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Michael Peck Sternkamp 32 48165 Münster Zu Weihnachten 2014 Liebe Zeitgenossen, Wegbegleiter, Kollegen, liebe Mitarbeiter, liebe Kinder, liebe Familie ! erstmals in meiner 25-jährigen Markthändlerlaufbahn gehe ich in diese vor uns liegende Weihnachtswoche mit einer schier übergroß gewordenen Müdigkeit. Mit dieser suche ich selbst, der Hoffnung einmal mehr auf die Spur zu kommen, welche von der Armseligkeit ausgehen will, die diese abermals zu erinnernde Geburt in uns grundlegt. . Und da fällt mir dieses Gespräch mit einer über 10 Jahre älteren Mitarbeiterin ein, die mich, den Theologen, in einer Frühstückspause einmal fragte : „ Glauben Sie an Gott ? „ Ich habe einige Tage gebraucht, bis ich meine Antwort gab. „ Ich glaube nicht an Gott. Ich suche, wem ich Gott zu glauben geheißen bin. „ , habe ich zu ihr gesagt. Auf dieser Suche bin ich in diesem Jahr dem Jesuiten Christian Herwartz begegnet, und habe mit seiner Begleitung im vergangenen Sommer Exerzitien auf der Straße in Berlin gemacht. Christian lebt in Berlin in einer Kommunität in Kreuzberg zusammen mit der Art von Paradiesvögeln, in deren Nähe ich beim Mitleben mit ihnen die Erfahrung machen durfte, von welcher der Jesuit Martin Maier in seinem Buch über Oskar Romero, dem 1980 in El Salvador ermordeten Erzbischof, dessen Wegbegleiter Jon Sobrino sagen lässt : In seiner Nähe habe er es als Gnade empfunden, Klein – sein zu dürfen. Ich durfte klein sein. Und das in einer Kreuzberger Wohngemeinschaft von armseligen Habenichtsen, die diese, ihre Armseligkeit selbst Paradies nennen.

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Page 1: file · Web viewMichael Peck. Sternkamp 32. 48165 Münster. Zu Weihnachten 2014. Liebe Zeitgenossen, Wegbegleiter, Kollegen, liebe Mitarbeiter, liebe Kinder, liebe Familie !

Michael PeckSternkamp 3248165 Münster

Zu Weihnachten 2014

Liebe Zeitgenossen, Wegbegleiter, Kollegen,liebe Mitarbeiter, liebe Kinder, liebe Familie !

erstmals in meiner 25-jährigen Markthändlerlaufbahn gehe ich in diese vor uns liegende Weihnachtswoche mit einer schier übergroß gewordenen Müdigkeit.Mit dieser suche ich selbst, der Hoffnung einmal mehr auf die Spur zu kommen, welche von der Armseligkeit ausgehen will, die diese abermals zu erinnernde Geburt in uns grundlegt. .

Und da fällt mir dieses Gespräch mit einer über 10 Jahre älteren Mitarbeiterin ein, die mich, den Theologen, in einer Frühstückspause einmal fragte : „ Glauben Sie an Gott ? „Ich habe einige Tage gebraucht, bis ich meine Antwort gab.„ Ich glaube nicht an Gott. Ich suche, wem ich Gott zu glauben geheißen bin. „ , habe ich zu ihr gesagt.

Auf dieser Suche bin ich in diesem Jahr dem Jesuiten Christian Herwartz begegnet, und habe mit seiner Begleitung im vergangenen Sommer Exerzitien auf der Straße in Berlin gemacht.Christian lebt in Berlin in einer Kommunität in Kreuzberg zusammen mit der Art von Paradiesvögeln, in deren Nähe ich beim Mitleben mit ihnen die Erfahrung machen durfte, von welcher der Jesuit Martin Maier in seinem Buch über Oskar Romero, dem 1980 in El Salvador ermordeten Erzbischof, dessen Wegbegleiter Jon Sobrino sagen lässt : In seiner Nähe habe er es als Gnade empfunden, Klein – sein zu dürfen.Ich durfte klein sein. Und das in einer Kreuzberger Wohngemeinschaft von armseligen Habenichtsen, die diese, ihre Armseligkeit selbst Paradies nennen.Solch paradiesischer Armseligkeit nachzudenken war das Eine, führte jedoch nicht zur Annahme.Erst mein Hineingehen in mein Klein-sein, genauer gesagt erst mein klein s e i n ( die wesentliche Gnade meiner Exerzitien in Berlin ) machen meiner Suche ein Ende.

Was, wenn meine schier übergroß gewordene Müdigkeit aus der tagtäglichen Herausforderung zu irgendeiner Vorstellung von Größe rührt ?Eine Gefahr, der zu erliegen, dem Theologen schnell geschehen kann, steigt er in die Spannung ein, welche die beiden folgenden Texte aufbauen.

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Erster Text :

„In ihren Tagebüchern der Jahre 1941-43 hat die Niederländerin Etty Hillesum diese Vorstellung einer zumindest zeitweise eingeschränkten Souveränität Gottes unter dem Eindruck des Naziterrors in die folgenden dramatischen Sätze gefasst:

Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen. Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie gehören nun mal zu diesem Leben. Ich fordere keine Rechenschaft von dir, du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen.“

Und der 2. Text :

Meine Erinnerungen an die Kommunität in Kreuzberg eingedenk meiner Suche brachte in mir diesen Text hervor :

„Ich hatte einen Traum :

In der Mittagspause der deutschen Bischofskonferrenz geht ein von den Einen als leutseelig, von den Anderen als habseelig wahrgenommener Purpurträger auf den Platz vor der Kirche.Hier trifft er einen armseeligen Habenichts.Bei dessen Anblick zieht es dem Purpurträger die Schuhe aus, und er traut sich ( !! ), und legt dem Habenichts diese, seine Frage vor :

„ Was ist das Zentrum in dieser Kirche ? Der Tisch oder das Kreuz ? „

Der Habenichts schweigt, hört in sich, erinnert sich, wie er schon dort hinein zu Tisch gegangen war und wie er auch schon dort hinein zu Kreuz gekrochen war und wie die bohrenden Blicke auf sein Habenichts-sein ihn diese Kirche immer wieder mit diesem schalen Lebensgefühl haben verlassen lassen. Dann kommt in seiner Erinnerung dieser andere Armseelige dazu, und wie sie schon so oft mit ihrem ganzen Habenichts-sein um diesen gefundenen, mehr als in die Jahre gekommenen Tisch gesessen haben, auf zusammengewürfelten Stühlen, miteinander assen, was ihnen gegeben worden war.

Jetzt wendet der Armseelige seinen Blick dem Purpurträger zu, und sagt dem zu :

„ Bei uns sitzen die gekreuzigten miteinander am Tisch.Und wir teilen einander mit, was auf den Tisch kommt.“

Jetzt schlägt die Turmuhr 3.00 Uhr.Der Habenichts geht betteln für das Abendessen zu Hause in seiner Armseeligkeit.Der Purpurträger geht in seine Kirche, geht dort in die Knie und weint stumm in sich hinein.“

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Wenn es mir gelingt, einer vorschnellen und billigen Identifikation mit dem Armseeligen eine Absage zu erteilen und in den eigenen Vorstellungen von Größe den ( stumm in sich hinein weinenden) Purpurträger wieder zu finden, dann finde ich vielleicht die Kirche, welche Papst Franziskus meint, wenn er von einer verbeulten Kirche spricht, die ihm am Herzen liegt.

Und dann führt mich meine Suche dahin :

„Madeleine Delbrêl lebt in der Spannung zwischen Kirche und Gesellschaft, die (nicht nur) damals von beiden Seiten bedroht war. Die Kirche zog sich in sich selbst zurück vor einer immer gleichgültigeren Welt, die von ihr nichts mehr erwartete. Man muss das wissen, um die folgenden Sätze nicht misszuverstehen.

Einzig in der Kirche und durch sie ist das Evangelium Geist und Leben. Außerhalb ist es nur noch geistreich, nicht mehr Heiliger Geist.

Die Evangelisierung der Welt, ihr Heil ist die eigentliche Berufung der Kirche. Sie ist unaufhörlich auf die Welt hin ausgespannt, strebt zu ihr hin wie die Flamme zum Stroh. Aber diese Spannung wäre eine Überforderung für jemanden, der nichts weiter als er oder sie selbst sein wollte.

Je kirchenloser die Welt ist, in die man hineingeht, desto mehr muss man Kirche sein. In ihr liegt die Mission – durch uns muss sie hindurchgehen.

(Deine Augen in unseren Augen, 214.)

Das wäre durchaus eine Kirche, von der auch heute viele träumen: Eine Gemeinschaft von Menschen, in der sich das Evangelium verkörpert und deren Identität nicht in der strikten Abschottung besteht, sondern die sich fordern, dehnen und verändern lässt, die in ihrem Hineingehen in die Welt auch über sich selbst hinauswächst.

Reduziert man das Evangelium auf eine körperlose Idee, und versucht man aus dieser Idee Kapital zu schlagen für andere Zwecke (Bildung, Wellness, bürgerliche Moral etc.), dann ist es nur noch geistreich. Nicht wertlos, aber weit unter Wert verkauft.“

Also in die Kirche ?

Danach sieht es aus; dahin, zur verbeulten Kirche der um den in die Jahre gekommenen Tisch zusammensitzenden Gekreuzigten, dahin zieht es mich.

Wenn bloß nicht diese eigenen Vorstellungen von Größe wären, und dieses Schlottern in meinen Knien.

Ob mir in diesem Jahr die Erinnerung an diese Geburt in diesem zugigen Stall Mut macht ?

Das möge werden ! Das wünsche ich uns, danach strecke ich mich aus.

Etwas Anderes habe ich in diesem Jahr nicht zu verschenken.

Frohe Weihnachten

Michael