vom antiken purpur zur organischen solarzelle

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Vom antiken Purpur zur organischen Solarzelle Zugänglichkeit dieser natürlichen Quellen waren solche Farbstoffe oft kostbar und teuer. Beispiele hierfür sind das Ultramarin, das aus dem sel- tenen und nur in wenigen Gebieten der Erde vorkommenden Mineral La- pislazuli gewonnen wird und der An- tike Purpur. Dieser findet sich in den Drüsen der Purpurschnecke – um so- viel Farbstoff zu gewinnen, dass da- mit ein Gewand gefärbt werden kann, sind aber mehrere Zehntausend der Tiere nötig. Erst zum Ausgang des Mittelalters lernte man – eher zufällig – syntheti- sche Farbmittel herzustellen: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen, Alle Farbmittel, die sich zum An- färben von Gegenständen oder zum Einfärben von Materialien, darunter insbesondere von Textilien, eignen, lassen sich in zwei Klassen einteilen: unlösliche Farbpigmente oder (was- ser)lösliche Farbstoffe. Die Men- schen früherer Kulturepochen ge- wannen sowohl Farbpigmente als auch Farbstoffe ausschließlich aus natürlichen Quellen. So dienten far- bige Mineralien, Gesteine und Erden zur Herstellung von Farbpigmenten, während lösliche Farbstoffe haupt- sächlich aus Färbepflanzen oder Tie- ren wie der Purpurschnecke oder der Cochenille-Laus stammten. Je nach Horst Hartmann Farbstoffe dienten seit jeher nicht nur dazu, menschliche Lebensräume und den eigenen Körper attraktiver zu gestalten, sondern auch, um Informationen auszutauschen und wichtige Ereignisse im Bild festzuhalten. Ab dem 18. Jahrhundert verwendeten die Menschen dafür synthetische Färbemittel. Chemiegeschichte der gemeine Erden in Gold oder Sil- ber verwandeln sollte, schmolzen Al- chimisten verschiedene mineralische Stoffe zusammen. Sie erhielten dabei nicht nur das weiße Gold Porzellan – auch dies ein Abfallprodukt der Su- che nach dem Stein der Weisen – son- dern auch tieffarbige Produkte. Den Anfang machte hierbei das im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts gefundene eisenhaltige Berliner Blau [s. Nachr. Chem. 2010, 58, 1124], dem bald weitere farbige Pigmente folgten (Tabelle 1). Hierzu gehören u. a. das von Carl Wilhelm Scheele im Jahr 1775 erstmals hergestellte und dann vom Fabrikanten Wilhelm Satt- Tab. 1. Anorganische Pigmente, die im 18. und 19. Jahrhundert erstmals synthetisiert wurden (Code nach internationalem Colour-Index). Jahr Entdecker Pigmentname Code Bestandteil 1706 Heinrich Diesbach Berliner Blau PB27 Eisencyanid 1775 Carl Wilhelm Scheele Scheeles Grün PG22 Kupferarsenit 1780 Bernard Courtois Zinkweiß PW4 Zinksulfid 1780 Sven Rinmann Cobaltgrün PG19 Cobaltoxid 1797 Nicolaus-Luis Vauquelin Chromgelb PY34 Bleichromat 1802 Luis Thenard Cobaltblau PB72 Cobaltoxid 1805 Andreas Höpfner Cerulablau PV49 Cobalt, Zinn, Chrom 1814 Nicolaus-Luis Vauquelin Iodscharlach PR108 Quecksilberiodid 1817 Franz Strohmeier Cadmiumgelb PO20 Cadmiumsulfid 1828 Jean-Baptiste Guimet, Christian Gmelin Lazurith PB29 Schwefelsilicat 1831 Nikolaus Wolfgang Fischer Cobaltgelb PY40 Nitro obaltat 1838 Pannetier & Binet Viridian PV18 Chromoxid 1859 Jean Salvétat Cobaltviolett Cobaltphosphat 1868 E. Leykauf Manganviolett PV16 Manganphosphat 1878 Johannes Zeltner Ultramarinviolett PV15 Schwefelsilicat 724 Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten 7I8 2011 Zeitschrift der Gesellschaft Deutscher Chemiker 59. Jahrgang JuliIAugust 2011 S. 693 - 804 Nanofasern Spinnen unter StromI S. 714 Chemiegeschichte Farbe aus dem KolbenI S. 724 GDCh: Hochschulstatistik, Jahresbericht I ab S. 772

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Page 1: Vom antiken Purpur zur organischen Solarzelle

Vom antiken Purpur zur organischen Solarzelle

Zugänglichkeit dieser natürlichen Quellen waren solche Farbstoffe oft kostbar und teuer. Beispiele hierfür sind das Ultramarin, das aus dem sel-tenen und nur in wenigen Gebieten der Erde vorkommenden Mineral La-pislazuli gewonnen wird und der An-tike Purpur. Dieser findet sich in den Drüsen der Purpurschnecke – um so-viel Farbstoff zu gewinnen, dass da-mit ein Gewand gefärbt werden kann, sind aber mehrere Zehntausend der Tiere nötig.

Erst zum Ausgang des Mittelalters lernte man – eher zufällig – syntheti-sche Farbmittel herzustellen: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen,

� Alle Farbmittel, die sich zum An-färben von Gegenständen oder zum Einfärben von Materialien, darunter insbesondere von Textilien, eignen, lassen sich in zwei Klassen einteilen: unlösliche Farbpigmente oder (was-ser)lösliche Farbstoffe. Die Men-schen früherer Kulturepochen ge-wannen sowohl Farbpigmente als auch Farbstoffe ausschließlich aus natürlichen Quellen. So dienten far-bige Mineralien, Gesteine und Erden zur Herstellung von Farbpigmenten, während lösliche Farbstoffe haupt-sächlich aus Färbepflanzen oder Tie-ren wie der Purpurschnecke oder der Cochenille-Laus stammten. Je nach

Horst Hartmann

Farbstoffe dienten seit jeher nicht nur dazu, menschliche Lebensräume und den eigenen Körper

attraktiver zu gestalten, sondern auch, um Informationen auszutauschen und wichtige Ereignisse im

Bild festzuhalten. Ab dem 18. Jahrhundert verwendeten die Menschen dafür synthetische Färbemittel.

�Chemiegeschichte�

der gemeine Erden in Gold oder Sil-ber verwandeln sollte, schmolzen Al-chimisten verschiedene mineralische Stoffe zusammen. Sie erhielten dabei nicht nur das weiße Gold Porzellan – auch dies ein Abfallprodukt der Su-che nach dem Stein der Weisen – son-dern auch tieffarbige Produkte.

Den Anfang machte hierbei das im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts gefundene eisenhaltige Berliner Blau [s. Nachr. Chem. 2010, 58, 1124], dem bald weitere farbige Pigmente folgten (Tabelle 1). Hierzu gehören u. a. das von Carl Wilhelm Scheele im Jahr 1775 erstmals hergestellte und dann vom Fabrikanten Wilhelm Satt-

Tab. 1. Anorganische Pigmente, die im 18. und 19. Jahrhundert erstmals synthetisiert wurden (Code nach internationalem Colour-Index).

Jahr Entdecker Pigmentname Code Bestandteil

1706 Heinrich Diesbach Berliner Blau PB27 Eisencyanid

1775 Carl Wilhelm Scheele Scheeles Grün PG22 Kupferarsenit

1780 Bernard Courtois Zinkweiß PW4 Zinksulfid

1780 Sven Rinmann Cobaltgrün PG19 Cobaltoxid

1797 Nicolaus-Luis Vauquelin Chromgelb PY34 Bleichromat

1802 Luis Thenard Cobaltblau PB72 Cobaltoxid

1805 Andreas Höpfner Cerulablau PV49 Cobalt, Zinn, Chrom

1814 Nicolaus-Luis Vauquelin Iodscharlach PR108 Quecksilberiodid

1817 Franz Strohmeier Cadmiumgelb PO20 Cadmiumsulfid

1828 Jean-Baptiste Guimet, Christian Gmelin Lazurith PB29 Schwefelsilicat

1831 Nikolaus Wolfgang Fischer Cobaltgelb PY40 Nitro obaltat

1838 Pannetier & Binet Viridian PV18 Chromoxid

1859 Jean Salvétat Cobaltviolett Cobaltphosphat

1868 E. Leykauf Manganviolett PV16 Manganphosphat

1878 Johannes Zeltner Ultramarinviolett PV15 Schwefelsilicat

724

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten

7I8 2011Zeitschrift derGesellschaftDeutscherChemiker

59. JahrgangJuli I August 2011S. 693 - 804

NanofasernSpinnen unter Strom I S. 714

ChemiegeschichteFarbe aus dem Kolben I S. 724

GDCh: Hochschulstatistik, Jahresbericht I ab S. 772

Page 2: Vom antiken Purpur zur organischen Solarzelle

zustellen. Er fand aber stattdessen ei-ne gut färbende Substanz. Nachdem es ihm gelungen war, ein technisches Verfahren zu erarbeiten, wie er diese im größerem Umfange herstellen konnte, vertrieb er sie unter den Na-men Perkins Violet oder Mauvein.

Perkins Entdeckung beflügelte an-dere Chemiker, aus dem Anilin und seinen ebenfalls im Teer vorhanden Abkömmlingen weitere Farbstoffe herzustellen (Tabelle 2). Dem ersten, dem dies nach Perkin gelang, war der französische Chemiker Emanuel Ver-guin, der im Jahr 1858 das Fuchsin entdeckte. Diesem brillanten, zum Textilfärben geeigneten Farbstoff folgten weitere – insbesondere die von Peter Grieß 1860 entdeckten und von Carl Alexander Martius in-dustriell produzierten Azofarbstoffe wie das Bismarckbraun oder das But-tergelb. Diese Entdeckungen legten den Grundstein für die Entstehung einer leistungsstarken Teerfarben-industrie, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa und Übersee rasch entwickelte. Vor allem in Deutschland boomte die Far-benproduktion: Ende des 19. Jahr-hunderts stammten etwa 80 Prozent der weltweit produzierten Teerfarb-stoffe aus deutschen Fabriken.

Hauptabnehmer der farbstoffpro-duzierenden Firmen war im 19. Jahr-hundert vornehmlich der Textilsek-

ler in Schweinfurt als Schweinfurter Grün produzierte Kupferarsenit so-wie das von Luis Jacques Thenard ab dem Jahr 1799 erzeugte Cobaltblau. Diese künstlich erzeugten Farbpig-mente waren wegen ihrer hohen Farbstärke und teilweise einfachen Zugänglichkeit lange Zeit sehr be-liebt, bis man feststellte, dass sie auf-grund ihres hohen Schwermetall-gehalts sehr toxisch sind. Daher sind sie heute praktisch nicht mehr im Ge-brauch, zumal mittlerweile ungiftige schwermetallfreie Ersatzpigmente preiswert produziert werden können.

Durchbruch der Teerfarbstoffe

� Solche Ersatzpigmente werden zu-meist aus organischen Ausgangs-materialien gewonnen. Im 19. Jahr-hundert wurden im Zuge der Indus-trialisierung riesigen Mengen an Koks zur Erzeugung von Eisen und Stahl benötigt. Bei der Herstellung von Koks aus Kohle fiel als Neben-produkt Teer in erheblichen Mengen an. Dieser war zunächst unliebsamer Abfall, bis im Jahr 1856 der junge englische Student William H. Perkin versuchte, aus dem im Teer vorhan-denen und bereits von Friedlieb Fer-dinand Runge im Jahre 1834 daraus isolierten Anilin und seinen Deri-vaten das als Antimalariamittel die-nende, fiebersenkende Chinin her-

tor. Für das Anfärben von Textilien entwickelte die chemische Industrie ein umfangreiches Farbstoffsorti-ment, nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern auch wegen der chemischen Natur der jeweils zu fär-benden Textilfasern. So benötigten die tierischen Fasern Wolle und Seide andere Farbstoffe als Baumwolle oder Zellwolle. Gleiches gilt auch für die in der zweiten Hälfte des 20. Jahr-hunderts auf den Markt gelangenden Synthesefasern auf Basis von Poly-acrylnitril (z. B. Dralon), Polyamid (z. B. Nylon) und Polyester, zu deren Anfärbung Farbstoffe mit völlig neu-artigen Strukturelementen erforder-lich waren.

Die meisten der zum Textilfärben entwickelten Teerfarbstoffe hatten dabei zunächst keinen strukturellen Bezug zu den Naturfarbstoffen. So konnten sich von diesen einige weni-ge trotz starker Konkurrenz durch die synthetisch hergestellten Farbstoffe zunächst behaupten. Dies waren vor allem Indigo und Krapprot, die im großem Umfange aus Färbepflanzen gewonnen wurden. Beide Naturfarb-stoffe waren aber bald viel besser und billiger auf synthetischem Weg her-stellbar. Daher verdrängten die syn-thetischen Farbstoffe ihre natürli-chen Analoga fast völlig vom Markt, nachdem die technische Indigosyn-these bei der BASF gelungen war. So

Tab. 2. Die Entwicklung der Teerfarbstoffe im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Jahr Erfinder/ Entdecker Ereignis

1834 Friedlieb Ferdinand Runge Isolierung von Anilin, Phenol, Naphthalin aus Teer, Entdeckung

Anilinschwarz

1856 William Perkin Synthese von Mauvein aus techn. Anilinfraktionen

1857 Emmanuel Verguin Synthese von Fuchsin

1862 Johann Peter Grieß Entdeckung der Diazoniumsalze

1863 Carl Alexander von Martius Bismarckbraun als erster techn. brauchbarer Azofarbstoff

1868 –

1870

Gründung BASF, Agfa, Bayer, Ciba, Farbwerke Hoechst

1868 Carl Gräbe,

Carl Liebermann

Technische Synthese von Alizarin, das 1826 aus Krappwurzel isoliert

wurde

1871 Adolf von Baeyer Entdeckung der Phthaleine

1876 Heinrich Caro Synthese von Methylenblau

1877 Otto Fischer Synthese von Malachitgrün

1878 Adolf von Baeyer 1. Indigo-Synthese

1885 Paul Böttger Synthese von Kongorot als ersten direktziehenden Baumwollfarbstoff

1890 Karl Heumann 1. technische Indigo-Synthese bei BASF

1897 Johannes Pfleger Großtechnische Indigo-Synthese bei BASF und Hoechst

1901 René Bohn Synthese von Indanthren

1935 Patrick Linstead Synthese von Phthalocyaninen

Chemiegeschichte �Magazin� 725

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Page 3: Vom antiken Purpur zur organischen Solarzelle

Die Farbstoffe emanzipieren sich von der Textilindustrie

� Im 20. Jahrhundert entwickelte sich eine kaum noch übersehbare Vielfalt an organischen Farbstoffen und Farbpigmenten. Mittlerweile werden diese fast ausnahmslos aus Erdöl hergestellt, und es fanden sich zahlreiche weitere Anwendungs-gebiete außerhalb der Textilindus-trie. Den Anfang machten noch im späten 19. Jahrhundert die Sensibili-sierungsfarbstoffe für die Halogen-silber-Fotografie. Diese Farbstoffe, beispielsweise das Cyanin (1) und das Pinacyanol (2) (Abbildung 1), verschieben die Lichtempfindlich-keit des Silberhalogenids in den langwelligen (blauroten bzw. roten) Spektralbereich, so dass sich da-durch naturgetreue Fotos herstellen ließen. Später nutzte die Farbfoto-grafie dann organische Farbstoffe auch als Bildfarbstoffe. Ab den 1960er Jahren gab es Sofortbildver-fahren, bei denen die Synthese der erforderlichen Bildfarbstoffe unmit-telbar im belichteten Filmmaterial stattfand.

Technologiebestimmend waren organische Farbstoffe und Farbpig-mente auch für die Kopiertechnik. Diese nahm im Jahr 1917 mit dem von dem Chemieunternehmen Kalle entwickelten Diazotypie-Verfahren ihren Anfang. Es folgten dann elek-trophotographische Kopierverfah-ren, in denen organische Farbstoffe wie das Kupfer-Phthalocyanin (3) (Pigmentblau 15) als Fotoleiter und organische Pigmente wie das Naph-tholrot (4) (Pigmentrot 23) als Toner eingesetzt wurden (Abbildung 2). Sie haben heute in Form von laser-gesteuerten Farbdruckern einen ho-hen Entwicklungsstand erreicht.

Organische Farbstoffe und Farb-pigmente machten auch neuartige Bildaufzeichnungs- und Wieder-gabeverfahren möglich. Dazu gehö-ren elektrochrome Verfahren, bei de-nen organische Farbstoffe span-nungs- und ladungsabhängig rever-sibel entstehen und wieder zerstört werden. So lassen sich Fensterschei-ben und Spiegel bedarfsabhängig ab-dunkeln oder aufhellen. Zu einem

kam Frankreich in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in wirtschaftliche Bedrängnis, da sich der Anbau des Krapps in Südfrank-reich und der Import des Indigos aus Asien nicht mehr rentierte und die Anbaugebiete in diesen Regionen stillgelegt werden mussten.

N NEt Etn

I(1): n = 0(2): n = 1

(3) (4)

SO3Na

NaO3S

NHCOCH3

H3COCHN

(5)

O

S

N

O

(6)O(C2H5)2N N(C2H5)2

COOR

(7)X

R

X

NO

N

O

NO

(8)

N

N

N

H3CCH3

H3C

(9)

N N

OR'

OR'

R'O

R'O

R R

O

O O

On

(10)

Abb. 1. Cyanin (1) und das Pinacyanol (2).

Abb. 5. Rylen-Farbstoffe.

Abb. 4. Emitter-Farbstoffe für Leuchtdioden.

Abb. 3. Typische Leuchtstoffe: Blankophor B (5), Rhodamine (6) oder Cumarine (7),

Abb. 2. Wichtig für Kopierer: Kupfer-Phthalocyanin (3) (Pigmentblau 15) als Fotoleiter und

Naphtholrot (4) (Pigmentrot 23) als Toner.

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten

�Magazin� Chemiegeschichte 726

Page 4: Vom antiken Purpur zur organischen Solarzelle

wichtigen Typ organischer Farbstof-fe entwickelten sich solche Verbin-dungen, die nicht nur wie die meis-ten der herkömmlichen Farbstoffe sichtbares Licht absorbieren und da-durch ihre Farbigkeit erlangen, son-dern auch das auf sie auftreffende Licht wieder in einem gewissem Umfange und Spektralbereich emit-tieren. Ihre erste praktische Anwen-dung fanden solche Leuchtstoffe als optische Aufheller, die dafür, wie das Blankophor B (5), farblos sein muss-ten, um ihren Weißton-Effekt nicht durch eine Eigenfärbung zunichte zu machen. Später folgten dann die Signal- oder Schockfarben, die z.B. in Form der Rhodamine (6) oder Cumarine (7) besonders brillante Färbungen erzeugten (Abbildung 3).

Weitere neuartige und praktische Anwendungsbereiche für Farbstoffe mit Emittereigenschaften eröffnen sich in den letzten Jahrzehnten in der Biochemie und der medizinischen Diagnostik. Mit Sensorfarbstoffen ge-lingt es, biologische Materialen selek-tiv anzufärben und durch Bestrah-lung, beispielsweise mit UV-Licht, zum Leuchten zu bringen. Dadurch werden bestimmte Stoffwechselpro-dukte oder Krankheitserreger, aber auch Krebszellen im lebenden Orga-nismus gut sichtbar. Daraus lassen sich dann Therapien entwickeln.

Von der Röhre bis zur LED

� Leuchtstoffe werden auch in der klassischen, elektronenstrahlgesteu-erten Bildröhre eines TV-Farbempfän-gers eingesetzt. Obwohl hier vorwie-gend auf anorganischer Basis auf-gebaut, indem z.B. europiumdotierte Silikate benutzt werden, dienen sie zur Erzeugung und Wiedergabe farbi-ger Bilder. Diese Elektronenstrahl-bildröhren sind inzwischen aber weit-gehend durch Flachbildschirme er-setzt. Hier ermöglichen elektrisch schaltbare Farbstoffe mit flüssigkris-tallinen Eigenschaften die farbgetreue Bildwiedergabe dank einer Hinter-grundbeleuchtung.

Doch auch dieser Flachbild-schirmtyp scheint nur eine Über-gangstechnik zu sein. Die sich zuneh-

mend durchsetzende LED-Technik enthält als wichtigste Komponenten organische Leuchtdioden.

In ihnen befinden sich zwischen leitfähigen, teilweise transparenten Elektroden und dünnen organischen Schichten, die zur Leitung von Elek-tronen und positiven Ladungsträgern befähigt sind, zur Lichtemission befä-higte Emitter, darunter oft metallhal-tige Komplexverbindungen (Abbil-dung 4). Sie werden dadurch zum Leuchten gebracht, dass die zu ihnen gelangenden negativen und positiven Ladungsträger unter Abgabe von Licht rekombinieren.

Neuerdings werden Farbstoffe und Farbpigmente in zunehmenden Um-fang auch als Lichtwandler in organi-schen Solarzellen eingesetzt. In ihnen kehren sich die in einer Leuchtdiode ablaufenden Prozesse um, indem hier das einfallende Sonnenlicht eingefan-

gen und auf direktem Weg in elektri-schen Strom umgewandelt wird. Die so konstruierbaren farbstoffdotierten organischen Solarzellen haben gegen-über den Siliciumzellen als anorgani-sche Konkurrenten eine Reihe von Vorteilen: Sie sind leichter, billiger herzustellen und erreichen eine grö-ßere spektrale Empfindlichkeit und damit eine bessere Nutzung der ein-fallenden Strahlung. Durch unter-schiedliche Farbstoffe lässt sich das zu nutzende Spektralgebiet vom UV- über das sichtbare bis ins infrarote Gebiet ausdehnen. Beispiele hierfür sind die Rylene (10), die durch eine besonders hohe Photostabilität aus-gezeichnet sind und mit n = 0 und 1 im sichtbaren und mit n = 2, 3 und 4 im infraroten Spektralgebiet absorbie-ren (Abbildung 5).

Synthetisch hergestellte Farbstoffe und Farbpigmente haben trotz ihrer

� Highlights aus der Anorganischen Chemie

lagenforschung bis hin zu den hei-

ßen Themen aus der industriellen

Forschung und ihrer Anwendung.

Nachrichten: Was erwartet den Be-

sucher in Ihrer Session und was soll-

te er auf keinen Fall verpassen?

Fässler: In über 20 Vorträgen mit

internationaler Beteiligung wer-

den von Montag bis Mittwoch zu-

kunftsweisende Themen vor-

gestellt. Besonders berücksichtigt

sind Hauptgruppenelementche-

mie, bioanorganische Chemie,

Energiespeichermaterialien, mole-

kulare Legierungen sowie me-

talloide Cluster. Mit besonderer

Spannung werden wir den Wett-

streit zwischen metallgestützter

Katalyse und metallfreier, haupt-

gruppenelementbasierter Bin-

dungsknüpfung verfolgen. Als

weiteres Highlight sehen wir das

Symposium „Vom Molekül zum

Material“. Dieses richtet die Wöh-

ler-Vereinigung gemeinsam mit

der Fachgruppe Festkörper- und

Materialchemie aus.

Thomas Fässler

organisiert zu-

sammen mit

dem Vorstand

der Wöhler-Ver-

einigung auf

dem GDCh-Wis-

senschaftsforum Bremen die Vor-

tragsreihe „Highlights aus der An-

organischen Chemie“. Er sieht eine

„entscheidende Rolle der anorga-

nischen Chemie“ bei aktuellen

Forschungsfragen.

Nachrichten aus der Chemie: Herr

Fässler, „Chemie schafft Zukunft“ ist

das Motto des Wissenschaftsforums

in Bremen. Welchen Beitrag leistet

die anorganische Chemie dazu?

Thomas Fässler: Ob Katalyse oder

Materialchemie – in allen Fällen

spielt die anorganische Chemie ei-

ne entscheidende Rolle. So präsen-

tiert die Wöhler-Vereinigung der

GDCh in diesem Jahr gleich über

drei Tage die faszinierende Band-

breite der anorganischen Chemie.

Die Vorträge erstrecken sich von ak-

tuellen Ergebnissen aus der Grund-

Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juli I August 2011 | www.gdch.de/nachrichten

Chemiegeschichte �Magazin� 727

Fotos der Pigmente:

Thomas Seilnacht;

www.seilnacht.

com/farbe.htm

Page 5: Vom antiken Purpur zur organischen Solarzelle

mehr als 150-jährigen Geschichte nicht an Bedeutung verloren. Zu den klassischen Anwendungen in der Tex-tilfärberei, des Zeug- und Buchdrucks sowie ihres Einsatzes als Gestaltungs-materialien in der Automobil- und der Bauindustrie sind zahlreiche Einsatz-gebiete hinzugekommen, vor allem in der Kommunikations- und Informati-onstechnik.

Die steigenden Anforderungen an Farbstoffe und Pigmente machen die-se chemisch immer komplizierter. Die Weltmarktpreise für maß-geschneiderte Spezialfarbstoffe sind deshalb oft enorm hoch: Tonerfarb-stoffe zum Drucken von 1000 Seiten kosten je nach Farbton und Qualität

� Fachgruppe Nuklearchemie: Jahrestagung

das sehr weit fortgeschrittene

Endlagerprojekt in Forsmark be-

richten. Rikard Malmbeck vom In-

stitut für Transurane in Karlsruhe

gibt einen Überblick über aktuelle

Entwicklungen zur Reduktion der

Langzeitradiotoxizität hochradio-

aktiver Abfälle. Dahinter steckt

die chemische Abtrennung lang-

lebiger hochradiotoxischer Ele-

mente mit dem Ziel, sie anschlie-

ßend durch Transmutation in

kurzlebige oder stabile Nuklide

umzuwandeln. Frank Peter Weiss,

Geschäftsführer der Gesellschaft

für Reaktorsicherheit, wird darü-

ber berichten, was man über den

Ablauf der Ereignisse bei der Re-

aktorhavarie in Fukushima weiß,

und welche Schlussfolgerungen

daraus zu ziehen sind.

In einer gemeinsamen Veranstal-

tung mit der Fachgruppe Analyti-

sche Chemie und dem GDCh-Ar-

beitskreis Analytik mit Radionukli-

den und Hochleistungsstrahlen-

quellen werden modernste Spe-

ziations- und Analysentechniken

mit Synchrotronstrahlenquellen

diskutiert. Franz J. Hormes, Direk-

tor der Canadian Light Source wird

diese Sitzung eröffnen und aktuel-

le Anwendungsbeispiele aus Kata-

lyseforschung, Nanotechnologie,

Horst Geckeis ist

Vorsitzender der

Fachgruppe Nu-

klearchemie. Die

Fachgruppe ver-

anstaltet auf

dem GDCh-Wis-

senschaftsforum in Bremen ihre

Jahrestagung. Das Wissenschafts-

forum bietet dafür eine ideale

Plattform, denn die „Nuklearche-

mie leistet einen unverzichtbaren

Beitrag zur Lösung gesellschaftlich

relevanter Probleme.“

Nachrichten aus der Chemie: Herr

Geckeis, welches Programm erwar-

tet die Besucher in Bremen?

Horst Geckeis: Das Tagungspro-

gramm der Jahrestagung Nukle-

archemie spiegelt die Vielfalt die-

ses Forschungsgebiets wieder —

von Radiopharmazie, Actiniden-

chemie, nuklearchemischer

Grundlagenforschung sowie Ana-

lytik bis hin zu hochaktuellen The-

men. Eingeladene Vorträge füh-

ren z. B. in die nukleare Entsor-

gung ein, ein Thema, dem die Öf-

fentlichkeit größte Aufmerksam-

keit widmet. Peter Wikberg, For-

schungsdirektor der schwe-

dischen Kernbrennstoff-Entsor-

gungsgesellschaft SKB, wird über

Polymerchemie und analytischer

Chemie vorstellen.

Nachrichten: „Chemie schafft Zu-

kunft“, so das Motto der Tagung.

Welchen Beitrag leistet Ihr Fach-

gebiet dazu?

Geckeis: Innovative Forschung ist

unerlässlich für die zukünftige Si-

cherung und Weiterentwicklung

unserer Gesellschaft. Nuklearche-

mische Forschung liefert unver-

zichtbare Beiträge zu den gesell-

schaftsrelevanten Bereichen Ener-

gie, Gesundheit und Umwelt.

Nachrichten: Worauf freuen Sie

sich am meisten in Bremen? Was

sollten die anderen Teilnehmer auf

keinen Fall verpassen?

Geckeis: Das Wissenschaftsforum

der GDCh bietet die einzigartige

Chance der Kommunikation so-

wohl innerhalb der Fachgruppen,

vor allem aber mit anderen che-

mischen Disziplinen. So bietet die

Fachgruppe Nuklearchemie mit

der Veranstaltung zum Thema

chemische Analytik mit Hochleis-

tungsstrahlenquellen eine Diskus-

sionsplattform für alle Fachrich-

tungen. Die Gelegenheit zu fach-

übergreifenden Gesprächen sollte

kein Chemiker verpassen.

gegenwärtig zwischen 40 und 100 Euro, während Emitterfarbstoffe für organische Leuchtdioden in einer Menge von 10 g bis zu 10 000 Euro kosten können. Diese Preise können aber deutlich sinken, wenn organi-sche Leuchtdioden zu Massenpro-dukten werden.

Spezialfarbstoffe spielen heute beim technologischen Wandel eine ähnliche Rolle wie die Teerfarbstoffe vor etwa 100 Jahren: Sie garantieren den Unternehmen und Ländern ei-nen technischen Fortschritt, die sie kostengünstig produzieren und marktfähig zum Einsatz bringen. Al-lerdings unterscheiden sich die heuti-gen Firmen, die Farbstoffe herstellen

in einem von den Werksgiganten des 19. Jahrhunderts: Während in diesen früher Tausende von Beschäftigten an der Produktion von Farbstoffen be-teiligt waren, arbeiten heute nur rela-tiv kleine Mitarbeiterteams mit ho-hen Spezialkenntnissen und -fertig-keiten, um für die von der modernen, durch die Mikroelektronik und Da-tenkommunikation geprägte Indus-trie Produkte herzustellen und für ih-re jeweiligen Anwendungsgebiete einsatztauglich zu machen.

Horst Hartmann ist Professor am Department

Chemie der TU Dresden und leitet dort die His-

torische Farbstoffsammlung (s. Chem. unserer

Zeit 1993, 27, 237).

�Magazin� Chemiegeschichte 728

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