wochenende 12./13./14. april 2013, nr. 71 frühling in florenz · tels architektur eine...

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Christian Herchenröder Florenz D iese Schau ist ein Meilen- stein in jeder Hinsicht: Ex- ponate, Ausstellungsarchi- tektur und die begleiten- den Texte sind von außer- ordentlicher Qualität. Und nicht zuletzt kann auch die Marktbedeutung der Schau nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn dass der „Frühling der Renaissance“, so der Ausstellungstitel der Schau im Florentiner Palazzo Stroz- zi, mit einem neuen Marktfrühling für diese von der Antike inspirierte Kunst einhergeht, haben schon die New Yor- ker Altmeisterauktionen im Januar be- wiesen. Dort hat das Rundbild einer Maria mit Kind von Fra Bartolommeo 13 Millionen Dollar erzielt. Bereits im Jahr 2008 wurde die sogenannte San Felice Madonna, ein bemaltes Terracotta-Re- lief Donatellos, für 5,6 Millionen Dollar zugeschlagen. Schon im ersten Ausstellungssaal werden uns die Augen geöffnet. Ein rö- mischer Dionysos-Krater mit dynami- schem Relief wird als Inspirationsquelle toskanischer Bildhauer des 13. Jahrhun- derts ins Zentrum gestellt. Reliefs und Figuren aus dem Kreis der Bildhauerfa- milie Pisano zeigen die Prägung durch Marmorbildwerke der römischen Kai- serzeit. Französische Elfenbeinfiguren des 13. Jahrhunderts belegen darüber hinaus, wie stark die italienische Skulp- tur, vor allem die Giovanni Pisanos, ne- ben der Antike vom eleganten Stil der französischen Gotik zehrt. Der Rückblende auf die Gotik folgt ein erhellender Doppelblick auf zwei im selben Jahr (1401) entstandene ver- goldete Bronzereliefs, die im Wettbe- werb um Nordtüren des Baptisteriums in Florenz entstanden. Die fast gleich- altrigen Bildhauer Filippo Brunelleschi und Lorenzo Ghiberti kämpften mit der Darstellung des Isaac-Opfers um den Auftrag, und wir können uns in Augen- höhe kaum entscheiden, wem die Pal- me gebührt. Zwischen Gotik und Renaissance Brunelleschi, Schöpfer der monumen- talen Domkuppel, die hier als revolutio- näres Symbol der Frührenaissance im Holzmodell über den Reliefs thront, zi- tiert in seinem Werk den antiken Dorn- auszieher, während Ghiberti einen Cen- taurentorso des ersten nachchristli- chen Jahrhunderts als Vorbild für die Figur des Isaak nimmt. Obwohl Brunel- leschi nicht als Gewinner aus dem Wett- streit hervorging, nimmt sein aus vier Elementen gegossenes Relief schon das klare Kompositionsschema der Renais- sance vorweg, während das Frühwerk des siegreichen Ghiberti noch der inter- nationalen Gotik verpflichtet ist. Intime Vergleiche dieser beiden in vierblättrige Rahmen gestellte Reliefs erscheinen in fast allen einschlägigen Publikationen der letzten 20 Jahre als Paradestücke der Epoche, aber man muss sie schon wie hier eigenen Auges gesehen haben. Die Folgen sind Ge- schichte. Ghiberti erhielt den Auftrag zur Paradiesestür mit zehn Darstellun- gen zur Jakobslegende, die dann in 26-jähriger Arbeit zu einer Lehrschule der Bronzeskulptur wurde, in der auch Donatello, Michelozzo und Paolo Uccel- lo arbeiteten. Seit dem 19. Jahrhundert, als die „History of Painting in Italy“ von Cro- we/ Cavascaselle (1861) erschien, wurde die Malerei als allein selig machende Kunstgattung der Renaissance betrach- tet. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich diese Sicht grundlegend gewan- delt. 1966 hatte der britische Kunsthis- toriker John White noch die nach dem Tod von Andrea Pisano (1348) in Italien entstandene Skulptur als Rückschritt gewertet. Tatsächlich gibt es kurz vor 1400 keine wirklich herausragenden Bildhauer in der Toskana, und erst Do- natello war es, der die Skulptur endgül- tig aus ihrer Abhängigkeit von Architek- tur und Sakralwand befreite. Es ist der immer wieder vom Blick auf die Antike zehrende Weg in die neu- zeitliche Vollplastik, den die Ausstel- lung Schritt für Schritt nachzeichnet und mit großartigen Leihgaben doku- mentiert. Vom Heiligen Matthäus Lo- renzo Ghibertis, der mit seiner Herr- scherpose und den eingelegten Augen auf römischen Standbildern fußt, bis Donatellos und Nanni di Bartolos aus einem schlanken Marmorblock ge- schlagener Rundum-Plastik „Abraham und Isaak“ ist es ein revolutionärer Weg, obwohl beide Skulpturen zeit- gleich um 1420 entstanden. Für die Ausstellung restauriert wurde Donatel- los 2,85 Meter hoher „Heiliger Ludwig von Toulouse“ aus der Kirche Orsanmi- chele, der aus vielen separat gegosse- nen und vergoldeten Teilen besteht. Die starke Rolle der Skulptur wird auch in den Sektionen betont, die sich mit Engels- und Puttodarstellungen und mit dem Reiterstandbild befassen. Schließlich wird in einer der „Verbrei- tung des Schönen“ gewidmeten Abtei- lung die Vervielfältigung der farbig ge- fassten und vergoldeten Terrakotta-Ma- donnen herausgestellt, von denen jede dank individueller Bemalung eine eige- ne Aura besitzt. Als frühestes pracht- voll erhaltenes Beispiel erscheint hier die „Fiesole Madonna“, ein Gemein- schaftswerk von Filippo Brunelleschi und Nanni di Banco. Den puristischen Kontrast dazu setzt Donatellos „Pazzi Madonna“ aus dem Berliner Bode-Museum: ein perspekti- visch gerahmtes Hochrelief, das eine bemalte Terracotta-Fassung aus dem Louvre als schwächliche Replik beglei- tet. Hier zeigt sich, dass die Florentiner Frührenaissance auch Derivate hervor- brachte, die den Markt befriedigen soll- ten. Dazu gehören auch die zahllosen glasierten Terrakotta-Madonnen der produktiven Della-Robbia-Werkstatt, von denen die Ausstellung die schönsten Exemplare zeigt. Die wichtigste Errungen- schaft der Frührenais- sance wird in dem skulpturalen Überbau der Ausstellung kei- neswegs ausgeblen- det: die Eroberung der Perspektive. 1436 legte der Architekt und Kunsttheoretiker Leon Battista Al- berti mit seinem Traktat „Della Pittura“ die erste systematische Abhandlung der Neuzeit über die Malerei vor. Der Schönheitsapostel propagiert eine auf dem Sehstrahl basierende linearper- spektivische Komposition des Bildes. Seine Kunsttheorie bestimmt, was den vollkommenen Maler und das perfekte Werk ausmacht. Albertis Aufwertung des Malers zum Erfinder und die Gleichstellung des Bildes mit Poesie hat die italienische Kunst bis ins 18. Jahr- hundert beeinflusst. Im Palazzo Strozzi wird dies nur am Rande gestreift. Lediglich zwei Gemäl- den und Zeichnungen werden Marmor- reliefs gegenübergestellt, die perspekti- vische Strukturen mit der „stiaccia- to“-Technik ausprobieren. Deren betont weiche Plastizität ergibt aller- dings nur Andeutungen von Raumtiefe. Hier hätte man sich einige Gemälde mehr gewünscht, die nicht nur die Nä- he zur Plastik und zum Relief suchen. Masolinos Tafel „Die Grundsteinlegung von Santa Maria Maggiore“ (1427) zeigt noch den misslungenen Versuch, mit- tels Architektur eine Scheinperspektive zu erzeugen. Aber schon Filippo Lippi, der hier fehlt, hat Gemälde geschaffen, die in ihrer Weiträumigkeit und Tiefen- wirkung ganz dem Postulat Albertis fol- gen. Der reiche Nährboden einer Blütezeit Der letzte Teil der Ausstellung versam- melt Büsten, wie sie auch in der Berli- ner Schau „Gesichter der Renaissance“ zu sehen waren. Diese Auftragswerke von Desiderio da Settignano, Mino da Fiesole und Antonio Rosselino sind Pa- radebeispiele des naturalistischen Por- träts, das seine Wurzeln schon in der Römerzeit hat. Das letzte Exponat ist ein Architekturmodell: die Holzma- quette des Ausstellungsorts Palazzo Strozzi, das einzige überlebende Modell eines Renaissancepalasts. Er wurde erst 1538 nach fast 50-jähriger Bauzeit voll- endet. Doch da war mit den Bildhauer- werken eines Michelangelo, Baccio Bandinelli und Benvenuto Cellini be- reits der Gipfel der Renaissance er- reicht. Die Ausstellung ist eine Schule des Sehens, die den Nährboden dieser Blütezeit tiefschürfend unter die Lupe nimmt. Die Ausstellung kann auch Ausgangs- punkt einer Kunstwanderung durch das Florenz der Frührenaissance sein. Vor allem die Freskenmalerei des frü- hen Trecento lässt sich an grandiosen erhaltenen Werken in situ studieren. Der Weg führt von der Medici-Kirche San Lorenzo, in der Masaccios Kreuzi- gung als eines der frühesten Beispiele perspektivischer Malerei zu bewun- dern ist, über Fra Angelicos Zyklus zum Leben Jesu im Kloster San Marco und zur Brancacci-Kapelle in Santa Maria del Carmine, in der die Hand dreier Künstler den Bogen von der Spätgotik bis zur Hochrenaissance spannt: Maso- lino, Masaccio und Filippino Lippi — drei Entwicklungsstufen in einem Werk. Hier wird die Intention der Schau im Palazzo Strozzi, der Skulptur den gebührenden Platz in der Ge- schichte der Renaissance einzuräu- men, selbstredend erfüllt. Bis 18.8. im Palazzo Strozzi, vom 26.9. bis 6.1. im Louvre, Paris. Katalog (it./ engl.) 50 Euro. Die Schau im Palazzo Strozzi kommt zur rechten Zeit: Renaissance-Kunst erzielt Höchstpreise. Frühling in Florenz Donatello: „Madonna und Kind“ von 1445 stammt aus dem Pariser Louvre. © 2012 Musée du Louvre / Thierry Ollivier Bronzener Pferde- kopf : Skulptur aus dem Jahr 1455. Archivio dell'Arte 64 KUNSTMARKT WOCHENENDE 12./13./14. APRIL 2013, NR. 71

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Page 1: WOCHENENDE 12./13./14. APRIL 2013, NR. 71 Frühling in Florenz · tels Architektur eine Scheinperspektive zu erzeugen. Aber schon Filippo Lippi, der hier fehlt, hat Gemälde geschaffen,

Christian HerchenröderFlorenz

Diese Schau ist ein Meilen-stein in jeder Hinsicht: Ex-ponate, Ausstellungsarchi-tektur und die begleiten-den Texte sind von außer-

ordentlicher Qualität. Und nicht zuletzt kann auch die Marktbedeutung der Schau nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn dass der „Frühling der Renaissance“, so der Ausstellungstitel der Schau im Florentiner Palazzo Stroz-zi, mit einem neuen Marktfrühling für diese von der Antike inspirierte Kunst einhergeht, haben schon die New Yor-ker Altmeisterauktionen im Januar be-wiesen. Dort hat das Rundbild einer Maria mit Kind von Fra Bartolommeo 13 Millionen Dollar erzielt. Bereits im Jahr 2008 wurde die sogenannte San Felice Madonna, ein bemaltes Terracotta-Re-lief Donatellos, für 5,6 Millionen Dollar zugeschlagen.

Schon im ersten Ausstellungssaal werden uns die Augen geöffnet. Ein rö-mischer Dionysos-Krater mit dynami-schem Relief wird als Inspirationsquelle toskanischer Bildhauer des 13. Jahrhun-derts ins Zentrum gestellt. Reliefs und Figuren aus dem Kreis der Bildhauerfa-milie Pisano zeigen die Prägung durch Marmorbildwerke der römischen Kai-serzeit. Französische Elfenbeinfiguren des 13. Jahrhunderts belegen darüber hinaus, wie stark die italienische Skulp-tur, vor allem die Giovanni Pisanos, ne-ben der Antike vom eleganten Stil der französischen Gotik zehrt.

Der Rückblende auf die Gotik folgt ein erhellender Doppelblick auf zwei im selben Jahr (1401) entstandene ver-goldete Bronzereliefs, die im Wettbe-werb um Nordtüren des Baptisteriums in Florenz entstanden. Die fast gleich-altrigen Bildhauer Filippo Brunelleschi und Lorenzo Ghiberti kämpften mit der Darstellung des Isaac-Opfers um den Auftrag, und wir können uns in Augen-höhe kaum entscheiden, wem die Pal-me gebührt.

Zwischen Gotik und RenaissanceBrunelleschi, Schöpfer der monumen-talen Domkuppel, die hier als revolutio-näres Symbol der Frührenaissance im Holzmodell über den Reliefs thront, zi-tiert in seinem Werk den antiken Dorn-auszieher, während Ghiberti einen Cen-taurentorso des ersten nachchristli-chen Jahrhunderts als Vorbild für die Figur des Isaak nimmt. Obwohl Brunel-leschi nicht als Gewinner aus dem Wett-streit hervorging, nimmt sein aus vier Elementen gegossenes Relief schon das klare Kompositionsschema der Renais-sance vorweg, während das Frühwerk des siegreichen Ghiberti noch der inter-nationalen Gotik verpflichtet ist.

Intime Vergleiche dieser beiden in vierblättrige Rahmen gestellte Reliefs erscheinen in fast allen einschlägigen Publikationen der letzten 20 Jahre als Paradestücke der Epoche, aber man muss sie schon wie hier eigenen Auges gesehen haben. Die Folgen sind Ge-schichte. Ghiberti erhielt den Auftrag zur Paradiesestür mit zehn Darstellun-gen zur Jakobslegende, die dann in 26-jähriger Arbeit zu einer Lehrschule der Bronzeskulptur wurde, in der auch Donatello, Michelozzo und Paolo Uccel-lo arbeiteten.

Seit dem 19. Jahrhundert, als die „History of Painting in Italy“ von Cro-we/ Cavascaselle (1861) erschien, wurde die Malerei als allein selig machende Kunstgattung der Renaissance betrach-tet. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich diese Sicht grundlegend gewan-delt. 1966 hatte der britische Kunsthis-toriker John White noch die nach dem Tod von Andrea Pisano (1348) in Italien entstandene Skulptur als Rückschritt gewertet. Tatsächlich gibt es kurz vor 1400 keine wirklich herausragenden Bildhauer in der Toskana, und erst Do-natello war es, der die Skulptur endgül-tig aus ihrer Abhängigkeit von Architek-tur und Sakralwand befreite.

Es ist der immer wieder vom Blick auf die Antike zehrende Weg in die neu-zeitliche Vollplastik, den die Ausstel-lung Schritt für Schritt nachzeichnet und mit großartigen Leihgaben doku-mentiert. Vom Heiligen Matthäus Lo-renzo Ghibertis, der mit seiner Herr-scherpose und den eingelegten Augen auf römischen Standbildern fußt, bis Donatellos und Nanni di Bartolos aus einem schlanken Marmorblock ge-schlagener Rundum-Plastik „Abraham und Isaak“ ist es ein revolutionärer Weg, obwohl beide Skulpturen zeit-gleich um 1420 entstanden. Für die Ausstellung restauriert wurde Donatel-los 2,85 Meter hoher „Heiliger Ludwig von Toulouse“ aus der Kirche Orsanmi-chele, der aus vielen separat gegosse-nen und vergoldeten Teilen besteht.

Die starke Rolle der Skulptur wird auch in den Sektionen betont, die sich mit Engels- und Puttodarstellungen

und mit dem Reiterstandbild befassen. Schließlich wird in einer der „Verbrei-tung des Schönen“ gewidmeten Abtei-lung die Vervielfältigung der farbig ge-fassten und vergoldeten Terrakotta-Ma-donnen herausgestellt, von denen jede dank individueller Bemalung eine eige-ne Aura besitzt. Als frühestes pracht-voll erhaltenes Beispiel erscheint hier die „Fiesole Madonna“, ein Gemein-schaftswerk von Filippo Brunelleschi und Nanni di Banco.

Den puristischen Kontrast dazu setzt Donatellos „Pazzi Madonna“ aus dem Berliner Bode-Museum: ein perspekti-visch gerahmtes Hochrelief, das eine bemalte Terracotta-Fassung aus dem Louvre als schwächliche Replik beglei-tet. Hier zeigt sich, dass die Florentiner Frührenaissance auch Derivate hervor-brachte, die den Markt befriedigen soll-ten. Dazu gehören auch die zahllosen glasierten Terrakotta-Madonnen der produktiven Della-Robbia-Werkstatt, von denen die Ausstellung die schönsten Exemplare zeigt.

Die wichtigste Errungen-schaft der Frührenais-sance wird in dem skulpturalen Überbau der Ausstellung kei-neswegs ausgeblen-det: die Eroberung der Perspektive. 1436 legte der Architekt

und Kunsttheoretiker Leon Battista Al-berti mit seinem Traktat „Della Pittura“ die erste systematische Abhandlung der Neuzeit über die Malerei vor. Der Schönheitsapostel propagiert eine auf dem Sehstrahl basierende linearper-spektivische Komposition des Bildes. Seine Kunsttheorie bestimmt, was den vollkommenen Maler und das perfekte Werk ausmacht. Albertis Aufwertung des Malers zum Erfinder und die Gleichstellung des Bildes mit Poesie hat die italienische Kunst bis ins 18. Jahr-hundert beeinflusst.

Im Palazzo Strozzi wird dies nur am Rande gestreift. Lediglich zwei Gemäl-den und Zeichnungen werden Marmor-reliefs gegenübergestellt, die perspekti-vische Strukturen mit der „stiaccia-to“-Technik ausprobieren. Deren betont weiche Plastizität ergibt aller-dings nur Andeutungen von Raumtiefe. Hier hätte man sich einige Gemälde mehr gewünscht, die nicht nur die Nä-he zur Plastik und zum Relief suchen. Masolinos Tafel „Die Grundsteinlegung von Santa Maria Maggiore“ (1427) zeigt noch den misslungenen Versuch, mit-tels Architektur eine Scheinperspektive zu erzeugen. Aber schon Filippo Lippi, der hier fehlt, hat Gemälde geschaffen, die in ihrer Weiträumigkeit und Tiefen-wirkung ganz dem Postulat Albertis fol-gen.

Der reiche Nährboden einer Blütezeit Der letzte Teil der Ausstellung versam-melt Büsten, wie sie auch in der Berli-ner Schau „Gesichter der Renaissance“ zu sehen waren. Diese Auftragswerke von Desiderio da Settignano, Mino da Fiesole und Antonio Rosselino sind Pa-radebeispiele des naturalistischen Por-träts, das seine Wurzeln schon in der Römerzeit hat. Das letzte Exponat ist ein Architekturmodell: die Holzma-quette des Ausstellungsorts Palazzo Strozzi, das einzige überlebende Modell eines Renaissancepalasts. Er wurde erst 1538 nach fast 50-jähriger Bauzeit voll-endet. Doch da war mit den Bildhauer-werken eines Michelangelo, Baccio Bandinelli und Benvenuto Cellini be-reits der Gipfel der Renaissance er-reicht. Die Ausstellung ist eine Schule des Sehens, die den Nährboden dieser Blütezeit tiefschürfend unter die Lupe nimmt.

Die Ausstellung kann auch Ausgangs-punkt einer Kunstwanderung durch das Florenz der Frührenaissance sein. Vor allem die Freskenmalerei des frü-hen Trecento lässt sich an grandiosen erhaltenen Werken in situ studieren.

Der Weg führt von der Medici-Kirche San Lorenzo, in der Masaccios Kreuzi-gung als eines der frühesten Beispiele perspektivischer Malerei zu bewun-dern ist, über Fra Angelicos Zyklus zum Leben Jesu im Kloster San Marco und zur Brancacci-Kapelle in Santa Maria del Carmine, in der die Hand dreier Künstler den Bogen von der Spätgotik bis zur Hochrenaissance spannt: Maso-lino, Masaccio und Filippino Lippi — drei Entwicklungsstufen in einem Werk. Hier wird die Intention der Schau im Palazzo Strozzi, der Skulptur den gebührenden Platz in der Ge-schichte der Renaissance einzuräu-men, selbstredend erfüllt.Bis 18.8. im Palazzo Strozzi, vom 26.9. bis 6.1. im Louvre, Paris. Katalog (it./engl.) 50 Euro.

Die Schau im Palazzo Strozzi kommt zur rechten Zeit: Renaissance-Kunst erzielt Höchstpreise.

Frühling in Florenz

Donatello: „Madonna und Kind“ von 1445 stammt aus dem Pariser Louvre.

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64 KUNSTMARKT WOCHENENDE 12./13./14. APRIL 2013, NR. 71

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Olga Grimm-WeissertParis

D ie Pariser Messe „Salon du Des-sin“ setzt mit der 22. Ausgabe ih-ren Erfolg fort: Vom 10. bis 15.

April strömen Interessenten in das Ge-bäude der ehemaligen Börse und kau-fen Erlesenes und Rares, das Künstler skizzierten oder als vollendetes Kunst-werk auf Papier bannten. Die 39 Gale-risten verfügen über eine Offerte, die in-zwischen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht.

Vor ein paar Jahren reagierten die Or-ganisatoren damit auf die Konkurrenz der Zeitgenossen-Veranstaltung, die jetzt „Drawing Now“ heißt. Sie konter-ten mit der Zulassung von je drei zeitge-nössischen Topgalerien pro „Salon“. In diesem Jahr sind es die Galerie de France, Karsten Greve (beide Paris) und die italienische Continua Galerie. Mittlerweile decken viele Aussteller des

„Salon“ ein bis zur Gegenwart reichen-des Spektrum ab. So bietet der Londo-ner Jean-Luc Baroni ein großes Aqua-rell von André Derain, „Das Paradies auf Erden“ für 450 000 Euro und eine „Felsenlandschaft“ von Gerhard Rich-ter von 1984 zum gleichen Preis.

Trotz des im Laufe der Jahre effektiv reduzierten Angebots finden die aus der westlichen Welt angereisten Samm-ler, Kuratoren und – in diesem Jahr auch jungen – Interessenten noch viele Blätter alter Meister: Bei Bob Haboldt (Paris) entdeckt man eine lavierte Fe-derzeichnung von Hans Franckenber-ger d.Ä., der 1519 den Evangelisten Jo-hannes darstellte (35 000 Euro). Mar-tin Moeller, Hamburg, verweist auf seine 14 Blätter von Adolph von Menzel, dem Dauerbrenner des „Salon du Des-sin“ (von 15 000 bis 86 000 Euro). Während Bellinger-Colnaghi zwei zarte Bleistiftzeichnungen von Caspar David Friedrich anbieten.

Immer noch in den Kinderschuhen steckt die siebente Zeitgenossen-Kunst-messe im „Caroussel du Louvre“ (11. bis 14.4.), wo man ein krasses Qualitäts- und Präsentationsgefälle konstatiert. Während Galeristen wie Eric Dupont,

Thessa Herold (beide Paris) oder der Düsseldorfer Hans Mayer (gemeinsam mit Caroline Smulders, Paris) ein kohä-rentes Standkonzept aufweisen, wirken Überangebot und Stilmix in zahlrei-chen Kojen unerfreulich und unbe-darft. Mayer/Smulders präsentieren 56 Blätter von Jürgen Klauke mit Cioran-Aphorismen (140 000 Euro), sowie zar-te Gouachen. Thessa Herold wählte De-koratives Henri Michaux, einfühlsam mit jungen Epigonen gehängt.

Die leicht rezipierbaren Porträt-Gou-achen von Damien Cabanes kosten bei Eric Dupont je 2 900 Euro. Der in Lon-don tätige Patrick Heide bietet die abs-trakten Farbcollagen der Engländerin Sarah Bridgland (550 bis 2 200 Euro) an. Bei Katz Contemporary (Zürich) hängen die ironisch-erotischen Zeich-nungen des Stars der letzten Jahre: San-dra Vasquez de la Horra, die Thaddäus Ropac im Juni in der Pariser Galerie ausstellen wird.

Zwei Messen in Paris konkurrieren um Liebhaber von Zeichnungen: „Salon du Dessin“ und „Drawing Now“.

Rares und Kostbares auf Papier

André Derain: „Das Paradies auf Erden“.

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Museums-Auktion

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