wir brauchen keine schuldenbremse
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Seminarkonzeption des DGB-Bildungswerks HessenTRANSCRIPT
SchuldenbremseWir brauchen keine
Für einen solidarischen Sozialstaat!
DGB-Bildungswerk Hessen (Hg.)
Wir brauchen keine
Schuldenbremse
Für einen solidarischen Sozialstaat
Materialien für ReferentInnen in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit
Impressum Konzept und Erarbeitung der Bildungsmaterialien: Eberhard Beck, Horst Mathes, Jörg Sommer Satz und Gestaltung: Jörg Sommer Verantwortlich: Eberhard Beck, Leiter DGB-‐Bildungswerk Hessen e.V. DGB-‐Bildungswerk Hessen e.V. Wilhelm-‐Leuschner-‐Straße 69-‐77 60329 Frankfurt/Main Telefon (0 69) 27 30 05 60 Fax (0 69 ) 27 30 05 66 E-‐Mail info@dgb-‐bildungswerk-‐hessen.de www.dgb-‐bildungswerk-‐hessen.de
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Inhaltsverzeichnis Vorwort.......................................................................................6
Hinweise zur Gestaltung der Diskurse..........................................8 Die Rahmenbedingungen........................................................................................................................................8 Der Diskurs und das didaktische Konzept ......................................................................................................9 Die TeilnehmerInnen können … ..........................................................................................................................9 Materialien für ReferentInnen..............................................................................................................................9 Materialien für die TeilnehmerInnen ................................................................................................................9 Weniger ist mehr!....................................................................................................................................................10 Bildung braucht Zeit! .............................................................................................................................................10 Subjektorientierung … ..........................................................................................................................................10 Lust auf mehr Diskurse fördern........................................................................................................................10
Thema 1: Die Schuldenbremse...................................................11
Leitfaden für ReferentInnen ........................................................................12
Diskurs 1.1: Was sagt mir das?.....................................................................15 Ausgepresst wie eine Zitrone.............................................................................................................................15 Den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals........................................................................................15 Die schwarze Null....................................................................................................................................................16
Diskurs 1.2: Was soll das sein, was steckt dahinter?.....................................17 Schuldenbremse: Definition ...............................................................................................................................17 Die vier Elemente der Schuldenbremse ........................................................................................................17 Roland Koch zur Schuldenbremse ...................................................................................................................18 Noch einmal Koch: „Eine historische Weichenstellung“ ........................................................................18 Ein Schlussstrich......................................................................................................................................................18 Schuldenbremse oder Staatsbankrott............................................................................................................19 Steinbrück zur Schuldenbremse.......................................................................................................................19 Die kluge Hausfrau..................................................................................................................................................19 Guttenberg zur Schuldenbremse......................................................................................................................20 Struck zur Schuldenbremse................................................................................................................................20 ver.di Vorsitzender Frank Bsirske zur Schuldenbremse .......................................................................20
Diskurs 1.3: Was interessiert uns, was müssen wir wissen? .........................21 Warum gerade jetzt?..............................................................................................................................................21 Wir brauchen eine „gewisse Härte“.................................................................................................................21 Politik ist doch ganz einfach ...............................................................................................................................21 Zwei Paar Schuhe ....................................................................................................................................................21 Wer will schon Schulden?....................................................................................................................................22 Der Staatshaushalt ist keine Familienkasse.................................................................................................22 Wirtschaftsweiser gegen Schuldenbremse..................................................................................................23 Alle sprechen von Staatsschulden. Wer spricht von den privaten? ..................................................24
Thema 2: Argumente, Interessen und Ideologien.......................25
Leitfaden für ReferentInnen ........................................................................26
Diskurs 2.1: Pro und contra in der Debatte ..................................................28 CDU zur Staatsverschuldung ..............................................................................................................................28 FDP zur Staatsverschuldung...............................................................................................................................28 Von armen und reichen Bürgern ......................................................................................................................28
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Diskurs 2.2: Schulden sind böse, Vermögen gut?..........................................30 Der Schuldenverrechner ......................................................................................................................................30 Über den volkswirtschaftlichen Begriff der „Verschuldung“................................................................32 Zur ökonomischen Funktion der öffentlichen Kreditaufnahme .........................................................33 Geldnot der Bundesländer -‐ die Schuld der Schuldenbremse..............................................................33 Schuldenbremse erhöht die Risiken der Finanzwirtschaft ...................................................................34 Denkfehler: Wir werden immer älter. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr....................34 Sachzwang Demografie?.......................................................................................................................................35 Die unsoziale Verteilungswirkung der Staatsverschuldung.................................................................36 Westerwelle: An die deutsche Mittelschicht denkt niemand ...............................................................36 Schäuble: Die Bürger auf Kürzungen vorbereiten.....................................................................................37 Löhne müssen die Existenz sichern können................................................................................................38 Drei Konzeptionen vom Wohlfahrtsstatt ......................................................................................................39 Das solidarische Rentensystem ist besser als sein Ruf ...........................................................................39 Umfrage: Schuldenberg sorgt Bürger am meisten....................................................................................40 Mehrheit der Deutschen gegen neue Staatsschulden ..............................................................................41 Die Schuldenbremse ist unrealistisch.............................................................................................................41 Wer steckt hinter dem Bund der Steuerzahler?.........................................................................................41
Diskurs 2.3: Positionsbestimmung: Solidarität versus Eigenverantwortung .43 Wieso die Schuldenbremse Wahnsinn ist.....................................................................................................43 Steuersenkungspläne sind unverantwortlich .............................................................................................44
Thema 3: Der solidarische Sozialstaat ....................................... 47
Leitfaden für ReferentInnen.........................................................................48
Diskurs 3.1: Unser Bild vom Staat? Was leistet er wirklich?..........................50 Die Staatsaufgaben..................................................................................................................................................50 Die solidarischen Grundwerte ...........................................................................................................................50 Die Kirche über den Staat ....................................................................................................................................51 Der Sozialstaat als Schicksalskorrektor.........................................................................................................51 Wie viel Privatisierung verträgt der Staat? ..................................................................................................52
Diskurs 3.2: Einen armen Staat können sich nur Reiche leisten ....................54 Ökonomen preisen die Putzfrauen ..................................................................................................................54 Kommunen chronisch unterfinanziert...........................................................................................................55 Was bedeutet die Schuldenbremse für die Kommunen? .......................................................................55 FDP: Der liberale Sozialstaat ..............................................................................................................................56 DGB Grundsatzprogramm ...................................................................................................................................56 Zukunftsinvestitionen statt kaputtsparen!...................................................................................................57 Den Reichtum gerecht verteilen........................................................................................................................57 Privatisierung ist keine Lösung.........................................................................................................................58 Folgen von Privatisierungen...............................................................................................................................58 Der Staat ist kein Zaungast..................................................................................................................................59 Wirtschaftsweiser Bofinger: Für einen aktiveren Staat..........................................................................60 DGB-‐Empfehlungen zur Bildungspolitik .......................................................................................................61 Öffentlicher Beteiligungsfonds ..........................................................................................................................61 Der Staat wird schlanker......................................................................................................................................63 Für die Ausweitung öffentlicher Investitionen...........................................................................................64
Diskurs 3.3: Wer (k)einen Staat braucht, soll sich melden ............................65 Dimensionen der sozialen Gerechtigkeit ......................................................................................................65 Soziale Irrwege .........................................................................................................................................................65 Soziale Alternativen................................................................................................................................................66
Thema 4: Gerechte Finanzierungskonzepte ............................... 67
Leitfaden für ReferentInnen.........................................................................68
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Diskurs 4.1: Wer soll das bezahlen? .............................................................70 Kurt Tucholsky: Kurzer Abriss der Nationalökonomie ..........................................................................70 CDU zur Steuerpolitik............................................................................................................................................71 SPD zur Steuerpolitik.............................................................................................................................................71 FDP zur Steuerpolitik ............................................................................................................................................72 GRÜNE zur Steuerpolitik......................................................................................................................................72 LINKE zur Steuerpolitik........................................................................................................................................73
Diskurs 4.2: Die Legende vom „Leistungsträger“ ..........................................74 Guttenberg will Leistungsträger entlasten ..................................................................................................74 Perspektive der Leistungsträger kommt zu kurz......................................................................................74 Was sind eigentlich Leistungsträger?.............................................................................................................75 Ein ungerechtes Steuersystem ..........................................................................................................................76 Steuersenkungen als Haupthindernis für Haushaltskonsolidierung................................................76 Deutschlands Geldbeschaffer -‐ die BRD Finanzagentur GmbH...........................................................78 Denkfehler: Der Staat ist zu fett geworden ..................................................................................................78 Staatsausgaben – wer finanziert, wer profitiert? ......................................................................................80 Investitionen in Bildung .......................................................................................................................................81
Diskurs 4.3: Schulden-‐ und Zukunftsbremse oder …? ...................................82 Bekommen wir die Verschuldung überhaupt noch in den Griff? .......................................................82 Staatsschuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ........................................................82 Liste der sinnvollen Möglichkeiten zur Einnahmeverbesserung .......................................................84 ver.di: Antikrisenpolitik und Profiteure zur Kasse...................................................................................85 Eigentum verpflichtet............................................................................................................................................85 Gewerkschaftliche Eckpunkte der Steuerpolitik .......................................................................................86 Der Finanzierungs-‐Mix des Sozialstaates .....................................................................................................86 Steuern statt Schulden ..........................................................................................................................................87 Wirtschaftsweiser Bofinger: Die Staatsquote heben ...............................................................................87 Eingriffe in ökonomische Machtstrukturen.................................................................................................88 ver.di und attac: Die Solidarische Einfachsteuer (SES)...........................................................................88
Thema 5: Treffen zum Abschluss und für die Fortsetzung...........91
Leitfaden für ReferentInnen ........................................................................92
Glossar ......................................................................................94
Literaturverzeichnis ...................................................................99
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Vorwort
Der Deutsche Bundestag hat im Früh-‐jahr 2009 eine Verfassungsänderung beschlossen: Bund, Länder und Ge-‐meinden dürfen ab dem Jahre 2020 keine Kredite aufnehmen.
Diese Regelung wird in der allgemei-‐nen Diskussion als Schuldenbremse bezeichnet.
Vorausgegangen sind jahrelange Dis-‐kussionen darüber, dass durch eine hohe Staatsverschuldung die heutige Generation auf Kosten ihrer Enkel le-‐be:
• Wir können nur so viel ausgeben wie wir einnehmen!
• Was für den privaten Haushalt gilt kann für den Staat nicht falsch sein!
Das leuchtet jedem ein, stimmt aber nicht mit der Realität überein.
Der Häuslebauer nimmt Kredit auf, um zukünftig keine Miete zahlen zu müs-‐sen, der Unternehmer finanziert durch Kredite Neuinvestitionen, die seine Produktivität verbessern oder seine Marktposition stärken.
Dieses Verhalten ist ökonomisch sinn-‐voll. Es handelt sich um Investitionen in die Zukunft, die sich über eine zu-‐künftige Rendite finanzieren.
„Der Staat ... kann Verschuldung in Kauf nehmen, wenn damit öffentliche Investitionen getätigt werden, die in der Zukunft Erträge bringen. Er hat auch eine hohe Verantwortung für die Ökonomie und muss dafür sorgen, dass konjunkturelle Dellen abgefedert werden ...
Auch richtig ist ... dass in der Vergan-‐genheit häufig im Namen antizykli-‐scher Politik Defizite gemacht wurden, in guten Zeiten aber nicht dem Kon-‐zept entsprechend Defizite abgebaut wurden.
Die Lehre daraus sollte sein, im kon-‐junkturellen Aufschwung auf Steuer-‐senkungen weitgehend zu verzichten. Sonst fehlen diese Einnahmen im Ab-‐schwung.“
(Torsten Niechoj, DGB Hessen, WISO-Info 2/2008 )
Der Staat muss Investitionen in die Zukunft tätigen:
• Kreditaufnahme für Bildung si-‐chert den Erhalt von Kompetenzen.
• Kreditaufnahme für Infrastruk-‐turmaßnahmen sind wichtig für den Wirtschaftsstandort.
• Kreditaufnahme für den Ausbau der Jugendarbeit verringert Folge-‐kosten im sozialen Bereich z.B. aufgrund der Jugendkriminalität.
Die Haushalte von Bund und Ländern sind grund-‐sätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszuglei-‐chen. Bund und Länder
können Regelungen zur im Auf-‐ und Abschwung sym-‐metrischen Berücksichti-‐gung der Auswirkungen
einer von der Normallage abweichenden konjunktu-‐rellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche
Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates ent-‐ziehen und die staatliche
Finanzlage erheblich beein-‐trächtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist
eine entsprechende Til-‐gungsregelung
vorzusehen.
Grundgesetz, Artikel 109, „Schuldenbremse“
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• Kreditaufnahme zur Finanzierung des Sozialstaats erhält den sozialen Frieden und sichert das solidari-‐sche Miteinander.
• Kreditaufnahme zur Finanzierung von Bildung verringert die Arbeits-‐losigkeit und damit die Belastun-‐gen des Sozialsystems.
Dies sind einige Beispiele, die zeigen: Nicht die Verschuldung gefährdet die Zukunft unserer Kinder und Enkel sondern das Unterlassen von Zukunfts-‐investitionen.
Der Staat muss daher bei seinen Aus-‐gaben – auch wenn sie kreditfinanziert sind – immer bewerten:
• Handelt es sich um Investitionen in die Zukunft?
• Wird die soziale Balance gewähr-‐leistet oder gefährdet?
Mit der Entscheidung, im Grundgesetz eine „Schuldenbremse“ einzuführen, beraubt sich der Staat jeglicher Gestal-‐tungsmöglichkeit. Dies wird zur Folge haben, dass Bund, Länder und Ge-‐meinden derzeitige Leistungen wie z.B. Kinderbetreuung und Bildung reduzie-‐
ren müssen oder nur noch in gleichem Maße anbieten können, in dem Gebüh-‐ren eingeführt werden.
Damit wird der Weg in den Gebühren-‐staat beschritten.
Staatliche Leistungen können sich so in Zukunft nur diejenigen leisten, die über ein entsprechendes Einkommen verfügen.
Die Aussage „Nur die Reichen können sich einen armen Staat leisten“ wird bestätigt.
Das DGB Bildungswerk Hessen e.V. leistet mit den Bildungsmaterialien „Schuldenbremse“ einen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit der aktuellen Politik.
Eberhard Beck Leiter DGB-Bildungswerk Hessen e.V.
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Hinweise zur Gestaltung der DiskurseOb und warum, für was und in welcher Größenordnung „der Staat“ (noch mehr) Schulden machen darf, wer die „Zeche“ dann (wirklich) zahlen muss und was das für staatliches Handeln und Arbeiten und Leben in Deutsch-‐land bedeutet, das ist zur Zeit ein zen-‐trales Thema in der Politik, wie auch im Alltagsdiskurs.
Der mediale Mainstream und viele politische Akteure favorisieren eine „Schuldenbremse“, die reglementie-‐rend in das Handeln der Regierungen auf Landes-‐ und Bundesebene eingrei-‐fen soll.
Wer eine eigene Position zum pro und contra der Thematik „Schuldenbrem-‐se“ finden will, muss die dahinter lie-‐genden Themen und Fragen und deren pro und contra ebenfalls beachten und bearbeiten.
Politische Bildung im Allgemeinen und gewerkschaftliche Bildungsarbeit im Besonderen sind somit aufgefordert, Hilfestellungen zur Durchdringung der Themen anzubieten. Diskurse zu orga-‐nisieren, die demokratisches Handeln erleichtern und so verhindern helfen, dass das neoliberale Wirtschafts-‐ und Staatsverständnis (weiter) dominiert.
Die vorliegenden Bildungsmaterialien sollen Hilfestellung bei der Gestaltung betriebsnaher und örtlicher Diskurse zu diesem Thema leisten.
Ziel der Bildungsangebote zum Thema ist die Auseinandersetzung mit den pro-‐ und contra–Argumenten, die Er-‐arbeitung von Fakten, die Findung einer eigenen Position und damit die Chance, sich in die politische Debatte auch einbringen zu können; also schlichtweg auch argumentationssi-‐cherer zu werden.
Unsere demokratischen Möglichkeiten beginnen und enden nicht an der Wahlurne.
Wir müssen unseren Argumenten Ge-‐hör verschaffen und Widerstand orga-‐
nisieren, gegen den weiteren Sozialab-‐bau, gegen die Privatisierung staatli-‐cher Aufgaben und damit die zuneh-‐mende Spaltung der Gesellschaft. Wir müssen Alternativen denken und er-‐folgreich dafür mobilisieren, für Ge-‐rechtigkeit bei der Finanzierung und den Ausgaben des Staates.
Die Bildungsmaterialien sind Arbeits-‐hilfen für ReferentenInnen, die zu die-‐sem Thema ein Bildungsangebot ge-‐stalten wollen.
Wir konzentrieren uns bei den Anre-‐gungen auf das Angebot einer abendli-‐chen Diskursreihe, von insgesamt 4 Diskursen zu je 3 Stunden Zeit. Ein 5. Diskurs soll die Möglichkeiten der Eva-‐luation und der Vereinbarung von wei-‐teren Diskursen dienen.
Wenn (geübte) Teams diese Diskurse an einem Wochenende (2 Tage á 6 Stunden) oder in einem Wochensemi-‐nar (Bildungsurlaub) anbieten und durchführen wollen, helfen wir gerne bei den Beratungen für ein geeignetes didaktisches Konzept.
Die Rahmenbedingungen Diskurse, die wir abends und damit nach einem Arbeitstag anbieten, haben einen Zeitrahmen von 2 bis 3 Stunden (maximal).
Der Diskursort soll angenehm gestaltet sein und so eine „gute Atmosphäre“ herstellen helfen.
Bei Bedarf können technische Hilfsmit-‐tel (wie Beamer) für die Präsentation von Fakten genutzt werden.
Zur sinnvollen Ausstattung und damit zur Unterstützung bestimmter Arbeits-‐formen sollten die gängigen Arbeits-‐mittel zur Verfügung stehen:
• Flipchart,
• 3 Pinwände
• Kärtchen,
• Papier und Stifte.
„Es gibt in Deutschland kein Thema, das so irratio-‐
nal und so angstbesetzt diskutiert wird wie die Staatsverschuldung (…)
Bürger, die Angst haben, lassen sich leicht ins Bocks-‐horn jagen. Und so wird die
Staatsverschuldung von Lobbyisten und Politikern
seit Jahren sehr gezielt und erfolgreich
instrumentalisiert.“
Peter Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?
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Ob Wandzeitungen abfotografiert werden sollen, somit als Foto-‐Dokumentation genutzt werden kön-‐nen, bleibt dem Team vorbehalten. Der Wert von Foto-‐Protokollen ist umstrit-‐ten. Wenn es nicht unbedingt für die weitere Arbeit gebraucht wird, kann das Team darauf verzichten.
Wir verweisen darauf, dass wir keine (klassischen) Seminare organisieren, sondern Diskurse.
Der Diskurs und das didaktische Konzept Wir beschreiben hier ein „idealtypi-‐sches Konzept“ für die Diskursreihe, das nie 1 zu 1 in die Praxis umgesetzt wird -‐ aber es dient der Orientierung für die Vorbereitungen des Teams.
Wir haben uns auf den Begriff „Dis-‐kurs“ geeinigt, weil wir darin die ge-‐eignete Veranstaltungsform für Abendveranstaltungen sehen.
Damit haben wir auch unseren An-‐spruch auf Methodenvielfalt reduziert und uns auf ein Grundschema geeinigt, welches für die knappe Zeit und den Anspruch der Orientierung auf die diskutierenden Subjekte angemessen erscheint.
Wir schlagen eine Struktur vor, die durchgängig durch alle Themen und Diskurse anwendbar ist:
• Es gibt 4 Themenschwerpunkte
• Jede Abendveranstaltung hat ein Thema, mit jeweils drei Diskursen
• Es gibt zwei Arbeitsformen:
• Die vom Team moderierte Diskussion,
• Einzelarbeit bzw. Nachbarschafts-‐Beratung
Die TeilnehmerInnen können … • ihre Erfahrungen / Meinungen
einbringen
• sich mit anderen Erfahrungen / Meinungen austauschen
• sich Fakten aneignen
• eigene, gemeinsame Positionen herausarbeiten
• ihre Argumentationsfähigkeit wei-‐ter entwickeln
• und sich geeignete Vorgehenswei-‐sen in ihrem gewerkschaftlichen, beruflichen und privaten Alltag er-‐arbeiten.
Es gibt ausgewählte TN-‐Materialien zur Unterstützung von Input und für das Weiterlesen zu Hause.
Natürlich können sie die Materialien dann auch für eigene Diskurse nutzen.
Materialien für ReferentInnen Zu den 4 Themen gibt es Hinweise für Referenten-‐Teams und einen Leitfaden (ZIM-‐Papier), wie die Diskurse gestal-‐tet werden können.
Für die Referenten-‐Teams stellen wir für jedes Thema weitere Materialien zur Verfügung.
Dabei verstehen sich unsere Hinweise und Materialien ausdrücklich nicht als 1:1 kopierbares didaktisches Konzept. Das Thema ist zu komplex, die verge-‐lichsweise offene Form des Diskures stellt zudem hohe Anforderungen an die Flexibilität und thematische Kom-‐petenz der ReferentInnen.
Deshalb sollten sich die Referenten-‐Teams die einzelnen Themenblöcke anhand des ihnen zur Verfügung ge-‐stellten Materials zuvor selbständig erarbeiten.
Materialien für die TeilnehmerInnen Die Teilnehmermaterialien, die wir ausgewählt haben, können natürlich aktualisiert bzw. ergänzt werden. Vor allem, wenn es geeignete Beispiele und Texte aus der Region oder zu tagesak-‐tuellen politischen Debatten gibt.
Um sie im Diskurs jeweils rasch auf-‐finden zu können, sind die Teilneh-‐mermaterialien durchnummeriert.
Sie sind so gestaltet, dass die nicht besprochenen Texte und Aufgaben auch zu Hause von den Teilnehmern selbständig bearbeitet werden können. Vorschläge dazu finden sich in den ZIM-‐Papieren.
Begleit-‐CD Auf der Begleit-‐CD zu die-‐sen Bildungsmaterialien finden die ReferentInnen unterstützende Dokumen-‐te:
Alle Teilnehmermaterialien als druckfähige PDF-‐Dateien.
Alle Diagramme und Schaubilder als PDF-‐Dokumente zur Erstellung eigener Folien und Präsen-‐tationen.
Die Studie „Auswirkungen der Schuldenbremse auf die hessischen Landesfinan-‐zen“ des IMK in voller Länge.
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Weniger ist mehr! Sowohl die Themen, als auch die All-‐tagserfahrungen und Meinungen sind sehr vielschichtig und komplex.
Wir müssen exemplarisch arbeiten, damit wir wirklich Zeit für Diskussio-‐nen, für Reflexionen, also für Lernpro-‐zesse haben.
Das Team wird deshalb darauf achten, dass der „Rahmen“ eingehalten wird.
Es ist hilfreich, wenn das Team von Beginn an mit einem (zusätzlichen) „Themenspeicher“ arbeitet.
Im Themenspeicher können wichtige Themen, die jetzt leider nicht behan-‐delt werden können, festgehalten wer-‐den. Damit entlasten wir den laufen-‐den Diskurs und ermöglichen eine konzentrierte Diskussion.
Auch die Begrenzung der Zahl der TeilnehmerInnen soll individuelles und gemeinsames Lernen ermöglichen. In der Regel können solche Abende mit 9 bis 15 TeilnehmerInnen organisiert werden.
Bildung braucht Zeit! Teams müssen auf die Binnendifferen-‐zierungen in der Teilnehmergruppe achten. Subjektorientiertes Lernen zu ermöglichen, fordert die Beachtung unterschiedlicher Lernzeiten bei den Teilnehmenden.
Die Diskursabende sollen deshalb nicht zu straff gestaltet sein. Es muss eine gute Balance zwischen Einstieg bzw. Meinungssammlung zum Thema und Input bzw. Erarbeitung von Fak-‐ten sowie Reflexionen von (neuen) Erkenntnissen und Handlungsmög-‐lichkeiten hergestellt werden.
Subjektorientierung … Meint hier:
Die Alltagserfahrungen und Meinun-‐gen der Teilnehmer sind Ausgangs-‐punkt und Gegenstand der Diskussio-‐nen.
Es gibt ein Angebot an (neuen) Fakten für die Diskussionsthemen, die sich die Teilnehmenden selbst erarbeiten oder vom Team präsentiert werden.
Kontroversen sind keine „Störungen“!
Es gibt Raum für Übungen, wie Lesen, Texte interpretieren, pro-‐ und contra-‐Debatte, Präsentationsformen usw.
Es muss Raum geben für Reflexionen der „Lernfortschritte“, die jeder für sich erfahren will und kann.
Es muss immer auch eine Möglichkei-‐ten geben, darüber zu reden, was wir denn jetzt mit den (neuen) Erkennt-‐nissen und guten Argumenten anfan-‐gen wollen.
Lust auf mehr Diskurse fördern Die Komplexität des Themas und der enge Zeitrahmen zwingen uns zur Konzentration auf einige wesentliche Aspekte des Themas.
Weitere Themen, die im Laufe der Dis-‐kussionen als relevant erachtet wer-‐den, können gesammelt und später dann neue Diskussionsveranstaltun-‐gen begründen und organisieren hel-‐fen.
Wir empfehlen deshalb nach Abschluss der Diskursreihe die Teilnehmer noch mal einzuladen, die Diskursreihe noch mal zu reflektieren und weitere The-‐menangebote für die Fortsetzung der Diskurse zu beraten (vgl. Thema 5).
Die Diskursreihe kann dann eine stabi-‐le „Marke“ im örtlichen Bildungsange-‐bot der Gewerkschaften werden.
Vorausgesetzt es gelingt uns, mit sol-‐chen Bildungsangeboten auch die Lust auf politische Bildung, auf Politik und politisches Handeln zu steigern.
Damit dieses allgegenwärtige generelle Ziel gewerkschaftspolitischer Bil-‐dungsangebote auch erreicht wird, wollen wir die Arbeit der Referenten-‐Teams mit diesen Bildungsmaterialien unterstützen.
Wir wünschen allen Referenten-‐Teams, dass ihnen eine erfolgreiche Gestaltung der Lehr-‐ und Lernprozesse gelingt und freuen uns auf Anregungen zur Weiterentwicklung der Bildungs-‐materialien des DGB-‐Bildungswerk Hessen e.V.
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Thema 1: Die Schuldenbremse Mit dem Themenschwerpunkt „Schuldenbremse“ steigen wir in einen Dis-‐kurs ein, mit dem wir uns den weiteren Themen, Fragen und Antworten zu den Aufgaben des Staates und deren notwendigen und gerechten Finan-‐zierung der Staatsausgaben nähern. Hierzu wollen wir im ersten Diskurs die bisherigen Erfahrungen der Teilnehmer sammeln. Dazu stellen wir uns die Frage
• Wie ist mir das Thema Schuldenbremse bisher begegnet? und tauschen die bisherigen Kenntnisse und Meinungen aus, sortieren diese zunächst – ohne sie bereits zu bewerten. So erarbeiten wir uns in Einzel-‐, Partner-‐ und Gruppenarbeit einen ersten Überblick über das Thema und die Teilnehmervoraussetzungen. Im zweiten Diskurs lernen wir die Fakten und Argumente der Befürwor-‐ter und Gegner kennen, indem wir über die Fragen
• Was versteht man unter Schuldenbremse? • Wie argumentieren Befürworter? • Wie argumentieren Gegner?
in der Gruppe diskutieren. Hier ist es Aufgabe der Teamer, auf Basis der Referentenmaterialien einen kurzen, einleitenden Vortrag zu erarbeiten, der die zentralen Fakten zunächst einmal sachlich darstellt ohne diese bereits für die Teilnehmer zu instruktiv einzuordnen. Die Bewertung der vorgestellten Fakten sollte in der Gruppe (kann aber auch in Einzelarbeit) geleistet werden. Wichtige Materialien für spätere Diskurse sind auch noch einmal in den Teilnehmermaterialien enthalten. Im dritten Diskurs beraten wir gemeinsam die Fragen:
• Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer Schuldenbremse?
• Welche positiven / negativen Erwartungen habe ich? Wir formulieren erste (vorläufige) Einschätzungen zu Konsequenzen und eigenen Erwartungen zu den Wirkungen einer Schuldenbremse. Gemein-‐sam entwickeln wir einen Themenspeicher, indem wir die Frage beant-‐worten:
• Was müssen wir noch wissen, um genauer unsere eigene Position bestimmen und unsere Argumentationsfähigkeit zu verbessern?
Das Thema schließt mit einer gemeinsamen (kurzen) Reflexion über Inhalt und Methoden der bisherigen Diskurse und einem Hinweis auf die „Hausaufgabe“, die die Teilnehmer bis zum nächsten Termin selbständig bearbeiten sollten.
Zeit
10
05
10
10
(40)
Material
M2
A1
„Hausaufgabe“
M1, M3
Methoden
Team
/ siehe Einladung
TN-‐Einzelarbeit / Kärtchen
dann
Partnerarbeit
Ergebnisse /sortierte Zettel für Präsen-‐
tation an die Wandtafel pinnen
Team
-‐Moderation
TN-‐Präsentation
und Einschätzungen zum
Gesam
tbild
bzw. zu pro/contra
Inhalte
Disk
urs 1
.1: W
as sa
gt m
ir da
s?
Begrüßung, kurze Einführung in die Dis-‐
kursreihe
Frage: Wie ist mir bisher das Them
a „Schuldenbremse begegnet?
Austausch mit (1-‐2) Nachbarn
Informieren, auswerten, sortieren nach
positiven (pro) / negativen (contra) In-‐
halten
Präsentation vorbereiten
Präsentationen der sortierten
Sammlungen
Blick auf das „Gesam
tbild“
Leitf
aden
für R
efer
entIn
nen
Ziele
Es gelingt, Beispiele zu sammeln, was
wir zum
Thema bisher erfahren haben.
Wir tauschen unsere bisherigen Kennt-‐
nisse und unsere Meinungen aus und
gewichten, sortieren die Ergebnisse
nach pro/contra.
Wir haben einen ersten Überblick über
das Thema.
Zeit
40
(40)
10
30
15
Material
M4
M5 – M9
A2
„Hausaufgabe“
M10
A3
M14 – M15
A4
Methoden
Team
-‐Vortrag zu den 3 Fragen
Moderation
Frage an TN
Diskussion mit NachbarIn
Beratungen zu Konsequenzen….
anschließend Diskussion
Team
-‐Moderation
Einschätzungen werden an der
Wandtafel festgehalten
Inhalte
Disk
urs 1
.2: W
as so
ll das
sein
, was
stec
kt da
hint
er?
Input und Diskussion:
„Was versteht m
an unter Schulden-‐
brem
se?“
„Wie argum
entieren Befürworter?“
„Wie argum
entieren Gegner?“
Disk
urs 1
.3: W
as in
tere
ssie
rt un
s, wa
s müs
sen w
ir wi
ssen
? Wir diskutieren vorläufige Erkenntnisse:
Welche Konsequenzen ergeben sich aus
einer Schuldenbremse?
Welche positiven / negativen Erwartun-‐
gen habe ich?
Zusammenfassung der Erwartungen
sortiert nach pro /contra
Ziele
Wir lernen Fakten und Argumente der
Befürworter und Gegner kennen.
Pause
Wir sind in der Lage erste (vorläufige)
Einschätzungen zu Konsequenzen und
eigenen Erwartungen zu den Wirkungen
einer Schuldenbremse zu
artikulieren.
Zeit
20
15
(80)
(170)
Material
„Hausaufgabe“
M16 – M17
A6
Methode
Team
ergänzt und zitiert nach der
Sammlung der TN-‐Einschätzungen ei-‐
nige exemplarische pro/contra-‐
Aussagen zu Konsequenzen
Team
-‐Moderation
und
Them
enspeicher,
sowie Hinweis, was an den nächsten
Abenden „auf dem
Program
m“ steht.
Abschlussfragen:
„Welche Erwartungen sind (nicht) ein-‐
gelöst worden?“
„Was war mir wichtig?“
„Was müssen wir beim nächsten Mal
Berücksichtigen?
Inhalte
Zusammenfassung:
vorläufige Bewertung der Schulden-‐
brem
se
Erarbeitung eines Themenspeichers:
„Was müssen wir noch wissen, um
genauer unsere eigene Position
bestimmen und unsere Argumenta-
tionsfähigkeit zu verbessern?“
Abschluss:
Kurze Reflexion
Hinweise auf Lesestoff („bis zum
näch-‐
sten Mal“) und Termin für das 2. Thema
Ziele
Wir haben ein vorläufiges Bild vom
pro
und contra zur Schuldenbremse
Wir können uns über Themen verstän-‐
digen, die unsere Erkenntnisse und Ar-‐
gumentationsfähigkeiten stabilisieren
15
Diskurs 1.1: Was sagt mir das?Ausgepresst wie eine Zitrone "Wir sind ausgepresst wie eine Zitro-‐ne", umschrieb Norbert Bude, Vorsit-‐zender des Städtetags und Oberbür-‐germeister von Mönchengladbach, die deprimierende Finanzschieflage der Kommunen. Vor diesem Hintergrund appellieren die NRW-‐Städte an Bund und Land, trotz der gegenwärtigen Krise Auswege zu suchen, um eine Finanzierung der Städte sicherzustel-‐len. Lösungen für die riesigen struktu-‐rellen Probleme einzelner Kommunen könnten dabei nur in Kooperation mit dem Land entwickelt werden. "Es wäre eine große Hilfe, wenn ein Konsolidie-‐rungspakt zwischen dem Land und diesen Städten gelingen würde", so Bude. Die Krise der Kommunen zeigt sich laut Städtetag in weiter auftür-‐menden Schulden, in zerfallender öf-‐fentlicher Infrastruktur und in den immer größeren Schwierigkeiten, ein Mindestangebot öffentlicher Dienstlei-‐stungen zu gewährleisten."
In vielen Städten wird seit Jahren der Mangel verwaltet", beklagt Bude. Schnelle Besserung ist derzeit nicht in Sicht, im Gegenteil. Nach der jüngsten Steuerschätzung spitzen sich die Fol-‐gen der Wirtschafts-‐ und Finanzkrise für die Kommunen weiter zu.
(WDR-Hörfunk-Beitrag, 23.11.09)
Den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals Die Stadt Bochum will die Wassertem-‐peratur in den Hallenbädern um ein Grad absenken, Dortmund verordnet seiner Stadtverwaltung 14 Tage Zwangsferien, und in Oberhausen soll man sogar darüber nachgedacht ha-‐ben, eine Zwangsabgabe für Prostitu-‐ierte einzuführen: Wenn in diesen Ta-‐gen die Stadt-‐ und Gemeinderäte in NRW über ihre Haushalte für das kommende Jahr beraten, dürfte es kaum einen Sparvorschlag geben, der zu abwegig erscheint. Denn den Kom-‐munen in NRW steht das Wasser bis zum Hals.
16
Mit fast 16 Milliarden Euro stehen sie derzeit in der Kreide, und aktuellen Prognosen zufolge werden es aufgrund der Wirtschaftskrise in zwei Jahren schon an die 20 Milliarden Euro sein.
(WDR-Hörfunk-Beitrag, 18.12.09)
Die schwarze Null Niemand soll mehr ausgeben, als er hat. Sicher doch. Und dass ein Milliar-‐den-‐Defizit nicht gerade eine Zierde des hessischen Haushalts ist, ist eben-‐so klar.
Das so harmlos Schuldenbremse ge-‐nannte Instrument allerdings könnte sich verheerend auf Hessen und die Kommunen auswirken. Wenn beide auf dem Weg zur schwarzen Null im-‐mer weniger investieren können, geht die soziale Schere nur noch weiter auf.
(Karikatur: Bernd A. Skott)
Beispiel Schule: Steht es um die öffentlichen Schulen schon jetzt schlecht, weil es hinten und vorne fehlt, wäre ein weiterer Abbau die Ka-‐tastrophe. Sicher: Eltern, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder dann eben noch öfter auf Privatschu-‐len.
Wer also die angestrebte Schulden-‐freiheit als Generationengerechtigkeit deklariert, um Kindern keine Schul-‐denberge zu hinterlassen, ist bigott. Denn Kindern aus Familien, die es sich nicht leisten können, eine Privatschule zu bezahlen, bleibt die Chance auf gute Bildung verwehrt. Statt bis zur Hand-‐lungsunfähigkeit zu sparen, sollte der Staat investieren und etwa mit der Vermögensteuer die Kasse füllen. Hes-‐sen ist kein armes Land. Aber wenn es nicht mehr handeln kann, ist es ganz arm dran.
(Petra Mies, Frankfurter Rundschau, 01.12.09)
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Diskurs 1.2: Was soll das sein, was steckt dahinter?Schuldenbremse: Definition „Als Schuldenbremse wird in Deutsch-‐land eine Regelung bezeichnet, die die Föderalismuskommission Anfang 2009 beschlossen hat.
Nach dieser Regelung soll die struktu-‐relle, also nicht konjunkturbedingte Nettokreditaufnahme des Bundes ma-‐ximal 0,35 Prozent des Bruttoinlands-‐produktes betragen. Ausnahmen sind bei Naturkatastrophen oder schweren Rezessionen gestattet. ...(D)ie Einhal-‐tung der Vorgabe des ausgeglichenen Haushalts ist für den Bund ab dem Jahr 2016 zwingend vorgesehen, für die Länder ab dem Jahr 2020."
(Wikipedia: Zugriff am 01.07.09)
Die vier Elemente der Schuldenbremse Die seit Sommer 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse weist vier wesentliche Elemente auf:
Eine Strukturkomponente, die mit Blick auf die Gerechtigkeit zwischen den Generationen eine strukturelle Verschuldung nur noch in sehr engen Grenzen zulässt. Der Bund darf sich
nur noch mit 0,35 % des BIP pro Jahr neu verschulden, die Länder dürfen sich gar nicht mehr verschulden.
Eine Konjunkturkomponente, die die Verschuldungsmöglichkeiten je nach Konjunkturlage über die strukturelle Komponente hinaus vergrößert oder einschränkt.
Eine (strenge) Ausnahmeklausel, die eine Überschreitung der zulässigen Verschuldung nur bei Vorliegen au-‐ßergewöhnlicher Ereignisse und dann auch nur mit der absoluten Mehrheit aller Mitglieder des Bundestags er-‐möglicht.
Ein Ausgleichskonto, das die Einhal-‐tung der Schuldenbremse nicht nur bei Haushaltsaufstellung, sondern auch im Haushaltsvollzug sicherstellen soll.
Zusätzlich ist eine Übergangsregelung, nach der die Grenzen für die struktu-‐relle Verschuldung erst ab dem Jahr 2016 (Bund) bzw. 2020 (Länder) ein-‐gehalten werden müssen, festge-‐schrieben worden. (Auswirkungen der Schuldenbremse auf die hessischen Landesfinanzen. Ergebnisse von
Simulationsrechnungen, Hans-Böckler-Stiftung, November 2009)
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Roland Koch zur Schuldenbremse „Auf Dauer geht es nicht ohne dieses Instrument. Denn so hat der Bürger stets abzuwägen, ob er bereit ist, für zusätzliche staatliche Leistung auch zusätzlich Steuern zu zahlen. Die Schuldenbremse ist der eine Teil, und der andere ist, um im Bild zu bleiben, das Steuer-‐Gaspedal. Die Schweiz macht vor, dass es funktionieren kann. Dort wird in den Kommunen darüber abgestimmt, ob man sich ein neues Schwimmbad leisten will. Wenn ja, kostet es eben mehr Steuern. ... Deut-‐lich wird dann auch: Wir können nicht mehr Bildung, mehr Straßen, mehr Freizeit auf Kosten der nächsten Gene-‐ration finanzieren, sondern müssen direkt dafür zahlen, wenn wir uns das wirklich leisten wollen.“
(Ministerpräsident Roland Koch im FAZ-Interview vom 29.06.08)
Noch einmal Koch: „Eine historische Weichenstellung“ „Und, um das noch zu sagen, denn das wird uns viel beschäftigen: Wir wer-‐den über die finanzielle Nachhaltigkeit unseres Wirkens zu reden haben. Nicht in der Frage der Kreditaufnahme mit-‐ten in einer Krise – was zurzeit ge-‐schieht, ist eine atypische Entwicklung.
Nein, sondern in der Frage der struk-‐turellen Anforderungen, die dazu ge-‐führt haben, dass wir Jahr für Jahr mehr ausgeben, als wir einnehmen. Ich habe bereits über die Begehrlichkeiten und Wünsche im Bereich der Hoch-‐schulen gesprochen – hinzu kommen ja noch die vielen weiteren Aufgaben und Anforderungen bei Lehrerinnen und Lehrern, bei Polizeibeamten, im Ausbau der Infrastruktur; von Kultur, Kunst, Denkmalschutz und anderen Fragen gar nicht zu reden. Dadurch ist die Tatsache entstanden, dass die Steuerzahler sich sehr hoch belastet fühlen und gleichzeitig gar nicht be-‐merken, dass sie so hohe Erwartungen an den Staat haben – dass das, was sie dafür bezahlen, obwohl sie es bereits als unangemessen hoch empfinden, noch nicht einmal reicht, sondern wir einen Teil der Rechnungen an die Kin-‐der weitergeben.
Das, was jetzt auf der nationalen Ebene unter dem Stichwort „Schuldenbrem-‐se“ beschlossen worden ist, ist eine wichtige, eine historische Weichenstel-‐lung. Aber die Länder müssen sie um-‐setzen. Und wir Hessen stehen da vor einer besonderen Herausforderung: Wir haben uns vorgenommen, dies nicht im geheimen Kämmerlein zu tun. Die Änderung unserer hessischen Ver-‐fassung wird Gegenstand einer Volks-‐abstimmung sein. Wenn man eine Mil-‐liarde Euro als strukturelles Defizit hat und der Verfassungsgeber auf Vor-‐schlag von Regierung und Parlament beschließt, dass es das nicht mehr ge-‐ben darf, dann hat dies eine Folge.
Wir müssen deshalb als Union die Bür-‐ger damit konfrontieren: Wie wollen wir leben? Wie viel Geld wollen wir wo ausgeben? Für die Schweizer ist so etwas selbstverständlich. Die be-‐schließen in vielen Gemeinden: Schwimmbaderweiterung gegen Erhö-‐hung der Gemeindesteuer. Wir kennen so etwas nicht.
Wir werden es auch nicht vergleichbar einführen können. Aber, wogegen ich mit allem Nachdruck bin, ist, dass wir – es läuft ja darauf hinaus, dass man die Volksabstimmung über die Verfas-‐sungsänderung gemeinsam mit der Kommunalwahl durchführt – die näch-‐sten zwei Jahre darüber reden, wie toll wir sind, dass wir eine Schuldenbrem-‐se einführen, ohne gleichzeitig eine anständige Diskussion darüber zu be-‐ginnen, was dies an Einschränkungen im Haushalt bedeutet, wenn man nicht zu Steuererhöhungen kommen will.“
(Ministerpräsident Roland Koch auf dem CDU-Landesparteitag am 14.03.09)
Ein Schlussstrich Im Kern geht es darum, einen verbind-‐lichen Schlussstrich zu ziehen und eine Struktur zu schaffen, mit der in Zu-‐kunft keine neuen Schulden hinzu-‐kommen. Dadurch soll die Möglichkeit geschaffen werden, die Last der Ver-‐gangenheit so zu verteilen, dass kom-‐menden Generationen nicht jeglicher Gestaltungsspielraum abgeschnitten wird.
(Roland Koch: HNA-Interview 06.05.08)
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Schuldenbremse oder Staatsbankrott Ohne die Schuldenbremse würde der Staat angesichts gigantischer Verbind-‐lichkeiten schlicht handlungsunfähig. Die Entscheidung sei deshalb "von historischer Tragweite", betont der Finanzminister:
"Wir sind in einem Schraubstock der Verschuldung." Geboten sei jetzt ein Paradigmenwechsel: "Wir müssen den Finanzmärkten auch ein Signal geben, dass mit dem Haushalt in Deutschland solide umgegangen wird."
Das Argument der Kritiker, nachfol-‐genden Generationen würde per Ver-‐fassung verboten, Konjunkturimpulse zu setzen, sei falsch. "Die Schulden-‐bremse behindert nicht Investitionen in die Zukunft", ruft Steinbrück.
(Spiegel online 29.05.09)
Steinbrück zur Schuldenbremse Wer zukünftig einen handlungsfähigen Staat will, wer die Gestaltungsfähigkeit der Politik und nachfolgender Parla-‐mentariergenerationen erhöhen will, der muss dafür sorgen, dass Schul-‐denstand und Zinslast reduziert wer-‐den. Ein handlungsfähiger Staat braucht langfristig tragfähige öffentli-‐che Finanzen. Langfristig tragfähige Finanzen sind nur dann gewährleistet, wenn die Verschuldung dauerhaft langsamer wächst als das Bruttoin-‐landsprodukt.
Genau das ist Kern dieser Schuldenre-‐gelung. Das ist die Basis der neuen Regelung.
In meinen Augen ist das auch die Basis einer verantwortungsvollen, generati-‐onsgerechten Politik. Deshalb müssen wir mit unserer heutigen Entscheidung endlich die Konsequenz ziehen aus den vielen Reden, in denen wir auf die Be-‐lastung nachfolgender Generationen, unserer Kinder und Enkelkinder, hin-‐weisen. (Steinbrück Rede im Bundestag 29.05.09)
Die kluge Hausfrau
„Es ist doch nur normal, dass sich die kluge Hausfrau von Zeit zu Zeit eine frische Bibel ins oberste Schrankfach legt!“
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Guttenberg zur Schuldenbremse "Nachfolgende Generationen dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, daher ist die Schuldenbremse im Grundgesetz richtig", betonte Gutten-‐berg.
(Regierung online 02/2009)
Struck zur Schuldenbremse Trotzdem tragen wir auch Verantwor-‐tung für die Zukunft, und heute ange-‐häufte Schuldenlast liegt immer auf den Schultern künftiger Generationen. (Peter Struck. SPD Fraktionsvorsitzender,
13.02.09)
ver.di Vorsitzender Frank Bsirske zur Schuldenbremse Wie unterschiedlich auch immer der Zugang, so eindeutig der Befund der Sachverständigen: Was da als Schul-‐denbremse angekündigt wird, ent-‐puppt sich beim näheren Hinsehen als Investitions-‐ und Wachstumsbremse.
Nicht von Schuldenbremse sollte des-‐halb die Rede sein, sondern treffender von einer Zukunftsbremse.
Schon heute befindet sich Deutschland, was den Anteil der öffentlichen Inve-‐stitionen am Bruttoinlandsprodukt
betrifft, an vorletzter Stelle aller OECD-‐ Staaten, weit unterhalb des Durch-‐schnitts. Bei den Bildungsausgaben liegt Deutschland – gemessen am Brut-‐toinlandsprodukt – auf dem drittletz-‐ten Platz der Europäischen Union.
Nur die Slowakei und Griechenland geben – gemessen am Bruttoinlands-‐produkt –noch weniger für Bildung aus als die Bundesrepublik. Zwei Beispiele für die enormen Handlungsdefizite.
Und das trotz einer zunehmenden Ver-‐schuldung der öffentlichen Haushalte, die sich über Jahre in unserem Lande aufgebaut hat, wobei sich das Ausmaß der Verschuldung freilich international immer noch im Mittelfeld bewegt.
Faktisch ist der bundesdeutsche Staat chronisch unterfinanziert – Folge ins-‐besondere einer Steuer-‐ und Abgaben-‐politik, die gegenüber dem Jahr 2000 auf Einnahmen in der Größenordnung von 500 Milliarden Euro insbesondere zugunsten der Kapitalbesitzer und Spitzenverdiener verzichtet hat und dabei Defizite in der Aufgabenwahr-‐nehmung bei zugleich wachsender Verschuldung hinnahm.
(Investitionen in die Zukunft statt Schul-denbremse. Was ist zu tun? ver.di Informa-
tionsbroschüre, 2009)
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Diskurs 1.3: Was interessiert uns, was müssen wir wissen?Warum gerade jetzt? Die Diskussion um staatliche Schul-‐denbremsen wurde entfacht als erst-‐mals seit fast zwei Jahrzehnten die öffentlichen Kassen mit Überschüssen abschließen konnten. Dies erstaunt.
Die Entwicklung seit 2005 ist ein-‐drücklicher Beleg dafür, dass eine Sta-‐bilisierung oder gar Rückführung der staatlichen Schuldenquote nur möglich (und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvoll) ist, wenn die Wirtschaft hin-‐reichend, also mit einer Rate von 2 oder 3 %, wächst. Umgekehrt sind ho-‐he Defizite stets die Folge schwachen Wirtschaftswachstums, einer Rezessi-‐on oder gar Depression.
Dies gehört eigentlich zu den wirt-‐schaftspolitischen Binsenweisheiten – nicht so jedoch in Deutschland. Hier wird sich ja noch nicht einmal mit den Gründen der gestiegenen Staatsschuld -‐ Wiedervereinigung, riesige Steuer-‐entlastungen, die verpufften, und wirt-‐schaftliche Stagnation – in politisch ansprechender Weise auseinanderge-‐setzt.
(ver.di Tagung zur „Schuldenbremse“ am 16.04.09 in Berlin. Referat von
Dr. Dieter Vesper)
Wir brauchen eine „gewisse Härte“ „Mit der Schuldenbremse in der Ver-‐fassung werde es einen heilsamen Zwang zu schmerzhaften Einschnitten geben“, hofft Weimar. „Es gehört eine gewisse Härte dazu, die wir uns jetzt gemeinsam auferlegen.“
(Tagesspiegel vom 27.5.09 )
Politik ist doch ganz einfach Die neue Schuldenregel räumt auf mit der Illusion, dass es zwei Arten von Mathematik gebe -‐ eine für den Haus-‐gebrauch und eine für die Politik. Als Privatperson weiß jeder Abgeordnete, dass seine Kreditwürdigkeit von sei-‐
nem regulären Einkommen abhängt. In den Parlamenten von Bund und Län-‐dern taten unsere Volksvertreter aber über Jahrzehnte so, als gälten für den Staat andere Gesetze.
(Kommentar von S. Dietrich, FAZ.NET 29.05.09)
Zwei Paar Schuhe Illusion nennt er das, was unter ernst-‐zunehmenden Ökonomen als zwei Paar Schuhe verkauft wird. Daran lässt sich der Attacke-‐Geist journalistischer Machart erkennen.
Man hinterfragt nicht, man nennt das Totzuschreibende einfach Illusion, Märchen, Erfindung, romantisches Gesülze.
Er hat sich möglicherweise keine Ge-‐danken darüber gemacht, dass es et-‐was anderes ist, wenn ein Unterneh-‐mer Sparmaßnahmen einleitet -‐ oder auch, wenn ein Privatmann spart -‐, oder ob der Staat Gelder zurückhält, um damit den Schuldenstand zu redu-‐zieren.
Wenn sich eine Familie eine Anschaf-‐fung leisten will und dafür strikt spart, bei diversen Ausgaben geizt, kann sie ihr Ziel durchaus erreichen; wenn der Staat aber Renten kürzt, Arbeitslosen-‐gelder beschneidet, damit längerfristig gesehen auch dem Lohndumping die Tore öffnet, nur um damit irgendein vages Sparziel zu erreichen, dann wird die Nachfrage abgewürgt.
Die Volkswirtschaft ist eben kein hier-‐archisch gegliedertes Unternehmen, in dem Profit als oberste Maxime festge-‐schrieben ist, sie ist (oder vielmehr: soll) ein Umverteilungsmarkt (sein). Ökonomen mögen dies alles fachge-‐rechter umschreiben, aber mit einfa-‐chen Worten ist das Prinzip sicherlich dennoch verständlich zu machen. (Blogeintrag von ad-sinistram zum F.A.Z.-
Kommentar von S. Dietrich, 02.06.09)
22
Wer will schon Schulden? Die Idee, Voraussetzung einer soliden Haushaltspolitik sei ein ausgeglichenes Budget ohne Verschuldung, bezieht ihre Attraktivität aus der Analogie zum Privathaushalt: Wer will schon gerne Schulden mit sich herumschleppen und sich mühsam die Zinseszinsen wieder absparen? Nun ist der Staat aber kein Privathaushalt, er kann Ver-‐schuldung in Kauf nehmen, wenn da-‐mit öffentliche Investitionen getätigt werden, die in der Zukunft Erträge bringen.
Er hat auch eine hohe Verantwortung für die Ökonomie und muss dafür sor-‐gen, dass konjunkturelle Dellen abge-‐federt werden. Und er kann, wenn das Wirtschaftswachstum über dem Schuldenzuwachs liegt, sogar den Schuldenstand senken, obwohl er Schulden macht.
Auch richtig ist aber, dass in der Ver-‐gangenheit häufig im Namen antizykli-‐scher Politik Defizite gemacht wurden, in guten Zeiten aber nicht dem Kon-‐zept entsprechend Defizite abgebaut wurden. Die Lehre daraus sollte sein, im konjunkturellen Aufschwung auf Steuersenkungen weitgehend zu ver-‐zichten. Sonst fehlen diese Einnahmen im Abschwung.
Nicht unerwähnt bleiben sollte aber auch noch, dass die Erfolge anderer Länder nicht allein auf eine andere Fiskalpolitik zurückzuführen sind. Auch die anderen Politiken müssen stimmen.
(Torsten Niechoj, DGB Hessen: WISO-Info Ausgabe 2/2008)
Der Staatshaushalt ist keine Familienkasse ... Erfahrungen bestätigen, dass die Wirkungszusammenhänge in einer Volkswirtschaft anders verlaufen als in einer Familie. Wenn eine Familie mit durchschnittlichem Einkommen be-‐schließt, im nächsten Jahr 1000 Euro zu sparen, dann schafft sie das in der Regel. Sie fährt nicht in Ferien, sie geht nicht mehr aus, sie kauft sich keine neuen Kleider. Wenn hingegen der Bundesfinanzminister beschließt, 30 Milliarden Euro weniger Schulden zu machen, dann schafft er es in diesen konjunkturell schlechten Zeiten nicht, wie man schon mehrmals sehen konn-‐te. Er macht, wenn er in einer Depres-‐sion sparen will, mit seiner Sparab-‐sicht den Sparerfolg zunichte, weil weniger Steuern und Arbeitslosenbei-‐träge eingenommen werden und höhe-‐re Zuschüsse des Bundes zu den
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Arbeitslosenversicherungen fällig werden. Daraus folgt: Wer als Finanz-‐minister in einer Krisenlage mehr aus-‐gibt und weniger zu sparen beabsich-‐tigt, spart am Ende vielleicht mehr und macht weniger Schulden. (Albrecht Müller: Elf Mythen, den Komplex
Schulden, Staatsquote und Sozialstaat betreffend, 2004)
Wirtschaftsweiser gegen Schuldenbremse Interview der TAZ mit dem Wirt-‐schaftsweisen Peter Bofinger:
taz: Herr Bofinger, der Staat soll künftig kaum noch Schulden machen dürfen. Sie haben eine Unterschriftenkampagne gegen diese Schuldenbremse initiiert. Warum?
Peter Bofinger: Das Anliegen der spar-‐samen, nachhaltigen Finanzpolitik ist durchaus richtig. Aber man darf die Zukunftsvorsorge nicht eindimensio-‐nal betrachten und sich nur auf die passive Vorsorge beschränken. Es ist genauso wichtig, aktiv zu handeln, also in die Bildung, die Infrastruktur und den Umweltschutz zu investieren. Sonst gefährdet man die Zukunft unse-‐rer Kinder. Wer sich so etwas aus-‐denkt, hat von Volkswirtschaft keine Ahnung.
SPD-Fraktionschef Peter Struck, sein CDU-Kollege Volker Kauder und Baden-Württembergs Ministerpräsident Gün-
ther Oettinger haben von Wirtschaft keine Ahnung?
Die Idee der Schuldenbremse ist an ökonomischer Biederkeit nicht zu übertreffen. Sie fällt hinter das Denken der klassischen Ökonomie zurück, die es für völlig vernünftig hielt, dass der Staat Zukunftsinvestitionen über Kre-‐dite finanziert.
Auch mit der Schuldenbremse dürfte der Bund noch mindestens neun Milliarden Euro neue Schulden pro Jahr machen. Reicht das nicht aus?
Nein, gerade für die Bildung sind die Bundesländer verantwortlich. Und denen will man jegliche Neuverschul-‐dung verbieten.
Brandenburgs Ministerpräsident Mat-thias Platzeck plädiert dafür, das Schul-denverbot der Länder zu lockern.
Platzeck schlägt vor, dass Länder und Gemeinden pro Jahr knapp vier Milli-‐arden Euro Kredite aufnehmen dürfen. Aber auch das ist viel zu wenig. Wir brauchen in den nächsten Jahren eine große Bildungs-‐ und Qualifizierungsof-‐fensive, damit Hunderttausende Ju-‐gendliche einen besseren Bildungsab-‐schluss machen. Tun sie das nicht, werden sie in den kommenden Jahren zu den Arbeitslosen gehören. Mit einer Schuldenbremse wäre eine solche In-‐itiative jedoch nicht zu finanzieren.
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Die Koalition will in Ausnahmefällen eine höhere Verschuldung ermöglichen. Wo ist dann das Problem?
Die Befürworter der Schuldenbremse sind auf die irrwitzige Idee gekommen, die in einer besonderen Krise entstan-‐denen zusätzlichen Schulden innerhalb einer überschaubaren Frist zurückzu-‐bezahlen. Nach dem Fall der Mauer hätte Deutschland also die Kosten der Wiedervereinigung innerhalb dieses Jahrzehnts abstottern müssen. Höhere Abgaben oder deutlich niedrigere Staatsausgaben hätten Deutschland in den Ruin getrieben.
Bundesfinanzminister Steinbrück gibt dieses Jahr etwa 44 Milliarden Euro für Zinsen und Tilgung aus. Dieses Geld fehlt für die Investitionen, die Sie for-dern.
Das stimmt. Jeder wird sagen: Weniger Schulden sind besser als mehr Schul-‐den. In der praktischen Politik kommt es aber nicht auf solche Plattitüden an, sondern auf die realistische Balance zwischen den zwei Zielen der nachhal-‐tigen Staatsfinanzen und der Investi-‐tionen in die Zukunft.
(TAZ vom 28.05.09)
Alle sprechen von Staatsschulden. Wer spricht von den privaten? In Deutschland ist es besonders schwer, rational über Staatsverschul-‐dung zu diskutieren. Obwohl der Kre-‐dit am Anfang aller wirtschaftlichen
Entwicklungen steht, und die Wirt-‐schaft allgemein und insbesondere privatwirtschaftliche Unternehmen ohne Kredit nicht existieren könnten, soll der Staat, so jedenfalls die neolibe-‐rale Meinung in Wissenschaft, Wirt-‐schaft, Politik und Medien, so gut wie keine Schulden machen.
Man verbindet mit Staatsschulden zu viel öffentlichen Einfluss auf die priva-‐te Profitwirtschaft in Form einer stei-‐genden Staatsquote und in deren Folge allseits unbeliebte Steuererhöhungen.
So reduziert man den Staat in neolibe-‐raler Diktion auf die Rolle als „Kost-‐gänger“ der Privatwirtschaft.
Dagegen wird das in letzter Zeit stark ansteigende Schuldenmachen privater Haushalte, häufig aus blanker Not we-‐gen vorliegender Arbeitslosigkeit, so gut wie überhaupt nicht kritisiert, al-‐lenfalls bedauert. (Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup, FH Gel-
senkirchen, Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Schriftliche Stellungnahme zur Übertragung der vom Bundestag und Bundesrat beschlossenen
und grundgesetzlich verankerten Schulden-regel auf das Land Nordrhein-Westfalen)
25
Thema 2: Argumente, Interessen und Ideologien Wir setzen uns mit gängigen pro-‐ und contra Argumenten auseinander und fragen nach den erkennbaren Interessen und Ideologien, sowie nach Erfahrungen mit Meinungsbildungsprozessen. Im ersten Diskurs knüpfen wir an das vergangene Thema an und erarbei-‐teten uns einige wichtige Argumente zu pro und contra von „Schulden-‐bremse“ und „Schulden“. Auf dieser Basis sammeln wir Einschätzungen zu der Frage:
• Welche Interessen stecken hinter den Argumenten? Diese Einschätzungen sammeln wir an einer Wandzeitung, die uns in den kommenden Diskursen begleiten wird. Der zweite Diskurs widmet sich den Interessen und Ideologien, die hinter den Forderungen und Argumenten stecken. Dabei konzentrieren wir uns auf drei Schwerpunkte (bzw. Schlagwörter), die die öffentliche Debatte bestimmen:
• Schuldenfalle: Schulden sind böse, Vermögen gut? • Generationengerechtigkeit: Sparen für die Enkel? • Eigenverantwortung: Selbst ist der Mann, die Frau, das Kind?
In Arbeitsgruppen bearbeiten wir jeweils ein Thema und präsentieren es im Anschluß im Plenum. Dort diskutieren wir auch über die Wirkung die-‐ser Argumentationen und stellen Analogien zum Alltagsdenken der Men-‐schen her. Diese Diskussion führen wir weiter zu einer Analyse der Me-‐thoden, mit denen die Befürworter einer Schuldenbremse ihre Argumente mehrheitsfähig machen wollen. Dazu betrachten wird folgende Aspekte:
• Mit welchen Mitteln und Methoden wird Meinungsbildung betrieben?
• Wer sind die Meinungsbildner… • …und wie erfolgreich sind sie (bisher)?
Im dritten Diskurs bestimmen wir unsere eigene Position im Spannungs-‐feld zwischen Solidarität und Eigenverantwortung und erarbeiten uns gu-‐te Argumente zu dieser Debatte. In der Abschlussdiskussion sprechen wir über konkrete Beispiele, wie wir unsere Positionen und guten Argumente in unserer Umgebung „platzie-‐ren“ können. Auch am Ende dieses Themas gibt es einen Hinweis auf Lesestoff für die Zeit bis zum nächsten Treffen.
Zeit
10
20
(30)
05
20
10
Material
M18-‐20
A7
M21-‐22
M23-‐24
M25-‐26
Methoden
Team
eröffnet mit Beispielen aus der
bisherigen Diskussion.
Team
moderiert die kurze Diskussion
und sammelt einige Einschätzungen an
der W
andzeitung.
Einleitung durch Team:
Hinweise auf Arbeitsfragen und
exem
plarische Argumente bzw.
auch Material.
2er oder 3er Arbeitsgruppen
AG-Phase
Plenum
Inhalte
Disk
urs 2
.1: P
ro un
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tra in
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Wir knüpfen an den 1. Diskurs an, indem
wir uns noch einm
al einige pro und con-‐
tra-‐Argumente vergegenw
ärtigen.
Frage: Welche Interessen stecken hinter
den Argumenten?
Disk
urs 2
.2: S
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rau,
das K
ind?
Wir gehen der Frage nach, welche Inter-‐
essen und Ideologie in den gängigen
Argumenten für/gegen Schulden er-‐
kennbar sind.
Arbeitsgruppen. Frage:
Welche Interessen sind in der Argum
en-‐
tation erkennbar?
Wie schätzen wir die Wirkungen solcher
Argumente ein?
Kurze Berichte/Präsentationen der AGs
zu ihren Antworten
Leitf
aden
für R
efer
entIn
nen
Ziele
Wir haben einige wichtige Argumente zu
pro und contra von „Schuldenbremse“
und „Schulden“ erarbeitet, sowie erste
Einschätzungen zu den Interessen ge-‐
sammelt.
Wir sind in der Lage, die pro-‐ und con-‐
tra-‐Debatte zu „Schulden“ zu bewerten,
indem wir Interessen und Ideologien
zuordnen können.
Wir haben beispielhafte
Wirkungen der Argum
ente und Ideolo-‐
gien untersucht.
Zeit
40
(75)
10
05
40
20
(75)
(180)
Material
M28-‐29
M30
A8
„Hausaufgabe“
M27
+ nicht bearb.
Materialien
Methoden
Team
nimmt Beispiele aus den
Präsentationen auf und moderiert .
Team
bringt w
eitere
Materialien ein, mit denen die
Fragen diskutiert werden können.
Team
macht die Zusam
menfassung als
Einstieg in den Diskurs 2.3.
TN erhalten ausgewählte Positionen und
Argumente.
Sie bearbeiten diese in Einzelarbeit und
präsentieren ihre Bewertung anschlie-‐
ßend den anderen TN
Team
moderiert die Abschlussdiskussi-‐
on und verweist auf „Lesestoff für zu
Hause“.
Inhalte
Diskussion über Interessen und Ideolo-‐
gie, „ideologische Apparate“ und die
Meinungsbildung zum Thema „Schul-‐
den und Schuldenbrem
se“.
Fragen:
Mit welchen Mitteln und Methoden wird
Meinungsbildung betrieben . W
er sind die
Meinungsbildner…
…und wie erfolgreich sind sie (bisher)?
Disk
urs 2
.3: S
olid
aritä
t ver
sus
Eigen
vera
ntwo
rtung
Kurze Zusammenfassung wichtiger Er-‐
kenntnisse aus dem
Diskurs 2.2.
Wir erarbeiten uns „gute Argum
ente“
zum Thema Schulden/Sparen und der
Debatte um
„Solidarität oder Eigenver-‐
antwortung“
Frage:
Welche Argumente mache ich mir zu
eigen?
Von welchen Argum
enten verspreche
ich mir eine positive Wirkung in meiner
Umgebung?
Abschlussdiskussion:
Gemeinsam
e Beratung von Beispielen,
wie wir unsere Positionen und guten
Argumente in unserer Umgebung „plat-‐
zieren“ können
Ziele
Wir haben uns einen ersten Überblick
über „ideologische Apparate“ und die
von ihnen gesteuerten Meinungsbil-‐
dungsprozesse verschafft.
Pause
Wir sind in der Lage erste (vorläufige)
Einschätzungen zu Konsequenzen und
eigenen Erwartungen zu den Wirkungen
einer Schuldenbremse zu
artikulieren
28
Diskurs 2.1: Pro und contra in der Debatte
CDU zur Staatsverschuldung Wir beenden den verhängnisvollen Marsch in den Schuldenstaat. Wir wer-‐den eine ehrliche, nachhaltige Haus-‐haltspolitik betreiben, die uns, unseren Kindern und Enkeln wieder Chancen für eine gute Zukunft sichert, dem Staat seine Handlungsfähigkeit zurück gibt und Raum für Zukunftsinvestitio-‐nen schafft. Die Ausgaben des Staates müssen sich deshalb wieder nach den Einnahmen richten und nicht umge-‐kehrt. Die Erfahrung und der interna-‐tionale Vergleich lehren: Solide Finan-‐zen sind eine dauerhafte Grundlage für Arbeitsplätze und Wohlstand.
(CDU/CSU: Regierungsprogramm 2005-2009, Berlin, 11.07.05)
FDP zur Staatsverschuldung Die Konsolidierung muss von der Aus-‐gabenseite her vorgenommen werden. Solide Staatsfinanzen sind unabding-‐bare Voraussetzung für Geldwertstabi-‐lität und wirtschaftliches Wachstum.“
(Beschluss des Präsidiums der FDP 2005: 10 Punkte zur Erneuerung der Sozialen
Marktwirtschaft)
Von armen und reichen Bürgern Der SPD-‐Fraktionschef Klaus Oester-‐ling ist richtig aufgebracht. Als "Pa-‐nikmache" und "durchsichtigen Bür-‐gerverdummungsversuch" hat der Vorsitzende und Finanzexperte seiner Römer-‐Fraktion die derzeitige Aktion des Bundes der Steuerzahler in Hessen gegeißelt.
Die Lobby der Steuerzahler tourt näm-‐lich gerade durch Hessen, um den Bür-‐gern ihre so genannte Schuldenuhr vorzuführen. Auf dieser ist abzulesen, wie hoch die Pro-‐Kopf-‐Verschuldung auf Bundes-‐, Landes-‐ und eben auch auf kommunaler Ebene ist.
Zwar macht der Bund erst am 14. Au-‐gust in Frankfurt Station. Vorab aber hat er schon mal mitgeteilt, dass jeder Frankfurter mit 4430 Euro enorm hoch verschuldet sei. Zugrunde gelegt wurden dabei offenbar nicht nur die direkten Schulden der Stadt (1,1 Milli-‐arden Euro), sondern auch die von städtischen Gesellschaften und Beteili-‐gungen.
29
Bei 670.000 Einwohnern kommt der Bund dann auf einen Gesamtschul-‐denstand von rund 2,97 Milliarden Euro. Was aber, wie nicht nur Oester-‐ling findet, ganz schön unsinnig sei. So habe die Stadt derzeit liquide Mittel von mehr als einer Milliarde. Und aus dem so genannten Sachanlagevermö-‐gen -‐ Grundstücke, Gebäude sowie Beteiligungen an Unternehmen wie Mainova, Fraport, Messe und andere -‐ erwächst ein Vermögen von niedrig gerechnet rund zwölf Milliarden Euro.
Jeder Bürger also verfüge nach dem Prinzip des Steuerzahlerbundes über ein Pro-‐Kopf-‐Vermögen von 18.000 Euro, sagt die SPD.
Leider nur theoretisch. Dagegen mach-‐ten sich die -‐ ebenso theoretischen -‐ Schulden von 4430 Euro gar nicht so schlecht.
(Frankfurter Rundschau vom 10.08.09)
30
Diskurs 2.2: Schulden sind böse, Vermögen gut?Der Schuldenverrechner Für Fernsehjournalisten ist das Ding unbezahlbar. Wann immer sie eine reißerische Reportage über Alterung und die Bürden derselben unter die Menschen bringen wollen, schicken sie schnell eine Kamera zum Büro des Bundes der Steuerzahler in Berlin, die dort ein paar Sekunden lang filmt, wie der Schuldenrechner der öffentlichen Hand in unglaublichem Tempo vor sich hin rennt und das ganze Volk früher oder später ins Verderben stürzt. Das ZDF, das sich in wirtschaftlichen Din-‐gen mit dem Tempo des Schulden-‐rechners der Seriosität der Zeitung mit den großen Buchstaben annähert, hat sich mit dieser Art der Panikmache in den letzten Wochen besonders her-‐vorgetan.
Ja, es ist wahr, die Schulden des Staates in Deutschland steigen. Betrachtet man nur eine Zeitlang die ganz kleinen Zah-‐len am Ende der vielen Milliarden, die sich die deutschen Bürger via Staat selbst schulden, dann kann einem in der Tat schwindelig werden. In den letzten Jahren stieg die Verschuldung immer in einer Größenordnung von
mindestens 50 Milliarden jährlich, macht also etwa eine Milliarde pro Woche, den Rest erledigt jeder Ta-‐schenrechner.
Doch ob das irgendeine ökonomische Bedeutung hat, fragt niemand. Wer hat dem Staat eigentlich das Geld gegeben, mit Hilfe dessen er sich verschuldet? Steigen in Deutschland vielleicht auch die Einkommen von Menschen, die so hohe Einkommen haben, dass sie zwanzig Prozent oder mehr ihres lau-‐fenden Einkommens sparen? Müssten nicht diejenigen, die so gerne den Schuldenrechner zeigen, fordern, die Gruppen der Gesellschaft, die enorm hohe Ersparnisse haben, so zu besteu-‐ern, dass sie einen größeren Teil der allgemeinen Lasten tragen, statt genau für diese Gruppe, wie in den letzten Jahren in großem Stil geschehen, dau-‐ernd die Steuern zu senken?
Deutschland hatte im vergangenen Jahr die niedrigste Steuerquote aller Zeiten. Warum wird gerade da der Schuldenrechner so häufig bemüht, statt zu sagen, es könne etwas im Lan-‐de nicht in Ordnung sein, wenn der Staat so große Aufgaben hat, sich aber
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ausgerechnet die Wohlhabenden im Land nicht mehr an deren Finanzie-‐rung beteiligen wollen.
Perfide wird die Sache aber dadurch, dass man die einzige Art und Weise, wie der Staat das Geld auf Zeit von denen zurückholen kann, auf das er durch seine Steuersenkung verzichtet hat, mit Mitteln wie der Schuldenuhr verteufelt. Dann bleibt „natürlich“ nur die Lösung, die kleinen Leute via Kür-‐zung des Sozialhaushalts dafür sorgen zu lassen, dass der Staat die zukünfti-‐gen Generationen nicht belastet wer-‐den.
Die Schuldenrechnerei ist auch deswe-‐gen besonders dümmlich, weil man ja nur eine Uhr daneben stellen müsste, die die Einkommen zählt, die dem Staat in den letzten Jahren durch seine unverantwortliche Steuersenkungspo-‐litik entgangen sind, und schon würde das Tempo der Uhr erheblich relati-‐viert. Man könnte sich auch eine Uhr denken, die zählt wie viel Geld der Staat in die Vereinigung mit Ost-‐deutschland gesteckt hat und das zum größten Teil deswegen nicht über Steuereinnahmen finanziert wurde, weil die damals und heute herrschen-‐de Oberschicht sich mit Händen und
Füßen und schlimmeren Instrumenten dagegen gewehrt hat, auch nur über höhere Steuern für die Solidarität mit Ostdeutschland nachzudenken.
Das Beste wäre aber, neben die Schul-‐denuhr eine Uhr zu stellen, die den Vermögenszuwachs in jeder Sekunde in Deutschland misst. Unsere Topma-‐nager wissen doch sonst so genau, dass man die Höhe von Schulden im-‐mer bewerten muss vor dem Hinter-‐grund der vorhandenen Vermögens-‐werte.
Dann würden die staunenden Fern-‐sehzuschauer oder die staunenden Touristen vor dem Büro des Steuer-‐zahlerbundes in Berlin aber sehen, dass die Vermögensuhr viel schneller läuft als die Schuldenuhr und würden sich vielleicht fragen, wieso das bei ihnen persönlich eigentlich nicht der Fall ist.
Dann würden die Leute vielleicht auch fragen, was denn mit den Vermögen geschieht und warum die berühmten „Leistungsträger“, die den Staat über Jahre gedrängt haben, Steuern für sie zu senken, damit sie mehr leisten kön-‐nen, nun dem Staat das Geld in Form von Staatsanleihen zurückgeben.
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Viele von denjenigen, die vom Staat in den vergangenen Jahren so großzügig bedacht wurden, haben offenbar gar nicht gewusst, was sie mit dem Geld machen sollen, das da so unverhofft in ihre Taschen gespült wurde.
(Heiner Flassbeck in der FR v. 17.02.07)
Über den volkswirtschaftlichen Begriff der „Verschuldung“ 1. Staatsverschuldung ist seit langem in der Wirtschaftswissenschaft ein strittiges Thema. Trotz der allgemei-‐nen Bedeutung des Kredits für die Wirtschaft und ihre Entwicklung.
2. Ohne die Staatsschuld hätten die privaten Haushalte nicht die in der Vergangenheit realisierten Finanzie-‐rungs-‐ und Vermögensüberschüsse erzielen können.
3. Ursache der Staatsverschuldung ist grundsätzlich eine instabile Wirtschaft, die auf dem Konkurrenz-‐ und Profit-‐prinzip basiert und Arbeitslosigkeit verursacht. Hinzu kommt der Sonder-‐fall der deutschen Wiedervereinigung aber auch ein tendenziell nachlassen-‐des Wirtschaftswachstum in Verbin-‐dung mit einer falschen staatlichen Einnahmen-‐ und Ausgabenpolitik.
4. Absolute staatliche Verschuldungs-‐grenzen existieren für Volkswirtschaf-‐ten nicht und auch ein Verschuldungs-‐optimum lässt sich nicht exakt definie-‐ren.
5. Die relativen Verschuldungsgrößen haben sowohl in Deutschland als auch in NRW zugenommen. Von einem dramatischen Anstieg kann allerdings nicht gesprochen werden. Problema-‐tisch sind aber die beträchtlich hohen Zinszahlungen, weil sie den politischen Handlungsspielraum für konsumtive und investive Ausgaben des Staates einschränken.
6. Die staatlichen Zinsbelastungen ha-‐ben nicht nur einen Opportunitätscha-‐rakter, sondern implizieren auch Um-‐verteilungen von unten nach oben. Hierfür ist aber nicht die Staatsver-‐schuldung verantwortlich, sondern die ungleiche primäre und sekundäre Ein-‐kommens-‐ und Vermögensverteilung.
7. Auch künftige Generationen sind Nutznießer von heute kreditfinanzier-‐ten staatlichen Investitionen. Eine an der „Goldenen Verschuldungsregel“ ausgerichtete Kreditaufnahme mit einem erweiterten Investitionsbegriff hinsichtlich staatlicher Bildungsausga-‐ben ist daher sinnvoll.
8. Durch die auf die EZB übergegange-‐ne Geldpolitik sind die wirtschaftspoli-‐tischen Möglichkeiten eingeengt wor-‐den, um auf marktwirtschaftlich im-‐manente Wirtschaftskrisen zu reagie-‐ren. Die „Schuldenbremse“ schwächt zusätzlich die fiskalpolitischen Mög-‐lichkeiten des Staates. Antizyklische Fiskalpolitik ist so kaum noch möglich und endet womöglich in einer pro-‐zyklischen Krisenverschärfung mit noch weiterer Verschuldung.
9. Auch kommt es durch die „Schul-‐denbremse“ zu einer Finanzierung ausländischer Staaten durch inländi-‐sche Sparer. Dies führt bei eskalieren-‐den Exportüberschüssen zu schärferen internationalen Widersprüchen. Ande-‐rerseits ist der Staat nicht nur bei in-‐ländischen Gläubigern, sondern auch im Ausland verschuldet.
10. Die weltweite Finanz-‐ und Wirt-‐schaftskrise wird die Staatsverschul-‐dung in Deutschland noch einmal kräf-‐tig ansteigen lassen. Zu diesem Schul-‐denanstieg gibt es aber keine Alterna-‐tive, weil es ansonsten zu einer ver-‐heerenden krisenverschärfenden (pro-‐zyklischen) Wirkung kommen würde.
11. Bei Umsetzung der „Schulden-‐bremse“ sind drastische Steuererhö-‐hungen unvermeidbar. Käme es dage-‐gen zu Staatsausgabensenkungen würde unser Land großen Schaden nehmen. (Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup, FH Gel-
senkirchen, Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Schriftliche Stellungnahme zur Übertragung der vom Bundestag und Bundesrat beschlossenen
und grundgesetzlich verankerten Schulden-regel auf das Land Nordrhein-Westfalen. Anhörung im Haushalts- und Finanzaus-
schuss am 17.09.09 in Düsseldorf)
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Zur ökonomischen Funktion der öffentlichen Kreditaufnahme (1) Während die Geldvermögensbil-‐dung der privaten Haushalte auch in der aktuellen Krise ansteigt, jedoch die Unternehmen diese nicht durch aus-‐reichende Aufnahme von Krediten abschöpfen, muss der Staat als Lüc-‐kenbüßer dafür sorgen, über schulden-‐finanzierte Ausgaben effektive Nach-‐frage für die Wirtschaft zu schaffen. Dieser Logik folgt ansatzweise die Bundesregierung mit ihrem Konjunk-‐turprogramm II. Entscheidend ist je-‐doch, dass damit das Wirtschaftswach-‐stum auch steigt und schließlich die Steuereinnahmen zunehmen (Selbstfi-‐nanzierungseffekt).
(2) Fluch oder Segen der Staatsver-‐schuldung entscheidet sich mit der Art, wofür diese geliehenen Finanzmittel verwendet werden. Wenn beispiels-‐weise Investitionen in Bildung und die ökologische Infrastruktur finanziert werden, profitieren künftige Genera-‐tionen von besseren Lebens-‐ und Pro-‐duktionsbedingungen. Da ist doch die Frage erlaubt, ob künftige Generatio-‐nen über die Zahlung von Zinsen an der Finanzierung beteiligt werden soll-‐ten. Schließlich werden nicht nur die Schulden, sondern Vermögen etwa in Form von Staatsanleihen im Eigentum von privaten Haushalten vererbt. (Rudolf Hickel, Tagesspiegel vom 14.06.09)
Geldnot der Bundesländer - die Schuld der Schuldenbremse Angela Merkel gegen Peter Harry Car-‐stensen, Guido Westerwelle kontra Wolfgang Kubicki, Union gegen Union, FDP gegen FDP: Man kann den Steuer-‐konflikt zwischen Bund und Ländern als einen peinlichen Familienstreit beschreiben, der nach außen getragen wird. Aber bei dem Gezerre geht es um mehr als Gezänk. Die Härte der Aus-‐einandersetzung lässt sich nur verste-‐hen, wenn man die Nöte der Bundes-‐länder in den Blick nimmt.
Die Kompromisslosigkeit des freundli-‐chen Christdemokraten Carstensen, die Renitenz der Sachsen-‐CDU und das Grummeln der anderen erklärt sich durch die Zwänge der Schuldenbrem-‐
se, die Union und SPD im Frühsommer ins Grundgesetz hineingeschrieben haben. Diese neue Defizitgrenze, von vielen sträflich unterschätzt, bestimmt schon heute die politische Auseinan-‐dersetzung.
Formal lässt sie den Ländern bis 2020 Zeit, die Haushalte auszugleichen. Erst dann dürfen sie nur noch im Ab-‐schwung Kredite aufnehmen. Erst dann müssen strukturelle Defizite, die unabhängig von der Konjunktur auf-‐treten, verschwunden sein. Der Weg dorthin ist jedoch so weit und schwer, dass jede Landesregierung jetzt star-‐ten muss. Was die Schuldenbremse in der Praxis bedeutet, hat das Düssel-‐dorfer Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung am Beispiel zweier Länder durchgerechnet. Dem-‐nach plagt Schleswig-‐Holstein ein strukturelles Defizit von rund 1,5 Mil-‐liarden Euro, das in der nächsten De-‐kade verschwinden muss. Bei einem Haushaltsvolumen von zwölf Milliar-‐den Euro folge daraus ein "giganti-‐scher Konsolidierungsbedarf", so das IMK. Strukturell heißt, dass die Lücke auch im Aufschwung nicht kleiner wird. Vielmehr muss Kiel selbst dann bei Lehrern und Polizei sparen, wenn die Wirtschaft wieder ins Laufen kommen sollte. Zwischen 1990 und 2008 erhöhte das Land die Ausgaben im Schnitt um 2,1 Prozent pro Jahr. Selbst bei guter Konjunktur müssten künftige Regierungen den Anstieg mehr als halbieren auf 1,0 Prozent pro Jahr. Im Verhältnis zum Bruttoin-‐landsprodukt müsste der Staatssektor deutlich schrumpfen.
Kaum besser sieht es an Rhein und Ruhr aus. Düsseldorf müsste laut IMK rund fünf Milliarden aus einem Haus-‐halt von 53 Milliarden herausschnei-‐den, um 2020 auf die Null zu kommen. Auch in Nordrhein-‐Westfalen müsste der Staatsanteil an der Wirtschaftslei-‐stung daher zurückgehen.
Zwischen den Ländern sind die Unter-‐schiede groß. Im Süden und Westen mit starker Wirtschaftskraft geht es besser als im Norden und Osten mit geringem Steueraufkommen. Aber die Geldnot ist flächendeckend. Überall stecken die Länder in der Klemme mit
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Haushaltslöchern und steigenden An-‐forderungen etwa im Bildungssektor auf der einen und der Schuldenbremse auf der anderen Seite. Sie haben früh gewarnt. In einer Erklärung während der Koalitionsverhandlungen appel-‐lierten alle haushalts-‐ und finanzpoliti-‐schen Sprecher der Union in den Län-‐dern an "die Verantwortung des Bun-‐des, die Konsolidierungsbemühungen in den Ländern nicht durch zusätzliche Einnahmeausfälle zu erschweren". Der Aufruf verhallte ungehört. Dafür ist der Aufschrei jetzt nicht mehr zu überhö-‐ren.
(Markus Sievers, Frankfurter Rundschau, 15.12.09)
Schuldenbremse erhöht die Risiken der Finanzwirtschaft Würde die Schuldenbremse in der ge-‐genwärtigen Form langfristig erfolg-‐reich angewendet, sänke die Staatsver-‐schuldung bei einem angenommenen durchschnittlichen Wachstum des no-‐minalen BIP von 3 % pro Jahr im Durchschnitt der Jahre auf gerade einmal 11,7 %. Damit fiele der Staat als sog. bester Schuldner weitgehend aus. Dies hätte weit reichende Konsequen-‐zen für Kapitalanleger, die wie z.B. Lebens-‐ oder Kapital gedeckte Renten
versicherungen einen hohen Anteil sicherer Anlagen in ihrem Portefeuille benötigen. Ihre Nachfrage könnte auf dem nationalen Markt nicht mehr be-‐friedigt werden, sie wären gezwungen entweder in Anleihen anderer Staaten zu investieren oder, wenn diese die gleiche Strategie wie die Bundesrepu-‐blik verfolgten, in riskantere Anlagen. Damit würde aber das Renditerisiko von Lebens-‐ und Kapital gedeckten Rentenversicherungen merklich stei-‐gen.
(ver.di Tagung zur „Schuldenbremse“ am 16.04.09 in Berlin. Referat von Prof. Dr.
Gustav Horn)
Denkfehler: Wir werden immer älter. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr. Macht es Sinn, von Überalterung oder gar von Vergreisung zu sprechen? Wir haben auch in der Vergangenheit Alte-‐rungsprozesse erlebt, ohne dass das Land darunter zu leiden hatte: 1950 betrug der Anteil der unter Zwanzig-‐jährigen 30,5 Prozent der gesamten Bevölkerung. 1995 stellte diese Alters-‐gruppe nur noch 21,6 Prozent. In die-‐sen 45 Jahren hat also eine dramati-‐sche »Vergreisung« stattgefunden. Hat das jemand gemerkt?
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... Das Zahlenverhältnis von älterer zu mittlerer Generation hat sich im Zeit-‐ablauf sehr verändert. ... Unser Land erlebte demnach einen ständigen Alte-‐rungsprozess mit besonderer Talfahrt bis 1960. Im Jahr 1900 kamen auf ei-‐nen alten Menschen 12,4 Personen mittleren Alters. Im Jahr 1960 waren es weniger als die Hälfte: nur noch 5,8. Eine dramatische Entwicklung. Hat sich damals jemand aufgeregt? Und ist die neueste Entwicklung angesichts dieser Geschichte wirklich so ein-‐schneidend?
... Heute redet man von einem Verlust von Dynamik, nur weil der Anteil der Älteren steigt. So zu empfinden und daraus auch noch ein Thema von an-‐geblicher politischer Relevanz zu ma-‐chen, lässt tief blicken. In den Reihen unserer Meinungsführer herrscht eine eigenartige Lust auf Hysterie. Oder dient ein solcher dramatisierender Sprachgebrauch nur der Entschuldi-‐gung und der Abschiebung von Ver-‐antwortung nach dem Motto: Was kann die Politik schon dafür, wenn die Menschen keine Kinder mehr bekom-‐men? Wer sich angesichts von über 4 Millionen Arbeitslosen mit solchen Fragen beschäftigt, der ist unterbe-‐schäftigt oder weiß zumindest nicht, Prioritäten zu setzen.
... Um die Dramatik so richtig anzu-‐schärfen, wird in die Debatte meist das Verhältnis von arbeitsfähiger Genera-‐tion zur Rentnergeneration eingeführt – der Altenquotient, populär gesagt: die Alterslast. Diese Relation verände-‐re sich dramatisch. Auf 100 Menschen mittleren Alters, also zwischen zwan-‐zig und sechzig Jahren, die man für die arbeitsfähige Generation hält, kommen nach der Prognose des Statistischen Bundesamts im Jahre 2001 44 Ältere und im Jahre 2050 78 ältere Menschen im Rentenalter. Man tut so, als ändere sich in diesem langen Zeitraum sonst nichts und als sei eine Berechnung, die sich allein auf die Älteren bezieht, aus-‐sagekräftig. Das ist nicht der Fall. Wenn man die Belastung der Arbeits-‐fähigen korrekt erahnen will, darf man nicht nur die auszuhaltende Rentner-‐generation in Rechnung stellen, son-‐dern muss auch mit einbeziehen, wie
viele Jugendliche und Kinder zu ver-‐sorgen sind. Auskunft darüber gibt der sogenannte Jugendquotient. Wenn man die Entwicklung beider Bela-‐stungsfaktoren zusammen im Zeitab-‐lauf betrachtet, wird selbst unter den für die Prognose angenommenen Be-‐dingungen (also unter der Annahme, dass sich weder Geburtenrate noch Ruhestandseintrittsalter ändert) bis zum Jahr 2050 die Dramatik enorm entschärft: Während der Altenquotient um 77 Prozent steigt, ergibt sich für den Gesamtquotienten ein Plus von 37 Prozent. (Auszug aus „Die Reformlüge. 40 Denkfeh-
ler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren“,
München 2004)
Sachzwang Demografie? Richtig ist zunächst einmal, dass der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung aufgrund einer steigenden Lebenserwartung und sin-‐kender Geburtenraten in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen ist. Geht man davon aus, dass eine ähnliche Entwicklung auch in den nächsten Jahrzehnten anhalten wird, dann wer-‐den auf 100 Menschen mittleren Alters (Personen im Alter zwischen 15 und 65) etwa 51 statt heute 26 Ältere (Per-‐sonen im Alter ab 65 Jahren) kommen. Allerdings sind ältere Menschen nicht die einzigen, die auf die gesellschaftli-‐che Unterstützung angewiesen sind, denn auch Kinder und Jugendliche müssen von der Gesellschaft versorgt werden. Eine seriöse Analyse der de-‐mografischen Entwicklung muss auch diese Menschen als gesellschaftliche „Belastungsfaktoren“ einbeziehen. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Zahl der Kinder und Ju-‐gendlichen (Personen im Alter bis 15 Jahren) von heute 22 pro 100 Men-‐schen mittleren Alters bis 2050 auf 20 sinkt (so genannter Jugendquotient). Berücksichtigt man diese Werte, so relativieren sich die obigen Zahlen: Auf 100 Menschen mittleren Alters kom-‐men im Jahr 2050 zwar 71 zu versor-‐gende ältere und jüngere Menschen, heute sind es allerdings auch schon 48.
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Die Zahl der zu versorgenden Perso-‐nen – ältere und junge – wächst also bei Weitem nicht so schnell, wie dies suggeriert wird, wenn ausschließlich die Versorgungslasten für ältere Men-‐schen zu Grunde gelegt werden. (Kai Eicker-Wolf: DGB-Argumentationshilfe,
2009)
Die unsoziale Verteilungswirkung der Staatsverschuldung Die Staatsverschuldung ist Folge so-‐wohl der unsachgemäßen Steuersen-‐kungen als auch der durch die Arbeits-‐losigkeit bedingten Einnahmeausfälle einerseits und höherer Transferausga-‐ben andererseits.
Die popularisierte Meinung, die Staatsverschuldung belaste die kom-‐mende Generation ist irreführend. Erstens kommt es auf die Verwendung der Kredite an. Wenn sie für Infra-‐struktur (Schulen, Universitäten, Stra-‐ßen etc.) ausgegeben werden, so wächst der der kommenden Generati-‐on vererbte Kapitalstock, d. h. sie übernimmt ein entsprechend wertvol-‐leres Realvermögen.
Zweitens stellt die Staatsschuld eine Verschuldung der Gesellschaft an sich selbst dar. Die Schuldtitel werden an die nächste Generation vererbt, d. h. dem Schuldner Staat stehen die priva-‐
ten Gläubiger gegenüber, die von ihren Eltern Wertpapiere geerbt haben. Drit-‐tens sind die realen Produktionslei-‐stungen, die von den öffentlichen Hän-‐den (aus Steuern oder Krediten finan-‐ziert) heute nachgefragt werden, auch von den heute lebenden Arbeitskräften zu produzieren.
Sollte etwa darauf verzichtet werden, Straßen zu bauen und statt dessen noch mehr Bauarbeiter arbeitslos zu lassen? Viertens liegt die Problematik der Staatsverschuldung nicht in einer unfairen Belastung der künftigen Ge-‐neration, sondern in der unsozialen Verteilungswirkung: die Zinsen gehen an relativ wenige, die in der Lage sind, staatliche Schuldtitel zu erwerben, aber bezahlt werden die Zinsen aus dem allgemeinen Steueraufkommen, also von Arm und Reich zugleich. (Das Leiden an der Ökonomie ohne Mensch-
lichkeit – Mythos und Krise: warum die reiche Gesellschaft Armut und Arbeitslosig-
keit produziert und was dagegen zu tun wäre. Karl Georg Zinn, 2005)
Westerwelle: An die deutsche Mittelschicht denkt niemand Die Diskussion nach der Karlsruher Hartz-‐IV-‐Entscheidung hat sozialisti-‐sche Züge. Debattiert wird die Frage: Wer bekommt mehr? „Staatliche Lei-‐stungen“ nennt man diese Zahlungen.
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Dabei sind es Leistungen des Steuer-‐zahlers, die der Staat verteilt. Wie in einem pawlowschen Reflex wird geru-‐fen, jetzt könne es erst recht keine Ent-‐lastung der Bürger mehr geben, das Geld brauche man für höhere Hartz-‐IV-‐Sätze.
Es scheint in Deutschland nur noch Bezieher von Steuergeld zu geben, aber niemanden, der das alles erarbei-‐tet. Empfänger sind in aller Munde, doch die, die alles bezahlen, finden kaum Beachtung.
Die Mittelschicht in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren von zwei Dritteln auf noch gut die Hälfte der Gesellschaft geschrumpft. Damit bröc-‐kelt die Brücke zwischen Arm und Reich. ...
Zu lange haben wir in Deutschland die Verteilung optimiert und darüber ver-‐gessen, wo Wohlstand herkommt. Lei-‐stungsgerechtigkeit ist mehr als Steu-‐ertechnik – Leistungsgerechtigkeit ist ein Gesellschaftsbild.
Bei fairen Steuern genau wie bei Auf-‐stiegschancen durch ein durchlässiges Bildungssystem muss die Mitte unse-‐rer Gesellschaft wieder in den Mittel-‐punkt der Politik rücken.
Dieses Umsteuern ist für mich der Kern der geistig-‐politischen Wende, die ich nach der Diskussion über die Karlsruher Entscheidung für nötiger halte denn je.
(Guido Westerwelle am 11.02.10 in der Tageszeitung „Die Welt“)
Schäuble: Die Bürger auf Kürzungen vorbereiten Wir befinden uns im Jahre 2010 immer noch in der schwierigsten Wirtschafts-‐krise der Nachkriegszeit.
Deshalb war und ist es richtig, in die-‐sem Jahr nicht in die Krise hinein zu sparen, sondern zu investieren und die steuerlichen Belastungen zu senken, um Wachstumsimpulse zu setzen. Wenn wir aus der Krise herauskom-‐men wollen, dann müssen wir in die-‐sem Jahr ein schmerzhaft hohes Defizit von 86 Milliarden Euro hinnehmen.
Sobald die Krise allerdings vorüber ist, müssen wir ab 2011 mit der Rückfüh-‐rung dieses Defizits beginnen.
Das allein wird schwierige Sparmaß-‐nahmen zur Folge haben, für die wir Akzeptanz in der Bevölkerung schaffen müssen.
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Jeder muss wissen, dass wir darüber hinaus 2011 weitere Impulse für mehr Wachstum durch Steuersenkungen nur dann setzen können, wenn wir auf der Ausgabenseite entsprechend einspa-‐ren. (Interview mit Wolfgang Schäuble, Bundes-finanzminister, Tagesspiegel vom 10.01.10)
Löhne müssen die Existenz sichern können Aus einem Interview mit Dr. Hans-‐Jürgen Urban, geschäftsführendes Vor-‐standsmitglied der IG Metall:
Was hältst Du vom neuen Sozialstaats-papier der FDP?
... Zum einen stimmt die Richtung nicht. Die FDP geht nach wie vor davon aus, dass die Arbeitslosen-‐ und nicht die Arbeitslosigkeit das Problem ist. Wer, wie Lindner, der Agenda 2010 einen Erneuerungsimpuls zuspricht , und nun einen zweiten Anlauf fordert, beschleunigt den Weg in die Sackgas-‐se. Zum anderen: Wer eine Neuord-‐nung der Grundsicherung fordert, aber nicht deutlich macht, wie hoch die Re-‐gelsätze und wie hoch die zu pauscha-‐lierenden Kosten der Unterkunft sein sollen, drückt sich um die Kernfragen zur Grundsicherung herum. Wenn alle Veränderungen letztlich kostenneutral
sein sollen, stellt sich zudem die Frage, in welchen Bereichen die FDP kürzen will. Auch hierzu fehlen klare Äuße-‐rungen.
Im Papier wird unter anderem eine Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen für Hartz IV- Empfänger gefordert. Auf den ersten Blick erscheint das vorteil-haft. Warum sollte das nicht so sein?
Die geltenden Hinzuverdienst-‐Regelungen führen dazu, dass Hartz IV-‐Empfänger oftmals nur einen klei-‐nen Teil ihres Hinzuverdienten behal-‐ten können. Eine Anhebung der Hinzu-‐verdienstgrenzen scheint daher auf den ersten Blick für betroffene Alg II-‐Bezieherinnen und -‐Bezieher in der Tat attraktiv. Die FDP-‐Vorschläge beinhalten aber nicht die Perspektive, die Menschen in existenzsichernde Beschäftigung zu vermitteln. Arbeitge-‐ber werden zudem davon entbunden, existenzsichernde Löhne zu zahlen. Niedriglöhne -‐ gerade auch im Voll-‐zeitbereich -‐ werden so dauerhaft auf Kosten der Öffentlichen Hand subven-‐tioniert und Arbeitgeber werden ent-‐lastet.
Die FDP sieht auch die Schwarzarbeit kritisch und will sie bekämpfen. Welche Vorschläge werden gemacht und wie steht die IG Metall dazu?
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Dieses Ziel wird von der IG Metall un-‐terstützt. Die FDP unterschlägt aber, dass ihre Politik der Lohnspreizung und des Niedriglohns dazu geführt hat, dass immer mehr Menschen Schwarz-‐arbeit verrichten, weil sie keinen exi-‐stenzsichernden Lohn mehr erhalten. Überdies müsste eine wirksame Politik gegen Schwarzarbeit die Arbeitgeber ins Visier nehmen, die systematisch und in krimineller Weise Schwarzar-‐beit gefördert und betrieben haben.
Als weiteren Punkt hat das Papier die Verbesserung der Vermittlung von Ar-beitslosen zum Gegenstand. Dabei wird der Grundsatz "Keine Leistung ohne Gegenleistung" angeführt. Warum reicht das nicht aus?
Die IG Metall wendet sich keineswegs gegen die Verbesserung der Vermitt-‐lung. Aber uns das Motto "Keine Lei-‐stung ohne Gegenleistung" als Maß-‐nahme zur besseren Vermitttlung zu verkaufen, ist zynisch. Es geht gerade darum, Menschen im Falle der Bedürf-‐tigkeit Unterstützung zu gewähren, ohne sie als Lohndrücker zu mißbrau-‐chen.
Drei Konzeptionen vom Wohlfahrtsstatt Bereits vor 20 Jahren unterschied der dänische Sozialwissenschaftler Gösta Esping-‐-‐Andersen Three Worlds of Welfare Capitalism – dreierlei Wohl-‐fahrtsstaat. Der erste – der -‐anglo-‐amerikanische – ist marktradikal. Wohlgemerkt: Auch er firmiert als Wohlfahrtsstaat, er hat den Anspruch, das allgemeine Beste durch Konkur-‐renz herauszumitteln.
Zweiter Typ ist der korporatistische: Der Staat stabilisiert Ungleichheit, in-‐dem er sie durch Zugeständnisse an die Unterklassen abfedert. Typisch dafür sind West-‐ und Mitteleuropa, auch die Bundesrepublik.
Drittens gibt es die egalitärste Form des Wohlfahrtsstaates: in Skandinavi-‐en. Hier greift der Staat zur Herstel-‐lung und Sicherung von Gleichheit auf hohem Niveau ein. Etwas sarkastisch gesagt: dieser Typ des egalitären Wel-‐fare Capitalism enthält so viel Sozia-‐
lismus, wie es mit dem Kapitalismus gerade noch vereinbar ist.
Heftig umkämpft ist zur Zeit der zweite Typus: der korporatistische. Wester-‐welle will ihn durch die marktradikale Form ersetzen. Es ist im Interesse der Exportwirtschaft und der Finanz-‐dienstleistungsbranche ökonomisch rational. Der Erfolg einer solchen Rosskur ist aber nicht verbürgt. Sen-‐kung der Lohnstück-‐Kosten forciert die Ausfuhr und riskiert den Einbruch der Konjunktur, wenn die importie-‐renden Länder durch eine Beggar-‐my-‐neighbour-‐Politik (mach’ Deinen kon-‐kurrierenden Nachbarn arm) in den Ruin getrieben werden und als Ab-‐nehmer ausscheiden. Dann fallen Ar-‐beitsplätze weg und mehr Ausgaben für Hartz IV an. Westerwelles Auf-‐schrei richtet sich somit gegen die Fol-‐gen der von seiner Partei mit verur-‐sachten Politik.
(Georg Fülberth: „Zwei wirklich nette Schwestern“, Freitag, 02.03.10)
Das solidarische Rentensystem ist besser als sein Ruf Wenn es das Umlageverfahren [in der Rentenversicherung] nicht schon gäbe, müsste man es erfinden. Es ist preis-‐wert, es arbeitet einfach, es ist den meisten Menschen zugänglich und für sie verstehbar.
Es wäre das beste für unser Land und für die Mehrheit der Menschen, wenn wir zu diesem Verfahren zurückkehren würden.
Das wäre auch gut für unsere Volks-‐wirtschaft, weil wir ihr eine unnötige Belastung ersparen – einen aufgebla-‐senen, ressourcenverzehrenden Sektor Altersversorgung. In anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien trägt dieser Sektor übrigens mit dazu bei, den Dienstleistungssektor aufzu-‐blasen. Genau diese Vergrößerung des Dienstleistungsbereiches wollen uns die besonders Schlauen unter den Re-‐formern als modern verkaufen. Doch was sie nicht begriffen haben ist, wie unproduktiv ein aufgeblasener Wirt-‐schaftszweig ist.
Warum die politischen Eliten die Ero-‐sion der staatlichen Rente und sogar
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ihren Ruin zulassen, kann ich nicht verstehen. Es ist sachlich nicht erklär-‐bar, dass man in Deutschland nach den ersten Erfahrungen mit der Riester-‐rente, die 2001 mit dem Versprechen eingeführt worden war, jetzt sei für dreißig Jahre Ruhe, auf dem gleichen Weg fortfahren kann.
Es ist nicht erklärbar, dass die verant-‐wortliche Ministerin vor dem Deut-‐schen Bundestag explizit für private Vorsorge wirbt und sich damit sozusa-‐gen als oberste Werbeinstanz für die Versicherungswirtschaft hergibt.
Die Finanzindustrie will den Durch-‐bruch für ihre Produkte erzielen, in-‐dem sie das Vertrauen in die gesetzli-‐che Rente untergräbt. Millionen Men-‐schen brauchen diese Rente aber noch, sie brauchen auch die Bereitschaft der Beitragszahler, weiterhin ihren Obolus zu entrichten. In diesem Kontext darf ein verantwortlicher Politiker nichts tun und sagen, was das Vertrauen wei-‐ter zerstört. Es gibt keinen Grund, das Umlageverfahren und die gesetzliche Rentenversicherung der Erosion preis-‐zugeben, wie das zur Zeit geschieht.
Warum passiert das dennoch? Warum wird in einer nahezu gleichgeschalte-‐ten Öffentlichkeit die immer gleiche Botschaft verkündet: »Jetzt hilft nur noch die private Vorsorge, die staatli-‐che Rente bringt es nicht mehr«?
Die Erklärung ist einfach und in der modernen Mediengesellschaft auch schlüssig: Den organisierten Wirt-‐schaftsinteressen, der Finanzindustrie, den Banken und Versicherungen ist es gelungen, mit einer professionellen Strategie das Nachdenken über die Frage der besten Altersvorsorge nahe-‐zu total zu bestimmen. Das konnte nur gelingen, weil in einer großen PR-‐Aktion sowohl die entscheidenden Teile der Wissenschaft wie auch der Publizistik »gekeilt« wurden. (Auszug aus „Die Reformlüge. 40 Denkfeh-
ler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren“,
München 2004)
Umfrage: Schuldenberg sorgt Bürger am meisten Die Deutschen bedrückt einer Umfrage zufolge am meisten der Milliarden-‐Schuldenberg des Staates und die Sor-‐ge um die Ausbildung ihrer Kinder.
Die Mehrheit der Bürger (62 Prozent) fürchtet, dass die wachsende Staats-‐verschuldung eines Tages nicht mehr bezahlbar sein wird, ergab eine Forsa-‐Umfrage für das neue «Sorgenbarome-‐ter» des Magazins «Stern». 61 Prozent erklärten zudem, sie hätten «große oder sehr große Angst», dass die Kin-‐der in Deutschland keine vernünftige Ausbildung erhalten.
Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz hingegen ist zurückgegangen. Rechne-‐ten beim vorangegangenen Sorgenba-‐rometer Ende 2009 noch 26 Prozent der Berufstätigen mit einem Jobver-‐lust, sind es nun nur noch 19 Prozent.
Dennoch liegt die Furcht vor steigen-‐der Arbeitslosigkeit auf Platz drei der Sorgenskala: 59 Prozent gehen davon aus, dass es bald deutlich mehr Entlas-‐sungen geben wird. Auch die Sorge um unsichere Renten treibt die Deutschen um: Gut die Hälfte (56 Prozent) rech-‐net mit einer sich verschlechternden Altersversorgung.
Deutlich gestiegen ist die Furcht, dass die Politiker ihren Aufgaben nicht ge-‐wachsen sind.
Äußerten bei der vorherigen Umfrage im November 2009 noch 44 Prozent diese Befürchtung, sind es nun nach den ersten 100 Tagen der schwarz-‐gelben Regierung schon 55 Prozent. Weitere Sorgen der Deutschen sind, dass sich der Zustand der Umwelt ver-‐schlechtert (54 Prozent), die Angst vor Inflation (44 Prozent) und vor einem Einbrechen der Konjunktur (41 Pro-‐zent). Eher gering ist die Furcht vor Spannungen mit Ausländern (39 Pro-‐zent) oder Kriegen mit deutscher Be-‐teiligung (36 Prozent).
(dpa-Meldung, 10.02.10)
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Mehrheit der Deutschen gegen neue Staatsschulden Die Schulden wachsen in den Himmel. Laut des EU-‐Frühjahrsgutachtens wird Deutschland mit einem Haushaltsdefi-‐zit von 3,9 Prozent deutlich gegen den EU-‐Stabilitätspakt verstoßen.
Zwar ist die Bundesrepublik noch weit von einem Staatsbankrott entfernt, aber die Bürger machen sich dennoch Sorgen über weitere Milliardenschul-‐den. Die Mehrheit der Deutschen spricht sich gegen eine weitere Ver-‐schuldung des Staates aus. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinsti-‐tuts Forsa für den stern waren 68 Pro-‐zent der Bundesbürger dagegen, dass der Staat weitere Schulden machen soll, um die Wirtschaft zu stützen.
Besonders Anhänger von SPD (73 Pro-‐zent), Linkspartei (70 Prozent) und Grünen (77 Prozent) stehen auf der Schuldenbremse. Bei den Christdemo-‐kraten wollen 62 Prozent keine neuen Staatskredite zugunsten der Wirt-‐schaft. Im Lager der Unionsanhänger befürworten immerhin 31 Prozent neue Staatschulden. Im Durchschnitt stimmte hingegen nur knapp ein Vier-‐tel (24 Prozent) der Befragten einer Neuverschuldung zu.
Bund, Länder und Gemeinden werden sich in diesem Jahr laut Schätzungen mit rund 89 Milliarden Euro neu ver-‐schulden. Insgesamt beträgt der Schuldenberg dann über 1,6 Billionen Euro.
(Stern, 06.09.09)
Die Schuldenbremse ist unrealistisch Ich glaube, dass hier wieder einem theoretischen Konstrukt aufgesessen wird, nach dem es in den Ohren der Bürger natürlich schön klingt, nie mehr Schulden zu machen. Praktisch wäre es schon, wenn wir Autos bar bezahlen oder Häuser ohne Schulden bauen könnten. Aber wer arbeitet schon in einem Unternehmen, das oh-‐ne Kredite auskommt! Genauso und erst recht absurd ist das für einen Staat, der für Bildung und innere Si-‐cherheit, für Kinderbetreuung und Verkehrsinfrastruktur verantwortlich ist.
Sinnvoll ist eher eine Orientierung daran, ob ich die Zinsen zahlen kann, eine Orientierung an dem Verhältnis von Verschuldung zum Bruttoinlands-‐produkt.
(ver.di Tagung zur „Schuldenbremse“ am 16.04.09 in Berlin. Referat von
Dr. Ralf Stegner)
Wer steckt hinter dem Bund der Steuerzahler? Der Bund der Steuerzahler erreicht durch medienwirksame, oft symbo-‐lisch inszenierte Kritik am Steuersy-‐stem, am staatlichen Ausgabenverhal-‐ten und an der Finanzierung von Par-‐teien und Parlamenten erhebliche öf-‐fentliche Aufmerksamkeit.
Der "Steuerzahler-‐Gedenktag", die "Schuldenuhr" und die Vorstellung des "Schwarzbuches" finden Resonanz. In den vergangenen Jahren hat die Wir-‐kung des Verbandes aber trotz konse-‐quenter Ausrichtung an den Bedürf-‐nissen reichweitenstarker Medien nachgelassen. Das sind zentrale Er-‐gebnisse einer neuen Untersuchung des Politikwissenschaftlers Dr. Rudolf Speth.
Für die Politik sei der Steuerzahler-‐bund nur bedingt Ansprechpartner, in der Wissenschaft spiele das verbands-‐eigene Karl Bräuer Institut kaum eine Rolle, konstatiert der Privatdozent an der Freien Universität Berlin in einer von der Hans-‐Böckler-‐Stiftung geför-‐derten Studie.
Zudem seien Strukturen und manche Arbeitsweisen des Verbandes wenig transparent.
Die Konzentration auf medial leicht vermittelbare "Aufregerthemen" gehe auf Kosten der Reputation unter Ex-‐perten.
So habe der Verbandsvorsitzende Dr. Karl-‐Heinz Däke vom Steuerzahler-‐bund veröffentlichte plakative und scheinbar exakte Zahlen über eine angebliche "Steuerverschwendung" in Höhe von 30 Milliarden Euro pro Jahr wiederholt relativieren müssen. Mitt-‐lerweile erkläre der Steuerzahlerbund, den Umfang von "Steuerverschwen-‐dung" nicht beziffern zu können.
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"Die Idee einer zivilgesellschaftlichen Kontrolle der staatlichen Ausgabenpo-‐litik und der Politikfinanzierung ist sehr wertvoll. Aber der Steuerzahler-‐bund setzt diese Idee verkürzt und oft einseitig um", resümiert der Wissen-‐schaftler. So setze sich die Organisati-‐on beispielsweise kaum mit dem Wert öffentlicher Güter und öffentlicher Aufgaben oder mit den Gründen für Steuerflucht auseinander. "
Die Grundsatzbotschaft lautet schlicht: Der Staat soll schlank sein. Die Politik muss sparen", so Speth. Dafür würden weitere Privatisierungen, auch bei der sozialen Sicherung, Stellenabbau im öffentlichen Dienst und vor allem Steuersenkungen gefordert:
"Niedrige Steuersätze gelten als All-‐heilmittel: Sie würden die Leistungs-‐bereitschaft fördern und auch helfen,
das Problem der Steuerflucht zu lö-‐sen", beschreibt der Forscher die Ar-‐gumentation des Steuerzahlerbundes.
Ziele und Strukturen des Verbandes seien in wichtigen Bereichen wenig transparent, so der Wissenschaftler. Beispielsweise nehme der Bund der Steuerzahler für sich in Anspruch, für alle Steuerzahler zu sprechen. Seine Mitgliedschaft bestehe aber zu etwa 60 Prozent aus Unternehmern und Unter-‐nehmen, die meist aus dem gewerbli-‐chen Mittelstand stammen. Weitere 15 Prozent der Mitglieder seien Freiberuf-‐ler. "Diesen Gruppen gilt auch das Hauptaugenmerk der politischen For-‐derungen", analysiert der Forscher. Arbeitnehmer machten lediglich etwa zehn Prozent der Mitglieder aus, wobei leitende Angestellte dominierten. (Hans-Böckler-Stiftung, Vorstellung einer
Studie von Prof. Dr. Rudolf Speth, 01.07.08)
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Diskurs 2.3: Positionsbestimmung: Solidarität versus EigenverantwortungWieso die Schuldenbremse Wahnsinn ist ... Erschreckend ist dabei, wie wenig ökonomischer Sachverstand in die Debatte oder die Kommentierung ein-‐geflossen ist. Tatsächlich nämlich ist die Schuldenbremse nicht nur ge-‐samtwirtschaftlich fragwürdig. Selbst aus einzelwirtschaftlicher Sicht ist nicht nachzuvollziehen, wie man sol-‐che Regeln festschreiben kann.
Einmal mehr zeigt sich, dass in Deutschland Politik gerne dem Bauch-‐gefühl folgt. Schulden sind demnach grundsätzlich schlecht. Jeder aber, der schon einmal in der Wirtschaft eine Führungsposition innehatte, weiß, dass dieses Gefühl trügt. Kaum ein erfolgreiches Unternehmen expandiert ohne Kredite.
Tatsächlich ist es sogar für Firmen sinnvoll und im Sinne der Eigentümer, dass ein Betrieb für neue Investitionen Kredite aufnimmt. Nämlich dann, wenn er mit den Neuanschaffungen mehr Geld erwirtschaften kann, als er für den Zinsdienst aufwenden muss. Ein Manager, der dauernd erfolgver-‐sprechende Projekte mit Renditen von zehn Prozent streicht, wenn er sich für fünf Prozent Zinsen Geld von der Bank leihen kann, wird sehr bald von den Aktionären abgesetzt. Und das zu Recht.
Auch für Privathaushalte sind Schul-‐den nicht unbedingt gefährlich. Wenn eine Familie feststellt, dass sie sich mit einer monatlichen Hypothekenrate von 1000 Euro ein Haus leisten kann, für das sie sonst 1500 Euro Miete zah-‐len müsste, kann es durchaus sinnvoll sein, einen Kredit über mehrere Hun-‐dertausend Euro aufzunehmen. Auch wenn das ein Vielfaches des Jahresein-‐kommens ausmachen kann.
Die Schuldenbremse soll aber nun ge-‐rade dem Staat das verbieten, was für Unternehmen und Privathaushalte
vernünftig ist: Die Bundesländer sollen grundsätzlich gar keine Schulden mehr machen. Für den Bund gilt die 0,35-‐Prozent-‐Hürde. Dabei differenziert die Regel nicht danach, ob das Geld vom Staat verschwendet oder investiert wird.
Was für ein fragwürdiges Unterfangen das ist, erkennt man leicht, wenn man es auf den Privathaushalt überträgt: Eine analoge Regel für eine Durch-‐schnittsfamilie mit einem Jahresein-‐kommen von 60.000 Euro würde er-‐lauben, jedes Jahr 210 Euro Schulden für ein üppiges Weihnachtsessen zu machen. Gleichzeitig aber verbietet die Vorgabe, 150.000 Euro für den Bau eines Einfamilienhauses oder 10.000 Euro für das Studium der Tochter zu leihen.
Für den Staat ist das besonders drama-‐tisch, weil es durchaus eine Vielzahl potentieller öffentlicher Ausgaben gibt, die eine gesamtwirtschaftliche Rendite weit über den Zinskosten erreichen. Berechnungen zu Bildungsinvestitio-‐nen deuten oft auf Renditen von zehn Prozent und mehr hin, während der Staat derzeit nur knapp mehr als drei Prozent Zinsen auf seine Schulden zah-‐len muss. Selbst der Bau von Schienen oder Autobahnen kann enorme ge-‐samtwirtschaftliche Renditen bringen, weil die Bürger enorme Zeitgewinne haben und bessere Straßen die Abnut-‐zung der Autos senken.
Die Schuldenaufnahme für solche Pro-‐jekte zu begrenzen, hat nichts mit Ge-‐nerationengerechtigkeit zu tun: Genau wie ein Unternehmenserbe nichts da-‐von hat, wenn er ein schuldenfreies Unternehmen erbt, das aus Angst vor Verschuldung nicht mehr in neue Technologien und Produkte investiert hat, erweisen wir unseren Kindern und Enkeln einen Bärendienst, wenn wir öffentliche Investitionen unterlassen, die mehr Nutzen bringen, als die Schulden kosten.
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Besonders unverständlich ist aller-‐dings, dass SPD und Union die Schul-‐denbremse auch noch ins Grundgesetz schreiben wollen. Die Finanzkrise der vergangenen Monate hätte den Politi-‐kern vor Augen führen müssen, wie kurz die Halbwertszeit von wirt-‐schaftspolitischen Glaubenssätzen ist.
Noch vor einem Jahr hätte in Deutsch-‐land kaum jemand etwas von der Ver-‐staatlichung von Banken wissen wol-‐len. Jetzt wird eigentlich nur noch de-‐battiert, unter welchen Bedingungen ein solcher Schritt sinnvoll ist und wann nicht.
Nur zur Erinnerung: In einem der er-‐sten Entwürfe für die Schuldenbremse aus dem Finanzministerium aus dem Januar 2008 stand, angesichts der ho-‐hen internationalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft sei die Möglich-‐keit geschwunden, Finanzpolitik zur Konjunktursteuerung einzusetzen.
Gerade einmal ein Jahr später be-‐schloss die Große Koalition unter Zu-‐stimmung der führenden deutschen Volkswirte ein Konjunkturpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro -‐ und hofft, dass ihr die zuvor abgelehnte Konjunktursteuerung gelingt.
Doch statt aus den Entwicklungen der vergangenen Jahre zu lernen, dass selbst vermeintliche Wahrheiten oft nicht für ewig gelten, wollen die Politi-‐ker der Großen Koalition ihr Bauchge-‐fühl für immer im Grundgesetz fest-‐schreiben.
Peer Steinbrück wird damit nicht nur als jener Finanzminister in die Ge-‐schichte eingehen, der die bisher größ-‐te Neuverschuldung der Bundesrepu-‐blik verantwortet hat.
Wenn die Schuldenbremse tatsächlich wie geplant verabschiedet wird, hat er es auch noch geschafft, dass Deutsch-‐land unter den großen OECD-‐Ländern die kurioseste Schuldenregel in der Verfassung stehen hat.
(Sebastian Dullien, Spiegel Online 09.02.09)
Steuersenkungspläne sind unverantwortlich vorwärts: Herr Professor Bofinger, Sie lehnen die Steuersenkungen der Bun-desregierung als unverantwortlich ab. Warum? Peter Bofinger: Weil wir be-reits ohne Steuersenkungen mittelfristig ein Defizit von mindestens 70 Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen haben werden. Merkel und Westerwelle han-deln wie ein Paar, das kein Geld hat, um das defekte Dach des Eigenheims zu reparieren, stattdessen aber erstmal eine Weltreise unternimmt. Das nenne ich unverantwortlich!
Die Bundesregierung sagt aber – und wir haben das auch viele Jahre von den führenden Wirtschaftsexperten gehört – Steuersenkungen seien gut für die Kon-junktur.
Von mir haben Sie das nicht gehört. Steuersenkungen sind zur Konjunk-‐turbelebung wesentlich schlechter geeignet als höhere staatliche Investi-‐tionen. Zudem sollten Maßnahmen zur Konjunkturbelebung immer zeitlich begrenzt sein und das ist beim Wach-‐stumsbeschleunigungsgesetz nicht der Fall.
Ist das Ihre persönliche Meinung oder ist das Common Sense unter den Wirt-schaftsexperten?
Das ist Common Sense. Alle meine Kol-‐legen im Sachverständigenrat lehnen die Steuersenkungen von Schwarz-‐Gelb ab, obwohl wir sonst durchaus auch unterschiedliche Positionen ha-‐ben. Leider ist es von vielen Medien – aus welchen Gründen auch immer – kaum wahrgenommen worden, ob-‐wohl es ein außerordentlicher Vorgang war: Der Sachverständigenrat hat be-‐reits vor Abgabe seines Jahresgutach-‐tens und damit vor Fertigstellung des Koalitionsvertrags öffentlich gewarnt, wie gefährlich Steuersenkungen sind.
Die FDP behauptet aber weiter das Ge-genteil.
Man fragt sich, wie es um die wirt-‐schaftspolitische Kompetenz der FDP bestellt ist. Die Verantwortlichen müs-‐sen doch sehen: Was passiert, wenn ich dem Staat seine Einnahmenbasis in
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einer Zeit schwäche, wo er eindeutig mehr und nicht weniger Mittel benö-‐tigt. Was die FDP macht, ist schlicht verantwortungslos.
Ist das die von der FDP geforderte „gei-stig-politische Wende“? Guido Wester-welle definiert zum Beispiel Steuern jetzt so: „Der Steuerzahler schenkt dem Staat Geld.“
Eine äußerst naive Sicht. So als ob ein Hotelgast sagt, mit meinem Zimmer-‐preis schenke ich dem Hotel Geld. Wenn ich im Hotel bin, zahle ich mit der Rechnung für die Leistungen, die mir das Hotel bietet. Und mit meinen Steuern zahle ich als Bürger dieses Staates für die Leistungen, die mir die-‐ses Gemeinwesen bietet. Es ist gefähr-‐lich für den Zusammenhalt einer Ge-‐sellschaft, wenn Politiker solche ab-‐surden Sichtweisen vertreten.
Steckt hinter dieser Sichtweise der Ver-such, die Koordinaten der Republik in Richtung Neoliberalismus zu verschie-ben?
Das ist zu vermuten. Die Steuerstrate-‐gie der FDP macht nur Sinn, wenn man den Staat eindampfen will. Maximale Steuersenkungen zusammen mit der Schuldenbremse führen dazu, dass in den Folgejahren härteste Einsparun-‐gen vorgenommen werden müssen. Ich fürchte, hinterher werden wir un-‐seren Sozialstaat nicht wiedererken-‐nen.
Laut ARD-DeutschlandTrend lehnen 58 Prozent der Bundesbürger die Steu-er-senkungspläne der Regierung ab. Sind die Bürger klüger als ihre Regie-rung?
Die neoliberale Steuersenkungsideolo-‐gie ist so fadenscheinig, dass auch den meisten Bürgern mittlerweile klar ist: Damit kann man keinen Blumentopf gewinnen.
Dennoch nennt die Bundesregierung ihr Steuersenkungsgesetz „Wachstumsbe-schleunigungsgesetz“.
Ich weiß nicht, wie man das Wachstum dadurch beschleunigt, dass man weni-‐ger Mehrwertsteuer auf Hotelüber-‐nachtungen verlangt. Mehr Wachstum erzeugt man durch mehr Investitionen
in Sachanlagen und in Bildung. Er-‐staunlicherweise hat die angeblich so wirtschaftskompetente neue Bundes-‐regierung keinerlei Anreize für Investi-‐tionen im Koalitionsvertrag vereinbart.
Vermutlich wurde deshalb selbst in der konservativ-liberalen Presse das „Wach-stumsbeschleunigungsgesetz“ als Klien-telpolitik kritisiert.
Das ist auch völlig richtig. Es handelt sich um einen Geldregen auf Pump für Unternehmen, für Erben, für die Hotels und natürlich auch für Gutverdiener, denn die Erhöhung des Kindergeldes kommt ja denjenigen, die gut verdie-‐nen, sehr viel mehr zugute als solchen mit geringen Einkommen. Um Wirt-‐schaftswachstum geht es gar nicht. Stattdessen werden, um Vermögende zu beglücken, zusätzliche Schulden angehäuft.
Diesem Vorwurf tritt die Koalition ent-gegen, indem sie von „sich selbst finan-zierenden Steuersenkungen“ spricht.
Es wäre schön, wenn es die gäbe. Mit der wirtschaftlichen Realität hat das nichts zu tun. Schauen wir uns die Steuersenkungen der letzten Jahre an, etwa die größte in der Geschichte der Republik aus dem Jahr 2000: Sie hat über Jahre riesige Löcher in die öffent-‐lichen Haushalte gerissen.
Die Bundesregierung macht Rekord-schulden, als gäbe es die Schuldenbrem-se im Grundgesetz gar nicht. Wie lange kann sie das so weiter machen?
Genau bis zum Jahr 2011. Ab dann muss die Verschuldung des Bundes abgebaut werden, Jahr für Jahr in gleich großen Schritten. Und dann wird es einen brutalen Sparkurs geben, der das Brecheisen an die staatlichen Aufgaben ansetzen wird.
Eine überaus beunruhigende Prognose. Wie begründen Sie diese?
Dass enorm schmerzhafte Anpassun-‐gen anstehen, ergibt sich zum einen aus der extremen Höhe der Neuver-‐schuldung. Aber auch dadurch, dass die Bundesregierung nicht sagt, wo sie sparen will. Wenn es unproblemati-‐sche Sparbereiche gäbe, hätte die Re-‐gierung doch längst ein Wort darüber
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verloren. Das zeigt, wie schwer diese Aufgabe sein wird.
Will die Koalition bis zur Landtagswahl in NRW im Mai die Sparpläne unter der Decke halten und erst dann die Katze aus dem Sack lassen?
Ich bin kein Politologe, aber es ist na-‐heliegend, dass man versuchen wird, die Wahrheit so lange zu verheimli-‐chen, wie es geht.
Die wirtschaftlichen Daten sind ja be-kannt. Ist es glaubwürdig, wenn die Regierung sagt: Wir haben gar keine Ahnung, wie die Staatsfinanzen sind, wir müssen erst mal die Steuerschät-zung im Mai abwarten?
Das ist es natürlich nicht. Die Höhe der voraussichtlichen mittelfristigen Defi-‐zite von rund 70 Milliarden Euro ist so riesig, dass man natürlich schon jetzt die wichtigsten Felder benennen könn-‐te, in denen man sparen will. Da spielt es keine Rolle, ob das Volumen am Ende bei 60 oder eher bei 80 Milliar-‐den Euro und darüber liegt.
Die Regierung sollte jetzt die Karten auf den Tisch legen. Die Bürger haben einen Anspruch auf Wahrheit und Klarheit über die Staatsfinanzen.
(Interview mit Prof. Peter Bofinger im Vorwärts 02/2010)
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Thema 3: Der solidarische Sozialstaat Wir verschaffen uns einen Überblick über die (tatsächlichen) „Leistungen“ des Staates und die Defizite und erarbeiten uns gute Argumente für einen solidarischen Sozialstaat. Im ersten Diskurs tauschen wir unsere Bilder von den Aufgaben und Lei-‐stungen des Staates aus, indem wir zunächst in Partnerarbeit Antworten auf die Frage:
• Was sind wichtige Aufgaben und Leistungen des Staates? sammeln und auf dieser Basis dann im Plenum eine (vorläufige) Prioritä-‐tenliste besonders wichtiger Ziele, Aufgaben und Leistungen des Staates entwickeln. Im zweiten Diskurs sprechen wir über die gängigen Argumente zur Rolle und zu den Aufgaben des Staates und entwickeln eigene Prioritäten für wichtige staatliche Leistungen. Diese Argumente sammeln wir zunächst in Einzelarbeit an einschlägigen Texten und gewichten sie dann gemeinsam im Plenum. Leitfrage ist dabei:
• Wie wichtig sind welche Leistungen des Staates für eine solidarische Gesellschaft?
In Partnerarbeit stellen wir anschließend eine Liste der wichtigsten Staatsaufgaben zusammen, die nur zum Teil gesetzlich definiert sind – zu einem anderen Teil aus dem Konzept von Solidarität ergeben, für das sich die Gewerkschaften seit ihrer Gründung einsetzen. Im dritten Diskurs des Themas fassen wir unsere Erkenntnisse zusam-‐men und haben am Ende eine gemeinsame, nach Prioritäten strukturierte Liste von
• Zielen, • Aufgaben • und Leistungen eines solidarischen Sozialstaates.
Das Teilnehmermaterial des dritten Diskurses dient zugleich als „Hausauf-‐gabe“. Es ermuntert die Teilnehmer, sich selbständig mit den Dimensionen der sozialen Gerechtigkeit, den Irrwegen und Alternativen in der Sozialpo-‐litik auseinanderzusetzen.
Zeit
15
25
(40)
20
20
Material
M31-‐33
A9
M35-‐44
Methoden
Je zwei TN tauschen Meinungen aus und
einigen sich auf Vorschläge für eine Liste
besonders w
ichtiger Aufgaben des Staa-‐
tes
TN präsentieren ihre Bilder
Team
-‐Moderation:
Erarbeitung einer (ersten, vorläufigen)
Prioritätenliste
Einzelarbeit:
TN erhalten Texte, mit Aussagen zur
Rolle des Staates, lesen und stellen die
Argumente vor
Team
-‐Moderation
Gewichtung wird an der Wandzeitung
festgehalten
Inhalte
Disk
urs 3
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Staa
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Wir erarbeiten uns „Bilder“ von den
Aufgaben und Leistungen des Staates.
Frage: „ Was sind wichtige Aufgaben
und Leistungen des Staates?“
Wir erarbeiten eine (vorläufige) Priori-
tätenliste besonders w
ichtiger Ziele,
Aufgaben und Leistungen des Staates.
Disk
urs 3
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Diskussion ausgewählter Argum
ente zur
Rolle und zu den Aufgaben des Staa-
tes.
Anschließende Bewertung der Aussagen
und persönliche Gew
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(nicht) zustim
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Leitf
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Ziele
Wir haben unsere Bilder von den Auf-
gaben und Leistungen des Staates
ausgetauscht.
Wir haben die gängigen Argumente zur
Rolle und zu den Aufgaben des Staates
diskutiert und eigene Prioritäten für
wichtige staatliche Leistungen erarbei-‐
tet.
Zeit
40
(80)
10
50
(180)
Material
M45-‐49
„Hausaugabe“
M34
M50-‐51
Methoden
Partnerarbeit:
Arbeitsteilige Bearbeitung von Texten zu
wichtigen Aufgaben und Leistungen des
Staates und anschließende Präsentation
und Diskussion
Team
-‐Moderation
Wandzeitung
Inhalte
Erarbeitung wichtiger Ziele, Aufgaben
und Leistungen des Sozialstaates
Daten und Fakten zu wichtigen Aufga-‐
ben und Leistungen des Sozialstaates
Disk
urs 3
.3: W
er (k
)ein
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aat b
rauc
ht, s
oll s
ich
mel
den!
Zusammenfassung der Erkenntnisse und
Priorisierung der Ziele, Aufgaben und
Leistungen des solidarischen Sozialstaa-‐
tes
Ziele
Pause
Wir haben uns die wichtigsten Aufgaben
und Leistungen eines solidarischen
Sozialstaates erarbeitet.
50
Diskurs 3.1: Unser Bild vom Staat? Was leistet er wirklich? Die Staatsaufgaben Folgende Kernpunkte für Staatsaufga-‐ben lassen sich aus dem Grundgesetz festlegen:
• Einhaltung der Grundrechte (Rech-‐te, aber auch Pflichten, z.B. „Eigen-‐tum verpflichtet“)
• Sicherstellung der Freiheitlich-‐Demokratischen Grundordnung
• Gewährleistung des Rechtsstaats-‐prinzips
• Gewährleistung des Sozialstaats-‐prinzips
• Gewährleistung der Gewaltentei-‐lung
• Sicherung des Bundesstaates
• Sicherung der Sozialen Marktwirt-‐schaft
Staatsziele sind darüber hinaus: Ver-‐bot eines Angriffskrieges, gesamtwirt-‐schaftliches Gleichgewicht, Gleichbe-‐rechtigung, Behindertenschutz, Um-‐weltschutz und ein Vereinigtes Europa mit Einhaltung des Subsidiaritätsprin-‐zips.
Eine hieraus abgeleitete Auflistung von definitiven und abgrenzbaren Staatsaufgaben ist nicht dauerhaft er-‐stellbar. Sie ist im Rahmen der Vorga-‐ben durch das Grundgesetz veränder-‐bar und obliegt ständig einem Wandel, beeinflusst durch aktuelle Bedarfe und die Finanzsituation des öffentlichen Sektors.
Weitgehend unumstritten sind somit z.B. folgende Staatsaufgaben:
• Legislative, Exekutive, Judikative,
• Äußere Sicherheit / Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland,
• Innere Sicherheit / Polizei, Verfas-‐sungsschutz, Staatsanwaltschaft,
• Steuerverwaltung
• Soziale Sicherung,
Umstritten ist z.B.:
• inwieweit diese Aufgaben in der Umsetzung durch private Dienstleister ergänzt werden können (Strafvollzug, Hilfspoli-‐zei),
• inwieweit Infrastrukturen auch durch den Privatsektor ge-‐währleistet werden können (Straßen, Energie, Wasser, Ab-‐wasser),
• inwieweit Forschung, Wissen-‐schaft und Bildung auch vom Privatsektor übernommen werden kann,
• inwieweit sich der Staat wirt-‐schaftlich betätigen darf,
Unumstritten wiederum ist, dass z.B.:
• der Privatsektor viele Aufga-‐ben effizienter erfüllen kann,
• dass der Staat sich auf seine Kernaufgaben beschränken muss,
• Privatisierungspotenziale in Bund, Ländern und Kommunen genutzt werden müssen.
(Prof. Dr. Norbert Konegen, Universität Münster, Vorlesung „Aufgaben des Staates“,
2005)
Die solidarischen Grundwerte Unsere Grundwerte sind Solidarität und soziale Gerechtigkeit. Beide schaf-‐fen gleichzeitig die Voraussetzungen für die Freiheit der Einzelnen. Mit die-‐ser Grundüberzeugung haben Gewerk-‐schaften für die Menschen große Er-‐folge erreicht und entscheidend zum Auf-‐ und Ausbau des Sozialstaats bei-‐getragen. Dabei ist das umfassende Ziel stets die gesellschaftliche Emanzi-‐pation aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Unsere Grundwerte bleiben aktuell. Sie sind gültig – besonders in einer Zeit sozialer Gefährdungen und neuer Her-‐ausforderungen. Wir müssen wachsam sein und dafür eintreten, dass Solidari-‐tät sich nicht auf die Fürsorge von Ar-‐men beschränkt, Gerechtigkeit nicht nur formal rechtsstaatlich ausgelegt
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wird und Freiheit weiterhin viel mehr ist als die Freiheit des Marktes.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigen sich in Deutschland alarmierende Entwicklungen und Tatbestände einer neuen sozialen Ungleichheit. Die Merkmale sind andauernde Langzeit-‐arbeitslosigkeit, eine große Zahl junger Menschen, darunter besonders viele Kinder aus Einwandererfamilien, ohne ausreichende schulische und berufli-‐che Qualifikation. Parallel zu wachsen-‐dem privaten Reichtum entwickelt sich gesellschaftliche Armut. Auch die Real-‐einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stagnieren oder sind gar rückläufig – manchmal sogar bis hin zum Lohndumping.
Verhältnisse, die dazu führen, dass immer mehr junge Menschen ohne Perspektiven auf Arbeit und Einkom-‐men zurückgelassen werden, sind in-‐human, sie bergen Sprengkraft für die Demokratie. Sie schwächen die auf Wissen und Qualifikation basierende Wettbewerbslage der Volkswirtschaft.
(Vorwort zum Programm „Offensive: Bildung“ 2009)
Die Kirche über den Staat Der Staat hat die Aufgabe, "nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter An-‐drohung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen".
Mit der Barmer Theologischen Erklä-‐rung erkennt die Kirche "in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat die-‐ser seiner Anordnung an" und erinnert an die gemeinsame Verantwortung von Regierenden und Regierten.
Heute leben wir in einem demokrati-‐schen Rechts-‐ und Sozialstaat, der durch eine globalisierte Ökonomie herausgefordert ist. Die Politik der Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung der Wirtschaft hat ord-‐nungspolitische Leerräume geschaffen.
Angesichts dieser Situation ist es staat-‐liche Aufgabe, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der das Risiko einer Öko-‐nomie vermindert, die zum Selbst-‐zweck wird. Der Staat hat als Sozial-‐staat auch die Aufgabe, Wohlfahrts-‐
funktionen zu übernehmen und dabei die Beteiligungsgerechtigkeit zu för-‐dern und für künftige Generationen menschenwürdige Lebensbedingun-‐gen sicherzustellen.
(Erklärung der Ev. Kirche von Westfalen, 2009)
Der Sozialstaat als Schicksalskorrektor Es ist nämlich so: Das Leben beginnt ungerecht und es endet ungerecht, und dazwischen ist es nicht viel besser. Der eine wird mit dem silbernen Löffel im Mund geboren, der andere in der Gos-‐se. Der eine zieht bei der Lotterie der Natur das große Los, der andere zieht die Niete. Der eine erbt Talent und Durchsetzungskraft, der andere Krankheit und Antriebsschwäche. Der eine kriegt einen klugen Kopf, der an-‐dere ein schwaches Herz. Der eine ist sein Leben lang gesund, der andere wird mit einer schweren Behinderung geboren. Die Natur ist ein Gerechtig-‐keitsrisiko.Bei der einen folgt einer behüteten Kindheit eine erfolgreiche Karriere. Den anderen führt sein Weg aus dem Ghetto direkt ins Gefängnis. Der eine wächst auf mit Büchern, der andere mit Drogen. Der eine kommt in eine Schule, die ihn starkmacht, der andere in eine, die ihn kaputtmacht. Der eine ist gescheit, aber es fördert ihn keiner. Der andere ist doof, aber man trichtert ihm das Wissen ein. Die besseren Gene hat sich niemand erar-‐beitet, die bessere Familie auch nicht. Das Schicksal hat sie ihm zugeteilt. Der eine bekommt eine Arbeit, die ihn reich macht, der andere eine, die ihn kaputtmacht; der Nächste kriegt gleich gar keine Arbeit. Nicht immer hat das mit persönlicher Leistung zu tun, nicht immer mit persönlicher Schuld.
Das Schicksal teilt ungerecht aus; und es gleicht die Ungerechtigkeiten nicht immer aus. Hier hat der Sozialstaat seine Aufgabe. Er sorgt dafür, dass der Mensch reale, nicht nur formale Chan-‐cen hat. Es genügt ihm nicht, dass der Staat Kindergärten, Schulen und Hoch-‐schulen bereitstellt mit formal gleichen Zugangschancen für Vermögende und Nichtvermögende; der Sozialstaat sorgt auch für die materiellen Voraus-‐
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setzungen, die den Nichtvermögenden in die Lage versetzen, diese formale Chance tatsächlich zu nutzen. Der So-‐zialstaat ist also, mit Maß und Ziel, Schicksalskorrektor. (Heribert Prantl: Korrektur des Schicksals. Westerwelle, Hartz-IV-Urteil und die Fol-
gen: Warum der Sozialstaat verteidigt wer-den muss. Ein Plädoyer. SZ-Magazin,
20.02.10)
Wie viel Privatisierung verträgt der Staat? Vielleicht erinnert sich der ein oder andere von Ihnen noch an das Pro-‐gramm zur Staatsmodernisierung, das es Mitte der 90er Jahre in Deutschland gab. Ganz im Trend der damaligen Pri-‐vatisierungseuphorie war das Leitbild damals der „Schlanke Staat“. Nun ist das mit der Schlankheit so eine Sache. Manchmal tut eine Diät Körper und Gesundheit durchaus gut. Man kann es damit aber auch gefährlich übertrei-‐ben. Im Extremfall zerstört man damit genau das, was man eigentlich verbes-‐sern will. Wenn wir heute manche Er-‐scheinungen und Folgen von Privati-‐sierungen betrachten, dann muss man eines sehr deutlich sagen: Schlank-‐heitswahn ist nicht nur ein Problem junger Frauen, sondern auch von poli-‐tischen Ideologen.
Die Auswüchse, Übertreibungen und enttäuschten Erwartungen von Priva-‐tisierungen sind allseits bekannt, in Deutschland und weltweit:
Wir hören etwa von Krisengebieten, in denen sich westliche Regierungen durch private Sicherheitsfirmen ver-‐treten lassen. Firmen, deren Söldner offenbar Immunität genießen, üben dort Gewalt aus, und zwar frei von rechtsstaatlichen Bindungen.
Wir alle kennen auch die Fälle in Euro-‐pa, in denen Infrastrukturleistungen, die einst der Staat erbracht hat, priva-‐tisiert und die Märkte liberalisiert worden sind. Manchmal war das Er-‐gebnis ein ziemliches Desaster. Da sind etwa Eisenbahnen privatisiert worden, und die Folgen waren ein marodes Streckennetz, Sicherheitsmängel und weniger Service.
Und hier in Deutschland erleben wir tagtäglich ein Marktversagen im Ener-‐giebereich. Wir spüren, wie die fakti-‐schen Gebietsmonopole der Strom-‐konzerne dazu führen, dass Gas-‐ und Strompreise ständig steigen ...
Wer die Frage nach den Grenzen der Privatisierung beantworten will, muss beim Staat und seinen Aufgaben be-‐ginnen. Was der deutsche Staat heute nicht ist, das ist wohl klar: Er ist weder ein höheres Wesen, für das sich der Einzelne aufopfern muss, noch ein bloßer Zwangsapparat. Und er ist na-‐türlich auch nicht die Summe seiner Politiker oder Beamten. Wer von uns das glaubt, der neigt zur Selbstüber-‐schätzung. Stattdessen ist der Staat eine notwendige Institution. Er ist notwendig, weil eben durch die Pri-‐vatwirtschaft oder mit Hilfe von bür-‐gerschaftlichem Engagement nicht alle Aufgaben sinnvoll erfüllt werden kön-‐nen, die in einem ausdifferenzierten Gemeinwesen anfallen.
Entstanden ist der Staat als Inhaber des Gewaltmonopols, um für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Er ist dann zum Rechtsstaat geworden, weil er den Menschen auch ein Höchstmaß an Freiheit und Selbstbestimmung ver-‐schaffen soll. Und schließlich ist er zum Leistungs-‐ und Sozialstaat gewor-‐den, weil eine moderne Gesellschaft Daseinsvorsorge, gute Infrastruktur und sozialen Ausgleich braucht, wenn Wohlstand entstehen und Freiheit verwirklicht werden soll.
Über diesen Kreis der Staatsaufgaben ging und geht die öffentliche Hand aber teilweise weit hinaus, insbeson-‐dere mit ihren zahlreichen Wirt-‐schaftsunternehmen. Mit Fug und Recht wird man fragen dürfen, ob der Staat Brauereien und Bergwerke, Weingüter und Wohnungsgesellschaf-‐ten, Gestüte oder Porzellanmanufaktu-‐ren bewirtschaften muss. All diese Unternehmen konkurrieren im Markt mit privaten Anbietern und deshalb ist die Frage berechtigt: warum muss der Staat so etwas machen? Ordnungspoli-‐tisch kann man sagen, das soll doch besser in privater Regie erfolgen. Und betriebswirtschaftlich lässt sich
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durchaus vermuten: Ein öffentliches Unternehmen, das nicht dem Risiko der Marktbereinigung ausgesetzt ist, das faktisch nicht pleite gehen kann, wird wohl kaum so effektiv arbeiten, wie eines, das sich dem Wettbewerb mit all seinen Unwägbarkeiten stellen muss. Es war deshalb richtig, dass sich der Staat in den letzten Jahrzehnten von vielen Wirtschaftsunternehmen und Beteiligungen getrennt hat. Sol-‐chen Trennungen lag allerdings in der Regel keine gründliche Bestimmung der Staatsaufgaben zu Grunde. Allzu häufig geschah dies allein unter dem Druck einer schlechten Haushaltslage. Das war jedoch keine gute Ausgangs-‐position. Wer finanziell schwach ist, kann kein starker Verhandlungspart-‐ner sein. Ökonomisch hat sich daher manche Unternehmensprivatisierung in der Rückschau als schlechtes Ge-‐schäft herausgestellt.
Wo wir es allerdings, anders als in den eben genannten Beispielen, tatsächlich mit Staatsaufgaben zu tun haben, da stellt sich die nächste Frage: Wie soll der Staat seine Aufgabe wahrnehmen? Lange Zeit hat er stets direkt durch Behörden, Beamte oder staatliche Ein-‐richtungen gehandelt. Heute wissen wir, dass es auch andere Möglichkeiten für die öffentliche Hand gibt, ihrer Verantwortung für eine bestimmte Aufgabe gerecht zu werden. Deshalb unterscheiden wir heute zwischen der Gewährleistungsverantwortung und der Erfüllungsverantwortung. Der Staat muss gewährleisten, dass be-‐stimmte Aufgaben wahrgenommen werden. Manchmal tut er dies selbst in eigener Regie, dann fallen die Gewähr-‐leistungs-‐ und die Erfüllungsverant-‐wortung zusammen. In anderen Fällen dagegen beschränkt er sich darauf, zu gewährleisten, dass eine Aufgabe wahrgenommen wird. Ihre konkrete Ausführung kann er dann Privaten übertragen. Der Staat hat dann eher die Rolle des Schiedsrichters: Er beo-‐bachtet und überwacht, ob die Spielre-‐geln eingehalten werden und greift nur dann ein, wenn gegen die Regeln ver-‐stoßen wird. Das heißt, er muss auch dafür sorgen, dass das Spiel läuft ...
Aber was heißt es, wenn etwa eine Kommune ihre Abfallentsorgung nicht mehr in öffentlicher Regie verrichten lässt, sondern sie alle 7 oder 10 Jahre neu ausschreibt und einem privaten Anbieter den Zuschlag erteilt? Was sind die Folgen eines solchen Vorge-‐hens? Für die Beschäftigten bedeutet dies häufig eine Verschlechterung ih-‐rer Arbeitsverhältnisse.
Schließlich will der private Anbieter Gewinne machen und bei arbeitsinten-‐siven Tätigkeiten geht das vor allem über die Senkung der Lohnkosten. Die privaten Unternehmen werden außer-‐dem langfristige Investitionen meiden.
Sie müssen ihr Geschäft in den 7 oder 10 Jahren des Ausschreibungszeit-‐raums machen und werden ihre Preise entsprechend kalkulieren. Danach kann schon wieder der nächste Anbie-‐ter den Zuschlag bekommen.
Dies ist nicht nur ein Damoklesschwert für die Beschäftigten, sondern – vor allen bei Mittelständlern – im Zweifel für das gesamte Unternehmen. Kom-‐men sie bei der erneuten Ausschrei-‐bung nicht mehr zum Zug, kann das die Existenz gefährden. Marktfähig sind daher vor allem die Großkonzerne. Aber sie gefährden wieder die doch eigentlich erwünschte Vielfalt und die erhofften Privatisierungsvorteile. Wir sehen das etwa bei den Wasserpreisen. Der Städte-‐ und Gemeindebund hat gerade ermittelt, dass die Preise häufig in solchen Regionen am günstigsten sind, in denen nicht große Konzerne, sondern viele kleine Wasserbetriebe arbeiten ...
Bei Privatisierungen hat es in der Ver-‐gangenheit viel Blauäugigkeit, viel Übereifer und viele Enttäuschungen gegeben. Ich habe den Eindruck, mit der Privatisierungseuphorie ist es nun vorbei. (Rede der Bundesministerin der Justiz, Bri-gitte Zypries MdB, bei der Gewerkschaftspo-
litischen Arbeitstagung des dbb am 08.01.08 in Köln)
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Diskurs 3.2: Einen armen Staat können sich nur Reiche leisten
Ökonomen preisen die Putzfrauen Die Boni-‐Banker in der Londoner City haben einen schweren Stand: Erst ha-‐ben sie mit ihren Spekulationen das Land in eine Krise gestürzt und den Zorn der Briten auf sich gezogen. Zur Strafe will die Regierung jetzt die Hälf-‐te ihrer Bonuszahlungen kassieren -‐ was in der Branche als unfair und voll-‐kommen überzogen empfunden wird. Und nun zeigt eine neue Studie (PDF) auch noch, dass die Arbeit der Banker verzichtbar wäre. Eine Reinigungskraft in einem Krankenhaus leistet demnach mehr für die Gesellschaft als ein Spit-‐zenbanker im Finanzdistrikt.
Die Fragestellung der Analyse hat es in sich: Experten der New Economics Foundation (NEF) wollten wissen, welche Jobs mehr zum Wohlstand der Gesellschaft beitragen. Im Falle der Banker verglichen sie deren Einkom-‐men mit der Wirtschaftsleistung der Finanzexperten, also mit ihren Steuer-‐zahlungen und der Anzahl der geschaf-‐fenen Jobs. Das Ergebnis fällt negativ aus: Für jedes Pfund, das die Spitzen-‐
banker verdienen, zahlt die Gesell-‐schaft sieben Pfund drauf.
Noch verheerender fällt die Bilanz bei Steuerberatern aus: 47 Pfund kostet es die Gesellschaft, wenn einer der Steu-‐erspargehilfen ein Pfund verdient. Der "Guardian" wird in seiner Analyse der Studie noch etwas deutlicher: Die Füh-‐rungskräfte von Werbeagenturen "zer-‐stören" mit jedem verdienten Pfund Werte der Gesellschaft in Höhe von elf Pfund.
Bei vielen Jobs im Niedriglohnsektor fällt die Rechnung ganz anders aus, nämlich positiv. So liege das Verhältnis zwischen Einkommen und gesell-‐schaftlicher Wertschöpfung bei Müll-‐männern bei eins zu zwölf. Müllmän-‐ner helfen demnach, durch Recycling CO2-‐Emissionen einzusparen und Rohstoffverbrauch zu verringern. Die hochbezahlten Banker hingegen hätten mit fehlgeschlagenen Spekulationen hohen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet.
In der Kinderbetreuung steht einem Pfund Einkommen ein zusätzlicher
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Gewinn zwischen 7,00 und 9,50 Pfund gegenüber -‐ unter anderem, weil El-‐tern weiterhin arbeiten können, weil Kinder bei guter Betreuung zusätzliche Lernanreize erhalten und so in ihrer Entwicklung gefördert werden.
Selbst Reinigungskräfte in einem Krankenhaus tragen laut der Studie mehr zum Wohl der Gesellschaft bei als die geschmähten Banker. "Für jedes Pfund, das wir ihnen zahlen, generie-‐ren sie mehr als zehn Pfund an gesell-‐schaftlichem Wert", schreiben die Au-‐toren. Die gesellschaftliche Anerken-‐nung für ihre Leistungen bliebe den Putzkräften aber verwehrt, die Löhne extrem niedrig.
Es sei daher schlicht falsch, von einer hohen Bezahlung auf die gesellschaftli-‐che Leistung zu schließen. Der oftmals angenommene Zusammenhang zwi-‐schen hohen finanziellen Anreizen und Beiträge zum Allgemeinwohl müsse vielmehr in Frage gestellt werden, schreiben die Autoren. Sie argumentie-‐ren, dass gerade diejenigen Wirt-‐schaftszweige mit den höchsten Ein-‐kommen sich nicht an den Kosten be-‐teiligen, die der Gesellschaft tatsäch-‐lich durch sie entstehen.
(SPIEGEL Online, 14.12.09)
Kommunen chronisch unterfinanziert Das zweite Konjunkturpaket hilft den Städten und Gemeinden, lange aufge-‐schobene Investitionen endlich zu rea-‐lisieren. Doch Sonderprogramme sind keine Dauerlösung: Langfristig bräuch-‐ten die Kommunen mehr Geld für den normalen Haushalt.
Den Verfall der öffentlichen Infrastruk-‐tur konnten Städte und Gemeinden 2007 nicht aufhalten. Ihre Ausgaben reichten nur, um ihn zu bremsen. Technisch ausgedrückt: Die Abschrei-‐bungen auf das Anlagevermögen der Kommunen überstiegen ihre Investi-‐tionen. Dabei wären nicht nur Repara-‐turen an bestehenden Schulen oder Straßen nötig, sondern auch Neuinve-‐stitionen, die die Infrastruktur an die Bevölkerungs-‐, Verkehrs-‐ und Wirt-‐schaftsentwicklung anpassen. Der Fi-‐nanzspezialist Michael Reidenbach, bis vor kurzem beim Deutschen Institut
für Urbanistik tätig, hat ermittelt, wie hoch der kommunale Finanzbedarf in den kommenden Jahren ist. Auch die nötigen Mittel für Zweckverbände und Kommunalunternehmen sind in seiner Rechnung enthalten.
Die notwendige Investitionssumme für die Zeit bis 2020 beträgt dem Experten zufolge gut 700 Milliarden Euro. Davon entfallen allein 70 Milliarden auf den Nachholbedarf, der sich aus dem „In-‐vestitionsstau“ der vergangenen Jahre ergibt. Gut 410 Milliarden Euro kostet die laufende Instandhaltung der beste-‐henden Infrastruktur. Knapp 220 Mil-‐liarden sind für Erweiterungen erfor-‐derlich.
Den größten Einzelposten bilden die nötigen Ausgaben für Straßen, Brüc-‐ken, Fahrradwege, Verkehrsleitsyste-‐me: 160 Milliarden Euro, von denen etwas mehr als die Hälfte für Neubau-‐ten, der Rest für Reparaturen aufge-‐wendet werden müssten. Ebenfalls sehr großer Finanzbedarf besteht bei den Schulen. Sie müssen veränderten technischen, ökologischen und päd-‐agogischen Anforderungen angepasst werden: energetische Sanierung, Com-‐puterräume, zusätzlicher Raumbedarf durch verdichtete Stundenpläne und Ganztagsbetrieb. So kommen trotz sinkender Schülerzahlen 73 Milliarden Euro zusammen.
Die 9,6 Milliarden Euro, die das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung für kommunale Investitionen vorsieht, seien „ein erfreulicher und unerwarte-‐ter Geldsegen“ für Städte und Gemein-‐den, schreibt Reidenbach. Es müsse auf längere Sicht aber gelingen, die für das Funktionieren der kommunalen Infra-‐struktur notwendigen Mittel aus den regulären Haushalten zu generieren.
(Böckler impuls, Ausgabe 08/2009)
Was bedeutet die Schuldenbremse für die Kommunen? Bei der Höhe des Anteiles der Investi-‐tionen der öffentlichen Hand am Brut-‐toinlandsprodukt steht Deutschland mit 1,5 % unter den OECD-‐Ländern bekanntlich an vorletzter Stelle. In den 70’er Jahren lag er noch bei über 7 %. Dieser drastische Rückgang ging na-‐
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türlich nicht an den Kommunen vorbei. Tätigten die deutschen Kommunen 1992 noch Investitionen in Höhe von 34 Mrd. Euro, so fielen diese kontinu-‐ierlich bis 2004 auf 19 Mrd. Euro. Im Konjunkturaufschwung 2005 bis 2008 stiegen sie nur auf 21 Mrd. Euro wie-‐der leicht an. Dies liegt weder am feh-‐lenden Bedarf an kommunalen Investi-‐tionen noch am fehlenden Willen der Kommunalparlamente.
Eine DIfU-‐Studie kommt zum Ergebnis, dass der Bedarf an kommunalen Inve-‐stitionen für den Zeitraum 2006 bis 2020 704 Mrd. Euro beträgt. Im Ver-‐gleich zu diesem Bedarf investieren die Kommunen jährlich 6 bis 7 Mrd. Euro zu wenig. Viele Kommunen können wegen ihrer strukturellen Finanz-‐schwäche kaum noch investieren und können sich nur mit Kassenkrediten, die von 1 Mrd. Euro 1992 auf 29 Mrd. Euro 2007 stiegen, über Wasser hal-‐ten. Die Sozialausgaben der deutschen Kommunen sind v.a. als Folge der strukturellen und konjunkturellen Massenarbeitslosigkeit von 26,1 Mrd. Euro 1998 auf 37,6 Mrd. Euro 2007 gestiegen. Die Personalausgaben stie-‐gen in diesem Zeitraum nur wenig von 38,7 Mrd. Euro auf 40,5 Mrd. Euro. Die meisten Kommunen müssen sich we-‐gen ihrer strukturellen Finanzschwä-‐che oder wegen stark weg brechender Steuereinnahmen in Abschwungpha-‐sen in ihrer Investitionspolitik pro-‐zyklisch verhalten.
(ver.di Tagung zur „Schuldenbremse“ am 16.04.09 in Berlin. Referat von Dr. Ernst
Wolowicz)
FDP: Der liberale Sozialstaat Jeder Mensch hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Freiheit braucht eine materielle Grundlage. Die Liberalen wissen, dass auch bei wach-‐sendem Bürgersinn und wachsender Verantwortung für den Nächsten eine staatliche Absicherung des Existenz-‐minimums notwendig ist. Dem dienen derzeit für die große Mehrheit der Bevölkerung die gesetzlichen Pflicht-‐systeme der beitragsfinanzierten Sozi-‐alversicherung, nachrangig die steuer-‐finanzierte Sozialhilfe.
Die Leistungen der Sozialversicherung sind heute grundsätzlich lohnbezogen. Damit ist sie in besonderer Weise von der Entwicklung der Beschäftigung und der Löhne abhängig. Wegen der Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt und der demographischen Entwicklung muss gerade auch die Rentenversiche-‐rung ihre Leistungen den veränderten Gegebenheiten anpassen. Eine voll-‐ständige Absicherung des Lebensstan-‐dards kann die Sozialversicherung künftig nicht mehr leisten; hier bedarf es ergänzender Vorsorge in Eigenver-antwortung. Bürgern, die sich nicht aus eigener Kraft absichern können, gewähr-leistet Steuerfinanzierung auch künftig das Existenzminimum.
Der liberale Sozialstaat konzentriert seine Hilfe wirksam auf die wirklich Bedürftigen. Der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat verteilt an alle ein wenig. (Wiesbadener Grundsätze für die liberale
Bürgergesellschaft, beschlossen auf dem Bundesparteitag der F.D.P. am 24.05.97)
DGB Grundsatzprogramm Unser Ziel ist, den Menschen mehr persönliche Freiheit und individuelle Wahlmöglichkeiten zu sichern. Darum bekämpfen die Gewerkschaften vehe-‐ment alle Vorstellungen von einem Minimalstaat, der sich auf vermeintli-‐che Kernaufgaben oder Hoheitsfunk-‐tionen zurückziehen soll. Der Markt schafft aus sich selbst heraus weder soziale Gerechtigkeit noch soziale Si-‐cherheit; er garantiert weder ausrei-‐chend Erwerbsarbeit noch Bildungs-‐chancen für alle oder eine gerechte Vermögensverteilung. Deshalb fordern die Gewerkschaften die staatliche Ver-‐antwortung für gesellschaftlich akzep-‐tierte Lösungen. Wir wollen staatliche Initiativen für Innovationen und staat-‐liche Regulierungen, die möglichst in der gesamten Europäischen Union gelten.
Obwohl die Gewerkschaften eine um-‐fassende Privatisierung und Deregulie-‐rung ablehnen, vertreten wir nicht die Vorstellung, der Staat müsse alles re-‐geln. Die Gewerkschaften plädieren vielmehr für staatliche und gesell-‐
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schaftliche Verantwortung, die Märkte reguliert, die selbstverantwortliche Entfaltung der Individuen stärkt, Stan-‐dards für öffentliche und private Dien-‐ste vorgibt und kontrolliert, sowie den Erhalt und den Ausbau sozialer Siche-‐rungssysteme garantiert.
(DGB-Grundsatzprogramm "Die Zukunft gestalten", 1996)
Zukunftsinvestitionen statt kaputtsparen! Die Forderung nach einem öffentlichen Investitionsprogramm und nach mehr Beschäftigung im öffentlichen Dienst ist in den letzten Jahren von den Ge-‐werkschaften immer wieder erhoben worden. Eine längerfristige Erhöhung der öffentlichen Ausgaben würde da-‐bei nicht nur als „Strohfeuer“ wirken, sondern nachhaltig für Wachstum und Beschäftigung sorgen.
In Deutschland wird von der öffentli-‐chen Hand deutlich zu wenig in den Bereichen öffentliche Infrastruktur und Bildung ausgegeben. Nach den neuesten Zahlen betragen die öffentli-‐chen Investitionen als Anteil am Brut-‐toinlandsprodukt nur noch 1,4 Prozent – das sind mehr als ein Prozent weni-‐ger als im Durchschnitt der EU-‐25. Und auch im Bildungsbereich fallen die deutschen Ausgaben unterdurch-‐schnittlich aus, obwohl hier unbestrit-‐ten ein hoher Bedarf besteht.
Nach einer Faustformel erhöhen öf-‐fentliche Investitionen in Höhe von 1 Milliarden Euro die Beschäftigung um 20.000 bis 25.000 Personen. Ein öf-‐fentliches Investitionsprogramm mit einem Volumen von 20 Milliarden Eu-‐ro würde mithin 400.000 bis 500.000 zusätzliche Arbeitsplätze bringen.
Dabei kämen auch sogenannte Selbst-‐finanzierungseffekte zum Tragen. Das Institut für Arbeitsmarkt-‐ und Berufs-‐forschung beziffert die sogenannten gesamtfiskalischen Kosten der Arbeits-‐losigkeit in Deutschland auf durch-‐schnittlich 19.600 Euro pro Arbeitslo-‐sen. Die gesamtfiskalischen Kosten erfassen die – zum Teil hypothetischen – Kosten der Arbeitslosigkeit: Ausga-‐ben für Arbeitslosengeld und sonstige Sozialleistungen, aber auch Minder-‐
einnahmen bei den Steuern und den Sozialbeiträgen, die eben im Falle der Arbeitslosigkeit nicht anfallen. Ausge-‐hend vom Durchschnittswert (19.600 Euro) würde ein um 400.000 bis 500.000 Personen höherer Beschäfti-‐gungsstand damit rund 8 bis 10 Milli-‐arden Euro an höheren Einnahmen (Steuern und Sozialbeiträge) bzw. Minderausgaben (Sozialtransfers wie Arbeitslosengeld) mit sich bringen. Darüber hinaus kann die Konjunktur mit einem solchen Programm belebt werden, d.h. konkret werden die Un-‐ternehmen aufgrund des Anstiegs der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und besser ausgelasteten Kapazitäten ihre Investitionen erhöhen. Dies wird den Beschäftigungsstand sowie den Kon-‐sum steigern und so weitere Steuer-‐einnahmen und Beitragszahlungen nach sich ziehen; außerdem werden die Sozialtransfers weiter sinken.
(IG Metall Abteilung Wirtschaft-Technik-Umwelt: „Konjunktur ankurbeln – Zukunft sichern: Infrastruktur-Offensive für Wach-
stum und Beschäftigung starten!“ Frankfurt 2002)
Den Reichtum gerecht verteilen Die Verteilung von Einkommen und Vermögen wird immer ungerechter. Während die Lohneinkommen kaum steigen, haben sich die Gewinne kräftig erhöht. Auch bei den Vermögen klafft die Schere immer weiter auseinander. Die Steuerpolitik der vergangenen Jahre hat zur ungerechter werdenden Verteilung beigetragen. Entlastet wur-‐den vor allem hohe Einkommen und Unternehmen.
Neben der wachsenden Ungleichver-‐teilung führte die Steuerpolitik zu ge-‐waltigen Einnahmeausfällen in den öffentlichen Haushalten. Wo die Ein-‐nahmen fehlten, wurden die Ausgaben gekürzt: Der Sparpolitik der hessi-‐schen Landesregierung sind steuerpo-‐litisch bedingte Ausfälle vorausgegan-‐gen. Die Haushaltspolitik orientiert sich insbesondere an den Interessen der Wirtschaft, und trotz drastischer Sparmaßnahmen wurden höchst frag-‐würdige Prestigeprojekte wie der Kauf des Erbacher Schlosses und der Um-‐bau des Staatsweingutes finanziert.
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Die verringerten Einnahmen der öf-‐fentlichen Hand hatten viel zu geringe öffentliche Investitionen zur Folge. Damit das Land seinen Aufgaben nach-‐kommen kann, sind zusätzliche finan-‐zielle Mittel erforderlich. Die hessische Landesregierung muss sich deshalb dafür einsetzen, dass die Vermögens-‐teuer in Deutschland wieder erhoben wird. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Staat hohe Einkommen und Vermögen auch hoch belasten darf.
Die Vermögensteuer fließt komplett den Bundesländern zu. Durch eine Vermögensteuer mit einem Steuersatz in Höhe von einem Prozent und einem Freibetrag von 500.000,-‐ Euro würde allein das Bundesland Hessen mehr als eine Milliarde Euro erhalten. Die Wie-‐dererhebung der Vermögensteuer wä-‐re auch ein wichtiger Schritt in Rich-‐tung Verteilungsgerechtigkeit. ...
Neben der Aufgabe der Einkommens-‐sicherung hat der Sozialstaat für die Finanzierung und Bereitstellung sozia-‐ler Einrichtungen und Dienste zu sor-‐gen. Diese sind entsprechend der sich verändernden Lebensbedingungen aus-‐ und umzubauen. Der DGB Hessen fordert, dass soziale Dienstleistungen in Form regulärer sozialversiche-‐rungspflichtiger Arbeitsverhältnisse zu erbringen sind.
(aus: Forderungen des DGB Hessen zur Landtagswahl 2008)
Privatisierung ist keine Lösung Einige Kritiker der hohen Schulden raten dazu, dass der Staat staatliche Vermögen privatisieren solle, um seine Schulden abzubauen. Das kann man machen, es kann aber auch ein »Schuss in den Ofen« sein. Niemand käme im Privatleben auf die Idee, es sei in je-‐dem Fall gut, das eigene Haus zu ver-‐kaufen, um Schulden zu tilgen. Wenn das Vermögen wertvoll ist und not-‐wendig für das Wohlergehen einer Familie, wird man es nicht verkaufen, auch wenn man damit Schulden zu-‐rückzahlen könnte. Auf keinen Fall wird man ohne Zwang verkaufen, wenn man einen schlechten Preis für das Haus erzielt. Nicht viel anderes gilt
für öffentliches Vermögen: Wenn man zum Beispiel Anteile an der Deutschen Telekom oder an der Post AG zu einem schlechten Kurs verkauft, machen das Volk insgesamt und die Volkswirt-‐schaft kein gutes Geschäft. Dann wird Vermögen verschleudert. Das ist kein gutes Geschäft für den, der verkauft, es ist aber meist ein gutes Geschäft für den, der kauft. Sinnigerweise raten oft diejenigen zur Privatisierung, die bei solchen Privatisierungsvorgängen viel Geld verdienen, weil sie billig einkau-‐fen oder weil sie an den Provisionen kräftig verdienen oder weil sie einen der hochdotierten Posten ergattern wollen, die mit der Privatisierung oder Teilprivatisierung von Staatsunter-‐nehmen geschaffen werden. So ist es bei der Privatisierung von Post und Telekom und bei der Umwandlung der Bahn in eine Aktiengesellschaft ge-‐schehen. Hochdotierte Jobs – auch für Spezis. Um den Abbau der Staatsschul-‐den geht es dabei nur in zweiter Linie. (Auszug aus „Die Reformlüge. 40 Denkfeh-
ler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren“,
München 2004)
Folgen von Privatisierungen Aus Sicht der Beschäftigten führten Privatisierungen im Bereich der Stadtwerke in den 1990er Jahren in verschiedenen Fällen nachweislich zu einer Verschlechterung der tariflich geregelten Vergütungs-‐, Arbeitszeit-‐ und sonstigen Beschäftigungsbedin-‐gungen. Darüber ob – und ggf. inwie-‐weit – durch Privatisierungen Arbeits-‐plätze im kommunalen Energiesektor langfristig gesichert oder neu geschaf-‐fen werden konnten, liegen bisher kei-‐ne systematischen Untersuchungen vor. Für kleine und mittelständische Unternehmen, die von Stadtwerken Leistungen beziehen oder Aufträge erhalten, fehlen entsprechende Analy-‐sen der wirtschaftlichen und qualitäts-‐bezogenen Folgen von Privatisierun-‐gen bisher ebenfalls. Einige Autoren haben in den letzten Jahren darüber hinaus vermehrt darauf hinge-‐ wiesen, dass aufgrund des wenig entwickelten Beteiligungsmanagements die politi-‐sche Steuerung und Kontrolle privati-‐
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sierter öffentlicher Unternehmen und Betriebe bzw. öffentlich-‐privater Ge-‐sellschaften in deutschen Kommunen häufig nicht ausreichend ist.
(Wolfgang Gerstlberger: Zwei Jahrzehnte Privatisierung in deutschen Kommunen –
Herausforderungen und Argumente für den Erhalt der Stadtwerke)
Der Staat ist kein Zaungast Wenn Ökonomen vor Jahrzehnten ei-‐nen Blick ins zweite Jahrtausend war-‐fen, prophezeiten sie den Industriena-‐tionen eine Zukunft als Dienstlei-‐stungsgesellschaften. Doch Vorhersa-‐gen sind ungewiss. In Deutschland hängt noch immer jeder zweite Ar-‐beitsplatz vom verarbeitenden Gewer-‐be ab. Auch die Dienstleistungen könn-‐ten ohne Industrie nicht leben. Denn 50 Prozent ihres Geschäfts machen sie mit der Industrie. Die industrielle Pro-‐duktion bleibt auch im 21. Jahrhundert der Kern der deutschen Wirtschaft. Sie hat in Deutschland immer wieder »Leitmärkte« geschaffen – wie zurzeit die Umwelttechnologie. Typisch für einen Leitmarkt: Er setzt weltweit Maßstäbe, ist sehr innovativ und er muss eine gewisse Größe erreichen. Dies trifft in Deutschland nicht nur auf die Umwelttechnologie zu. Es gilt auch für andere Produkte wie technische Textilien und für den Maschinenbau.
Doch auch Leitmärkte sind in der Krise bedroht. Sollte sie länger andauern, werden innovative Unternehmen Ka-‐pazitäten abbauen müssen. Eine Ge-‐fahr für den Industriestandort. In je-‐dem Unternehmen gibt es »implizites Wissen«. Wissen, das oft nirgendwo niedergeschrieben ist oder das nur im Zusammenspiel der Beschäftigten funktioniert. Werden Belegschaften auseinandergerissen, geht dieses Wis-‐sen verloren. Damit können auch Marktanteile wegbrechen. Anteile, die die Unternehmen nach der Krise nicht einfach zurückerobern können.
Wenn wichtige Industrien in der Krise nicht wegbrechen sollen, brauchen sie staatliche Unterstützung. Dabei stellt sich die Frage eigentlich gar nicht, ob der Staat in den Markt eingreifen darf. Denn egal, wie er sich verhält, es hat immer Auswirkungen auf den Markt.
Mit der Verlängerung des Kurzarbei-‐tergeldes hat die Bundesregierung bereits die Industrie gestützt. Hätte sie die Krise einfach laufen lassen, gäbe es längst Massenentlassungen.
Doch um die industrielle Basis zu si-‐chern, braucht es neben kurzfristigen staatlichen Unterstützungen auch eine langfristige Industriepolitik, die Leit-‐märkte fördert. Eine wichtige Voraus-‐setzung hierfür ist eine staatliche Vor-‐auswirtschaft durch Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Entwick-‐lung und Forschung. Doch gerade hier hinkt Deutschland noch in vielen Be-‐reichen international hinterher.
So zählt etwa Fachkräfteausbildung nicht zur Industriepolitik. Sie gilt in Deutschland noch immer als Sozialpo-‐litik für unversorgte Jugendliche. Dabei muss sich die deutsche Wirtschaft we-‐niger vor den niedrigen Löhnen in Asi-‐en fürchten, als vielmehr vor den ho-‐hen Bildungsinvestitionen dieser Län-‐der.
In der Forschungspolitik richtet die Politik den Blick zu sehr auf High-‐Tech-‐Industrien mit einem hohen An-‐teil an Forschung und Entwicklung, auch F&E genannt. Der Anteil muss über sieben Prozent des Umsatzes liegen.
Die größten Exportüberschüsse erzie-‐len jedoch Unternehmen mit einem F&E-‐Anteil zwischen 2,5 und 7 Pro-‐zent.
Politisch eingreifen heißt aber nicht, Wirtschaftsinteressen einfach nach-‐zugeben. Manchmal muss der Staat auch gegen den Widerstand von Un-‐ternehmen durch Rahmensetzung Entwicklung vorantreiben. Was pas-‐siert, wenn er Lobbyinteressen nach-‐gibt, zeigt das Beispiel der amerikani-‐schen Autoindustrie. Bis in die 60er-‐Jahre war sie der Leitmarkt. Doch sie setzte im Bündnis mit der Politik jah-‐relang nur auf billigen Sprit, verpasste den Anschluss an moderne Techniken und kämpft heute ums Überleben.
Experten gehen davon aus, dass die USA ein großes umwelttechnisches Potenzial entwickeln könnte, wenn die Politik den Hebel in Sachen Umwelt-‐
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schutz umlegt. Das heißt umgekehrt: Politik kann Entwicklung verhindern, wenn sie keinen Rahmen setzt. (Prof. Gerhard Bosch, Professor für Soziolo-gie an der Universität Duisburg-Essen, Me-
tallzeitung 8/2009)
Wirtschaftsweiser Bofinger: Für einen aktiveren Staat Wie könnte ein Kurswechsel ausse-‐hen? Wenn der Staat eine aktivere Rolle wahrnehmen soll, benötigt er finanzielle Ressourcen und Hand-‐lungskompetenzen. Der in diesem Jahrzehnt lange Zeit vorherrschende Prozess der Entstaatlichung muss da-‐her so schnell wie möglich gestoppt werden. Dies erfordert vor allem, dass von weiteren Steuersenkungen Ab-‐stand genommen wird. In Relation zur Wirtschaftsleistung erzielt der deut-‐sche Staat schon heute deutlich weni-‐ger Steuereinnahmen als die meisten anderen vergleichbaren Länder. Ohne eine angemessene Finanzausstattung wird es dem Staat nicht möglich sein, die Zukunft des Landes aktiv zu gestal-‐ten. Die für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und den Zu-‐sammenhalt unserer Gesellschaft glei-‐
chermaßen erforderlichen Bildungsin-‐vestitionen können nur vom Staat ge-‐leistet werden. Dies gilt auch für Zu-‐kunftsinvestitionen im Bereich der Infrastruktur sowie für Forschung und Entwicklung. Deutschland liegt bei den Zukunftsinvestitionen weit unter dem Durchschnitt der EU-‐Länder.
Die Defizite in diesen Feldern verdeut-‐lichen zugleich, wie gefährlich es ist, den Staat seiner Handlungskompeten-‐zen zu berauben. Mit der Schulden-‐bremse will die große Koalition im Grundgesetz ein Verschuldungsverbot für die Länder und eine maximale Neuverschuldung des Bundes von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festschreiben. Damit versperrt sie dem Staat die Möglichkeit, kreditfinanzierte Investitionen für zukünftige Genera-‐tionen vorzunehmen. Aus der Perspek-‐tive einer schwäbischen Hausfrau mag das eine gute Politik sein, eine schwä-‐bischen Unternehmerin aber würde kaum auf eine rentable Investition verzichten, nur weil sie dafür einen Kredit aufnehmen muss.
(Peter Bofinger: Neue Balance von Staat und Markt, Frankfurter Rundschau,
06.04.09)
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DGB-Empfehlungen zur Bildungspolitik Erhebliche Bedeutung wird dem Aus-‐bau an Betreuungsplätzen für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr beigemessen. Kurzfristiges Ziel muss sein, dass in allen Regionen eine Be-‐treuungsquote von 35 % bis zum Jahre 2013 realisiert wird, wie es auch in dem Kindertagesstättenausbaugesetz (TAG) aus dem Jahre 2004 vorgesehen ist. Langfristig muss das Ziel aber sein, für mindestens 70 % der zwei-‐ bis dreijährigen Kinder Betreuungsange-‐bote vorzuhalten.
Ein weiterer wichtiger Reformbedarf betrifft die Tageseinrichtungen für Kinder von drei Jahren bis zum Schul-‐eintritt. Während die Versorgungsquo-‐te insgesamt mittlerweile als befriedi-‐gend angesehen werden kann – sie liegt in allen Bundesländern bei über 90 % – besteht das Problem vor allem in der Bereitstellung von ausreichen-‐den Ganztagsplätzen. Ziel muss sein, eine Betreuungsquote von 60 % in allen Bundesländern zu realisieren. Auch für diese Kindertagesstätten gilt, dass das Unterrichtspersonal eine ad-‐äquate pädagogische Ausbildung er-‐hält und entsprechend vergütet wird.
In Deutschland bestehen beim Perso-‐nalschlüssel in Kindertageseinrichtun-‐gen erhebliche Differenzen zum inter-‐nationalen europäischen Standard. Wir schlagen vor, die Empfehlungen der EU für einen sinnvollen Personalschlüssel umzusetzen. Diese sehen ein Verhält-‐nis von 1 zu 3 bzw. 1 zu 5 für Kinder bis zum 3. Lebensjahr vor und für Kin-‐der im Kindergartenalter von 1zu5 bzw. 1zu8.
Um die Bedeutung von Kinderta-‐geseinrichtungen als Bildungseinrich-‐tungen deutlich hervorzuheben ist es erforderlich, ihnen den Status öffentli-‐cher Bildungseinrichtungen zuzuer-‐kennen. Als Bildungseinrichtungen sind sie für die Nutzer bzw. deren El-‐tern gebührenfrei auszugestalten. (Gemeinsame Broschüre von IG Metall und ver.di: Berufs- und Bildungsperspektiven
2009. Bildungsprivilegien für alle!)
Öffentlicher Beteiligungsfonds Wir fordern, einen öffentlichen Beteili-‐gungsfonds einzurichten, der einen wirksamen Schutzschirm für Unter-‐nehmen aufspannt und Arbeitsplätze sichert. Über die Bewilligung der Mittel muss unter Beteiligung der Sozialpart-‐ner entschieden werden. Vorrausset-‐zung für die Mittelvergabe sind u.a. ein tragfähiges Unternehmenskonzept, ein
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substantieller Eigenbeitrag der Eigen-‐tümer, der Erhalt der Arbeitsplätze sowie ein klares Bekenntnis zu Mitbe-‐stimmung und Tarifstandards.
Wir fordern eine nachhaltige Indu-‐striepolitik anstelle unregulierter Märkte. Notwendiger Strukturwandel muss im Rahmen einer nachhaltigen Industriepolitik bewältigt werden.
Ökonomische Effizienz, soziale Ausge-‐wogenheit -‐ d. h. Bewältigung des Strukturwandels ohne Brüche bei Ein-‐kommen und Beschäftigung -‐ und die Schonung der natürlichen Ressourcen sind Eckpunkte einer solchen Strate-‐gie.
Mit einer ökologischen Modernisie-‐rung der Industrie gestalten wir heute die Arbeits-‐ und Lebensperspektiven zukünftiger Generationen.
Wir fordern gute Arbeit und einen re-‐gulierten Arbeitsmarkt. Im nächsten Aufschwung darf es keine Explosion der Leiharbeit und anderer unge-‐schützter Arbeitsverhältnisse geben.
Die Prekarisierung von Arbeit torpe-‐diert das Ziel einer notwendigen indu-‐striepolitischen Neuorientierung. Sie untergräbt die hohe Qualifikationsba-‐sis, schwächt die Innovationsfähigkeit der Industrie und gefährdet eine ge-‐rechte Verteilung des wirtschaftlichen Wohlstandes.
Wir fordern eine koordinierte Indu-‐striepolitik in Europa, die die indus-‐trielle Kernkompetenz und Wach-‐stumsbasis erhält.
Das Gewicht der industriellen Wert-‐schöpfung und guter Arbeit darf nicht länger ignoriert werden.
Die neue EU-‐Kommission muss ihren einseitigen Deregulierungs-‐ und Libe-‐ralisierungskurs ändern und den Rah-‐men für einen Gestaltungswettbewerb um die besten Lösungen schaffen. (Gemeinsame Erklärung von IG Metall und
IG BCE zur Industriepolitik, 26.06.09)
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Der Staat wird schlanker Der seit den 1990er Jahren anhaltende Stellenabbau im Öffentlichen Dienst setzt sich weiter fort. Im vergangenen Jahr rund vier Prozent weniger Stellen als 2006: Innerhalb eines Jahres sind in Deutschland 135.000 Stellen im Öffentlichen Dienst abgebaut worden.
Im Vergleich zu 1991 sind heute 1,6 Millionen weniger Menschen bei Bund, Ländern und Kommunen beschäftigt – das entspricht 30 Prozent! Vorreiter bei der Verschlankung der öffentlichen Verwaltung sind die Kommunen, ge-‐folgt vom Bund und den Ländern.
Umgerechnet auf die Bevölkerung heißt das: In Ostdeutschland kommen in den Ländern 22 Beschäftigte auf 1.000 Bürger (1991 waren es noch 39 Beschäftigte), in Westdeutschland 20 auf 1.000 Bürger (1991 waren es 27). Die früher erheblichen Unterschiede zwischen Ost und West sind mittler-‐weile also nahezu ausgeglichen.
Besonders wichtig: Der Stellenabbau im öffentlichen Dienst erfolgte und erfolgte nicht durch Kündigungen. Frei werdende Stellen wurden nicht wie-‐derbesetzt, komplette Verwaltung durch Neuorganisationen, Zusammen-‐legung und technologische Moderni-‐
sierung effizienter und bürgerfreundli-‐cher gemacht. Gewinner ist und bleibt der Bürger.
Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland hinsichtlich der Beschäf-‐tigten im Staatsdienst gut ab: Wie die International Labour Organisation ermittelte, beträgt der Anteil der Be-‐schäftigten in den Bereichen „Öffentli-‐che Verwaltung, Verteidigung, Sozial-‐versicherung“ in Deutschland nur etwa 13,4 Prozent, in Großbritannien dage-‐gen sind es 14,1 Prozent und in Frank-‐reich sogar 16,7 Prozent. Selbst in den USA arbeiten mehr Beschäftigte beim Staat als in Deutschland, nämlich 15,4 Prozent aller Beschäftigten.
Die deutsche Staatsquote, also der An-‐teil der staatlichen Ausgaben an der gesamten volkswirtschaftlichen Lei-‐stung, liegt mit 43,8 Prozent so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Staatsquote soll noch weiter sinken. Auch deshalb sollen die Ausgaben des Bundes weiter heruntergefahren wer-‐den. Das ist ein wichtiger Beitrag zu soliden Staatsfinanzen und die ent-‐scheidende Voraussetzung für einen auch künftig handlungsfähigen Staat, der alte Schulden abbaut und neue Chancen schafft.
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Drei Gründe für den Stellenabbau
Was sind die Gründe für den anhalten-‐den Stellenabbau?
Zum einen spielen Ausgliederungen von den Kernhaushalten in so genann-‐te Extrahaushalte eine wichtige Rolle. Zum zweiten haben viele Kommunen seit Jahren keine Neueinstellungen vorgenommen.
Und drittens ist der Stellenabbau bei der Bundeswehr eine Folge der Wie-‐dervereinigung, nachdem die ehemali-‐gen Soldaten der „Nationalen Volks-‐armee“ der DDR zunächst integriert wurden und die Stellenzahl dann Schritt für Schritt abgeschmolzen wurde. (Pressemitteilung des BUndesfinanzmini-
sters, 16.09.08)
Für die Ausweitung öffentlicher Investitionen sueddeutsche.de: In der Union gibt es Vorschläge, den Schuldenberg mit Steu-ererhöhungen abzutragen. Wie sieht es hier mit der Gerechtigkeit aus?
Hengsbach: Die Diskussion der Union über Erhöhungen der Mehrwertsteuer und Entlastungen bei der Einkom-‐mensteuer halte ich für fehlgeleitet. Steuersenkungen lösen nicht das ein, was sie wirtschaftspolitisch verspre-‐chen. Was nottut, ist eine Offensive öffentlicher Investitionen, die private Aufträge nach sich zieht.
sueddeutsche.de: Ist das Ihr Ernst? Wie soll der Bundeshaushalt durch höhere Ausgaben konsolidiert werden?
Hengsbach: Bei der realwirtschaftli-‐chen Belebung geht es nicht zuerst darum, in den Kitas die Wände und Decken zu renovieren.
Qualifizierte Personen sollen einen Arbeitsplatz finden, mit ihrem Ein-‐kommen die Binnennachfrage stärken und dann auch Steuern zahlen.
Ein gerechtes Konsolidieren der öf-‐fentlichen Haushalte gelingt eher, in-‐dem der Wohlstand gesteigert und die Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden, als durch öffentliches Sparen.
(Friedhelm Hengsbach, Jesuit und Sozial-ethiker, im Interview, SZ v. 13.07.09)
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Diskurs 3.3: Wer (k)einen Staat braucht, soll sich meldenDimensionen der sozialen Gerechtigkeit 1. Wir treten für Bedarfsgerechtig-keit ein. Die Menschen dürfen bei exi-‐stenziellen Risiken nicht ins Bodenlose fallen und ins soziale Abseits geraten. Im Gegenzug sollen sie sich bemühen, aus ihrer Situation der Abhängigkeit herauszukommen. Bedarfsgerechtig-‐keit ist die Grundlage für die Versor-‐gung der Menschen mit sozialstaatli-‐chen Leistungen. Für Menschen in glei-‐chen Lebenslagen wird die gleiche Versorgung sichergestellt. Das erfor-‐dert z. B. in der gesetzlichen Kranken-‐versicherung einen einheitlichen Lei-‐stungskatalog und die Beibehaltung des Sachleistungsprinzips, der allen Menschen wohnortnah zur Verfügung steht. Eine Privatisierung von Gesund-‐heitsausgaben, die Barrieren für Ge-‐ringverdiener im Zugang zu Gesund-‐heitsleistungen aufbaut, gefährdet die-‐ses Prinzip. Der Sozialausgleich wird durch den Einkommensausgleich, den Risikoausgleich, den Generationen-‐ sowie den Familienlastenausgleich sichergestellt.
2. Wir engagieren uns für Vertei-lungsgerechtigkeit auf der Grundlage von Leistung und Leistungsfähigkeit. Leistung soll mit einem angemessenen Einkommen vergütet werden, die Bei-‐träge zum Sozialstaat sollen einkom-‐mens-‐ und leistungsabhängig sein. Verteilungsgerechtigkeit orientiert sich grundsätzlich an Leistung und Leistungsfähigkeit. Das gilt für die pro-‐gressive Besteuerung von Einkommen. Die Tarifpolitik der IG BCE strebt da-‐nach, die Einkommen gerecht nach Qualifikation und Leistung zu vertei-‐len. An diesem Grundsatz orientieren sich auch die Beiträge zur Sozialversi-‐cherung. Bezieher höherer Er-‐werbseinkommen tragen bis zur Bei-‐tragsbemessungsgrenze einen höheren Teil zur Finanzierung der sozialen Si-‐cherungssysteme bei. Prägend für die deutsche Sozialversicherung ist eine Kombination aus Versicherungsprinzip und sozialem Ausgleich.
3. Wir setzen uns für Zugangsgerech-tigkeit ein. Die Menschen sollen Zu-‐gänge zu Bildung und zu sozialstaatli-‐chen Leistungen erhalten. Es ist aber auch legitim zu erwarten, dass die Menschen in ihre Zukunft investieren. Zugangsgerechtigkeit richtet sich auf Förderung und Chancen. Im Bildungs-‐sektor bedeutet dies, dass der Zugang zu Bildung, Ausbildung und Weiterbil-‐dung sich zunehmend wichtiger er-‐weist für die Qualität von Beschäfti-‐gung, Einkommen und eine berufliche Karriere. Im Gesundheitswesen ist die Zugangsgerechtigkeit in Frage gestellt, wenn in der Versorgung seltener oder schwerer Erkrankungen es privat Ver-‐sicherten deutlich leichter fällt, zeitnah Zugang zu Experten und Spezialisten in Krankenhäusern oder Universitäts-‐kliniken zu erhalten.
Sozial gerecht handeln heißt, sich für alle drei Dimensionen der sozialen Gerechtigkeit zu engagieren. Wer nur für eines dieser Ziele eintritt, ist poli-‐tisch nicht glaubwürdig. Denn Arbeit-‐nehmerinnen und Arbeitnehmer wol-‐len, dass denjenigen, die sich nicht alleine durchsetzen und die ihre Inter-‐essen nicht vertreten können, geholfen wird. Die Menschen halten es aber auch für gerecht, dass Menschen, die viel leisten, gut verdienen müssen. Die Menschen erwarten aber auch, dass Menschen Hilfe zur Selbsthilfe erhal-‐ten, damit sie besser mit ihrem Leben umgehen können.
(Beschluss des 3. Ordentlichen Gewerk-schaftskongresses der IG BCE, 2005)
Soziale Irrwege Arbeit billiger machen. Zum Beispiel; Senkung der Lohnko-‐sten; Betriebliche Bündnisse statt Flä-‐chentarifverträge; Leiharbeit / PSA; Arbeitszeitverlängerung
Arbeitslose aktivieren Zum Beispiel: Kürzung der Bezugsdau-‐er von Arbeitslosengeld; Arbeitslosen-‐geld II auf Sozialhilfeniveau; Ausbau von Niedriglohnsektoren
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Belastungen der Leistungsträger senken Zum Beispiel: Senken von Spitzensteu-‐ersatz und Unternehmenssteuern; (Teil-‐) Privatisierung der sozialen Si-‐cherungssysteme
Umbau zum schlanken Staat Zum Beispiel: Senkung der Staatsquo-‐te; Haushaltskonsolidierung; Privati-‐sierungen; Restriktive Geldpolitik
Soziale Alternativen Binnennachfrage sichern und stär-ken Zum Beispiel: Flächentarife sichern und erhöhen; Keine Leistungskürzun-‐gen bei Lohnersatzleistungen; Mittlere und untere Einkommen steuerlich entlasten; Paritätische Finanzierung der Sozialversicherungen; Begrenzung und Verkürzung der Arbeitszeiten
Arbeit statt Arbeitslosigkeit finan-zieren Zum Beispiel: Öffentliches Investiti-‐onsprogramm in sozialökologischen Bedarfsfeldern; Aktive Arbeitsmarkt-‐politik (ABM); Investitionen in Bil-‐dung, berufliche Aus-‐ und Weiterbil-‐dung; Gesetzliche Umlagefinanzierung für Ausbildungsplätze
Fairteilen-Umverteilungspolitik! Zum Beispiel: Solidarische Einfach-‐steuer (gerechte Steuertarife, Vermö-‐genssteuer, Devisentransaktionssteu-‐er, Anhebung des Spitzensteuersatzes, Abschaffung des Ehegattensplittings; Europäische Mindeststeuersätze für Unternehmen)
Für einen demokratischen Sozial-staat Zum Beispiel: Sicherung der sozialen Daseinsvorsorge; Solidarische Bürger-‐versicherung; Stärkung von Selbsthilfe und Engagement; Expansive Geldpoli-‐tik
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Thema 4: Gerechte Finanzierungskonzepte Wir setzen uns mit gängigen Argumentationen zur Wirklichkeit bzw. Ge-‐rechtigkeit von Einnahmen und Ausgaben auseinander, informieren uns über Alternativen und gerechte Finanzierungskonzepte und begründen damit auch, warum wir keine Schuldenbremse brauchen. Im ersten Diskurs verschaffen wir uns einen ersten Überblick zu den gängigen Argumenten (und Fragen):
• Können wir uns den Sozialstaat (noch) leisten? • Woher hat der Staat (bisher) das Geld?
Wir sammeln gängige Aussagen zur Finanzierung des Sozialstaates (pro und contra), fassen sie zusammen und beantworten die Frage:
• Welchen Argumenten schließe ich mich an? Im zweiten Diskurs gehen der Legende vom „Leistungsträger“ auf den Grund und erarbeiten uns Kenntnisse und Argumente zur bislang (un-‐)gerechten Finanzierung des Sozialstaates, indem wir die folgenden Fragen beantworten:
• Wer sind die Leistungsträger? • Wie sind die Lasten verteilt? • Wie sind die Leistungen verteilt?
Am Ende diskutieren und beantworten wir die Frage:
• Wird der solidarische Sozialstaat auch solidarisch finanziert? Im dritten Diskurs begründen wir schließlich die Forderung nach gerech-‐ter (Um-‐)Verteilung der Lasten und Leistungen und entwickeln gute Ar-‐gumente zu den Alternativen zur „Schuldenbremse“. Am Ende können wir überzeugende Antworten auf die beiden zentralen Themen der Diskussion über den solidarischen Sozialstaat geben:
• Wie können die Lasten und Leistungen gerecht (um)verteilt werden?
• Warum die Schuldenbremse eine Zukunftsbremse ist und welche Alternativen wir dazu haben.
Zeit
05
20
20
10
(55)
Material
M53-‐57
Methoden
Einstieg / Teammoderation
Siehe Prioritäten der Aufgaben und Lei-‐
stungen des Staates
Partnerarbeit
Ergebnisse werden an der WZ festgehal-‐
ten
Team
ergänzt / erläutert anhand von
Texten weitere Beispiele von pro und
contra
Team
moderation und Wertung durch
Punkten
Inhalte
Disk
urs 4
.1: W
er so
ll das
beza
hlen
? Wir knüpfen an die Diskussion zum
Them
a 3 (wichtige Aufgaben des
Sozialstaates) an und fragen: „Wer soll
das bezahlen?“
Wir sammeln gängige Aussagen zur Fi-‐
nanzierung des Sozialstaates (pro und
contra)
Frage: Welche Argumente kennen
wir?
Zusammenfassung der Argum
ente pro
und contra und erste (vorläufige) Wer-‐
tung.
Frage: Welchen Argumenten schließe
ich mich an?
Leitf
aden
für R
efer
entIn
nen
Ziele
Wir verschaffen uns einen ersten Über-‐
blick zu den gängigen Argumenten (und
Fragen):
Ob wir uns den Sozialstaat
(noch) leisten können…
…und woher der Staat
(bisher) das Geld hat.
Zeit
30
10
10
(50)
10
30
30
05
(65)
(180)
Material
M58-‐60
M61-‐64
M65-‐69
M70-‐74
M75-‐79
„Hausaufgabe“
M52
Methoden
3 Arbeitsgruppen,
die arbeitsteilig die Fragen bearbeiten.
und anschließend ihre Ergebnisse
präsentieren.
Team
-‐Moderation
Team
verteilt Texte mit Vorschlägen, die
in Partnerarbeit (arbeitsteilig) diskutiert
werden.
Anschließend kurze Präsentation und
Diskussion der Antworten
Team
legt ausgewählte Texte vor, deren
Kernaussagen bewertet w
erden.
Bewertung durch die TN: W
elche Argu-‐
mente finde ich besonders gut?
(mit kurzer Begründung)
Hinweis: Evaluation erst beim Treffen
zur Nachbetrachtung.
Inhalte
Disk
urs 4
.2: D
ie Le
gend
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„Lei
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ger“
Wir erarbeiten uns Fakten:
+ Wer sind die Leistungsträger?
+ Wie sind die Lasten verteilt?
+ Wie sind die Leistungen verteilt?
Diskussion und Zusam
menfassung mit
Beantwortung der Frage:
Wird der solidarische Sozialstaat auch
solidarisch finanziert?
Disk
urs 4
.3: S
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? Wir erarbeiten Antworten auf die Frage:
+ Wie können die Lasten und Leistungen
gerecht (um
)verteilt werden?
+ Warum
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kunftsbrem
se „ ist und welche Alternati-‐
ven wir sehen
Abschluss / Termin für N
achbetrachtung
und Weiterarbeit
Ziele
Wir erarbeiten uns Kenntnisse und Ar-‐
gumente zur (un-‐)gerechten Finanzie-‐
rung des Sozialstaates…
Pause
Wir können die Forderung nach gerech-‐
ter (um
-‐)Verteilung der Lasten und Lei-‐
stungen begründen.
Und wir haben gute Argumente zu den
Alternativen zur „Schuldenbremse“.
70
Diskurs 4.1: Wer soll das bezahlen?Kurt Tucholsky: Kurzer Abriss der Nationalökonomie Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben. Das hat mehrere Gründe, die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe, doch können solche durch eine Notverordnung aufgehoben wer-‐den.
Über die ältere Nationalökonomie kann man ja nur lachen und dürfen wir selbe daher mit Stillschweigen übergehn. Sie regierte von 715 vor Christo bis zum Jahre nach Marx. Seit-‐dem ist die Frage völlig gelöst: die Leu-‐te haben zwar immer noch kein Geld, wissen aber wenigstens, warum.
Die Grundlage aller Nationalökonomie ist das sog. ›Geld‹.
Geld ist weder ein Zahlungsmittel noch ein Tauschmittel, auch ist es keine Fik-‐tion, vor allem aber ist es kein Geld. Für Geld kann man Waren kaufen, weil es Geld ist, und es ist Geld, weil man dafür Waren kaufen kann. Doch ist diese Theorie inzwischen fallen gelas-‐sen worden. Woher das Geld kommt, ist unbekannt. Es ist eben da bzw. nicht da – meist nicht da. Das im Umlauf befindliche Papiergeld ist durch den Staat garantiert; dieses vollzieht sich derart, dass jeder Papiergeldbesitzer zur Reichsbank gehn und dort für sein Papier Gold einfordern kann. Das kann er. Die obern Staatsbankbeamten sind gesetzlich verpflichtet, Goldplomben zu tragen, die für das Papiergeld haf-‐ten. Dieses nennt man Golddeckung.
Der Wohlstand eines Landes beruht auf seiner aktiven und passiven Han-‐delsbilanz, auf seinen innern und äußern Anleihen sowie auf dem Unter-‐schied zwischen dem Giro des Wechse-‐lagios und dem Zinsfuß der Lombard-‐kredite; bei Regenwetter ist das umge-‐kehrt. Jeden Morgen wird in den Staatsbanken der sog. ›Diskont‹ aus-‐gewürfelt; es ist den Deutschen neulich gelungen, mit drei Würfeln 20 zu tru-‐deln.
Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.
Wenn die Ware den Unternehmer durch Verkauf verlassen hat, so ist sie nichts mehr wert, sondern ein Pofel (=unbrauchbare Ware), dafür hat aber der Unternehmer das Geld, welches Mehrwert genannt wird, obgleich es immer weniger wert ist. Wenn ein Un-‐ternehmer sich langweilt, dann ruft er die andern und dann bilden sie einen Trust, das heißt, sie verpflichten sich, keinesfalls mehr zu produzieren, als sie produzieren können sowie ihre Waren nicht unter Selbstkostenver-‐dienst abzugeben. Dass der Arbeiter für seine Arbeit auch einen Lohn ha-‐ben muss, ist eine Theorie, die heute allgemein fallen gelassen worden ist.
Eine wichtige Rolle im Handel spielt der Export, Export ist, wenn die an-‐dern kaufen sollen, was wir nicht kau-‐fen können; auch ist es unpatriotisch, fremde Waren zu kaufen, daher muss das Ausland einheimische, also deut-‐sche Waren konsumieren, weil wir sonst nicht konkurrenzfähig sind. Wenn der Export andersrum geht, heißt er Import, welches im Plural eine Zigarre ist. Weil billiger Weizen unge-‐sund und lange nicht so bekömmlich ist wie teurer Roggen, haben wir den Schutzzoll, der den Zoll schützt sowie auch die deutsche Landwirtschaft. Die deutsche Landwirtschaft wohnt seit fünfundzwanzig Jahren am Rande des Abgrunds und fühlt sich dort ziemlich wohl. Sie ist verschuldet, weil die Schwerindustrie ihr nichts übrig lässt, und die Schwerindustrie ist nicht auf der Höhe, weil die Landwirtschaft ihr zu viel fortnimmt. Dieses nennt man den Ausgleich der Interessen. Von bei-‐den Institutionen werden hohe Steu-‐ern gefordert, und muss der Konsu-‐ment sie auch bezahlen.
Jede Wirtschaft beruht auf dem Kredit-‐system, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andre werde gepumptes Geld zurückzahlen. Tut er das nicht, so erfolgt eine sog. ›Stützungsaktion‹, bei
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der alle, bis auf den Staat, gut verdie-‐nen. Solche Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie ja dann auch meist nichts mehr.
Wenn die Unternehmer alles Geld im Ausland untergebracht haben, nennt man dieses den Ernst der Lage. Geord-‐nete Staatswesen werden mit einer solchen Lage leicht fertig; das ist bei ihnen nicht so wie in den kleinen Raubstaaten, wo Scharen von Brigan-‐ten die notleidende Bevölkerung aus-‐saugen. Auch die Aktiengesellschaften sind ein wichtiger Bestandteil der Na-‐tionalökonomie. Der Aktionär hat zweierlei wichtige Rechte: er ist der, wo das Geld gibt, und er darf bei der Generalversammlung in die Opposition gehn und etwas zu Protokoll geben, woraus sich der Vorstand einen sog. Sonnabend macht. Die Aktiengesell-‐schaften sind für das Wirtschaftsleben unerlässlich: stellen sie doch die Vor-‐zugsaktien und die Aufsichtsratsstellen her. Denn jede Aktiengesellschaft hat einen Aufsichtsrat, der rät, was er ei-‐gentlich beaufsichtigen soll. Die Akti-‐engesellschaft haftet dem Aufsichtsrat für pünktliche Zahlung der Tantiemen. Diejenigen Ausreden, in denen gesagt ist, warum die AG keine Steuern bezah-‐len kann, werden in einer sogenannten ›Bilanz‹ zusammengestellt.
Die Wirtschaft wäre keine Wirtschaft, wenn wir die Börse nicht hätten. Die Börse dient dazu, einer Reihe aufge-‐regter Herren den Spielklub und das Restaurant zu ersetzen; die frommem gehn außerdem noch in die Synagoge. Die Börse sieht jeden Mittag die Welt-‐lage an: dies richtet sich nach dem Weitblick der Bankdirektoren, welche jedoch meist nur bis zu ihrer Nasen-‐spitze sehn, was allerdings mitunter ein weiter Weg ist. Schreien die Leute auf der Börse außergewöhnlich viel, so nennt man das: die Börse ist fest. In diesem Fall kommt – am nächsten Ta-‐ge – das Publikum gelaufen und enga-‐giert sich, nachdem bereits das Beste wegverdient ist. Ist die Börse schwach, so ist das Publikum allemal dabei. Die-‐ses nennt man Dienst am Kunden. Die Börse erfüllt eine wirtschaftliche Funk-‐
tion: ohne sie verbreiteten sich neue Witze wesentlich langsamer.
In der Wirtschaft gibt es auch noch kleinere Angestellte und Arbeiter, doch sind solche von der neuen Theorie längst fallen gelassen worden.
Zusammenfassend kann gesagt wer-‐den: die Nationalökonomie ist die Me-‐taphysik des Pokerspielers.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben, und füge noch hinzu, dass sie so gegeben sind wie alle Wa-‐ren, Verträge, Zahlungen, Wechselun-‐terschriften und sämtliche andern Handelsverpflichtungen –: also ohne jedes Obligo.
(Kurt Tucholsky, Glossen und Essays, Die Weltbühne, 15.09.1931, Nr. 37, S. 393)
CDU zur Steuerpolitik „Bei der Lohn-‐ und Einkommensteuer senken wir den Eingangsteuersatz auf 12% und den Spitzensteuersatz auf 39%. Das sind die niedrigsten Steuer-‐sätze in der Geschichte der Bundesre-‐publik Deutschland. Im Gegenzug wer-‐den im gleichem Umfang eine Vielzahl von Steuerbefreiungen, Steuervergün-‐stigungen und Ausnahmetatbeständen gestrichen oder eingeschränkt. Dazu gehören die Reduzierung der Pendler-‐pauschale auf eine angemessene Höhe von 25 Cent bis max. 50 Entfernungs-‐kilometer und der gleichmäßige Abbau der Steuerfreiheit von Sonn-‐, Feier-‐tags-‐ und Nachtzuschlägen innerhalb von sechs Jahren.
... Als weiteren Schritt zu einer umfas-‐senden Unternehmensteuerreform senken wir die Körperschaftsteuer auf 22%, gegenfinanziert im unternehme-‐rischen Bereich.“ (CDU/CSU: Deutschlands Chancen nutzen. Wachstum. Arbeit. Sicherheit. Regierungs-programm 2005-2009, Berlin, 11.07.05)
SPD zur Steuerpolitik Eine solide Finanzpolitik heißt für uns, dass wir heute nicht auf Kosten zu-‐künftiger Generationen leben. Aller-‐dings darf die Konsolidierung der öf-‐fentlichen Haushalte nicht dazu füh-‐ren, dass wir der kommenden Genera-‐tion eine marode Infrastruktur hinter-‐
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lassen. Unsere Verpflichtung gegen-‐über kommenden Generationen be-‐deutet: Wir müssen die Verschuldung der öffentlichen Haushalte senken und gleichzeitig mehr Geld in Bildung, For-‐schung und Infrastruktur investieren.
An der Finanzierung der staatlichen Aufgaben müssen sich Unternehmen und Privathaushalte entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit beteiligen. Das bedeutet: Wir bekennen uns zur be-‐währten progressiven Einkommen-‐ steuer. Wir wollen eine gerechte Be-‐steuerung von großen Vermögen und Erbschaften.
Wir wollen die sozialen Sicherungssy-‐steme stärker durch Steuern auf alle Einkunftsarten und weniger durch Beiträge finanzieren.
(Hamburger Programm. Grundsatzpro-gramm der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands, 2007)
FDP zur Steuerpolitik Unser Ziel für die nächste Legislatur-‐periode ist ein dreistufiges Steuersy-‐stem mit den Sätzen 15, 25 und 35 Prozent. Dazu gehören ... eine Unter-‐nehmenssteuerreform mit dem Weg-‐fall der Gewerbesteuer und einem Höchstsatz von 25 Prozent. Aus ord-‐nungspolitischen und steuersystemati-‐schen Gründen streben wir langfristig
einen Einstufentarif (Flat Tax) für alle Einkunftsarten an.
... Nur eine Absenkung der Steuerbela-‐stung setzt finanzielle Spielräume frei, so dass wieder investiert werden kann und Arbeitsplätze entstehen. (Beschluss des Präsidiums der FDP, Berlin 04.07.05: Wettbewerb, Mittelstand, Arbeits-plätze. 10 Punkte zur Erneuerung der Sozia-
len Marktwirtschaft)
GRÜNE zur Steuerpolitik Grüne Haushalts-‐ und Steuerpolitik orientiert sich am Leitbild der Nach-‐haltigkeit. Damit der Staat die notwen-‐digen Zukunftsinvestitionen tätigen kann, müssen wir die Verschuldung abbauen und einen langfristig ausge-‐glichenen Haushalt erreichen.
Deshalb brauchen wir eine Stabilisie-‐rung der Steuereinnahmen. Steuersen-‐kungen müssen voll durch die Strei-‐chung von Steuervergünstigungen gegenfinanziert sein.
Unser Steuersystem muss einfacher und gerechter werden. Wir treten für eine gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit der Einzelnen ein, die nicht nach Einkommensarten und –quellen unterscheidet. Wir wol-‐len Steuergeschenke und Subventio-‐nen – insbesondere umweltschädliche
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– abbauen, Steuerflucht und –hinterziehung konsequent bekämp-‐fen und das Ehegattensplitting ab-‐schmelzen.
Betriebsverlagerungen ins Ausland dürfen nicht steuerlich begünstigt werden. Wir akzeptieren nicht, dass Unternehmen hohe Gewinne einfah-‐ren, aber keine Steuern zahlen.
Die ökologische Steuerreform wollen wir weiterentwickeln, um den sparsa-‐men Umgang mit Ressourcen und In-‐vestitionen in energiesparende Tech-‐nologien zu fördern.
Die Steuer auf große Privatvermögen soll wieder eingeführt und große Erb-‐schaften stärker besteuert werden. Die Bemessungsgrundlage der Gewerbe-‐steuer muss verbreitert werden, denn sie ist die wichtigste Finanzierungsba-‐sis der Kommunen.
(Wahlprogramm der GRÜNEN, 2008)
LINKE zur Steuerpolitik Konzerne und andere profitable Un-‐ternehmen müssen wieder deutlich mehr Steuern zahlen. Es soll wieder eine Vermögenssteuer erhoben wer-‐den, die Erbschaftssteuer auf große Erbschaften ist zu erhöhen. Steuer-‐schlupflöcher, die insbesondere Ver-‐mögende und Großverdiener begün-‐stigen, sind konsequent zu schließen, und Wirtschaftskriminalität ist ent-‐schiedener zu bekämpfen. Veräuße-‐rungsgewinne beim Verkauf von Wertpapieren und Immobilien wollen wir ohne Spekulationsfristen besteu-‐ern. Der Spitzensteuersatz der Ein-‐kommenssteuer soll auf mindestens 50 Prozent angehoben werden. Wir for-‐dern eine Steuer-‐ und Finanzreform, die die Länder und Kommunen mit den notwendigen Mitteln für eine nachhal-‐tige Entwicklung ausstattet.
(Programm der Partei DIE LINKE: Pro-grammatische Eckpunkte, 2007)
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Diskurs 4.2: Die Legende vom „Leistungsträger“Guttenberg will Leistungsträger entlasten Bundeswirtschaftsminister Karl-‐Theodor zu Guttenberg (CSU) sprach sich gegen Steuererhöhungen aus.
„Jede Steuererhöhung ist eine Wachs-‐ tumsbremse“, sagte der Minister im Interview mit dem Tagesspiegel. Des-‐halb sei er „ganz entschieden gegen jede Anhebung von Steuern“.
Mit Blick auf das Wahlprogramm der Union stellte der CSU-‐Politiker für die nächste Legislaturperiode eine Minde-‐rung der kalten Progression für Ein-‐kommensteuerzahler in Aussicht.
Er sei zuversichtlich, dass dies trotz hoher Staatsschulden zu schaffen sei. Die Progression, die dazu führt, dass Lohnsteigerungen überproportional besteuert werden, sei eine Bereiche-‐rung des Staates. „Das muss aufhören“, sagte zu Guttenberg.
Die Leistungsträger der Gesellschaft dürften nicht das Gefühl haben, dass sie alle Lasten aufgebürdet bekommen.
Zugleich warnte der Minister CDU und CSU vor vollmundigen Wahlverspre-‐chen.
Keine Partei dürfe jetzt „Hochglanz-‐magazine vorlegen, die den Wählern unrealistische Versprechungen ma-‐chen“.
(Tagesspiegel, 26.06.09)
Perspektive der Leistungsträger kommt zu kurz Wir reden in Deutschland immer nur darüber, was der Staat zusätzlich ge-‐währen kann, ohne die Frage zu stel-‐len, wer das bezahlen soll. Die Per-‐spektive der Steuerzahler, also der Leistungsträger, kommt stets zu kurz. Der Strom kommt aus der Steckdose, und das Hartz-‐IV-‐Einkommen vom Amt. So denken leider viele. Dabei ar-‐gumentieren sie mit der Bedarfsge-‐rechtigkeit. Dieses Konzept geht auf Karl Marx zurück.
So gesehen ist die Feststellung, dass die Diskussion sozialistische Züge aufweist, richtig.
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Nach dem Grundgesetz müssen wir das Existenzminimum sichern, aber das heißt nicht, dass die Steuerzahler und Leistungsträger so viele Lasten tragen müssen, dass jeglicher Bedarf gedeckt werden kann. ... Wer glaubt, das Sozialsystem auf Kosten der Lei-‐stungsträger sowie künftiger Genera-‐tionen grenzenlos ausdehnen zu kön-‐nen, muss sich auf Verweigerung ein-‐stellen. (Hans-Werner Sinn, Interview in der „Welt“,
16.02.10)
Was sind eigentlich Leistungsträger? Der „Leistungsträger“ als zunehmend bedrohte Spezies in unserem Land bedarf einer stärkeren, überparteili-‐chen Lobby!
Diese wiederum bedarf einer Organi-‐sation, die sich auf eine in breiten Tei-‐len der Öffentlichkeit akzeptierte Pro-‐grammatik (welch ein hässliches Wort!) gründet.
In ihrer Quintessenz lässt sie sich durch die Begriffe Leistung, Verant-‐wortung und Solidarität charakterisie-‐ren. Leistungs-‐ träger sind darin alle Beschäftigten, seien sie Selbstständige,
Angestellte, Beamte oder Arbeiter, die einen überdurchschnittlichen Beitrag zum Erfolg ihres Unternehmens lei-‐sten. Dabei sind Bildung und materiel-‐le Ausstattung wichtige Faktoren. Lei-‐stungsbereitschaft setzt aber immer Abwesenheit von Zwängen und Anrei-‐ze nicht nur materieller Art voraus, die ein Individuum veranlassen, über-‐durchschnittliche Leistungen zu erbringen.
Ersteres erfordert weitestgehende Freiheiten zur Entfaltung der individu-‐ellen Fähigkeiten, Letzteres beinhaltet akzeptable und nicht durch staatliche Abschöpfungen übermäßig geminderte Einkommen, sowie Akzeptanz und Achtung der Leistung in der Gesell-‐schaft.
Ein Leistungsträger ist immer auch für die Gesellschaft tätig, der sein Mehr-‐produkt ja zugute kommt.
Das gilt im besonderen Maße in jenen Bereichen, in denen die materielle Ent-‐lohnung, z.B. in der Sozialwirtschaft, im Vergleich zur erbrachten Leistung ziemlich erbärmlich erscheint. (Editorial von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Franz
Peter Lang in bdvb-aktuell 85)
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Ein ungerechtes Steuersystem Ein besonderer Effekt des deutschen Steuer-‐ und Abgabensystems besteht darin, dass die relative Abgabenlast ab einem bestimmten Grenzwert mit stei-‐gendem Einkommen sinkt – dieser Sondereffekt ist lediglich in drei OECD-‐Staaten festzustellen.
…Eine deutsche Besonderheit stellt der Umstand dar, dass ab einem Einkom-‐men von 63.000 Euro pro Jahr bei Al-‐leinstehenden die relative Abgabenlast sinkt. Eigentlich müsste bei einem pro-‐gressiven Steuersystem die Abgaben-‐last zwar steigen, zumal dieser Grenz-‐wert weit unter dem Einkommen liegt, für das der Spitzensteuersatz anfallen würde, aber eine besondere Regelung macht es möglich, dass Besserverdie-‐ner entlastet werden.
Verantwortlich dafür sind die Bei-‐tragsbemessungsgrenzen, ab denen die Sozialabgaben nicht mehr relativ zum Einkommen steigen. Dies führt zur paradoxen Situation, dass ein Spit-‐zenmanager prozentual weniger von seinem Bruttogehalt abführen muss als ein Geringverdiener. Außer Deutsch-‐land leisten sich nur Österreich und Spanien ein derart ungerechtes Steuer-‐ und Abgabensystem.
Die politische Floskel, nach der die Starken mehr schultern, lässt sich durch die OECD-‐Zahlen ad absurdum führen.
Den Schwachen wird in Deutschland mehr aufgebürdet als den Starken – dass die Schwachen durch die hohen Abgaben noch weiter geschwächt wer-‐den, wird dabei billigend in Kauf ge-‐nommen.
(Jens Berger: Schwache Schultern tragen mehr, www.heise.de)
Steuersenkungen als Haupthindernis für Haushaltskonsolidierung In der deutschen Debatte um die Haushaltskonsolidierung halten sich seit Jahren hartnäckig einige Vorurtei-‐le, die auch die Diskussion um die fi-‐nanzpolitischen Implikationen der Schuldenbremse zu belasten drohen.
So wird immer wieder suggeriert, dass der deutsche Staat sich durch laxe Ausgabenpolitik auf ein international nicht mehr übliches und nicht tragfä-‐higes Maß ausgedehnt habe, was auch der Hauptgrund für die langjährigen Probleme mit der Haushaltskonsoli-‐dierung sei.
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Diese Entwicklung müsse, so die dar-‐aus zu ziehende Schlussfolgerung, um-‐gekehrt werden. Wer solchen Vorstel-‐lungen anhängt, den können die im Rahmen der vorliegenden Studie er-‐mittelten drastischen Kürzungsbedarfe durch die Schuldenbremse nicht schrecken. Vielmehr nehmen sie sich wie eine längst überfällige Korrektur aus. Allerdings trägt die referierte Sichtweise nicht weit; sie hält einer Konfrontation mit den – öffentlich üb-‐
rigens leicht zugänglichen – Daten in keinster Weise stand. Denn tatsächlich war die Ausgabenpolitik in den letzten 10 Jahren in Deutschland auch im in-‐ternationalen Vergleich ungewöhnlich restriktiv und es lässt sich zeigen, dass dieser Politik zentrale Zukunftsinvesti-‐tionen in erheblichem Umfang zum Opfer gefallen sind. (Auswirkungen der Schuldenbremse auf die hessischen Landesfinanzen. Hans-Böckler-
Stiftung, November 2009)
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Deutschlands Geldbeschaffer - die BRD Finanzagentur GmbH Die dunkle Kehrseite all der Staatshil-‐fen und Rettungspakete wird aller-‐dings selten diskutiert. 18 Milliarden für die Commerzbank, 50 fürs Kon-‐junkturpaket, 100 als Garantiesumme für die Hypo Real Estate.
Woher nimmt der Staat das viele Geld? Dass tatsächlich eine unscheinbare GmbH das gesamte Schuldenmanage-‐ment des Bundes betreibt, ist heute immer noch nur wenigen bekannt.
Die "Bundesrepublik Deutschland Fi-‐nanzagentur GmbH" untersteht dem Finanzministerium und leiht sich das Geld am Finanzmarkt.
Nur bei wem konkret? Dazu gibt es kaum Informationen. Dass man Sie in der Klasse der Reichen und Superrei-‐chen vermuten darf, liegt auf der Hand. Die kleinen Privatanleger besitzen schließlich direkt gerade einmal ein Volumen von zwei Prozent der Staats-‐papiere. Für den Bund rechnet sich das Ganze zudem langfristig kaum. Von 1980 bis 2000 betrug beispielsweise die staatliche Kreditaufnahme 752 Milliarden Euro, die Zinszahlungen für diese Kredite beliefen sich im gleichen Zeitraum jedoch auf 903 Milliarden.
Warum, so kann man fragen, wird dann weiterhin ständig der Weg über neue Schulden gewählt? Eine Alterna-‐tive wäre bekanntermaßen, die Wohl-‐habenden und Superreichen stärker zu besteuern -‐ statt das gleiche Geld teuer von ihnen zu leihen.
(Paul Schreyer "Strategien für Billionen", 24.04.09)
Denkfehler: Der Staat ist zu fett geworden Ist es richtig zu sagen, ein großer Teil des gemeinsam geschaffenen Sozial-‐produkts werde vom Staat »für seine Zwecke« beansprucht? Das ist ein dic-‐ker Irrtum, denke ich. Sind es wirklich Ausgaben zum »Zwecke des Staates«,
• wenn die Bundesländer und Kom-‐munen Schulen, Hochschulen, Kin-‐dergärten, Weiterbildungseinrich-‐tungen betreiben und das nötige Personal bezahlen?
• wenn der Bund Nachrichtendien-‐ste betreibt, den Bundesgrenz-‐schutz unterhält, das Bundeskri-‐minalamt ausbaut, weil nach Mei-‐nung der Fachleute die Gefahr durch internationale Mafia-‐ und Terrororganisationen dies not-‐wendig macht?
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• wenn die Kinder eines Kindergar-‐tens von der örtlichen Polizei Ver-‐kehrsunterricht erhalten?
• wenn das Ordnungsamt meiner Verbandsgemeinde die Schankan-‐lagen der Gaststätten kontrolliert – in diesem Fall muss ich sagen: kon-‐trolliert hat, denn diese Aufgabe ist inzwischen an Private übertragen worden, die dies zu einem um vie-‐les höheren Preis erledigen?
• Nur wenn der Staat weniger aus-‐gebe, »eröffnen sich neue Aktions-‐felder für private Unternehmen«. Rolf Peffekoven, Direktor des Insti-‐tuts für Finanzwissenschaften der Universität Mainz laut Handels-‐blatt, 23.7.2002
• wenn Gemeinden die Betreuungs-‐möglichkeiten für Kleinkinder er-‐weitern, damit mehr Mütter und/oder Väter Arbeit und Familie unter einen Hut bringen können?
• wenn sich Jugendämter um den zunehmenden Alkoholismus von Zehn-‐ bis Sechzehnjährigen küm-‐mern?
• wenn öffentliche Stellen die Ver-‐mittlung von Arbeitsplätzen zu or-‐ganisieren helfen?
• wenn der Bund, die Gemeinden und die Länder gemeinsam versu-‐
chen sollten, mehr für die Deutsch-‐kenntnisse der Aussiedler zu tun? Sie wurden von der Regierung Kohl ins Land geholt, und jetzt kann man sie nicht im Stich lassen. Sie zu fördern ist auch in unserem Interesse und erhöht die Staats-‐quote.
• wenn Bundesregierung und Par-‐lamente 1994 und dann mit einer zweiten Stufe 1997 eine Pflegever-‐sicherung einführen, weil zu viele alte Menschen in die Sozialhilfe abgeglitten sind, wenn sie pflege-‐bedürftig wurden?
• wenn der Staat Neubaustrecken der Deutschen Bahn AG finanziert und Gelder für öffentliche Nahver-‐kehrssysteme an die Länder gibt? In meinem Bundesland, Rheinland-‐Pfalz, ist damit ein vernünftiges Sy-‐stem des öffentlichen Nahverkehrs geschaffen worden, das viele Men-‐schen nutzen.
• wenn der Staat für den Strafvollzug sorgt und deshalb Gefängnisse un-‐terhält?
• wenn der Staat eine Zivilgerichts-‐barkeit betreibt und damit dafür sorgt, dass man im Konfliktfall sein Recht vor Gericht erstreiten kann?
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• wenn der Staat Forschung und Innovation fördert, weil der Markt versagt, wenn es um langfristige Grundlagenforschung geht, die von einzelnen Unternehmen ohne staatliche Anstöße gar nicht oder nur mit hohem Risiko geleistet werden kann?
• wenn der Bund für Leittechniken wie die Nanotechnik jährlich 200 Millionen Euro zur Verfügung stellt?
• wenn der Bund mit besonderen Stipendien Hochbegabte fördert?
• wenn die Gemeinden Bebauungs-‐pläne erarbeiten und Reisepässe ausgeben?
An diesen Beispielen sieht man, dass die Eingangsformulierung »vom Staat für seine Zwecke« ziemlich unsinnig ist. Die meisten Leistungen, die Bund, Länder, Gemeinden und andere öffent-‐liche Einrichtungen erbringen, brau-‐chen wir genauso wie Brot, Gemüse, Bier, das Auto, Computer oder Kleider. Jedenfalls steckt hinter der Staatsquote kein Klumpen Geld, der irgendwo im Nichts versenkt wird. Genau diese Vor-‐stellung wird aber von vielen genährt, die heute ihre Stimme gegen die Staatsquote erheben. (Auszug aus Albrecht Müller, „Die Reform-
lüge – 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutsch-
land ruinieren“)
Staatsausgaben – wer finanziert, wer profitiert?Nicht nur in Deutschland ist der Staat jetzt wieder gefordert: er muss „Ret-‐tungsschirme“ für das Bankensystem aufspannen und Konjunkturprogram-‐me auflegen, um den Absturz des Un-‐ternehmenssektors abzumildern.
Als Nebeneffekt erhofft man sich, dass die Arbeitslosigkeit nicht allzu stark ansteigt und die Lohnabhängigen nicht anfangen, sich zu empören.
Allerdings müssen die diversen Ret-‐tungs-‐ und Konjunkturpakete auch
bezahlt werden. Im Moment ist dies nicht anders möglich als durch eine vermehrte staatliche Kreditaufnahme.
Da die Staaten als erstklassiger Schuldner gelten und angesichts des Bankendesasters Sicherheit groß ge-‐schrieben wird, haben sie bei der Kre-‐ditaufnahme auch keine Probleme:
Nicht zuletzt ist jenes oberste Zehntel der Bevölkerung, bei dem sich (nicht nur in Deutschland) ein Großteil der Einkommen und Vermögen konzen-‐
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triert, gerne bereit dem Staat gegen Zinsen jenes Geld zu leihen, das ihm aufgrund jahrelanger Steuersenkungen in erheblichem Ausmaß zugeflossen ist.
(Editorial der Zeitschrift PROKLA 154, März 2009)
Investitionen in Bildung Die Defizite, die es im Bildungsbereich gibt, sind gut dokumentiert ... Konkret passiert allerdings wenig. Zuletzt ist der Bildungsgipfel der Bundesregie-‐rung im Herbst 2008 mit vielen prinzi-‐piellen Aussagen zur Bedeutung der Bildung und keinen konkreten Verab-‐redungen zur Verbesserung der Situa-‐tion zu Ende gegangen.
Die Arbeitsgruppe Alternative Wirt-‐schaftspolitik fordert eine Erhöhung der Bildungsausgaben von 30 Milliar-‐den Euro jährlich. Die Ausgaben be-‐treffen vor allem zusätzliche Personal-‐ausgaben. Sie verteilen sich wie folgt:
Kindertagesstätten: 12 Milliarden Euro
Damit soll eine Ausweitung der früh-‐kindlichen Betreuung für unter Drei-‐jährige, eine Ausweitung der Ganzta-‐gesbetreuung für Drei-‐ bis Sechsjähri-‐ge, eine Verbesserung des Personal-‐schlüssels und eine bessere Qualifizie-‐rung des Personals (mehr Beschäftigte mit Hochschulabschluss) erreicht wer-‐den.
Außerdem dient das Geld für bauliche Erweiterungsmaßnahmen für mehr Plätze in Kindertagesstätten.
Allgemeinbildende Schulen: 4 Milli-arden Euro
Darin enthalten sind vor allem die Ausweitung von Ganztagsschulplätzen, außerdem eine intensivierte Weiter-‐bildung der Beschäftigten und die öf-‐fentliche Finanzierung von Unter-‐richtshilfen und Materialien (Lernmit-‐telfreiheit). Nicht quantifiziert sind Veränderungen der Schulstruktur wie beispielsweise die vermehrte Einfüh-‐rung von Integrierten Gesamtschulen.
Berufsausbildung: 0,5 Milliarden Euro
Finanziert werden soll die Ausweitung vollzeitschulischer Ausbildungsplätze. Zur Finanzierung bietet sich hier die Einführung einer Ausbildungsplatzab-‐gabe an.
Hochschulen: 6 Milliarden Euro
Die Beseitigung der Unterfinanzierung und der Ausbau der Hochschulen für eine höhere Studierendenquote sind in der Berechnung berücksichtigt. Dazu gehören die Aufstockung des Personals und bauliche Maßnahmen. Außerdem werden die BAföG-‐Leistungen verbes-‐sert. Studiengebühren zur Finanzie-‐rung lehnt die Arbeitsgruppe Alterna-‐tive Wirtschaftspolitik strikt ab.
Weiterbildung: 7,5 Milliarden Euro
Schwerpunkt ist die Ausweitung der Weiterbildung für Arbeitslose. Damit gehört dieser Posten zu einem erhebli-‐chen Teil zu den Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
(Auszug aus dem Bildungspolitik-Kapitel des Memorandum 2009, PapyRossa-Verlag)
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Diskurs 4.3: Schulden- und Zukunftsbremse oder …?Bekommen wir die Verschuldung überhaupt noch in den Griff? Viele Menschen sind angesichts der wachsenden Staatsverschuldung in Sorge und fragen, ob es überhaupt noch einmal möglich sein wird, diese Schulden abzubauen.
Diese Sorgen sollte man ernst nehmen, auch dann, wenn das Thema erkenn-‐bar benutzt wird, um politische Ent-‐scheidungen gegen die Interessen der Mehrheit zu begründen -‐ etwa um eine Mehrwertsteuererhöhung auf 25 % durchzudrücken oder den Abbau so-‐zialer Leistungen fortzusetzen. Ich will
versuchen, einige eher zuversichtliche Antworten zum gesamten Fragenkom-‐plex zu geben.
Ist es überhaupt möglich, die Schul-den wieder abzubauen?
Leicht ist das nicht, aber es ist möglich, wenn richtige wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen werden. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung des Staatsschuldenstandes im Verhält-‐nis zum Bruttoinlandsprodukt in eini-‐gen Ländern zwischen 1991 und 2003 (sie stammt aus dem Buch „Reformlü-‐ge“)
Staatsschuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt
Quelle: OECD (Hrsg.): Economic Outlook 2003, Paris 2003, S. 227. Für die Werte des Jahres 2003 OECD (Hrsg.): Economic Outlook 2004, Volume 2, Paris 2004, S. 234.
In Belgien wurde in dieser Zeit der Staatsschuldenstand von maximal 138 auf 104 heruntergefahren; in Däne-‐mark von 90,1 auf 49,5; in Großbritan-‐nien von 60,6 auf 42, in Finnland von maximal 66,5 im Jahr 1996 auf 47,2 im Jahr 2002; in Schweden von 84,6 im Jahre 1996 auf 59,7 im Jahre 2002; auch in den USA von 75,6 auf 62,5. In anderen Ländern stieg der Schul-‐denstand, in Japan, in Frankreich und in Deutschland.
Inzwischen sieht unter dem Eindruck einer anderen Politik wie in den USA mit George Bush zum Beispiel oder unter dem Eindruck der Finanzkrise und der deshalb unternommenen Ret-‐tungsaktionen die Welt anders aus. Der Staatsschuldenstand steigt. Das ändert aber nichts an der Tatsache,
dass man politische Gestaltungsmög-‐lichkeiten hat.
Ob der Abbau von Staatsschulden ge-‐lingt, hängt zentral von der wirtschaft-‐lichen Entwicklung ab -‐ und dann auch noch von der Steuerpolitik und der Ausgabenpolitik
In Schweden, in den USA, in Großbri-‐tannien folgte die Verringerung der Staatsschulden in den neunziger Jah-‐ren erkennbar auf eine bewusst her-‐beigeführte ökonomische Erholung.
In Schweden, in den USA, in Großbri-‐tannien, in den Niederlanden war der Abbau des Staatsschuldenstandes im Verhältnis zum BIP vor allem deshalb möglich, weil diese Volkswirtschaften unter dem Eindruck einer expansiven Geld-‐ und Wirtschaftspolitik mehrere
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Jahre lang hohe Wachstumsraten um die 4 % herum erreicht haben.
Selbst die kleine Verbesserung der Lage in Deutschland zwischen 1998 und dem Jahr 2001 -‐ von 63,2 auf 60,2 – war eng korreliert mit dem damali-‐gen kleinen Aufschwung. Und genauso war der Anstieg der Verschuldung danach eng verbunden mit dem Ab-‐bruch der konjunkturellen Entwick-‐lung zwischen 2002 und 2005. Auf diesen Widersinn, dass nämlich die Sparpolitik des Hans Eichel genau das Gegenteil bewirkte, haben wir in den NachDenkSeiten auf der Basis einer Grafik aus „Machtwahn“ schon mehr-‐mals hingewiesen.
Die Darstellung der Abläufe und der Ursachen der Verschuldung in der öf-‐fentlichen Debatte ist oft lückenhaft und teilweise irreführend:
So wird in vielen Darstellungen der Hinweis auf die Bedeutung der deut-‐schen Vereinigung weggelassen, oder es wird schlicht „vergessen“, welche negative Wirkung die Steuersenkun-‐gen der Regierung Schröder für hohe Einkommen und Unternehmen für den Stand der Staatsverschuldung hatten. Heute wird oft gar nicht erwähnt, wel-‐che Wirkung die Rettungsschirme und die dafür bereitgestellten Milliarden auf den Schuldenstand haben. Da ist viel davon die Rede, dass die Finanz-‐krise und die Wirtschaftskrise und die Konjunkturprogramme und die Zu-‐schüsse zur Sozialversicherung eine höhere Verschuldung verursachen würden, dass auch die Zahlungen an die IKB, an die HRE, die Commerzbank und einige Landesbanken ihre Spuren im Schuldenstand hinterlassen haben, wird aus durchsichtigen Gründen „ge-‐schlabbert“.
In der Frankfurter Rundschau erschien ein Beitrag mit dem Titel „Kabinett beschließt den Schuldenrekord“ (24.6.09). In diesem Beitrag wurde mit Recht die Frage nach der politischen Gestaltungsmöglichkeit gestellt und dann auf Wolfgang Streeck, den Direk-‐tor am Max-‐Planck-‐Institut für Gesell-‐schaftsforschung hingewiesen. Schon vor der Finanzkrise seien der Politik durch die „ererbten Verpflichtungen“
die Hände gebunden gewesen. So kön-‐ne eine Regierung kaum die Kosten für den Schuldendienst, die Zuschüsse zur Sozialversicherung (vor allem Rente) und andere Sozialbudgets beeinflus-‐sen. Weiter hieß es: Rechne man diese der politischen Gestaltung praktisch entzogenen Ausgaben zusammen, so habe die sozial-‐liberale Koalition 1970 rund 43 % des Bundeshaushaltes für selbst gewählte Ausgaben zur Verfü-‐gung gehabt. Beim rot-‐grünen Bündnis sei dieser Anteil bis 2005 auf unter 19 % gesunken.
In dieser Darstellung ist leider einiges Wichtige nicht erwähnt:
Die Regierung Schröder hat ihren Ge-‐staltungsspielraum selbst eingeengt durch eine der größten Steuerrefor-‐men zu Gunsten der höheren Einkom-‐men, Vermögen und vor allem der Un-‐ternehmen. Sie hat die Körperschafts-‐teuer massiv reduziert, die Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen steuerfrei gestellt usw.
Außerdem hat auch die Regierung Schröder wie vorher schon die Regie-‐rung Kohl in den Jahren 1992 und 93 die Konjunktur in den Keller gefahren, damit die Steuereinnahmen weiter reduziert und vor allem den Zuschuss-‐bedarf für die sozialen Sicherungssy-‐steme erhöht. Bei Streeck -‐ jedenfalls nach Frankfurter Rundschau -‐ wird auch die Reduzierung des Gestaltungs-‐raums und die Erhöhung der Staats-‐verschuldung durch die Art der Verei-‐nigung beider Teile Deutschlands nicht erwähnt.
Konsolidierung über Steuererhö-hungen und wie?
Zurzeit wird von verschiedenen Seiten, unter anderem schon zum wiederhol-‐ten Male vom Präsidenten des Deut-‐schen Instituts für Wirtschaftsfor-‐schung Klaus Zimmermann die Erhö-‐hung der Mehrwertsteuer auf 25 % als Maßnahme zur Konsolidierung ins Gespräch gebracht.
Das wäre aus vielerlei Gründen heute und auf absehbare Zeit der falsche Weg.
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Es wäre wie schon die letzte Mehr-‐wertsteuererhöhung ein Beitrag zur Dämpfung der ohnehin schwachen Konjunktur; es würden vor allem die schwächeren Einkommen mehr bela-‐stet.
Dass solche Vorschläge parallel zu Vorschlägen zur Steuersenkung im Bereich der Einkommen zur Sprache kommen, ist sachlich nicht zu verste-‐hen. (Albrecht Müller, www.nachdenkseiten.de)
Liste der sinnvollen Möglichkeiten zur Einnahmeverbesserung Im Kern geht es darum, dass mit der Steuerpolitik versucht werden muss, diejenigen zur Finanzierung der Fol-‐gen der Finanzkrise heranzuziehen, die sie mitverursacht haben, und je-‐denfalls dafür zu sorgen, dass die star-‐ken Schultern die Hauptlast tragen. Dabei wird man in Kauf nehmen müs-‐sen, dass unter jenen mit den starken Schultern auch solche Zeitgenossen sind, die den Casinobetrieb nicht für Spekulationen zum eigenen Vorteil genutzt haben. Es geht auf jeden Fall nicht an, dass die Last der Finanzkrise, wie mit der Mehrwertsteuererhöhung beabsichtigt, vor allem den Schwäche-‐ren aufgeladen wird.
Anders als es bei der Union und der FDP diskutiert wird und Rot-‐Grün es in der Vergangenheit praktiziert hat, wird eine solche Steuerpolitik auch bei den direkten Steuern ansetzen müs-‐sen. Parallel zum notwendigen Ver-‐such, die direkten Steuern anzuheben, ist es notwendig, mit der Schließung der Steueroasen wirklich ernst zu ma-‐chen.
Was ist möglich:
1. Erhöhung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer auf über 50 %. Das können beispielsweise 53 % sein oder auch 56 %, wie die SPD früher einmal vorgesehen hat.
2. Wiedereinführung der Vermögens-‐steuer, die in der Zeit der Regierung Kohl abgeschafft worden ist.
3. Wiedereinführung der Gewerbeka-‐pitalsteuer, die ebenfalls in der Regie-‐rungszeit von Helmut Kohl abgeschafft wurde.
4. Erhöhung der Körperschaftssteuer.
5. Streichung der Steuerfreiheit für Gewinne beim Verkauf von Unterneh-‐men und Unternehmensteilen.
6. Aufhebung der Steuerfreiheit im Bereich der Finanzdienstleistungen.
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7. Wirksame Erbschaftsbesteuerung statt der weiteren Lockerung.
8. Wiedereinführung der Börsensatz-‐steuer.
9. Angleichung der Steuersätze für Zins-‐ und Vermögenseinkünfte an die Steuersätze der Einkommensteuer. (Siehe 1.)
Man muss die Möglichkeit zur Umset-‐zung dieser Vorschläge nüchtern be-‐trachten und auch die Widerstände richtig einschätzen. Wir sind in der öffentlichen Debatte zurzeit weit ent-‐fernt davon, solche selbstverständli-‐chen Vorschläge überhaupt in Erwä-‐gung zu ziehen. Das kann man bei-‐spielhaft daran zeigen, dass der selbst-‐verständlichste Vorschlag, die Strei-‐chung der Steuerfreiheit der Heu-‐schrecken (siehe 5.) von den Offiziel-‐len bisher nicht einmal in Erwägung gezogen wird, selbst die SPD, die zur-‐zeit so tut, als hätte sie ihr Herz für soziale Gerechtigkeit wieder entdeckt und propagandistisch auch gegen Heu-‐schrecken zu Felde zieht, hat bisher ihrem Finanzminister noch nicht ver-‐mittelt, dass sie die Streichung dieser Steuerfreiheit verlangt. ... Für die Strei-‐chung der Steuerfreiheit sprechen nicht nur die Verbesserung der Ein-‐nahmensituation, sondern auch der Flurschaden, den diese Steuerbefrei-‐ung angerichtet hat und immer wieder anrichtet. (Albrecht Müller, www.nachdenkseiten.de)
ver.di: Antikrisenpolitik und Profiteure zur Kasse ver.di fordert einen grundlegenden Politikwechsel. Wir wollen einen akti-‐ven Sozialstaat, der die öffentliche Da-‐seinsvorsorge in öffentlicher Verant-‐wortung und auch in öffentlichem Ei-‐gentum im Interesse der Bürgerinnen und Bürger wieder ausbaut und für alle gut und professionell organisiert. Das erfordert eine dauerhafte Erhö-‐hung öffentlicher Investitionen und öffentlicher Beschäftigung.
Gegen die Krise fordert ver.di ein drit-‐tes Konjunkturpaket im Umfang von 100 Milliarden Euro jährlich zunächst bis 2011. 75 Milliarden zusätzliche
öffentliche Ausgaben für Investitionen und Personal, 25 Milliarden für ein arbeitsmarktpolitisches Sofortpro-‐gramm. Danach sollen jährlich 50 Mil-‐liarden Euro dauerhaft für Arbeit, Bil-‐dung und Umwelt investiert werden. Mit diesem Antikrisenprogramm kön-‐nen zwei Millionen tarifgebundene Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden.
Um mehr Sozialstaat finanzieren zu können, sind dauerhaft Mehreinnah-‐men der öffentlichen Haushalte erfor-‐derlich. Steuersenkungen im Bereich der unteren und mittleren Einkommen müssen mehr als ausgeglichen werden durch einen höheren Beitrag der Rei-‐chen. ver.di hat dazu das Konzept Steuergerechtigkeit entwickelt, mit dem 75 Milliarden Euro im Jahr zusätz-‐lich eingenommen werden können.
Dazu muss die Vermögensteuer wieder eingeführt und die Steuer auf große Erbschaften erhöht sowie der Höchst-‐steuersatz auf hohe Einkommen auf 50 Prozent angehoben werden. Die Un-‐ternehmensgewinne sind durch die Wiederanhebung des Körperschafts-‐teuersatzes auf 25 Prozent und die Verbreiterung der Bemessungsgrund-‐lage verstärkt heranzuziehen. Außer-‐dem ist eine Besteuerung von Finanz-‐geschäften und verstärkter Kampf ge-‐gen Steuerhinterziehung notwendig. (ver.di: Wirtschaftspolitische Informationen
2/2009)
Eigentum verpflichtet Art. 14 (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.
Art. 15 „Grund und Boden, Naturschät-‐ze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung ... in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt wer-‐den.“
(Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland)
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Gewerkschaftliche Eckpunkte der Steuerpolitik 1. Die schwerste Finanz-‐ und Wirt-‐schaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik zwingt den Staat die Konjunktur zu stabilisieren und die Banken zu retten. Die Rettungsaktio-‐nen und die verringerten Steuerein-‐nahmen lassen die Staatsverschuldung deutlich ansteigen. Die deutschen Ge-‐werkschaften werden nicht akzeptie-‐ren, dass diese Zeche von den Arbeit-‐nehmerinnen und Arbeitnehmern be-‐zahlt wird. Stattdessen müssen die Verursacher für die Kosten aufkom-‐men.
2. Vor dem Hintergrund der Krisenbe-‐wältigung und der daraus steigenden Staatsverschuldung sowie hoher öf-‐fentlicher Investitionsbedarfe brau-‐chen wir neben einer Stärkung der binnenwirtschaftlichen Wachstums-‐kräfte zukünftig höhere Staatseinnah-‐men. Wer einer weiteren Verminde-‐rung der Staatseinnahmen durch all-‐gemeine Steuersenkungen das Wort redet, beschneidet die staatliche Hand-‐lungsfähigkeit und legt die Axt an den Sozialstaat.
3. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-‐nen sind die Lastesel der Nation. Diese Leistungsträger haben die höchste Steuer-‐ und Abgabenbelastung. Zur Stärkung des privaten Verbrauchs be-‐darf es einer steuerlichen Entlastung durch die Einführung eines linear pro-‐gressiven Tarifs in der Lohn-‐ und Ein-‐kommensteuer. Darüber hinaus sollte der kalten Progression über eine re-‐gelmäßige Anpassung des Tarifverlau-‐fes an die Lohnentwicklung entgegen-‐gewirkt werden.
4. Die Finanzierungsbasis des Staates wurde vor der Krise immer weiter ausgetrocknet. Die deutsche Steuer-‐ und Abgabenquote liegt inzwischen mit 36,2% unter dem Durchschnitt der OECD-‐Staaten. Aufgrund der unzurei-‐chenden finanziellen Ausstattung von Bund, Ländern und Kommunen wer-‐den zentrale öffentliche Zukunftsinve-‐stitionen nicht mehr getätigt. Dies gilt insbesondere für Bildung, das Gesund-‐heitswesen sowie die Erhaltung und ökologische Modernisierung der Infra-‐
struktur unseres Landes, insbesondere der Verkehrsinfrastruktur.
5. Wer die staatliche Finanzierungsba-‐sis verbreitern will, muss dies sozial gerecht tun. Deswegen sagen wir nein zu einer Erhöhung der Mehrwertsteu-‐er. Diese belastet überproportional die Bezieher unterer und mittlerer Ein-‐kommen, da sie im Vergleich zu den Besserverdienenden über eine hohe Konsumquote verfügen.
6. Hohe Einkommen, Kapitalerträge und Vermögen müssen aus gewerk-‐schaftlicher Sicht zukünftig einen grö-‐ßeren Beitrag zur Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben leisten. Dies erfordert einen höheren Spitzensteuersatz, höhere Gewinn-‐steuern und eine angemessene Be-‐steuerung von Vermögen und Erb-‐schaften.
7. Die Verursacher der Krise müssen einen besonderen Beitrag zur Bewälti-‐gung der Krisenlasten erbringen. Wir brauchen einen Lastenausgleich in Form einer befristeten Vermögensab-‐gabe und eine möglichst europaweit abgestimmte Börsenumsatzsteuer. (Beschluss des DGB-Bundesvorstands, 2009)
Der Finanzierungs-Mix des Sozialstaates In diesem Sinne wird der demokrati-‐sche Sozialstaat, im Unterschied zur derzeit praktizierten Besteuerung, die unterschiedlichen Faktoreinkommen gleich behandeln und damit den Zu-‐stand „bevorzugter“ Belastung der Einkommen aus abhängiger Beschäfti-‐gung revidieren; er wird die Zone pro-‐gressiver Besteuerung aus dem Be-‐reich der mittleren in den Bereich der überdurchschnittlich hohen Einkom-‐men verschieben und so höhere Ein-‐kommen stärker belasten als bisher; Vermögen wird er besteuern, da selbstverständlich auch Vermögen die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichti-‐gen mitbestimmen; schließlich wird er die intergenerationelle Weitergabe von Vermögen an Erben durch eine höhere Erbschaftssteuer begrenzen.
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Sollte im Zeitalter der Globalisierung der deutsche Staat zu diesen steuerpo-‐litischen Reformen nicht (mehr) die notwendige Souveränität besitzen und die Besteuerung gemäß der Leistungs-‐fähigkeit gegenüber den einkommens-‐ und vermögensstarken Marktakteuren mit „exit“-‐Optionen nicht durchsetzen können, so muss und kann er diese Souveränität auf dem Weg inter-‐ und supranationaler Kooperationen zu-‐rückgewinnen. (Dr. Stephan Lessenich, Dr. Matthias Möh-ring-Hesse: Ein neues Leitbild für den Sozi-alstaat. Eine Expertise im Auftrag der Otto
Brenner Stiftung, 2004)
Steuern statt Schulden Angesichts des Rekorddefizits im Staatshaushalt lautet die Frage nicht, ob es höhere Steuern geben muss, sondern nur, wann diese kommen werden. Denn wer heute auf Steuern verzichtet und sich lieber verschuldet, ist morgen gezwungen, noch mehr Steuern einzutreiben, um die Verbind-‐lichkeiten samt Zinsen zurückzuzah-‐len.
Das Verschieben von Steuerlasten auf kommende Generationen wäre ge-‐rechtfertigt, wenn die Belastung der heute Lebenden zu einer Vertiefung der Krise führen und damit auch die kommenden Generationen negativ
treffen würde. Bei Massensteuern wä-‐re dies der Fall, denn sie haben sowohl einen negativen Konjunktureffekt als auch einen negativen Verteilungsef-‐fekt. Massensteuern würgen die Kon-‐junktur ab, weil sie die Massenkauf-‐kraft und Inlandsnachfrage schwä-‐chen: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre das der sichere Weg in die zwei-‐stellige Rezession.
Der negative Verteilungseffekt rührt daher, dass die unteren und mittleren Einkommensschichten ihr Einkommen großteils ausgeben müssen und dabei von der Mehrwertsteuer getroffen werden. Die oberen Schichten können es sich hingegen leisten, einen größe-‐ren Teil ihres Einkommens zu sparen, entgehen damit der Mehrwertsteuer und erhalten stattdessen eine Vermö-‐gensrente: Die Kluft zwischen Arm/Mittelstand und Reich wächst.
(Christian Felber, taz, 13.07.09)
Wirtschaftsweiser Bofinger: Die Staatsquote heben In Deutschland war die Staatsquote (also die Staatsausgaben in Relation zur Wirtschaftsleistung) im Jahr 1999 mit 48,2 Prozent genauso hoch wie im Durchschnitt des Euroraums (ohne Deutschland). Im Jahr 2008 lag diese Größe in Deutschland bei nur noch
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43,9 Prozent, im Rest des Euroraums waren es durchschnittlich immerhin 47,3 Prozent.
Wenn sich Deutschland an der in sei-‐nen Nachbarländern vorherrschenden Staatsquote orientieren würde, stün-‐den dem Staat heute jährlich rund 85 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Dass die mit der Entstaatlichung frei werdenden Mittel vor allem zur steu-‐erlichen Entlastung höherer Einkom-‐men und von Kapitalgesellschaften eingesetzt wurden, war ebenfalls Aus-‐druck einer ausgeprägten Marktgläu-‐bigkeit, wonach Menschen nur dann bereit sind, eine gute Leistung zu erbringen, wenn sie dafür sehr viel Geld bekommen.
(Peter Bofinger: Neue Balance von Staat und Markt, Frankfurter Rundschau,
06.04.09)
Eingriffe in ökonomische Machtstrukturen Nach jeder Krise erhöht sich die Soc-‐kel-‐ bzw. Langzeitarbeitslosigkeit in allen Industriestaaten. Der enorme Produktivitätsfortschritt im Rahmen der Dritten Industriellen Revolution lässt sich beschäftigungspolitisch lang-‐fristig nur mit weiterer Arbeitszeitver-‐kürzung auffangen. Die „Leistungs-‐ und Arbeitszeitpolitische Initiative“ der IG Metall greift diesen Gedanken auf.
Dies alles setzt Eingriffe in die ökono-‐mischen Machtstrukturen voraus. Oh-‐ne Begrenzung der Macht des Kapitals ist jede grundlegende Wirtschaftsre-‐formpolitik zum Scheitern verurteilt. Deshalb wird die Demokratisierung der Wirtschaft zu einem zentralen Be-‐standteil einer solchen Politik.
Wirtschaftdemokratische Reformen sollten sich an den entscheidenden Funktionsdefiziten gewinnorientierter Marktsteuerung orientieren. Hier sind drei Eingriffsebenen zu nennen, auf die sich Reformen für eine Neuordnung ökonomischer Entscheidungsverhält-‐nisse richten:
1. Die ausschließliche Profitorientie-‐rung des shareholder-‐value der Unter-‐nehmen muss durch gesellschaftliche,
an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientierte Ziele abgelöst werden; es bedarf einer Ausweitung der Mitbe-‐stimmung in Betrieben und Unter-‐nehmen.
2. Um die ausschließliche Marktsteue-‐rung des Wirtschaftsprozesses einzu-‐grenzen, bedarf es überbetrieblicher Mitbestimmungsformen und staatli-‐cher Gesetzgebung bis zu gesellschaft-‐licher Rahmenplanung.
3. Um die ausschließlich auf privatem Kapitaleigentum beruhende ökonomi-‐sche Macht zu begrenzen, kann auch die Vergesellschaftung von Unterneh-‐men und Krisenbranchen sinnvoll sein.
(Harald Kolbe: Wirtschaftskrise und ge-werkschaftliche Antworten, IG Metall Bezirk
Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Salzgitter, 2009)
ver.di und attac: Die Solidarische Einfachsteuer (SES) Ein Ziel der SES ist die Vereinfachung des Steuerrechts. Schlupflöcher im Unternehmens-‐ und Kapitalbereich sollen beseitigt, die Anzahl der Ein-‐kunftsarten sollen von sieben auf vier reduziert und Steuergestaltungsmög-‐lichkeiten verringert werden. Darüber hinaus wird eine gleichmäßige Be-‐steuerung aller Einkünfte angestrebt.
Auch wenn die Solidarische Einfach-‐steuer die Vereinfachung des Steuer-‐rechts mit der Solidarität gleichberech-‐tigt im Namen trägt, so ist doch das Hauptanliegen der SES, eine sozial ausgewogene und dem Gedanken der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit verpflichtete Einnahmeerhebung der öffentlichen Hand sicherzustellen.
In Bezug auf die Besteuerung von Un-‐ternehmen strebt die SES eine ange-‐messene Erfassung aller in Deutsch-‐land erwirtschafteten Gewinne an. Um dies zu erreichen, wird unter anderem vorgeschlagen, Gewinn-‐ und Verlust-‐verrechungsmöglichkeiten zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen einzuschränken und erhöhte degressi-‐ve Abschreibungen, die auf keiner tat-‐sächlichen Wertminderung beruhen, abzuschaffen.
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Für Kapitalgesellschaften wie Aktien-‐gesellschaften und GmbHs – diese zah-‐len bekanntlich keine Einkommens-‐, sondern Körperschaftsteuer – ist vor-‐gesehen, vom seit dem Jahr 2001 prak-‐tizierten Halbeinkünfte -‐ wieder zum Vollanrechnungsverfahren zurückzu-‐kehren. Im Rahmen des Halbeinkünf-‐teverfahrens wird gegenwärtig ein Körperschaftssteuersatz von 25 Pro-‐zent gezahlt.
Schüttet die Kapitalgesellschaft ihre Gewinne an die Anteilseignerinnen und Anteilseigner aus, dann werden diese Einnahmen bei ihnen zur Hälfte als Einkünfte erfasst und in die Ein-‐kommensbesteuerung einbezogen.
Käme das Vollanrechnungsverfahren gemäß der SES wieder zur Anwen-‐dung, dann würde der Gewinn einer Kapitalgesellschaft mit 30 Prozent Körperschaftsteuer belastet.
Im Falle einer Gewinnausschüttung wäre die bereits gezahlte Körper-‐schaftsteuer anzurechnen; der Emp-‐fänger der Ausschüttung müsste im Falle eines Einkommensteuersatzes über 30 Prozent zusätzliche Steuern zahlen.
Einkünfte aus Vermietung und Ver-‐pachtung, die durch Begünstigungen in der Summe für die öffentliche Hand erhebliche Einnahmeverluste (!) brin-‐gen, sollen im Konzept der SES wie Unternehmenseinkünfte besteuert werden. Damit wird sichergestellt, dass Immobilien-‐Besitz nicht mehr als Steuersparmodell benutzt werden kann.
Auch Einkünfte aus Kapitalvermögen, d.h. Zinsen, Dividenden und Veräuße-‐rungsgewinne, sollen effektiver erfasst werden. Dazu sieht die SES vor, das steuerliche Bankgeheimnis zu strei-‐chen, um so der in diesem Bereich der-‐zeit möglichen weitgehend risikolosen Steuerhinterziehung einen Riegel vor-‐zuschieben.
Für die Besteuerung von Arbeitneh-‐mereinkünften sieht die SES vor, die (begrenzte) Steuerfreiheit der Entgelt-‐zuschläge für Sonn-‐ und Feiertags-‐ sowie Nacht-‐ und Schichtarbeit beizu-‐behalten; stellt diese Regelung doch
einen Ausgleich für schwere und oft gesundheitsschädliche Arbeitsbedin-‐gungen dar. Die häufig zu hörende Forderung, die Steuerfreiheit für die genannten Tatbestände abzuschaffen, würde bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu zum Teil erheb-‐lichen Nettoeinkommensverlusten führen.
Der Tarif der Einkommensteuer bleibt im Rahmen der SES ein linearprogres-‐siver. Es wird ein Grundfreibetrag von 8.000 Euro eingeräumt.
Der Eingangssteuersatz beträgt 15 Prozent, danach steigt der Steuersatz linear bis zu einem Spitzenwert von 45 Prozent. Der Spitzensteuersatz ist ab einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 60.000 Euro fällig.
Der Steuertarif der Einkommensteuer in der SES-‐Konzeption verzichtet da-‐mit auf eine weitere Senkung des Spit-‐zensteuersatzes – bekanntlich soll letz-‐terer im Jahr 2005 auf 42 Prozent sin-‐ken, was dem Fiskus Einnahmeverlu-‐ste in Höhe von 2 bis 3 Milliarden Euro bringen wird. Insgesamt konzentriert sich die tarifliche Entlastung im Rah-‐men der SES-‐Einkommensteuer auf die unteren und mittleren Einkommen, da der Grenzsteuersatz – also der Steuer-‐betrag, der für jeden zusätzlich ver-‐dienten Euro zu zahlen ist – langsamer steigt als im Konzept der Bundesregie-‐rung: Der Grenzsteuersatz liegt für ein zu versteuerndes Einkommen von 13.700 Euro nach dem im Jahr 2005 geltenden Steuertarif bei 24 Prozent, während er im Rahmen der SES nur 18 Prozent beträgt!
Die SES sieht damit – ganz im Gegen-‐satz zur praktizierten rot-‐grünen Steu-‐erpolitik und zu den Steuerreformvor-‐schlägen von Merz, Kirchhoff und Co. – in Bezug auf die Einkommensteuer eine Umverteilung von oben nach un-‐ten vor.
Dies macht nicht nur aus verteilungs-‐politischer, sondern auch aus gesamt-‐wirtschaftlicher Perspektive Sinn: Denn je höher das Einkommen eines privaten Haushaltes, desto höher ist der Anteil, der gespart wird.
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... Die Solidarische Einfachsteuer hätte ein Steuermehraufkommen in Höhe von 17,1 Milliarden Euro zum Ergeb-‐nis. Zusammen mit einer moderaten Erhöhung der Erbschaftsteuer und der Widererhebung der Vermögensteuer könnte sich die öffentliche Hand so
Mehreinnahmen in Höhe von gut 37 Milliarden Euro verschaffen und drin-‐gend notwendige Ausgaben in den Bereichen öffentliche Infrastruktur sowie Bildung und Erziehung tätigen... (Quelle: Übersicht von Kai Eicker-Wolf DGB,
Bezirk Hessen-Thüringen)
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Thema 5: Treffen zum Abschluss und für die Fortsetzung Die TeilnehmerInnen werden ca. 4 Wochen später noch einmal eingela-‐den. Wir reflektieren die Erfahrungen und Erkenntnisse und klären, ob und mit welchen Themen wir die Diskursreihe fortsetzen wollen. Den ersten Diskurs beginnen wir gleich mit einem konsequenten Einstieg in ein Feedback:
• So ganz spontan , was war gut und was hat mir nicht gefallen?
Dabei geht es neben einer Seminarkritik auch um die Erkenntnis der Teil-‐nehmer, welche Diskurse ihnen besonders wichtig waren, wo und wie sie sich persönlich weiter entwickeln konnten. Jede/r sollte für sich die Fra-‐gen beantworten können:
• Was mir wichtig war und was ich gelernt habe. • Wo ich mich heute argumentationssicherer fühle.
Im zweiten Diskurs wollen wir uns auf weitere wichtige Themen und die Fortsetzung der Diskursreihe verständigen. Hierzu bearbeiten wir den Themenspeicher als (bisheriger) Fundus für Themen, die uns wichtig wa-‐ren, aber zunächst auf der Strecke blieben. Im dritten Diskurs verschaffen wir uns einen Überblick über mögliche Themen und setzen gemeinsam Prioritäten. Abschließend klären wir kon-‐kret weitere organisatorische Planungsschritte:
• Welche Themen wollen wir weiter bearbeiten? • Wann und wie wollen wir uns mit diesen Themen
beschäftigen? Ziel dieses fünften Themas ist es, die gemeinsame Bildungsarbeit nicht abreißen zu lassen und möglichst in regelmäßige Bildungstreffen überzu-‐leiten. Denn es gibt viele Themen, unzählige Anlässe und eine Menge Erkenntnis-‐gewinn, der auf uns wartet ...
Zeit
05
05
10
20
(40)
05
15
Material
M80
Methoden
Team
-‐Moderation / Notizen auf Karten
TN-‐Einzelarbeit für Notizen
TN-‐Präsentation ihrer Antworten
Team
-‐Moderation
Team
präsentiert den Them
enspeicher
TN diskutieren, begründen mit Nachba-‐
rIn ihre Themen auf Karten/Wandtafel
Inhalte
Disk
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e Einstiegsfrage zum Aufwärmen:
„So ganz spontan, was war gut und was
hat m
ir nicht gefallen?
Frage: Was war mir (besonders) wichtig?
Wo bin ich heute argumentationssiche-
rer?
Diskussion: Zusam
menfassung von Er-
fahrungen und Erkenntnissen aus der
Diskursreihe
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n Der Them
enspeicher ist der (bisherige)
Fundus für Themen (die uns wichtig
waren, aber auf der Strecke blieben)
Beratung der Themensammlung und
Ergänzungen.
TN beraten mit NachbarIn, was ihnen
wichtig ist.
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Ziele
Wir haben die Diskursreihe und persön-‐
liche Einschätzungen noch mal rückblic-‐
kend reflektiert und dam
it auch eine
Feedback-‐Praxis eingeführt.
Wir haben uns auf weitere wichtige
Them
en und die Fortsetzung der Dis-
kursreihe verständigt.
Zeit
20
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Material
Methoden
TN–Präsentation
Karten /Wandtafel
Team
-‐Moderation:
Überblick zu den Vorschlägen auf der
Wandtafel
Priorisierung durch Punkten
Team
Flipchart
Inhalte
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kutieren.
TN präsentieren ihre Vorschläge und
begründen sie.
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Wir verschaffen uns jetzt einen Über-‐
blick über die Themen–Vorschläge und
alle TN sind aufgefordert, mit ihren
Punkten zu priorisieren, auf welche
Them
en wir uns konzentrieren sollten.
Team
klärt mit den TeilnehmerInnen
weitere Planungen und Absprachen .
z.B.: Terminplanung ….Werbung ….
Abschluss
Ziele
Pause
Wir haben unsere Them
enliste aufge-‐
stellt und die Prioritäten festgelegt.
Und erste organisatorische Planungs-
schritte verabredet.
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Glossar Antizyklische Konjunkturpolitik: Gegen den Konjunkturverlauf gerichtete
Wirkung wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Im Zuge einer Rezession kön-‐nen entweder die öffentlichen Ausgaben (z.B. öffentliche Investitionen) er-‐höht und/oder die öffentlichen Einnahmen (z.B. Steuern) vermindert wer-‐den, um die im privaten Sektor vorhandene Kaufkraft zu stärken. Eine sol-‐che antizyklische Wirkung ergibt sich bereits aus der Ausgestaltung des deutschen Steuersystems. Das Steueraufkommen geht in Rezessionsphasen stark zurück, während viele Staatsausgaben (z.B. Arbeitslosengeld) in der Rezession ansteigen. Der öffentliche Haushalt wirkt somit automatisch kon-‐junkturstabilisierend.
Bruttoinlandsprodukt: Maß für die gesamte wirtschaftliche Leistung in einem Wirtschaftsgebiet in einer Periode. Weil das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Auskunft über die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Inland nach Abzug der Vorleistungen und Importe gibt, ist es ein Produktionsindi-‐kator. Zur Beurteilung der Wirtschaftsentwicklung eines Landes reicht es nicht, allein das nominale Bruttosozialprodukt zu errechnen, sondern es sind auch die Veränderungen des preisbereinigten, realen Bruttosozialpro-‐dukts in die Betrachtung einzubeziehen, da die ständigen Geldentwertungen Einfluss auf die Preisentwicklung haben und somit zu einem verfälschten Bild führen.
Bruttonationaleinkommen: Das Bruttonationaleinkommen (BNE), früher auch Bruttosozialprodukt (BSP) genannt, stellt die Leistung einer Volkswirtschaft innerhalb einer Rechnungsperiode (meist ein Kalenderjahr) unter Berück-‐sichtigung von Steuern, Subventionen, Abschreibungen, Abgaben u.a. dar. Das Bruttonationaleinkommen gilt als Einkommensindikator einer Volks-‐wirtschaft, weil es die wirtschaftliche Leistung an den Erwerbs-‐ und Vermö-‐genseinkommen misst. Es hängt ferner eng mit dem Volkseinkommen zu-‐sammen; im Gegensatz dazu enthält es aber Abschreibungen und indirekte Steuern.
Bürgerversicherung: Die Bürgerversicherung ist ein Modell zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie geht auf eine Empfehlung der so ge-‐nannten Rürup-‐Kommission zurück. Nach dem Motto "Eine von allen für al-‐le" zahlen bei der Bürgerversicherung nicht nur abhängig Beschäftigte und deren Arbeitgeber, sondern die gesamte Bevölkerung Beiträge in die Sozial-‐versicherung ein, d.h. im Gegensatz zur aktuellen Regelung auch Gutverdie-‐nende, Selbstständige und Beamte. Als Bemessungsgrundlage für den Bei-‐trag sollen grundsätzlich alle sieben Einkunftsarten des Steuerrechts, also auch Unternehmensgewinne oder Kapitalerträge herangezogen werden. Damit würde das Problem behoben, das entsteht, weil besonders die besser Verdienenden aus der gesetzlichen Krankenversicherung in private Versi-‐cherungen wechseln und das Solidaritätsprinzip so in der Praxis ausgehe-‐belt wird.
Föderalismuskommission: Die sogenannte Föderalismuskommission II (die eigentlich die dritte Föderalismuskommission in der BRD ist) hatte 32 stimmberechtigte Mitglieder, jeweils 16 Mitglieder des Bundestags (6 SPD-‐Abgeordnete, 6 CDU, 2 FDP, 1 Grüne, 1 Die Linke) und 16 Mitglieder des Bundesrats (Ministerpräsidenten bzw. Regierende Bürgermeister oder von ihnen beauftragte Minister). Weiterhin gehören der Kommission vier Ver-‐treter der Landtage mit Antrags-‐ und Rederecht (jedoch nicht stimmberech-‐tigt) sowie drei Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände an. Ihre Aufga-‐be war die Modernisierung der Bund-‐Länder-‐Finanzbeziehungen. Die Kom-‐mission hat ihre Arbeit im März 2007 aufgenommen und 2 Jahre später ab-‐
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geschlossen. Ihre Hauptaufgabe war eine Reform des Länderfinanzausglei-‐ches und die Erarbeitung eines Verfahren, um die Verschuldung der öffentli-‐chen Haushalte zu begrenzen – die Schuldenbremse.
Generationenvertrag: Ein gesellschaftlicher Konsens, der die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung sichern soll. Die jeweils sozialversiche-‐rungspflichtigen Erwerbstätigen zahlen mit ihren Beiträgen in die Renten-‐versicherung die Leistungen für die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Generation und erwerben dabei einen Anspruch auf ähnliche Leistungen der nachfolgenden Generationen an sich selbst. Auch andere Instrumente des Sozialstaates, z. B. die gesetzliche Krankenversicherung, beruhen weitge-‐hend auf dem Prinzip eines Generationenvertrages, da die durchschnittli-‐chen Gesundheitsausgaben im Alter deutlich höher und die laufenden Ein-‐nahmen geringer sind als in den Erwerbsjahren. Ähnliches gilt auch für die Bildung, die von der aktuellen Generation finanziert wird, um die zukünftige Generation zu qualifizieren.
Gewerbekapitalsteuer: Die Gewerbekapitalsteuer besteuerte das Vermögen, d.h. die Substanz eines Unternehmens. Sie sorgte für eine entsprechend hö-‐here Belastung großer Konzerne, die oft durch Zukäufe und geschickte Bi-‐lanztricks nur geringe Gewinne ausweisen und so nur wenig Gewerbesteuer (=Ertragssteuer) zahlen. Sie wurde 1997 abgeschafft.
Konjunkturpaket I: Das Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachs-‐ tumsstärkung“, auch Konjunkturpaket I genannt, wurde 2008 vom Bundes-‐tag verabschiedet. Als Ziel des Maßnahmenpakets wird genannt: „In Anbe-‐tracht der weltweiten Konjunkturabschwächung als Folge der ernsten Krise auf den globalen Finanzmärkten sieht die Bundesregierung es als vorrangige Aufgabe an, Wachstum und Beschäftigung auch weiterhin zu sichern.“ Es be-‐inhaltet u.a. eine Verlängerung der Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld von bisher 12 Monate auf 18 Monate sowie Sonderfonds für Banken (15 Mrd. €), Gemeinden (3 Mrd. ), Gebäudesanierungen (3 Mrd.), Verkehrsinvestitionen (1 Mrd. €), Sonderabschreibungen für Unternehmen, und Kfz-‐Steuersenkungen. Das Gesamtvolumen liegt bei rund 32 Mrd. €.
Konjunkturpaket II: Das Konjunkturprogramm „Entschlossen in der Krise, stark für den nächsten Aufschwung – Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräf-‐te und Modernisierung des Landes“, kürzer auch Konjunkturpaket II, schließt sich an das frühere Konjunkturpaket vom November 2008 an. Es wurde im Februar 2009 vom Bundestag beschlossen und sieht verschiedene konjunkturpolitische Maßnahmen vor, um die unter anderem durch die in-‐ternationale Finanzkrise ausgelöste Rezession im Jahre 2009 abzumildern. Es wird mit einer zusätzlichen Schuldenaufnahme in Höhe von 36,8 Mrd. € finanziert. Bestandteil des Paketes sind u.a. eine Ausweitung der Bankbürg-‐schaften, die sogenannte „Abwrackprämie“ für Neuwagenkäufe, eine gering-‐fügige Erhöhung des Kindergeldes und eine Senkung der Einkommenssteu-‐er.
Nettokreditaufnahme: Die Nettoneuverschuldung (Nettokreditaufnahme) ist die Schuldenaufnahme der öffentlichen Hand am Kreditmarkt abzüglich ge-‐tilgter Schulden.
Prozyklische Konjunkturpolitik: Sie bezeichnet das Gegenteil von antizykli-‐scher Wirtschaftspolitik. Diese Politik gleicht nicht Konjunkturausschläge aus, sondern verstärkt sie, indem sie zum Beispiel in Zeiten der Rezession die Bürger durch Steuererhöhungen und/oder Senkung der Sozial-‐ bzw. Transferleistungen noch stärker belastet. Einzelne Maßnahmen können pro-‐zyklisch oder antizyklisch wirken, je nachdem, welche Bevölkerungsgruppe
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sie betrifft. So kann zum Beispiel eine höhere steuerliche Belastung von gro-‐ßen Vermögen antizyklisch wirken, wenn die so eingenommenen Steuern zur Erhöhung kleinerer Einkommen dienen – denn diese stützen dann un-‐mittelbar den Konsum.
Rezession: Für den Begriff Rezession gibt es keine einheitliche Definition. Weit verbreitet ist die Beschreibung einer Rezession auf Basis der Veränderung des realen Bruttonationaleinkommens (BNE) bzw. Bruttoinlandsprodukts (BIP). Eine Rezession liegt demnach dann vor, wenn die Wachstumsrate in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen -‐ je im Vergleich zum Vorquartal -‐ ne-‐gativ ist.
Sachverständigenrat: Der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt-‐wirtschaftlichen Entwicklung" ("Fünf Weise") ist ein Gremium der wissen-‐schaftlichen Politikberatung. Der Sachverständigenrat wurde durch Gesetz im Jahre 1963 eingerichtet, um in regelmäßigen Abständen die gesamtwirt-‐schaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu begutachten. Die Ergebnisse seiner Arbeit sollen für alle wirtschaftspolitisch verantwort-‐lichen Instanzen sowie für die Öffentlichkeit eine Erleichterung für deren Urteilsbildung sein. Der Sachverständigenrat ist in seinem Beratungsauftrag unabhängig. Seinem gesetzlichen Auftrag zufolge verfasst und veröffentlicht der Rat jedes Jahr ein Jahresgutachten (Mitte November) und darüber hin-‐aus Sondergutachten zu besonderen Problemlagen oder nach Auftrag durch die Bundesregierung. Der Sachverständigenrat besteht aus fünf Mitgliedern, die für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung berufen werden.
Schuldenbremse: Als Schuldenbremse wird in Deutschland eine Regelung be-‐zeichnet, die die Föderalismuskommission Anfang 2009 beschlossen hat. Nach dieser Regelung soll die strukturelle, also nicht konjunkturbedingte Nettokreditaufnahme des Bundes maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlands-‐produktes betragen. Ausnahmen sind bei Naturkatastrophen oder schweren Rezessionen gestattet. Die Einhaltung der Vorgabe des ausgeglichenen Haushalts ist für den Bund ab dem Jahr 2016 zwingend vorgesehen, für die Länder ab dem Jahr 2020.
Schuldenquote: Das Verhältnis zwischen Staatsschulden und Bruttoinlandspro-‐dukt. Zusammen mit der Nettoneuverschuldung bildet die Schuldenquote eines der Maastrichtkriterien. In Zeiten der Rezession steigt die Schulden-‐quote durch die antizyklische Konjunkturpolitik an.
Solidarische Einfachsteuer: Das von Wirtschaftswissenschaftlern im Auftrag von attac und ver.di erstellte Konzept sieht vor, kleinere und mittlere Ein-‐kommen deutlich zu entlasten: Der Spitzensteuersatz beträgt 45 Prozent. Diese Spitzenbelastung setzt ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 60.000 Euro ein. Der steuerfreie Grundfreibetrag wird auf 8.000 Euro angehoben. Der Eingangssteuersatz beträgt 15 Prozent. Der Tarif steigt zwi-‐schen dem Eingangs-‐ und Spitzensteuersatz kontinuierlich (linear-‐progressiv) an. Finanziert wird die Absenkung der Steuersätze durch eine Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und die Einschrän-‐kung von steuerlichen Ausnahmetatbeständen. Das bisherige Einkommens-‐teuersystem ermöglicht es vor allem international verflochtenen Unterneh-‐men und Beziehern von hohen Einkommen aus Vermietung und selbständi-‐ger Tätigkeit, sich arm zu rechnen. Sie sollen sich in Zukunft wieder nach ih-‐rer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen.
Solidaritätsprinzip: Das Solidaritätsprinzip als grundlegendes Prinzip der Sozi-‐alpolitik bedeutet, dass ein Bürger nicht allein für sich selbst verantwortlich ist, sondern auch für die anderen Mitglieder der Gesellschaft. Nur in einer von Solidarität gekennzeichneten Gesellschaft stellt sich auch die Frage nach
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sozialer Gerechtigkeit. Konkret ist zum Beispiel die Gesetzliche Krankenver-‐sicherung nach dem Solidaritätsprinzip organisiert: Die Beiträge sind ab-‐hängig vom Einkommen und nicht von der persönlichen Risikofaktoren (Erbkrankheiten, etc.).
Sozialleistungsquote: Die Summe aller Ausgaben eines Staates für soziale Be-‐lange in einem Kalenderjahr. Sie wird in Prozent des jeweiligen Bruttoin-‐landsprodukts (BIP) dargestellt. Anhand der Sozialquote lässt sich feststel-‐len, welches Gewicht soziale Leistungen im Vergleich zur gesamtwirtschaft-‐lichen Leistung eines Staates haben. Erfasst werden folgende Sozialleistun-‐gen: Krankheit/Gesundheitsvorsorge (hierzu zählt z.B. auch die Lohnfort-‐zahlung im Krankheitsfall), Invalidität, Alter, Hinterbliebenenversorgung, Familien/Kinder (z.B. Kindergeld), Arbeitsförderung, Lohnersatzleistungen, Wohngeld, Jugend-‐ und Sozialhilfe.
Sozialstaat: Ein Sozialstaat ist ein Staat, der in seinem Handeln soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit anstrebt, um die Teilnahme aller an den gesell-‐schaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten. Es bezeichnet konkret auch die Gesamtheit staatlicher Einrichtungen, Steuerungsmaß-‐nahmen und Normen um das Ziel zu erreichen Lebensrisiken und soziale Folgewirkungen abzufedern. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Sozial-‐staat. In Deutschland gehört das Sozialstaatsprinzip neben dem Rechts-‐staats-‐, dem Bundesstaats-‐ und dem Demokratieprinzip zur Grundlage der Verfassungsordnung. Das Grundgesetz (Art. 20 Absatz 1 GG) bestimmt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundes-‐staat.“
Spitzensteuersatz: Der höchstmögliche Steuersatz für große Einkommen. Er beträgt aktuell 45% für den Betrag, der die Einkommensgrenze von ca. 500.000 € bei Verheirateten überschreitet. Er ist seit 1975 kontinuierlich von 56% auf den heutigen Satz gesunken.
Staatsquote: Verhältnis der gesamten Staatsausgaben zum Bruttoinlandspro-‐dukt (BIP). Die Staatsquote ermöglicht eine Einordnung der absoluten Be-‐träge der Staatsausgaben in einem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang, liefert jedoch nur begrenzte Information über den Grad der Inanspruch-‐nahme der gesamtwirtschaftlichen Leistung durch den Staat. Aussagefähiger ist die Veränderung der Staatsquote im Zeitablauf. Sie zeigt, ob die Staatsausgaben in einem bestimmten Zeitraum schneller oder langsamer gewachsen sind als das BIP. Internationale Vergleiche von Staatsquoten sind problematisch, da bereits geringe Unterschiede in den jeweils angewandten Berechnungsarten die Aussagefähigkeit erheblich herabsetzen können.
Staatsverschuldung: Die Verschuldung eines Staates wird aus zwei Perspekti-‐ven gesehen. Zum einen geht es um die Neuverschuldung: Das ist der Be-‐trag, den ein Staat in einem Haushaltsjahr neu aufnehmen muss, um sein Budget auszugleichen ("Haushaltsdefizit"). Laut Maastricht-‐Kriterien zum Beispiel sollte die jährliche Neuverschuldung in den Beitrittsländern nicht höher ausfallen als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die zweite Vari-‐ante der Staatsverschuldung ist der Schuldenstand, auch Gesamtverschul-‐dung genannt. Das ist der Betrag, mit dem Bund, Länder und Gemeinden insgesamt in der Kreide stehen -‐ in Deutschland waren das Mitte des Jahres 2000 fast 1,2 Billionen Euro. Doch auch solch riesig anmutende Beträge sind relativ zu sehen. Deshalb werden sie ebenfalls auf das Bruttoinlands-‐produkt bezogen. Laut Maastricht-‐Kriterien sollte die Gesamtverschuldung der einzelnen Länder den Wert von höchstens 60 Prozent des Bruttoin-‐landsprodukts nicht überschreiten. Damit sind zugleich zwei wichtige "Zie-‐le" oder gewünschte Effekte der Staatsverschuldung genannt: Die Ver-‐schuldung ist dann akzeptabel, wenn damit öffentliche Investitionen finan-‐ziert werden, die Kredite also später auch Erträge abwerfen. Zum anderen
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kann die Kreditaufnahme auch dann sinnvoll sein, wenn damit die lahmen-‐de Konjunktur angekurbelt wird -‐ was im Idealfall dazu führt, dass der Staat über steigende Steuereinnahmen sein Defizit wieder abbauen kann.
Steuerquote: Die Steuerquote gibt an, welchen prozentualen Anteil die Steuer-‐einnahmen eines Staates an seiner gesamten Wirtschaftsleistung (Bruttoin-‐landsprodukt BIP) ausmachen. Damit wird die Steuerbelastung eines Staates ins Verhältnis zu seiner volkswirtschaftlichen Wertschöpfung gesetzt. Zu-‐dem gibt die Steuerquote an, welchen Betrag der Bund zur Finanzierung seiner Aufgaben von seinen Bürgern erhebt.
Transferleistungen: Transferleistungen sind direkt vom Staat gezahlte Sozial-‐leistungen, ohne dass dafür vorab Beiträge gezahlt oder andere Gegenlei-‐stungen erbracht worden wären. Im Gegensatz dazu gibt es Sozialleistungen, die von der Sozialversicherung auf Grund gezahlter Beiträge gewährt wer-‐den, z.B. Arbeitslosengeld, Krankengeld usw. Neben Sozialleistungen gibt es weitere Zahlungen des Staates an private Haushalte und Unternehmen, die so genannten Transfers, die das verfügbare Einkommen der Empfänger er-‐höhen (Kindergeld, Baugeld usw.).
Vermögenssteuer: Die Vermögensteuer ist eine auf das Vermögen, d. h. das be-‐wertbare Eigentum des Steuerpflichtigen erhobene Steuer. Da hier nicht das Einkommen sondern das Vermögen besteuert wird, ist der nominelle Steu-‐ersatz zumeist recht gering, die daraus resultierenden Staatseinnahmen können jedoch hoch sein – und fließen vor allen kontinuierlich, da die Ein-‐nahmen vor allem der Wohlhabenden zwar konjunkturbedingt starken Schwankungen unterliegen, ihr Vermögen jedoch eher stabil ist. In den USA beträgt ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt über 3 Prozent, was umgerech-‐net auf Deutschland jährlichen Einnahmen von rund 75 Mrd. € entspräche – weit mehr als die jährliche Neuverschuldung. In Deutschland wurde die Vermögenssteuer jedoch 1997 abgeschafft.
Zins-Ausgaben-Quote: Der Anteil der Zinsausgaben an den öffentlichen Ausga-‐ben. Mit dieser Quote wird ausgedrückt, wie hoch der Anteil ist, den die Zin-‐sen für die öffentlichen Schulden an den Gesamtausgaben ausmachen.
Zins-Steuer-Quote: Die Zinssteuerquote ist als Anteil der Zinsausgaben an den Einnahmen aus Steuern definiert. Eine steigende Zinssteuerquote bei kon-‐stanten Steuereinnahmen bedeutet, dass ein steigender Anteil der Steuer-‐einnahmen nicht mehr zur Finanzierung von anderen Ausgaben des Landes eingesetzt werden kann. Die Zinssteuerquote wird bei der Beurteilung der Verschuldung eines Landes herangezogen.
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