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324 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 52. Jahrgang, Heft 9/2001 Das menschliche Gehirn besteht aus mehreren 100 Milliarden Ner- venzellen. In Form eines unglaublich komplexen Netzwerkes sind sie mit- einander verknüpft. Eine Reihe un- terschiedlicher Neurotransmitter vermitteln an Synapsen Informatio- nen von einer Nervenzelle zur nächsten. Eine einzelne Nervenzelle kann Tausende solcher Synapsen haben und folglich mit Tausenden anderen Nervenzellen kommunizie- ren. Doch wo in diesem Gewirr von Nervenfasern ist das Gedächtnis? Wie werden Informationen gespei- chert? Und: Kann man die Weisheit in Zukunft mit Löffeln fressen? Erste Antworten auf diese Fragen wurden im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis für Physiologie/Me- dizin geehrt. Ein Mann mittleren Alters sitzt entspannt in seinem Ses- sel und liest mit sichtlichem Interesse in einer Zeitschrift. Er erzählt seinen Freunden, was für einen interes- santen Bericht er gerade gelesen hat und trägt verschiedene Einzelheiten des Artikels vor. Einen Tag später liest derselbe Mann exakt denselben Bericht mit demselben Interesse und erzählt denselben Freunden, welch faszinie- renden Artikel er soeben gelesen hat. Er beteuert, diesen Bericht noch nie zuvor gelesen zu haben. Diese Ge- schichte wiederholt sich Tag für Tag. Der Mann mittleren Alters ist H. M., ein bedeutender Mensch für die Neuro- biologie [1]. Als neunjähriger Junge erlitt er eine Kopfverletzung bei einem Fahrradun- fall. Infolge der Verletzung litt H. M. unter Epilepsien, die mit zunehmenden Alter lebensbedrohlich wurden. Im Alter von 27 Jahren war H. M. der erste Patient in der Medizingeschichte, dem der Hippokampus in beiden Gehirn- hälften neurochirurgisch entfernt wurde. Tatsächlich war die Epilepsie mit diesem Eingriff erfolgreich behan- delt. Allerdings war es H. M. vom Tage der Operation an nicht mehr möglich, neue Informationen über Menschen, Fakten oder Ereignisse zu speichern. Seine Er- innerungen reichten nur kurze Zeit zurück, ausreichend, um ein Gespräch zu führen oder eine Telefonnummer zu wiederholen. Im Gegensatz dazu erin- nerte sich H. M. aber gut an Ereignisse, die vor der Operation lagen. Somit war der Zugang zu bereits gespeicherter In- formation intakt geblieben [1]. Am meisten überraschte die betreuen- den Neurologen, allen voran Brenda Milner, dass H. M. motorische Fähig- keiten erlernen konnte. H. M. sagte zwar, dass er nicht geübt habe (dies vergaß er bald wieder), aber seine mo- torischen Fähigkeiten wurden mit den Tagen besser und besser [2]. H. M. ist ein schwer kranker Patient und voll- ständig invalide, unfähig, in seiner neuen Umgebung ohne fremde Hilfe zu überleben. Er wird für den Rest seines Lebens hos- pitalisiert bleiben und sich beklagen, dass jeden Tag neue Krankenschwes- tern und Ärzte ihren Dienst tun. Formen des Gedächtnisses Der Fall H. M. hat den Neurowis- senschaftlern erste Einblicke in die verschiedenen Formen des Gedächt- nisses gegeben: das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis. Doch lassen sich noch weitere Formen unterscheiden. So trennt man das explizite (deklarati- ve, „wissen, dass“) vom impliziten (prozeduralen, „wissen wie“) Gedächt- nis [3]. Wo und wie speichert das Gehirn Informationen? Die Biochemie des Gedächtnisses Dr. Röbbe Wünschiers, Uppsala Abb. 1: Gehirn: Schematischer Quer- schnitt durch ein menschliches Gehirn. Der für die Gedächt- nisleistungen wichtige Hippokampus ist her- vorgehoben.

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324 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 52. Jahrgang, Heft 9/2001

Das menschliche Gehirn bestehtaus mehreren 100 Milliarden Ner-venzellen. In Form eines unglaublichkomplexen Netzwerkes sind sie mit-einander verknüpft. Eine Reihe un-terschiedlicher Neurotransmittervermitteln an Synapsen Informatio-nen von einer Nervenzelle zurnächsten. Eine einzelne Nervenzellekann Tausende solcher Synapsenhaben und folglich mit Tausendenanderen Nervenzellen kommunizie-ren. Doch wo in diesem Gewirr vonNervenfasern ist das Gedächtnis?Wie werden Informationen gespei-chert? Und: Kann man die Weisheitin Zukunft mit Löffeln fressen?Erste Antworten auf diese Fragenwurden im vergangenen Jahr mitdem Nobelpreis für Physiologie/Me-dizin geehrt.

Ein Mann mittleren Alterssitzt entspannt in seinem Ses-sel und liest mit sichtlichem

Interesse in einer Zeitschrift. Er erzähltseinen Freunden, was für einen interes-santen Bericht er gerade gelesen hatund trägt verschiedene Einzelheitendes Artikels vor. Einen Tag später liestderselbe Mann exakt denselben Berichtmit demselben Interesse und erzähltdenselben Freunden, welch faszinie-renden Artikel er soeben gelesen hat.Er beteuert, diesen Bericht noch niezuvor gelesen zu haben. Diese Ge-schichte wiederholt sich Tag für Tag.Der Mann mittleren Alters ist H. M.,ein bedeutender Mensch für die Neuro-biologie [1]. Als neunjähriger Junge erlitt er eineKopfverletzung bei einem Fahrradun-fall. Infolge der Verletzung litt H. M.unter Epilepsien, die mit zunehmendenAlter lebensbedrohlich wurden. ImAlter von 27 Jahren war H. M. der erstePatient in der Medizingeschichte, dem

der Hippokampus in beiden Gehirn-hälften neurochirurgisch entferntwurde. Tatsächlich war die Epilepsiemit diesem Eingriff erfolgreich behan-delt. Allerdings war es H. M. vom Tage derOperation an nicht mehr möglich, neueInformationen über Menschen, Faktenoder Ereignisse zu speichern. Seine Er-innerungen reichten nur kurze Zeitzurück, ausreichend, um ein Gesprächzu führen oder eine Telefonnummer zuwiederholen. Im Gegensatz dazu erin-nerte sich H. M. aber gut an Ereignisse,die vor der Operation lagen. Somit warder Zugang zu bereits gespeicherter In-formation intakt geblieben [1]. Am meisten überraschte die betreuen-den Neurologen, allen voran BrendaMilner, dass H. M. motorische Fähig-keiten erlernen konnte. H. M. sagtezwar, dass er nicht geübt habe (diesvergaß er bald wieder), aber seine mo-

torischen Fähigkeiten wurden mit denTagen besser und besser [2]. H. M. istein schwer kranker Patient und voll-ständig invalide, unfähig, in seinerneuen Umgebung ohne fremde Hilfe zuüberleben. Er wird für den Rest seines Lebens hos-pitalisiert bleiben und sich beklagen,dass jeden Tag neue Krankenschwes-tern und Ärzte ihren Dienst tun.

! Formen des GedächtnissesDer Fall H. M. hat den Neurowis-

senschaftlern erste Einblicke in dieverschiedenen Formen des Gedächt-nisses gegeben: das Kurzzeit- und dasLangzeitgedächtnis. Doch lassen sichnoch weitere Formen unterscheiden.So trennt man das explizite (deklarati-ve, „wissen, dass“) vom impliziten(prozeduralen, „wissen wie“) Gedächt-nis [3].

Wo und wie speichert das Gehirn Informationen?

Die Biochemie des GedächtnissesDr. Röbbe Wünschiers, Uppsala

Abb. 1: Gehirn:

Schematischer Quer-schnitt durch ein

menschliches Gehirn.Der für die Gedächt-

nisleistungen wichtigeHippokampus ist her-

vorgehoben.

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AUFSÄTZEDas explizite Gedächtnis oder die

explizite Erinnerung handelt von Men-schen, Orten und Dingen. Es ist in allerRegel ein bewusster Vorgang, Datenaus dem expliziten Gedächtnis abzuru-fen. Ferner unterscheidet man zwi-schen einem episodischen und semanti-schen expliziten Gedächtnis. Die epi-sodische Form ist eine Art autobiogra-fischer Speicher für bestimmte Ereig-nisse, während das semantische Ge-dächtnis abstraktere Zusammenhängespeichert [5].

Interessanterweise kann man mit zu-nehmendem Alter einen Übergang der

Informationen vom episodischen in dassemantische Gedächtnis verzeichnen:Wir erinnern uns, eine bestimmteSache erlebt zu haben, können uns abernicht mehr genau erinnern, wann undin welchem Kontext wir sie erlebthaben.

Dem expliziten steht das impliziteGedächtnis gegenüber, dessen Infor-mationen meist unbewusst abgerufenwerden. Handlungsabläufe, Fertigkei-ten und motorische Tätigkeiten beste-hen aus Sequenzen vieler Komponen-ten. Sie werden durch viele Wiederho-lungen erlernt und zu motorischen

„Gewohnheiten“, die als vollständigeSequenzen im impliziten Gedächtnisgespeichert werden. Diese Gewohn-heiten betreffen beispielsweise alltäg-liche Tätigkeiten wie Gehen, Essen,Arbeitsprozesse, Freizeitbetätigungenund viele automatisierte Handlungen,die wir im Laufe eines Tages durch-führen. Auch das implizite Gedächtnislässt sich, je nach Lernaufgabe, infunktionale Gruppen unterteilen. ImFalle von H. M. ist das Abspeicherneinzelner Ereignisse und damit das ex-plizite Gedächtnis gestört. Dagegen istdas implizite Erlernen von motori-schen Handlungsabläufen und manu-ellen Fertigkeiten nicht beeinträchtigt:H. M. kann komplizierte Tätigkeitenlernen, wie das Nachmalen komplexerFiguren im Spiegel. Wegen seiner ex-pliziten Gedächtnisstörung weiß ernicht, dass er die Fähigkeit erlernt hat,kann sie aber aufgrund seines intaktenimpliziten Lernens jeden Tag besserausführen. Einer der großen Fort-schritte in der Neurologie war die Zu-ordnung des expliziten und implizitenGedächtnisses zu bestimmten Regio-nen im Hirn [4].

! Anatomie des Gedächtnisses

Wie der Fall von H. M. bereits ver-muten lässt, liegen den expliziten undimpliziten Gedächtnisleistungen ver-schiedene Gehirnstrukturen zugrunde,in denen die biologischen Prozesse ab-laufen. Das explizite Gedächtnis ist dieLeistung des Inferotemporalkortex unddes tief im Gehirn lokalisierten Limbi-schen Systems (mit dessen StrukturenHippokampus, der Amygdala undMammillarkörper) (Abbildung 1). Diephysische Zerstörung einer oder meh-rerer dieser Strukturen durch Vergif-tungen (z. B. durch Alkohol), die Alz-heimersche Krankheit, Tumore oderOperationen führt zu entsprechendenGedächtnisverlusten.

Abb. 2: Neurone: Oben: Eine Auswahl unterschiedlicher Neuronentypen, die ihre funktional bedingte morphologi-sche Vielfalt zeigt Unten: Typischer Aufbau eines einfachen Neurons

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Durch neurophysiologische Unter-suchungen konnte nachgewiesen wer-den, dass einzelne Nervenzellen imHippokampus erregt werden, wennsich Personen an verschiedene Objekteeines ihnen bekannten Raumes oder aneinzelne Ereignisse des Vorabends er-innern. Regionale Blutflussstudien zei-gen auch, dass der Hippokampuswährend der Erinnerung an einzelneWörter aktiv ist.

Bezüglich des impliziten Gedächt-nisses wird vermutet, dass die Basal-ganglien für das Lernen und Speichernvieler Gewohnheiten und das Kleinhirnbesonders für das Lernen motorischerFertigkeiten eine wichtige Rollen spie-len. Diese Gewohnheiten laufen nachwenig flexiblen Mustern ab, die nur eingeringes Maß an Gehirntätigkeit bean-spruchen. Damit werden viele Hirn-strukturen, insbesondere die Hirnrinde,entlastet und können somit anspruchs-vollere Aufgaben übernehmen.

Unabhängig von ihrer Lokalisierunginnerhalb des Gehirns erfolgt die Infor-mationsspeicherung des expliziten unddes impliziten Gedächtnisses auf zellu-lärer und molekularer Ebene nach glei-chen Mechanismen [4]. Zu dieser Er-kenntnis kamen Forscher, indem sie dieLernprozesse bei Tieren genau unter-suchten.

! LernprozesseDas Lernen ist die Aneignung neuer

Information über die Welt und das Ge-dächtnis die Erhaltung dieser Informa-tion über die Zeit. Der Weg zum Ver-ständnis des Gedächtnisses führt somitüber das Lernen. Sehr gut lässt sichdas implizite Gedächtnis von Ver-suchstieren untersuchen. Als einfachs-te Form des Lernens kann die Habitua-tion gelten: die Fähigkeit, sich aneinen wiederholt auftretenden Reiz zugewöhnen. Sie äußert sich in der Ab-nahme der Reaktion auf einen Reiz,der sich in der betreffenden Situationals biologisch nicht relevant erweist.Ebenfalls ein einfacher Lernprozessist die Sensitivierung. Tritt ein lebens-bedrohlicher Reiz mehrere Male hin-tereinander auf, so verstärkt sich dieSchutzreaktion. Beide Lernformenwerden als nicht assoziatives Lernenbezeichnet.

Bedeutende Untersuchungen vonkomplizierteren Lernvorgängen führteder russische Physiologe Iwan Paw-low am Anfang dieses Jahrhundertsdurch. Nach seiner Auffassung bestehtein wesentlicher Teil eines Lernpro-zesses darin, dass existierende Reak-tionen auf einen natürlichen Reiz auchauf einen anderen Reiz hin erfolgenkönnen, wenn beide Reize genügend

häufig gemeinsam auftreten. In einem bekannten Beispiel sondert

ein Hund beim Anblick einer WurstSpeichel ab. Wenn der Hund einenGong hört, so reagiert er nicht.Während des Lernprozesses werdendem Hund die Wurst (Originalreiz) undder Gong (neutraler Reiz) gemeinsampräsentiert. Nach mehrmaliger Wieder-holung genügt schließlich der neutraleReiz, um den Speichelfluss auszulösen.In gleicher Weise lassen sich auchbeim Menschen Pupillenreflexe, Herz-schlag- und Atemfrequenzen u. v. m.mit zunächst neutralen Reizen verbin-den. Diese assoziativen Lernprozessewerden als klassische Konditionierungbezeichnet.

! NeuroneBevor die Prozesse vorgestellt wer-

den, die zur Speicherung von Informa-tion im Gehirn führen, ist es notwen-dig, die elementaren Funktionsweisenvon Neuronen zu kennen. Die Gesamt-heit der Neurone machen dasNervensystem aus, das für rund einFünftel unseres Energieverbrauchs ver-antwortlich ist. Zudem können Neuro-ne nur Glukose zur Energiegewinnungheranziehen und nicht, wie andere Kör-perzellen, auf andere Kohlenhydrate,Fette oder Proteine umstellen.

Neurone sind eine außergewöhnli-che Gruppe von Zellen, die bei Walenbis zu 10 m lang werden können. Keinanderer Zelltyp knüpft wie die Neuronemit 104 bis 105 anderen Zellen Kontak-te.

Diese morphologischen Besonder-heiten sind Ausdruck der Grundfunk-tionen von Neuronen als Einheiten derInformationsaufnahme, -verarbeitungund -weiterleitung. Da jeder Neuronen-typ eine ganz bestimmte Rolle als In-formationsverteiler spielt, wird ver-ständlich, dass ihr Formenreichtum denaller anderen Zelltypen übertrifft (Ab-bildung 2, oben). Dennoch lässt sichein Grundbauplan erkennen (Abbil-dung 2, unten): Aus einem Zellkörper(Soma, Perikaryon), welcher das bio-synthetische Zentrum der Zelle dar-stellt, entspringen feine Verzweigun-gen, die Dendriten. Die Dendriten stel-len die Rezeptorregion der Neuronedar, über die Informationen aufgenom-men werden. Ein langer Zellfortsatz

Abb. 3: Neurotransmitter: Einige niedermolekulare Neurotransmitter, die an der Reizweiterleitung an synaptischen Verbin-dungen beteiligt sind

Hirnforschung

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AUFSÄTZE

(Axon), der vom Soma entspringt unddurchaus weit verzweigt sein kann(Kollateralen), dient gleichsam als In-formationsausgang des Neurons undmündet in Synapsen.

Die Informationsweiterleitung vonden Dendriten zu den Synapsen erfolgtüberwiegend über elektrische Mem-branpotenziale. Damit keine Kurz-schlüsse entstehen, sind die Axone inspezielle Zellen „eingewickelt“ (Glia-zellen). Funktional unterscheidet manzwischen drei verschiedenen Neuro-nentypen: Sensorische Neurone (Sin-neszellen, Rezeptoren) empfangen In-formationen über optische, chemische,mechanische oder andere Reize. DieseSignale werden in elektrische Impulsetransformiert. Motorische Neurone(Motoneurone) senden motorischeKommandos an Muskelzellen, die sichinfolgedessen z. B. kontrahieren. DieInterneurone schließlich sind zwischenNeurone geschaltet. Sie stellen dieüberwiegende Anzahl der Neurone darund „verrechnen“ eingehende Informa-tionen.

Die Synapsen sind für die eigentli-che Komplexität eines Nervensystemsverantwortlich, indem sie die Neuronemiteinander und mit z. B. Muskelzel-

len oder Hormondrüsen verknüpfen.Die Mehrzahl aller synaptischen Ver-bindungen sind chemische Synapsen,d. h., die Informationen werden aufdem biochemischen Wege übertragen.

Als biochemische Mittler dienenNeurotransmitter (Abbildung 3). Trifftan der Synapse ein elektrischer Impulsein, so wird die Freisetzung des Neu-rotransmitters in den synaptischenSpalt induziert. An der Zielzelle be-wirkt der freigesetzte Neurotransmitterwiederum die Erzeugung eines elektri-schen Impulses.

! AplysiaWesentliche Kenntnisse über die

molekularen Vorgänge beim Lernenund der Speicherung des Erlerntenwurden mit der Meeresschnecke Aply-sia california (Seehase) gewonnen.Dieses eher unansehnliche Tier verbin-det eine Reihe von Eigenschaften, dieden Neurobiologen zugute kommen.Aplysia hat ein „übersichtliches“ Ner-vensystem aus rund 20 000 Neuronen.Diese können bis zu einem Millimetergroß werden und sind somit rund 100-mal größer als menschliche Neurone.Dies ermöglicht die Identifizierung

einzelner Neurone und deren Verknüp-fung miteinander. Auf diese Weiselässt sich gleichsam ein „Verdrah-tungsplan“ des Nervensystems von Ap-lysia erstellen. Darüber hinaus ist esmittlerweile gelungen, die Nervenzel-len in einer Kulturschale zu züchtenund Nervenverbindungen in vitro nach-zustellen. Doch von entscheidenderBedeutung ist die Tatsache, dass Aply-sia alle erwähnten Formen des Lernensbeherrscht.

Am intensivsten wurde der Rück-ziehreflex der Kiemen und der Atem-röhre (Sipho) untersucht [4]. Wird dieKieme oder der Sipho leicht berührt, sowerden sie als Schutzreaktion zurück-gezogen. An dieser Reaktion sind imWesentlichen 2 Neurone beteiligt (Ab-bildung 4): ein sensorisches Neuron,welches den Reiz am Sipho aufnimmt,und ein motorisches Neuron, welchesdie Muskelkontraktion bewirkt.

Erfolgt die leichte Berührung häufi-ger unmittelbar nacheinander, tritt dieHabituation ein. Wie Untersuchungengezeigt haben, wird die Habituationdurch eine Abschwächung der synap-tischen Verbindungen zwischen densensorischen und den motorischenNeuronen bewirkt. Diese physischeÄnderung hat ihre Ursache in einer ge-ringeren Ausschüttung des Neurotrans-mitters Glutaminsäure. Wird dasSchwanzende von Aplysia stark ge-reizt, so ist dies ein lebensbedrohlicherReiz, auf den ebenfalls mit dem Einzie-hen des Siphos reagiert wird. Nachmehrmaliger wiederholter Reizung desSchwanzendes wird die Rückziehreak-tion stärker.

Bei dieser Sensitivierung wird durcheine erhöhte Ausschüttung von Gluta-minsäure aus den Synapsen der senso-rischen Neurone in den synaptischenSpalt die Verbindung zwischen densensorischen und motorischen Neuro-nen verstärkt [6].

Abb. 4: Neuronaler Schaltplan: Stark vereinfachtes Schema der neuronalen Verknüpfung des Siphos, des Schwanzendes und derfür den Rückziehreflex verantwortlichen Muskulatur des Seehasen Aplysia. Die roten Neuronen (S1

und M) kennzeichnen die einfachste Verbindung zwischen den Sinneszellen des Siphos und desRückziehmuskels. Das blau gekennzeichnete sensorische Neuron S2 und das gelb gekennzeichne-te Interneuron S2 koppeln die Schwanzregion mit dem Rückziehmuskel. (S = sensorisches Neuron; M = motorisch Neuron; I = Interneuron)

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Aplysia kann in Form der klassi-schen Konditionierung beigebrachtwerden, beide Reize miteinander zuverknüpfen. Wird ein schwacher Reizam Sipho gleichzeitig mit einem starkReiz am Schwanzende präsentiert, soführt nach einigen Wiederholungenein alleiniger schwacher Siphoreiz zueiner viel stärkeren Reaktion alszuvor. Der Effekt ist sogar größer, alser durch Sensitivierung erreicht wer-den könnte. Anders als bei der Sensiti-vierung wird nicht nur die Ausschüt-tung von Glutaminsäure aus der senso-rischen Synapse erhöht, sondern esfinden auch Veränderungen in derEmpfängerzelle (dem motorischenNeuron) statt [7].

Der Neurotransmitter Glutaminsäu-re kann an zwei unterschiedliche Re-zeptoren auf den motorischen Neuro-nen binden und diese aktivieren: anAMPA- (benannt nach !-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpropio-nic-Acid, einer aktivierenden Droge)und an NMDA-Rezeptoren (benanntnach N-Methyl-D-Aspartat, einer akti-vierenden Droge) (Abbildung 5). DieAMPA-Rezeptoren sind an der norma-len Reizweiterleitung beteiligt. DieNMDA-Rezeptoren sind jedoch nor-malerweise nicht für Glutaminsäurezugänglich.

Nur wenn das motorische Neuroneinen zusätzlichen Impuls, z. B. vonden sensorischen oder zwischenge-schalteten Interneuronen im Schwanz-ende, erhält, lassen sich die NMDA-Rezeptoren durch Glutaminsäure akti-vieren (Abbildung 5). Die im aktivenZustand geöffneten NMDA-Rezepto-ren bewirken einen Kalziumeinstromin das Motoneuron. Hierdurch wird dasMembranpotenzial nachhaltig geän-dert, ein Prozess, der als Langzeitpo-tentierung (long-term potentiation) be-kannt ist. Infolge des Kalziumein-stroms wird außerdem eine kalzium-/calmodulinabhängige Proteinkinaseaktiviert, welche eine Signalkaskadeausgelöst, die schließlich den starkenRückziehreflex bewirkt.

! Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis

Der Rückziehreflex von Aplysiakann also auf unterschiedliche Weisebeeinflusst werden. Aplysia lernt, ob

ein Reiz für sie wichtig ist oder ob erignoriert werden kann (Sensitivierungbzw. Habituation), und die Schneckekann eine Assoziation zwischen zuvorvöllig unabhängigen Reizen herstellen.Entscheidend für die Betrachtung desGedächtnisses ist aber, dass Aplysiasich die Reaktion auf die Reizemerkt – bzw. sie nach einiger Zeitauch wieder vergisst. Wird der Sipho inlängeren zeitlichen Abständen berührt,so wird er jedes Mal eingezogen. Erfol-gen die Berührungen dagegen in kur-zen Zeitabständen aufeinander, so trittdie Habituation ein: Der Berührungs-reiz wird ignoriert.

Auch nach mehreren Stunden oderTagen erinnert sich Aplysia nochdaran, dass der Berührungsreiz igno-riert werden kann. Nach einem ange-messenen Lernprogramm kann die Er-innerung auch noch Wochen anhalten,ohne dass zwischenzeitlich eine taktileReizung des Siphos erfolgte: Das Ver-haltensmuster ist von dem Kurzzeit- indas Langzeitgedächtnis übergegangen.Erstaunlicherweise kann also schon beieinem einfachen Verhalten, an dem nurein sensorisches und ein motorischesNeuron beteiligt ist, zwischen einemKurzzeit- und einem Langzeitgedächt-nis unterschieden werden.

Abb. 5: Assoziatives Lernen: Von der sensorischen Synapse in den synaptischen Spalt abgegebene Neurotransmitter Gluta-minsäure (Glu) bindet an AMPA-Rezeptoren (blau) des Motoneurons und bewirkt die Reizweiterlei-tung. Nur wenn das gelb gekennzeichnete Interneuron einen Impuls vom Schwanzende auf dasMotoneuron überträgt, werden auch die NMDA-Rezeptoren (rot) von Glu aktiviert. Dies führt übereinen Kalziumioneneinstrom und eine kalzium-/calmodulinabhängige Kinase (Ca/Cal-) zu einer er-höhten Gluabgabe von der sensorischen Synapse. Die Folge ist eine Signalverstärkung. Die Struk-turformeln der rezeptoraktivierenden Drogen AMPA (!-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpro-pionic-Acid) und NMDA (N-Methyl-D-Aspartat) sind eingezeichnet, spielen aber natürlicherweisekeine Rolle.

Hirnforschung

AUFSÄTZE

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Die Existenz eines Kurzzeit- undeines Langzeitgedächtnisses wurdezum erstenmal von Herman Ebbing-haus im Jahre 1885 beschrieben [8]. Ineinem Selbstversuch lernte er eineListe sinnloser Zeichenabfolgen aus-wendig und testete seine Erinnerung.Er kam nach jahrelangen Versuchenzu dem Schluss, dass das Gedächtnisaus einer Kurzzeit- und einer Lang-zeitkomponente besteht. Dieser Unter-schied ist uns allen nur allzu gegen-wärtig. Gehen wir aus dem Haus, so istuns noch in guter Erinnerung, was imKühlschrank fehlt. Im Geschäft ange-langt kommen wir meist doch ins Grü-

beln. Eine weitreichende Entdeckungmachte die Arbeitsgruppe um LouisFlexner in den sechziger Jahren [9].Das Kurz- und das Langzeitgedächtnisunterscheiden sich nicht nur in ihremzeitlichen, sondern auch in ihrem bio-chemischen Verhalten: Für die Funkti-on des Langzeitgedächtnisses ist dieProteinbiosynthese (Transkription undTranslation) notwendig. Wird die Pro-teinbiosynthese im Gehirn kurz nachder Lernphase, in der Konsolidie-rungsphase, durch Hemmstoffe inhi-biert, so kann das Gelernte nicht imLangzeitgedächtnis gespeichert wer-den.

Werden die Hemmstoffe währendoder einige Zeit nach der Lernphase,also außerhalb der Konsolidierungs-phase, verabreicht, so zeigen sie keineWirkung [10]. Die Beteiligung der Pro-teinbiosynthese am Langzeitgedächt-nis sowie die Präsenz eines „Konsoli-dierungsfensters“, in welchem das Er-innerungsvermögen von der Protein-biosynthese unabhängig ist, hat sich alsuniversell herausgestellt [4]. Es gilt fürdas explizite und implizite Gedächtnisebenso wie für den Menschen und Ap-lysia. Daraus wiederum ist zu folgern,dass es eine Art universellen molekula-ren Schalter gibt, der die Langzeitspei-cherung von Informationen bewirkt. Inden vergangenen zehn Jahren habenvor allem Untersuchungen an derFruchtfliege Drosophila, an Aplysiaund an der Maus dazu beitragen, ersteEinblicke in den universellen Schalt-mechanismus zu gewinnen.

! Ein komplexer molekularer Schalter

Heute ist klar, dass der Transforma-tion von Kurz- in Langzeitinformationeine komplexe Signaltransduktionsket-te zugrunde liegt. Einen guten Eindruckvon den beteiligten Mechanismen bietetwiederum die Sensitivierung des Sipho-Rückziehreflexes infolge eines starkenReizes am Schwanzende von Aplysia.Ein einmaliger Reiz bewirkt eine Ver-stärkung des Reflexes, die einige Minu-ten andauert. Fünf aufeinander folgen-de Reize bewirken eine Verstärkung fürmehrere Tage und noch längeres „Trai-ning“ kann eine mehrwöchige Erinne-rung bewirken.

Hier zeigt sich bereits der allgemeinbekannte Mechanismus, dass ständigeWiederholung die Erinnerung trainiert.Neben den weiter oben beschriebenenNMDA-Rezeptoren und der Langzeit-potentierung spielt der Neurotransmit-ter Serotonin (5-Hydroxytryptamin)ein wichtige Rolle.

Abb. 6: Biochemie des Gedächtnisses: Vereinfachte Darstellung der biochemischen Prozesse, die an derTransformation von Information vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis beteiligt sind. Das Kurz-zeitgedächtnis ist von der Proteinbiosynthese unabhängig und gelb unterlegt. Die Transformationvon Information in das Langzeitgedächtnis findet während der Konsolidierungsphase statt (rot un-terlegt), an der die Transkription der DNA in mRNA und deren Translation in Proteine beteiligt sind.

Begriffe: cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat; PK = Proteinkinase; MAP-K = Mitogen-ac-tivated-Protein-Kinasen; CREB = cAMP-Responds-Element-binding-Transkriptionsfaktoren)

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Serotonin bindet an einen Rezeptordes sensorischen Neurons und bewirktso die Synthese von zyklischemAdenosinmonophosphat (cAMP, Ab-bildung 6). Dadurch wiederum werdencAMP-abhängige Proteinkinasen (PK)aktiviert. Proteinkinasen phosphorylie-ren spezifisch Zielenzyme, die bioche-mische Reaktionen katalysieren. Indiesem Fall führen diese Reaktionen(parallel zu der oben beschriebenenWirkung von Glutaminsäure) zu einerVerstärkung der Synapsenbindung.

Ein einzelner Reiz bewirkt nur einegeringe Serotoninausschüttung undfolglich die Bildung von geringencAMP-Mengen. Infolge dessen sind dieProteinkinasen (PK) nur kurz aktiv,weshalb die Verstärkung der Synapsen-bindung schnell reversibel ist. Bei meh-reren Reizen wird jedoch erheblichmehr cAMP pro Zeiteinheit freigesetzt.Die Proteinkinasen bleiben deshalb län-ger aktiv und aktivieren zusätzlich zuden Zielenzymen eine von MAP-Kina-sen (mitogen activated protein) vermit-telte Signalkaskade [11]. Die MAP-Kinasen wandern in den Zellkern desNeurons und aktivieren den Transkripti-onsaktivator CREB1a (cAMP respondselement binding protein), währendgleichzeitig der TranskriptionsrepressorCREB2 inaktiviert wird.

Infolge der Aktivierung vonCREB1a und der Inaktivierung vonCREB2 werden eine Reihe von Genentranskribiert, deren translatierte Protei-ne u. a. die Zelladhäsion ändern und sozur Bildung neuer synaptischer Verbin-dungen führen. Transkriptionsfaktorender CREB-Familie sind in allen Orga-nismen für alle Arten der Umwandlungvon Kurzzeit- in Langzeitinformationverantwortlich. So konnte ihre Beteili-gung z. B. beim Suchtverhalten ebensonachgewiesen werden wie bei der Ent-stehung chronischer Schmerzen.

Die (hier vereinfacht dargestellte)Abfolge der Prozesse macht deutlich,dass die Transformation von Informati-on in das Langzeitgedächtnis von derProteinbiosynthese abhängig ist.

! Von der Schnecke zum Menschen

Wie insbesondere Versuche anMäusen und Menschenaffen gezeigthaben, lassen sich die Erkenntnisse

über die molekularen Vorgänge vonder Schnecke oder Fliege auch auf denMenschen übertragen. Weitere Infor-mationen lassen sich von Personen ge-winnen, die wie der skizzierte FallH. M. Läsionen in bestimmten Berei-chen des Gehirns haben.

Interessanterweise sind beim Men-schen, wie auch bei der Maus und allenanderen Wirbeltieren, unterschiedlicheFormen des Gedächtnisses unter-schiedlich lokalisiert. So dient z. B. dasKleinhirn (Cerebellum) der Speiche-rung motorischer Information, dieAmygdala als Gedächtnis für Emotio-nen, das Striatum als Gedächtnis fürGewohnheiten und die Großhirnrindeals eine Art Arbeitsspeicher. DurchMessungen von Elektronenströmen inunterschiedlichen Hirnregionen konnteman weiterhin sensorische Einheitenwie die Augen, Hände, Lippen, Bauch-region, Füße usw. bestimmten Hirnre-gionen zuordnen.

Wird z. B. eine Hand in besonderemMaße beansprucht, beispielsweisebeim Spielen einer Violine, so ver-größert sich die entsprechende Regionim Gehirn und erreicht eine höhere„Verdrahtungsdichte“. Diese morpho-logischen Veränderungen sind insbe-sondere bei Kleinkindern in weitemMaße möglich.

Aus diesem Grunde sind Kinder, diesehr früh beginnen ein Instrument zulernen, im Vorteil. Sie können diesermotorischen Fähigkeit ein vergleichs-weise größeres Hirnareal zur Verfü-gung stellen als ein Erwachsener, derdie gleiche Anzahl Unterrichtsstundenabsolviert [12]. Dieses Beispiel zeigtaußerdem eindrucksvoll, dass mit derLangzeitspeicherung von Informatio-nen morphologische Veränderungeneinhergehen.

! Eine Pille, die schlau macht?

Je älter wir werden, desto vergessli-cher werden wir. Der altersbedingteGedächtnisverslust betrifft hauptsäch-lich das explizite Gedächtnis und hatmit Störungen im Hippokampus zu tun[13].

Das verminderte Erinnerungsver-mögen wird nicht nur beim Menschenbeobachtet: 12 Monate alte Mäuse zei-gen erheblich schlechtere Lernleistun-

gen als Jungtiere. Seit das molekulareWissen um das Gedächtnis immer de-taillierter wird, tritt zwangsläufig dieethisch umstrittene Frage auf: Wie lässtsich das Gedächtnis durch Verabrei-chung entsprechender Präparate ver-bessern?

Eine Ursache des altersbedingtenGedächtnisverslustes ist eine unzurei-chende Synthese des NeurotransmittersDopamin. Er bewirkt unter anderemdie Synthese von cAMP, welches, wieoben angesprochen, am molekularenSchalter beteiligt ist. Die Verabrei-chung von Dopamin kann somit dieTransformation von Kurzzeit- in Lang-zeitinformation unterstützen [14].Tatsächlich findet Dopamin in der Be-handlung der Alzheimerkrankheit eineRolle, die neben pathologischen Ver-änderungen der Neurone auch das Al-tern der Neurone beschleunigt.

Einen anderen Weg hat die For-schungsgruppe um Joe Z. Tsien vonder Princeton University eingeschla-gen. Sie haben eine transgene Maus ge-züchtet, die eine höhere Menge desNMDA-Rezeptors synthetisiert [15].Wie bereits weiter oben besprochen,spielen die NMDA-Rezeptoren bei derLangzeitpotentierung eine Rolle,indem sie das Membranpotenzial be-einflussen.

Mit zunehmendem Alter scheintsich die Ionendurchlässigkeit derNMDA-Rezeptoren zu verringern, wasbei den transgenen Mäusen durch dieerhöhte Anzahl der Rezeptoren ausge-glichen wird. Zum Erstaunen der Wis-senschaftler waren die transgenenMäuse bereits von Geburt an erheblichlernfähiger als die Kontrollgruppe. DieForscher versuchen nun, denselben Ef-fekt mithilfe herkömmlicher Pharma-kologie und ohne die Gentechnik zu er-zielen.

Die Arbeitsgruppe um Karl P. Giesevom Cold Spring Harbor Laboratorysetzt wiederum an einer anderen Eigen-schaft alternder Neurone an [16]. Wirdein Neuron angeregt, so dauert es einenAugenblick, bis die Zelle wieder in derLage ist, auf einen weiteren Reiz zureagieren. Mit zunehmendem Alterverlängert sich diese Erholungsphaseder Neurone. Das Forschungsteam umGiese züchtete eine transgene Maus,der ein Protein fehlt, welches ansonstendie Aktivität von Kalziumkanälen be-

CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 52. Jahrgang, Heft 9/2001 331

grenzt, die für die Erholungsphase ver-antwortlich gemacht werden. Dietransgenen Mäuse lernen schneller undvergessen langsamer – so langsam,dass sie einmal Erlerntes kaum verges-sen und deshalb keine ausreichendegeistige Flexibilität mehr besitzen,Neues zu lernen.

Die aufgeführten Beispiele zeigen,dass man durchaus bereits in der Lageist, die Funktion des Gedächtnisses zubeeinflussen. Ob man jedoch jemalsden altersbedingten Gedächtnisverslusterfolgreichen behandeln kann, bleibtabzuwarten.

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Kontakt:Dr. Röbbe WünschiersUppsala University Dept. Physiol. Botany, EBC,Villavägen 6 SE-75236 UppsalaE-Mail: [email protected]