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Y. EUNY HONG Katerfrühstück in New York

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Y. EunY Hong

Katerfrühstück in new York

Buch

Judith Lee entstammt dem koreanischen Königshaus und wuchs mit allen Privilegien des Adels auf. Dummerweise be-deutet eine königliche Abkunft jedoch nicht, dass man reich ist. Ihre Familie hat ihr Vermögen schon lange verloren, als sie die Herzlosigkeit begeht, Judith nach ihrem Studienabschluss an der ehrwürdigen universität von Yale das monatliche Ta-schengeld zu streichen. Ein schwarzer Tag im Leben der ver-wöhnten Jude, deren vornehme Erziehung sie in keiner Weise darauf vorbereitet hat, ihren aufwändigen Lebensstil selbst zu finanzieren. Da lernt sie eines Tages über ihre hochgebore-nen Freunde in new York eine charismatische russische Im-migrantin kennen. Madame Tartakow hat die Rettung aus Judes Finanzdesaster: Wenn sie bereit ist, zwei Jahre in »Tar-takows Übersetzungsservice« zu arbeiten, dann tilgt die russi-sche Dame alle ihre Schulden. Hinter dem Übersetzungsser-vice verbirgt sich allerdings ein Etablissement, das aus jungen Damen der besten gesellschaft Manhattans distinguierte Es-

cort-girls macht …

Autorin

Y. Euny Hong studierte in Yale Philosophie und war die erste Fernsehkolumnistin der Financial Times in den uSA. Für ihre Artikel, die sie in renommierten amerikanischen Zeitungen ver-öffentlichte, erhielt sie den Fulbright-nachwuchs-Journalis-ten-Preis. Sie spricht fließend Französisch, Deutsch und Ko-reanisch. Mit ihrem Mann und ihren beiden Katzen lebt sie in Deutschland, Südkorea und den uSA. »Katerfrühstück in new

York« ist ihr erster Roman.

Y. Euny Hong

Katerfrühstückin new York

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Theda Krohm-Linke

Die amerikanische originalausgabe erschien 2006unter dem Titel »Kept. A Comedy of Sex and Manners«

bei Simon & Schuster, new York.

Verlagsgruppe Random House fsc-deu-oioo

Das für dieses Buch verwendete fsc-zertifizierte PapierHolmen Book Cream liefert

Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

1. AuflageDeutsche Erstausgabe August 2008 bei Blanvalet,

einem unternehmen der VerlagsgruppeRandom House gmbH, München

Copyright © der originalausgabe 2006 by Y. Euny HongCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by

Verlagsgruppe Random House gmbHumschlaggestaltung: HildenDesign München

umschlagfoto: © Phil Date/ShutterstockRedaktion: Beate Bücheleres-Rieppel

LW · Herstellung: Heidrun nawrotSatz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin

Druck und Einband: ggP Media gmbH, PößneckPrinted in germany

ISBn: 978-3-442-36998-3

www.blanvalet.de

Für meine Familie und Mrs. Terebush

Wenn ich nun meine Puppen auftreten lasse, so möchte ich als Mensch und Bru-der um die Erlaubnis bitten (…), über sie sprechen zu dürfen: wenn sie lieb und gut sind, sie wieder zu lieben und ihnen die Hand zu schütteln; wenn sie albern sind, vertraulich und heimlich mit dem Leser über sie zu lachen; wenn sie schlecht und herzlos sind, in den stärksten Ausdrü-cken, die der gute Ton gestattet, über sie zu schelten.

nach William Makepeace Thackeray, Jahrmarkt der Eitelkeiten

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Ja oder nein?

Amerika macht mir immer noch Angst, auch wenn ich inzwischen schon mein halbes Leben hier ver-bracht habe. Es ist noch gar nicht so lange her, dass zwei Country-&-Western-Musiker die kom-merziell erfolgreichsten Personen in diesem Land waren: garth Brooks und Reba McEntire. Ich kenne diese Leute noch nicht einmal, und dabei haben sie mehr Alben verkauft als alle anderen Sänger der Top Seven zusammengerechnet. Wenn sie wollten, könnten sie die gesamten Vereinigten Staaten übernehmen und Leute wie mich ins Meer werfen.

Dieses faszinierende Detail aus dem Musik-geschäft erfuhr ich durch eine Rundfunksendung, die im untersuchungszimmer einer Privatklinik in Manhattan lief, während ich barfuß dasaß und auf den Arzt wartete.

Die Sprechstundenhilfe reichte mir ein Klemm-brett, an dem ein Kugelschreiber hing, und erklärte: »Da der Eingriff freiwillig und medizinisch nicht not-wendig ist, bekommen Sie erst einen oP-Termin, wenn wir sicher sein können, dass Sie sich über die Konsequenzen völlig im Klaren sind. Füllen Sie bitte diesen Fragebogen aus. Frau Doktor kommt gleich zu Ihnen.«

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Der Fragebogen, den ich ausfüllen sollte, begann folgendermaßen:

1. gibt es in Ihrer Familie Erbkrankheiten (dazu zählen auch Alkoholismus, Depression etc.)? Wenn ja, führen Sie diese bitte auf.

□ JA □ nein

Mein Vater ist Kleptomane; ob ich das wohl erwäh-nen sollte? Einmal hat er aus einem Restaurant einen Porzellanhalter für Stäbchen in Form eines winzigen Wals gestohlen. Ich weiß zwar nicht, ob es erblich ist, aber mein Vater hat es immer als aristo-kratisches Laster bezeichnet. Denn, so wurde mir eingebläut, alles, was ein Aristokrat tut, ist grund-sätzlich aristokratisch, so wie alles, was eine Katze tut, per definitionem Katzenverhalten ist. Wie kann man einer solchen Tautologie entkommen? Men-schen wie wir, so wurde mir gesagt, sind durch ihre eigenen Handlungen nicht gefährdet.

Ich kann meine koreanischen Vorfahren acht-undzwanzig generationen auf der Seite meines Va-ters und sechsundzwanzig auf der meiner Mutter zurückverfolgen, bis hin zu Chinesen königlicher Abstammung, die in Korea geheiratet und Familien gegründet haben.

Man könnte daraus schließen, dass ich ein ver-wöhntes Kind war. Aber das war ich nicht, da meine Familie kein geld mehr hat – na ja, ein bisschen haben wir schon, aber nicht übermäßig viel. Aller-dings finde ich es ziemlich romantisch, wie wir un-seren Reichtum verloren haben. Der Familienbesitz

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meiner Mutter wurde nämlich in den 1960ern von Präsident Park beschlagnahmt und an die Bauern verteilt. Väterlicherseits jedoch wurde das geld ver-mutlich einfach so verprasst, was nicht ganz so in-teressant ist.

um Tolstoi – der graf und somit einer von uns war – zu paraphrasieren, sind unterschichtfamilien eben unterschicht, jede auf ihre Art, aber aristokra-tische Familien sind alle gleich.

Als ich klein war, verbot mir mein Vater, Pianis-tin zu werden. »Da wir deine Eltern sind, kannst du kein genie sein«, sagte er. Das war Selbstzensur und Selbstlob zugleich. Blaublütig zu sein passt nicht zu genies, und außerdem ist genialität ein verrücktes, unberechenbares gen, wie das gen für sechs Finger oder ein drittes Auge, und wie sollte das in unsere Blutlinie gelangt sein?

Ich wandte mich wieder dem Fragebogen zu.

2. Leben Ihre Eltern noch? Wenn ja, wie würden Sie ihre gesundheit beurteilen?

□ JA □ nein (gut, mittelmäßig, schlecht)?

Man konnte kein Kästchen ankreuzen, in dem stand: »Sind Ihre Eltern gesund, aber mangelhaft ausgerüstet für den Lebenskampf?«

Als meine Eltern sich Anfang der 1960er ken-nenlernten, bei einem Picknick, das von ihrer uni-versität in Korea veranstaltet wurde, fiel meinem Vater sofort auf, dass meine Mutter so blass war wie ein gespenst. Es ist ja allgemein bekannt, dass

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alle Aristokraten eine leise Todessehnsucht in sich tragen.

Meine Mutter hat buchstäblich blaues Blut; ihre Haut hat eine leicht bläuliche Färbung, als ob sie gerade einem Eisbad entstiegen wäre. Schaut man näher hin, stellt man fest, dass ihre Adern unter der Haut sichtbar sind. Außerdem ist sie sehr empfind-lich und ständig mit blauen Flecken übersät, die scheinbar vom Kontakt mit der Luft herrühren.

glücklicherweise komme ich in dieser Beziehung nach ihr.

Mein Vater dagegen ist rötlich und sanguinisch und hat seltsam breite Füße, was bei koreanischen Aristokraten eigentlich nicht üblich ist. Aber ich bezweifle, dass ich das auf dem Fragebogen ver-merken soll.

Väterlicherseits stamme ich von der sogenannten erlernten Aristokratie ab, die von geburt an zu kö-niglichen Beratern in Staatsangelegenheiten aus-ersehen war. In Wirklichkeit jedoch bedienten sich diese Berater bloß aus der Staatskasse, machten sich gegenseitig schlecht, und wenn der König tat-sächlich einmal ihren Rat suchte, machten sie ver-legen »hmm« und kratzten sich den Bart. So läuft es noch heute in meiner Familie ab. Mein großvater war Minister im Kabinett des Präsidenten; bei mei-nem Vater bin ich mir allerdings nicht ganz sicher, was er tut, aber es wurde mir auch bedeutet, ich solle nicht zu genau nachfragen. Ich vermute mal, er arbeitet für eine organisation, die geld an Ent-wicklungsländer verleiht, wobei er jedoch ständig betont, es sei keine Bank.

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Er geht sehr schlecht mit seinen Angestellten um und bringt sie häufig zum Weinen, und doch schi-cken sie uns jedes Jahr zu Silvester fünfzig Pfund gefrorenes Lamm. So etwas passiert auch nur in einer gesellschaft mit Klassenunterschieden.

3. Wenn Sie Ihren jetzigen Ehemann/Lebenspart-ner verlieren würden, würden Sie dann Ihre Ent-scheidung, sich diesem Eingriff unterzogen zu haben, bedauern?

□ JA □ nEIn □ TRIFFT nICHT Zu

Die schwächeren Mitglieder unserer Familie nei-gen dazu, sich zerbrechliche Ehepartner auszusu-chen, als ob sie, von Selbstzerstörung getrieben, sich nicht fortpflanzen möchten.

Mein Vetter Min-Joon fiel nach dem College zwei-mal durchs Examen für den diplomatischen Dienst und studierte dann in Amerika Zahnmedizin, trotz des Protests seiner Frau, seiner Schwiegereltern und seines eigenen Vaters gegen diesen Abstieg in die Klasse der Dienstleister. Aber auch in Chi-cago fiel er durchs Examen. Seine Frau war so an-gewidert vom Versagen ihres Ehemanns und dem ständigen geldmangel, dass sie sich rächte. Eines Tages setzte sie ihre zweijährige Tochter in den Kin-dersitz im Auto, fuhr zu einem nahe gelegenen Park, übergoss sich und das Kind mit Benzin und ver-brannte bis zur unkenntlichkeit.

Heute ist mein Vetter wieder verheiratet und lebt ohne Beruf in Korea bei seinen Eltern. Mir ist na-türlich klar, dass zwischen seinem Wunsch, Zahn-

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arzt zu werden, und der Verbrennung seiner Frau kein Zusammenhang besteht, aber es zeigt doch einmal mehr, dass unsereins nicht still versagt; wir scheitern spektakulär, mit lautem getöse. Darüber sollte man sich von Anfang an im Klaren sein und dem reizvollen Traum widerstehen, etwas neues anzufangen. Für so etwas eignen wir uns einfach nicht.

Es mag sein, dass die Mitglieder des Lee-Clans als Individuen abgewirtschaftet wirken, im Kollektiv je-doch sind wir götter. Wir haben die Welt geschaffen und uns kaputtgelacht, als wir beobachteten, wie sie versuchte, sich alleine zu drehen.

Dann jedoch passierte etwas Merkwürdiges: Die Welt drehte sich tatsächlich von alleine.

Deshalb hätte sich vielleicht meine gesamte Fa-milie besser selber verbrennen sollen. Das tun die götter nämlich, wenn sie sich in der Dämmerung befinden. Sie ziehen sich nach Walhalla zurück und stecken es in Brand.

4. Wenn Ihre finanzielle Situation oder Ihr Lebens-stil sich in der nahen Zukunft dramatisch ver-bessern würden, würden Sie dann Ihre Entschei-dung, sich diesem Eingriff unterzogen zu haben, bedauern?

□ JA □ nEIn □ WEISS ICH nICHT

Das ist eine sehr amerikanische Frage, denn sie geht davon aus, dass ein Vermögen einen stetig nach oben bringt, wenn man es erst einmal erwor-ben hat.

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Den meisten Menschen scheint jedoch nicht klar zu sein, dass Kinder tatsächlich enterbt werden und dass man dazu noch nicht einmal stinkreich sein muss. In meiner Familie werden mit schöner Regelmäßigkeit Leute übergangen, und ich schwebe in der ständigen Angst, dass es mir auch einmal so gehen könnte. Meine Eltern sind immer noch böse auf mich wegen meines Selbstmordversuchs nach der universität – es war eigentlich ein unfall –, und seitdem bekomme ich nur noch im äußersten not-fall geld von ihnen. Meinen Job als Sekretärin bei einer Investment-Bank habe ich vor sieben Mona-ten aufgegeben, und ich bin mit der Miete im Ver-zug. Außerdem habe ich Schulden.

Will man dieses Problem umgehen, sollte man vor allem unehelich sein. Das ist das glückliche Schicksal meiner Tante Jung und meines onkels Key, Zwillinge, die nur fünf Jahre älter als ich sind. Sie sind das Ergebnis einer Affäre, die mein verstor-bener großvater väterlicherseits gegen Ende seines Lebens mit der altjüngferlichen Tochter eines seiner Parteigenossen hatte.

Jung und Key zogen ein paar Jahre vor mir nach new York. Wir haben zwischendurch immer wieder in Korea gelebt, sind auf internationalen Schulen gewesen und sprechen das amerikanisch-englische Englisch, das die Lingua franca dieser Schulen ist. Wir alle wurden zum universitätsstudium in die Staaten geschickt und blieben hier.

Jung gilt als außergewöhnliche Schönheit, ob-wohl ich das ehrlich gesagt nie so nachvollziehen konnte. Vermutlich liegt es daran, dass sie groß

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und dünn, aber vollbusig ist, mit dem spitzen Kinn und der schmalen nase, die Koreaner so sehr schät-zen. Sogar Key, ihr Bruder, bewundert ständig ihre Brüste.

Sie besitzt einen schlanken italienischen Wind-hund mit Papieren, in denen nachgewiesen wird, dass einer seiner Vorfahren auf einem gemälde von Velázquez abgebildet ist. Ein ehemaliger Freund hat ihr den Hund bei Harrods gekauft. Er hat ihr auch einen Velázquez geschenkt – zwar kein gemälde, aber eine Kohlezeichnung, die allerdings schon lange nicht mehr in ihrem Besitz ist.

Jung wird oft für eine halbe Europäerin gehalten, was bei Koreanern als großes Kompliment gilt.

Vor sechs Wochen, am 1. April, rief Jung an, weil sie sich unbedingt mit mir treffen wollte. Sie sagte: »Komm heute Mittag, 12.30 uhr, zu Sheepshanks, 550 West Thirty-ninth.«

»Das ist aber ziemlich weit weg für mich, Jung. Können wir uns nicht wenigstens an der East Side treffen?«

»Was hast du denn heute noch vor, zwischen dei-nem speziellen Winston-Churchill-Frühstück und deinem Mittagsschlaf?«

»Das ist total unfair«, erwiderte ich. »Churchill hatte vor zwölf uhr schon drei Scotch intus, wo-hingegen ich um diese uhrzeit noch nicht mal auf-gestanden bin. Also, wer ist dann wohl beim Mittag-essen der nüchternere von uns beiden?«

Sheepshanks war ein besonders reizloser Pub neben einem Taxiunternehmen. Jung geht tags-

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über gerne in solche Kneipen, weil sie dort mittags schon trinken kann, ohne von ihren Kollegen gese-hen zu werden.

Sie saß bereits am Tisch, als ich hereinkam, und ich sah, dass sie das Übliche bestellt hatte, einen Wodka und eine Tasse Kaffee.

Mit vom Wodka geröteten Augen winkte sie mir zu. Ich bestellte mir einen Mojito, woraufhin mir der Kellner mürrisch mitteilte, bei ihnen gäbe es keine Cocktails. Also entschied ich mich für Scotch und Soda.

»Soll ich Ihnen das in einer Sake-Tasse bringen?«, fragte der Kellner albern grinsend.

Jung antwortete: »He, du Papist, ich glaube, dein Kohl kocht über.« Ich wurde blass vor Schreck, bis mir aufging, dass dieser Tonfall zwischen den bei-den anscheinend üblich war.

Kurz darauf kam der Kellner mit meinem Scotch zurück. Die Tische waren klebrig, und die unterset-zer rührten sich nicht vom Fleck, deshalb musste ich mein glas mit der linken Hand halten. Dabei schlabberte ich ständig.

»Jung, was ist denn dieses komische graue Schaumzeug an der Decke; ist das etwa Asbest?«, fragte ich. »Wie kommst du nur immer auf solche Lokale? Warum sind wir hier?«

»Wir sind inkognito«, sagte Jung. »Ich möchte dir bei deinen finanziellen und anderen Problemen hel-fen. Ich werde dich einer Frau namens nausika Tar-takow vorstellen. Sie ist eine Ogresse.« Sie drückte ihre Zigarette aus, obwohl sie sie gerade erst an-gezündet hatte. Die glühende Asche fiel auf den

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Tisch, und Jung wischte sie geistesabwesend in ihren Schoß.

»Eine Ogresse?«, fragte ich. »Hat sie nur ein Auge?«

»Bei den Franzosen ist eine Ogresse so eine Art Kupplerin. Sie möchte dich kennenlernen. Keine Sorge: Sie weiß schon, dass wir uns nicht ähnlich sehen.«

»Danke, das ist ja tröstlich. Habe ich dich richtig verstanden, sie ist eine Kupplerin?«

»Ja, so in der Art. Hör mal zu.« Sie zog eine Bro-schüre in einem weißen umschlag aus ihrem Leder-beutel, räusperte sich und begann vorzulesen:

»Desmoiselles, das ist die neue Belle Époque. Wir wohnen der Wiederauferstehung guter Manieren bei, was letztlich nichts anderes bedeutet, als dass geld mit einem Titel gepaart werden möchte. Daher rührt ein neuer Trend unter den außergewöhnlich Reichen: grandes horizontales, wie sie früher ge-nannt wurden, auch bekannt als Kurtisanen.«

»Wo hast du das denn her?«, fragte ich und griff nach der Broschüre. Sie schlug mir auf die Finger und las weiter vor:

»Im Frankreich des Fin de Siècle waren Kurtisanen hoch geachtet. Am Arm ihres gönners konnten sie an jedem hochrangigen gesellschaftlichen Ereignis teil-nehmen, ohne öffentliches Ärgernis zu erregen. Im gegenteil, die vornehmen Herren schlossen die Kur-tisanen-Verträge mit den Müttern der Mädchen.

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Desmoiselles, gehören Sie zu den wenigen Aus-erwählten. nutzen Sie die gelegenheit, bevor die erste Rosenblüte vorbei ist.«

Jung steckte die Broschüre wieder in ihren Beu-tel.

»Warum zeigst du mir das?«, fragte ich.»Rat mal.«Mir kam der Scotch hoch. »Für dich?«Sie schüttelte den Kopf.»Für mich also?«Sie nickte.»Jung, das ist eine himmelschreiende Beleidi-

gung.«»Überhaupt nicht. Jude, das ist die Wiederbe-

lebung unseres Vermögens, wenn auch vielleicht nicht so, wie wir uns das gewünscht hätten.«

»Es klingt ein bisschen daneben«, sagte ich miss-trauisch. Jung dachte sich gerne komplizierte fal-sche Sachverhalte aus. Einmal hatte sie mir bis ins kleinste grausige Detail erzählt, wie ihr Freund bei einem Brand ums Leben gekommen war; später stellte sich dann heraus, dass er sich von ihr ge-trennt hatte und sie es nur nicht zugeben wollte.

Jung erwiderte: »Ich will dich ja nicht drängen, aber bevor du es ganz ablehnst, sollte ich dir viel-leicht sagen, dass eine der Kurtisanen, eine Freun-din von mir, ihr eigenes Antiquitätengeschäft auf der Madison Avenue hat. nach zwei Jahren hat der Kunde keinen Anspruch mehr auf dich, ihr geht auseinander, und du hast keine Schulden mehr und kannst das ganze geld behalten, das der Typ

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dir gegeben hat.« Plötzlich klang sie nicht mehr ganz so zuversichtlich. »Es ist allerdings auch ein Haken dabei. Du musst dich sterilisieren lassen, damit du nicht schwanger werden kannst. Allerdings kann man den Eingriff wohl wieder rückgängig machen. glaubst du, das stimmt?«

»Warum muss es denn gleich so etwas Extremes sein? Warum reicht denn die Pille nicht?«

»Die Pille ist nicht narrensicher. und außerdem verursacht sie Wasseransammlungen. Das mögen Männer nicht.«

»Ich verstehe. und du, wirst du auch eine Kur-tisane?«

»nein, das brauche ich nicht«, erwiderte sie und trank einen Schluck. Ihre Stimme vibrierte im glas. »Denk darüber nach, Jude – es ist ein Job, in dem du so geschätzt wirst, wie du bist, und nicht für das, was du tust. Es ist eine Familientradition, so-zusagen.«

5. Wenn Sie außer Ihrem Ehemann/Lebensgefähr-ten Angehörige verlieren würden (zum Beispiel Eltern, geschwister), würden Sie es dann bedau-ern, keine Kinder zu haben?

□ JA □ nEIn □ TRIFFT nICHT Zu

Konnte man bei diesem Test durchfallen? Ich hätte mich gerne mit jemandem darüber beraten, aber Jung hatte es abgelehnt, mit mir in die Klinik zu kommen. »Zu eklig«, hatte sie erklärt. Ich sehe sie nicht mehr so häufig wie früher. Vor ein paar Wochen hat sie sich unsterblich in jemanden aus ihrem Haus verliebt.

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nach der ersten Verabredung sagte sie zu mir: »Ich bin so verliebt, dass mir ganz schlecht ist.«

Eine kleine Frau mit Drahthaaren und einer Drahtbrille betrat das untersuchungszimmer. Dr. Spiro. Ich sagte zu ihr: »Ich verstehe diesen Fra-gebogen nicht. Ich dachte, man könnte den Eingriff rückgängig machen.«

Sie erwiderte: »Bei einer Tubenligatur werden die Eileiter durchtrennt, was irreparabel ist. Wir kön-nen die Eileiter auch abbinden, was man später wieder rückgängig machen kann, aber es gibt keine hundertprozentige garantie für eine Schwanger-schaft. Deshalb muss jede Patientin den Fragebo-gen ausfüllen.«

»Also sind es eher neunundneunzig Prozent?« Mir fiel plötzlich auf, wie schlecht sie ihre Augen ge-schminkt hatte. Welche braunäugige Frau nimmt schon blauen Lidstrich?

Dr. Spiro fuhr fort: »Vielleicht sollten Sie alles noch einmal überdenken. Ich kann diesen Eingriff wirklich keiner Frau empfehlen, die noch nie Kin-der gehabt hat, vor allem nicht in Ihrem Alter. Sie wissen sicher, dass es auch andere, äußerst zuver-lässige Methoden der geburtenkontrolle gibt. Sie sollten sich bei dieser Entscheidung Zeit lassen und gottes Plan gegen die Wünsche Ihres Partners ab-wägen. unter umständen beenden Sie für immer die geschichte Ihrer Familie.«

Wie konnte ich mich ihr bloß verständlich ma-chen?

»Die geschichte unserer Familie ist bereits zu Ende«, sagte ich.

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Die Ogresse

Wie versprochen stellte meine Tante Jung mich nausika Tartakow vor, einer russischen Immigran-tin Ende dreißig. Es gibt gerüchte, Madame Tarta-kow habe jüdische Vorfahren erfunden, als sie in den Vereinigten Staaten um den Flüchtlingsstatus nachsuchte. Sie wurde jedoch in aller Öffentlichkeit der Lüge überführt, als sie ein Passah-Festmahl besuchte, bei dem sie erklärte, Passah sei das jü-dische Fest anlässlich der Kreuzigung von Jesus.

Sie war früher in Russland Ballerina gewesen und arbeitete jetzt als Tanzlehrerin in new Yorks erster Tanzschule, und einmal brachte sie dort sogar einem berühmten italienisch-amerikanischen Schauspieler für einen großen Hollywood-Film Tango bei. Schließlich heiratete sie einen der zahl-reichen Tanzschüler, die sich in sie verliebt hatten. Er war reich und bekam Angina. Er hinterließ sei-ner jungen Witwe ein wunderschönes vierstöckiges Stadthaus in der East Sixty-second Street, aller-dings auch nicht viel mehr, da das geld, das er ihr vererbt hatte, zum größten Teil für seine Schulden draufging.

Als ihr Mann starb, gründete Madame Tartakow den Tartakow-Übersetzungsdienst. Auf dem Papier hat alles seine ordnung; das unternehmen ist bei der Industrie- und Handelskammer angemeldet, sie bezahlt Steuern und besorgt ihren Angestellten H1-

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Visa, damit sie legal in den Vereinigten Staaten ar-beiten können. und, so wurde mir gesagt, sie über-setzen tatsächlich eine ganze Menge.

Ich besuchte Madame Tartakow in besagtem Stadthaus.

»Kommen Sie herein«, sagte sie und führte mich durch ein Foyer, in dem eine Menge Blumen vor sich hin welkten. Sie war sehr zierlich, höchstens eins fünfundfünfzig, mit Vogelknöchelchen und dunklen, jungenhaft kurz geschnittenen Haaren. Ihre Wangen-knochen zeichneten sich scharf in ihrem winzigen gesicht ab, betont noch durch Rougebogen, die ihre fast asiatisch geschnittenen Augen unterstrichen.

Ihre Brüste waren perfekte Kugeln, voll, fest und unbeweglich. An ihrem Körper wirkten sie zu groß und zu klein zugleich, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtete. Sie musste wahr-scheinlich einen Büstenhalter in Kindergröße tra-gen, allerdings mit großen Körbchen.

»Hören Sie auf, mir auf den oberkörper zu star-ren«, sagte sie mit schriller Stimme. »Ah, jetzt erröten Sie, wie süß. Männer mögen das. Setzen Sie sich.«

Ich war von dieser schwer parfümierten, winzigen Harpyie völlig gebannt.

»Wie ist Ihr Hintergrund?«, fragte sie.Ich drehte mich um und betrachtete die Wand

hinter mir. »Rosa Tapete mit Blumenmuster und Fußleisten aus Kirschholz«, erwiderte ich.

Madame Tartakow verzog sarkastisch die Lip-pen. »HA. HA. Komikerinnen kann niemand leiden, klar?«

»Entschuldigung«, sagte ich. »Hintergrund. okay.

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Y. Euny Hong

Katerfrühstück in New YorkRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 368 Seiten, 11,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-36998-0

Blanvalet

Erscheinungstermin: Juli 2008

Enthüllend, sexy und geistreich! Judith Lee ist eine echte koreanische Prinzessin mit wahrhaft königlichem Lebensstil. Doch ihreherzlose Eltern haben ihr nach dem Uniabschluss den Geldhahn zugedreht! Wie soll sie nunihren Lebensunterhalt bestreiten, wo man ihr doch bis auf gesellschaftliche Umgangsformennichts mit auf den Weg gegeben hat? Da trifft Judith eines Tages in New York die russischeImmigrantin Madame Tartakov, die sie einlädt, in ihrem noblen Escort-Service zu arbeiten. Judestellt ihre »Tätigkeit« nicht weiter in Frage – bis sie eines Tages den wunderbaren, aber völligmittellosen Philosophiestudenten Joshua Spinoza trifft ... • Eine witzige romantische Komödie von einer jungen, sehr begabten Autorin!• »Frühstück bei Tiffany« meets »Jahrmarkt der Eitelkeiten!«