wilhelm ubben (ubbena, ubbius, ubbinus) · wilhelm ubben (ubbena, ubbius, ubbinus) geb. gest....

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Wilhelm UBBEN (UBBENA, UBBIUS, UBBINUS) geb. ? gest. August 1539 Jurist, gräflicher Kanzler kath. (BLO I, Aurich 1993, S. 353 - 354) Ubben ist bäuerlicher Abstammung und kommt aus einer alten Larrelter Eigenerben-Familie. Sein Vater, Remet Ubben, war zunächst Kirchvogt in Larrelt, zwischen 1494 und 1514 ist er dann als Ratsherr in Emden belegt. In zweiter Ehe war er mit Eiske Hompen, der Tochter des Emder Bürgermeisters Hompo Hayen, verheiratet. Dadurch war Ubben als Halbbruder mit dem Humanist und Kanzler Karls V., Hayo Hompen, verwandt. Die Beziehung muß freundschaftlich gewesen sein, denn seiner Lucianus-Ausgabe von 1530 stellt Hompen eine Widmung an Ubben voran. Ubben war auch weitläufig mit dem Bruder Rudolf Agricolas, dem ostfriesischen Landrichter Johannes Huesman, verwandt, wodurch er in den Besitz von Agricola-Briefen kam, die er dann dem Herausgeber der Werke Agricolas, Alardus von Amsterdam, für die Veröffentlichung zur Verfügung stellte. Ubben gehört zu den ostfriesischen Humanisten, die der Reformation kritisch gegenüberstanden und katholisch blieben; Emmius bescheinigt ihm sogar, "leidenschaftlich" seinen alten Glauben verteidigt zu haben und erwähnt seine enge Beziehung zu Heinrich von Norden, der als Guardian des Emder Franziskanerklosters die Reformation scharf bekämpfte. Aus Enttäuschung über die Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse in seiner Heimat ging Ubben 1538 nach Groningen und war somit ein früher ostfriesischer Glaubensflüchtling. In der Kirche von Bierum, nördlich von Appingedam, liegt er begraben. Seine Nachkommen gingen im Groninger Land- und Stadtadel auf; ein Sohn, Joachim, war von 1568 bis 1594 Bürgermeister der Stadt Groningen. Ubben stand von 1503 bis 1538, mit einer Unterbrechung von ca. 1530 bis 1534, als Kanzler im Dienst der ostfriesischen Grafen. Daß er diesen wichtigsten Verwaltungsposten des Landes trotz seiner von der offiziellen gräflichen Linie entschieden abweichenden religiösen Überzeugung über so lange Zeit innehaben konnte, deutet auf seine überragenden Fähigkeiten. Gerade in den schwierigen außenpolitischen Situationen des Landes wie in den Verhandlungen mit dem Herzog Karl von Geldern im Anschluß an die Sächsische Fehde spielte Ubben offensichtlich eine entscheidende Rolle. Und auch seine Rückholung ins Kanzleramt 1534 steht wohl in Zusammenhang einer akuten Krisensituation und ist vielleicht auch Ausdruck des Kalküls, mit dem strengen Katholiken Ubben die Verhandlungsposition gegenüber Karl von Geldern zu verbessern. Literatur: Ubbo E m m i u s, Rerum Frisicarum historia, Leiden 1616 (dt. Übers. u.d.T.: Friesische Geschichte, Band 1-6, Frankfurt am Main 1981-1982 [s. dort das Register]; Friedrich R i t t e r, Der Kanzler Wilhelm Ubbena, in: Jahrbuch der Ges. für bildende Kunst und vaterländ. Altertümer zu Emden 18, 1913/14, S. 128-131; Bedeutende Familien der ostfriesischen Heimat, in: Ostfriesische Sippenforschung. Beil. zur Ostfriesischen Tageszeitung vom 6. und 13. 8. 1938; Joseph K ö n i g, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands bis zum Aussterben seines Fürstenhauses, Göttingen 1955 (Veröffentlichungen der nieders. Archivverwaltung, 2), S. 54-56 und passim. Martin Tielke

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Page 1: Wilhelm UBBEN (UBBENA, UBBIUS, UBBINUS) · Wilhelm UBBEN (UBBENA, UBBIUS, UBBINUS) geb. gest. August 1539 Jurist, gräflicher Kanzler kath. (BLO I, Aurich 1993, S. 353 - 354) Ubben

Wilhelm UBBEN (UBBENA, UBBIUS, UBBINUS) geb. ? gest. August 1539 Jurist, gräflicher Kanzler kath. (BLO I, Aurich 1993, S. 353 - 354) Ubben ist bäuerlicher Abstammung und kommt aus einer alten Larrelter Eigenerben-Familie. Sein Vater, Remet Ubben, war zunächst Kirchvogt in Larrelt, zwischen 1494 und 1514 ist er dann als Ratsherr in Emden belegt. In zweiter Ehe war er mit Eiske Hompen, der Tochter des Emder Bürgermeisters Hompo Hayen, verheiratet. Dadurch war Ubben als Halbbruder mit dem Humanist und Kanzler Karls V., Hayo Hompen, verwandt. Die Beziehung muß freundschaftlich gewesen sein, denn seiner Lucianus-Ausgabe von 1530 stellt Hompen eine Widmung an Ubben voran. Ubben war auch weitläufig mit dem Bruder Rudolf Agricolas, dem ostfriesischen Landrichter Johannes Huesman, verwandt, wodurch er in den Besitz von Agricola-Briefen kam, die er dann dem Herausgeber der Werke Agricolas, Alardus von Amsterdam, für die Veröffentlichung zur Verfügung stellte. Ubben gehört zu den ostfriesischen Humanisten, die der Reformation kritisch gegenüberstanden und katholisch blieben; Emmius bescheinigt ihm sogar, "leidenschaftlich" seinen alten Glauben verteidigt zu haben und erwähnt seine enge Beziehung zu Heinrich von Norden, der als Guardian des Emder Franziskanerklosters die Reformation scharf bekämpfte. Aus Enttäuschung über die Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse in seiner Heimat ging Ubben 1538 nach Groningen und war somit ein früher ostfriesischer Glaubensflüchtling. In der Kirche von Bierum, nördlich von Appingedam, liegt er begraben. Seine Nachkommen gingen im Groninger Land- und Stadtadel auf; ein Sohn, Joachim, war von 1568 bis 1594 Bürgermeister der Stadt Groningen. Ubben stand von 1503 bis 1538, mit einer Unterbrechung von ca. 1530 bis 1534, als Kanzler im Dienst der ostfriesischen Grafen. Daß er diesen wichtigsten Verwaltungsposten des Landes trotz seiner von der offiziellen gräflichen Linie entschieden abweichenden religiösen Überzeugung über so lange Zeit innehaben konnte, deutet auf seine überragenden Fähigkeiten. Gerade in den schwierigen außenpolitischen Situationen des Landes wie in den Verhandlungen mit dem Herzog Karl von Geldern im Anschluß an die Sächsische Fehde spielte Ubben offensichtlich eine entscheidende Rolle. Und auch seine Rückholung ins Kanzleramt 1534 steht wohl in Zusammenhang einer akuten Krisensituation und ist vielleicht auch Ausdruck des Kalküls, mit dem strengen Katholiken Ubben die Verhandlungsposition gegenüber Karl von Geldern zu verbessern. Literatur: Ubbo E m m i u s, Rerum Frisicarum historia, Leiden 1616 (dt. Übers. u.d.T.: Friesische Geschichte, Band 1-6, Frankfurt am Main 1981-1982 [s. dort das Register]; Friedrich R i t t e r, Der Kanzler Wilhelm Ubbena, in: Jahrbuch der Ges. für bildende Kunst und vaterländ. Altertümer zu Emden 18, 1913/14, S. 128-131; Bedeutende Familien der ostfriesischen Heimat, in: Ostfriesische Sippenforschung. Beil. zur Ostfriesischen Tageszeitung vom 6. und 13. 8. 1938; Joseph K ö n i g, Verwaltungsgeschichte Ostfrieslands bis zum Aussterben seines Fürstenhauses, Göttingen 1955 (Veröffentlichungen der nieders. Archivverwaltung, 2), S. 54-56 und passim.

Martin Tielke