vorstand vb 04 dirk schumann, funktionsbereich tarifpolitik
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Vorstand VB 04
„Altersgrenzen und Altersrenten – Arbeiten bis zum Umfallen?“
Blickpunkt Sozialrecht, 30.04.2013
Dirk Schumann, Funktionsbereich Tarifpolitik
Demographischer Wandel
- Herausforderung für die Tarifpolitik
Vorstand VB 04
Gliederung:
1. Unterschiedliche Sichtweisen zur Situation Älterer in M+E – zwei
Beispiele
2. Problemlage und Handlungsbedarf aus Sicht der IG Metall
3. Bereits bestehende Tarifregelungen, die demographischen Wandel
betreffen/Verhandlungsverpflichtung 2012
4. Initiativen der IG Metall für Betriebe und gegenüber dem
Gesetzgeber – „Gute Arbeit - gut in Rente“
5. (Vorläufiges) Fazit
IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
Vorstand VB 04
Unterschiedliche Blickwinkel:
Ältere in der Metall- und Elektroindustrie
Bsp.1: Verdienstsicherung und Alterskündigungsschutz
Beschäftigte können – je nach Tarifgebiet – nach dem 53./54./55. Lebensjahr
und einer Betriebszugehörigkeit von 3, 5, 10 oder 15 Jahren nur noch
außerordentlich gekündigt werden.
Beschäftigte erhalten ihren bisherigen Verdienst im Umfang zwischen 95
und 100 % ab Erreichen des 53./54./55. Lebensjahres (plus
Betriebszugehörigkeit) abgesichert. In der Regel wird zusätzlich der
Nachweis einer Leistungsminderung, die Notwendigkeit eines
Arbeitsplatzwechsels u.ä. verlangt.
Wurden u.a. 1973 von der IG Metall unter der Überschrift „Humanisierung
der Arbeit“ gefordert und nach 9-tägigem Streik durchgesetzt.
IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
„Diese Regelungen passen so nicht mehr in die Zeit … sie stehen einer längeren Beschäftigung älterer
Arbeitnehmer oftmals im Weg. (…) Der Erhalt der Erwerbsfähigkeit ist auch Aufgabe des Mitarbeiters …
Sie können nicht zu viel rauchen, trinken oder sich falsch ernähren, haben dann gesundheitliche Probleme
mit 60 und sagen: Jetzt kann ich aber nicht mehr arbeiten und jetzt ist der Arbeitgeber dran, mir eine Lösung
zu bieten.“ (Dr. Stefan Wolf, Südwestmetall, Die Welt v. 5.11.2012)
Vorstand VB 04
Unterschiedliche Blickwinkel:
Ältere in der Metall- und Elektroindustrie
Bsp.2: Die Situation älterer Beschäftigter in M+E
IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
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Unterschiedliche Blickwinkel:
Ältere in der Metall- und Elektroindustrie
Bsp.2: Die Situation älterer Beschäftigter in M+E
IG Metall: Erfolgsmeldungen von Gesamtmetall (und
Bundesagentur) zum Anstieg der Beschäftigten „60+“ sind
Schönfärberei; die Chancen Älterer auf dem Arbeitsmarkt bleiben
schwierig. Die Fakten liefern keine Begründung für die „Rente mit
67“. Es fehlen alter(n)sgerechte Arbeitsplätze und flexible
Ausstiegsmöglichkeiten (IG Metall, SOPO-Info Nr. 13/April 2013).
Gesamtmetall: Die Zahl Älterer in M+E wächst kräftig, Altersklasse
„60+“ um 127 Prozent gestiegen; insgesamt niedriger Grad der
Beschäftigung Älterer liegt nicht an den Arbeitsbedingungen,
sondern ist Ergebnis einer falschen Politik von
Vorruhestandsprogrammen. Es geht nicht beides: Beschäftigung
Älterer und flächendeckender Vorruhestand (Gesamtmetall-
Informationen 13/2013).
IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
Vorstand VB 04
Nur selten altersgerechte Arbeitsgestaltung
Quelle: IGM-Betriebsräte-Umfrage Juni 2012
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79 Prozent bezweifeln, gesund das
Rentenalter zu erreichen
Quelle: IGM-Betriebsräte-Umfrage Juni 2012
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IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
Problemlage aus Sicht der IG Metall
Die M+E-Industrie hat schon jetzt ein Demographieproblem
- und es wird sich verstärken.
Es gibt immer weniger junge Beschäftigte.
Der Anteil der über 50-Jährigen ist bereits stark angewachsen
– und die Betriebe müssen sich künftig auf eine deutliche Erhöhung der
Quote der Älteren einstellen.
Der Anteil der über 60-Jährigen ist immer noch gering;
die reine Statistik verschleiert auch betriebliche Realitäten bei den
vorhandenen Arbeitsbedingungen.
Nur wenige Beschäftigte können die Belastungen der Arbeit bis zur
bisherigen Altersgrenze 65 und darüber durchhalten.
Hinzu kommen entgrenzte Arbeitszeiten und zunehmender Leistungsdruck.
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IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
Tarifpolitischer Handlungsbedarf
– auf mehreren Ebenen
1. Wir müssen in den Betrieben alter(n)sgerechte Arbeits- und
Leistungsbedingungen schaffen
Tarifpolitik kann und soll auch in Zukunft dafür einen Rahmen bieten
Das heißt: Die demografische Entwicklung und der Umbruch in der Arbeit
verstärken die Bedeutung qualitativer Betriebs- und Tarifpolitik
2. (Metall)Berufe für Auszubildende attraktiver machen, um mehr Nachwuchs
zu rekrutieren:
- Ansprüche auf Übernahme verbindlicher und besser ausgestalten
- ausreichende Ausbildungsvergütungen
3. Qualifizierungsmöglichkeiten (insgesamt – aber auch für Ältere) ausbauen
4. Wir benötigen auch in Zukunft, die Möglichkeit, dass Ältere flexibel und zu
fairen Bedingungen aus dem Arbeitsleben ausscheiden
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IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
Ansatzpunkte – Bereits bestehende Tarifregelungen
TV Qualifizierung in allen Tarifgebieten:
• Definition unterschiedlicher Qualifizierungsmaßnahmen und
persönlicher Weiterbildung; Freistellung und Kostentragung
• Feststellung des betrieblichen Qualifikationsbedarfs durch Arbeitgeber
und Betriebsrat
• Anspruch auf jährliche individuelle Qualifizierungsgespräche
Tarifliche Rahmenregelungen für Langzeitkonten in BaWü und NRW:
• Verwendungszwecke: Persönliche Lebensarbeitszeitplanung, vorzeitiges
Ausscheiden vor Rentenbeginn, Verkürzung der Arbeitsphase bei ATZ
• Zufluss- und Entnahmeregelungen: Max. 152 Stunden/Jahr; kein
„Überlauf“ aus anderen AZ-Konten; Beschäftigter entscheidet
Verwendung für tariflich festgelegte Zwecke
• Regelung durch BV, betriebliche Spielräume für weitere
Verwendungszwecke
Vorstand VB 04
TV zum flexiblen Übergang in die Rente (TV FlexÜ) – Fortführung der Altersteilzeit:
• Materiell wertgleiche Regelung durch BV möglich
• Individueller Anspruch, wenn keine BV; verschiedene Modelle (besonders Belastete haben
Vorrang); höhere Aufstockungsleistungen in niedrigeren Entgeltgruppen.
Entgeltumwandlung – „Metallrente“/“Altersvermögenswirksame Leistungen“ (frühere
VWL)
Regelungen zur unbefristeten Übernahme von Ausgebildeten:
• Beratung und Festlegung des Bedarfs auf Betriebsebene
• Ohne betriebliche Einigung Mindestübernahme für 12 Monate, Ausnahmen mit Zustimmung
des BR (wirtschaftliche Schwierigkeiten).
Förderung der Ausbildungsfähigkeit/Integration Berufsausbildung
In der Textil- und Bekleidungsindustrie und in der Branche Holz+Kunststoff werden
„Demographie-Pakete“ geschnürt; Themen u.a. Altersausstieg (ATZ), Übernahme
Azubis, Gesundheitsschutz, Belastungsabbau/alternsgerechte Arbeitsplätze,
Arbeitszeitmodelle
IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
Ansatzpunkte – Bereits bestehende Tarifregelungen
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IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
TV zur Gestaltung des demographischen Wandels
- Stahlindustrie 2006
Verbindliche Altersstrukturanalyse unter Berücksichtigung von
Qualifizierung, Qualifizierungsbedarfe, Belastungen und Gefährdungen;
Vorschlags- und Beratungsrecht des BR; regelmäßige Aktualisierung (alle
3-5 Jahre)
Abzuleitende Maßnahmen sind z.B.
• Gesundheits- und alternsgerechte Gestaltung von Arbeitsbedingungen
• Qualifizierung
• Abbau von Belastungsspitzen und Belastungswechsel
• Bildung von altersgemischten Teams
• Arbeitszeitgestaltung
• Gesundheits- und alternsgerechte Einsatzplanung
• Befähigung und Motivation der Beschäftigten zu gesundheitsgerechtem
Verhalten
• Nutzung von Langzeitkonten für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit
Einrichtung eines betrieblichen Fonds zur Finanzierung von zusätzlicher
Altersversorgung, Qualifizierung für alternsgerechtes Arbeiten,
zusätzliche Ausstiegsmodelle
Vorstand VB 04
IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
TV zur Gestaltung des demographischen Wandels
- Einschätzung und Bewertung
Der Tarifvertrag ist eher Prozessregelung als Normsetzung
Tarifvertrag war und ist wichtiger Impulsgeber
• Der Handlungsspielraum der Betriebsräte wird erweitert
• Bei den Führungskräften und Mitarbeitern wird das Problembewusstsein geschärft
Evaluierung ergab überwiegend positive Zwischenergebnisse:
Unterschiedliche betriebliche Ausgangslagen, aber durchgängig
Altersstrukturanalysen und Beginn von Maßnahmenplanung
(Belastungsanalysen, Wissenstransfer, Qualifizierung, Arbeitszeitgestaltung)
Aber: Stillstand in der Krise bei Umsetzung der Maßnahmen!
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IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
Verhandlungsverpflichtung M+E 2012
Gestaltung des demographischen Wandels durch
alter(n)sgerechte, differenzierte und flexible Arbeitszeitmodelle
Mögliche Bausteine könnten sein:
• Verbindliche Verfügungsrechte für Beschäftigte bei AZ-Konten (auch während
des Erwerbslebens), höhere Zeitsouveränität und Belastungsminderung.
• Wahl-Arbeitszeitmodelle oder kürzere Arbeitszeiten für Ältere und besonders
belastete Beschäftigtengruppen, ggf. mit (Teil-) Entgeltausgleich.
• Weitere tarifvertragliche Ausstiegsmodelle.
• ………………….
Erste Gespräche sollen nach der Tarifrunde 2013 beginnen.
Ein weiteres zukünftiges Tarifthema könnte die Weiterentwicklung
des TV Entgeltumwandlung sein (TV ist seit Ende 2012 kündbar).
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„Gute Arbeit – Gut in Rente“ Arbeitgeber und Politik als Adressaten
Gut
in
Rente
Gute
Arbeit
Adressat:
Betrieb/Arbeitgeber
Adressat:
Politik/Regierung
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Flexible Ausstiegsoptionen statt
Einheits-Rente mit 67
Die IG Metall bleibt beim Nein zur Rente ab 67 als
Regelaltersgrenze und leistungsrechtlichem Bezugspunkt für
abweichende Rentenzugänge!
Die Menschen und die Arbeitsbedingungen sind viel zu
unterschiedlich für starre Einheitslösungen.
Das Gegenmodell der IG Metall: Statt „Einheitsgrenze für alle“
(„Rente ab 67“) bis zur Regelaltersgrenze „65“
Wahlmöglichkeiten für jeden“
• Erleichterter Rentenzugang für Erwerbsgeminderte
• Öffentliche Förderung gleitender Übergänge
• Abschlagsfreier Rentenzugang für Beschäftigte mit langen Versicherungszeiten
• Solidarische Erwerbstätigenversicherung
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Gestaltungshinweise
»Alternsgerechtes Arbeiten und demographischer
Interessenausgleich«
•Bestandsaufnahme Altersstrukturanalyse
Personalengpassanalyse
Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs
Alternskritische Gefährdungsbeurteilung
Befragung der Beschäftigten
•Gestaltungsmaßnahmen Arbeitsplätze mit Gesundheitsgefährdung
Freistellungsrechte
Ausgleich von Rentenabschlägen
Personalplanung und Weiterbildung
Betriebliche Gesundheitsförderung
Verbot von Altersdiskriminierung
Betriebliche Förder- und Beratungsangebote
Qualifizierung der Führungskräfte
•Prozessteuerung Gemeinsame Kommission
Datenschutz
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•Daimler
•Bremen
•Arcelor Mittal
•Bremen
•Gildemeister
•Bielefeld
•TKS Europe
•Duisburg
•VW
•Kassel
•Aleris
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•Kassel
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Hamburg
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Bückeburg
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Automotive
Penzberg GmbH
•Elektrostahlwerk
Gröditz
•BMG
•Glauchau
•Schaeffler
Schweinfurt
•Miele
•Bielefeld
Pilotbetriebe aus allen Regionen
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Tarifverträge zur Bewältigung demographischen Wandels sind zu einzelnen Themen vorhanden – es fehlt derzeit die „Bündelung“ einzelner Maßnahmen durch einen Rahmen (z.B. wie TV Demographie Stahl) und ihre spezifische Weiterentwicklung
Das Thema alterns- und altersgerechte Arbeitszeit- und Leistungsbedingungen stellt – bezüglich seiner Ausgestaltung und seiner Durchsetzung – eine besondere Herausforderung dar
Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen stimmen, Tarifpolitik taugt nur begrenzt als „Reparaturbetrieb“ für verfehlte Sozialpolitik.
IG Metall Vorstand, Funktionsbereich Tarifpolitik
(Vorläufiges) Fazit