wolfgang niedecken fussball fc koeln

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SPORT 1 FUßBALL "Ich muss leiden und fluchen" Musiker und BAP-Gründer Wolfgang Niedecken ist, seit er denken kann, ein Fan des 1. FC Köln. Ein Gespräch über die heilende Kraft des Fußballs, die Tragik seines Vereins und den Respekt vor Lukas Podolski. VON Cathrin Gilbert;Hanns-Bruno Kammertöns | 05. September 2013 - 08:00 Uhr DIE ZEIT: In Ihrer Biografie Zugabe schreiben Sie, der Fußball habe Ihre Genesung vorangetrieben. Kann Fußball therapieren? Wolfgang Niedecken: Es war wirklich erstaunlich, wie sehr mich die Vorfreude auf ein Spiel beseelt hat. Bereits zehn Tage nach dem Schlaganfall im November 2011 habe ich auf der Intensivstation Fußball im Fernsehen geschaut. Ich lag mit meiner Tochter auf dem Bett und habe meinem Verein, dem 1. FC Köln, beim Auswärtsspiel in Bremen zugeschaut. Wir haben verloren, und trotzdem hatte ich in diesen 90 Minuten zum ersten Mal das wohlige Gefühl, alles könnte wieder gut werden. Emotionen dieser Art lösen bei mir nur Fußball und Musik aus. ZEIT: Sind Sie wieder ganz der Alte? Niedecken: Ja. Manchmal werfe ich noch Buchstaben durcheinander. Ich schaffe es beispielsweise einfach nicht, das Wort "Album" richtig zu schreiben. Wie sehr ich mich auch konzentriere, es kommt immer "Abum" dabei heraus – dummerweise ein Begriff, den ich oft gebrauchen muss. Und wenn mich jemand um ein Autogramm bittet, kann ich nicht wie früher eine Widmung schreiben und gleichzeitig charmant mit meinem Gegenüber plaudern. Mein Sohn sagte den schönen Satz: Vatter macht jetzt immer nur noch eine Sache gleichzeitig. ZEIT: Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für den Fußball entdeckt? WOLFGANG NIEDECKEN wurde 1951 in Köln geboren, studierte in seiner Heimatstadt Malerei und gründete die Kölschrock- Band BAP. 2008 initiierte er das World-Vision-Projekt "Rebound", das sich um die Kindersoldaten in Norduganda und im Ostkongo kümmert. In diesen Tagen erscheint unter dem Titel Zugabe Niedeckens Autobiografie. Darin erinnert sich der Musiker an den 2. November 2011, als er kurz vor dem Start der Halv su wild-Tour einen Schlaganfall erlitt. Niedecken: Ich erinnere mich, dass ich als Kind auf dem Wohnzimmerteppich lag und zusammen mit meinem 20 Jahre älteren Halbbruder und meinem Vater Fußballübertragungen im Radio gehört habe. Dabei fielen die Namen der Weltmeister von 1954, der Helden von Bern. Unser Hans Schäfer, der 1. FC Köln und Fußball, das war eine

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"Ich muss leiden und fluchen"Musiker und BAP-Gründer Wolfgang Niedecken ist, seit erdenken kann, ein Fan des 1. FC Köln. Ein Gespräch über dieheilende Kraft des Fußballs, die Tragik seines Vereins und denRespekt vor Lukas Podolski.VON Cathrin Gilbert;Hanns-Bruno Kammertöns | 05. September 2013 - 08:00 Uhr

DIE ZEIT: In Ihrer Biografie Zugabe schreiben Sie, der Fußball habe Ihre Genesung

vorangetrieben. Kann Fußball therapieren?

Wolfgang Niedecken: Es war wirklich erstaunlich, wie sehr mich die Vorfreude auf ein

Spiel beseelt hat. Bereits zehn Tage nach dem Schlaganfall im November 2011 habe ich auf

der Intensivstation Fußball im Fernsehen geschaut. Ich lag mit meiner Tochter auf dem Bett

und habe meinem Verein, dem 1. FC Köln, beim Auswärtsspiel in Bremen zugeschaut. Wir

haben verloren, und trotzdem hatte ich in diesen 90 Minuten zum ersten Mal das wohlige

Gefühl, alles könnte wieder gut werden. Emotionen dieser Art lösen bei mir nur Fußball

und Musik aus.

ZEIT: Sind Sie wieder ganz der Alte?

Niedecken: Ja. Manchmal werfe ich noch Buchstaben durcheinander. Ich schaffe es

beispielsweise einfach nicht, das Wort "Album" richtig zu schreiben. Wie sehr ich mich

auch konzentriere, es kommt immer "Abum" dabei heraus – dummerweise ein Begriff, den

ich oft gebrauchen muss. Und wenn mich jemand um ein Autogramm bittet, kann ich nicht

wie früher eine Widmung schreiben und gleichzeitig charmant mit meinem Gegenüber

plaudern. Mein Sohn sagte den schönen Satz: Vatter macht jetzt immer nur noch eine Sache

gleichzeitig.

ZEIT: Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für den Fußball entdeckt?

WOLFGANG N IEDECKEN

wurde 1951 in Köln geboren, studierte in seinerHeimatstadt Malerei und gründete die Kölschrock-Band BAP. 2008 initiierte er das World-Vision-Projekt"Rebound", das sich um die Kindersoldaten in Nordugandaund im Ostkongo kümmert. In diesen Tagen erscheintunter dem Titel Zugabe Niedeckens Autobiografie. Darinerinnert sich der Musiker an den 2. November 2011,als er kurz vor dem Start der Halv su wild-Tour einenSchlaganfall erlitt.

Niedecken: Ich erinnere mich, dass ich als Kind auf dem Wohnzimmerteppich

lag und zusammen mit meinem 20 Jahre älteren Halbbruder und meinem Vater

Fußballübertragungen im Radio gehört habe. Dabei fielen die Namen der Weltmeister von

1954, der Helden von Bern. Unser Hans Schäfer, der 1. FC Köln und Fußball, das war eine

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Dreieinigkeit. Hatten die Kölner verloren, dann gingen wir raus auf die Straße und spielten

die Partie so lange nach, bis der FC doch noch gewonnen hatte.

ZEIT: Waren Sie ein guter Fußballer?

Niedecken: Ich spielte rechts außen, weite Flanken vors Tor waren mein Ding, auch wenn

das nicht die Position von Hans Schäfer war. Außergewöhnlich gut war ich allerdings nicht.

Ich musste schon Rockstar werden. In unserem Song Woröm dunn ich mir dat eijentlich

ahn? heißt es, drei Sachen könne man sich im Leben nicht aussuchen: "Vatter un Mutter un

– wat willste maache – dä Club, mit dem man leiden muss".

ZEIT: Ihr Verein mutet Ihnen tatsächlich einiges zu!

Niedecken: Der 1. FC Köln wurde mir in die Wiege gelegt. Menschen, die als Fans hin

und her pendeln, je nachdem, welcher Club gerade erfolgreich ist, sind mir suspekt. Das

geht gegen mein Ehrgefühl. Man hat mit einem Verein durch alle Tiefen zu gehen, ich

muss leiden und fluchen. Vielleicht ist das die Funktion des Fußballs: Er gibt Männern die

Möglichkeit, gemeinsam zu leiden, schwach zu sein.

ZEIT: Wann mussten Sie richtig leiden?

Niedecken: Als Köln zum ersten Mal abstieg. Das war im 50. Jubiläumsjahr, im Mai 1998,

da hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte tatsächlich geheult. Ich war gerade auf Elba, wir

probten für ein neues Album. Nach dem Frühstück verabschiedete ich mich von meinen

Bandkollegen und fuhr den ganzen Tag lang mit dem Motorrad über die Insel. Kennen Sie

diese Tage, an denen man alles will, nur nicht reden? Damals hatte ich Angst, dem Verein

könnten die Fans weglaufen. Aus heutiger Sicht habe ich da wohl zu schwarz gesehen.

ZEIT: Was muss ein Verein haben, damit Sie etwas für ihn empfinden können?

Niedecken: Herz! Diese Früher-war-alles-besser-Nostalgie ist mir eigentlich zuwider.

Aber in diesem Fall ist sie leider berechtigt. In Erinnerung an vergangene Jahre scheint

mir der Fußball viel familiärer, ja fast romantisch gewesen zu sein. Heute geht es im

Fußballgeschäft genauso brutal zu wie im Musikbusiness. Der Fußball ist ein riesiges

Showgeschäft geworden.

ZEIT: Ein Beispiel?

Niedecken: Es gibt Musikagenten, die haben mit Kunst überhaupt nichts am Hut. Die

könnten genauso gut Schweinebauchhälften vertreiben. Die glauben, allwissend zu sein, die

wollen ihre kleinen Rohdiamanten von morgens bis abends positionieren. Das verabscheue

ich. Solche Berater scharen sich leider auch um die jungen Kicker. Es ist ein Glücksfall,

auf jemanden mit wirklicher Leidenschaft zu stoßen. Sie dürfen nicht vergessen, dass die

jungen Fußballspieler kaum volljährig sind, wenn sie umworben werden. Mein Glück war,

dass ich bereits 30 Jahre alt war, als ich zu erstem Ruhm kam. Ich hatte mein Kunststudium

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beendet, das gab mir ein Gefühl der Unabhängigkeit. Mit 30 ist die Karriere der meisten

Spieler schon wieder vorbei. Es sind allerdings nicht nur die Athleten, die sich vor den

Karren spannen lassen, die Vereine verhalten sich vor lauter Erfolgsdruck nicht anders.

ZEIT: Sie sind Ehrenmitglied des 1. FC Köln ...

Niedecken: ... stimmt, meine Mitgliedsnummer lautet 5555. Aber ich bekleide kein Amt,

habe keine Funktion. Das würde ich mir auch nicht zutrauen. Gerade der 1. FC Köln ist

besonders schwierig zu führen.

ZEIT: Warum?

Niedecken: Weil hier zwei Welten aufeinandertreffen, die eigentlich nicht miteinander

harmonieren können. Auf der einen Seite ist das große Geld, das Geschäft. Auf der

anderen dieser kölsche Gefühlsdusel. Die Kölner werden schnell schwach. Zeig einem

Kölner den Dom oder den Rhein, oder komm ihm mit dem Geißbock, dann ist er nur

noch Gefühl, dann ist er wehrlos. Die ganze Stadt scheint sich zu sehr auf dem kölschen

Motto "Et hätt noch emmer joot jejange" auszuruhen und viel zu selten über den Tellerrand

hinauszuschauen.

ZEIT: Etwas Lokalkolorit gehört doch wohl dazu.

Niedecken: Aber die Boulevardmedien nutzen diese Sensibilität voll aus und treiben den

Verein vor sich her wie einen Stier durch die Arena. Warum begibt sich der FC bloß in eine

solche Abhängigkeit? Kein Club klüngelt so sehr mit dem Boulevard. Wie soll man denn

vernünftig managen, wenn man sich um jeden öffentlichen Kommentar schert?

ZEIT: Mittlerweile ist der FC Köln zum fünften Mal abgestiegen.

Niedecken: Das führt dazu, dass uns immer wieder Spieler weglaufen. Ich kann das auch

teilweise nachvollziehen. Wer will schon in der Zweiten Liga spielen, wenn er nicht muss?

Die Zeit der Fußballlegionäre, der Spieler, die kommen, bleiben und weiterziehen, ist

längst in Köln angekommen. Jetzt hat uns auch noch unser letzter kölsche Jung, Christian

Clemens, in Richtung Schalke verlassen. Nun hoffen wir auf Marcel Risse, der in Köln-

Kalk geboren wurde.

ZEIT: Ist Lukas Podolski, der in Köln groß und berühmt geworden ist und jetzt bei Arsenal

London spielt, auch ein Legionär?

Niedecken: Nein, der Lukas hat alles für den Verein gegeben, was er konnte. Er ist ein

großartiger Typ. Ich habe mich spätestens in dem Moment in ihn verliebt, als ich ihn hier

unten am Rhein entlangspazieren sah – in FC-Trainingsklamotten. Was anderes brauchte

der gar nicht. Der wollte nur spielen.

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ZEIT: Als Spieler des FC Bayern hat er hier in Köln gegen den 1. FC Köln ein Tor

geschossen ...

Niedecken: ... ja, es war eine paradoxe Situation. Das ganze Stadion hat ihm dafür

zugejubelt. Nur Podolski hat sich nicht gefreut, er ist erst mal liegen geblieben und dann,

ohne eine Miene zu verziehen, wieder auf seine Position gelaufen.

ZEIT: Und so einer spielt jetzt weit weg, bei Arsenal London, weit weg von Dom und

Rhein.

Niedecken: Sie müssen sich mal vorstellen, welch ein Druck auf dem armen Kerl

lag. Er galt nicht nur als absolute Identifikationsfigur unseres Vereins, er war auch

außergewöhnlich talentiert, schien hin- und hergerissen zwischen Bleiben und Gehen.

Es wäre genau die falsche Art von Treue gewesen, wenn er sich gegen Arsenal London

entschieden hätte, nur um die kölschen Gefühle zu befriedigen. Die Kunst besteht darin,

das Gefühl dafür, was uns so besonders macht, zu bewahren und trotzdem unabhängig und

professionell aufzutreten. Mit Jörg Schmadtke haben wir einen guten, einen vernünftigen

Sportdirektor eingestellt. So einen brauchen wir hier auch. Du darfst dich weder als Verein

noch als Spieler, noch als Band der Heimatpflege zu sehr verbunden fühlen, sonst klebst du

am Fliegenfänger.

ZEIT: Aber Sie profitieren doch mit BAP auch von Ihrer Herkunft.

Niedecken: Wir kölschtümeln nicht! Wir sind keine Dienstleister.

ZEIT: Sie singen im kölschen Dialekt. Wo besteht denn da der Unterschied?

Niedecken: Wir singen kölsch, weil das meine Muttersprache ist. Das ist kein Image.

Wenn es um Gefühle geht, beherrsche ich keine Amtssprache mehr. Erst nachdem die

Bläck Fööss auf diese spezielle Art erfolgreich waren, zogen die ganzen Karnevalsbands

nach und begannen, auch auf Kölsch zu singen. Die Hymnen dieser Bands werden im

Gegensatz zu unseren Liedern gezielt für Rosenmontag und fürs Stadion geschrieben.

ZEIT: Sie gehen also regelmäßig ins Stadion – und singen die Lieder der anderen aus

ideologischen Gründen nicht mit?

Niedecken: Aber klar! Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Stadionmusik

hat einen ganz besonderen Zauber. Da geht alles. Wenn die gegnerischen Fans singen: Ihr

seid die Hauptstadt der Schwulen ..., dann reagieren die Machos auf der Kölner Südtribüne

nicht wütend, sondern singen zurück: Wir sind die Hauptstadt der Schwulen ... Das ist

Ausdruck von Lässigkeit, von Humor, von dem es viel mehr geben müsste in den Stadien.

Damit sind wir hier in Köln reichlich gesegnet. Und überhaupt, welche Fans haben ein

derart unaustauschbares Repertoire wie wir? Gegnerische Spieler, die zum ersten Mal in

unser Stadion einlaufen, erinnert die Atmosphäre an Voodoo-Zauber. Sie sind irritiert,

plötzlich mit einer ganz fremden Sprache konfrontiert. Was bei uns passiert, geht viel tiefer

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als etwa AC/DCs Hells Bells im Stadion von St. Pauli, obwohl das natürlich auch was hat.

Aber You’ll Never Walk Alone in Dortmund anzustimmen geht nicht. Die Hymne gehört

Liverpool.

ZEIT: Wir nehmen an, dass Sie von den Kölner Fans mit Jubel begrüßt wurden, als Sie

endlich wieder ins Stadion kamen.

Niedecken: Das war schon ein ganz besonderer Moment, auf den ich ein halbes Jahr lang

warten musste. Aber noch mehr ist mir eine Aktion der Fans in Erinnerung geblieben,

die ich vom Krankenbett aus im Fernseher beobachtet habe. Ich bekam einen Kloß im

Hals, als ich das gesehen habe. Die Fans hatten vor der Südkurve einen Bandenspruch

ausgerollt, "Weed flöck widder gesund, Wolfgang!", hatten sie darauf geschrieben. Es war

der Hammer. Das Plakat war von der Wilden Horde unterzeichnet. Das hatten die Fans so

verabredet. So etwas kann ein Verein nicht steuern.

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