schätzen - oder lauthals zu fluchen beginnen, je nachdem. Eine Wahl haben Sie dann allerdings kaum noch.

Falls Sie eine solche Beziehung zu den Runen wünschen, sollten Sie mit ihnen so viel wie möglich im Freien arbeiten, und zwar auf allen dreien der erwähnten Annäherungswege. Sie werden staunen, was da so alles passiert. Dort draußen können sich die Runen ihres natürlichen Elements bedienen, um Ihnen ihre Weisheit zu vermitteln; nämlich der Natur selbst. Es sind übrigens sehr humorvolle Wesen. Am Anfang meiner Runenlaufbahn befand ich mich eines Nachmittags an einem Bach, um im Licht der Sonne die Feuerrune Fehu mit meinem Körper nachzustellen, als inmitten meiner tiefsten und weihevollsten Versenkung direkt hinter mir eine Ente mit lautem Gekreische in den Bach abstürzte. Erschreckt und aus der Meditation gerissen drehte ich mich um -und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich hatte zwar Fehu, gestellt, aber Ansuz visualisiert! Diese Rune aber weist eine deutliche Verbindung zum Luftelement auf. Kein Wunder, daß der Vogel ob des Ungleichgewichtes, das ich da aus vollster Überzeugung produzierte, hingebungsvoll zu schimpfen anfing ...

Das Pendel

Das Pendel gilt als so eine Art Einstiegsdroge in die Esoterik, und da ganz speziell in die Divination, wie man den Akt des Wahrsagens auch ganz schick nennt. Leider ist es meiner Ansicht nach nur wenig zur Einführung in diese Kunst geeignet, weil es ein überaus diffiziles und auf feinste Schwingungen reagierendes Instrument darstellt. Auch seine unkomplizierte Anwendungsform hat dem Mißbrauch längst Tür und Tor geöffnet.

Versuchen Sie es doch einmal selbst: Stellen Sie dem Pendel eine x-beliebige Frage und wünschen Sie sich, während sie es in Bewegung kommen lassen, eine bestimmte Antwort - also entweder » Ja« oder »Nein«. Dann wiederholen Sie das Experiment mit der anderen Antwort. In neunzig Prozent aller Fälle wird das Pendel Ihrem Wunsch entsprechen.

Was lernen wir daraus?. Mit einem Pendel erfahren Sie zunächst einmal nicht, was für Sie gut ist, sondern welche der beiden Varianten Sie sich tief in Ihrem Inneren wünschen. Das wäre, ja an sich gar nicht so übel, wenn Sie auch bereit sind, die Antwort als das zu akzeptieren, was sie ist: ein Spiegel Ihrer eigenen verborgenen Sehnsüchte und Bedürfnisse nämlich. Selbst dann ist der Gebrauch des Pendels bereits von enormem Wert; jedenfalls kommen die meisten Menschen, die eine Tarotlegung haben wollen, in Wirklichkeit deshalb zu mir, weil sie sich nicht entscheiden können - also keinen Kontakt zu ihren eigenen wahren Bedürfnissen haben. Das Pendel kann die Herstellung dieses Kontakts erheblich erleichtern helfen.

Wer es für Aufgaben einsetzen möchte, die darüber hinaus gehen, sollte sich um eine gute und möglichst persönliche Ausbildung bemühen, denn dann wird die bereits zu Anfang dieses Kapitels erwähnte Selbstehrlichkeit ein unbedingtes Muß. Viele unserer unbewußten, Wünsche üben eine solche Macht über uns aus, daß sie ständig unser gesamtes Verhalten beeinflussen, also einen ganzen Menschen in Bewegung versetzen. Wie muß sich dieser Einfluß erst auf ein derart feines Instrument wie ein Pendel auswirken?

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Dazu kommt die Problematik der leichten Anwendung, die das Pendel als ersatzweisen Entscheidungsträger prädestiniert. Lassen Sie die Finger davon, wenn Sie dazu neigen, auch kleinste Entscheidungen von einem Orakel fällen zu lassen - Sie werden sich davon abhängig machen, und auch das ist eine Sucht im psychiatrischen Sinne des Wortes. Ähnliches gilt für Ruten. Beide Instrumente sind für einen bestimmten Zweck geschaffen worden, und der besteht nicht darin, von ihnen Alltagsentscheidungen fällen zu lassen. Irgendwann werden Sie auf diese Weise nämlich den Vorgang des Treffens von rationalen wie auch emotionalen Entscheidungen verlernen, und dann haben Sie echte Probleme. Warum sollten Sie auch Fragen wie den Kauf eines Gegenstandes oder den Besuch eines Seminars mit einem Pendel entscheiden wollen? Es sagt nur »Ja« oder »Nein«, aber niemals, warum es dies vorschlägt; so werden Sie nie wachsen und sich weiterentwickeln können, denn Sie nehmen sich damit unmittelbar die Möglichkeit, aus Ihrem Entscheidungsprozeß sowie den dadurch ausgelösten Erfahrungen zu lernen. Und mal ehrlich - halten Sie sich ernsthaft für so dumm oder Ihren Verstand für so unterbelichtet, daß Sie alltägliche Beschlüsse nicht selbst fassen können?

Harte Worte, ich weiß. Aber wenn Ihnen dies nicht behagt, dann haben Sie das falsche Buch in der Hand. Ich möchte Ihnen Wege zur Selbsthilfe aufzeigen, und völlig gleich, ob Sie Ihr Leben von Ihrem Therapeuten, Guru oder einem Orakel bestimmen lassen, es ist keine Selbsthilfe mehr. Das heißt nicht, es sei schlecht, sich Entscheidungshilfen zu holen. Es ist immer sinnvoll, sich vor bedeutenden Ereignissen oder Veränderungen mit Informationen zu versorgen, und dabei bleibt die Wahl der Informationsquelle gänzlich Ihnen überlassen. Aber bedenken Sie bitte, daß dies alles ist, was Sie von Menschen, Büchern oder auch Orakeln erhalten können: Informationen, aber niemals eine Entscheidung. Die müssen Sie immer selbst treffen, und wenn sie darin besteht, dem Pendel die Entscheidung zu überlassen. Sie sehen also, Sie tun es sowieso selbst - warum sich also der Möglichkeit berauben, dies bewußt zu machen?

Von diesem Standpunkt aus wird das Pendel zu einem Helfer von unschätzbarem Wert, weil es uns nicht nur auf unkomplizierte Weise hilft, mit unseren inneren Bedürfnissen in Kontakt zu treten, sondern uns auch lehrt, die richtigen Fragen zu stellen: Gestehen Sie sich deshalb auch bei der Arbeit mit Pendel oder Rute viel Zeit zu, um sich auf Ihr Inneres einlassen zu können, und wenden Sie es nicht zu häufig an.

Noch ein Wort zur Rute: Diese wird vom klassischen Rutengänger eher zur Bestimmung von Energielinien und unterirdischen Wasserläufen als zum Wahrsagen im hier angesprochenen Sinn eingesetzt. Dieser Vorgang will sorgsam erlernt werden - daß die Rute in Ihren Händen zuckt, bedeutet noch lange nicht, daß Sie mit ihrer Botschaft auch etwas anfangen können. Deshalb zählt diese Form der Arbeit mit Rute oder manchmal auch Pendel meiner Ansicht nach zu jenen, die man von einem anderen, diesbezüglich erfahrenen Menschen erlernen sollte. Natürlich hindert Sie niemand daran, Ihre eigenen Versuche anzustellen - aber bitte verkaufen Sie deren Ergebnisse dann nicht als unumstößliche Wahrheiten oder gar gegen Geld.

Rituelle Unterstützung von Selbstfindungsanliegen

Angemessen ausgeführt, stellt bereits jede Tarotlegung oder Runenbefragung ein Ritual dar. Darüber hinaus jedoch gibt es eine Reihe ausschließlich der Selbstfindung sowie -klärung dienender Rituale, mit deren Grundzügen ich Sie hier vertraut machen möchte.

Es gibt verschiedene Gründe dafür, die eigene Entwicklung immer wieder in Form eines Rituals zu fokussieren. Das beginnt schön damit, daß Sie sich überhaupt, für ein Ritual zu diesem Zweck entscheiden, denn damit signalisieren Sie Ihrem gesamten Wesen - vom archaischen Bewußtsein

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bis zum ÜberIch - wie wichtig Ihnen dieses Anliegen ist, Das Unterbewußtsein beispielsweise nimmt solche Signale nicht nur wahr; sondern auch sehr ernst; es wird sich Ihnen öffnen und Ihnen mehr Vertrauen entgegenbringen. Des weiteren schaffen, Sie mittels des Rituals einen geheiligten und zugleich sicheren Raum, in dem alles erlaubt ist; den Raum zwischen den Welten eben, wo andere Gesetze gelten und Sie Gefühle zeigen oder Verhaltensweisen erproben können, die sonst eher unerwünscht sind oder Sie in der Öffentlichkeit noch verunsichern. Die energetische Aufladung des Ritualortes sowie die Anwesenheit der von Ihnen eingeladenen geistigen Wesenheiten wiederum können Ihr Anliegen bzw. die von Ihnen erwünschte Veränderung deutlich unterstützen. So schaffen Sie im wahrsten Sinne des Wortes den Kessel der Cerridwen, in dem alles Alte verschmilzt und zu neuem, verändertem Leben erwacht. Ein solches Ritual kann sehr machtvoll sein, weshalb Sie es, wenn möglich, zumindest am Anfang nicht alleine durchführen sollten. Wenn Sie es doch tun, wird Ihnen zwar nichts passieren, aber Sie könnten eventuell nicht in den Genuß des gesamten Potentials des Rituals gelangen, weil Sie sich unbewußt aus Angst, alleine damit nicht fertig zu werden, seinen Kräften verschließen.

Dieses Ritual hat sowohl in der Wohnung als auch im Freien ausgeführt seine Vor- und Nachteile. Im Inneren eines Hauses werden Sie sich unter Umständen sicherer fühlen und haben auch die Möglichkeit, alles zu holen, was Sie bei sich haben möchten. Im Freien wiederum gelingt der Kontakt zu den Naturwesenheiten viel leichter, was Ihrem Ritual ein höheres energetisches Niveau garantiert. Diese Entscheidung sollten Sie entsprechend Ihres Gefühls sowie des rituellen Anlasses selbst treffen.

Ritual zur Klärung eines Problems

Wahrscheinlich kennen Sie solche Tage auch, in denen irgend etwas in Ihnen vor sich hin gärt und einen gewissen inneren Druck auslöst, den man Ihnen schon von weitem ansieht aber wenn Sie jemand fragt, wo denn der Hund begraben liegt, können Sie keine klare Antwort geben. Sie wissen es eben noch nicht, und irgendwann wird Ihnen auch klar werden, was eigentlich an Ihrer Seele nagt. Dieses Ritual kann den entsprechenden Erkenntnisprozeß vereinfachen und beschleunigen, aber es ist auch dann geeignet, wenn Sie den Eindruck haben, mit einem bestimmten Problem nicht wirklich weiterzukommen -wenn Ihnen bestimmte Dinge immer und immer wieder begegnen, obwohl Sie sich doch damit auseinandergesetzt haben. Höchstwahrscheinlich ist es Ihnen bei dieser Auseinandersetzung nicht gelungen, den Kern des Problems zu erfassen; mit Hilfe dieses Rituals können Sie noch einmal )eine Ebene tiefer« nachschauen: Vielleicht finden Sie dort, was Sie benötigen.

Begeben Sie sich, an einen sicheren Ort Ihrer Wahl, was in erster Linie bedeutet, daß dort niemand unvermutet aufkreuzen sollte. Wenn Sie zu Hause bleiben, schalten Sie am besten auch die Türklingel, aus und ziehen den Telefonstecker. Unser Unterbewußtsein ist wie ein schüchternes Reh - manchmal dauert es eine ganze Weile, bis man es zu Gesicht bekommt, und nichts ist ärgerlicher, als wenn ausgerechnet dann die Schwiegereltern wissen möchten, ob man am Sonntag zum Essen kommt: Schaffen - oder falls Sie im Freien sind, suchen - Sie sich einen Ort, an dem Sie sich geschützt fühlen. Ich wähle meistens eine ganz bestimmte Tannenschonung, die in der Mitte eine heimelige; mit dickem Moos gepolsterte Kuhle aufweist. Unter Umständen werden Sie aber auch die Gegenwart einer ganz bestimmten Baumart vorziehen.

Errichten Sie einen schützenden Kreis. Dann setzen Sie sich und versuchen einmal mehr, so etwas wie Ruhe zu finden - nur ein wenig ruhiger als zu Beginn Ihrer Ritualvorbereitungen genügt vorerst schon. Wenn Sie möchten, können Sie nun ein Tarot legen oder eine Runenlesung durchführen, um erste Informationen zur Situation zu erhalten. Lassen Sie sich Zeit dafür.

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Lassen Sie Ihren Atem etwas tiefer werden, bevor Sie nun jene Wesenheiten um ihre Präsenz bitten, die Sie für hilfreich halten. Vielleicht handelt es sich dabei um eine oder mehrere Gottheiten oder auch bestimmte Elementargeister, das bleibt Ihnen überlassen. Begrüßen Sie die Wesenheiten und teilen Sie Brot sowie Wein oder Wasser mit Ihnen. Bitten Sie dann um Aufmerksamkeit, bevor Sie beginnen, sich in Ihr Problem hineinzubegeben. Erstellen Sie vor Ihrem inneren Auge ein detailliertes Bild aller Aspekte, die es .hat - vielleicht möchten Sie die Situation sogar laut beschreiben. Erzählen Sie, welche Erlebnisse dazu geführt haben, daß Sie nun hier draußen (oder drinnen) sitzen und ein solches Ritual unternehmen. Jede Kleinigkeit ist wichtig, sprechen Sie so lange, bis Ihnen nichts mehr einfällt. Auch kleine Nebengedanken sind von Bedeutung und sollten weiter verfolgt werden. Während Sie dies tun, stellen Sie sich vor, wie direkt vor Ihnen eine Art immaterielle Zeichnung Ihres Problems entsteht; lassen Sie es anfaßbar und damit begreifbar werden.

Wenn dies geschehen ist, wenden Sie sich Ihrem Körper zu. Wie hat dieser sich während der Beschreibung verändert? Sind Stellen verspannt, oder schmerzt der eine oder andere Bereich sogar? Nehmen Sie irgendwo ein Fließen wahr, oder wird ein Teil eiskalt? Fügen Sie diese Aspekte Ihrer Beschreibung hinzu.

Schließlich versuchen Sie, sich ein Bild von den Gefühlen zu machen, welche die Situation in Ihnen auslöst. Beginnen Sie damit festzustellen, wo in Ihrem Körper Sie diese Gefühle wahrnehmen. Eher im Bauch, oder ist es der Brustkorb? Vielleicht die Beine? Die Hände oder der Rücken? Wenn Sie dies festgestellt haben, beschreiben Sie auch dieses Gefühl genau. Wenden Sie sich im Geiste der entsprechenden Körperpartie zu und versuchen Sie, Ihre Wahrnehmung stetig zu verstärken, bis Sie das Gefühl deutlich spüren und benennen können. Fügen Sie auch dies der immateriellen Zeichnung vor Ihnen hinzu.

Und dann bitten Sie um Hilfe

Ich kann Ihnen nicht sagen, auf welche Weise dies geschehen muß - nur; daß es aus dem Herzen kommen sollte: Wiederum weise ich darauf hin, wie wichtig Leidenschaft und Hingabe für den Erfolg eines Rituals sind. Sie befinden sich aus einem bestimmten Grund an diesem Ort, nämlich weil Sie etwas im täglichen Leben derart behindert und einschränkt, daß Sie die Konsequenzen dessen nicht mehr ertragen wollen. Erinnern Sie sich daran, was ich im ersten Teil des Buches zum Thema »eigene Ziele« schrieb? In diesem Augenblick befinden Sie sich an einer solchen Stelle, wo Sie für sich selbst einstehen und nm Ihr Wohlbefinden und vielleicht auch Ihr Überleben kämpfen oder aber einfach nur ein leeres Ritual durchführen können. Sind Sie das ewige Theater so leid, daß Ihnen alles lieber ist als die jetzige Situation? Dann werden Sie Antwort und Hilfe erhalten, aber nur dann.

Diese Antwort kann sich auf unterschiedliche Weise gestalten. Führen Sie Ihren inneren Dialog einfach weiter oder lassen Sie einströmen, was da kommen mag - es ist eigentlich völlig egal, denn wenn sich die Götter erst einmal die Mühe machen, Ihnen zu einem solchen Anlaß Informationen zu vermitteln, dann tun sie dies auch auf eine Ihnen verständliche Weise. Deshalb brauchen Sie nicht zu befürchten, die Antwort nicht mitbekommen zu haben, denn diese wird auf eine für Sie unübersehbare Art und Weise beschaffen sein. Vielleicht wird der Skeptiker in Ihnen nach dieser Erfahrung alles wieder in Abrede stellen, aber im Augenblick, wo Sie Antwort erhalten, werden Sie wissen, daß dies geschieht. Nur das zählt. Soll der Skeptiker sich doch austoben, solange er will.

Versenken Sie vor der Beendigung des Rituals das vor Ihnen befindliche »Bild« in der Erde, wo es zerfallen und auf neue, konstruktivere Weise wiederentstehen soll -unterziehen Sie Ihr

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Problem ruhig einem Kompostierungsprozeß. Unter Umständen werden Sie die wichtigsten Einsichten erst im Verlaufe der nächsten Tage oder gar Wochen erhalten; wenn Ihr Problem sich bereits gründlich zersetzt hat. Wenn Sie möchten, können Sie die Vorstellung der Situation auch in einen Gegenstand hineingeben, den Sie danach vergraben. Bitte achten Sie aber darauf, daß dieser leicht verrotten kann - oder wollen Sie die nächsten Jahrzehnte damit verbringen, eine Lösung zu finden?

Bedanken Sie sich bei den Wesenheiten, deren Hilfe Sie in Anspruch nahmen, und teilen Sie je nach Bedarf vielleicht noch ein weiteres Opfer miteinander. Öffnen Sie dann den Kreis.

Ritual zur Anziehung erwünschter Kräfte

Vielleicht sind Sie ja aber auch schon einen Schritt weiter und kennen Ihr Problem recht genau; was Ihnen fehlt, ist ein wenig mehr Geduld, etwas mehr Durchhaltevermögen, ein bißchen mehr Selbstvertrauen ... Sie wissen schon, das ist eine dieser beliebig lange fortsetzbaren Listen. Es ist wichtig, sich genau darüber im klaren zu sein, welche Eigenschaft oder Energieform man in sich stärken möchte. Bedenken Sie auch die Konsequenzen eines Erfolges gut - sind Sie wirklich sicher, über mehr Energie verfügen zu wollen, wenn Sie diese doch nur wieder in den Dienst der Bedürfnisse anderer Menschen anstatt in Ihre eigene Selbstfindung sowie -verwirklichung stecken werden? Definieren Sie deutlich, was Sie mit der verstärkten Eigenschaft tun möchten, damit Sie sich kein Kuckucksei legen.

Der Rest ist einfach. Sie packen wieder Ihre Gaben sowie einen Kelch oder ein als solcher geeignetes Bechergefäß ein und suchen, sich einen für diesen Zweck geeigneten Ort, an dem Sie Ihr Vorhaben noch einmal in aller Ruhe überdenken. Auch da kann ein Orakel hilfreich sein, um herauszufinden, was genau Sie augenblicklich benötigen und was Sie damit tun wollen.

Fällen Sie dann ganz bewußt Ihre Entscheidung. Sie wollen mehr Disziplin erlangen, um Ihre eigenen Pläne bis zum Schluß durchführen zu können. Oder Sie wollen den Mut bekommen, Ihrer Familie klar zu machen, daß Sie von nun an ein Judofan sind und dafür zweimal die Woche trainieren werden. Was auch immer - wichtig ist nur, eine Formulierung zu finden, mit der Sie gänzlich einverstanden sind. Stehen Sie nun entschlossen auf; um jene Wesen anzusprechen, denen Sie entsprechende Kapazitäten zutrauen, und bitten Sie höflich, aber dennoch bestimmt um genau das, was Sie eben in einen Satz gefaßt haben. Halten Sie dabei Ihren Kelch in beiden Händen und stellen Sie sich vor, wie die erwünschte Eigenschaft in die darin befindliche Flüssigkeit fließt - eigentlich sollte ich sagen »sehen Sie dabei zu«, denn mit purer Vorstellung hat dies wenig zu tun. Wir erhalten, worum wir bitten, wenn es auf eine vertrauensvolle, leidenschaftliche und zugleich bestimmte Weise geschieht. Heben Sie den Kelch nun an Ihre Lippen, um seinen Inhalt wie Nektar aufzunehmen, wobei Sie spüren, wie die erwünschte Energie mehr und mehr Ihren ganzen Körper wie auch Ihr Sein durchdringt.

Füllen Sie den Kelch dann ein zweites Mal, um ein Dankopfer zu bringen. Eine aufrechte, selbstbestimmte Haltung und Demut müssen sich keineswegs ausschließen - es gehört eine Menge Stolz dazu, den Kopf zu beugen. Schließlich kann ich den Wert des anderen nur anerkennen, wenn ich mir auch des ,meinen bewußt bin.

Ritual, um etwas abzugeben

Dieses Ritual stellt eine Ergänzung zum vorhergegangenen dar und kann durchaus mit diesem kombiniert werden, falls eine solche Notwendigkeit besteht. Oftmals behindern wir die Entfaltung einer bestimmten Eigenschaft oder Energie in uns nämlich selbst, indem wir etwas

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dagegen setzen. Deshalb ist dieses Ritual genaugenommen der Kern jeglicher Bewußtseinsfindung - das abzugeben, was nicht oder nicht mehr man selbst ist. Hierfür ist es notwendig, eine ziemlich gute Vorbereitungsarbeit zu leisten. Zum einen sollten Sie genügend Zeit darauf verwenden, vorher zu bestimmen, womit Sie sich selbst im Weg stehen (wobei, Ihnen das erste dieser drei Rituale unter Umständen wertvolle Hilfe leisten kann), und zum anderen müssen Sie in sich die Bereitschaft gefunden haben, mit den Konsequenzen Ihrer Entscheidung zu leben: Das Ritual nimmt Ihnen nichts, was Sie nicht wirklich abgeben wollen, weshalb man es gar nicht erst halben Herzens versuchen sollte; aber es stärkt Ihre Disziplin sowie Ihren Durchhaltewillen beim Ablegen einer unerwünschten Verhaltensweise ganz erheblich. Mehr benötigen Sie auch gar nicht.

Fragen Sie sich, was geschehen könnte, wenn Sie z.B. ab heute nicht mehr zu allem, was Ihnen Respektspersonen so erzählen, Ja und Amen sagen, und vergessen Sie nie, sich immer beide Seiten der Medaille anzuschauen: Ja, es ist möglich, daß Ihr Chef nur mit radfahrenden Untergebenen leben kann und Sie sich dann unter Umständen nach einem neuen Job umsehen dürfen, weil Sie schlicht und ergreifend größer als Ihr Vorgesetzter geworden sind. Es kann auch sein, daß Ihr Mann keine große Begeisterung zeigt, wenn Sie von nun an die familiäre Finanzplanung mitbestimmen und ebenfalls einen Abend pro Woche haben möchten, an dem Sie alleine unterwegs sind. Allerdings kann die Sache auch ganz anders aussehen - Ihr Chef ist vielleicht heilfroh, endlich wenigstens einen Mitarbeiter zu haben, der mitdenkt und wird Ihnen einen neuen, mit mehr Verantwortung versehenen Aufgabenbereich zuteilen. Oder Ihr Mann verliebt sich nach zwanzig Jahren erneut in Sie, weil er wieder jenen entschlußfreudigen Menschen vor sich sieht, den er damals geheiratet hat. Es ist sogar möglich, daß Sie sich erst durch eine negative Reaktion durchkämpfen müssen, um dann von derselben Person eine positive Rückmeldung zu erhalten; die wenigsten Menschen lieben Überraschungen und möchten erst einmal wissen, ob der neue Boden, auf den sie da geführt werden, auch fest ist. Deshalb hat nur eine Frage wirklich Bedeutung: Sind Sie die Konsequenzen Ihrer bisherigen Verhaltensweise so leid, daß alles besser wäre als jene Situation, in der Sie sich jetzt befinden? Wenn dies zutrifft, werden Sie mit dem folgenden Ritual erfolgreich sein.

Nehmen Sie ein Stück Brot mit, wenn Sie das Haus verlassen, und begeben Sie sich an einen Ort Ihrer Wahl -. nur im Freien sollte es diesmal schon sein. Vielleicht finden Sie wieder einen Baum, der einiges von dem, was Sie da loslassen möchten, versteht oder einen Platz, der Ihnen auf andere Weise geeignet erscheint, aber auch zumindest buschartige Pflanzen aufweisen sollte. Dort angekommen, gönnen Sie sich einen Augenblick Ruhe, um sich auf die Sie umgebende Landschaft zu konzentrieren. Nehmen Sie Ihre Umgebung mit allen Sinnen wahr und versuchen Sie, das in ihr quirlende und fließende Leben zu erspüren.

Nehmen Sie dann das mitgebrachte Brot in beide Hände. Benutzen Sie ruhig einen kleinen Laib oder eine Brotkugel dafür, denn es wirkt ein wenig lächerlich, wenn man versucht, dieses Ritual mit nur einer dünnen Scheibe auszuführen. Was Sie da in den Händen halten, dient als Behältnis und muß als solches schon ein bißchen was hergeben! Stellen Sie sich mit beiden Beinen fest auf den Boden, um die Erdmutter anzurufen und ihr zu erklären, warum Sie hier sind. Das kann Gaia, Demeter, Erda oder auch Maria sein, wie immer es Ihnen am angenehmsten ist. Dann rufen Sie vor Ihr inneres Auge, die Auswirkungen jener Verhaltensweise, die Sie abgeben möchten; malen Sie ein deutliches Bild von deren Erscheinungsformen wie auch Auswirkungen auf Ihr Leben. Wenn Ihnen dies gelungen ist, atmen Sie tief in den Bauch ein - und stellen sich vor, wie das Bild mit all den daran hängenden Energien beim folgenden Ausatmen in den Brotlaib fließt.

Nun graben Sie unterhalb eines Baumes oder Busches ein Loch für den Laib. Während Sie ihn hineinlegen, bitten Sie die Erdmutter, die unerwünschte Verhaltensweise demselben

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Verrottungsprozeß zu unterziehen, den das Brot nun durchlaufen wird. Das könnte in etwa so klingen:

»Mutter Erde, du bist der Schoß, aus dem alles kommt und in den alles zurückgeht. Ich bitte Dich, nimm diesen Laib in Dich auf und lasse mein Mißtrauen gegenüber anderen Menschen genau so schwinden, wie dieser Laib schwinden wird. Und genau so, wie dieser Laib danach neue Nahrung für den Baum hier sein wird, soll auch mein Mißtrauen zum Boden für etwas Neues und Hilfreicheres in mir werden. Darum bitte ich.«

Lernen Sie das nur nicht auswendig - Ihre eigenen Worte sind immer noch die besten! Bedanken Sie sich danach bei der Erdmutter und teilen Sie Ihre Gaben mit den Sie umgebenden Wesen.

Eigensegnung

Eines der schönsten und bewegendsten mir bekannten Rituale der Selbstfindung ist die Eigensegnung, die einen festen Platz in meinen Riten hat. Aus ganzem Herzen ausgeführt, gibt es kaum eine andere Zeremonie, die so erfüllend sein kann. Sich seihst zu segnen, bedeutet, sich liebend so anzunehmen, wie man ist - zumindest für einige Augenblicke. So trägt das kleine Ritual ganz wesentlich zur Steigerung eines gesunden Selbstwertes bei, denn hier gestehen Sie sich zu, so kostbar zu sein, daß Sie einen Segen wert sind. Was aber ist das eigentlich, ein Segen?

Jeder Mensch kann zum Kanal für das fünfte Element werden, jene göttliche Energie und Liebe, welche die Welt zusammenhält, und sie in jeden erwünschten Empfänger leiten bzw. sie dort verstärken. Diese Energie ist ein Segen, weil sie die göttliche Aufmerksamkeit in positiver Form auf den Empfänger richtet, ihn schützt und seinen Kontakt zu sich selbst unterstützt. Sie fühlt sich wie eine herzliche Umarmung an, in der wir uns geborgen und erleuchtet wiederfinden. Ja wirklich, erleuchtet - viele sensible Personen können um den kürzlich gesegneten Menschen herum einen Lichtschein wahrnehmen, der die fortdauernde Kraft und Wirksamkeit des erteilten Segens anzeigt. Das Ritual selbst ist ganz einfach und läßt sich am besten regelmäßig nach dem Duschen oder Baden ausführen.

Gießen Sie etwas pflanzliches Öl in eine kleine Schale, geben Sie ein paar Tropfen eines oder mehrerer Aromaöle hinzu (besonders gut eignen sich Lotus, Myrrhe, Sandelholz, Veilchen, Rose oder Patchouli) und vermischen Sie beides miteinander. Nehmen Sie die Schale dann in beide Hände und stellen Sie sich vor, wie sich die um Sie herum befindliche göttliche Energie in der Mischung sammelt, bis diese von innen heraus zu leuchten beginnt - soeben haben Sie ein rituelles Salböl erschaffen!

Geben Sie nun einen Tropfendes Öls auf Ihre Füße und segnen Sie diese, indem Sie etwas in, dieser Art sagen: »Ich segne meine Füße; die mich auf meinem Weg zu mir selbst tragen.« Auf diese Weise arbeiten Sie sich von unten nach oben vor, segnen jeden Körperteil und danken, ihm für die Erfüllung seiner Aufgabe. Je mehr Liebe und Verständnis Sie währenddessen für sich aufbringen können, desto wirksamer ist das Ritual. Packen Sie Ihre Selbstzweifel und die Eigenkritik für einen Moment weg - danach können Sie sich diesbezüglich gerne wieder austoben, wenn Sie es dann noch wollen! Der weitere Verlauf des Segens könnte in etwa so aussehen, wobei es auch hier wichtig ist, eigene, vollständig stimmige Formulierungen zu finden:

Knie: »Ich segne meine Knie, die sich nur in Demut, aber niemals aus Angst beugen sollen.«

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Fortpflanzungsorgane (Öl bitte auf dem Unterbauch auftragen, um Reizungen zu vermeiden): »Ich segne jene Pforte, aus der das Leben in die Welt tritt. «

Solarplexus (die berühmte Handbreite über dem Bauchnabel): »Ich segne meinen Schild des Schutzes, der zugleich, auch das Tor meiner Kraft ist.«

Herzchakra (Brustmitte): »Ich segne mein Herz, das warm, kraftvoll und in Verständnis für mich schlägt.«

Drittes Auge (leicht erhöht zwischen den Augenbrauen): »Ich segne die Quelle der Eingebung, aus der meine Einsicht entsteht.«Kronenchakra (höchster Punkt des Kopfes): »Ich segne das Tor zum Göttlichen, das sich schließt, wenn ich Schutz benötige und öffnet, wenn ich Weisheit empfange.«

Merken Sie, wie reich Sie sind? Führen Sie das Ritual in tiefer Ruhe und mit einem liebevollen Lächeln aus. Bald werden Sie sich nicht mehr komisch vorkommen, sondern wahrhaftig spüren können, daß Sie hier eine heilige Handlung vollziehen.

Die Sonnenfeste

Der Jahreskreis

In der Naturreligion orientiert sich die Lage der Festtage verständlicherweise am natürlichen Jahreslauf. Man kann sehr gut naturphilosophisch leben und den Weg zu sich selbst finden, auch ohne diese Feste .zu feiern,- über kurz oder lang werden Sie aber von selbst auf diesen Rhythmus aufmerksam werden und seine Auswirkungen auf sich zu spüren beginnen. Für ;den Fall, daß Sie diese Feiertage jedoch in Ihre persönliche Praxis eingliedern möchten, habe ich hier kurz und kompakt die entsprechenden Hintergründe zusammengestellt; für weitergehende Informationen sollten Sie sich dann eines der einschlägigen Bücher zulegen.

Ich habe noch einen weiteren Grund dafür, hier nur die Grundzüge dieser Feste zu beschreiben: Mir ist nicht bekannt, welche Religionsform Sie ausüben. Die Natur ist jedoch etwas, das wir alle gemeinsam haben und aus dem wir uns alle entwickeln - ganz gleich, ob wir Christen, Muslime, Hindus, Buddhisten, Wicca, Asatru (die nordische Form) oder Anhänger des Schamanismus sind. Ich möchte Ihnen hier keine bestimmte Religion vorstellen, sondern Sie mit den Techniken der Naturspiritualität vertraut machen; Spiritualität aber ist der Religionsfrage meiner Meinung nach übergeordnet. Wenn Sie diese Feste nutzen wollen, können Sie sie ohne weiteres Ihren persönlichen religiösen Bedürfnissen anpassen, denn nur dann bleibt der Glaube aktiv und lebendig. Aus demselben Grund werde ich hier nur einige Anregungen zur jeweiligen rituellen Umsetzung der Feste geben. Das letzte Kapitel dieses Teils versorgt Sie mit Richtlinien zur Erstellung eigener Rituale, und anhand der dortigen Hinweise werden Sie leicht in der Lage sein, jeden Anlaß selbst rituell zu gestalten.

Seien Sie nicht überrascht, wenn Ihnen die Beschreibungen der natürlichen Entwicklung zu den jeweiligen Zeitpunkten im Jahr als etwas verfrüht erscheint.

Selbstverständlich kann am ersten Februar noch immer ein bitterer Winter herrschen, doch unsere naturreligiösen Ahnen pflegten ihre Feste immer auf die folgenden Wochen zu beziehen (die Zeit bis zum nächsten darauffolgenden Fest, um genau zu sein), da sie nicht selbstverständlich davon ausgingen, daß »der nächste Sommer bestimmt kommt«, sondern im steten Ablauf der Jahreszeiten eine willentliche Leistung der Natur sahen, um die sie an jedem

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dieser Feiertage wiederum baten bzw. sich für die Erfüllung des natürlichen Ablaufes der vergangenen Wochen bedankten.

Es ist auch nicht nötig, alle Feiertage sklavisch in Ihren persönlichen Festtagskalender aufzunehmen. Ich selbst vermute, daß die an astronomische Daten gebundenen Momente eher priesterliche Feiertage darstellten, während die zu jenen Zeitpunkten nur auf spirituelle Weise erahnbaren natürlichen Abläufe am jeweils darauffolgenden Fest für jeden Menschen deutlich in der Natur spür- sowie sichtbar sind.

Die Wintersonnenwende

In der westlichen Denkweise beginnt das Leben mit der Geburt; und so beginne ich den Kreis des Jahres mit der Wintersonnenwende am 21. Dezember, denn hier (oder zumindest kurz danach) tritt nicht nur Christus, sondern auch der Lichtbringer jeglicher Art und Religion in die, Welt. Schließlich war es kein Zufall, daß die frühen Christen jene Zeit im Jahr für ihr Geburtsfest wählten die längste Nacht bzw. jenen Tag, an dem am wenigsten Licht herrscht. Doch schon mit dem folgenden Tag beginnt die Helligkeitsspanne stetig länger zu werden, weshalb die meisten naturreligiösen Kulturen den Moment der Wintersonnenwende mit der Geburt eines Lichtgottes oder der Wiederkehr des Sonnenprinzips assoziieren. Licht und Sonne aber werden im philosophischen Rahmen in Verbindung zu Erkenntnis, Einsicht und unserem wachen Bewußtsein gebracht, im naturreligiösen Sinne spricht man in diesem Zusammenhang die Wiederkehr des Lebens nach dem Tode, das Wachstum schlechthin und den Zyklus von der Saat zur Ernte an. Kennen Sieden Spruch »Wenn man ganz unten ist, kann es nur noch aufwärts gehen«? So fatalistisch dies für unsere moderne, lineare und fortschrittsgewohnte Gesellschaft erscheinen mag, im zyklusorientierten naturphilosophischen Gebäude stellt es lediglich eine immer wiederkehrende Tatsache dar, die sich zur Wintersonnenwende in der Natur manifestiert.

Die Inhalte dieses Festes können im Ritual mit Hilfe des immergrünen Lichterzweigs symbolisiert werden. Der Zweig (es kann sich ebenso um Nadelhölzer wie auch immergrüne Blattpflanzen wie die Stechpalme handeln) weist auf die ewige Kontinuität des Lebens hin, während das Licht die Wiederkehr der Sonne darstellt. Die Farben Rot (das Leben), Dunkelgrün (die Beständigkeit der Natur) sowie Gold (die Sonne) sind vorherrschend.

Das Lichtfest

Nun ist das Wissen um die Wiederkehr des Lichtes zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende noch eher theoretischer Art; praktisch haben wir den schlimmsten und kältesten (oder auch nassesten) Teil des Winters ja noch vor uns. Auch deshalb wird die Wintersonnenwende gefeiert - bevor es richtig unangenehm wird, rufen wir uns ins Gedächtnis, daß die Dunkelheit Ihren Kampf bereits vor der großen Schlacht verloren hat und das Licht schon geboren wurde. Es ist ein Versprechen auf bessere Zeiten, das die Natur noch immer eingelöst hat; und dies kann man um das Lichtfest herum beobachten, welches Anfang Februar stattfindet. Nun sind die Tage merkbar länger geworden, und die Sonne trägt ab und zu bereits einen Hauch von Frühling in das Land hinein. Wer noch vor zwei Wochen glaubte, dieser Winter würde nie enden, erlebt nun das Wunder des zur Wintersonnenwende gegebenen Versprechens. Es ist wahr. Es wird weitergehen, die Sonne wird wiederkehren, und wir werden ebenso wiedergeboren werden wie der Lichtgott.

Doch besteht der Inhalt dieses Festes nicht nur im Dank für den überwundenen Winter, sondern läßt auch bereits an die folgenden Wochen denken. Wer in der Nähe eines tierreichen Waldes wohnt, kann nun den Hasen bei der eifrigen Produktion ihres Nachwuchses zusehen, und die Schafe werden den ihren sogar binnen der nächsten Tage zur Welt bringen. Unter Umständen

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erblühen nun die ersten Zwiebelpflanzen, und falls kein Schnee liegt, wird sich auch das Gras bereits aufrichten: Wer morgens aufmerksam lauscht, wird eine höhere Zahl an Vogelstimmen bemerken. So, wie das Eis auf Flüssen und Teichen schmilzt, bricht auch die starre, unbewegliche Macht des Winters und fließt dahin.

Auch der menschliche Geist beginnt nun, sich zu regen. Es liegt ein halbes Jahr der Aktivität und des intensiven Lebens vor uns - was wollen wir damit tun? Wohin fahren wir im Urlaub, und wie werden wir das Blumenbeet bepflanzen, das wir in der Stille des Winters bereits in unserer Phantasie geplant haben? Was wollen wir bis zum nächsten Winter erreichen, was soll sich verändern, was konkrete Gestalt annehmen? Jetzt ist die Zeit, um solche Entscheidungen und die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen. In der Landwirtschaft drückt sich dies durch das Pflügen der Äcker aus, welches in den nächsten Wochen folgen wird, und genau das sollten auch wir tun: den Boden für unsere Pläne bereiten.

Im Ritual werden gerne viele, viele Kerzen verwendet, die gleichsam jene Verlängerung der Tage symbolisieren sollen, die gerade draußen stattfindet. Die vorherrschende Farbe ist Weiß (Jugend, Ungeformtheit, alles ist bereits enthalten) und Hellblau (die Kraft unserer Gedanken, die feinstoffliche Seite der Schöpfung).

Die Frühlings-Tagundnachtgleiche

Um den 21. März ist die Ankunft des Frühlings nicht mehr zu übersehen. An diesem Tag ist die Welt „nicht ganz echt«; Tag und Nacht sind exakt gleich lang, und in derselben Waage hält sich auch das gesamte Leben. Die Welt steht für einen Augenblick lang auf dem Grat des frühen Jahres still, verharrt einen Moment, wackelt dann - und rollt weiter auf das Licht zu. Hier wird Jahr für Jahr eine Entscheidung getroffen, und im Gegensatz zu uns waren unseren Vorfahren bei weitem nicht so sicher, daß diese Entscheidung immer auf dieselbe Weise gefällt werden würde. Da draußen ist nun kaum noch ein Vogel zu finden, der nicht bereits mit dem Nestbau beschäftigt ist, und die Pflanzen wachsen um die Wette.

Es ist der geeignete Moment, um unsere Vorhaben noch einmal zu überdenken und uns für ihre Durchführung oder auch dagegen zu entscheiden; aber wenn wir den Winter gut genutzt haben, sollten wir nun mit der Umsetzung unserer Ziele beginnen können. Der Beginn jeder Ernte ist die Saat, und diese gilt es nun auszubringen.

In ritueller Form kann dieses Fest mit Hilfe von Samen begangen werden, die wir in die Erde stecken. Die vorherrschenden Farben sind Hellgrün (die beginnende Vegetationszeit), Rosa (erste Liebe), Hellrot (Fruchtbarkeit) und Gelb (die junge Sonne).

Das Maifest

Anfang Mai liegt oft bereits ein Hauch von Sommer in der Luft. Die Natur explodiert nun förmlich; alles wächst, gedeiht, vermehrt sich noch oder ist bereits mit der Aufzucht von Nachkommen beschäftigt - dies ist die Zeit, zu der neue Dinge beginnen und in der materiellen Welt Gestalt annehmen. Zu kaum einem anderen Augenblick des Jahres ist das pure Leben so deutlich spürbar wie jetzt. Leben bedeutet aber auch Liebe, was diesem Fest in Zusammenhang mit seiner Fruchtbarkeitskomponente einen schöpferischen Aspekt verleiht. Geist und Erde sind zusammengekommen, weshalb das neue Leben entstehen kann dies ist eine weitere Art, das Versprechen der Wintersonnenwende einzulösen.

Für uns ist nun nicht allzuviel zu tun, außer das Leben zu genießen und sorgsam zu beobachten,

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wie sich unsere eigenen jungen Schöpfungen, dieses Jahres entwickeln. Alles muß erst einmal entstehen, wachsen und anlaufen; wir können diesen Prozeß nur ein wenig fördern, indem wir für optimale Wachstumsbedingungen sorgen - das Unkraut ausrupfen, sozusagen. Was auf einen gut vorbereiteten Boden gesät wurde, entwickelt sich zu dieser Zeit noch von alleine weiter, denn alles ist von der Kraft des Lebens erfüllt und durchströmt,- ein wahrer Überfluß an schöpferischer Energie, den die Natur verschwenderisch allem und jedem zur Verfügung stellt, der sich weiterentwickeln und die inneren Erkenntnisse des Winters in die Tat umsetzen will. Mutter Natur spart nicht; wenn es um ihre Erhaltung und Weiterführung geht, was wir uns gerade zur Zeit des Frühsommers reichlich zunutze machen können.

Zur rituellen Umsetzung wird hier meist eine symbolische Darstellung des sexuellen Akts gewählt; was sich in Form einer Begegnung von Kelch und Dolch (männliches sowie weibliches Prinzip) abspielt. Die Zeit geistiger Planungen ist vorbei; jetzt wird auf materieller Ebene aufgebaut, und der Liebesakt ist die. vielleicht ursprünglichste Erscheinungsform materieller Kreativität auf dieser Erde. Die dazugehörigen Farben sind tiefes Rot (die erfüllte Fruchtbarkeit) und sattes Grün (die Vegetation in ihrer vollen Kraft):

Die Sommersonnenwende

»Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen« - ein weiterer dieser. Sätze, die für uns heute einen fatalistischen Klang haben, im Rahmen der Naturphilosophie aber als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Ab dem 21. Juni werden die Tage kürzer; erst so unmerklich, daß wir es gar nicht wahr nehmen, doch in einigen Wochen schön werden wir abends erstaunt sagen: »Was, es wird ja schon dunkel!“

Das langsame Verschwinden des Lichts bereitet uns auf das baldige Sterben der Natur hin -zunächst in Form von sommerlicher Dürre und der Ernte, doch bald darauf auch mit dem Einziehen des Herbstes. Wie bereits früher erwähnt, stellt, der Tod in naturphilosophischem Zusammenhang kein furchtbares Ende,, sondern den Beginn eines neuen Zyklus dar, der zwar sehr wohl die Trauer um alles, was vorerst zu Ende geht, aber auch die Vorfreude auf dessen Wiederkehr in einem neuen Lebenskreis mit sich bringt. So lehrt uns die Sommersonnenwende auch, daß jedem Höhepunkt bereits die Vernichtung dessen innewohnt, was da gerade so vielversprechend aufstrebt. Irgendwann wird das Leben weitergehen, sich verändern - und dann tun wir gut daran, uns von einstmals erfüllenden, doch mittlerweile überlebten Plänen oder Vorstellungen achselzuckend abzuwenden und eine neue, angemessenere Form in Angriff zu nehmen. Dies lehrt uns der Kreis des Jahres.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch wird die immer noch sommerlich orientierte Realität bald unseren ganzen Einsatz erfordern. Es gilt, die Felder auf die nahe Ernte vorzubereiten; da müssen Werkzeuge überprüft, Fahrzeuge repariert und die nötige Lagerkapazität geschaffen werden. Ähnlich verhält es sich mit jenen Vorhaben, die wir im Frühling als Saat in die Erde gaben. Was davon benötigt noch etwas Pflege oder Unterstützung? Haben wir alles getan und vorbereitet, um zur Ernte zu schreiten? Wenn nicht, besteht für noch einige wenige Tage die Möglichkeit kleiner Korrekturen und Verbesserungen, doch wenn Sie Ihr Feld nicht ordentlich bewässert haben, werden Sie daran auch jetzt nichts mehr ändern können.

Und dann kommt die Ernte, diese harte, aber auch überströmende Zeit, in der eingefahren wird, was wir uns verdient haben. Leben und Tod, Freude und Trauer - selten liegen beide so eng beieinander wie in diesem Moment, wo wir für unsere Arbeit belohnt werden und zugleich im Zuge der Einholung dieser Belohnung unsere Pläne ihrem Ende zuführen. Das Korn stirbt, damit wir im Winter, leben können.

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Dies kann rituell dargestellt werden, indem man einem das Jahr symbolisierenden und mit den ersten Früchten gefüllten Kessel von einer Person an eine andere weitergeben läßt, wobei die erste für die aufsteigende Hälfte des Jahres und die zweite für die absteigende Hälfte steht. In der Naturreligion findet der Wechsel zwischen Göttin und Gott statt. Die entsprechenden Farben sind ein volles Rot (die Göttin auf dem Höhepunkt des Jahres) und ein sattes Braungrün (der Vegetationsgott der absteigenden Jahreshälfte).

Das Schnitterfest

Anfang August feierten frühere Völker ihr Erntefest. Zu Zeiten, in denen das auf komplizierte Weise gezüchtete Getreide immer früher zur Reife gelangt, ist für uns der Haupternteaspekt beinahe gelaufen, und das Fest stellt weniger eine Bitte um Überfluß als bereits den Dank für das Erhaltene dar. Dennoch ist der Erntevorgang auch heute im Spätsommer keineswegs gänzlich abgeschlossen, denn viele Arten wie der Mais, das Baumobst oder verschiedene Wurzelgemüse bestehen noch immer auf einen etwas ausgedehnteren Reifungszyklus. Die alten Kulturen nutzen diese Zeit für ein letztes, großes Fest, bevor die Arbeit begann - heute haben wir entweder die Wahl, es ein wenig später zu feiern oder - was ich vorziehe - beide Aspekte miteinander zu vereinigen, wie es ja auch der Natur der Ernte s e lbst entspricht.

Dies ist keine Zeit zum Nachdenken, Pläneschmieden oder Philosophieren -jetzt muß gemeinsam angepackt werden, um den Überfluß davor zu bewahren, in der sommerlichen Hitze zu verdorren oder in einem frühen Herbstschauer zu verderben. Der richtige Augenblick ist hier von enormer Bedeutung; auf dem Getreide steht nun einmal nicht »jetzt bitte schneiden«, wenn es reif ist. Noch einen Tag länger, um die Körner noch ein wenig schwellen zu lassen? Nein, am Horizont tauchen schwere, leicht violette Wolken auf - das könnte ein schweres Gewitter werden. Jetzt also!

In dieser Phase muß aus der Erfahrung und dem Bauch heraus entschieden werden, und dann gilt es, bestimmt zu handeln, denn sonst ist die Ernte verlören. Na, dann los!

Eine Möglichkeit, diesen Inhalten Ausdruck zu verleihen, besteht im rituellen Schneiden des Korns mit einer Sichel. Dies sollte von der ältesten anwesenden Frau durchgeführt werden, die sich idealerweise in der zweiten Lebenshälfte befindet. Die Farben sind Dunkelrot (das für unseren Fortbestand vergossene Leben), Gold (die Sonne auf ihrem höchsten Stand) und Braun (der Abstieg in die Nacht sowie auch in die Erde).

Die Herbst-Tagundnachtgleiche

Bis auf einige spätreifende Pflanzen ist alles eingebracht worden, die Lager sind gefüllt, und die Tanne wird bereits zum Tanz geschmückt. Doch bevor es ans Feiern geht, gilt es noch ein paar Dinge zu bedenken. Erlaubt die Art der Lagerung, an alles in der benötigten Reihenfolge heranzukommen? Ist genug da, oder muß noch zugekauft werden? Wovon haben wir zuviel und können an andere weiterverkaufen, die nicht so erfolgreich waren? Sind die Felder für den Winter vorbereitet? Und, am wichtigsten: Ist bereits genügend vom Erntegut abgenommen worden, um im nächsten Frühjahr wieder sähen zu können?

Dies ist der Moment, wo man betrachtet, wie die persönliche Ernte ausgefallen ist. Was ist zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen, und warum war dies so? Welche Pläne sind nicht gelungen, und was könnten Sie im nächsten Jahr anders machen, um ein erneutes Scheitern zu vermeiden? Haben Sie genug, um die Zeit bis zur Umsetzung des nächsten Planes zu überstehen, oder sollten

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Sie Ihren Vorrat noch ein wenig aufstocken? Ordnen sowie bewerten Sie Ihre Ernte auf eine Weise, welche die besten Körner aussortiert - diese werden dann im kommenden Frühjahr Ihr Saatgut sein, das beste aus den gesammelten Erfahrungen des vergangenen Jahres.

Und dann können Sie zu feiern beginnen. Sie haben es sich verdient! Die Hauptarbeit ist getan, und der junge Herbst stellt noch einige sonnige Tage bereit - selten ist der Sommer so süß wie in jenen Momenten, wo er geht. Nun wird genossen, was man unter vielen Mühen zur Reife gebracht hat - das frische Brot, den goldenen Wein und die jungen Kartoffeln. Wir haben unser Werk getan.

Im Ritual besteht die Möglichkeit, besonders schöne Teile des Erntegutes auf einem Altar zu arrangieren und neben einer Meditation über den bisherigen Verlauf des Jahres Dank zu sagen. Die vorherrschenden Färben sind Gold (der alte Sommer), Braun (das Welken der Natur), Rot (das Leben, das uns die Ernte auch im Winter garantieren wird) und ein tiefes, aber nicht zu dunkles Blau (die der Erfahrung folgende geistige Reflektion).

Das Ahnenfest

Zu Beginn des Monats November findet sich das vielleicht am meisten mißverstandene naturreligiöse Fest überhaupt; und das, obwohl es fast unverändert in die moderne Kultur Einzug gefunden hat. Aber eben nur fast.

Ja, das Ahnenfest ist ebenso wie der Totensonntag, mit dem es sich zeitlich überschneidet, ein Fest der Verstorbenen, aber irgendwie war das ursprünglich mal anders gemeint. Für die vorchristlichen Kulturen war dies der Zeitpunkt, an dem Sippen und ganze Stämme sich von überall her versammelten, um einander wiederzusehen, den Erfolg des vergangenen Jahres zu besprechen und das folgende zu planen - das Familienfest schlechthin sozusagen. Die Altesten aller Sippenteile traten im Rat zusammen, man erneuerte in einer sich oftmals über zehn und mehr Tage hinziehenden Feier die Verwandtschaftsbande, tauschte Neuigkeiten aus; knüpfte Beziehung privater wie auch geschäftlicher Natur, gab Verlobungen bekannt und vieles mehr. Zu einer Familie gehören im naturreligiösen Weltbild nun einmal. auch deren verstorbene Vorfahren, und so wurden auch diese in den gesamten Ablauf miteinbezogen. Dies geschah allerdings nicht wie beim amerikanischen Halloween in Form einer mehr oder weniger schlechten Horrorkomödie, sondern aus einer Haltung der Liebe und Selbstverständlichkeit heraus.

Die Natur selbst hat sich mittlerweile fast zur Ruhe begeben. So wieder Saft in den Bäumen sich wieder zu den Wurzeln zurückzieht, besinnen auch wir uns auf unsere inneren Welten und wenden uns vom Außen ab (das in den nächsten Wochen ohnehin ein relativ ungemütliches Erscheinungsbild zeigen wird). Nach der Ernte haben wir zurückgeschaut und ein aufmerksames Auge auf den Verlauf des vergangenen Wachstumsprozesses gerichtet, um sinnvolle von weniger effektiven Bemühungen zu trennen und die erfolgreicheren Ideen als Samen zu sammeln. Jetzt aber gilt es, den Blick wieder auf die Zukunft zu richten und zu überlegen, wozu diese Samen im nächsten Jahr den neuen Grundstock bilden sollen. Nicht umsonst war das Totenfest für z.B. die Kelten zugleich der Beginn eines neuen Jahres. Was nun beschlossen wird, hat den ganzen Winter über Zeit, in unserem Verstand sowie unserer Seele reiflich geplant und überdacht zu werden - dann sind wir im Frühjahr bereit, erneut zur ,Tat zu schreiten. In diesem Augenblick haben viele Kulturen den Rat ihrer Ahnen gesucht, um an deren diesbezüglicher, weitaus größerer Lebenserfahrung teilzuhaben und ihnen zugleich für den Beistand, der, mit zur eingebrachten Ernte beitrug, zu danken.

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Es gibt aber während dieser Tage noch einen weiteren Grund dafür, sich den Ahnen zuzuwenden. Draußen beginnt .nun die Dunkelheit vorzuherrschen, die als Reich der Toten sowie des Unterbewußtseins betrachtet wird. Die jetzt häufig anzutreffenden Nebelschwaden dienen als Tor sowie Übergang zu diesem Reich und können von jedem, der sich mit Liebe und Vertrauen hineinbegibt, zur Erforschung der eigenen Seele herangezogen werden. Dort befindet sich jener Ort, an dem das mitgebrachte Samenkorn empfangen und mit dem neuen Licht der Wintersonnenwende auf geistiger Ebene wiedergeboren wird.

Ein wunderschönes Ritual dazu besteht darin, einen oder mehrere Apfel miteinander und auch mit den Ahnen zu teilen. Das jüngste Mitglied der Gruppe oder Familie bringt die Apfel, die von einem geschlechtsreifen Mann gesegnet werden. Dann schneidet sie die älteste Frau in einzelne Stücke, um sie von einer weiteren in gebärfähigem Alter verteilen zu lassen. Die vorherrschenden Farben sind Schwarz (die Nacht), Weiß (die aus der Dunkelheit entstehende Erkenntnis), Dunkelbraun (das, momentane Angesicht der Erde) und Dunkelgrün (die Versicherung, daß wir auch diesen Winter überstehen werden). Wem das zu depressiv wird, der kann gerne ein dunkles, aber dennoch leuchtendes Rot mit hinzunehmen, das aber hier nicht das vergossene Leben, sondern dessen Fortdauer im Geheimen darstellt.

Dies ist der elementare Zyklus der Natur, wie er sich in hunderten von Erscheinungsformen ständig in unserem Leben abspielt. Mal läuft er parallel zu den Jahreszeiten ab, manchmal bewegt er sich aber auch weniger synchron. Oft nimmt er mehr oder weniger Raum als ein ganzes Jahr in Anspruch, was einfach von der Größe unserer Vorhaben abhängt, seien diese nun materieller oder seelischer Natur. Unser ganzes Leben selbst folgt diesem Kreislauf, was Sie sich in etwa so vorstellen können:

Wintersonnenwende GeburtLichtfest Heranwachsen (etwa zwischen dem ersten und vierzehnten

Lebensjahr)Frühlings-Tagundnachtgleiche der junge Erwachsene, der sein Leben selbst zu gestalten

beginnt, indem er einen Beruf, wählt, sich die entsprechende Ausbildung verschafft und sich grundlegende Ansichtensowie Ziele bildet (etwa zwischen dem vierzehnten und achtundzwanzigsten Lebensjahr)

Maifest der Erwachsene, der seine Pläne umsetzt, Kinder großzieht und sein eigenes Leben sowie seine Ansichten festigt (etwa zwischen dem achtundzwanzigsten und zweiundvierzigsten Lebensjahr)

Sommersonnenwende der Höhepunkt des Lebens, kurz vor der Erfüllung, materielle Ernte (etwa zwischen dem zweiundvierzigsten und sechsundfünfzigsten Lebensjahr)

Schnitterfest der reife Mensch, der die Früchte seines Lebenswerks einbringt, diese auf materieller wie auch seelischer Ebene genießt und einen Rückblick vollzieht (etwa zwischen demsechsundfünfzigsten und siebzigsten Lebensjahr)

Herbst-Tagundnachtgleiche der alte Mensch, der lehrt und seine Kinder auf deren Hochphase vorbereitet

Totenfest der Tod, die Zeit zwischen den Inkarnationen mit anschließender Empfängnis

Die breite Spanne von jeweils vierzehn Jahren innerhalb der einzelnen Phasen zeigt deutlich an, wie sehr sich diese von Person zu Person verschieben können, aber ich denke, das Grundprinzip

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ist klar. Nicht umsonst beginnt unser Rentenalter je nach Geschlecht, Beruf und Zusatzabsicherung irgendwo zwischen Mitte Fünfzig und Mitte Sechzig, und nicht umsonst wissen wir mit unseren Rentnern nichts anzufangen - wir haben vergessen, wer unsere eigentlichen Lehrer sind. Natürlich kann mein Großvater seiner Enkelin nicht viel über Computer beibringen; aber es gibt Dinge, die vom technischen Fortschritt unabhängig sowie nach wie vor von enormer Bedeutung sind und sich nie besonders verändert haben. Wenn wir unseren Alten nicht mehr gestatten, das, was sie nach der Ernte erkannten, an uns weiterzugeben, werden wir - der junge. Samen - schlecht vorbereitet in einen ungenügend bearbeiteten Bode n g e hen. Und da wundern wir uns noch, daß wir immer wieder dieselben Fehler machen?

Der Mond

Die Mondphasen

Das ist auch so ein Thema, über welches ich mich hier nur kurz und der Vollständigkeit halber äußern werde - die entsprechende Literatur wird von ewigen Wiederholungen nämlich auch nicht besser, und wir erleben zur Zeit ja eine wahre Flut an Mondbüchern. Sie wissen höchstwahrscheinlich bereits, daß man alles, was wachsen und mehr werden soll, unter dem zunehmenden Mond ausführt und jene Dinge, die verschwinden sollen, dem abnehmenden in die Hand drückt. Sie wissen (oder könnten es zumindest binnen weniger Minuten nachschlagen), wann man Radieschen setzt oder seine Fingernägel schneidet - also warum sollte ich meine Leser mit derartigen Details quälen?

Fangen wir doch wie schon so oft in diesem Buch ein wenig weiter vorne an. Warum ist der Mond für uns überhaupt von Bedeutung? Weil er ein auffallender Teil der Natur ist, und diese wiederum steht mit uns in Verbindung bzw. spiegelt auf holografische Art und Weise unsere eigenen inneren wie auch äußeren Lebensbedingungen.

Für frühe Kulturen war der Mond der Zeitanzeiger schlechthin, weil er nicht nur den Verlauf eines (Mond-) Monats, sondern - zumindest an den Küsten sogar einzelne Tagesabschnitte anzeigte. Der Mond hat also vor allem im Bereich von Meeresufern mit dem Konzept der Zeit zu tun, wie wir es begreifen, und liefert ein Modell des fließenden Ein- bzw. Unterteilens. Er strukturiert, systematisiert und gibt uns die Möglichkeit, unsere Aktivitäten in diesem zeitlichen System einzuordnen. Und jetzt sagen Sie mir bitte nicht, das sei für uns nicht mehr von Bedeutung, weil wir die Zeiteinteilung des Mondes bereits seit Jahrhunderten nicht mehr verwenden - zumindest bei meinem Bauch ist das noch nicht angekommen. Ich werde nie vergessen, wie eines Stammtischabends jemand die unter naturreligiösen Menschen immer gefährliche Frage stellte: »Wann ist eigentlich der nächste Vollmond?« Ein eifriges Kalendergeraschel hob an, nur mein Liebster saß unberührt unter uns und krümmte keinen Finger. Auf die erstaunte Frage, ob er denn keinen Mondkalender besitze, antwortete er lächelnd: »Den brauche ich nicht. Wann Vollmond ist, erkenne ich an dem blauen Bändchen.«

Bevor die männlichen Leser jetzt pflichtgemäß anfangen, sich selbst leid zu tun, weil sie über keinen inneren Mondkalender verfügen, weise ich darauf hin, daß sie als ebenso wasserhaltige Wesen wie die Frauen im Prinzip denselben Einflüssen ausgesetzt sind. Und wenn sie aufhören würden, den Mond als die Urverkörperung des weiblichen Prinzips anzuhimmeln, könnten sie auch dessen männliche Kraft in sich selbst wiederfinden.

Jetzt bekomme ich wahrscheinlich Ärger und einen Haufen erregter Briefe. Der Mond als Verkörperung des Männlichen? Ja Himmel, wozu haben wir Frauen dann jahrelang unsere Luxuskörper in seinem Licht gebadet, als wenn es ein griechisches Schönheitselexier wäre?

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Betrachten wir die Sache doch mal von der linguistischen Seite. Ich kann es nicht ändern, aber im Gegensatz zu den meisten Sprachen Südeuropas ist, je weiter man gen Norden kommt, immer öfter der Mond männlich und die Sonne weiblich - nicht etwa umgekehrt. Offensichtlich haben beide Varianten ihren Grund und somit eine Existenzberechtigung, die leicht nachvollziehbar wird, wenn wir einen Blick auf die jeweiligen Landschaften werfen, in denen die geschlechtlichen Zuordnungen geprägt wurden.

In südlicherem Klima wird die sengende Sonne als regulierendes, einschränkendes und beherrschendes Element empfunden, während der Mond und damit die Nacht Kühle, Erleichterung und auch den lebensspendenden Regen bringen. Je weiter man jedoch nach Norden vorrückt, stellt man eine klimatische und damit auch symbolische Veränderung fest: In Skandinavien beispielsweise ist der dem Mond zugeordnete Zeitraum der Dunkelheit ziemlich lang. Zugleich ist es kalt und verschneit, was nicht gerade ideale Bedingungen für pflanzliches Wachstum darstellt. Die sichtbare Wiederkehr der Sonne jedoch, die langen, hellen Tage zeigen jene kurze, aber um so intensivere Wachstumsperiode nordischer Landschaften an. Wenn also das weibliche Prinzip als das gebende sowie nährende und das männliche als das strukturierend einteilende beschrieben wird, ergibt die veränderte geschlechtliche Zuordnung im Norden durchaus einen Sinn. Und schließlich ist der Mond ja auch genau das: strukturierend. Er schafft ein zeitliches System, formt die Gewässer und sagt uns Frauen, wann es Zeit wird, wieder Tampons einkaufen zu gehen. Der Mond ist die Ordnung per se! Bereits in mitteleuropäischen Breiten wird die Sonne hingegen zur Lebensspenderin und zeigt sich daher nicht umsonst als weibliches Wesen.

Was schlußfolgern wir also daraus? Vielleicht, daß es an der Zeit ist, gewisse Stereotypen über Bord zu werfen - direkt in das im Mondlicht schillernde Wasser, das sie mit saturnisch-strukturierender Genauigkeit zur nächsten Flut wieder an Land schwemmen wird, damit wir uns noch einmal näher damit beschäftigen.. So einfach ist das nämlich nicht. Männliche wie auch weibliche Anteile gibt es in jedem von uns - eine Frau, die keine männlichen Seiten hat, ist keine richtige Frau, und .ein Mann, dem weibliche Bereiche fehlen, kein richtiger Mann. Nein, ich kann Ihnen auch nicht sagen, was genau einen » richtigen« Mann oder eine ebensolche Frau nun ausmacht, aber eines weiß ich: Ein Mensch, dem, bestimmte, dem anderen Geschlecht zugeordnete, Eigenschaften fehlen, ist nicht lebensfähig und findet sich höchstwahrscheinlich über kurz oder lang in der Psychiatrie wieder. Eine Frau ohne auch, nur einen Funken Aggression wird in einer Ecke verhungern,. und ein Mann ohne die Fähigkeit zur Nachgiebigkeit landet unter Umständen recht bald im Gefängnis. Ich kann vielleicht die Art ablehnen, auf die so mancher Mann mit seinen Attributen umgeht, aber niemals die Männlichkeit selbst, denn dann bin ich als Frau wie auch als Mensch verloren. Dasselbe gilt natürlich ebenso auch umgekehrt.

Sonne und Mond zeigen beide verschiedene Seiten des Menschseins in unterschiedlichen Kombinationen männlicher wie weiblicher Aspekte: Deshalb müssen Sie Ihre Zuordnungstabellen jetzt nicht gleich wegwerfen; hören Sie einfach nur auf, unbesehen zu übernehmen, was da drin steht. Beobachten Sie die Eigenschaften von Sonne und Mond aufgrund Ihres eigenen Verständnisses der beiden geschlechtlichen Prinzipien, und entdecken Sie an beiden Gestirnen jene Seiten sowie Möglichkeiten, die wahrzunehmen Ihnen vielleicht bisher von engen Vorgaben verwehrt wurde. Das hat zumindest den Vorteil, daß Sie sich nicht mehr das Hirn verrenken müssen, um so abstruse Dinge wie »göttliche Mondin« herauszubringen (hallo, Herr Sonn!).

Das Wichtigste an mondorientierten Ritualen ist, sich seinem Licht direkt auszusetzen. Licht ist

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die Essenz der Information, und beide Gestirne vermitteln uns eine Unmenge von Wissen, wenn wir nur zulassen, daß ihr Licht unsere Haut berührt. Wie viel Haut hängt von der Außentemperatur und sonst nichts ab. Vielleicht haben auch Sie so wie ich das Glück, unter einem Fenster zu schlafen, durch das der Mond nachts auf Ihren Körper herableuchtet. Auch wenn dies bei Vollmond unter Umständen ein oder zwei unruhige Nächte bedeuten mag - ja, warum liegen Sie denn eigentlich im Bett, wenn der Vollmond Sie so deutlich ruft? Geben Sie ihm, was ihm gebührt, und Sie werden danach vielleicht ein paar Stunden weniger, dafür aber tief und unendlich erholsam schlafen.

Abgesehen von Wirkzaubern, die mit den bereits erwähnten Phasen in Verbindung stehen, ist der Vollmond für mich immer eine Art Andacht gewesen: Selten kann ich mich gerade dann dazu aufraffen, komplizierte Rituale auszuführen, wenn die Welt in dieses zauberhafte silbrig-weiße Licht getaucht ist und so unwirklich wie auch äußerst real zugleich aussieht - als wenn eine and e r e Wirklichkeit durch die gewohnte hindurchschimmert und sich unseren staunenden Augen auf stille Weise enthüllt. Vollmond ist die Zeit, um durch eine Wunderwelt zu wandern, in der uns die Götter vielleicht noch viel näher sind als sonst - ich weiß es nicht genau, aber es fühlt sich für mich so an: Eventuell bin auch nur ich selbst mir näher und kann ihren Widerhall deshalb deutlicher in nur spüren. In diesen Momenten teile ich meine Gedanken, Sorgen, Bedürfnisse und Freuden auf eine höchst intime und völlig unzeremonielle Weise mit den Göttern, während ich durch ihr wunderschönes Reich wandere. Es ist eine gute Zeit, um Dank zu sagen - aber auch, um gereinigt und geklärt am Ende meines Spazierganges um jene Dinge zu bitten, die ich wirklich benötige oder verstärken will.

Ein Lernzyklus

Im Licht des vollen Mondes treten unsere spirituellen Lehrer an uns heran, um uns auf sanfte, liebevolle und aufmerksame Weise mit den im nächsten Monat anstehenden Lernaufgaben vertraut zu machen. Deshalb ist diese Zeit nicht nur zur Meditation oder direkten Kontaktaufnahme geeignet, sondern stellt auch eine wertvolle Unterstützung unserer eigenen Entwicklung dar. Ich habe aus einem bestimmten Grund zuerst den Jahreslauf und dann die Mondphasen beschrieben, weil ich Ihnen zunächst jenen Zyklus vermitteln wollte, nach dem alles wächst -sei es nun ein Baum oder eine Charaktereigenschaft. Diesen Zyklus nämlich können Sie auf jenen des Mondes übertragen und Ihre Vorhaben somit von diesem unterstützen lassen.

Sie werden wahrscheinlich schon festgestellt haben, daß es gar nicht so einfach ist, sich selbst zu verändern oder zu sich selbst zu finden. Dieser Prozeß nimmt ein ganzes Leben in Anspruch, und auch seine einzelnen Abschnitte strapazieren unsere Geduld oftmals erheblich. Da sitzt man also und hat z.B. endlich erkannt, daß einen die eigenen negativen Gedanken daran hindern, das Leben erfüllt zu gestalten, nur um dann festzustellen, daß man deren Anwesenheit und Aktivität jetzt zwar bemerkt, aber währenddessen nichts dagegen tun kann! Erst später tritt jene Phase ein, in der es möglich wird, diesen Tendenzen andere, positivere entgegenzusetzen, und selbst dann ist der Tag, an dem man nicht mehr ständig gegen eine negative Selbstbeeinflussung zu kämpfen hat, meist noch fern. Viele Psychologen setzen etwa drei bis fünf Jahre für den Zeitraum von der Erkenntnis einer einschränkenden Verhaltensweise bis zu deren effektiver Transformation an. Das kann einem schon den Mut nehmen. Wenn Sie sich jedoch der zyklischen Natur jedes Wachstumsvorganges bewußt sind (und mit „ sich dessen bewußt sein« meine ich „ es spüren«), können Sie dessen Gesetze in den Dienst Ihrer eigenen Entwicklung stellen. Nehmen Sie sich ein Jahr, für das Sie ein Thema bestimmen, und stellen Sie dieses in den Rhythmus der Natur. Das könnte in etwa wie folgt aussehen, wobei jeder Monat den Inhalt eines Vollmondrituals beschreibt:

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November

Gehen Sie warm angezogen hinaus, um die Qualität dieses Augenblicks tief in sich aufzunehmen. Grüßen Sie dann Ihre Ahnen und bitten Sie diese um ihre Unterstützung bei der Bestimmung des Themas, das Sie im folgenden Jahr bearbeiten wollen.

Dezember

Erklären Sie in ritueller Form das gewählte Thema zur in diesem Jahr zu bearbeitenden Aufgabe und teilen Sie es den Wesenheiten mit, an die Sie sich üblicherweise wenden. Bitten Sie um deren Unterstützung.

Januar

Unternehmen Sie eine Meditation bezüglich der auf Sie zu kommenden Aufgabe sowie den Veränderungen, welche die Umsetzung dieser Aufgabe mit sich bringen könnte. Bedenken Sie alle möglichen Konsequenzen, die Ihnen in den Sinn kommen, und vergessen Sie nicht, jedem negativen Gedanken einen positiven entgegenzusetzen. Beobachten Sie nur, ohne im Alltag bereits etwas zu unternehmen, aber planen Sie bereits, was Sie ab dem Frühjahr in welcher Reihenfolge tun wollen. Die meisten Menschen scheitern bei den unterschiedlichsten Dingen, weil sie den zweiten Schritt vor dem ersten tun wollen; nun haben Sie die Gelegenheit, dies zu vermeiden, indem Sie sich aufmerksam ansehen, was alles zu Ihrer Aufgabe gehört und wann welcher Punkt erledigt werden sollte.

Februar

Stellen Sie fest, was Sie benötigen, um Ihre Aufgabe zu erfüllen und sorgen Sie für die entsprechenden Elemente. Hier ist es wichtig, auch an den eigenen Schutz zu denken. Unter Umständen werden Sie im Laufe des Jahres in Zusammenhang mit Ihrem Vorhaben recht beunruhigende Erfahrungen machen; auf jeden Fall aber wird einiges ziemlich neu sein. Haben Sie jemanden, mit dem Sie über den Prozeß sprechen können? Dabei ist es gar nicht notwendig, auch Ihren rituellen Lösungsweg zu erwähnen. Was fehlt Ihnen beim Gedanken an die vor Ihnen liegenden Wochen? Wonach sehnen Sie sich bei der Vorstellung, Ihre Aufgabe anzupacken? Welche logischen Hilfsmittel stehen vielleicht noch nicht zur Verfügung? Jetzt ist die Zeit, den Boden vorzubereiten; gehen Sie dabei äußerst sorgsam vor, denn vieles, aber nicht alles, was Sie hier versäumen, kann später noch nachgeholt werden.

März

Jetzt ist die Zeit gekommen, damit anzufangen, Ihr Vorhaben auf der materiellen Ebene -im täglichen Leben also - umzusetzen. Beginnen Sie mit den ersten Punkten jenes Planes, welchen Sie zum Januarvollmond gefaßt haben und überfordern Sie sich dabei nicht; einige wenige Schritte genügen im Augenblick vollkommen, um sich zunächst einmal mit der neuen Situation vertraut zu machen. Hier geht es .um den ersten logischen Schritt, nicht mehr. Bringen Sie Ihre Saat aus, und warten Sie.

April

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um mutigere Schritte zu machen. Gehen Sie an einen -aber nur einen! - jen e r Punkte heran, die Sie als größer oder angsteinflößender empfinden. Erbitten

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Sie im Ritual Rat sowie Unterstützung dazu.

Mai

Feiern Sie Ihre ersten Erfolge. Natürlich haben Sie die Aufgabe noch nicht bewältigt, aber machen Sie sich klar, daß sich Ihr Verhalten bereits verändert hat. Stellen Sie fest, wo dies genau der Fall ist, und zählen Sie bereits die Tatsache hinzu, sich seit einem halben Jahr schon zu jedem Vollmond damit auseinandergesetzt zu haben. Es wächst!

Juni

Betrachten Sie den bisherigen Verlauf Ihres Vorhabens, um festzustellen, wo es noch besondere Unterstützung benötigt und wie diese aussehen könnte. Holen Sie sich zu allen noch offenen Fragen Rat im Ritual und setzen Sie dies augenblicklich im Alltag um.

Juli

Sommerpause. Dieser Monat ist (wenn wir Glück haben), sowieso zu heiß zum Denken und höchstens noch dazu geeignet, einige intuitive Eingebungen umzusetzen. Lassen Sie die Natur zur Reife bringen, was von Ihnen gesät wurde, und vertrauen Sie dieser im Ritual Ihr Vorhaben an.

August

Nun ist die Zeit der Ernte gekommen. Machen Sie sich im Ritual bewußt, welche Veränderungen die Arbeit an Ihrem Vorhaben in Ihrem Leben eingeleitet hat. Dies sind Ihre Früchte, und die Ernte hat gerade erst begonnen!

September

Betrachten Sie die Entwicklung, wie sie bis hierher gediehen ist. Überlegen Sie, was nicht so gut gelaufen ist und auch, was sich bewährt hat. Behalten Sie besonders effektive Maßnahmen im Hinterkopf; um sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut zum Tragen kommen zu lassen.

Oktober

Schließen Sie diesen Zyklus ab, indem Sie ein Resümee ziehen. Überlegen Sie, welche Maßnahmen Sie weiterhin einsetzen möchten und wo Veränderungen angesagt sind. Denken Sie auch darüber nach, ob Sie Ihrer Aufgabe einen zweiten Zyklus widmen oder im nächsten Monat eine neue wählen möchten. Das hängt davon ab, wieviel Aufmerksamkeit Sie glauben, noch in Ihr ursprüngliches Thema investieren zu müssen.

Seien Sie nicht enttäuscht, wenn nach Ablauf dieses Jahres immer noch Reste der ursprünglichen Verhaltensweise auftauchen - niemand ist vollkommen, und darum geht es hier auch gar nicht. Unsere Entwicklung stellt sich wie eine sich aufwärts windende Spirale dar; früher oder später werden Sie wieder bei derselben Aufgabe landen, dann nur eine Etage höher und somit weiter. Auch das gehört zum Zyklus des Lebens, denn kein Wesen wäre in der Lage, seine Lebensaufgaben an einem Stück zu lösen. Hier ist nur von Bedeutung, daß Sie eine dieser Umrundungen auf eine für Sie zufriedenstellende Art und Weise absolvieren konnten und sich bereit fühlen, die nächste Aufgabe dieser Ebene in Angriff zu nehmen, die sich meist aus der gerade bewältigten ergibt.

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Jetzt bleibt natürlich noch mindestens ein Vollmond übrig - in ganz besonderen Jahren sogar zwei. Sie können den Zeitraum, in den diese »Extramonde« fallen, als Naturorakel betrachten; vielleicht ist es in jenem Abschnitt Ihres Vorhabens notwendig, sich intensiver mit dem momentanen Stand der Dinge zu befassen. Oder Sie nehmen gerade während dieses Vollmondes einfach von Ihrer inneren Arbeit frei.

Neumond (Schwarzmond)

Viele naturreligiöse Menschen verwenden diese Bezeichnung nicht wie allgemein geläufig, sondern unterscheiden zwei verschiedenen Phasen dieses Ereignisses. Jene Nacht, in welcher der Mond auch bei sternklarem Himmel nicht zu sehen ist, weil er vollkommen vom Schatten der Erde bedeckt wird, nennt man hier den Schwarzmond, während der Neue Mond den Augenblick bezeichnet; an dem die erste feine Sichel wieder erscheint.

Der Schwarzmond wird von vielen Menschen gefürchtet und kommt auch in der Legende oft nicht gerade gut weg, was durchaus seinen berechtigten Grund hat. Diese Nacht stellt ein Tor zu den tiefsten Abgründen unserer Seele dar, dem man sich rituell nur aus gutem Grund nähern sollte. Da ich persönlich nichts davon halte, schwierige Teile der Überlieferung aus so zweifelhaften Gründen wie Ihrem eigenen Schutz zu verschweigen, werde ich Ihnen ein wenig zum Schwarzmond erzählen. Wenn es Sie interessiert, werden Sie sich so oder so damit auseinandersetzen - ob ich Ihnen nun etwas dazu sage oder nicht; und dann ist es mir lieber, wenn Sie wissen, womit Sie es zu tun bekommen.

Die Grundbedingungen der Schwarzmondnacht bestehen in fast völliger Dunkelheit, und das ruft nun mal alle möglichen Arten von Urängsten auf den Plan - von jenen, die wir uns im Laufe unseres Lebens angeeignet und dann tief in unserem Unterbewußtsein vergraben haben ganz zu schweigen. Hier sollte man nur als ziemlich gefestigter Charakter alleine ein Ritual durchführen und selbst dann ständig darauf gefaßt sein, mit beängstigenden sowie verdrängten Anteilen der eigenen Persönlichkeit konfrontiert zu werden. Aber andererseits ist genau das die Stärke des Schwarzmondes, und unter Umständen können auch recht angenehme Züge zum Vorschein kommen, die man sich bisher verboten hat.

Der Schwarzmond hat einen erdhaften sowie saturnischen, wenn nicht sogar plutonischen Charakter, und Pluto ist ein strenger Richter: Dies ist weder der Ort noch die Zeit für Halbherzigkeiten, aber der richtige Moment, um Vergangenheitsbewältigung zu betreiben oder sich mit den eigenen verdrängten Anteilen auseinanderzusetzen - und zwar auf unmittelbarste Weise. Es ist auch ein geeigneter Moment für den Beginn von etwas Neuem; allerdings nur dann, wenn Sie zuvor jenen alten Anteil ausgeräumt haben, der bisher den Platz für eine neue Entwicklung einnahm. Tun Sie dies nicht, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder passiert gar nichts - auch nicht hinsichtlich Ihrer neuen Vorhaben - oder Sie werden hier und jetzt, mitten im Ritual mit den entsprechenden sich im Wege befindenden alten Anteilen konfrontiert.

Der Schwarzmond ist unendlich machtvoll, aber schwer zu kontrollieren, weil er mit all jenem arbeitet; das wir verbannt haben, da wir im Licht des Tages bereits fürchten, eben jene Kontrolle darüber zu verlieren, die der Schwarzmond uns dann endgültig entreißt. Doch wer diese Nacht da draußen übersteht, hat eine Quelle der Kraft zur Verfügung, die ihresgleichen sucht - all die viele, viele, Energie nämlich, mit derer die hier zutage getretenen verborgenen Anteile Tag für Tag und Stunde für Stunde im Griff gehalten hat. Wie enorm die Kraft ist, die wir in jedem Augenblick unseres Lebens dafür aufwenden, bestimmte Dinge aus unserer Realität auszuschließen, wird oft erst dann klar, wenn eine solche Fessel gelöst wurde; vorher hielten wir

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unseren Zustand schließlich noch für normal.

Der Schwarzmond jedoch wirft keinen Schatten; nichts ist hier, normal oder unnormal, gut oder böse, richtig oder falsch - es ist einfach, und dagegen versuchen Sie mal, etwas zu unternehmen. Gegen die pure Existenz an sich gibt es nicht viele Argumente. Man kann sie nur hinnehmen und sich ihr beugen. Wer sich von der Last seines Bewertungssystems trennen möchte, kann dies an einem Schwarzmond versuchen, muß sich aber auch darüber klar sein, daß er in dieser Nacht keine neuen Richtlinien erhalten wird, denn das ist einfach nicht ihre Art. Er in muß bereit sein, zumindest bis zum nächsten Vollmond mit der Leere zu leben, die aus der Auflösung seiner alten Systeme entstanden ist und fähig sein, geduldig zu warten sowie die Verwirrung auszuhalten, bis diese Leere sich mit neuen Werten füllt. Diese jedoch werden diesmal seine ureigenen sein, etwas, auf das er sich verlassen kann - zumindest bis er in ein paar Jahren wiederum über sich selbst hinausgewachsen ist.

Achten Sie bei Neumondritualen immer auf einen sauberen und stabilen Schutzkreis, denn Sie werden anziehen, was Sie ausstrahlen, und davon sollte nur all jenes durchdringen können, was in diesem Augenblick eine unterstützende Funktion hat. Und ergehen Sie sich in einer solchen Nacht bitte nicht in düsteren Anrufungen uralter, archaischer Mächte, die Ihre Macht vergrößern sollen - das stellt nämlich einen ziemlich direkten Weg in die Psychiatrie dar!

Die Lebensfeste

Der Kreis des Lebens

Auch unsere Existenz gestaltet sich in jener zyklischen Form, die ich bereits am Verlauf des natürlichen Jahres erläuterte und zeigt ähnliche Wendepunkte auf wie dieses. Solche Momente - auch als Übergangsriten bezeichnet - markieren wichtige St a t i onen im Leben eines jeden Menschen, deren Nichtbeachtung uns eine Menge sozialer wie auch zwischenmenschlicher Probleme geschaffen hat. Jede Mutter und jeder Vater kennt das namenlose Erstaunen angesichts des unfaßbaren Wunders, das sich im Bauch einer schwangeren Frau abspielt, und weiß auch, daß dieses Wunder nach der Geburt seine Fortsetzung findet, wenn das anfänglich so hilflose Kind in derart kurzer Zeit nicht nur wächst, sondern auch herausfordernde Aufgaben wie Gehen und Sprechen in Angriff nimmt. Meist endet unser Staunen dann irgendwann, denn an den Rest können wir uns mehr oder weniger erinnern. Was wir selbst geleistet haben, kann also nicht so famos sein.

Eine Einstellung, die ich nicht ganz begreife. Gerade weil wir uns alle nur allzu gut jene verwirrende und konfliktreiche Zeit der Pubertät ins Gedächtnis rufen können, sollte es doch um so mehr verwundern, daß wir es tatsächlich geschafft haben, zu halbwegs normalen und funktionellen Erwachsenen zu werden! Die große Leistung eines einzelnen Menschen wird keineswegs dadurch geschmälert, daß andere sie auch bewältigt haben -und auch der Schwierigkeitsgrad dieser Anforderung sowie die damit verbundenen Gefahren für jeden, der sich ihnen stellt, verringert sich dadurch um keinen Deut. Deshalb ist es nach wie vor wichtig, Menschen, die sich an einem solchen Wendepunkt befinden, hilfreich und liebevoll zu unterstützen sowie zu begleiten, damit wir alle uns selbst besser verstehen können.

Vielleicht erscheinen Ihnen einige der hier beschriebenen Lebensfeste als etwas zu früh im Verlaufe des menschlichen Lebens angesetzt. Dies sind jedoch Initiationsrituale und sollen als solche nicht etwa den Abschluß eines Prozesses kennzeichnen, sondern dessen Beginn initiieren, also einleiten und unterstützen. Natürlich ist der Absolvent eines Erwachsenwerdungsrituals nicht erwachsen; aber er hat ein deutliches Zeichen dafür erhalten, daß sich sein Leben von nun

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an verändert, er mit dieser Veränderung nicht alleine da steht und hat sich mit deren Bedeutung intensiv auseinander gesetzt. Können Sie sich einen besseren Start für einen jungen Erwachsenen vorstellen?

Namensfest

Dieses Fest hat in naturreligiösem Zusammenhang einen nur wenig anderen Hintergrund als z.B. in der christlichen Tradition. Dort stellt die bald nach der Geburt stattfindende Taufe eine Eingliederung des Neugeborenen in die christliche Kirche dar, welche, die Seele des Kindes vor bestimmten Gefahren schützen soll, die ihr außerhalb dieser Institution drohen. Das naturreligiöse Fest der Namensgebung jedoch soll heutzutage noch keine Religionszugehörigkeit markieren, sondern dient lediglich dazu, den Göttern den neuen Erdenbürger vorzustellen und infolge dessen um ihren Schutz zu bitten. Darüber hinaus wird das Kind ähnlich wie auch im Christentum in die Gemeinschaft wie auch die Familie eingegliedert, in die es hineingeboren wurde. In früheren Zeiten kam das Neugeborene erst ab dem Zeitpunkt der Namensgebung in den Genuß des Sippenschutzes; namenlose oder mißgebildete Kinder durften ausgesetzt werden, um sie nicht ernähren zu müssen.

Der Name eines Menschen ist von enormer Bedeutung, denn anhand dessen wird man ihn ein Leben lang identifizieren sowie in einen bestimmten nationalen, gesellschaftlichen und auch familiären Zusammenhang stellen. Nicht umsonst spielt der Vater des Kindes bei diesem Ritual eine so große Rolle, denn durch die Weitergabe seines Namens demonstriert er sein Vertrauen in die Frau, die das Kind zur Welt gebracht hat. Er zeigt auf diese Weise unmißverständlich, daß er das Neugeborene für seinen eigenen Sprößling hält oder wichtige Gründe dafür sieht, es auch im anderen Falle als solchen zu behandeln. Umgekehrt hat auch der Entschluß, ein Kind ohne Vater heranwachsen zu lassen, Konsequenzen, die bereits im Namen, den es von nun an trägt, ihren Niederschlag finden.

Hier wird eine Entscheidung von enormer Tragweite getroffen, nämlich jene, zu welcher Familie und damit in welchen gesellschaftlichen Zusammenhang das Kind von nun an gehören wird. Wir geben nur einen Teil unserer familiären Besonderheiten auf genetischem Weg weiter; jener Teil, der sich unseren Kindern über Erziehung, das Aufwachsen in einer bestimmten Umgebung, unser eigenes Verhalten sowie die Erlebnisse innerhalb der Familie übermittelt, ist mindestens genauso groß - und vielleicht von größerer Bedeutung.

Auch die Auswahl des Vornamens sollte mit Sorgfalt geschehen. Ganz offensichtlich werden diesbezügliche elterliche Vorlieben und Abneigungen nicht ausschließlich vom Zufall bestimmt, sonst wären die erstaunlichen Ergebnisse von Namensanalysen anhand des Zahlensystems oder der Umsetzung von Namen in Runen wohl kaum zu erklären. Viele esoterische Traditionen gehen davon aus, daß wir nicht nur das Umfeld, in das wir hineingeboren werden, sondern auch unseren Vornamen bereits vor unserer Empfängnis wählen. Ich halte allerdings wenig davon, den Namen für ein noch ungeborenes Kind kunstvoll aus den scheinbar vielversprechendsten Runen- oder Zahlenkombinationen zu konstruieren - eher umgekehrt wird ein Schuh daraus. Jeder der uns zur Verfügung stehenden Namen hat einen tieferen, sich auf mehreren Ebenen darstellenden Bedeutungsgehalt, den wir unbewußt zu erspüren in der Lage sind. Darüber hinaus stehen wir mit dem ungeborenen Kind in. Kontakt und können daher aus unseren persönlichen Namensvorlieben schließen; welcher zu diesem Kind wirklich paßt bzw. zu ihm gehört. Deshalb finde ich es sinnvoller, diese Entscheidung erst aus dem Bauch heraus zu treffen und sich dann anhand oben genannter oder auch anderer Systeme anzuschauen, welche Bedeutung dem gewählten Namen innewohnen könnte - und selbst dann sollten Sie nie vergessen, daß es unendlich viele verschiedene Möglichkeiten gibt, ein und dasselbe Prinzip in der Realität

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umzusetzen.

Viele Frauen betrachten die Funktion des Vaters im Ritual der Namensgebung heute als veraltet, aber ich bin nicht ganz dieser Ansicht. Natürlich können Frauen ein Kind auch alleine zu einem ausgeglichenen, verantwortungsbewußten und sozial fähigen Menschen erziehen, aber warum sollten sie? Gerade nach der langen Zeit der Schwangerschaft, in welcher der Vater naturgemäß weitaus weniger Möglichkeiten hat, eine Beziehung zu seinem Kind herzustellen, als dies bei der Mutter der Fall ist, zeigt die förmlich besitzergreifende Freude eines Mannes beim Anblick des Neugeborenen auch jene Verpflichtung an, die ihm von nun an zufällt: dieses Kind sowie seine Mutter zu schützen und die bestmögliche Umgebung für die junge Familie und die Erfüllung der. anstehenden Aufgaben bereitzustellen. Nichts anderes hat die Mutter während der Schwangerschaft getan, wenn auch nicht mittels ihrer Hände Arbeit, sondern über ihren Bauch. Ich finde es nur fair, daß jetzt der Vater an der Reihe ist. Das ist nicht nur seine Pflicht, sondern meines Empfindens auch sein Recht als Elternteil.

Auch ich weiß, daß es Situationen gibt, in denen ein Bild wie das hier gezeichnete nur eine naive Schönmalerei darstellt und will dies auch gar nicht leugnen; nicht umsonst habe ich eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten erwähnt. Mir ist bewußt, daß Prinzipien oder Richtlinien immer menschenferne Ideale sind, denen man sich nur so weit und zugleich so sinnvoll wie möglich annähern kann; in diesem Sinne bitte ich auch den kleinen Vorschlag zum Ritual der Namensgebung zu verstehen, der nun folgt. Ich habe Sie bereits zu Beginn dieses Teiles des Buches gebeten, meine rituellen Anregungen nicht sklavisch zu übernehmen, sondern so umzuarbeiten, daß sie in Ihrem Leben funktionieren können; dies gilt für die sehr persönlich bestimmten Rituale dieses Kapitels um so mehr.

Die klassischen Elemente dieses Rituals bestehen in der Vergabe des Namens, der Begrüßung des Neugeborenen, seiner Vorstellung sowie seiner Eingliederung in die Gemeinschaft. Einige dieser Punkte können miteinander verbunden werden. Die Mutter nimmt den Säugling in die Arme, schaut ihn an und sagt in etwa: „ Ich begrüße dich aus vollem Herzen in dieser Familie und auf dieser Welt. Du sollst von. nun an Michaela heißen. Willkommen bei uns, Michaela!« Sie wendet sich den Gästen zu und sagt: „ Dies ist meine Tochter Michaela Bergmann!« Dann reicht sie das Kind an seinen Vater weiter, der Begrüßung, Benennung und Vorstellung wiederholt. Als nächstes wenden sich die Eltern gen Osten und stellen ihr Kind den Wesen der Luft vor: „ Ihr Wesen der Luft; dies ist unsere Tochter Michaela Bergmann. .Wir bitten euch, sie zu schützen und zu lehren, so daß ihr der Verstand immer ein gutes Werkzeug, aber nie ein strenger Herrscher sei:« Ähnlich wird bei den anderen Elementen verfahren, um nun die Ahnen anzuschließen: „ Unsere Familie hat sich ein weiteres Mal erweitert, und wieder ist eine Seele in diesen Kreis getreten. Bitte seid immer um Michaela, unsere Tochter, damit all das, was unsere Familie ausmacht und worauf wir stolz sind, auf ihre eigene Weise auch ein Teil von ihr werden kann. Lehrt sie gemeinsam mit uns, was wir wissen.« Dann folgt die Vorstellung vor dem Gott oder den Göttern, mit denen sich die Eltern verbunden fühlen: „ Dies ist unsere Tochter Michaela Bergmann. Wir bitten Euch, haltet Eure schützende Hand über sie und begleitet sie bei allen Aufgaben und Anforderungen, denen sie begegnen mag. Wir danken Euch für dieses wunderbare Geschenk, das Ihr uns durch sie gegeben habt!«

Nun schließt sich das Dankopfer an, und dann haben Sie allen Grund, ein ausgiebiges Fest zu feiern!

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Das Fest der ersten Blutung

Diesem im Leben jeder jungen Frau so unendlich wichtigen Ereignis wird heute fast keinerlei Bedeutung mehr beigemessen. Das wundert kaum, wenn man sich nur die Werbung für die entsprechenden Hygieneartikel ansieht: Offensichtlich betrachtet unsere Gesellschaft die weibliche Menstruation als eine Art strafbares Delikt - oder warum werde ich sonst ständig auf dem Fernsehschirm dazu angehalten, alles mir nur mögliche zu unternehmen, damit es bloß keiner merkt?

Betrachten Sie doch einmal die Situation so eines jungen Mädchens. Es ist vielleicht zwölf bis vierzehn Jahre alt und erlebt seit drei bis fünf Jahren eine stetige Veränderung seiner Körperformen, die eindeutig mit dem Erwachsenwerden in Verbindung stehen, was es aufregt und mit freudiger Erwartung erfüllt. Das Eintreten der Periode stellt nur ein deutliches und unleugbares Zeichen dar, daß sich dieser Prozeß körperlich dem Ende nähert und seelisch auf eine neue Ebene begibt. Die Medien wie auch die erwachsenen Menschen in der Umgebung des Mädchens haben verschiedenste Vorstellungen von der Art und Weise vermittelt, in der sich das Leben eines Erwachsenen in unserer Gesellschaft darstellt - einige dieser Bilder werden es erschrecken und andere dürften Sehnsüchte wecken, aber eines ist dem Mädchen auf jeden Fall klar: Was da vor sich geht, ist enorm wichtig, etwas ganz Großes. Eines Tages passiert es dann - und niemand nimmt es besonders zur Kenntnis! Es ist wirklich kein Wunder, daß junge Menschen genau in diesem Alter zum ersten Mal beginnen, die Welt der Erwachsenen in Frage zu stellen, denn offensichtlich hält sie nicht, was sie seit Jahren versprach.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch nochmals auf das Kapitel zum Thema „ Übergangsriten« im ersten Teil dieses Buches verweisen. Was bitte sollen denn junge Menschen von uns halten, wenn wir einerseits die Bedeutung des Erwachsenseins immer wieder so deutlich hervorheben, um dann andererseits jene wichtigen Momenten, die zusammen den Eintritt in diese Lebensphase markieren, einfach zu ignorieren? Ja, ist es nun etwas Besonderes oder nicht?

Allgemein betrachtet ist es das mit Sicherheit nicht. Jeder Mensch, der nicht bereits während der Kindheit stirbt, erlebt diesen Übergang, denn er gehört nun einmal zum Leben unserer Art dazu - und das unabhängig davon, wo auf diesem Planeten ein Mensch aufwächst. Diese generalisierende Blickweise ist aber gerade dem Halbwüchsigen nicht in ganzem Maße möglich, und selbst ein Erwachsener nimmt sich immer noch als das Zentrum seiner eigenen Welt wahr. Und in genau dieser eigenen Welt geschieht der Übergang in die Welt der Erwachsenen nur mir selbst und ist somit einmalig. Selbst bei unseren eigenen Kindern können wir diesen Vorgang nicht in, solcher Deutlichkeit wahrnehmen wie bei uns selbst, und deswegen ist er für jeden einzelnen Menschen sehr, sehr wichtig.

Wenn ein Mädchen zum ersten Mal zwischen Freude und Peinlichkeit schwankend mit der roten Unterhose in der Hand zu seiner Mutter, kommt, ist es nicht nur Zeit, Binden einkaufen .zu gehen, sondern auch, ein Fest zu feiern - das Fest der ersten Blutung.

Dies ist ein reines Frauenfest. Zwei erwachsene, .der Initiantin nahestehende Frauen baden das Mädchen und ziehen es an, während die anderen Gäste allesamt Frauen, ,die ihre erste Menstruation bereits hinter sich haben - im Festraum warten. Dies ist ein guter Zeitpunkt für die erste den Ausschnitt betonende Bluse oder einen etwas höheren Schuh. Auch ein wenig Parfum ist hier nicht fehl am Platze - aber bitte alles in Maßen. Schließlich wollen Sie Ihrem Kind nicht zeigen, wie es eine Lolita wird, sondern wie es seine eigene Mitte finden kann. Während dieses

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Vorganges erzählen die beiden Frauen von ihren Empfindungen zu jener Zeit, als sie selbst das erste Mal bluteten und teilen ein paar ihrer Tips zum Umgang mit der Menstruation mit. Die Stimmung ist fröhlich und herzlich.

Wenn das Mädchen vorbereitet ist, wird es in den Festraum gebracht. Bei seinem Eintreten erheben sich die Gäste, um die Initiantin zu, begrüßen ,und in ihren Reihen willkommen zu heißen, was gerne mit viel Hallo und Gelächter vonstatten gehen kann, denn die anderen zeigen dem Mädchen auf diese Weise, daß sie stolz darauf sind, Frauen zu sein; und daß sie ihre Körper mit Freude genießen. Jede hat ein kleines, aber bedeutungsvolles Geschenk für, die Initiantin; das in irgend einer Beziehung zu deren neuem Lebensabschnitt steht. Gemeinsam feiern sie miteinander und erzählen dem jungen Mädchen davon, wie sie ihre Weiblichkeit empfinden und was es für sie bedeutet, Frauen zu sein.

Wer möchte, kann es hierbei belassen; sie werden erstaunt sein, wieviel in einer Zeit, welche die Menstruation verdammt, bereits diese kleine Feier bewirkt - und dies nicht nur bei der im Mittelpunkt stehenden jungen Dame. Darüber hinaus haben Sie die Möglichkeit, einen klassischen Passageritus durchzuführen, wie er im ersten Teil des Buches beschrieben wird. Das sollten Sie allerdings von der Einstellung des Mädchens wie auch der anderen am Fest beteiligten Frauen abhängig machen. Erzwingen Sie kein Ritual, das nur Ihnen etwas bedeutet und alle anderen vielleicht eher verunsichert als unterstützt; in diesem Moment ist weitaus wichtiger, daß die Initiantin den Tag genießen kann und das Ereignis selbst in positiver Erinnerung behält.

Mannbarkeit

Der Versuch, ein derartiges Ritual für einen jungen Mann zu entwerfen, ist schwierig -und das nicht etwa, weil Männer keine Menstruation haben, sondern vielmehr weil unsere Gesellschaft diesen so wichtigen Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt bei männlichen Individuen noch mehr ignoriert als bei weiblichen. Die Blutung eines Mädchens kann man nicht übersehen, sie passiert nun einmal - Jungs bieten uns keinen solchen Anlaß zur zwingenden Kenntnisnahme der sich in ihnen vollziehenden Veränderung; weshalb sich die entsprechenden Bräuche meist verborgen und auf eine ungesunde, wenn nicht sogar immer wieder auch gefährliche Weise vollziehen. Junge Männer werden heute nicht mehr mit in den Wald genommen, um ihren ersten wilden Eber oder Bären zu erlegen; statt dessen suchen sie Ersatz, indem sie sich zusammenrotten, um ihre Kräfte sowie ihren Verstand mit modernen Vorbildern zu messen, die meist von der Kinoleinwand sowie aus dem Fernsehen stammen und eher zweifelhafter Qualität sind - was zu ebenso zweifelhaften Versuchen führt, sich den Fakt des eigenen Erwachsenseins selbst zu bestätigen.

Ich schlage vor, einen bestimmten Geburtstag als Zeichen für den Beginn dieses neuen Lebensabschnitts zu wählen und neben der üblichen Party auch eine Feier der ersten Blutung vergleichbares Fest zu veranstalten. Darauf sollte der angehende junge Mann bereits einige, Monate im voraus vorbereitet werden, indem man ihm von diesem Fest und seiner besonderen Bedeutung erzählt und ihn ermuntert, eigene diesbezügliche Ideen und Wünsche zu äußern, die bei der Gestaltung der eigentlichen Feier eventuell berücksichtigt werden können. Am besten entscheidet man den Zeitpunkt aufgrund des Reifegrades des Jungen; allerdings halte ich den vierzehnten oder fünfzehnten Geburtstag für die beiden letzten geeigneten Daten. Das erscheint Ihnen zu früh? Bitte bedenken Sie, mit welchen erwachsenen Anforderungen ein junger Mensch bereits in diesem Alter konfrontiert wird. Er verdient sich oft in Form von Nebenjobs bereits sein erstes eigenes Geld, hat die Aufgabe, auf jüngere oder schwächere Familienmitglieder zu achten, macht sich ernsthafte Gedanken über seine Berufswahl und - nicht zu vergessen - kann sich

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jeden Tag seiner ersten sexuellen Erfahrung mit einem Mädchen gegenübersehen. Also, ich finde, mit fünfzehn ist es allerhöchste Eisenbahn!

Die dem Fest vorausgehende rituelle Reinigung sollte nur dann im Badezimmer stattfinden, wenn es in der Umgebung des Initianten Männer gibt, deren Anwesenheit der Junge in einer solchen Situation als Ehre und nicht als Peinlichkeit empfinden kann. Hier kann durchaus die erste unter Anleitung geschehende Rasur stattfinden! Falls dies nicht gegeben ist, haben Sie die Möglichkeit, die Reinigung im Freien in Form eines Gespräches und einer Räucherung zu vollziehen. Danach sollte der junge Mann auf eine Weise gekleidet werden, die seinen neuen Status hervorhebt. Wenn er sich in Krawatte und Anzug nicht wohlfühlt, wählen Sie etwas anderes - immerhin soll er diesen Tag angenehm in Erinnerung behalten und sich bestenfalls bereits auf die nächste Gelegenheit freuen, zu der er sein neues Ensemble tragen kann. Vielleicht ist eine modische, sportlich-elegante oder niveauvoll-legere Kombination geeigneter. Es erhöht di e B edeutung des Festes für den Initianten durchaus, wenn er am Einkauf und der Auswahl der Kleidung beteiligt war.

Der angekleidete junge Mann betritt nun die Runde der ausschließlich männlichen Gäste, um von diesen in ihrer Mitte willkommen geheißen zu werden. Er erhält kleine Geschenke, die seinen neuen Status spiegeln, wie ein schönes Taschenmesser oder - warum nicht? - eine Packung Kondome. Die Männer haben nun im weiteren Verlauf des Festes die Aufgabe, den Initianten mit den Rechten und Pflichten, Freuden und kleinen Fallen des Mannseins vertraut zu machen; wenn es geht, so ehrlich wie möglich.

Für die Durchführung eines kompletten Passageritus gilt ähnliches wie schon beim Ritual der ersten Blutung erwähnt. Doch unabhängig davon, welche Form Sie diesem besonderen Fest geben und welchen Geschlechts der Initiant ist, möchte ich anregen, sehr sorgfältig mit den Themen Alkohol, Nikotin und Sex umzugehen. Hier ist es sehr wichtig zu verdeutlichen, daß diese Dinge zwar nur Erwachsenen vorbehalten sind, aber nicht ihre Benutzung oder Ausführung erwachsen macht, sondern die Art und Weise, wie man das tut. Damit beugen Sie unter Umständen schmerzhaften Erfahrungen. vor, die aus einem Mißverständnis heraus geboren sind. Aber vergessen Sie nie, daß Reden alleine nicht genügt; wenn Sie sich eine effektive Wirkung Ihrer Worte erhoffen, werden Sie das, was Sie Ihrem Sohn an diesem Tag erzählen wollen, auch selbst leben müssen.

Hochzeit

Dies ist einer der wenigen Übergangsmomente im menschlichen Leben, die von uns immer noch ausgiebig gewürdigt werden - ob auf angemessene Weise, ist eine andere Frage. Die Junggesellenparty am Vorabend der Trauung stellt einen Überrest des Initiationsaspektes dieses Festes dar; der Bräutigam verbringt seine Stunden ein letztes Mal in jenem Kreis, dessen Leben er ab morgen nicht mehr teilen wird. Hochzeitsbräuche hängen in großem Maße von der Religion ab, der Braut und Bräutigam angehören, weshalb ich hier nur einige Anregungen geben möchte, die in jedem spirituellen Umfeld umsetzbar sind.

Der Brauch, eine Begegnung der zukünftigen Eheleute am Trauungstag vor der Durchführung der eigentlichen Zeremonie zu verhindern, hat alte und weise Wurzeln. Die Ehe - ob nun in Form einer standesamtlichen Trauung oder einer nicht offiziell verzeichneten Partnerschaft - stellt die engste Verschmelzung des männlichen und weiblichen Prinzips dar, die wir Menschen erleben können und führt damit jede Frau auch zu ihren männlichen und jeden Mann zu seinen weiblichen Anteilen. Sie werden nie mehr so sein wie vorher. Dieser Aspekt kann unterstrichen werden, indem sich die Braut in den Stunden vor der Trauung in rein weiblicher und der

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Bräutigam in rein männlicher Gesellschaft befindet. Beide werden von ihren Begleitern bzw. Begleiterinnen, die Idealerweise alle Partnerschaftserfahrung oder sogar bereits Kinder haben sollten, gebadet, angekleidet und auf das Zeremoniell vorbereitet. Währenddessen teilen die Begleiter ihre Eheerfahrungen, Ideen, Ratschläge und auch Partnerschaftsanekdoten mit dein Brautpaar. Es herrscht eine überschwengliche, fröhliche und vielleicht sogar ein wenig mutwillige Stimmung vor - letzteres dient dazu, die Wichtigkeit des Ereignisses hervorzuheben und nicht etwa dazu, den Bräutigam im letzten Augenblick zum Rückzug zu veranlassen!

Überhaupt sollte das Brautpaar an diesem Tag so wenige Aufgaben wie möglich haben - verheiratet zu werden ist fordernd genug. Vielmehr wäre es gut, beide ständig mit wohlwollenden und partnerschaftserfahrenen Menschen zu umgeben, die sich der Aufregung und vielleicht auch den Ängsten des Paares auf vertrauensvolle Weise annehmen können, ohne diesen Ammenmärchen erzählen oder Schauergeschichten servieren zu müssen. Ja, es ist nicht leicht, eine Ehe am Leben zu erhalten; aber es ist auch schon unzähligen Menschen gelungen. Reden Sie darüber, was dafür von Bedeutung sein könnte, anstatt Unkenrufe zu verbreiten, und verteilen Sie alle anderen Aufgaben des Tages auf die Familien der Brautleute - dafür sind sie nämlich da. Es ist der Ehrentag des Brautpaares, das so ganz nebenbei heute auch ein schönes Stück Arbeit zu leisten hat - ich finde, wir Gäste sollten deshalb nicht erwarten, bedient zu werden, sondern unsererseits ein Fest für das Paar ausrichten. Wenn Sie eine solche Hochzeitsfeier einmal erlebt haben, werden Sie die auf eine so entstehende fröhliche und ausgelassene Gemeinsamkeit so schnell nicht wieder vergessen - ob Sie nun Gast oder Teil des Brautpaares waren.

Wie schon erwähnt, obliegt der zeremonielle Teil einem Würdenträger oder einer Würdenträgerin jener Religion, der das Brautpaar, angehört. In naturreligiösen Kreisen bindet man häufig die Handgelenke des Brautpaares mit einem Band, das die von ihnen nun einzugehende zwischenmenschliche Verbindung symbolisiert. In den nordisch orientierten Traditionen werden die Ringe oft auf dem Griff eines zeremoniellen Schwertes überreicht, was die Bedeutung des Eheschwurs verdeutlicht: Übrigens: Schauen Sie sich vor der Trauung genau an, was Sie da schwören werden - immerhin müssen Sie unter Umständen recht lange damit leben. Auch das christliche Eheversprechen ist nicht obligatorisch! Viele Menschen, die eine christliche Zeremonie wählen, wissen gar nicht, daß sie den Inhalt des Versprechens nicht widerspruchslos akzeptieren müssen, sondern gemeinsam mit ihrem Priester oder ihrer Pfarrerin eine geeignete Form erarbeiten können.

Ich finde es schön, wenn während oder nach der Zeremonie eine symbolische Handlung stattfindet, welche die Vereinigung nicht nur zweier Menschen; sondern auch der dazugehörigen Familien darstellt. Zu Beginn des Hochzeitsschmauses reicht die Braut dem Bräutigam einen kleinen Laib Brot, während sie von ihm ein mit Salz gefülltes Gefäß erhält. Dann teilen beide miteinander Brot sowie Salz und symbolisieren auf diese Weise die Vereinigung zweier Sippen. Mit derselben Handlung geben sie ihrer Ehe auch einen »stabilen Boden«.

Selbst, wenn das Paar bereits vor der Eheschließung schon miteinander geschlafen hat, ist die Hochzeitsnacht immer noch von Bedeutung. Die beiden sind heute eine Verbindung eingegangen, die über ein bloßes Miteinanderleben oder eine flüchtige Beziehung hinausgeht; der sexuelle Akt zementiert diese Verbindung und kann zu einem ihrer stärksten Werkzeuge, aber auch dem Barometer der gerade in der Eiziehung vorherrschenden Stimmung werden. Deshalb verdient der Rückzug des Brautpaares schon etwas Aufmerksamkeit - auch wenn diese heute nicht mehr darin bestehen muß, es bis ins Bett zu begleiten. Immerhin interessiert es niemanden mehr, ob die Ehe »ordnungsgemäß vollzogen« und die Braut noch Jungfrau war oder nicht.

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Darüber hinaus symbolisiert dieser Moment alle ehelichen Aspekte der Fruchtbarkeit, und die sind immer noch von Bedeutung. In dieser Nacht wünschen sich alle Brautpaare, daß sich ihre Verbindung fruchtbar, also positiv entwickeln möge, was vom Erwerb eines gewissen Lebensstandards über die Ausführung gemeinsamer Projekte bis hin zur Zeugung und Erziehung von Kindern reicht. Deshalb kann es eine schöne Geste sein, dem Paar an dieser Stelle ein Fruchtbarkeitssymbol zu überreichen, das es von der Feier mitnimmt; vielleicht ist dies ein Kranz aus roten Blüten, Kelch und Dolch oder auch ein Korb roter Eier, die das Brautpaar in den nächsten Tagen zum Frühstück genießen kann. Einen ähnlichen Brauch stellt übrigens der Ursprung des berühmten »Honeymoons« dar - als »Honigmond« (Mond = Monat) bezeichnet der englische Sprachraum die Flitterwochen. In vorchristlichen Kulturen wurde für die Hochzeit ein ganz besonders guter Met (Honigwein) gebraut, von dem man genug zurückbehielt, daß Braut und Bräutigam noch einen Monat nach der Trauung jeden Tag davon trinken konnten. Auch dies segnete ihre Fruchtbarkeit.

Die Morgengabe stellte ursprünglich ein Geschenk des Bräutigams an die Braut dar, das sich von der Mund abheben sollte. Mit der Mund bzw. der Dos zahlte der Bräutigam für die Übernahme der Vormundschaft über seine künftige Ehefrau an deren bisherigen Vormund, ihren Vater. Die am Morgen nach der Hochzeit überreichte Morgengabe jedoch stellte ein Geschenk für die junge Ehefrau dar, das von der Liebe und Achtung sprach, die der frischgebackene Ehemann ihr gegenüber empfand. Heute drückt sich ein ähnlicher Zusammenhang in den Hochzeitsgeschenken aus, die, sich die Eheleute gegenseitig machen.

Trennung

Es nützt nichts, drum herum zu reden - Ehen bzw. Beziehungen können auch anders als mit dem Tod eines der Partner enden. Da die christliche Kirche eine Eheauflösung nicht akzeptiert und das Standesamt keine Rituale durchführt, erfährt so manche Beziehung, die auf spirituelle Weise und mit rituellen Werkzeugen geschlossen wurde, lediglich eine formale Beendigung. Kein Wunder, daß sich die nachehelichen Begegnungen so mancher ehemaliger Lebenspartner als äußerst schwierig erweisen. Wenn man schon etwas beenden will, sollte man es auch richtig tun.

Die korrekte Durchführung eines solchen Trennungsrituals hängt nun im wesentlichen von der Form der Hochzeitszeremonie ab, die hier eine Umkehrung erfährt. Die dort eingegangenen Bindungen sollten hier sorgfältig wieder aufgehoben werden, soweit dies erwünscht ist. Gerade das Eheversprechen beinhaltet oft verschiedene Aspekte des gemeinsamen Lebens, welche die beteiligten Partner unter Umständen nur teilweise auflösen möchten. Wichtig ist jedoch, daß niemand mit einer Verpflichtung zurückbleibt, der er nicht mehr nachkommen will.

Machen Sie sich bitte keine Illusionen - es ist unmöglich, eine langjährige Beziehung ungeschehen zu machen, und je mehr diese Erkenntnis Teil Ihres Trennungsrituals ist, desto erfolgreicher wird es sein. Keiner der beiden Partner wäre heute, wer er ist, wenn er mit dem anderen nicht so viel Zeit verbracht hätte. Beide haben einander geprägt und verändert, auf welche Weise auch immer, und werden immer ein Teil voneinander sein. Dies zu akzeptieren verkürzt den Ablösungsprozeß erheblich; dagegen anzukämpfen verlängert ihn nur. Es ist auch gar nicht so schlimm wie es klingt, denn oftmals hilft uns genau das, was wir vom anderen gelernt haben nun, unser Leben auf konstruktivere Weise zu meistern - auch und gerade dann, wenn dies ironischerweise ausgerechnet mit der Entscheidung beginnt, diese Beziehung zu beenden. Sie werden auf jeden Fall erfahrener und weiser daraus hervorgehen, was Sie nicht zuletzt jenen gemeinsamen Erlebnissen verdanken, aufgrund derer Sie nun vielleicht die Trennung einleiten. Das nun folgende Trennungsritual stellt einen Vorschlag dar, der sich

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anhand des naturreligiösen Hochzeitszeremoniells orientiert; arbeiten Sie ihn bei Bedarf bitte entsprechend Ihrer eigenen Vorgaben um.

Nehmen Sie einen Stechpalmen- und einen Efeuzweig, die Sie mittels eines Bandes miteinander verbinden. Auf diese Weise symbolisieren Sie die glückliche Beziehung, die Sie und Ihr Partner im Moment der Hochzeit zu erreichen versuchten. Gehen Sie nun gemeinsam mit Ihren Trauzeugen oder zwei anderen zur Verfügung stehenden Menschen Ihres Vertrauens zu einem Baum, der über Trennung Bescheid weiß; aufgrund seiner Verbindung zu Liebe wie auch dem Tod und der Wiedergeburt eignet sich der Apfelbaum ganz hervorragend, aber auch Eibe oder Holunder könnten angemessen sein. Stellen Sie sich nebeneinander, damit einer der Anwesenden Ihre einander zugewandten Hände mit einem Seil oder Band zusammenbinden kann. Begrüßen Sie nun den Baum und rufen Sie all jene, die einst immaterielle Zeugen Ihrer Hochzeit waren Elementarwesen, Ahnen, bestimmte Gottheiten. Erklären Sie Ihr Anliegen den versammelten menschlichen wie auch nichtmenschlichen Wesenheiten, und teilen Sie den Inhalt des Kelches miteinander.

Bitten Sie die Gottheit oder Gottheiten nun um das, was Sie für eine erfolgreiche Trennung benötigen. Darüber sollten Sie sich vor Beginn des Rituals ein paar Gedanken machen. Weisheit ist zwar immer gut, aber wo genau neigen Sie dazu, wenig weise zu handeln? Vor welchen Aspekten der Trennung fürchten Sie sich, und was wünschen Sie sich als diesbezügliche Unterstützung? Vergeuden Sie Ihre Kraft nicht damit, Ihrem Partner Vorwürfe zu machen - was immer während der Zeit Ihres Zusammenlebens geschehen ist, haben Sie genauso zu verantworten wie er, und wenn es nur deshalb so ist, weil Sie die Ereignisse aufgrund Ihrer Anwesenheit zugelassen haben. Dies ist nicht der Zeitpunkt, um schmutzige Wäsche zu waschen oder verbale Messerstiche zu verteilen. Warum auch? Sie beide haben getan, was Ihnen möglich war, um diese Beziehung zu erfüllen - und genau das ist Ihnen auch gelungen. Gerade jetzt hat sich Ihre Partnerschaft erfüllt und findet somit genau wie ein Versprechen ihr Ende. Das war es, wofür Sie beide zusammenkamen; Sie haben Ihre Aufgaben aneinander erledigt.

Wenden Sie sich nun einander zu und entlassen Sie den Partner aus seinem Eheversprechen, soweit dies erwünscht ist. Nennen Sie die Punkte im einzelnen, und heben Sie auch jeden einzeln auf. Durchschneiden Sie dann gemeinsam das Band um Ihre Hände, um dasselbe mit jenem zu tun, das Stechpalmen und Efeuzweig zusammenhält. Dann nimmt der Mann den weiblichen Efeu und die Frau den männlichen Stechpalmenzweig. Nun erklären Sie Ihre Ehe bzw. Partnerschaft für beendet.

Bitten Sie die versammelten nichtmenschlichen bzw. nicht verkörperten Wesenheiten nacheinander um das, was Sie dem Partner auf jenen Weg, den er von nun an ohne Sie weitergehen wird, mitgeben möchten und achten Sie auch hier darauf, nicht in Schlammschlachten auszuarten. Dies ist nicht die letzte Möglichkeit, dem anderen noch einmal deutlich seine Unzulänglichkeiten vor die Nase zu halten, sondern Ihre größte Chance, endlich Frieden untereinander zu schaffen! Wenden Sie sich daraufhin dem Partner zu und überreichen Sie ihm den Zweig in Ihrer Hand mit einem Lebewohl, das so weit nur irgend möglich von Herzen kommen sollte. Möge es Dir gut gehen, wenn Du mich nun verläßt, wie auch ich Dich zurücklassen werde.

Trennen Sie innerhalb dieses Rituals nicht die Familien voneinander, denn jeder der hiervon betroffenen Menschen hat das Recht, selbst zu entscheiden, welche der im Laufe Ihrer Ehe begonnenen Beziehungen zu Mitgliedern der anderen Familienseite er aufrechterhalten will und welche nicht. Führen Sie nun das Opfer aus, und begeben Sie sich dann getrennt vom Ort.

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Lassen Sie es ruhig zu, von diesem Ritual innerlich bewegt zu werden, und verleihen Sie Ihren Gefühlen Ausdruck, denn das leitet den Heilungsprozeß ein. Selbst wenn die Entscheidung zur Trennung eine unbefriedigende Situation beendet und zu einer erfüllenderen führt, bleibt immer noch der schmerzvolle Abschied von jenen Träumen und Zielen zu bewältigen, die Sie zum Zeitpunkt der Hochzeit miteinander teilten. Eine Phase Ihres Lebens stirbt heute damit eine neue beginnen kann. Gestatten Sie sich, um das zu trauern, was vergangen ist - aber auch, danach mit freudiger Erwartung auf die anstehenden Veränderungen zu blicken.

Die zweite Wandlung

Die erste große körperliche wie auch seelische Wandlung im Leben eines Menschen stellt die Pubertät dar; die zweite vollzieht sich im Alter von etwa fünfundvierzig bis fünfundfünfzig Jahren. Auch dies ist eines jener Feste, die mittlerweile nicht nur in Vergessenheit geraten sind, sondern sogar peinlichst gemieden werden: Was gibt es denn am Fakt des Älterwerdens auch zu feiern?

Jede Menge. Diese Phase ist bei Frauen als »Wechseljahre« bekannt; Männer glauben oft; es gäbe sie in ihrem Leben nicht, da sie nicht mehr lernen, die Zeichen zu erkennen: Ähnlich wie bei der ersten Blutung vollzieht sich das Geschehen auch hier in jedem Menschen, und mit einer Frau passiert nun weitaus mehr als nur das Verschwinden der Menstruation. Die zweite Wandlung organisiert den Menschen noch gründlicher um, als dies beim ersten Mal der Fall war, und die Auswirkungen dieser Umstrukturierung erstrecken sich bis weit in unsere feinstofflichen Körper hinein.

Als Frau kann ich naturgemäß mehr zur weiblichen Seite dieses Prozesses sagen - es ist Aufgabe der Männer, ihre Mysterien wiederzuentdecken und zu entscheiden; ob sie uns davon erzählen möchten oder nicht. Einige Anregungen bezüglich der Richtung, in die es zu schauen gilt, kann ich jedoch auch für Männer liefern, da sie bei beiden Geschlechtern in dieser Form ablaufen. Ab der Mitte des Lebens beginnt ein Prozeß der stetigen Zuwendung zu und Aktivierung von andersgeschlechtlichen Anteilen in uns; Frauen erhalten die Möglichkeit, sich mit ihrem männlichen Part und Männer, sich mit dem weiblichen Part in sich auseinanderzusetzen und diesen auf konstruktive Weise zu nutzen. Geschieht dies nicht, werden viele Frauen hart . und verbittert; während solche Männer .im Alter eine beinahe weibische Weichheit und Schlaffheit entwickeln - solche .uns allseits .bekannten Beispiele weisen auf Extremfälle hin, in denen dieser Prozeß ausschließlich angstvoll blockiert und nicht einmal unbewußt gefördert wurde, wie es bei vielen Personen in ,der zweiten Lebenshälfte der Fall ist. In entwickelter Form bedeutet dieses Potential jedoch einen enormen Reichtum. Eine Frau, die ihre männlichen Anteile nun, da sich ihre Weiblichkeit nicht mehr primär über, die Funktion der Arterhaltung definiert, willkommen heißt und erforscht, kann zu einer Bestimmtheit, Entschiedenheit und Schaffenskraft finden, die wie ein Fels selbst ist. Ihre Selbstdefinition wird gefestigt, und sie bereitet sich darauf vor, von der Lebensspenderin zur Schnitterin zu werden, was eine enorm befriedigende Aufgabe sein kann. Jetzt, wo das Bewahren, Hüten und Beschützen nicht mehr in ihr Ressort fällt, wird sie frei dafür, in ihr Leben sowie ihre Umwelt auf eine strukturierende und beendende Weise einzugreifen. Sie wird zur Alten Göttin, zu jener Norne, die den gesponnenen und gewebten Faden abschneidet. Sie entfernt, was überflüssig geworden ist oder seine Funktion anderweitig erfüllt hat. Diese Frau erträgt Mißstände nicht mehr geduldig und ausdauernd, bis die Zeiten besser werden, sondern beendet sie auf bestimmte, resolute und dennoch unendlich liebevolle Weise, die ihr aus ihrer Lebenserfahrung und dem daraus erwachsenen Verständnis entsteht. Ihre Macht ist enorm, weshalb man sie in unserer Gesellschaft idiotischerweise fürchtet, anstatt ihr Wissen sowie ihre Fähigkeiten zu nutzen:

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Auch Männer durchlaufen diesen Prozeß der Annäherung an ihre weiblichen Anteile, was ihnen die Chance gibt, echte Führungsqualitäten zu entwickeln. Kraft und Durchsetzungsvermögen bringen einen vielleicht an die Spitze, reichen aber nicht aus, um dort auch zu bleiben, denn diese Eigenschaften sind jugendlicher Natur: Wer immer gerade aus einer niedrigeren Position heraus an Ihrem Stuhl sägt, hat sie auch - Sie werden sich schon etwas mehr einfallen lassen müssen; etwas, das nur Sie haben, weil Sie eben doch ein paar Jährchen älter sind. Die Hinwendung zu seinen weiblichen Anteilen ermöglicht einem Mann nun eine Form des hingebenden und einlassenden Verständnisses, die für jüngere Menschen meist noch nicht erreichbar ist und Hintergründe sowie Zusammenhänge aufzeigen kann, an die andere nicht einmal gedacht haben. Der Mann in der zweiten Lebenshälfte muß seine Nachkommen nicht mehr verteidigen und kann daher das Platzhirschverhalten aufgeben, um es durch ein mitfühlendes Verstehen der ihn umgebenden sozialen Gruppen oder Gemeinschaften zu ersetzen. ;Dadurch wächst sein Wissen wie auch, seine Intuition enorm, und er erhält das,, was man natürliche Autorität nennt.

Ich weiß nicht genau; wie sich dieser Vorgang auf die feinstofflichen Systeme des Mannes auswirkt, aber bei Frauen kann ich Genaueres sagen: Wenn die Gebärmutter sowie die Eierstöcke einer Frau die Arbeit einstellen, werden sie keineswegs überflüssig; weshalb ich entschieden gegen sogenannte »vorbeugende« Gebärmutterentfernungen bin. Jedes materielle Organ; hat einen ätherischen Gegenpart, und während der Wechseljahre durchlaufen die ätherischen Reproduktionsorgane der Frau eine erstaunliche Veränderung. Sie beginnen plötzlich, ein großes Maß an Energie aufzunehmen sowie auch abzugeben und strukturieren sich auf diese Weise völlig neu,, was sich dann in Form von Entzündungen im Unterbauch und Hitzewallungen äußert. Für mein inneres Auge fühlt sich die feinstoffliche Gebärmutter einer Frau in diesem Alter oft wie ein Hochofen an, eine Schmiede in höchster Aktivität. Was bisher ein Organ der Erschaffung von Materie war, wird nun zu einem Tor, das für kreative Energien geistiger Natur durchlässig ist. Die materielle Gebärmutter wiederum ist jene Pforte, durch die diese Energien in unseren Körper und damit unser Leben eintreten. Ich habe es meiner Mutter gegenüber einmal mit einem Miniaturkraftwerk verglichen, das komprimierte Energien von enormem Ausmaß in ihren nichtmateriellen wie auch in ihren materiellen Körper leitet. Eine Frau, die nicht mehr gebären kann, hat völlig andere Aufgaben. Sie selbst, ihr ganzes Wesen; wird zum Tor zu anderen Welten - was sie von dort hier herein bringt, hängt allerdings vom Grad der Klarheit dieses Tors ab. Je intensiver sie sich dem Transformationsprozeß zuwenden kann, desto reiner und offener wird es sein.

Auf diesem Wege stellt eine Veränderung der eigenen inneren Einstellung zum Thema Wechseljahre einen wesentlichen Schritt dar. Frauen haben in unserer Gesellschaft oft das Gefühl, mit dem Erreichen der Menopause alt und überflüssig zu werden, weshalb sie eine Auseinandersetzung mit dem in ihnen stattfindenden Transformationsvorgang vermeiden. Sie versuchen, nur nicht hinzusehen und die erkennbaren Zeichen dieses Lebensstadiums mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verdecken. Unter dieser Decke jedoch vollzieht sich der Prozeß unbeobachtet und ungerührt weiter, um auf diese Weise eine Form anzunehmen, die wir zu Recht fürchten. Dies ist aber nicht der normale Alterungsprozeß, sondern das, wozu wir ihn verzerren. An einem straffen Körper muß nur jener Mensch festhalten, der nichts anderes hat oder zu haben glaubt.

Bitte verzeihen Sie meine Ausdrucksweise, aber es ist eine verdammte Ehre, dieses Ritual durchlaufen zu dürfen. In seiner bzw. ihrer Familie ist jeder Mann ein Priester und jede Frau eine Priesterin; dieses Fest erhebt sie zum Hohepriester und zur Hohepriesterin. Wer beinahe oder sogar mehr als ein halbes Jahrhundert in diesem Leben verbracht hat, ist so manchem »jungen Spund« nun einmal um Welten voraus, und daran ändern auch die verzweifelten Versuche der in

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der Werbeindustrie tätigen Grünschnäbel, dies zu verschleiern, herzlich wenig. Deshalb ist der Beginn der zweiten Wandlung ein Grund zum Feiern und auch dafür, dem betreffenden Menschen Achtung zu bezeugen.

Einige vertraute Begleiter, die diesen Übergang bereits hinter sich haben, führen den Initianten durch den Reinigungsprozeß, der buchstäblich in der Badewanne oder auch auf symbolische Weise im Freien stattfinden kann. Dabei teilen die Anwesenden ihre Erfahrungen mit diesem Prozeß, informieren den Initianten bezüglich seiner oder ihrer neuen Funktionen innerhalb der Gemeinschaft und vermitteln dafür notwendiges Wissen. Danach suchen sie eine Weide, Eibe, einen Holunder oder einen anderen geeigneten Baum auf, dem die Hauptperson auf die von ihr erwünschte Weise ihre Jugend sowie Mutter- oder Vaterschaft übergibt. Nun übertragen die Begleiter dem Initianten seine neuen Aufgaben. Die Elternschaft für einzelne Individuen z.B. transformiert sich in dieselbe Funktion für jene Familie und soziale Gemeinschaft, welcher der Initiant angehört; überlegen Sie vorher gut, welche Aspekte dies noch betreffen könnte. Schließlich erklären die Begleiter den Initianten offiziell zum bzw. zur Alten, und das ist verflixt noch mal ein Ehrentitel! Haben Sie den Mut, diesen Begriff in einem anderem als dem üblichen Zusammenhang zu verwenden, denn nur dann wird sich seine Besetzung mit der Zeit auch über Ihren Kreis hinaus verändern, und nur dann sind wir gezwungen, uns mit seinen Inhalten auseinanderzusetzen. Ja, diese Person wird alt, was neben der erblühenden Macht, Weisheit und Intuition auch körperlichen Verfall sowie den absehbaren Tod bedeutet, doch wir können das eine nur haben, wenn wir auch dem anderen mutig ins Auge sehen. Wer sich dem Lauf der Natur öffnet, wird innerhalb dieses Vorgangs eine Unterstützung finden, deren Ausmaß er zuvor nicht einmal zu ahnen imstande war; doch wer sich ihm widersetzt, steht diesen sich auf jeden Fall vollziehenden Ereignissen kraftlos und verzweifelt gegenüber, ohne deren positive Effekte genießen zu können. Deshalb verabschiedet sich der Initiant hier von seiner Jugend - damit er die Gelegenheit erhält, zu betrauern, was einmal war und nun nicht mehr ist. Erst dann ist er in der Verfassung, die Geschenke sehen und empfangen zu können, die seine neue Lebensphase für ihn bereit hält.

Wenn dieser Teil des Rituals beendet ist, begeben sich Initiant und Begleiter zu den Gästen, die sich in zwei Altersgruppen aufgeteilt haben. Auch dieses Fest ist nur jenen vorbehalten, die das Geschlecht des Initianten bzw. der Initiantin teilen. Wenn es sich um eine Frau handelt, geht diese nun zur Gruppe ihrer jungen Geschlechtsgenossinnen, die sich von ihr verabschieden, ihr alles Gute wünschen und kleine Geschenke überreichen. Danach geleiten sie die Initiantin in Form eines Triumphzuges vor die Gruppe der älteren Frauen, deren Sprecherin sich an die beiden Begleiterinnen wendet, welche die Initiantin durch den Reinigungsteil des Rituals geführt haben und fragt, ob dies ordnungsgemäß geschehen sei: »Hat diese Frau Jugend und die Schönheit des Leibes, die Mutterschaft für wenige sowie die Schöpferkraft ihres Bauches an der Weide zurückgelassen und dort ihre neue Macht empfangen?« Formulieren Sie es selbst auf passende Weise, wenn es so weit ist. Die Begleiterinnen bejahen, und die älteren Frauen öffnen den Kreis, um die Initiantin in ihrer Mitte herzlich willkommen zu heißen. Auch hier können kleinere Geschenke übergeben werden. Dann beginnt die gemeinsame Feier.

Tod

Sterberituale erfüllen zwei verschiedene Zwecke: Sie sollen dem Sterbenden den Übergang in die andere Welt und den Trauernden das Zurückbleiben erleichtern. Ich fürchte, das könnte Ihren Sinn für Pietät etwas schockieren, aber naturreligiöse Begräbnisse sehen alles andere als still und getragen aus! Aber wenden wir uns zunächst dem Todesmoment zu. Kein Mensch sollte hier allein sein müssen, schon gar nicht, wenn er sich in einem Krankenhaus befindet, dessen Schwingungen des Leids und Schmerzes diesen Übergang erheblich erschweren können - und

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dagegen kann auch die Säuglingsstation zwei Häuser weiter nicht viel ausrichten. Wenn Sie diesen Gedanken mal eben umkehren, wird Ihnen klar, was ein Neugeborenes als erstes überflutet, nachdem es den Weg aus dem Bauch der Mutter geschafft hat ... kein Wunder; daß die Säuglinge sofort zu schreien beginnen. Ich würde es auch tun!

Die vordringlichste Aufgabe des Begleiters besteht also zunächst darin, für den Sterbenden einen sicheren Raum zu schaffen, was mittels eines stabilen Schutzkreises geschehen kann: Es ist Ihnen nicht möglich, darin nach dem Tod aus Versehen die Seele eines Menschen zu fangen, aber irritieren könnte ihn dies unter Umständen schon, weshalb Sie den Kreis in Ihrer Vorstellung als für die Seele des Sterbenden durchlässig gestalten sollten. Bitten Sie die Ahnen des vor Ihnen liegenden Menschen her und rufen Sie jene Wesenheiten an, die Sie für geeignet halten. Bitten Sie auch um eine leichte Ablösung und Führung der Seele in die andere Welt.

Falls der Sterbende bei Bewußtsein ist, gehen Sie auf seine Gedanken, Fragen oder Ängste ein, und erklären Sie ihm, daß, er weder auf dieser noch auf der anderen Seite alleine ist, sondern hier wie dort von liebenden Wesen umfangen wird. Machen Sie deutlich, in den Geschehnissen nicht ein Ende, sondern nur einen weiteren Übergang zu sehen - wenn auch einen, auf dessen andere Seite Sie den Sterbenden dieses Mal nicht begleiten können. Meiner Erfahrung nach ist die Umgebung, in die wir unmittelbar nach dem Tod eintreten, sehr formbar und reagiert direkt auf unsere eigenen Gefühle und inneren Befindlichkeiten, was jeder Sterbende unbewußt weiß. Deshalb fürchtet er, unausgeglichen hinüber zu treten, was ihn mit unangenehmen Bildern oder Erlebnissen konfrontieren könnte. Es ist jedoch genau diese Furcht vor dem Unangenehmen, die es erst hervorruft; somit besteht die wichtigste Aufgabe des Begleiters; dem Sterbenden dabei zu helfen, gerade emotional so weit wie möglich zur Ruhe zu kommen. Das wiederum geht nur dann, wenn er zuvor die Gelegenheit hatte, Angst, Trauer oder Schmerz fließen zu lassen. Wenn genug Zeit dafür ist, macht es mehr Sinn, den Sterbenden weinen zu lassen, bevor man ihn beruhigt, denn eine bloße Unterdrückung der Gefühle mag zwar in dieser Welt einen Anschein von Ruhe schaffen, der in der anderen jedoch sofort enttarnt wird.

Im Endeffekt hängt es vom Sterbenden selbst ab, wie weit er diesen Prozeß vor dem Augenblick des Todes umsetzen kann. Es ist nicht Ihre Aufgabe, ihm völligen Frieden zu bringen, sondern ihn dabei zu unterstützen, das ihm Bestmögliche zu erreichen. Was dann noch verbleibt, sind Einstellungen und Gefühle, denen er sich auf der anderen Seite auf jeden Fall stellen muß, weil darin seine nächste Aufgabe bestehen wird - ganz gleich, wie viel Sie bereits getan haben. Seine eigene Arbeit können Sie ihm nicht abnehmen.

Dasselbe ist auch dann möglich, wenn der Sterbende nicht bei Bewußtsein ist. Halten Sie seine oder ihre Hand und erzählen Sie einfach von der Welt auf der anderen Seite, während Sie Ihre Liebe und Ihren Trost wie einen goldenen Strom in den bewegungslosen Körper fließen lassen. Ich weh, daß sterbende Menschen diese Worte wie auch Gefühle empfangen und begreifen können.

Wenn das Herz des Sterbenden stehen geblieben ist und seine Brust sich nicht mehr hebt, stehen Sie auf und lassen ebenso bewußt die Hand wie damit auch die Seele des Menschen los. Sprechen Sie weiterhin mit der sich noch in Ihrer Nähe befindlichen Seele, gehen Sie zum Fenster, und öffnen Sie es weit. Dann öffnen Sie den Kreis, verabschieden sich und senden den Verstorbenen mit all der Macht Ihrer ganzen Liebe und Wärme, aber auch Ihrer Bestimmtheit und Entschlossenheit auf seinen neuen Weg.

Damit haben Sie der ersten Hälfte Ihrer Aufgabe entsprochen; nun gilt es, jene zu trösten, die zurückgeblieben sind. Das christliche Begräbnisritual bietet eine Menge diesbezüglicher

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Ansätze, und Sie sollten mit dem ausführenden Pfarrer oder Priester in allen Einzelheiten über die Bedürfnisse der Hinterbliebenen sprechen, um ihm zu ermöglichen, diesen weitestgehend zu entsprechen. Darüber hinaus haben Sie im Rahmen eines solchen Begräbnisses wenig weiteren Spielraum.

Ein entsprechendes naturreligiöses Zeremoniell hat einen etwas anderen Charakter. Dort werden z.B. gerne musikalische Elemente eingesetzt, welche die Seele in die Anderswelt führen und begleiten sollen. Auch wir übergeben unsere Toten der Mutter Erde sowie unseren Göttern und kümmern uns dann meist ausgiebig um die Lebenden. Der einem naturreligiösen Begräbnis folgende Leichenschmaus besteht hauptsächlich aus schweren und erdenden Speisen sowie Getränken; die in großer Menge angeboten werden. In der Tat feiern wir nun das Leben des Verstorbenen als ein besonderes Ereignis, das eine Würdigung verdient. Wir bereiten neben dem Ahnenteller ein zweites Gedeck für jene Person, die nun auch zu den Ahnen gehört und genießen gemeinsam alles, was die Tafel bietet; während wir uns gegenseitig von unseren Erlebnissen mit. dem Verstorbenen erzählen und ihn noch einmal hoch»leben« lassen. Wir bedanken uns für alles, was wir vom Toten erhalten haben, was er uns lehrte oder erfahren ließ, und lassen unseren Gefühlen freien Lauf - sei es nun ein hemmungsloses Gelächter, angesichts einer besonders lustigen Erzählung aus dem Leben des Verstorbenen oder die gleich darauf fließenden Tränen, wenn wir begreifen, daß wir eine solch komische Situation in diesem Leben mit dieser Person nicht mehr teilen werden. Wir sind alle beisammen, stützen und trösten uns gegenseitig und vermitteln einander neue Kraft. Solche Feste sind in höchstem Maße anstrengend und laufen ständig Gefahr, aus dem Gleichgewicht zu geraten, weshalb ich dazu rate, sie nur mit einem ausgebildeten Priester durchzuführen. Dieser kann die Energie des Festes beobachten und weiß auch, wie er sie notfalls auszugleichen hat.

Es ist aber auch möglich, eine vereinfachte Version zu versuchen, was sich vor allem im Anschluß an ein christliches Begräbnis eignet. Wer möchte, trifft sich danach bei einem der Gäste, um in einer kleineren, dafür miteinander vertrauten Gruppe Erinnerungen auszutauschen und das erste Fest zu feiern, zu dem sich der Verstorbene auf der Seite der Ahnen befindet. Lassen Sie auch positive Gefühle zu, denn gerade diese ermöglichen es uns, zu erkennen, daß erstens das Leben sehr wohl weitergeht und wir zweitens die nötige Kraft haben, es auch nach diesem Verlust wieder mit Freude zu genießen. Wer in Erinnerung an das Wesen des Toten fröhlich lacht, hat dessen Andenken nicht etwa pietätlos beschmutzt, sondern ehrt es aus tiefstem Herzen.

Initiation

Ein Leben auf der Schwelle

Der Begriff »Initiation« löst in uns gerne eine Art heiliger Ehrfurcht aus dabei ist unser gesamtes Leben ein Initiationsvorgang. Alle Übergangsmomente sind von dieser Art und bereiten uns auf die letzte Schwelle vor, die wir mit dem Tod überschreiten. An all dem ist also weder etwas Neues noch Ungewohntes; es erscheint uns nur so, weil wir den Begriff mittlerweile hauptsächlich mit der Weihe in ein religiöses Amt verbinden. In der Naturreligion werden religiöse und weltliche Ämter jedoch bei weitem nicht so rigoros voneinander getrennt, wie dies der Sprachgebrauch erscheinen lassen mag. Wie ich bereits erwähnte, ist im eigenen Haus jede Frau eine Priesterin und jeder Mann ein Priester, was schlichtweg bedeutet, daß alle religiösen Pflichten sowie Ausübungen hier auch von nicht initiierten Personen ausgeführt werden können, solange es ihre eigene Familie bzw. Gemeinschaft betrifft. Erst bei Aufgaben, die diesen Rahmen sprengen, ist eine speziellere Ausbildung mit dazugehöriger Weihe erforderlich - und einige Traditionen würden nicht einmal so weit gehen. Ich allerdings schon.

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Es gibt noch einen weiteren Grund für den fließenden Übergang vom Laien zum Priester oder zur Priesterin in naturreligiösen Traditionen. Viele einer solchen Tradition folgende Menschen betrachten die Mysterien als für jedermann zugänglich und glauben sogar, daß der Zweck jedes Menschenlebens darin besteht, diese Mysterien zu entdecken. Die Wahl unserer Lebensumstände, unseres Berufes oder unserer Gefährten dient letztendlich nur dazu, die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen, um bestimmte Aspekte des Heiligen zu erforschen. Es gibt ein Mysterium der Schmiede ebenso wie eines des Heilens, und deshalb ist einen Schmied weitaus geeigneter, die Mysterien von Feuer und Metall zu erforschen, als einen Priester. Erst im Austausch erhalten wir dann ein etwas vollständigeres Bild. Wer also eine Initiation anstrebt, frage sich als erstes: Worin möchte ich initiiert werden? Darüber hinaus bestätigt eine Initiation immer den Abschluß einer Phase und zeigt den Beginn einer neuen an. Wer sie durchläuft, muß also nicht nur wissen, wohin er gehen will; sondern auch, woher er kommt. Deshalb bedeutet jede Einweihung auch immer einen Akt der Selbstfindung.

Die Funktion einer Initiation besteht in der Auflösung des bisherigen Zustandes und der darauffolgenden Erstellung einer neuen Lebenssituation. Sie kann nicht rückgängig gemacht werden - ebensowenig, wie Sie mal eben wieder fünf Jahre alt werden können. Deshalb sollte man sich gutüberlegen, was man da tut: Darüber hinaus ist es Aufgabe einer guten Einweihungszeremonie, die Entwicklung des Initianten regelrecht zu »katalysieren«, und auf diese Weise bestimmte Vorgänge in Gang zu setzen, denen sich der Initiant im Zuge der neuen Phase zu stellen hat. Parallel dient das Ritual dazu, den Einzuweihenden von Dingen zu befreien, die ihn am Fortschreiten hindern und ihm andere zugänglich zu machen, die er auf seinem Weg benötigt. Sie sehen also, wer eine Initiation durchführen will, muß eine Menge wichtiger Aspekte sehen und entscheiden, weshalb er dies nur für einen ihm wohlbekannten Menschen tun sollte.

Es gibt niemanden, der Ihnen verbieten kann, sich zum naturreligiösen Priester oder einer solchen Priesterin initiieren zu lassen oder diese Weihe auch selbst durchzuführen. Es ist nicht meine Aufgabe, zu entscheiden, wer der Weihe würdig ist und wer nicht - das tun die Götter selbst und sonst niemand. Allerdings nehme ich mir persönlich durchaus das Recht heraus, zwischen guten und schlechten Priestern zu unterscheiden und zu meiner eigenen Sicherheit nicht mit einem schlechten zu arbeiten. Dasselbe gilt meiner Ansicht nach auch für Vertreter anderer Religionen. Priesterschaft ist eine Berufung wie jede andere Berufswahl im besten Falle auch; wer zwar die Grundlagen der Telekommunikation beherrscht, diesen Job aber haßt, wird nie ein einfallsreicher und somit guter Techniker sein, und ähnlich verhält es sich mit dem Priesteramt. Allerdings mit einem höchst wesentlichen Unterschied: Zum Techniker sind Sie nicht initiiert worden, haben keine diesbezüglichen Eide geschworen und keine zeremonielle Einweihung durchlaufen; wenn Ihnen dieser Beruf auf die Nerven geht, können Sie ihn jederzeit an den Nagel hängen und etwas Neues lernen. Eine rituelle Initiation jedoch können Sie niemals wieder völlig rückgängig machen, denn dieser Vorgang verändert Sie zu sehr - vielleicht nicht auf der Stelle, aber mit der Zeit doch merklich. Sie können nicht mehr werden, was Sie vorher waren und so tun, als ob alles nie geschehen sei. Und Sie können, ähnlich dem Eheversprechen, den Eid gegenüber den Göttern nicht mehr aufheben; nur Ihr Ehepartner oder in diesem Fall die Götter selbst können Sie daraus entlassen. Natürlich haben Sie immer die Möglichkeit, Ihrer Priesterschaft eine andere Form zu geben, doch der Geist des Eids will erfüllt werden, nicht sein Wortlaut. Noch ein Grund, sich gut zu überlegen; was man da tut.

Mittlerweile ist eine ganze Reihe von Büchern erschienen, in denen Initiationsrituale beschrieben werden. Die meisten dieser Rituale lassen sich ziemlich direkt auf die entsprechenden Formen der Zeremonialmagie oder jene der Wicca-Tradition zurückführen; ihre Durchführung dient

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mehr der formalen Anerkennung des Eintritts eines Initianten in die ihn einweihende .Gesellschaft als der Auslösung innerer Prozesse. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch auch ein noch so gut geschriebenes und noch so akkurat durchgeführtes Initiationsritual wird Ihnen in den seltensten Fällen das ganze Wissen des Universums bescheren oder Sie in einen erleuchteten Status versetzen; das ist auch gar nicht seine Aufgabe. Mit Sicherheit aber soll es Ihnen Bereiche Ihres Selbst eröffnen, die Sie vorher nur vom Hörensagen kannten, und das erreicht eines der genannten Rituale meiner Erfahrung nach so gut wie nie. Wenn es wirklich etwas bewegen soll, werden Sie es schön für jeden Initianten neu schreiben und diesen anpassen müssen.

In meiner Tradition sind funktionierende Einweihungen in den seltensten Fällen eine ruhige, würdige und getragene Angelegenheit. Sie konfrontieren den Initianten mit seinen Ängsten, und das sieht meist weder edel noch würdevoll aus. In einer solchen Situation kann viel schief gehen, weshalb ich unbedingt empfehle, sich nicht ohne die Unterstützung erfahrener Menschen hineinzubegeben, weil Sie sonst Gefahr laufen, Leib und Seele des Initianten zu beeinträchtigen (oder zumindest seinen wachen Verstand): Auch wenn der Grat zwischen Genie und Wahnsinn gerne in übertriebener Weise als äußerst schmal geschildert wird - es gibt einen Unterschied zwischen Erleuchtung und Psychose!

Das bedeutet jetzt nicht, daß Sie Ihr eventuelles Bedürfnis, sieh in den Dienst eines oder mehrerer Götter zu stellen, vergessen können. Lassen Sie doch das »Ein« weg und beschränken Sie sich auf die „Weihung«! Geben Sie den Wesen in dieser und der anderen Welt Ihre Absicht sowie Ihr Bestreben auf rituelle Weise bekannt, und bemühen Sie sich, dieser Funktion so gut wie möglich gerecht zu werden - dann treffen Sie früher oder später mit ziemlicher Sicherheit auch auf Menschen, die Ihnen dabei helfen können, eine vollständige Priesterschaft zu erlangen. Die meisten naturreligiösen Priester und Priesterinnen haben eine solche (dem Noviziat ähnliche) Zeit ebenfalls hinter sich, und zwar unabhängig davon, ob sie in einer solchen Gemeinschaft aufwuchsen oder sie erst suchen mußten. Das hängt schlicht und einfach damit zusammen, daß die diesbezüglichen Ausbildungszeiten bei einigen Traditionen recht lange sind.

Am Beginn des Weges zur Priesterschaft steht immer die bewußte Entscheidung dafür, und diese können Sie zu jeder Zeit Ihres Lebens treffen und auf rituelle Weise bekannt geben. Niemand kann es Ihnen verwehren, Ihr Leben in den Dienst der Götter zu stellen, und oft sind die einem solchen Ritual folgenden Ereignisse ganz erstaunlicher Natur. Glauben Sie mir: Selbst wenn Ihre Hütte weitab von aller Zivilisation und mitten in der Wüste stehen sollte - wenn die Götter Ihre Dienste in Anspruch nehmen wollen, werden sie Mittel und Wege finden, Ihnen die entsprechende Ausbildung zur Verfügung zu stellen!

Jeder der bereits beschriebenen Übergangsmomente verlangt nicht nur nach einem Passageritus, sondern stellt auch einen guten Zeitpunkt für ein derartiges Weihe- öder sogar Initiationsritual dar. In meiner Tradition folgen die verschiedenen Grade des Noviziats bzw. der Priesterschaft einem Zyklus von ungefähr sieben oder vierzehn Jahren und stellen eine Reise dar, die sich über das ganzeLeben erstreckt. Die Verbindung eines Übergangsmoments mit einem Weihritual kann sehr kraftvoll sein, muß aber nicht unbedingt erfolgen. Der beste Zeitpunkt für den Beginn eines Noviziats oder für die erste Weihe ist der Frühling und sollte einer langen Phase der Auseinandersetzung mit dem Anliegen folgen, wofür, sich der vorausgegangene Winter hervorragend eignet.

Weihe oder Selbstwidmung

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Führen Sie zunächst eine Reinigung durch. Begeben Sie sich dazu in die Badewanne oder idealerweise in eine Sauna, und setzten Sie dem Bade- bzw. Aufgußwasser klärende Öle wie Cajeput, Eukalyptus oder Fichtennadel zu: Stellen Sie sich vor, wie Dämpfe und Wasser ähnlich hellen, leuchtenden Schleiern Ihr ganzes Wesen durchdringen und alles mitnehmen, was Sie bei Ihrem Vorhaben behindert, bis Sie so klar, und durchlässig wie nur möglich sind. Führen Sie danach die Eigensegnung aus und ziehen Sie neutrale Kleidung an.

Packen Sie nun neben den Opfergaben einige Gegenstände ein, die Ihr bisheriges Leben symbolisieren; dies sind vielleicht eine Uhr, der Schlüsselbund, etwas aus Ihrem beruflichen Arbeitsmaterial, Ihr Ehering oder Fotos Ihrer Kinder - was immer für Sie kennzeichnend ist. Dazu kommen noch Ihre rituellen Werkzeuge. Begeben Sie sich nun zu einem Baum, der mit den Mysterien der Weihe in Verbindung steht; dies kann z.B. eine Eibe oder ein Holunder sein, ebenso eignen sich aber auch Arten, zu denen Sie persönlich eine starke Beziehung spüren, oder die mit einer bestimmten Gottheit assoziiert werden, in deren Dienst Sie sich stellen möchten. Ziehen Sie dort einen Kreis, um den Platz als heiligen Ort zu kennzeichnen, und legen Sie die mit Ihrem bisherigen Leben in Verbindung stehenden Gegenstände in den Osten (der Vergangenheit) des Kreises, während die rituellen Werkzeuge einen Platz in seinem Westen (der Zukunft) finden. Nun rufen Sie die Elementarwesen sowie gegebenenfalls Ihre Ahnen, um ihnen Ihr Vorhaben zu erklären und sie mit einem Opfer zu begrüßen.

Wenden Sie sich nun crem Osten zu und betrachten Sie die dort ausgelegten Dinge. Versuchen Sie, ein klares Bild von Ihrem bisherigen Leben mit all seinen Stärken und Schwächen zu zeichnen. Woher kommen Sie, und zu welchem Menschen hat Ihre Vergangenheit Sie gemacht? Was waren die Schlüsselmomente, die Sie schlußendlich zu dem Ritual führten, das Sie gerade praktizieren? Betrachten Sie Ihr Leben mit Kritik, aber auch Wohlwollen. Es war gut, wie es war, denn es hat Sie hierher gebracht. Schließlich erheben Sie sich, um sich energisch von den am Boden liegenden Gegenständen ab- und dem Baum zuzuwenden, wobei Sie deutlich und bestimmt sagen: »Das lasse ich zurück.« Begeben Sie sich nun zum Fuße der Regenbogenbrücke, um mit dem Geist des Baumes Kontakt aufzunehmen. Steigen Sie seinen Stamm entlang in den Raum tief unter seinen Wurzeln hinab, wo Sie jenen begegnen werden, die Sie vorbereiten und unterrichten können. Hören Sie gut zu und fragen Sie, wenn etwas nicht klar ist. Falls man Sie auffordert, einen Eid abzulegen, lassen Sie sich genügend Zeit; dessen Wortlaut sowohl mit dem Kopf als auch dem Bauch durchzugehen und scheuen Sie sich nicht, nach der Bedeutung unklarer oder angsteinflößender Passagen zu fragen. Danach danken Sie den Wesen für den erhaltenen Unterricht und begeben sich wieder zurück zum Baum.

Erheben Sie sich, um jene Gottheit oder auch Gottheiten zu rufen, in deren Dienst Sie sich stellen möchten. Weihen Sie sich diesen und bitten Sie darum, als Novize angenommen zu werden. Erklären Sie Ihre Absicht wie auch Bitte auf bestimmte Weise, denn die alten Götter schätzen Kraft, Mut und Ausdauer - wie übrigens der christliche Gott meiner Erfahrung nach auch. Immerhin wissen Sie nicht; worauf Sie sich da einlassen und dürfen den dazugehörigen Mut ruhig ein wenig demonstrieren. Er wird noch früh genug geprüft werden!

Vielleicht möchten Sie nun eine spezielle Kleidung anlegen, die Sie in Zukunft während größerer Rituale tragen werden. Dann bringen Sie die Ihr bisheriges Leben symbolisierenden Gegenstände in die Mitte des Kreises - falls da der Baum steht, zu dessen Wurzeln - und gehen in den Westen des heiligen Ortes, wo Sie Ihre rituellen Werkzeuge einzeln nehmen und ebenfalls in den Dienst der von Ihnen gewählten Gottheit bzw. Gottheiten stellen. Dann legen Sie die Werkzeuge zu den anderen Dingen in der Mitte des Kreises. Die naturreligiöse Priesterschaft wendet sich vom täglichen Leben nicht ab, sondern versucht, sich genau dort zu verwirklichen, weshalb Sie beide Welten nun in der Mitte des Kreises vereinigen. Sie werden dieselben Dinge

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tun wie auch vorher,, aber es wird auf eine andere Weise geschehen, wenn Sie stetig versuchen, die Ergebnisse Ihrer rituellen und auch meditativen Erfahrungen in Ihren Alltag einfließen zu lassen.

Führen Sie nun ein weiteres Opfer aus, verabschieden Sie sich von den versammelten Wesenheiten und öffnen Sie den Kreis.

Neue Riten schaffen

Ausblicke

Das beginnende neue Jahrtausend sieht Naturphilosophie und -religion nicht unbedingt in der besten, aber doch einer vielversprechenden Verfassung vor sich - wenn wir etwas daraus machen. Mehr als fünfzehn Jahrhunderte lang wurden diese Lehren nur im Verborgenen weitergegeben und ihre Riten im Geheimen ausgeführt, und auch heute noch betrachtet die Öffentlichkeit alle Bestrebungen, die mystische Seite der Natur wieder mehr in den Vordergrund zu rücken, eher als amüsantes Kuriosum denn als ernsthafte Beschäftigung, was an der geringen und dann oft auch noch falschen Information liegt; die diesbezüglich Verbreitung findet. Darüber hinaus aber impliziert ein Leben mit den Geheimnissen der intelligenten Natur auch Konsequenzen, die in Kreisen der Wirtschaft sowie Industrie nicht gerade beliebt sind - und jene Kreise erhalten unsere momentane Lebensweise im wesentlichen aufrecht. Es ist nun einmal nicht so einfach, diesen Planeten ohne weitere Überlegung auszubeuten, zu verseuchen und als öffentliche Mülldeponie zu mißbrauchen, wenn man ihn als lebendiges, liebevolles und uns in warmer Aufmerksamkeit zugewandtes Geschöpf erlebt - zumindest bis der Moment erreicht ist, an dem sich die Erde wehren muß. Und das tut sie gerade.

Auch wenn naturreligiöse Menschen für die Öffentlichkeit vornehmlich Futter für die Sensationspresse darstellen; nehmen sie ihre Lehren wie auch Aufgaben in dieser Welt zumeist sehr ernst, denn sie verfügen über Informationsquellen, die ihnen deutlich die Augen geöffnet haben. Ich sehe die Wiederbelebung von Naturmysterien zwar nicht als einzig notwendige, aber sehr wohl als eine der unbedingt durchzuführenden Maßnahmen auf dem Weg zur Rettung unserer Zivilisation an. Sicher, da muß noch mehr als das getan werden - aber ohne eine entsprechende Veränderung der Einstellung jedes Menschen zu sich und der Welt, in der er lebt, haben wir ebensowenig eine Chance wie ohne eine neue Ausrichtung unserer Forschung und Wissenschaft, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.

Ich will keineswegs dazu anregen, wieder ein Leben in Hütten und Höhlen zu führen. Alle unsere Entdeckungen, jeder Gegenstand, den wir in diese Welt gebracht haben, haben uns im Zuge ihrer Entwicklung Wissen vermittelt, das uns verändert und zu dem gemacht hat, was wir heute sind. Auch als Zivilisation ist es uns nicht möglich, das Rad der Zeit einfach zurückzudrehen und so zu tun, als wenn dies nie geschehen wäre; unter dem Mantel der natürlichen Einfachheit würden wir immer noch das Wissen um andere Möglichkeiten sowie die Prägung aus all unseren Erfahrungen damit mit uns tragen. Ein Potential ist dafür da, sinnvoll genutzt und nicht etwa vergeudet zu werden.

Es gibt unzählige Wege, unser. Wissen und unsere Entwicklungen auf eine allen Geschöpfen dieser Erde dienliche Weise einzusetzen; wenn wir es wollten, könnten wir noch heute damit beginnen. Alles, was wir dazu brauchen, haben wir bereits oder könnten es binnen kurzer Zeit schaffen. Doch besteht das Ziel unserer Gesellschaft momentan nicht darin, einen alle Wesen unterstützenden Lebensraum zu kreieren, sondern die Verantwortung für die damit zusammenhängenden Entscheidungen des Einzelnen an einige wenige Führungspersönlichkeiten

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aus Politik, Industrie und Wirtschaft abzugeben - und die wiederum sind allzu oft lediglich an ihrem eigenen Bankkonto interessiert.

Nun darauf zu warten, daß sich jene Menschen, die gesellschaftliche Macht besitzen, eines besseren besinnen, bedeutet, das Pferd von hinten aufzuzäumen, wozu uns schlicht und ergreifend die Zeit fehlt. Diese Macht wurde der Wirtschaft wie auch der Politik von der Masse übertragen, indem diese auf ihre eigene Macht verzichtete, und kann jederzeit zurückgenommen werden. Dies muß nicht einmal in Form von Revolution oder Aufstand geschehen; jeder Mensch, der sich die Kraft seiner eigenen inneren und der ihn umgebenden Natur wieder zugänglich macht, verfügt über ein Potential, .dessen Macht eher jener des Wassers als der des Feuers ähnelt. Wenn wir stark und mit uns selbst einig genug sind, um z.B. von der Werbung nicht mehr manipulierbar zu sein, werden eine ganze ,Reihe äußerst unökologisch oder sogar unethisch arbeitender Produktionszweige plötzlich ohne Abnehmer darstehen - die Schönheitsindustrie sowie die Hersteller umweltschädlicher Reinigungsmittel wären nur erste Beispiele! Wozu brauchen wir phosphathaltige Bleichmittel, wenn Fleckenlosigkeit nicht mehr einen sozialen Status markiert? Wozu genproduzierte und tierversuchsgetestete Kosmetika, wenn das schicke goldene Etikett der Nobelmarke auf dem Spiegelregal im Badezimmer keine Bedeutung mehr hat?

Die eigene innere Natur zu erwecken heißt, immer weniger anfällig für die Übernahme fremder Bedürfnisse und Ziele zu werden und ureigene Wege sowie Lösungen zu finden. Da sich jedoch keine zwei Personen genau gleichen, ist es notwendig, auch für jeden Menschen passende Formen dieses Weges zu finden - und das kann jeder nur für sich selbst tun. Natürlich ist es sinnvoll, sich mit Information zu versorgen, indem man sich anschaut, wie andere das so anstellen, aber auch das beste Buch nimmt Ihnen die Aufgabe, zu wählen und zu entscheiden, was für Sie angemessen ist und was nicht, keineswegs ab. Warum ein Ritual für Sie nicht funktioniert und was getan werden muß, um dies zu verändern, können nur Sie wissen.

Darüber hinaus befand sich die Naturreligion jahrhundertelang in der Krise. Vieles ist verloren gegangen oder befindet sich an Orten, die den meisten daran interessierten Menschen nicht zugänglich sind, und was uns erhalten blieb, ist oft einfach zu alt für unsere Kultur. Ich persönlich sehe keinen besonderen Sinn darin, den Kopfjägerkult wieder aufleben zu lassen, nur weil die Kelten ihn so großartig fanden. Das waren andere Menschen mit einer anderen Art, die Welt zu sehen und ihren Verstand sowie ihre Intuition zu benutzen. Auch wenn wir hundertmal von ihnen und ihren Nachbarvölkern abstammen es sind beinahe zwei Jahrtausende vergangen, wir sind nicht wie sie!

Zwei Jahrtausende, in denen die Ausübung und Gestaltung der Naturreligion einigen wenigen vorbehalten war, die entweder durch ihre Geburt oder einen seltenen Zufall Zugang dazu erlangen konnten. Wenige Menschen, die ihr Tun jahrhundertelang vor dem Rest der Welt verbergen mußten, sich in kleinen, streng beschränkten Gemeinschaften trafen und genug damit zu tun hatten, das Wissen zu bewahren - geschweige denn, es dem Wandel unserer Zivilisation anzupassen.

Das momentane Wiederaufleben naturphilosophischer und -religiöser Lehren sowie Praktiken bezeichnet das Ende einer langen, langen Zeit, in der sich Naturreligion und die breite gesellschaftliche Öffentlichkeit kaum begegnet sind oder gar aneinander anpassen konnten. Heute sind weite Teile dieser Überlieferungen Relikte einer vergangenen Kultur, die mit der unseren nur noch ihre Wurzeln gemeinsam hat. Es ist nun unsere Aufgabe, diese Relikte aufgrund ihrer inhaltlichen Bedeutung und nicht mehr der äußeren Form wahrzunehmen, um ihre Aussagen auf ihre weitere (und meist vorhandene!) Gültigkeit für uns hin zu überprüfen und

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moderne Wege der rituellen wie auch alltäglichen Umsetzung dafür zu finden. Dies kann jeder Mensch tun, der eine Verbindung zu diesem Wissen spürt; sich darin zu vertiefen bereit ist und über ein wenig Experimentierfreude verfügt. Wieder einmal sind wir zu unseren eigenen Pionieren geworden.

Wann immer Sie den Eindruck gewinnen, kein oder ein nur wenig befriedigendes Ritual für einen bestimmten Anlaß gefunden zu haben, setzen Sie sich doch einfach hin und schreiben ein eigenes! All die Erfahrungen, die Sie mit sich selbst und Ihrer Welt gemacht haben, wiegen ebenso viel wie die jahrhundertealte Überlieferung unserer Ahnen. Außerdem ist es gar nicht so schwer, wie es vielleicht scheint. Jeder Anlaß, der Ihnen wichtig genug ist oder sich auf irgend eine Weise als hilfreich darstellen kann; ist für einen rituellen Rahmen geeignet, und vielleicht entdecken Sie auf diese Weise Mysterien, von deren Existenz ich noch gar nichts weiß.

Anregungen zur Erstellung eigener Rituale

Bestimmung des rituellen Anlasses

Überlegen Sie zunächst, für welches Ereignis Sie ein Ritual schreiben möchten. Machen Sie sich mit dem Anlaß vertraut; überlegen Sie, was er für Sie und eventuelle andere Teilnehmer bedeutet. Was macht Ihrer Ansicht nach eine Hochzeitszeremonie zu einer derart starken Bindung? Wie definieren Sie die zukünftigen Aufgaben, Rechte und Pflichten der angehenden Eheleute? Was könnte das Paar zur erfolgreichen Umsetzung dieser Aufgaben benötigen, und wie kann dies im Ritual vermittelt werden? Welche Grundstruktur soll das Ritual haben eine initiatorische oder eine ratsuchende? Soll es ein großes Fest oder ein Alltagsritus werden?

Informationen einholen

Studieren Sie nun alle Ihnen zur Verfügung stehenden Quellen bezüglich des von Ihnen gewählten Anlasses. Informieren Sie sich über entsprechende Bräuche, Rituale und Lehren jeder Zeit oder Kultur, derer Sie habhaft werden können - oder auch jener Kultur, an deren Vorbild Sie sich orientieren möchten. Versuchen Sie, die Essenz dieser Formen zu abstrahieren bzw. herauszukristallisieren. Welche Absichten sehen Sie hinter den einzelnen Elementen bestimmter Rituale oder Bräuche? Was hat man wohl damit zu erreichen oder zu vermitteln versucht? Fassen Sie diese Grundaussagen in Ihre eigenen Worte und entscheiden Sie, was davon für Sie hier und heute zutreffend ist.

Funktionen festlegen

Nun wissen Sie, was Ihr Ritual bewirken soll. Der nächste Schritt besteht darin, sich zu überlegen, wie man diese Wirkung erreichen kann, was meist über symbolische Umsetzungen geschieht. Der Trauring selbst ist ein solches Beispiel, das unterschiedlichste Zeiten wie auch Kulturen gemeinsam haben: Der Kreis stellt unter anderem die Verbindung zweier Personen in einem Leben dar, das zyklischer Natur ist (also weder Anfang noch Ende hat). Bei den Wikingern wurden dem Brautpaar die Ringe auf dem Griff eines Schwertes gereicht, um deutlich zu machen, daß die hier eingegangene Verbindung sowie der geleistete Eid von so großer Wichtigkeit sind, daß beides notfalls auch mit dem Schwert verteidigt werden konnte. Wählen Sie Symbole, die den am Ritual beteiligten Menschen etwas bedeuten.

Eine logische Abfolge schaffen

Nun haben Sie einen Haufen Funktionen, die Ihr Ritual erfüllen soll und ebensoviele

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symbolische Umsetzungsformen. Bringen Sie diese nun in eine sinnvolle Reihenfolge. Es bringt nicht viel, Ihren Initianten erst zu weihen und dann zu reinigen - wie soll er denn da in bestmöglichem Kontakt zu sich selbst stehen können?

Feinschliff

Jetzt steht das fertige .Ritual bereits im Wesentlichen vor Ihnen. Gehen Sie es nun sorgsam durch und verteilen Sie die einzelnen Aufgaben, wobei Sie versuchen, eine möglichst klare Struktur zu schaffen. Ein Priester, der drei Dinge zur gleichen Zeit tun muß, ist jedem noch so gut entworfenen Ritual abträglich. Machen Sie zudem eine Liste aller benötigten Gegenstände, die Sie an den Beginn Ihrer Aufzeichnungen setzen. Und dann -lernen Sie das verflixte Ding auswendig. Nicht Wort für Wort - gerade lange Texte sollte man ruhig ablesen - aber die Reihenfolge der einzelnen Handlungen sollte Ihnen schon geläufig sein. Nichts ist tödlicher für ein gutes Ritual, als wenn sich die Priesterin nach einer kraftvollen und alle in ihren Bann schlagenden Anrufung räuspernd umsieht und zu ihrem Kollegen flüstert: »Äh - wie geht's jetzt weiter?« Das wird Ihnen auch mit auswendig gelerntem Ritual ab und zu passieren, also legen Sie einen Spickzettel auf den Altar. Wenn Sie es aber nicht vorher pauken, hängen Sie während der Ausführung nur in Ihren Aufzeichnungen herum, und das finden sogar die Götter langweilig (von Ihren Gästen mal ganz abgesehen).

Nun wünsche ich Ihnen den Mut, Ihrer eigenen inneren Natur zu begegnen; und die Freude, die aus einer solchen Begegnung entsteht. Darüber hinaus wünsche ich Ihnen die Kraft, die der Vereinigung mit allem Lebendigen entspringt, und das Staunen, wenn sich das Wunder des Lebens offenbart. Ich wünsche Ihnen einen leichten Fuß auf einem guten Weg, aber auch die Fällen, die Sie zum Lernen brauchen.

Ich wünsche Ihnen den Segen der Götter, die Sie auf ewig umfangen mögen - welche auch immer Sie in Ihr Herz geschlossen haben.

Quellen und weiterführende Literatur

Ashcroft-Nowicki, Dolores: Magische Rituale - Ein praktischer Lehrgang,Verlag Hermann Bauer, Freiburg im Breisgau 1990

Cabot, Laurie und Cowan, Tom: Power of the Witch - The Earth, the Moon,and the Magical Path to Enlightenment, Delacorte Press, New York 1989

Carr-Gomm, Philip und Stephanie: The Druid Ahimal Oracle - Working with the Sacred Animals of the Druid Tradition, Connections Book Publishing,London 1996

Cunningham, Scott: Cienningham's Encyclopedia of Magical Herbs, Llewellyn, St. Paul, Minnesota 1987

Dörner, Klaus und Plog, Ursula: Irren ist menschlich - Lehrbuch der Psychiatrie/Psychotherapie, Psychiatrie Verlag, Bonn 1986

Klein, Petra: Tanztherapie - Eine einführende Betrachtung im Vergleich mit Konzentrativer und Integrativer Bewegungstherapie, Eres Edition, Bremen, 5.. Auflage 1991

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Pogacnik, Marko: Elementarwesen -.Die Gefühlsebene der Erde, Knaur, München 1995

Schmid, Otto, und Henggeler, Silvia: Biologischer Pflanzenschutz im Garten, Verlag. Eugen Ulmer, Stuttgart 1984

Sperling, Elke: Das große Hausbuch der lebendigen Naturheilkunde - Praxisbewährte Rezepte aus Homöopathie, Kräuterheilkunde, Edelstein-, Farb-, Aroma- und Bachblütentherapie, Knaur, München 1995

Strassmann; Rene A.: Baumheilkunde - Begegnungen und Erfahrungen mitden Heilkräften der Bäume, AT Verlag, Aarau 1994

Warneck, Igor: Runen-Welten - Eine tiefgehende, persönliche Einführung in die Geheimnisse der Runen, Schimer Verlag, Darmstadt 1997

Warneck, Igor: Runengeflüster - Das verborgene Wissen des Runenorakels, Arun-Verlag, Engerda 1999

Wilson Schaef, Anne: Co-Abhängigkeit-Die Sucht hinter der Sucht, Heyne, München 1993

Worwood, Valerie Arm: Liebesdüfte - Die Sinnlichkeit ätherischer Öle,Goldmann, München 1990

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