wohin es führen kann, wenn man abhaut - swr.de7759720/... · – also, wer ist es denn? mit wem...
TRANSCRIPT
1
SWR2 GLAUBEN
Wohin es führen kann, wenn man abhaut
DER PROPHET JONA IM INTERVIEW
Von Anna Maria Hagin und Friedrich Grotjahn
SENDUNG 22.04.2011 /// 12.05 UHR
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Wohin es führen kann, wenn man abhaut
Der Prophet Jona im Interview
Telefongeräusche
GLORIA
Vereinigte Paradiese, mein Name ist Gloria. Was kann ich für Sie tun?
INTERVIEWER
Ich bin es wieder einmal: Jörg Vins vom Südwestrundfunk.
2
GLORIA
(fröhlich) Herr Vins! Sie schon wieder!
INTERVIEWER
Ja ich. Entschuldigung. Ich hoffe, ich gehe Ihnen nicht auf die Nerven, aber es ist –
GLORIA
Nein ganz im Gegenteil. Ich finde es ganz wunderbar, Sie wieder zu hören. Das
letzte Mal, da habe ich Sie mit Eva und Adam zusammengebracht. Und um soll es
denn heute gehen?
INTERVIEWER
Das ist ein bisschen knifflig.
GLORIA
Ach, Herr Vins, Sie kennen mich doch. Ich liebe knifflige Aufgaben. Und bis jetzt
haben wir doch noch immer herausgefunden, was wir wollten. – Also, wer ist es
denn? Mit wem möchten Sie sprechen?
INTERVIEWER
Das ist es ja gerade. Ich weiß nicht, ob es diesen Menschen wirklich gegeben hat
oder ob er nur so etwas ist wie eine Romanfigur.
GLORIA
Was man sich vorstellt, das gibt es auch.
INTERVIEWER
Ja, die Wirklichkeit findet in unseren Köpfen statt, ich weiß, ich weiß ....
GLORIA
Dann sagen Sie mir doch, wen Sie meinen.
INTERVIEWER
3
Den Propheten Jona.
GLORIA
Und wo liegt das Problem? Einen kleinen Augenblick bitte! (Computergeräusche)
(buchstabiert leise für sich) G, H, I, J. JO. Jona.
Da haben wir ihn doch: Jona, der Sohn Amittais, ein Prophet aus Gat-Hefer. Zweites
Buch der Könige, Kapitel 14.
INTERVIEWER (zögerlich)
Ja, aber ich glaube, mir geht es um einen anderen Jona. Seine Geschichte steht
nicht im Buch der Könige, sondern bei den so genannten „kleinen Propheten“
zwischen Obadja und Micha. Wissen Sie, die Geschichte von Jona und dem großen
Fisch. Und die beginnt mit dem Satz: „Es geschah das Wort des HERRN zu Jona,
dem Sohn Amittais…“
GLORIA
(Gloria wiederholt die letzten Worte des Interviewers) ‚Jona, der Sohn Amittais’. Das
kann doch nur derselbe Jona sein.
Es gäbe natürlich noch die Möglichkeit, dass der Autor dieser Erzählung, sich an
diesen Jona aus dem Zweiten Buch der Könige erinnert hat und ihn dann in der
Erzählung zu seinem Protagonisten gemacht hat. Wenn das der Fall ist, können wir
davon ausgehen, dass er sich dabei etwas gedacht hat. Für ihn ist es ein und
derselbe Prophet. Ich glaube, wir sollten das einfach mal so akzeptieren.
INTERVIEWER
Na schön. Wir können es versuchen. Würden Sie mich dann bitte mit diesem Jona
verbinden?
GLORIA
Gerne doch!
4
Telefongeräusche
JONA
Hier ist Jona. Gloria, was gibt’s?
GLORIA
Ich habe hier Herrn Vins vom Südwestrundfunk in der Leitung. Der hat schon mit
verschiedenen Personen aus der Bibel Interviews geführt, zuletzt mit Eva und Adam.
Er würde gern mit Ihnen über die Sache mit dem Fisch sprechen, weiß aber nicht, ob
Sie der Jona mit dem Fisch sind.
JONA
Ach ja? Das möchte ich manchmal auch gerne wissen, ob ich der bin, der ich bin,
oder ein anderer. Aber verbinden Sie mich doch mit ihm.
GLORIA
Wenn Sie bitte aufs Knöpfchen drücken würden?
JONA
Ja. Ich bin Jona.
INTERVIEWER
Der Sohn Amittais?
JONA
Ich kenne keinen anderen.
INTERVIEWER
Dann tauchen Sie aber mindestens zweimal in der Bibel auf und zwar zu ganz
unterschiedlichen Zeiten.
JONA
Einmal Prophet, immer Prophet. Und was möchten Sie von mir wissen?
5
INTERVIEWER
Mir geht es um den Jona mit dem großen Fisch. Und ich würde gern wissen, ob Sie
das sind.
JONA
Gehen wir doch einfach davon aus. Und wenn Sie irgendwann in unserem Gespräch
den Eindruck haben, dass ich es nicht bin, dann brechen wir ab, und Sie suchen sich
einen anderen Jona.
INTERVIEWER
Na ja, also gut - einverstanden. Können wir dann anfangen?
JONA
Können wir.
INTERVIEWER
Ihre Geschichte beginnt damit, dass Gott Sie beauftragt, nach Ninive zu gehen und
dieser sündigen Stadt den Untergang anzusagen. Und Sie machen sich
schnurstracks auf - und zwar genau in die entgegen gesetzte Richtung. Statt nach
Osten, nach Ninive, zu gehen, besteigen Sie ein Schiff, das nach Westen fährt.
Einfach so, ohne irgendeine Erklärung.
JONA
Ist das so schwer zu verstehen?
INTERVIEWER
Na ich bin ja nun kein Prophet, sondern Journalist. Aber ich würde es gern
verstehen, deshalb rufe ich Sie an. Sie müssen doch einen Grund gehabt haben,
einfach abzuhauen als wäre der Teufel hinter Ihnen her.
6
JONA
Gott war hinter mir her! Ich wollte diesen Auftrag nicht! Ich wollte weg! Weg! Nur
noch weg. „Aus den Augen, aus dem Sinn!“ Deshalb bin ich auf das Schiff nach
Spanien gegangen, genauer nach Tharsis. Wo genau das lag, wusste ich nicht. Es
hieß, es läge am Ende der Welt. Und da wollte ich hin.
INTERVIEWER
In dem schönen Buch „Moby Dick“ von Herman Mellvile...
JONA
Das kenn ich, das habe ich auch gelesen.
INTERVIEWER
…gibt es im neunten Kapitel eine Predigt über Jona und den Fisch. Der Prediger,
Vater Mapple, der sich in der christlichen Seefahrt und in der Geographie auskennt,
erklärt:
„Wie man sagt, kann Tharsis keine andere Stadt gewesen sein als das jetzige Cadiz.
… Und wo liegt Cadiz, Seeleute? … Genau am Ausgang der Straße von Gibraltar.
Seht ihr da nicht, Kameraden, dass Jona die ganze Welt zwischen sich und Gott
legen wollte?“
JONA
Die ganze Welt zwischen mich und Gott legen. Besser kann man es nicht
ausdrücken.
INTERVIEWER
7
Sie traten da ziemlich … zielstrebig - ja fast wie selbstverständlich - die Flucht an. Es
schien nur diesen einen Ausweg für Sie zu geben. Aber noch einmal meine Frage
von eben: Warum? Was war der eigentliche Grund?
JONA
Nun hören Sie mir mal gut zu. Ich sollte mich in diese Stadt stellen – ausgerechnet
die riesige Stadt Ninive, die geradezu ein Sinnbild des Bösen war. Ich sollte ihr
ansagen, dass sie untergehen wird. Ohne wenn und aber. So sollte ich es sagen.
Kein Wort von ‚wenn ihr nicht umkehrt, dann…’ kein Wort von: ‚wenn Gott nicht doch
noch Barmherzigkeit zeigt…’ Nichts dergleichen. Einfach nur der Untergang einer
ganzen Stadt. Radikal, absolut, bedingungslos. Keine Alternative.
Das war mir zu heiß. Ich geriet in Panik. Ich dachte, dieses Mal geht es schief. Der
Gedanke setzet sich in meinen Kopf fest, was wäre, wenn Gott sich die ganze
Sache plötzlich anders überlegt. Verstehen Sie? Gott schickt mich los mit einem
klaren Auftrag. Ich, sein Prophet, handele nach seinem Wort. Aber wer garantiert mir,
dass Gott selbst sich daran halten wird? Und wenn er das nicht tut? Wenn er sich
anders entscheidet - es war ja nicht das erste Mal - dann stehe ich da als der Depp,
schlimmer noch: als falscher Prophet. Auch ich hatte so etwas wie eine Berufsehre.
INTERVIEWER
Hm. Verstehe.
JONA
Naja. Inzwischen - es sind ja ein paar Jahre ins Land gegangen - habe ich ziemlich
viel Zeit zum Nachdenken gehabt. - Wissen Sie, ich war, und im Grunde bin ich es
vielleicht immer noch, ein Mensch der eindeutige Antworten wollte. Ein ‚Ja’ oder ein
‚Nein’. Aber um Gottes Willen kein ‚vielleicht’. Ich brauchte Eindeutigkeit. Ich war
immer für klare Verhältnisse. Gut sollte gut sein und böse böse. Gerechtigkeit sollte
gerecht sein und Barmherzigkeit barmherzig. Alles zu seiner Zeit und nicht alles auf
einmal und durcheinander, weil im entscheidenden Moment Gott seine Prinzipien
womöglich wieder über den Haufen wirft. Und weil ich so etwas schon geahnt hatte,
bin ich abgehauen, damals. Ich bin mit diesen vielen … (sucht nach dem Wort)
Unwägbarkeiten, die ich nicht in der Hand hatte, nicht zu Recht gekommen.
8
INTERVIEWER
In der Soziologie gibt es eine Definition von Macht: „Macht ist die Kontrolle über
relevante Unwägbarkeitszonen“. War es das?
JONA
Wenn Sie so wollen, vielleicht war es auch das: das Gefühl von Ohnmacht, von
Ausgeliefertsein.
INTERVIEWER
In der kleinen Schrift von Uwe Johnson: „Jonas zum Beispiel“, steht (Zitat) „Die Seele
des Propheten ist empfindlich und wissend und zweiflerisch, um die Stimme des
Herrn zu hören und das Unglück zu erfahren.“
JONA
Das soll ja wohl heißen, dass jemand dessen Seele nicht empfindlich, nicht wissend,
nicht zweiflerisch ist, die Stimme des Herrn gar nicht erst hört, also kein Prophet sein
kann. Aber ich, ich war sein Prophet, auch wenn ich es lieber nicht gewesen wäre.
INTERVIEWER
Sehr knapp und präzise wird dann ihre Flucht beschrieben, die ja bald nicht mehr
eine Flucht nach Westen war, sondern ein Weg nach unten. Es heißt: Jona ging
hinab nach Jafo, die Hafenstadt, stieg in ein Schiff, bezahlte die Passage, begab sich
nach unten, ins unterste Deck, legte sich hin und schlief.
JONA
„…Sterben - schlafen - / Nichts weiter! Und zu wissen, dass ein Schlaf / das Herzweh
und die tausend Stöße endet, /die unsers Fleisches Erbteil, 's ist ein Ziel,
/Aufs innigste zu wünschen. Sterben / - schlafen - / schlafen! Vielleicht auch träumen!
…“
INTERVIEWER
Was war denn das?
9
JONA
Hamlet, 3. Akt, 1. Szene.
INTERVIEWER
Ach Du meine Güte. Sie kennen Hamlet und können den sogar zitieren?!
JONA
Ja und?
Ich verkroch mich so jedenfalls tief unten in den Schiffsbauch und zog die Decke
über den Kopf. Nach dem Motto: ‚ich bin gar nicht da und die Welt mit ihren
Problemen ist auch nicht da.’ Das bin ich: Wenn mir die Probleme über den Kopf
wuchsen, wollte ich nichts anderes als einfach abtauchen und schlafen. Wie Hamlet
eben.
INTERVIEWER
Bei „Moby Dick“ sagt dieser Vater Mapple in seiner Predigt: „Dieses Schiff, ihr
Freunde, war das erste uns schriftlich überlieferte Schmugglerschiff: Die
Konterbande“ – also die Schmugglerware – „war Jona. Aber das Meer empört sich,
will die ruchlose Frucht nicht tragen.“
JONA
Aha. Ich also als Schmugglerware. Naja…
Wie dem auch sei. Was folgte, ist bekannt: Ein Sturm kam auf…
INTERVIEWER
… und die Besatzung versuchte verzweifelt, sich und das Schiff zu retten, während
Sie immer noch da unten im Schiffsbauch lagen und schliefen wie ein Murmeltier.
Der Kapitän musste Sie wecken. „Wie kannst du schlafen?“, fragte er laut Bibel.
10
„Steh auf und ruf deinen Gott an; vielleicht denkt dieser Gott an uns, sodass wir nicht
untergehen.“ Dann haben sie das Los geworfen und festgestellt, dass Sie der
Schuldige an diesem Unwetter waren.
JONA
Ja, die Leute waren einigermaßen entsetzt, als sie erfuhren, dass ich vor meinem
Gott auf der Flucht war. Das hatte ich ihnen gestanden. Sie fragten, was sie mit mir
anfangen sollten, damit sich das Meer wieder beruhigt. Naja, was dann kam, ist
bekannt. Ich ließ mich über Bord werfen, weil das für alle das Beste war. Das war
übrigens meine Idee. Ich dachte lieber sterben, als diesen Auftrag ausführen.
Augenblicks legte sich der Sturm. Ich aber, ich sank tiefer und tiefer, bis am Ende der
große Fisch kam und mich in sich reinschlozte. Tiefer kann man nicht sinken.
INTERVIEWER
Aber da unten haben Sie sich ja dann ganz gut eingerichtet.
JONA
So merkwürdig sich das anhören mag: Da ganz unten, wo ich selbst nichts tun
konnte, nicht handeln musste, nirgends hingeschickt werden konnte, da habe ich
mich ganz bei Gott gefühlt.
INTERVIEWER
Das klingt ja fast nach „Privatkapelle“: Der Prophet im Bauch des großen Fischs ist
mit sich, mit der Welt und mit Gott im Reinen. Er sitzt da und singt Psalmen. Aber
sagen Sie mal – im Bauch eines Riesenfisches, das muss doch wahnsinnig
gestunken haben, immer wieder schwappt Meerwasser nach, kein Sauerstoff...
JONA (etwas genervt)
Worüber Sie sich Gedanken machen. Das ist doch nicht der Punkt.
11
INTERVIEWER
Was ist dann der Punkt.
JONA
Das will ich Ihnen gleich sagen. Erst mal ging das drei Tage so im Bauch des
Fisches. (mit Bedeutung) Dann hat der Fisch mich wieder an Land gespuckt.
INTERVIEWER
Diese Stelle hat ja dann sogar Eingang ins Neue Testament gefunden.
JONA
Sie meinen das „Zeichen des Jona“ im Matthäusevangelium?
INTERVIEWER
Es geht da um eine ziemlich heftige Auseinandersetzung mit der geistlichen Elite von
Israel: Pharisäer und Sadduzäer wollten Jesus nicht glauben, dass er der
Menschensohn, der Messias ist. Sie wollten Beweise, ein „Zeichen“. Und Jesus, sehr
schroff, sehr klar und sehr direkt: „Diese böse und treulose Generation fordert ein
Zeichen, doch das einzige Zeichen, das sie bekommen wird, entspricht dem, was der
Prophet Jona erlebt hat. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des
Fischs war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde
sein.“
JONA
Und dann wird es für mich schon etwas peinlich, wie er ausgerechnet die Leute von
Ninive seinen frommen Zeitgenossen als Vorbild präsentiert.
12
INTERVIEWER
Na das braucht Ihnen doch nun wirklich überhaupt nicht peinlich zu sein. Schließlich
hat Ninive sich auf Ihre Predigt hin bekehrt. Und darauf verweist Jesus wenn er sagt:
„Am Tag des Jüngsten Gerichts werden die Leute von Ninive gegen diese
Generation auftreten und sie verurteilen; denn sie haben sich nach der Predigt des
Jona bekehrt. Hier aber ist einer, der größer ist als Jona.“
JONA
Das kann man wohl sagen, dass er einer war, „der größer ist als Jona“. Und
eigentlich bin ich schon sehr stolz, dass er mich, einen von den „kleinen Propheten“,
als sein Vorbild erwähnt, als Vorbild, dem er selbst entspricht, und das er schließlich
überbietet. Damit kann ich gut leben.
INTERVIEWER
Lassen Sie uns dann zurückgehen zu Ihrer eigenen Geschichte:
Wie Sie damals wieder an Land gekommen sind, das erzählt Vater Mapple in seiner
Predigt so: „Da sprach der Herr zum Fische; und aus der schaudernden Kälte und
Finsternis des Meeres kam der Wal“ – also bei Moby Dick war‘s ein Wal – „kam der
Wal herauf geschossen an die liebe, warme Sonne und spie Jona aus ans Land.“
JONA
‚Liebe warme Sonne’ ist gut. Das Ganze war so, als hätte ich eine Ereigniskarte beim
Monopoli gezogen. Da muss man unter Umständen auch wieder auf Los gehen. also
auf den Anfang zurück. So kam ich mir vor. Ich saß da an Land und als ich mich
umsah, musste ich feststellen, es war genau die Stelle, von der aus ich weggelaufen
war. Der Fisch hatte mich zurück gespuckt, nicht nur „an die liebe, warme Sonne“
sondern auch zurück in meine Prophetenrolle. Dem Auftrag nach Ninive zu gehen
13
war ich nicht entkommen. Und Gott auch gleich wieder: „Mach dich auf den Weg und
geh nach Ninive, in die große Stadt, und droh ihr all das an, was ich dir sagen
werde.“ Und das war genau das gleiche, was er schon vorher gesagt hatte, genauso
bedingungslos wie beim ersten Mal. Ich stand also wieder am Anfang.
INTERVIEWER
Ausgehend vom „Zeichen des Jona“ hat man sich in der frühen Christenheit sehr mit
Ihnen beschäftigt. Man hat Sie Jesus gegenübergestellt. Es gibt Bilder und
Darstellungen, in denen Sie gerade aus dem Fisch herauskommen und zwar nackt
und kahlköpfig. man denkt unwillkürlich dabei an eine zweite Geburt, nicht wahr?
JONA
Mag sein. Es kann aber auch bedeuten, Man kommt aus einer solchen Situation
nicht ungeschoren davon. Jedenfalls habe ich mich damals so gefühlt. Nur, das
kann ja beides stimmen: das In-die-Welt-gesetzt-werden soll für die Neugeborenen ja
auch nicht unbedingt ein Vergnügen sein.
INTERVIEWER
Apropos Vergnügen. Vater Mapple im Moby Dick beschreibt Ihre Rückkehr so: „Aber
es geschah das Wort des Herrn zum andernmal, und Jona, vernichtet und
zerschlagen – seine Ohren wie zwei Meermuscheln noch voll vom unendlichen
Rauschen des Ozeans – Jona tat nach des Allmächtigen Geheiß. Und was war dies,
Kameraden? Die Wahrheit zu predigen ins Angesicht der Lüge! Das war es!“ –
Sie gingen also nach Ninive.
JONA
Ich hatte keine Wahl.
INTERVIEWER
14
Ninive, die Hauptstadt des Assyrerreichs, hat in Israel Jahrhunderte lang Angst und
Schrecken verbreitet. Sie war das Exempel einer feindlichen Stadt, Zentrum des
Bösen. Und dieser Stadt sollten Sie den Untergang ansagen.
JONA
Und da war ich gleich wieder drin in dem ganzen Schlamassel meiner prophetischen
Existenz. Wenn ich als Prophet Gottes rede, und ernst genommen werden will, dann
muss das auch eintreffen, was ich ankündige. Wenn nicht, bin ich ein falscher
Prophet, und für einen Propheten gibt es kaum etwas Schlimmeres.
Und ganz nebenbei: wie stünde Gott selbst da, wenn seine Prophezeiung nicht wahr
würde?
Wenn sie aber wahr wird, wenn ich also Ninive den Untergang ansage, und der trifft
tatsächlich ein, bin ich, wenigstens indirekt, schuld an der Zerstörung einer ganzen
Stadt und am Tod tausender Menschen, letztendlich an der Auslöschung allen
Lebens in Ninive.
Untergang oder Umkehr Ninives. Beides war irgendwie unerträglich für mich.
INTERVIEWER
Wobei – das war ja nun nicht Ihre Idee. Sie waren ja sozusagen nur der Bote des
Wortes Gottes.
JONA
Nun ja, dass dem Treiben in dieser Stadt ein Ende gesetzt werden sollte, das hat mir
schon gefallen. Gerecht wäre es schon gewesen. Aber der Henker wollte ich auch
nicht sein
Aber so weit habe ich damals nur am Rande gedacht. Im Grunde ging es mir nur
darum, endlich meinen Auftrag zu erfüllen. Alles Weitere würde man sehen.
INTERVIEWER
Das klingt so wie: „nach mir die Sintflut“.
JONA
Ja, so können Sie es auch sagen.
15
INTERVIEWER
Nun waren Sie in Ninive. Angekommen in der Hauptstadt des Bösen. Wie muss ich
mir das vorstellen, wenn jemand einer ganzen Großstadt den Untergang ankündigt?
JONA
Ich bin in die Stadt hineingegangen, nicht ganz bis in die Mitte, habe mich da gut
sichtbar aufgestellt und habe getan was meines Amtes war und zwar laut und
deutlich vernehmbar: „So spricht Jahwe, der Gott des Himmels und der Erde: Noch
vierzig Tage, und in Ninive ist kein Leben mehr! Noch vierzig Tage, und Ninive ist
tot!“
Und als ich sicher war, dass man mich verstanden hatte, bin ich wieder raus aus der
Stadt, habe mir einen Platz gesucht, etwas weiter oberhalb, wo ich einen guten
Überblick hatte, habe mir eine Laubhütte zurecht gemacht, mich hingesetzt und
abgewartet.
INTERVIEWER
Ihre Unheilsansage hatte einen durchschlagenden Erfolg:
„Als die Nachricht davon den König von Ninive erreichte“ – schreibt die Bibel - „stand
er von seinem Thron auf, legte seinen Königsmantel ab, hüllte sich in ein
Bußgewand und setzte sich in die Asche. Er ließ in Ninive ausrufen: Befehl des
Königs (…) Alle Menschen und Tiere, Rinder, Schafe und Ziegen, sollen nichts
essen, nicht weiden und kein Wasser trinken. Sie sollen sich in Bußgewänder hüllen,
Menschen und Tiere. Sie sollen laut zu Gott rufen und jeder soll umkehren und sich
von seinen bösen Taten abwenden und von der Gewalt, die an seinen Händen klebt.
Wer weiß, vielleicht reut es Gott noch einmal, und er lässt ab von seinem glühenden
Zorn, so dass wir nicht zugrunde gehen.“
Das war der Erfolg Ihrer Predigt!
16
JONA
Ja, schön. Und nun kommt Gott. Er sieht, wie die Leute von Ninive sich bekehren,
und bekehrt sich auch: Er bereut das Übel, das er ihnen angekündigt hatte – durch
mich angekündigt hatte – und verschont die Stadt. – Und ich saß da als „falscher
Prophet“, genau so, wie ich es befürchtet hatte.
INTERVIEWER
Nun hören Sie mal: 120.000 Menschen wurden gerettet, und Sie sitzen da und
maulen, weil Gott sich nicht so verhalten hat, wie Sie das von ihm erwartet haben.
JONA
Ach, Herr Vins, heute sehe ich auch manches anders als damals. Ich hatte Ihnen
vorhin schon gesagt, dass ich lange Zeit zum Nachdenken hatte. – Aber wenn man
zu den alten Geschichten befragt wird, dann kommt auch der alte Ärger wieder hoch.
Als alttestamentlicher Prophet hat man schließlich so etwas wie eine Berufsehre.
Und wenn es öfter passiert, dass das, was man im Namen Gottes verkündet, nicht
eintrifft, weil Gott es sich anders überlegt hat, da mag man sich nicht mehr im Spiegel
ansehen.
Als ich beim Anblick Ninives sah, dass Gott barmherzig mit der Stadt umging und sie
leben ließ, sah ich nur, dass er mich in seiner Barmherzigkeit mal wieder im Stich
gelassen hatte. Wer war ich denn? Ich durfte der Dumme sein, damit andere leben
17
durften. Ich war wütend. Und das hab ich auch ihm auch gesagt. Ich wollte nur noch
tot sein.
Aus heutiger Sicht war das schon natürlich reichlich engstirnig und egozentrisch.
INTERVIEWER
Wenn Sie heute noch einmal den gleichen Auftrag bekämen, würden Sie heute den
Leuten in Ninive nach ihrer Umkehr die Barmherzigkeit, das Erbarmen Gottes
gönnen?
Sind Sie nachsichtiger geworden mit Ninive? Mit Gott? Und vielleicht auch mit sich
selbst?
JONA
Heute sehe ich, dass es noch etwas anderes gibt als wahr und falsch, Recht und
Unrecht, gut und böse, nämlich das Recht auf Leben. Ich sehe, dass sich das Leben
nicht an meinen Moralvorstellungen ausrichtet.
Seit Ninive habe ich begriffen, dass es ein „Vielleicht“ geben muss. Dieses
zweideutige „Vielleicht“, das sich der Eindeutigkeit der Moral und der angeblichen
Unabänderlichkeit entgegenstemmt, - auch der Unabänderlichkeit des Wortes Gottes
übrigens. Ein Vielleicht, das nicht zulässt, dass es nur solche Alternativen gibt:
Wahrheit oder Leben, Realität oder Glück. Und das ist gut so.
Und schließlich habe ich begriffen, warum ich nur als falscher Prophet ein wahrer
Prophet sein konnte.
INTERVIEWER
Das wäre ja nun schon fast ein schönes Schlusswort. Ich möchte aber doch noch auf
die kleine Szene am Ende Ihrer Geschichte zu sprechen kommen.
JONA
Natürlich, der Rhizinus.
INTERVIEWER
Sie saßen da in ihrer Laube außerhalb der Stadt und waren beleidigt, weil Gott sich
nicht an sein eigenes Wort gehalten hatte. Mehr noch, er hatte sich an Ihrem völligen
Versagen – die Prophezeiung wurde ja nicht wahr – sozusagen selbst verherrlicht.
18
Das kränkte Sie. Und so hatten Sie sich in Ihrem Weltschmerz eingerichtet und
wünschten sich den Tod. Wenn Ninive leben durfte, wollten Sie lieber sterben. Gott
aber – der übrigens in der ganzen Geschichte kein einziges Mal Kritik an seinem
verdrossenen Knecht übt – Gott unterläuft Ihre Moral.
JONA
Ja, anstatt mir meinen Wunsch zu erfüllen, ließ er eine Rhizinusstaude wachsen. Die
gab mir Schatten und munterte mich wieder auf. Da ließ er diesen Wurm kommen.
Der fraß die Staude an und mein Schattenspender verdorrte in Null-Komma-Nichts.
Und als dann noch ein heißer Wüstenwind aufkam und die Sonne vom Himmel
brannte, da war ich am Ende.
INTERVIEWER
Sie sagten, Sie wollten sterben; aber irgendetwas in Ihnen wollte doch leben. Sie
saßen im Schatten des Rhizinus. Das war angenehm und das weckte Ihre
Lebensgeister. Sie fühlten sich wieder wohl. Trotz Ihres Todeswunsches lag Ihnen
offensichtlich an Ihrem Leben. Es ist doch so: Der heiße Wind aus der Wüste und die
Sonne, die Ihnen zusetzten. Die setzten ja nicht Ihrem Todeswunsch zu, sondern
Ihrem Lebenswillen.
JONA
Und an diesem Widerspruch hat Gott mich erwischt. – „Denk doch mal nach“, das
war sein Angebot an mich, ihn zu verstehen. „Dir ist es Leid um den Rhizinus, für den
du nicht gearbeitet und den du nicht groß gezogen hast. (…) Mir aber sollte es nicht
Leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend
Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – dazu so
viel Vieh?“
INTERVIEWER
Mit dieser Frage endet das Buch Jona.
19
JONA
(zustimmend) Hm.
INTERVIEWER
Ich wüsste gerne noch, was danach aus Ihnen geworden ist?
JONA
Ist das so wichtig?
INTERVIEWER
Ich würde es gerne wissen.
JONA
So.
Vorhin war doch schon mal von Uwe Johnsons Jona-Text die Rede. Haben Sie den
dabei?
INTERVIEWER
Ja, den habe ich dabei.
JONA
Auch dieser Text endet mit einer, nein, mit drei Fragen. Würden Sie die bitte einmal
vorlesen?
INTERVIEWER
Moment. – (Blättergeräusche, Räuspern) „Und Jona blieb sitzen im Angesicht der
sündigen Stadt Ninive und wartete auf ihren Untergang länger als vierzig mal vierzig
Tage?
Und Jona ging aus dem Leben in den Tod, der ihm lieber war?
Und Jona stand auf und führte ein Leben in Ninive?
Wer weiß.“
JONA
Wer weiß. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
20
IINTERVIEWER
Also, um es mit dem schönen Satz von Bertold Brecht zu sagen: „Und so sehen wir
betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“?
JONA
Damit müssen Sie nun leben, Herr Vins.
Andernfalls müssten Sie sich vielleicht doch noch um einen anderen Jona bemühen.
INTERVIEWER
Oh, nein vielen Dank, Jona. Sie sind schon der, den ich gesucht habe. Vielen Dank.
21
Literatur:
Uwe Johnson: Jonas zum Beispiel
in: Karsch und andere Prosa, Suhrkamp Verlag, Ffm 1964, S. 82-84 (8 Zeilen)
Hermann Melville, Moby Dick oder Der Wal
Aus dem Amerikanischen übertragen von Alice und Hans Seiffert
Die dieterich’sche Verlagsbuchhandlung
Leipzig 1968 ( 6, 3, und 8 Zeilen, insgesamt 17)