zusammenfassung ein soziologischer selbstversuch
DESCRIPTION
summary of pierre bourdieus quasi-autibiographyTRANSCRIPT
Zusammenfassung „Ein soziologischer Selbstversuch“
Verstehen heisst zunächst das Feld zu verstehen, mit dem und gegen das man sich entwickelt.“ (11)
Der Selbstversuch ist eine Autobiographie, die ganz bewusst keine sein will. Für Bourdieu’sche
Verhältnisse sehr einfach und zugänglich, zeigt dieses dünne Buch hervorragend die soziale
Bedingtheit des wohl herausragendsten Soziologen der letzten Jahrzehnte. Besonders die Verhältnisse des wissenschaftlichen Feldes in Frankreich und die Bildungs- und
Erziehungsinstitutionen (vom Internat, über die khagnes bis zur ENS) werden schonungslos entlarvt
und entmystifiziert. Sowieso spricht viel Trotz und Rebellion aus den Zeilen. Besonders deutlich wird
dies, wenn die Soziologie als verpönte und geradezu niedrige Wissenschaft der Philosophie und zu
Teilen auch der Ethnologie gegenübergestellt wird, zwei Disziplinen, die zu jener Zeit (1950er und
60er Jahre) mit Sartre und Levi-Strauss die zwei herausragenden französischen Intellektuellen
stellten. Bourdieus Zeit in Algerien wartet mit ein paar atemberaubenden Episoden auf, die
herausstreichen mit welcher Akribie und Liebe zum Detail er geforscht hat, und dass er auch vor
grossen Hindernissen und Gefahren nicht zurückschreckte.
Das Buch lässt sich im Groben in drei Teile gliedern: - Intellektuelles Feld während dem Studium und in der Frühphase akademischer Tätigkeit
(50er, 60er Jahre)
- Algerien und die Forschungen im Béarn (siehe Zusammenfassung „Jungesellenball“)
- Kindheit, familiäre Herkunft und Jugendzeit im Internat in Pau
Intellektuelles Feld während dem Studium und in der Frühphase
akademischer Tätigkeit (50er, 60er Jahre) Die bestimmende Figur schlechthin während Bourdieus Studienzeit in den 1950er Jahren war Jean-
Paul Sartre. Er prägte das intellektuelle Geschehen und die Philosophie nahm den Status einer
Königswissenschaft ein. Bourdieu studierte zu jener Zeit an der ENS Philosophie und stand somit
„am Gipfel der Hierarchie des Bildungswesens“. Dieses Studium war mit einer Reihe von
„Weihevorgängen“ verbunden, die zu an Arroganz grenzender Selbstsicherheit führten und bei den Studenten eine Korpsgeists hervorriefen, der lange nach dem Studium noch latent sein sollte („Adel
verpflichtet“). Demgegenüber wurden die Sozialwissenschaften, darunter insbesondere die
Soziologie als niedrige Wissenschaften betrachtet, mit der es sich nicht zu beschäftigen lohnte.
„Doch die wichtigste und gleichwohl am wenigsten sichtbare Eigentümlichkeit der philosophischen
Welt an jenem Ort und zu jener Zeit – wie vielleicht immer und überall – ist sicher eine scholastische
Abschottung, die, selbst wenn sie auch andere Kultstätten des akademischen Lebens kennzeichnet
[...] eine ihrer beispielhaftesten Ausprägungen in der geschlossenen, abgesonderten, den realen
Wechselfällen des realen Lebens entzogenen Welt fand, in der um die fünziger Jahre die meisten
jener französischen Philosophen unterwiesen wurden, deren Botschaft heute einen planetarischen
campus radicalism beseelt, wie er sich insbesondere im Umfeld der cultural studies zeigt.“ Gleichzeitig gab es zu jener Zeit auch Gegenströmungen gegen Sartre und den Existenzialismus: die
Philosophiegeschichte von Guéroult und Vuillemin, die Wissenschaftsgeschichte und –theorie von
Bachelard, Canguilhem und Koyré. Bourdieu fühlte sich letzteren sehr zugeneigt, u. a. weil sie ihm
bezüglich Herkunft und Bild glichen. Eine besondere Position nimmt Georges Canguilhem ein, den er
im „Selbstversuch“ entsprechend würdigt. Weitere wichtige Personen, die abgehandelt werden, sind
Raymond Aron, von dem Bourdieu sich zusehends distanzierte, und Claude Lévi-Strauss. Trotz diesen
einflussreichen philosphischen Einflüssen, die Bourdieu bei seinem Übergang vom Philsophen zum
Soziologen prägten, „spielte sich das wissenschaftliche Leben doch anderswo ab.“
Es folgt eine längere Beschreibung der Stellung der Soziologie (Underdog-Wissenschaft im Vergleich
zu Philosophie und Anthropologie bzw. Ethnologie). Bedeutende Figuren waren aus der älteren
Generation Georges Gurvitch, Jean Stoetzel und Raymond Aron. Die jüngere Generation teilte sich
die Bereiche auf, so dass jeder sein Spezialgebiet hatte (z. B. Arbeitssoziologie, Freizeitsoziologie,
Bildungssoziologie...). Zudem ist der Raum durch die Fachzeitschriften und deren Herausgeber
abgesteckt. 1960 wird Bourdieu Assisten bei Aron und kehrt von seiner Lehrertätigkeit zurück nach
Paris.
Algerien und die Forschungen im Béarn (siehe Zusammenfassung
„Jungesellenball“) Bourdieu muss ins Militär und wird vorwiegend aus disziplinarischen Gründen nach Algerien versetzt.
Bei den anderen Soldaten hat er einen schweren Stand, zumal sie mehrheitlich aus tiefen sozialen Schichten kommen und wenig gebildet sind, er aber durch seine politischen Positionen aus der Reihe
tanzt. Gegen Ende des Militärdiensts beginnt er sich für das Land und die algerische Gesellschaft zu
interessieren und betreibt auf eigene Faust Feldforschung. Später nimmt er eine Stellung an der
Universität Algier an und bleibt längere Zeit dort. Aufgrund der angespannten politischen Situation
gestaltet sich die ethnologische Forschung extrem schwierig – manche Episode zeugt von den
extremen Bedingungen, denen Bourdieu ausgesetzt war. Hinzu kommt, dass er sich bei den
Franzosen (Besatzern) durch seine offen gestandene Sympathie für die Unabhängigkeitsbewegung
keine Freunde machte. Wieder zurück widmet er sich mit vollstem Eifer der Beschreibung der
ländlichen Region des Béarn – wo er ja herkommt. Diese Forschungen sind in „Junggesellenball“
genau beschrieben und bilden zusammen mit dem Algerienaufenthalt den zweiten, sehr persönlichen Teil des „Selbstversuchs“. Bourdieus Neugier und Forschungshunger wird schön
veranschaulicht. Wie er selber sagt, waren diese Versuche und Anstrengungen Möglichkeiten die
innere Leere zu verdrängen oder zu vergessen und sich von seiner Jugendphase im Internat
(Interpretation oder steht das tatsächlich so im Buch?) zu entkoppeln.
Kindheit, familiäre Herkunft und Jugendzeit im Internat in Pau Dieser letzte und zugleich persönlichste Teil des Selbstversuchs macht das letzte Drittel des Buchs
aus. Er trägt viel zur Aufschlüsselung von Bourdieus Werdegang bei. All das, was unter diesem
Abschnitt figuriert und zum Habitus Bourdieus wesentlich beiträgt, hat stark zu seiner Methodik und
Akribik in der Forschung beigetragen: „Vielleicht ist in diesem Fall gerade die Tatsache, aus jenen
Klassen zu kommen, deren Lebensverhältnisse man gerne bescheiden nennt, für bestimmte
Fähigkeiten verantwortlich, die in Handbüchern der Methodologie nicht gelehrt werden.“ Deswegen
erschienen viele bedeutende Ideen von Bourdieu das erste Mal in Fussnoten, Nachworten oder scheinbar weniger wichtigen Einschüben. „Diese Unaufdringlichkeit hängt sicher auch mit der
zweifachen, zwiespältigen (und widersprüchlichen) Art und Weise zusammen, in der ich mein
intellektuelles Unternehmen sehe: Manchmal stolz und sogar ein wenig herrisch [...] verweigert es
sich doch ebenso den affektierten Posen des grossen Stils oder schlicht jener Dreistigkeit, die so viele
Philosophen und selbst Soziologen dazu bringt, über ihre Verhältnisse zu denken.“ Bourdieu sieht die
intellektuelle Welt von einem starken Konformismus geprägt, der ihn ziemlich abstösst. Deshalb hat
er sich gegenüber den beherrschenden Richtungen immer kritisch gezeigt, sowohl was die Theorie als
auch was die Empirie anbelangt. So ist sein Verhältnis zur intellektuellen Welt durch eine zweifache
Distanz bestimmt: einerseits gegen das grosse Spiel der französischen Intellektuellen (Sartre),
andererseits gegen jeglichen Populismus und Elitismus. Diese Widersprüche kommen voll zur Geltung als Bourdieu die Stelle am Collège de France antritt. Nur mit Widerwillen nimmt er diese
Position an. Hinzu kommt der Tod seines Vaters für den er sich verantwortlich fühlt und der ihm
schlaflose Nächte bereitet.
In seiner Antrittsvorlesung am Collège thematisiert er die Vorlesung selbst und begeht damit einen
Akt der Häresie („Verletzung der Würde der Institution“).