zeitschrift "digital" august 2011: ein plan für ouagadougou

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6 Euro In Kooperation mit der Gesellschaft für Informatik e.V. Die Zeitschrift für die Informationsgesellschaft Digital Außerdem: Politischer Diskurs in sozialen Netzen Informatik-Graduiertenschulen Conweaver – die Wissensmanager Hochschulstart.de Rich Skrenta 2 011 Juli/August Kern.stück Cloud Computing Mehr Chancen als Risiken? ISSN 2192-3841

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Wie Openstreetmap hilft, den Einwohnern der Millionenstadt Ouagadougou Zugang zu Straßenplänen zu verschaffen.

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Page 1: Zeitschrift "Digital" August 2011: Ein Plan für Ouagadougou

6 E u r o

In Kooperation mit der Gesellschaft für Informatik e.V.

Die Zeitschrift für die Informationsgesellschaft

Digital

Außerdem: Politischer Diskurs in sozialen Netzen Informatik-Graduiertenschulen Conweaver – die Wissensmanager Hochschulstart.de Rich Skrenta

2 011J u l i / A u g u s t

Kern.stück Cloud Computing Mehr Chancen als Risiken?

ISSN 2192-3841

Page 2: Zeitschrift "Digital" August 2011: Ein Plan für Ouagadougou

28 Res. Pekt Text. Jan Rähm

Ein Plan für OuagadougouWas in der westlichen Welt zum Alltag gehört, ist in vielen Entwicklungsregionen die Ausnahme: Zum Beispiel digitales Kartenmaterial zum Navigieren und Planen. Ohne diese Karten jedoch wird die Entwicklung der Regionen erschwert und auch Entwicklungshilfe kommt oft nicht dort an, wo sie benötigt wird. Eine Lösung: das Projekt Open Street Map und seine Freiwilligen.

Keine Stadt – wo in Wahrheit eine ist. Keine Siedlung – wo in Wahrheit Millionen Menschen hausen. Die Welt der digitalen Karten sieht in wei-ten Teilen noch aus wie die Landkarten zur Zeit der großen Entdecker und Eroberer. Kleine Orte, große Städte und ganze Landstriche tauchen weder bei Google Maps, Bing Maps noch bei anderen kommerziellen Kartenanbietern auf. Mit ein wenig Glück sind zumindest die größten Straßen und die wichtigsten Eisenbahnstrecken verzeichnet. Doch da-rüber hinaus herrscht gähnende Leere im digitalen Weltatlas.

Statt Hauptstadt ein weißer Fleck„Die Stadt Ouagadougou, immerhin eine Millionenstadt im Sahel, tauchte weder auf Google Maps noch auf Open Street Maps noch auf anderen Online-Karten in irgendeiner Weise auf.“ So beschreibt der Ös-terreicher Helge Fahrnberger die Situation der Hauptstadt von Burkina Faso vor einigen Jahren. Wer das nicht glaubt, der braucht selbst heute nur einen Blick in die aktuellen Karten des Suchmaschinenanbieters Bing zu werfen. Dort ist Ouagadougou noch immer ein weißer Fleck. Ganz anders beim Open-Street-Map-Projekt: Hier ist die Hauptstadt des afrikanischen Landes mittlerweile hochdetailliert kartiert. Und da-ran war Helge Fahrnberger nicht ganz unbeteiligt.

Der Technologieunternehmer kennt Ouagadougou sehr gut und schon sehr lange. Er ist oft zu Gast in der Stadt. Mit Freunden hat er das Entwicklungshilfeprojekt Laafi.at ins Leben gerufen. Das realisiert Ge-sundheitsprojekte in kleinem Rahmen und Gesundheitsprojekte im ländlichen Raum. Doch schnell stießen die ehrenamtlichen Helfer an Grenzen. Wie die Projekte realisieren, wenn man nicht genau weiß, wo man ist? Helge Fahrnberger beschreibt: „Mir ist aufgefallen, dass es dort keine Straßenkarten gibt, die sich die Menschen leisten können oder die auch ohne ein Geografiestudium verständlich wären und die auch aktuell wären. Das heißt es gibt nichts Verfügbares. Kein Einwoh-ner dieser Stadt hatte jemals so eine Karte in der Hand.“

Die Bedeutung von Kartenmaterial für die Menschen vor Ort als auch für die Entwicklungshilfe besteht nicht nur einfach darin, zu wissen wo man sich befindet oder wo man hinfahren möchte. Die Karten sind essenziell wichtig, um Hilfsaktionen und Projekte zu planen. So beklagt beispielsweise Unicef in einem Fernsehinterview, dass Hilfsgelder und -güter in Millionenhöhe versickern würden. Niemand könne nachvoll-

ziehen, wo welches Geld und welche Güter gelandet seien. Mit Karten könne man deren Einsatz viel eher verfolgen und kontrollieren.

Ohne Karten kein FortschrittDie Karten sind auch für die Entwicklung der Regionen und der Strukturen unerlässlich. „Karten sind so ein bisschen ein Entwicklungs-parameter. Und wenn eine Stadt gut funktio-nieren soll, das beginnt damit, das man halt die kürzesten Wege kennt und sich nicht so oft verirrt, dann braucht es Kartografie“, meint Fahrnberger. Wie solle ein Staat etwa Steu-ern erheben, wenn er nicht einmal Steuerbe-scheide zustellen kann?

Es gibt außerdem eine politische Dimension. Zum Beispiel Slums: Nahezu am Rande jeder Großstadt in Afrika gibt es die gewachsenen Strukturen in Form von einfachen Hütten aus Lehm, Holz oder Blech. Dort leben Hundert-tausende Menschen. „Es passiert immer wie-der, dass die Siedlungen mit Bulldozern nie-dergewalzt werden, weil man den Raum für Parzellen, Bauprojekte oder für Verkehrspro-jekte braucht. Und dann ist es etwas ganz anderes, wenn diese gewachsenen Strukturen vorher kartiert wurden“, sagt Fahrnberger. Zu-dem hegt er die Hoffnung, dass vor allem auch westliche Geldgeber in der Entwicklungshilfe sich Gedanken machen, wo das Stadtviertel hin sei, das dort vorher noch war.

Digitale Karten am PC gemachtSowohl um den Bewohnern Ouagadougous zu Straßen- und Landkarten zu verhelfen, als auch um sich und dem Verein Laafi.at zu helfen, be-gann Helge Fahrnberger die Stadt zu kartieren. Er setzte sich an seinen Rechner, nahm ein

Page 3: Zeitschrift "Digital" August 2011: Ein Plan für Ouagadougou

29Res. pektOpen Source. Open Street Maps für bessere Lebensumstände

www . Digital-Zeitschrift.de

paar Luftbildaufnahmen und zeichnete anhand derer die ersten Straßen des neuen Stadt-plans. Es sei ganz einfach gegangen: „Als ich gemerkt habe, wie schnell man eigentlich zu einem Ergebnis beim Kartieren kommt, habe ich darüber auf Helge.at gebloggt, meinem Weblog, und habe Leute aufgefordert, mir zu helfen und einfach mitzuzeichnen.“ Es klapp-te. „Im folgenden Jahr haben dann vielleicht eine Handvoll Leute aus den unterschiedlichs-ten Gründen mitkartiert und so kam es, dass Ouagadougou sehr schnell sehr genau ein-gezeichnet war“, beschreibt der Österreicher die Resonanz. Geholfen hat sicherlich auch, dass andere Blogger das Thema aufgriffen und wiederum darüber schrieben. Zu den Helfern gesellten sich so auch einige Einwohner Oua-gadougous. Darunter war auch einer, der zu der Zeit gerade in München studierte und von dem Projekt gelesen hat. Ein Glücksfall, da der Student seine Heimatstadt natürlich sehr gut kennt.

Heute ist Ouagadougou sehr detailliert be-schrieben. Dazu beigetragen hat auch das Prinzip der offenen Karten des Open-Street-Map-Projekts. Einer der sehr aktiven „Mapper“ ist der Deutsche Lars Lingner. Er beschreibt das Projekt so: „Open Street Map ist eine welt-weite Gemeinschaft. Aktuell sind es ungefähr 400.000 registrierte Benutzer, die Geodaten sammeln. Das Prinzip ist vergleichbar mit dem von Wikipedia. Nur bei Wikipedia werden Arti-kel erstellt und bei Open Street Map werden Geodaten erstellt.“ Wikipedia-Prinzip heißt: Jeder kann Karten erstellen, jeder kann Karten verändern und vor allem kann jeder die Karten verwenden.

Google für alle? Alle für Google!Auch Google hat nachgezogen. Der Such-maschinengigant hatte bis dato sein Karten-material gekauft und zur kostenfreien, wenn auch ausschließlich privaten Nutzung online zur Verfügung gestellt. Jedoch hatten die kom-merziellen Anbieter viele kommerziell uninte-ressante Gebiete nicht kartiert. Darum orien-

tierte sich Google am Prinzip der Open Street Map und rief sein Projekt Map Maker ins Leben. Das wurde anfangs nur in Entwicklungsländern angeboten. Mittlerweile können Freiwillige auch in Europa und Ameri-ka ihre Änderungen und Ergänzungen an den Karten vornehmen. Das Prinzip ist dasselbe wie bei Open Street Map. Es gibt aber einen ent-scheidenden Unterschied. Während die Daten beim freien Projekt in jeglicher Form frei bleiben, sind die Google-Karten weiterhin gewissen Einschränkungen unterworfen. Man darf sie nur zu privaten Zwecken kostenlos nutzen. Jede andere Nutzung muss gegen Bezahlung lizen-ziert werden.

Aber Google macht auch Ausnahmen. Denn frei verfügbare Landkarten spielen nicht nur in der Entwicklungshilfe und in der politischen Di-mension eine wichtige Rolle. Ebenso wichtig sind hochaktuelle Karten im Katastrophenfall wie jüngst in Japan und vor einigen Jahren in Haiti. Lars Lingner erzählt: „Google hatte damals Satellitenbilder zur Verfü-gung gestellt und diese durften von Open Street Map genutzt werden, um dort Daten abzuleiten. Das ist sonst mit den Googlebildern nicht erlaubt.“ Sowohl bei Google als auch bei der Open Street Map heißt das dann „Desaster Response“. „Es gibt eine Naturkatastrophe und die lokalen Gegebenheiten ändern sich sehr rasch. Durch Erdbeben werden Straßen unpassierbar und Gebäude stürzen ein. Tsunamis wie der in Japan verwüsten ganze Küstengebiete. Da ist es notwendig, sehr, sehr schnell an aktuelle Daten zu kommen“, erklärt Helge Fahrnberger. Er er-gänzt: „Sobald aktuelle Luftbilder nach der Katastrophe zur Verfügung stehen, fangen wir an, die Karte zu aktualisieren. Beispielsweise welche Korridore sind in diesen Gebieten bereits wieder passierbar? Welche sind bereits von Notfallteams frei geräumt und wieder befahrbar? Wel-che Straßen noch nicht?“

In den Krisenfällen arbeiten alle Organisationen Hand in Hand. Google liefert das Bildmaterial, die Open-Street-Map- und die Map-Maker-Akti-visten erstellen und aktualisieren das Kartenmaterial und die Hilfsteams vor Ort liefern aktuelle Informationen über den Zustand der Straßen und Wege. Die Daten ermöglichen dann zusammengefasst schnelle Hilfe, die Menschenleben retten kann. „Wir haben da sehr positives Feedback von den Helfern bekommen. Es gab Dankesbriefe oder Grüße, dass es ohne Karten sehr viel schwieriger geworden wäre“, freut sich Lars Lingner über die erfolgreiche Zusammenarbeit.

Zurück nach Burkina Faso. Heute ist Ouagadougou nahezu vollständig kartiert. Helge Fahrnberger will in Kürze den nächsten Schritt umset-zen. Er möchte die Straßenkarten den Menschen in die Hand drücken – nicht digital, sondern auf Papier. Dazu bereiten Fahrnberger und seine Freunde Druckdateien vor. Er ruft die Bewohner auf: „Verdient Geld damit. Druckt einen Stadtplan, der leistbar ist, und verkauft oder verschenkt ihn.“ Open Street Map also ganz pragmatisch gedacht.

Bei Bing-Maps (links) nur eine Straßenkreuzung: Quagadougou. Dank Open Street Maps (rechts) wird die Hauptstadt von Burkina Faso systematisch kartiert.

Mit Leidenschaft für Ouagadougou: Helge Fahrnberger hat die Kartierung der Hauptstadt in Gang gebracht.

FOTO

: PR

IVAT