umweltforschung

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Umweltforschung. J. von Ucskiill. Von Das klassische Buch fur die gesanite Tierpsychologie ist zweifellos der ,,it 1 t c B r e 11 m". Auch heute noch wird man seine lebendigen Schilderungen cles Tierlebens mit GenuI3 lesen. Seine Einstellung zur Tierseele war \vie die seiner Zeitgeiiossen naiv anthropomorph. Wenn M 6 b i 11 s uber das Seelenleben des Flasclientierchens schreibt und D a r w i n von einer ver- zweifelten Ameise spricht, kann man sich nicht wundern, daI3 B r e h ni sich uber den Blutrausch des Iltis entrustet. Jedermann war davon uberzeugt, dafi alle augentragenden Tiere dic gleichen Gegenstiinde erbliclten wie wir, da sie docli in der gleiclien Welt leben wie die Henschen. Als nun die Physiologen, die aus der Schule von J o 11. M ull e I' staminten, sich daran machten, die Sinnesphysiologie der niederen Tiere zu erforschen, mufiten sie vor allem mit diesem Irrtum aufraumen. Fur sie maren alle Sinnesorgane in erster Linie Siebe, die nur bestimmte Reize der Auljenwelt dem Nervensystem zugiinglich machten - welche Sinnesqudi- taten sie im Tier erweckten, war unmoglich festzustellen. Deshalb machten B e e r , B e t h e und ich den Vorschlag, nicht von Sinnesorganen, sondern von Rezeptoren fiir Licht, Schdl, Geruch usw. zu sprechen. Dieser Vorschlag fand allgemeine Anerkennung. Aber nicht in dem Sinne, in dem wir ihn ausgearbeitet hatten. Denn wir wollten fest- stellen, welche iiufieren Reize fur das Tiersubjekt lebenswichtig warcn und welche nicht. In diesem Moment griff niimlich J a q u e s L o e b ein und gab cler gesamten Forschung eine neue Richtung. Er trat als rciner Physiker an das Problem heran und kehrte die Fragestellung um. Fur ihn war das Tiersubjekt Nebensache und das reizaussendende Objekt die Hauptsache )vie bei der magnetischen Wirkung der Magnet die Hauptsache und die Eisenfeilspane nebensiichlich sind. Alle a d e r e n Wirkungen, das Licht, die Schwerkraft, der Schall, die Luft- oder Wasserstromungen sowie Sam:- liche chemische Wirkungen iibten nach L o e b s Lehre einc d r e 11 e n d e Wirkung auf das Tier aus und veranlafiten es, sich bald der Reizquelle zii, bald sich von ihr abzuwenden. Diese Wirkungen nannte L o e b Tropismen (Drehungen). Die Adenreize waren das wahre Agens, das alle Hand- lungcn der Tiere bestimmte. Diese selbst waren ein bloljes Reagens. Die pliysikalischen und chemischen Wirkungen konnte man messen und fest- st ellen, bei welcher Intensitat das Rengens antwortet. Die Tropismen schossen wie Pilze aus dem Boden. Alles, was niir irgendwelche Wirkung ausubte, wurde zu einem Tropismus, es gab Winkcl- tropismen, Verstecktropismen und sogar Zieltropismen. Mit Ausnahme der Ornithologen lieI3en sich fast alle Zoologen von der Tropismcnlehre L o e b s einfangen und nannten sich Behavioristen, mas soviel bedeutet als Erforscher der Zwangshandlungen der Tiere - andere Handlungen gab es nicht. Die Folge davon war, dafi man die wirklichen Handlungen der Tiere vollig ubersah. Denn jede wirkliche Handlung eines Tieres besteht aus RIcrken und Wirken und ist keineswegs eine Zwangsdrehimg. Wiilirend sich die Behavioristen, den Spuren L o e b s folgend, immer mehr von den Zielen der Ysychologie entfernten und sclrlieljlich selbst den Zcitschr. f. Ticrpsychologie 13d. 1 Heft 1. 3

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Page 1: Umweltforschung

Umweltforschung.

J. von Ucskiill. Von

Das klassische Buch fur die gesanite Tierpsychologie ist zweifellos der ,,it 1 t c B r e 11 m". Auch heute noch wird man seine lebendigen Schilderungen cles Tierlebens mit GenuI3 lesen. Seine Einstellung zur Tierseele war \vie die seiner Zeitgeiiossen naiv anthropomorph. Wenn M 6 b i 11 s uber das Seelenleben des Flasclientierchens schreibt und D a r w i n von einer ver- zweifelten Ameise spricht, kann man sich nicht wundern, daI3 B r e h ni sich uber den Blutrausch des Iltis entrustet.

Jedermann war davon uberzeugt, dafi alle augentragenden Tiere dic gleichen Gegenstiinde erbliclten wie wir, da sie docli in der gleiclien Welt leben wie die Henschen.

Als nun die Physiologen, die aus der Schule von J o 11. M u l l e I' staminten, sich daran machten, die Sinnesphysiologie der niederen Tiere zu erforschen, mufiten sie vor allem mit diesem Irrtum aufraumen. Fur sie maren alle Sinnesorgane in erster Linie Siebe, die nur bestimmte Reize der Auljenwelt dem Nervensystem zugiinglich machten - welche Sinnesqudi- taten sie im Tier erweckten, war unmoglich festzustellen.

Deshalb machten B e e r , B e t h e und ich den Vorschlag, nicht von Sinnesorganen, sondern von Rezeptoren fiir Licht, Schdl, Geruch usw. zu sprechen. Dieser Vorschlag fand allgemeine Anerkennung. Aber nicht in dem Sinne, in dem wir ihn ausgearbeitet hatten. Denn wir wollten fest- stellen, welche iiufieren Reize fur das Tiersubjekt lebenswichtig warcn und welche nicht.

In diesem Moment griff niimlich J a q u e s L o e b ein und gab cler gesamten Forschung eine neue Richtung. Er trat als rciner Physiker an das Problem heran und kehrte die Fragestellung um. Fur ihn war das Tiersubjekt Nebensache und das reizaussendende Objekt die Hauptsache )vie bei der magnetischen Wirkung der Magnet die Hauptsache und die Eisenfeilspane nebensiichlich sind. Alle a d e r e n Wirkungen, das Licht, die Schwerkraft, der Schall, die Luft- oder Wasserstromungen sowie Sam:- liche chemische Wirkungen iibten nach L o e b s Lehre einc d r e 11 e n d e Wirkung auf das Tier aus und veranlafiten es, sich bald der Reizquelle zii,

bald sich von ihr abzuwenden. Diese Wirkungen nannte L o e b Tropismen (Drehungen). Die Adenreize waren das wahre Agens, das alle Hand- lungcn der Tiere bestimmte. Diese selbst waren ein bloljes Reagens. Die pliysikalischen und chemischen Wirkungen konnte man messen und fest- st ellen, bei welcher Intensitat das Rengens antwortet.

Die Tropismen schossen wie Pilze aus dem Boden. Alles, was niir irgendwelche Wirkung ausubte, wurde zu einem Tropismus, es gab Winkcl- tropismen, Verstecktropismen und sogar Zieltropismen.

Mit Ausnahme der Ornithologen lieI3en sich fast alle Zoologen von der Tropismcnlehre L o e b s einfangen und nannten sich Behavioristen, mas soviel bedeutet als Erforscher der Zwangshandlungen der Tiere - andere Handlungen gab es nicht.

Die Folge davon war, dafi man die wirklichen Handlungen der Tiere vollig ubersah. Denn jede wirkliche Handlung eines Tieres besteht aus RIcrken und Wirken und ist keineswegs eine Zwangsdrehimg.

Wiilirend sich die Behavioristen, den Spuren L o e b s folgend, immer mehr von den Zielen der Ysychologie entfernten und sclrlieljlich selbst den

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Menschen zu einem passiven Reagens seines Milieus degradierten, - nahm die vergleichende Sinnesphysiologie ihren natwgegebenen Fortgang.

Die Sinnesorgane dienen als verstellbares Sieb fur die von den Ob- jekten ausgehenden Reize. Sie entscheiden daruber, was vom Tiersubjekt gemerkt werden kann. Die Eigenschaften des Objektes, die vom Tier- subjekt gemerkt werden, dienen ihm als M e r k m a 1 e. Nur solche Ob- jekte, die fur das Leben des Tieres von Bedeutung sind, besitzen Merkmsle. Sie werden dadurch zu B e d e u t u n g s t r a g e I n des Subjektes.

Das Auftreten eines Bedeutungstragers in der Merkung eines Sub- jektes wird immer mit einer Wirkung beantwortet, die dem Bedeutungs- trager ein W i r k m a 1 erteilt.

Das Wirkmal loscht stets das Merkmal sus - damit ist die Handlung beendet. Entweder wird das Merkmal objektiv vertilgt, wenn es der Kahrung angehorte, die aufgefressen wird, oder es wird subjektiv aus- geloscht, wenn Sattigung eintritt, wobei das Sieb des Sinnesorgans sicli schliel3t.

Sobczld das dem Bedeutungstrager erteilte Wirkmal sein Merkmd ausloscht, wird, wie ich mich ausdrucke, der F u n k t i o n s k r e i s , der vom Objekt ausgehend das Subjekt durchlaufend wieder zum Objekt zu- riickkehrt, geschlossen.

Es gibt verschiedene Arten von Funktionskreisen. Die hauptsach- lichsten sind die Funktionskreise 1. des Mediums, 2. der Beute, 3. des Feindes, 4. des Geschlechtes. In jedem Fall tritt ein bestimmter Bedeutungs- trager in den Funktionskreis des Subjektes ein.

Es gilt also, die Objekte in der Umgebung des Tieres daraufhin zu prufen, welche von ihnen als Bedeutungstrager im Leben des Tieres eine Rolle spielen.

Im Leben der Zecke z. B. treten alle Saugetiere, die sich ihr nahern, als der gleiche Bedeutungstrager auf, denn die Zecke, die blind und taub ist, merkt bloI3 den Duft der Buttersaure, die im SchweiI3 aller Saugetiere vorkommt. Auf dieses Merkmal hin laBt sich die Zecke, die einen freien Ast erklettert hat, fallen. Trifft sie dabei auf daa Saugetier, dann setzt der zweite Funktionskreis ein. Der Warmereiz der Saugetierhaut uber- tont den Buttersaurereiz und veranlaBt die Zecke, ihren Stachel in die Hsut zu treiben, um sich mit warmem Blut vollzupumpen, dessen sie zur Erzeugung ihrer Nachkommenschaft bedarf.

Es gibt also nur einen Bedeutungstrager der Zecke - das Saugetier, der in zwei Formen auftritt, erstens als Duftspender und zweitens als Warmespender. In beiden Formen lost der Bedeutungstrager einen Funktionskreis aus. Umgeben ist die Zecke ihren Sinnesorganen ent- sprechend von einer weiten Duftsphare und einer schmalen Warmesphare.

Damit ist die Umwelt der Zecke sowohl ihrem Umfange wie ihrem 11:halte nach in der Hauptsache beschrieben. Der ganze Wald, der sie umgibt, mit all seinen Formen, Tonen und Diiften ist fur die Zecke nicht vorhanden. Sie lebt nicht in der Natur, die wir um sie ausgebreitet sehen, sondern in einem besclieidenen Kammerlein mit durftigem Inhalt. Aber diese Kammer hat sie sich selbst erbaut, sie bildet ihre Umwelt.

Die Umwelten der Tiere aufzusuchen, ist die dringendste Aufgabe der Biologie. Aus den Umwelten, die ineinander verschrankt sind, baut sjch die lebende Natur auf. Denn die Natur besteht keineswegs am einer einzigen Weltbiihne. Tausende von Spezialbiihnen bilden einen ungeheuren Reiclituni, der uns zur Arbeit auffordert.