was ist was? biochemie, chemische biologie et al

3
S Um die Fachgebiete mit Biolo- gie und Chemie im Namen gegen- einander abzugrenzen, ist es hilf- reich, sich zwei Fragen zu stellen. Welche biologischen Probleme un- tersucht das Forschungsfeld? Mit welchen Methoden und Techniken geschieht das? Von der Zellbiologie zur Molekularbiologie S Die Zellbiologie (Cytologie) be- fasst sich mit dem „Bau und den Funktionen von pflanzlichen, tieri- schen und menschlichen Zellen“. 1) Der Begriff der Zelle ist bereits seit dem Jahr 1667 eingeführt, das Ge- biet der Zellbiologie ist daher das älteste der hier besprochenen. 1) Untersucht werden biologische Vorgänge wie die Bewegung von Zellen und Zellverbänden, Wachs- tum und Teilung von Zellen und die Funktion von Zellorganellen und ihren Membranen. Essenziell in der Zellbiologie sind mikrosko- pische Methoden wie Histologie, Elektronenmikroskopie oder Fluo- reszenzmikroskopie, um Zellkultu- ren oder Zellverbände in Organis- men zu untersuchen. 1) In der molekularen Zellbiologie (auch: Molekularbiologie der Zel- le) werden zelluläre Vorgänge auf molekularer Ebene in Form von Makromolekülen wie Proteinen, DNA und RNA sowie Lipiden un- tersucht. 2) Sie nutzt Methoden der Molekularbiologie, und der Über- gang in dieses Forschungsfeld ist fließend. 2) Der Begriff Molekularbiologie entstand Ende der 1930er Jahre; seit den 1950er Jahren ist dann von einem eigenen Feld Molekularbio- logie zu sprechen. 3) Diese Teildis- ziplin der Biologie untersucht „Le- benserscheinungen im molekula- ren Bereich, besonders im Bereich der informationstragenden Makro- moleküle (DNA, RNA, Proteine)“ und sie versucht, „Lebensvorgänge auf Ebene von Struktur, Funktion und Umwandlung dieser Moleküle zu erklären“. 4) Das Methodenspek- trum reicht von der Mikroskopie über Zellkultur, Proteinaufreini- gung aus Zellen und Strukturbe- stimmung bis zum Klonieren (mo- lekulare Genetik) und Analysieren durch Blot-Techniken und Gelelek- trophorese. 2) Dieses Methoden- spektrum verdeutlicht, dass eine Abgrenzung zur molekularen Zell- biologie und zur Biochemie nicht möglich ist und sich diese Fächer ergänzen. Die Interdisziplinarität der Mole- kularbiologie wird auch durch ein Zitat des Physikers Francis Crick verdeutlicht, der gemeinsam mit dem Biologen James Watson die Struktur der DNA aufklärte und da- für im Jahr 1962 den Nobelpreis er- hielt: „I ... was forced to call myself a molecular biologist because when enquiring clergymen asked me what I did, I got tired of explaining that I was a mixture of a crystallographer, biophysicist, biochemist and geneti- cist ...“. 3) Francis Crick formulierte das zentrale Dogma der Molekular- biologie: „DNA makes RNA makes protein“. 5) Biochemie S Die Biochemie „untersucht die Chemie der Lebensvorgänge“. 6) Sie bedient sich chemischer Methoden Maja Köhn Die Begriffe molekulare Zellbiologie, Molekularbiologie, Biochemie, bio(an)organische Chemie und chemische Biologie sind weit verbreitet, doch scheint es immer weniger Unterschiede zwischen den Fachgebieten zu geben. Wo liegen die Überlappungen, wo sind Grenzen sinnvoll? Was ist was? Biochemie, chemische Biologie et al. BInterdisziplinaritätV Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten 142

Upload: maja

Post on 22-Jan-2017

213 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

S Um die Fachgebiete mit Biolo-gie und Chemie im Namen gegen-einander abzugrenzen, ist es hilf-reich, sich zwei Fragen zu stellen. Welche biologischen Probleme un-tersucht das Forschungsfeld? Mit welchen Methoden und Techniken geschieht das?

Von der Zellbiologie zur Molekularbiologie

S Die Zellbiologie (Cytologie) be-fasst sich mit dem „Bau und den Funktionen von pflanzlichen, tieri-

schen und menschlichen Zellen“.1) Der Begriff der Zelle ist bereits seit dem Jahr 1667 eingeführt, das Ge-biet der Zellbiologie ist daher das älteste der hier besprochenen.1)

Untersucht werden biologische Vorgänge wie die Bewegung von Zellen und Zellverbänden, Wachs-tum und Teilung von Zellen und die Funktion von Zellorganellen und ihren Membranen. Essenziell in der Zellbiologie sind mikrosko-pische Methoden wie Histologie, Elektronenmikroskopie oder Fluo-reszenzmikroskopie, um Zellkultu-ren oder Zellverbände in Organis-men zu untersuchen.1)

In der molekularen Zellbiologie (auch: Molekularbiologie der Zel-le) werden zelluläre Vorgänge auf molekularer Ebene in Form von Makromolekülen wie Proteinen, DNA und RNA sowie Lipiden un-tersucht.2) Sie nutzt Methoden der Molekularbiologie, und der Über-gang in dieses Forschungsfeld ist fließend.2)

Der Begriff Molekularbiologie entstand Ende der 1930er Jahre; seit den 1950er Jahren ist dann von einem eigenen Feld Molekularbio-logie zu sprechen.3) Diese Teildis-ziplin der Biologie untersucht „Le-benserscheinungen im molekula-ren Bereich, besonders im Bereich der informationstragenden Makro-moleküle (DNA, RNA, Proteine)“ und sie versucht, „Lebensvorgänge

auf Ebene von Struktur, Funktion und Umwandlung dieser Moleküle zu erklären“.4) Das Methodenspek-trum reicht von der Mikroskopie über Zellkultur, Proteinaufreini-gung aus Zellen und Strukturbe-stimmung bis zum Klonieren (mo-lekulare Genetik) und Analysieren durch Blot-Techniken und Gelelek-trophorese.2) Dieses Methoden-spektrum verdeutlicht, dass eine Abgrenzung zur molekularen Zell-biologie und zur Biochemie nicht möglich ist und sich diese Fächer ergänzen.

Die Interdisziplinarität der Mole-kularbiologie wird auch durch ein Zitat des Physikers Francis Crick verdeutlicht, der gemeinsam mit dem Biologen James Watson die Struktur der DNA aufklärte und da-für im Jahr 1962 den Nobelpreis er-hielt: „I ... was forced to call myself a molecular biologist because when enquiring clergymen asked me what I did, I got tired of explaining that I was a mixture of a crystallographer, biophysicist, biochemist and geneti-cist ...“.3) Francis Crick formulierte das zentrale Dogma der Molekular-biologie: „DNA makes RNA makes protein“.5)

Biochemie

S Die Biochemie „untersucht die Chemie der Lebensvorgänge“.6) Sie bedient sich chemischer Methoden

Maja Köhn

Die Begriffe molekulare Zellbiologie, Molekularbiologie, Biochemie, bio(an)organische Chemie

und chemische Biologie sind weit verbreitet, doch scheint es immer weniger Unterschiede

zwischen den Fachgebieten zu geben. Wo liegen die Überlappungen, wo sind Grenzen sinnvoll?

Was ist was? Biochemie, chemische Biologie et al.

BInterdisziplinaritätV

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten

142

zur „Ermittlung von Struktur und Funktion einzelner Zellbestandtei-le“ und um chemische Prozesse des Zellgeschehens zu untersuchen, beispielsweise den Energiestoff-wechsel sowie dessen Zyklen und Regulationsmechanismen.1) Die Forscher, die diese Fachrichtung als eigene Disziplin etablierten, wa-ren oft sowohl Mediziner als auch Chemiker. Ein Beispiel ist Otto Warburg, der im Jahr 1931 den No-belpreis für „die Entdeckung der Natur und der Funktion des At-mungsenzyms” erhielt.7)

Biochemische Studien finden in vitro statt; rekombinante Metho-den zur Proteinexpression, Pro-teinreinigung, Isolierung aus Na-turstoffen oder chemische Synthe-se liefern die nötigen molekularen Komponenten.6)

Im Lauf der Zeit hat sich die ur-sprünglich mechanistisch-chemi-sche Herangehensweise der Bio-chemie in einigen Gebieten der et-was weniger detaillierten, makro-molekularen aus der Molekular-biologie genähert. Eine moderne Entwicklung aus der Biochemie ist die Metabolomik. Sie identifiziert und quantifiziert Metaboliten in systemischen (als Teilgebiet der Systembiologie) und dynamischen Prozessen. Metabolomik hilft so, komplexe Vorgänge im Organis-mus zu beschreiben und zu verste-hen.8)

Bioorganische und bioanorganische Chemie

S Die bioorganische Chemie ist zwischen den Fachrichtungen Bio-chemie und organische Chemie angesiedelt.9) Die Disziplin gibt es schon sehr lange, der Begriff bilde-te sich erst wesentlich später: Während Friedrich Wöhler den Harnstoff bereits im Jahr 1828 synthetisierte,1) fand erst 1985 das erste Iupac International Symposi-um on Bioorganic Chemistry statt.9) Wissenschaftler, die in der bioorganischen Chemie beheima-tet sind, beschäftigen sich mit der chemischen Synthese von moleku-laren Modellen und Molekülen aus Lebewesen wie Nukleinsäu-ren, Proteinen und Peptiden, Zu-ckern und Lipiden. Sie wollen da-mit biochemische Prozesse verste-hen oder die chemische Struktur biologischer Systeme aufklären und daraus auf deren Funktion schließen.10) Die Synthese von De-rivaten und Mimetika von Wirk-stoffen ist zudem ein wichtiger Be-standteil der pharmazeutischen Forschung.11) Der Schwerpunkt der bioorganischen Chemie liegt somit in der Synthese und der Ent-wicklung von Synthesemethoden für Biomoleküle.

Historisch ähnlich verlief die Be-griffsbildung der bioanorganischen Chemie. Das Teilgebiet entwickelte

sich als eigene Fachrichtung erst nach dem Jahr 1960, aber anorga-nische Elemente waren schon früh – Eisen im Tierblut beispielsweise schon im Jahr 1704 – als konstitu-tive Bestandteile lebender Materie erkannt worden. Die Bioanorganik beschreibt bioanorganische Syste-me und untersucht die Verknüp-fung von Funktion, dem struktu-rellem Aufbau und der konkreten Reaktivität in Organismen. Dieses Fachgebiet ist ebenfalls hochinter-disziplinär: Es verbindet unter an-derem die Biochemie mit der anor-ganischen Chemie, der Physik und der Toxikologie.12)

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten

X

Gra

fik:

Bel

kin

& C

o –

Foto

lia

Biologische Struk-

tur, chemische

Formel oder wilde

Mischung?

Wenn Biologie

auf Chemie trifft,

herrscht anschei-

nend manchmal

Verwirrung.

Chemische Biologie

S Die chemische Biologie wird erst seit 1992 als eigenes Feld defi-niert.13) Praktiziert wurde sie aller-dings – wie die bioorganische Che-mie – bereits vor der Namensge-bung.14) Bei der chemischen Biolo-gie handelt es sich um einen Grenz-bereich zwischen Chemie und Bio-logie. Allgemein wird chemische Biologie definiert als die Entwick-lung und Anwendung chemischer Techniken und Werkzeuge, um bio-logische Fragen aufzuklären.15) Dies erfordert großes Verständnis von chemischen Techniken und von biologischer Forschung.

Ursprünglich war chemische Biologie die Verbindung zwischen organischer Chemie und Zellbiolo-gie; der Fokus lag auf der Manipu-lation zellulärer Systeme und deren Bestandteile durch kleine Molekü-le.13) Heutzutage wird der Begriff jedoch viel breiter verwendet: Che-mie bezeichnet nur noch haupt-sächlich, aber nicht mehr aus-schließlich, die organische und bioorganische Chemie, während in der Biologie quasi keine Grenzen

gesetzt sind.16) Die chemische Bio-logie ist somit die am breitesten de-finierte der besprochenen Fach-richtungen und umfasst alle oben diskutierten Fachgebiete und deren Methoden.

Diese breite Aufstellung macht es schwer, die Fachrichtungen zu unterscheiden. Wenn zum Beispiel (kommerziell erhältliche) Inhibito-ren zur Untersuchung eines biolo-gischen Phänomens in Zellen be-nutzt, aber nicht dafür entwickelt werden, wäre dies trotz des chemi-schen Werkzeuges (des Inhibitors) in die Molekularbiologie oder Zell-biologie einzuordnen.

Ein weiteres Beispiel ist die Ent-wicklung von Synthesemethoden, um chemisch modifizierte Proteine in vitro herzustellen. Dienen diese Proteine nicht explizit zur Erfor-schung biologischer Fragen, so ist diese Arbeit der bioorganischen Chemie zuzuordnen. Werden je-doch biologische Fragen mit diesen Proteinen beantwortet, handelt es sich um chemische Biologie.

Fachrichtungen zuordnen: Warum?

S Besonders die Zuordnung zur chemischen Biologie liegt stark im Ermessen des Betrachters17) und die Übergänge zwischen den oben aufgeführten Disziplinen sind flie-ßend. Daher können die Beschrei-bungen der Fächer nur ein An-haltspunkt sein und keine Defini-tionen.

Trotz aller Defizite bleibt die Zu-ordnung wissenschaftlicher Arbei-ten zu Fachrichtungen sinnvoll. Sie hilft, die Arbeiten zu beschreiben und zu kategorisieren, und bringt Wissenschaftler mit gemeinsamen Interessen zusammen. Die Beschrei-bungen der Fachrichtungen dienen zudem als Basis für die Lehre. Da-her beeinflussen Weiterentwicklun-gen in den Fachrichtungen, der flie-ßende Übergang zwischen ihnen und die immer häufiger auftretende Interdisziplinarität in wissenschaft-lichen Arbeiten auch die Entwick-lung der Lehre und der akademi-schen Infrastrukturen.

Literatur

1) Lexikon der Biologie Band 2, Herder

Verlag, Freiburg, Basel, Wien, 1984.

2) Molekularbiologie der Zelle [Hrsg.:

B. Alberts, A. Johnson, J. Lewis, M. Raff,

K. Roberts, P. Walter, Deutscher Hrsg.:

U. Schäfer], 5. Aufl, Wiley-VCH, Wein-

heim, ., 2011.

3) J. C. Kendrew, The Encyclopedia of

Molecular Biology [Hrsg.: J. C. Kendrew],

Blackwell Science, Oxford, 1994.

4) Lexikon der Biologie Band 6, Herder

Verlag, Freiburg, Basel, Wien, 1986.

5) F. Crick, Nature 1970, 227, 561.

6) Biochemie [Hrsg.: J. M. Berg,

J. L. Tymoczko, L. Stryer], Elsevier

Spektrum Akademischer Verlag,

Heidelberg, 6. Aufl., 2007.

7) H. Krebs, Otto Warburg, Clarendon Press,

Oxford, 1981.

8) M. Casante, S. Marin, Essays in

Biochemistry: Systems Biology [Hrsg.:

O. Wolkenhauer, P. Wellstead, K.-H. Cho],

Portland Press, 2008.

9) N. J. Leonard, Pure Appl. Chem. 1994,

66, 659.

10) Bioorganic Chemistry: A Chemical

Approach to Enzyme Action [Hrsg.:

H. Dugas], 3. Aufl., Springer, New York,

Berlin, Heidelberg, 1996.

11) Bioorganic Chemistry: Highlights and

New Aspects [Hrsg.: U. Diederichsen,

T. K. Lindhorst, B. Westermann,

L. A. Wessjohann], Wiley-VCH,

Weinheim, 1999.

12) W. Kaim, B. Schwederski, Bioanorgani-

sche Chemie, Teubner Studienbücher

Chemie, Stuttgart, 1995.

13) S. L. Schreiber, Chem. Eng. News 1992,

70, 22.

14) K. L. Morrison, G. A. Weiss, Nat. Chem.

Biol. 2006, 2, 3.

15) Chemical Biology – A Practical Course,

[Hrsg.: H. Waldmann, P. Janning],

Wiley-VCH, Weinheim, 2004.

16) Wiley Encyclopedia of Chemical Biology,

[Hrsg.: T. P. Begley], Wiley, Hoboken,

New Jersey, 2009.

17) K.-H. Altmann, J. Buchner, H. Kessler,

F. Diederich, B. Kräutler et al.,

ChemBioChem 2009, 10, 16.

Maja Köhn ist Gruppenlei-

terin am European Molecu-

lar Biology Laboratory

(EMBL) in Heidelberg. Für

diesen Artikel zog sie nicht

nur Standardwerke zu Ra-

te, sondern befragte auch Kollegen der ver-

schiedenen Felder zu ihrer Interpretation der

Fachdefinitionen. Dabei wurde ihr zweierlei

deutlich: Die Felder haben sich im Lauf der

Zeit so verändert, dass es nun einen fließen-

den Übergang zwischen ihnen gibt. Zudem in-

terpretieren die befragten Wissenschaftler die

einzelnen Felder unterschiedlich – und stark

abhängig von den eigenen Forschungsgebie-

ten und -vorlieben.

Lesen und bestellen Sie den Newsletter hier:www.gdch.de/newsletter

Der GDCh-NewsletterFür Neugierige:

NützlicheInformationenaktuell im2-Wochen-Rhythmus.

144 BMagazinV Interdisziplinarität

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten