zur prognose der unterbindung der arteria carotis communis

9

Click here to load reader

Upload: klaus-vogel

Post on 16-Aug-2016

216 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

(Aus der Universitats-Hals-Nasen-Ohrenklinik der Charit6 [Direktor: Professor Dr. yon Eicken].)

Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communisl.

Von Prof. Dr. Klaus Vogel,

O b c r a r z t dcr I~ l in ik .

(Eingegangen am 29. Oktobe,r 1942.)

Es ist bekannt, dal~ die Unterbindung der Aorta carotis eommunis ein Eingriff ist, der wegen der durch ihn drohenden Gefahr ffir Leben und Gesundheit nur zur Abwendung tSdlicher Verblutung angewendet werden darf.

Ich mSchte fiber 3 Fi~lle von Unterbindung der A. earotis communis berichten, die deshalb Interesse erweeken dfirften, weil im 1. und 2. Fall bei Kranken im Alter von 45 und 34 Jahren iiberhaupt keine nennens- werten Ausfallserscheinungen auftraten und nach dem mehrere Wochen sp/~ter aus anderen Grfinden eingetretenen Tode die Obduktion die Er- kl/trung daffir gab, und weft im 3. Fall die Riiekbildung einer 48 Stunden nachher entstehenden kompletten Hemiplegie der Gegenseite erst un- gewShnlich sp~t begann, a]s die behandelnden ~rzte die Hoffnung auf eine Wiederherstellung 1/tngst aufgegeben batten, und sieh aul3ergewShn- lich lange hinzog.

Bei dem 1. Fall handelt es sieh um eine 45j~hrige Patientin mit einer alten RadikalhShle links, welehe dauernd aus der Gegend des Tuben- winkels Eiter sezernierte. In den letzten Wochen batten sieh beim Verbandweehsel mehrfach Blutungen eingestellt; anfangs waren sie gering, in letzter Zeit 2mal bedrohlieh. Die Patientin wurde deswegen in die Klinik eingeliefert. Der Verband war etwas durehgeblutet. Als ich ihn entfernte, sah ieh durch die groBe hinter dem Ohr befindliche 0ffnung in der Tubenwinkelgegend nur einige Granulationen und Blut- gerinnsel. Auch bei vorsichtigem Abtupfen und Sondieren konnte ich nicht feststellen, woher die Blutung gekommen war. Da die Patientin dauernd fiber Schwindel geklagt hatte, betrachtete ich einen Augenblick die Augen. P15tzlich rief die Patientin : ,,Es li~uft mir heig fiber den Riicken hinunter !" und schon sah ieh einen dieken Blutstrahl aus der HShle hinter dem Ohr hervorsprudeln. Da Kompression mit Tupfern nieht imstande war, die /~u[terst bedrohliche Blutung zum Stehen zu bringen, muBten wir sofort die Unterbindung der A. carotis communis vornehmen.

Herrn Prof. Giittich zum 60. Geburtstag.

Page 2: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

290 Klaus Vogel:

Ein anderes Gefi~B kam als Quelle der Blutung nickt inBetraeht, ldbrigens stand nach der Unterbindung die Blutung noch nicht vollkommen: wie wir annahmen infolge eines rticklS, ufigen Zuflt~sses aus der Carotis externa ; erst nachdem diese auch noch ligiert war, kam die Blutung ganz zum Stillstand.

Die Verblutungsgefahr war somit abgewendet, doeh erwarteten wir nun die gewShnlieh sehr ernsten Folgen, also zum mindesten eine

�9 Halsseitenli~hmung rechts. Zu unserer Verwunderung trat diese nicht auf. Angedeutet war sie nur durch eine voriibergehende geringe motorische Schw~che der rechten Hand. 16 Tage spgter starb die Patientin, die seit Jahren eine starke Morphinistin war, unter fieberhaften Temperaturen an einem zunehmenden Meteorismus und einer schlie$1ich entstehenden Durchwanderungsperitonitis.

Als Folge der Carotisunterbindung ist mir ein solcher Meteorismus nicht bekannt. MSglieherweise war er eine Folge des enormen Morphium- mi~brauches im Verein mit dem fieberhaften Krankheitszustand und der dauernden Bettruhe.

Die Obduktion brachte uns die Erkli~rung ffir das feast vSllige Aus- bleiben der Ausfallserseheinungen. Der Ramus communicans posterior der kranken linken Seite war abnorm stark ausgebildet, der reehtsseitige war hypoplastisch. So war schon yon Natur aus der Zuflul~ aus der Arteria basilaris zur kranken Seite abnorm stark und konnte so den Ausfall der Carotis interna ersetzen und die linke Hirnh~lfte genfigend mit Blur versorgen.

Bei dem 2. Fall handelt es sich um einen 34ji~hrigen Mann mit einem Hiimangiom des linken Mittelohres und Felsenbeines, das operiert wurde, da die histologische Diagnose auf Grund einer Probeexeision zun~chst ,,Granulationsgesehwulst" lautete. Erst bei der Operation wurde die tatsi~chliche Natur des Tumors erkannt. Im Verlauf der Nachbehandlung trat eine Nachblutung auf, die nur durch sofortige Unterbindung der linken A. carotis communis gestillt werden konnte. Wider Erwarten stellten sieh keinerlei Ausfallserscheinungen ein. Wghrend einer sehr langsamen Rekonvalescenz trat nach anfi~nglicher Heilung wieder eine Eiterung an der Unterbindungswunde an der linken Halsseite auf. Nach einer Revision derselben hSrte zwar die Eiterung auf, aber es kam in Abst~nden yon mehreren Tagen zu Blutungen, die durch Tamponade gestillt werden konnte. Am Abend vor der geplanten nochmaligen Revision der Wunde trat eine enorme arterielle Blutung auf, an deren Folgen der Kranke in 24 Stunden trotz Zufuhr yon 1 Liter Kochsalz und 300 ccm Blut zugrunde ging. Etwa 6 Stunden nach der Blutung hatte sich all- m~hlich eine Zwangshaltung des Kopfes und der Augen nach links eingestellt. Es war keine Li~hmung, denn der Kranke, der im iibrigen unansprechbar war, drehte zeitweise auf Anrufen den Kopf und die Augen nach rechts. Im Gegensatz zu dem unruhigen Verhalten der links-

Page 3: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis. 29I

seitigen GliedmaBen wurden die rechtsseitigen stillgohalten. Auch hier bestand keine L/~hmung, wie man an seltenen gelegentlichen Bewegungen sehen konnte. Der zugezogeneNervenarzt bezeiehnete das Bild als Apraxie. Zweifellos war es das Vorstadium und die sehr abgeschw/~chte Form einer Hemiplegie. Die Obduktion zeigte unter anderem am linken GroBhirn lediglich eine Erbleiehung der linksseitigen parietalen Grol~hirn- rinde als Erkl/~rung der BewegungsstSrungen. Die Erkl/~rung ffir das vSllige Fehlen von AusfMlserscheinungen nach der frfiher ausgeffihrten Unterbindung der A. carotis communis gab aueh hier wieder der Befund am Cireulus Willisii. Der Ramus communicans posterior war auf beiden Seiten gut 2 mm stark, w/~hrend er gewShnlieh nur ein zartes Gef/~B von hSehstens 1 mm Ka]iber vorstellt 1

Es war also aueh in diesem FMle, wie in dem besehriebenen 1. Fall, dureh Vermittlung eines ungewShnlich weiten ~amus eommunieans posterior die Versorgung des Gebietes der Arteria eerebri media dureh die A. vertebralis fibernommen worden. Erst bei der allgemeinen Blut- leere naeh der letzten groBen Blutung wurde die Versorgung un- genfigend, so dag eine Iseh/s im Gebiet der vorderen zentralen Windung entstand und Ausfglle in leiehtester Form auftraten. Im fibrigen ergab die Obduktion noch einen grogen inoperablen Resttumor in der medialen Hglfte des Felsenbeines. Die Blutungen aus der A. carotis communis waren dadurch entstanden, dab die Gef/~Bligatur vereitert war und das Gefgg quer durehschnitten hatte. Im unteren Teil befand sich ein zum Teil eitrig eingeschmolzener Thrombus, der das Lumen zeit- weise freigegeben und wieder verlegt und so zu den intermittierenden Blutungen gefiihrt hatte.

Bei der Durehsicht der einschli~gigen Literatur fand ieh in einer Arbeit von Walclcer (s. oben) sehr genaue Angaben fiber die verschiedenen Variationen des Circulus Willisii und die Ansicht vertreten, dag vor- nehmlieh mit diesen Variationen die im Einzelfall so verschiedene Pro- gnose der Unterbindung der A. carotis communis zusammenhgngen mfisse. Der Autor hat bei 100 Leiehen den Status der Arterien der Gehirnbasis erhoben und unter anderem festgestellt, dag es Mensehen mit offenem und mit gesehlossenem Cireulus Willisii gibt. Der offene Cireulus komme bei Dolichoeephalen, der geschlossene bei Mesoeephalen und sehwaeh ausgepr/~gten Brachyeephalen vor. Bei stark ausgepr/~gten Brachyeephalen finde sich h/~ufig eine Vergr6Berung der Zahl der Ana- stomosen. Bei offenem Circulus land er entweder Ms t~epr/gsen~anten der A. eommunicans posterior nur einen ganz kleinen Ast, der sieh nieht mit der A. eerebri posterior vereinte oder ein vSlliges Fehlen der A. com- munieans posterior; sogar in einigen Fallen beiderseitig.,

1 Toldt: Anatomischer Atlas. - - Spalteholz: Handatlas der Anatomie, Bd. 2. - - Walc/cer: Arch. f. Chir. 130, 376 (1924).

Page 4: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

292 Klaus Vogel:

Bei geschlossenem Circulus land er die linke A. communicans posterior in 70% der F~lle breiter und kiirzer als die reehte.

Die Mal3e der A. communicans posterior betrugen ffir die linke Seite 0,8--1 mm, ffir die rechte Seite 0,3--0,5 mm.

Diese MaBe betrugen in unserem 2. Falle je 2 mm; diese ~ste waren also abnorm welt und konnten somit die Blutversorgung der A. cerebri media von der A. vertebralis aus sicherstellen.

In dem 1. Fall habe ich die Dicke der Arterien nicht gemessen, jedoeh war sie auf der Seite der Unterbindung abnorm weit, im Gegensatz zur Hypoplasie der Arterien der anderen Seite. Die weitere A. eommunicans posterior land sieh, entspreehend der H~ufigkeitsstatistik Walckers, auch hier auf der linken Seite und in diesem Fall glficklieherweise auf der Seite der Unterbindung.

Walcker zitiert einen Fall von E h r m a n n 1, der nach Ligatur der Carotis communis unter Hirnerseheinungen zugrunde ging und bei d e m sieh bei der Obduktion ein oftener Circulus Willisii land, also ein Gegenstiick zu den beiden yon uns beobachteten Fallen.

Auch von anderen Autoren wird die Ansieht vertreten ~-, dab Todes- f~lle naeh Carotisunterbindung mit ungenfigender Ausbildung des Circulus zusammenh~ngen miissen; mit kasuistischem Material werden jedoch die Vermutungen nicht belegt. Daher halte ich die Bekanntgabe unserer beiden F~lle ffir nfitzlich, durch welche die Richtigkeit dieser Ver- mutungen bewiesen wird.

Der 3. Fall, fiber den ieh beriehten mSchte, brachte uns Erfahrungen bezfiglieh der AusgleichsmSglichkeiten der Ausf~lle nach Carotisunter- bindung.

Es ist eine 32ji~hrige Patientin, bei welcher aul~erhalb eine unter der rechten Tonsille entstandenen entziindlichen VorwSlbung inzidiert und dabei eine grSl~ere Arterie erSffnet worden war. Vermutlich hat es sich um die Arteria lingualis gehandelt. Sie wurde am 29.1 .38 in sehr aus- geblutetem Zustand in die Klinik eingeliefert, und es wurde sofort die A. carotis externa unterbunden. Wegen des groBen Blutverlustes und der dauernden Aspiration yon Blur war zu einer hinreichenden Asepsis keine Zeit gewesen. Daher blieb die Wunde nicht steril und es trat eine Eiter- bildung in der Tiefe auf. Nachdem die Patientin sich yon einerAspirations- pneumonie schon recht gut erholt hatte, bekam sie plStzlich am 11.2.38 infolge eitriger Arrosion eine ~uBerst bedrohliche Nachblutung aus der ttalswunde. Trotz sofortiger Kompression mit Finger und Tupfer kam sie in fast aussichtslosem Zustand in den Operationssaal. In hSchster

1 Ehrmann: Tod unter Gehirnerscheinungen nach Ligatur der Carotis communis und offener Circtflus Willisii. Paris 1860.

Guinard: Lyon m6d. 101, 996 (1903). - - Lewandowski: Handbuch der Neuro- logie, 1912. - - Spezielle Neurologie, Bd. 2, S. 116. - - Stierlin u. yon Meyenburg: Dtsch. Z. Chir. 152, 1 (1920).

Page 5: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

Zur Prognose der Untcrbindung der Arteria carotis communis. 293

Eile wurde die Arteria carotis communis unterbunden, was sich d.urch die entzfindlichen Veranderungen in der Wunde sehr schwierig gestaltete. Wegen des Sitzes der Blutung dicht fiber der Bifurkation, anscheinend an der Stelle der Ligatur, kam eine nochmalige Unterbindung der Externa nicht in Frage, sondern nur die Ausschaltung der Carotis communis. Wahrend der Operation bekam die Patientin 500 cem Kochsalz und abends 500 cem Blut intraven6s. Am naehsten Tage ging es der Patientin ganz gut.. Vor allem zeigte sie keinerlei Lahmungen. Wir waren schon sehr erfreut, dab sie anscheinend die Unterbindung folgenlos iiberstehen wfirde, als sich am darauffolgenden Tage vormittags (13.2.38) ira Verlauf einer halbert Stunde pl6tzlich eine komplette motorische Lahmung der ganzen linken KSrperseite einstellte.

Die Patientin konnte weder den linken Arm noch das Bein bewegen, konnte nieht nach links blicken und hatte eine nicht ganz votlstandige zentrale Lahmung des 2. und 3. Facialisastes.

Eine rechtsseitige Rekurrens- und Hypoglossuslahmung war vermut- lich peripher und wahrend der sebr eiligen und anatomisch schwierigen letzten Operation entstanden.

Die Patientin war in einem sehr sehlechten Zustande; die eben ab- geheilte Aspirationspneumonie beider Unterlappen war wieder auf- geflaekert und bedrohlich. Sie bekam nach 2 Tagen nochmals 500 cem Blut. Sebr langsam besserte sich der Zustand der Lungen, die Eiterung ans der Wunde und die allgemeine Verfassung.

Die Lahmungen blieben unverandert bestehen nnd die Prognose in dieser Hinsicht sehien aussiehtslos.

Nach unseren bisherigen Erfahrungen, die in einer Arbeit von Gollub 1

niedergelegt sind, waren die Patienten entweder an den Folgen der Unterbindung gestorben oder die Ausfallserscheinungen waren allmahlich zurfickgegangen und verschwunden, aber die Besserung hat te in allen Fallen, wenn auch langsam, so doeh schon in den ersten Tagen naeh der Unterbindung eingesetzt.

Weder der zugezogene Neurologe (Nervenklinik der CharitY) noch der Internist (II. medizinische Klinik der CharitY) konnten fiber die Prognose eines solchen Falles etwas aussagen.

Ein Riickgang der Lahmungen erschien nach Ansicht aller beteiligten Kollegen sehr zweifelhaft, wenn nicht ansgeschlossen.

Nachdem die Halswunde verheilt war, verlegten wir die Patientin arn 17.3 .38 na, eh der Nervenklinik. Sie erhielt dort zunachst neben Herzmitteln Massage, Cebion und verschiedene Tonica. Anfang April, also 7- -8 Wochen nach Beginn der Lahmung, stellte sieh eine geringe Bewegliehkeit des linken Beines ein, am 14.4. stand sie das erste Mal

'auf . In der 2. Woehe des Juni, also nach 4 Monaten, begann sie die linke Schulter ein wenig zu heben. Die Beugung des Armes gelang nach

aollub: Miinch. med. Wschr. 1936 II, 1827.

Page 6: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

2 9 4 Klaus Vogel:

der Aufzeichnung im Krankenbett in Form einer Massenbewegung mit grSBter Anstrengung.

Bei der Entlassung am 4 .7 .38 (naeh fast 5 Monaten) war der neuro- logische Befund laut Krankenblat t der Charit6-Nervenklinik folgender:

,,Der linke Arm ist im ganzen etwas diinner als der rechte und zeigt deutlich vermehrten Tonus. Die Finger sind im Mittelgelenk gebeugt, der Daumen eingezogen. ]Die Finger kSnnen nicht bewegt werden. Bei dem Versuch, den Arm zu beugen, kommt es mit siehtlicher A n - strengung zu Massenbewegungen; die ]inke Schulter wird gehoben, der Kopf beugt sich teicht nach links, auch das linke Bein wird angehoben, und dabei kommt eine leichte Beugung im Ellenbogen zustande. Ge- legentlich ist auch eine schwache Streckung im Ellenbogen- und ttand- gelenk m5glich. Die Reflexe sind links gesteigert. Der Mayer fehlt. Sensi- bilit/~t, insbesondere Bewegungsempfindung, ungestSrt. Am R u m p f sind keine Paresen zu beobachten. Die linke Schulter h/ingt deutlich. Von den Bauehdeckenreflexen ist links nur der obere mit Sicherheit zu bekommen; die rechtsseitigen sind in normaler St/irke auslSsbar. Sensi- bilit~t intakt. An den Beinen besteht eine deutliche Pr/~dilektionsparese, doch ist die Kraftleistung im ganzen relativ gut. Der Tonus ist deutlich veimehrt, keine sichere Abmagerung. Die Streckung der Zehen, die Pro- nation und die Bewegungen der GroBzehen fehlen noch vollst/~ndig. Links unerschSpflicher Patellar- und FuBklonus; der Adduktoren- reflex ist bereits von dem medialen KnSchel auslSsbar. Deutlicher Rossolimo und Mendel links; sonst keine spastischen Zehenreflexe. Rechts sind die Reflexe normal. Sensibilit/~t und Bewegungsempfindung ungestSrt. Knie-Hakenversuch wegen der Parese etwas unsicher. Gang ]inks deutlich spa tiseh; der FuB wird als Stelze benutzt, bleibt oft am Boden hi~ngen und wird mit dem /s Rande aufgesetzt. (In Ruhe steht der linke FuB in geringer, nichtfixierter Equino-Varusstellung.)" ]Die L/ihmung war also im linken Bein soweit zuriiekgegangen, dab die Kranke atlein wieder gehen konnte. Am Arm hat sich die Riickbildung

esentlich langsamer vollzogen. Die Hand war praktisch noch gebrauchs- unf/~hig. Am 9 .7 .38 wurde sie auf 6 Wochen nach dem Bad Oeynhausen geschiekt, wo sie mit Thermalbitdern, t/~glichen Bewegungsiibungen und Massagen behandelt wurde. Naeh der Kur (61/2 Monate naeh Beginn der L/s sah ich die Patientin wieder. Sie hatte noeh weitere Fort- schritte gemacht. Wiedergekommen war vor allem die Beugebewegung. ]Der FuB hing nach Art der Peronaeusl/~hmung herunter. Noch in letzter Zeit hatten sieh Zehenbewegungen wieder eingefunden. Die L/~hmung des Armes war noch unver/~ndert.

Mehr als 4 Jahre sp/~ter stellte sieh die Patientin auf meine Auf- forderung wieder vor. Sie kam zu FuB, sah wohl gen/~hrt, bliihend, braungebrannt und frShlich aus. Sie arbeitet seit 2 Jahren wieder als Buehhalterin. Sie hatte in den Sommern 1939 und 1940 noch Kuren in

Page 7: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis. 295

ffohannisbad mit Thermalb/~dern und Untarwassermassage gemacht. Am linken Bein ist nur eine Peronaeusl/~hmung zuriickgeblieben. Die stSrende Senkung des FuSes wird durch einen o1~hop/~dischen Schuh gehoben und ausgeglichen. Am linken Arm ist die Beweglichkeit im Schul- tar-, Ellenbogen- und Handgelenk wiedergekehrt. I m Handgelenk aller- dings nur mit geringer Kraft . Von den Fingern kSnnen nur der 4. und 5. ganz wenig bewegt werden, hn iibrigen stahen die Finger federnd in Beugestellung. Die Sensibilit~t ist iiberall normal.

Die rechtsseitige Rekurrensl/s ist, was nicht anders zu erwarten war, als periphere Sch/~digung geblieben, jedoch ist dutch phonetische ~bungen eine gesteigerte Beweglichkeit des linken Stimmbandes erzielt worden, so dal~ die Glottis geschlossen werden und eine klare Stimme produziert werden k a n n . Die Hypoglossusl/~hmung ist weitgehend zurfickgegangen. Es besteht eine m/~6ige Atrophic der rechten Zungen- h/tlfta mit fibrill/tren Zuekungen, jedoch kann die Zunge auch s/hntliche Bewegungen naeh links ausfiihren. Die Augenbewegungen sind frei; Geh6r, Geruch und Geschmack sind normal. Auch sind keinerlei geistige oder psychische Ver/tnderungen nachweisbar, h n ganzen sind angeblieh iiber 2 Jahre nach Beginn der Erkrankung noch Besserungen aufgetreten; seitdem ist nichts Neues mehr hinzugekommen.

In dem eben beschriebenen Falle ist die Hirnsch/s erst 48 Stun- den nach der Unterbindung ganz plStzlich im Verlauf einer halben Stunde aufgetreten. Die Schs bestand in eincr kompletten motori- schen L~hmung dcr ganzen linken K~rper- und Gesichtsh/~lfte. Erst nach 7- -8 Wochen zeigtan sich die ersten Anzeichen einer wieder- erwachenden Beweglichkeit. Die Wiederherstellung bis zu dem jetzigen Umfang der Funktion hat sich fiber 1--2 Jahre hingezogen. Es sind nut kleine Ausf~tlle an Hand und FuB iibriggeblieben. Ffir die Annahme einer reinen Embolie, yon einer Thrombose an der Unter- bindungsstelle ausgehend, wie sic Per thes ~ als Ursache der versp~ttat eintretenden St~rungen ansieht, fehlt die M~glichkeit einer dazu not- wendigen, noch vorhandenen BlutstrSmung in der A. earotis interna. Diese h/~tta nut aus der Carotis externa kommen k6nnen. Diese war jedoch durch das Durchschneiden der friiher angelegten Ligatur unter- brochen. Alles, was blutete, war bei der letztan Operation abgeklemmt und unterbunden worden. Eine Verbindung zwischen dem System der Carotis externa und interna und ein noeh bestehender Blutstrom kann somit nicht mehr angenommen werden. Andere Zufliisse hat abet dic astlose A. carotis interna nicht. Vermutlich wird v o n d e r Unterbindungs- stelle der A. carotis intarna ein zusammenh/ingender Thrombus cerebral- warts gewaehsen und yon diesem an der Einmiindungsstelle in den Oirculus Willisii dutch den dort herrsehenden Blutstrom ein Embolus abgerissen und in die A. cerebri media hineingesehwemmt worden sein, und die

Pertbe,r 44. Verslg Ges. Chir. 1920.

Page 8: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

296 Klaus Vogel:

beschriebene St5rung verursacht haben. Eine totale Thrombose der ganzen A. cerebri media ist nicht wahrscheinlich, da die vollst~ndige Ausschaltung derselben immer t5dlich verlaufen dfirfte, und da die cere- bralen StSrungen nicht einem totalen Ausfall des Versorgungsgebietes der A. cerebri media entsprechen, sondern nut einem Ausfall der Rinden- ~ste, welche die vordere Zentralwindung versorgen. ~ber eine Beteiligung der J~ste zum Fu[~ der 3. Stirnwindung und zur obersten Schl~fenwindung kann nichts ausgesagt werden, da es sich um die rechte Hemisphere und stumme ttirnteile handelt.

Das Intervall yon etwa 48 Stunden yon der Unterbindung bis zum Einsetzen der Halbseitenl~hmung l~[~t sich gut mit der Annahme einer zun~chst eingetretenen hirnw~rts fortschreitenden Thrombosierung der A. carotis interna und nachtr~glichen Embolie vereinigen.

Nach der somit anzunehmenden Sachlage im Gebiet dcr _4. cerebri media und angesichts der wochenlang ausbleibenden Besserung mu•te mit einer isch~mischen Erweichung des yon den Rinden~sten der Arteria cerebri media versorgten Hirnbezirks u n d einem beziiglich der Wieder- herstellung ungfinstigen Verlauf gerechnet werden 1. Ob die an Apo- plexien gemachten Erfahrungen auch auf diesen Fall zu iibertragen waren, erschien zweifelhaft, da es sich bei den apoplektischen Hirnblutungen nicht um eine vollkommene Blutsperre und bei den reparablen Embolien meist um kleinere ttirnbezirke handelt als hier angenommen werden mu6te. So lehnt Bri~ninf f den Vergleich ab und beurteilt die Prognose der Folgen der Carotisunterbindung folgendermaBen:

1. Kann bei ungenfigendem Kollateralkreislauf ein Erweichungsherd durch An~mie entstehen; dabei treten die klinischen Erscheinungen un- mittelbar auf. Die Prognose ist infaust.

2. K o m m t es zur Thrombose und Embolie in den Hirnarterien mit nachfolgendem Erweichungsherd. Klinisch ist dabei ein mehr oder minder langes, freies Intervall, das Intervall nach Perthes , wie es auch genannt wird, zu beobachten. Die Prognose ist auch in diesem Fall ungfinstig-

Auch M a x L i t t h a u e r 2 bezeichnet nach Carotisligatur die voriibergehen- den L~hmungen a l s Ausnahmen, das Bestehenbleiben der Ausfalls- erscheinungen aber als Regel und zitiert au~erdem W. Mi~ller (Rostock) als Vertreter der gleichen Ansicht.

Lediglich S t i e r l i n und yon M e y e n b u r g berichten 1920 (s. oben) fiber einen ~hnlichen Fall mit traumatischer Thrombose der linken Carotis interna und Embolie kleiner Hirnarterien, Hemiplegie und Aphasie, in welchen sich die ersten Wiederherstellungszeichen schon nach 1 Monat einstellten. 8 Monate nachher schien das Maximum der Wiederherstellung

1 Bri~ning: Dtsch. med. Wschr. 1926 I, 145. - - Stierlin u. von Meyenburg u. Litthauer: Berl. klin. Wsehr. 1921 II, 1249. - - Mi~Uer, W.: Zit. bei Litthauer. - -

S. auch Wullstein: Arch. Ohrenheilk. 150, 284ff. (1941), Fall 3, S. 285.

Page 9: Zur Prognose der Unterbindung der Arteria carotis communis

Zur Proglmse der Unterbindung deL" Arteria carotis communis. 297

erreicht zu sein. Ebenso berichtet R a n z i 1 fiber einen ziemlich gleich- gelagerten Fall, in dem die hemiplegischen Erscheinungen schon in den ns Monaten zurfickgingen und anseheinend das Ende der Besserung nach 8 Monaten erreicht war.

Angesichts der Mehrzahl der in dCr Literatur niedergelegten un- gfinstigen Erscheinungen und der unsicheren Prognose, welche in unserem Fall sowohl yon internistischer wie yon neurologischer Seite gestellt wurde, erschien die erst nach fast 2 Monaten einsetzende ]3esserung und der unerwartet giinstige weitere Verlauf m i t der sich fiber 1--2 Jahre erstreckenden fortlaufenden allm~hlichen Besserung so ungewShnlich, daf3 ich auch diesen Fail ffir mitteilenswert hMte.

Zusammenfassung.

Aus den all den beschriebenen 3 Fi~llen gemachten Erfahrungen m6chte ich zusammenfassend nochmals folgende SchluI~folgerung ziehen:

Das Ausbleiben yon Sch~digungen nach einseitiger Unterbindung der A. carotis communis ist wenigstens in einem Teil der FMle darauf zurfickzuffihren, dab durch ungew6hnliche Weite des Ramus communicans posterior aus der A. vertebralis genfigend ]~lut zugeffihrt wird, um im Gebiet der A. cerebri media dell Ausfall der A. carotis zu ersetzen, was durch 2 autoptisch kontrolliertb F~lle belegt wird. In anderen FMlen ist m6glicherweise auch eine ungew6hnliche Weite des Ramus communicans anterior imstande, hinreichend Blut aus der gegenseitigcn A. carotis herbeizuschaffen.

Die Prognose der durch die Unterbindung zun~chst entstehenden Aus- fi~lle ist nicht immer so schlecht, als sie in der bisherigen Literatur dar- gestellt wird. Ein Rfickgang der L~hmungen kann auch noch 7- -8 Wochen nach Beginn einsetzen und sich fiber 1--2 Jahre hinziehen.

Eine abgeschw~chte Form der StSrungen durch Hirnischi~mie ist eine Verminderung der Bewegungsimpulse (Apraxie) der entgegen- gesetzten K6rperh~lfte,

1 R( Inz i : With. klin. Wschr. 1931 i . 349.