zwang des materials - theater paderborn · 2016. 10. 6. · „wer den wind sät. was westliche...
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Zwang des Materials von Katharina Kreuzhage, nach dem Buch „ISIS Defectors: Inside
Stories of the Terrorist Caliphate“ von Anne Speckhard & Ahmet S.
Yayla
Materialien zur Inszenierung von Katharina Kreuzhage
Empfohlen ab 16 Jahren
Fach: Politik / Sozialwissenschaften
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„Wenn man überhaupt einen Blick in die Black Box IS
werfen kann, dann nur kurz. Das Bild ist unscharf und
verwackelt. Ob mit der Handycam heimlich aufgenommen,
oder zu Propagandazwecken, die „Ästhetik“ ist die gleiche:
viel schwarz, viel Blut; wenig Haut, viel Fleisch. Das ist nur
scheinbar ein Widerspruch. Lebende Körper werden
verhüllt, durch Bärte, durch Burkas, durch Uniformen. Tote,
aufgeplatzte Körper werden zur Schau gestellt. Mit dem
gewaltsamen Tod kehrt die Individualität zurück.
Da unten in Syrien passiert irgendwas, aber wir bekommen
kein Bild davon. Wir sehen aus der Ferne Raketen in Aleppo
einschlagen. Wir sehen Bilder, die der IS über die
Zerstörung von Palmyra ins Netz stellt. Aber alles bleibt
unscharf.
Und dabei wüssten wir so gerne, was da passiert, in dieser
Horror-Black Box. Oder im Bataclan. Oder in der Brüsseler
U-Bahn. Wir hören die Schreie, manchmal sehen wir
dunkle, verpixelte, verwackelte Bilder. Und dann sehen wir
einen abgesperrten Tatort, vielleicht einen einzelnen Schuh
im Rinnstein. Was ist da los? Was ist da wirklich los?
Das Problem ist, wir wissen nichts. Wir ahnen nur. Und
befürchten. Wir ertragen kaum, uns vorzustellen, wie wir
uns fühlen würden als Geisel, bei einem Anschlag in der U-
Bahn, bei einer Flugzeugentführung, bei unserer
Hinrichtung. Wir müssen schnell abblenden, wenn die
Gefühle und Bilder deutlicher, schärfer werden.“ Auszug aus Textmaterial für „Zwang des Materials“ von Katharina Kreuzhage
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Liebe Lehrer*innen,
Das Stück ZWANG DES MATERIALS gibt anhand verschiedener Texte und Geschichten von
Menschen, die Mitglieder des Islamischen Staates (IS) waren oder sind, Einblicke in eines der
grausamsten Terrornetzwerke unserer Zeit. Es sind Bruchstücke, Ausschnitte dieser für uns oft
kaum begreifbaren Welt, die zu der Frage führen, was wir im Westen trotz zahlreicher Berichte
und Propagandavideos eigentlich wirklich über den IS wissen können. Welche Auswirkungen
haben die Ideologie und die schrecklichen Taten des IS auf unser Leben, wie reagieren wir auf
Terroranschläge in Europa und warum übt dieser sogenannte Islamische Staat auf zahlreiche im
Westen sozialisierte Menschen so eine große Faszination aus? Das Stück wirft Schlaglichter in
dieses Chaos an Fragen, Themen und internationalen Verknüpfungen. Es öffnet mittels einer
spannenden Mischung aus Geschichten, Kommentaren und visuellen Zitaten ein breites
Assoziationsfeld, das Anstöße gibt für eine vielleicht ganz persönliche Auseinandersetzung mit der
Thematik.
In dieser Mappe haben wir Sekundärliteratur zum Stück sowie theaterpädagogische Übungen
zusammengestellt, die es Ihnen ermöglichen sollen, den Stoff ganz praktisch für Schüler*innen
erfahrbar zu machen. Neben der Materialmappe bieten wir auch stückbegleitende Workshops für
Ihre Klasse als weiteres Vermittlungsformat an – kontaktieren Sie uns hierfür unter
Ihr Theaterpädagogik-Team des Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH
Nächste Premiere im Großen Haus: DER SATANARCHÄOLÜGENIALKOHÖLLISCHE
WUNSCHPUNSCH von Michael Ende; Premiere am 10.11.2016, empfohlen ab 6 Jahren
Nächste Premiere im Theatertreff: DIE PRINZESSIN IN DER TÜTE von Robert Munsch,
Dramatisierung von Ingmar Otto; Premiere am 27.10.2016, empfohlen ab 4 Jahren
Nächste Empfehlung für Sie: AMPHITRYON von Heinrich von Kleist; Premiere am 27.02.2016 im
Großen Haus, empfohlen ab 15 Jahren. Zu der Inszenierung bieten wir ebenfalls eine
Materialmappe sowie stückbegleitende Workshops an (Kontakt unter theaterpaedagogik@theater-
paderborn.de).
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Besetzung
Claudia Sutter
Lars Fabian
Stephan Weigelin
Denis Wiencke
Regie Katharina Kreuzhage
Bühne Ariane Scherpf
Kostüme Matthias Strahm
Dramaturgie Anne Vogtmann
Regieassistenz Marie-Sophie Dudzic
Hermann Holstein
Technischer Leiter Klaus Herrmann
Bühnenmeister Paul Discher
Michael Bröckling
Beleuchtungsmeister Hermenegild Fietz
Ton & Video Martin Zwiehoff
Requisite Annette Seidel-Rohlf
Kristiane Szonn
Leitung Kostümabteilung Edith Menke
Maske Ramona Foerder
Jill Brand
Premiere: Freitag, 16.09.2016 / 19:30 Uhr im Großen Haus
Dauer: ca. 60 Minuten
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Inhalt
Auszug aus
„Geschichten aus dem Grand Hotel“:
Comic-Reportagen von Augsburger Design-Studierenden Seite 6-12
Auszug aus
„Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“
von Michael Lüders Seite 13-16
Auszug aus
„IS-Rekrutierung im Internet. Bloggerin aus Syrien wirbt im Netz für den Dschihad“
Seite 18-19
ZWANG DES MATERIALS – theateraktiv
Zusammenstellung verschiedener Übungen Seite 21-24
Sekundärmedienpool: Literatur / Filme
Impressum Seite 25
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Auszug aus: „Geschichten aus dem Grand Hotel“
An der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Augsburg existiert seit 2006 das Projekt
Comicwerkstatt. Im Rahmen unterschiedlicher Semesteraufgaben von Studierenden im
Studiengang Kommunikationsdesign wird an der Hochschule mit verschiedenen visuellen
Erzählformen, wie Kurzcomics, Graphic Novels, Cartoons, Karikaturen und illustrierten
Büchern gearbeitet. 2015 lautete das Thema, mit dem sich die Projektgruppe beschäftigte,
„Flucht und Asyl“. Aus Geschichten von Geflüchteten, die in der Augsburger
Flüchtlingsunterkunft „Grandhotel Cosmopolis“ leben, entstanden zahlreiche Comic-
Reportagen, die unter dem Titel „Geschichten aus dem Grand Hotel“ veröffentlicht
wurden.
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Mike Loos (Hg.): „Geschichten aus dem Grand Hotel. Comic-Reportagen von Augsburger Design-
Studierenden.“ Augsburg 2016.
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Auszug aus „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“
von Michael Lüders
Der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders legt in seinem Buch „Wer den Wind
sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“ die Hintergründe der Konflikte im Nahen
Osten offen und scheut sich dabei nicht, auch den westlichen Imperialismus als treibende
Kraft hinter der Gewalt zu entlarven.
Im Herzen der Finsternis: Was den «Islamischen Staat» so erfolgreich macht
„(…) Entstanden ist der «Islamische Staat» im Irak. Zum regionalen Machtfaktor wuchs er
in Syrien heran, wo er von außen ungestört agieren und sich zur größten Rebellengruppe
entwickeln konnte. Schließlich trat der IS von Syrien aus seine Großoffensive im Irak an.
Anfang Juni 2014 rissen dessen Kämpfer die Grenzanlagen nieder und erklärten «das
Ende der Sykes- Picot-Grenzen», des von den Kolonialmächten Großbritannien und
Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Lineal gezogenen Grenzverlaufs zwischen
Syrien und dem Irak. Innerhalb von wenigen Wochen nahmen sie fast den gesamten
westlichen Irak ein, eroberten die zweitgrößte irakische Stadt Mossul und stießen beinahe
bis an die Stadtgrenzen Bagdads vor. (…)
Nieder mit den Römern
Dennoch wäre der IS wahrscheinlich eine innerirakische Erscheinung geblieben, hätte
nicht der Krieg in Syrien neue Fronten eröffnet. Immer mehr Schiiten aus dem Irak und die
schiitische Hisbollah kämpften auf Seiten Assads. Damit heizten sie die Ressentiments
vieler Sunniten an, denen zufolge es im Irak wie auch in Syrien um die Verteidigung des
sunnitischen Islam wider seine schiitischen Verderber gehe. 2012/13 begann der IS, auch
im Nachbarland aktiv zu werden. Entsprechend wurde der Name der IS-
Vorläuferorganisation von «Islamischer Staat im Irak» in «Islamischer Staat im Irak und in
Scham» geändert, wobei Scham in der Regel mit Großsyrien oder Levante übersetzt wird.
Scham, umgangssprachlich die Bezeichnung für Syrien oder auch Damaskus, hat für
gläubige Muslime jedoch eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung. Historisch
umfasst Scham das heutige Syrien, Libanon, Israel/Palästina und Jordanien, Jerusalem ist
mit der Al-Aqsa-Moschee, die an die Himmelfahrt des Propheten von dieser Stelle erinnert,
die drittheiligste Stadt des Islam nach Mekka und Medina. Damaskus war die Hauptstadt
des Omajjaden-Kalifats (661-750), des ersten sunnitischen Großreiches. Dort liegen die
Gräber von Saladin, der 1187 die Kreuzritter aus Jerusalem vertrieb, und von Ahmad Ibn
Taimiyya (1263-1328), jenem ultrakonservativen Rechtsgelehrten, der heute noch von
Salafisten hochverehrt wird und dem Begründer des Wahhabismus als Quelle der
Inspiration diente. In Scham befinden sich aber auch zahlreiche Gräber, die den Schiiten
heilig sind, darunter der Schrein der Prophetenenkelin Zeinab unweit von Damaskus.
Last not least glauben Sunniten wie auch Schiiten, zumindest die überaus
gottesfürchtigen, dass es in Scham zum Armageddon kommt, zum heilsgeschichtlichen
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Endkampf. Angeblich ist vom Propheten Mohammed der Ausspruch (Hadith) überliefert:
«Die letzte Stunde der Geschichte wird erst kommen, wenn die Römer entweder bei Al-
A'maq oder bei Dabiq aufmarschieren. [Beide Orte liegen nordöstlich von Aleppo, direkt
an der türkischen Grenze. Mit ‹Römer› ist Byzanz gemeint, ML] Dann wird eine Armee aus
Medina, eine Armee des besten Volkes auf Erden, aufbrechen und sich ihnen stellen.»
Laut Überlieferung wird diese muslimische Armee einer gewaltigen Übermacht
entgegentreten, die aus 42 Heeren besteht. Dennoch werden die Muslime den Feind
vernichtend schlagen. Die Schiiten, die nur zehn Prozent der Muslime stellen, glauben,
dass nach diesem Endkampf der Mahdi, der Erlöser, erscheinen werde, um die Gläubigen
ins Paradies zu geleiten. Radikale Sunniten deuten diesen Hadith als Versprechen eines
endgültigen Siegs über die Ungläubigen, einschließlich der Schiiten. Die unterschiedliche
Auslegung ist ein Grund dafür, warum den Schiiten der Dschihad gegen Nichtmuslime
weitgehend fremd geblieben ist. Einen schiitischen Osama bin Laden kann es eigentlich
nicht geben. Die im Internet in mehreren Sprachen, darunter auch auf Deutsch, verbreitete
und bemerkenswert professionell gestaltete Propaganda-Hochglanzpostille des
«Islamischen Staates» heißt Dabiq und spielt damit auf den oben genannten Hadith an:
Dessen Kämpfer sehen sich als die verheißene «Armee aus Medina».
Man sollte die Wirkungsmacht solcher Heilsversprechen unter emotional aufgeladenen
Gläubigen, besonders im Umfeld von Krieg und Gewalt, nicht unterschätzen. Die
Namensentwicklung, vom «Islamischen Staat im Irak» über den «Islamischen Staat im Irak
und in Großsyrien», Scham, und schließlich zum «Islamischen Staat» markiert den
rasanten, innerhalb von wenigen Jahren vollzogenen Wandel von einer innerirakischen hin
zu einer die gesamte sunnitisch-islamische Welt ansprechenden Dschihad-Gruppierung.
Hierzulande wird sie meist als Terrorgruppe apostrophiert und damit gewaltig unterschätzt.
Sie ist weitaus mehr als das: ein islamistisches Staatsprojekt, das Grenzen einreißt und
längst Al-Qaida als «Leuchtturm» radikalisierter Sunniten abgelöst hat.
Ihr Anführer ist, seit 2010, der 1971 geborene Ibrahim al-Badri aus Samarra, ein
theologisch nie in Erscheinung getretener Islamgelehrter, der in Samarra und Bagdad
Islamseminare besucht haben soll, angeblich das Diplom einer islamischen Hochschule
aus Samarra besitzt und 2004 einige Monate in US-Gewahrsam verbrachte. Viel ist über
den Mann, der sich den Kampfnamen Abu Bakr «al-Baghdadi» zugelegt hat, «der aus
Bagdad», nicht bekannt. Selbstverständlich ist auch dieser Name symbolträchtig. Abu
Bakr war einer der ersten Anhänger des Propheten Mohammed und dessen
Schwiegervater. Nach Mohammeds Tod 632 herrschte er bis an sein Lebensende 634 als
dessen «Nachfolger», arabisch «Kalif», über die Gläubigen. Bagdad wiederum war Sitz
des Kalifats der Abbasiden (750-1258), das auf die Omajjaden in Damaskus folgte und
ein Weltreich begründete, das von Spanien bis an die Grenzen Indiens reichte.
Wenn man die Symbolik radikalisierter Sunniten entschlüsselt, dann heißt dies: Der
«Islamische Staat» tritt in der Tradition der Abbasiden die Nachfolge der Omajjaden an,
womit Saudi-Arabien gemeint ist. Der IS ist nunmehr der Hüter des wahren Glaubens, so
wie einst Abu Bakr das Erbe Mohammeds bewahrte. Und der IS wendet sich an die
gesamte islamische Welt, wird ihr «geistiges» und «spirituelles» Zentrum - so wie einst
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Bagdad. Die Kalifatsidee war auch deswegen ein kluger Schachzug, weil sie
radikalisierten Sunniten sehr viel mehr Identifikationsfläche bietet als Al-Qaida. Die steht
für 9/11 und Osama bin Laden, weist aber nicht in die Zukunft. Al-Qaida war gestern, der
IS markiert das Heute und Morgen.
Vormarsch in Syrien
Nachdem der «Islamische Staat» in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen hatte, eroberte
er sukzessiv die östlichen Landesteile, die zuvor von anderen islamistischen
Gruppierungen kontrolliert worden waren. Am 9. April 2013 verkündete Abu Bakr al-
Baghdadi den Zusammenschluss des IS mit der Nusra-Front, des syrischen Zweiges von
Al-Qaida, was allerdings schon am nächsten Tag vom Nusra-Chef, Abu Mohammed al-
Dschulani, widerrufen wurde. Aiman al-Sawahiri, der Nachfolger Osama bin Ladens,
forderte den IS-Führer am 23. Mai 2013 auf, sich mit seinen Leuten in den Irak
zurückzuziehen. Daraufhin kam es zum Bruch zwischen beiden Organisationen, begleitet
von blutigen Gefechten. Allein in der ersten Jahreshälfte 2014 soll es dabei mindestens
6000 Tote gegeben haben. Der IS erwies sich als besser ausgerüstet und organisiert und
schlug die Nusra-Front wie auch andere Widersacher an fast allen Fronten. Viele radikale
Islamisten liefen daraufhin mit ihren Waffen zu den Siegern über, darunter auch «gute»
Dschihadisten. Besonders ausländische und jüngere Glaubenskämpfer fühlten sich von
der Kompromisslosigkeit des IS angesprochen. Mit größter Brutalität, darunter
Autobomben, Selbstmordattentaten und der Ermordung von Anführern, ging er gegen
solche islamistischen Gruppen vor, die Abu Bakr al-Baghdadi zuvor des «Glaubensabfalls»
bezichtigt hatte.
Der Syrienfeldzug des «Islamischen Staates» war auch wirtschaftlich ein Erfolg. Nach der
Eroberung der syrischen Ölquellen um Deir as-Sor verkaufte er das erbeutete Erdöl an
das Assad-Regime, Abnehmer in der Türkei und, seit dem Sommer 2014, auch in den
Irak. Je weiter die Expansion in Syrien voranschritt, umso mehr wuchs der unverhohlene
Anspruch Abu Bakr al-Baghdadis, zum einzigen und obersten Befehlshaber aller
Dschihadisten in Syrien und im Irak zu werden - und darüber hinaus. Vor diesem
Hintergrund reifte im Frühjahr 2014 die Kalifatsidee. Sie umzusetzen, dafür bedurfte es
eines grenzüberschreitenden Territoriums. Niemand wird Kalif, Herrscher der Gläubigen,
in nur einem Staat. Anfang Juni 2014 begann der Überraschungsangriff im Irak, im selben
Monat folgte, wie erwähnt, die Ausrufung des Kalifats in Mossul.
Abu Bakr al-Baghdadi, auch Kalif Ibrahim genannt, ist in jeder Hinsicht skrupellos, allein
auf Machtkonsolidierung fokussiert - und doch ein ebenso geschickter Stratege wie auch
Menschenfänger. Er weiß genau, wie er Emotionen schürt und mit Hilfe religiöser Symbolik
Anhänger mobilisiert. Das Kalifat wurde am 29. Juni 2014 ausgerufen, dem ersten Tag
des Fastenmonats Ramadan: Ein perfektes Timing. Am ersten Freitag des Fastenmonats,
am 4. Juli 2014, hielt er seine erste dokumentierte Freitagspredigt, in der Nuri-Moschee
von Mossul. Der Islamwissenschaftler Stephan Rosiny hat sie treffend analysiert: «Wegen
seiner im ‹Dschihad› erlangten Kriegswunde erklomm ‹Kalif Ibrahim› nur humpelnden
Schrittes die Kanzel. Dort reinigte er sich zunächst mit einem Zahnputzhölzchen den Mund,
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eine fromme Geste bei Salafisten, bevor er Koranverse, also ‹Worte Gottes›, in den Mund
nahm, mit denen er seine in klassischem Hocharabisch gehaltene Predigt bestärkte. Er
war mit schwarzem Turban und Umhang gekleidet, wie sie auch Mohammed bei der
Rückeroberung Mekkas im Jahr 630 getragen haben soll.»
Deswegen auch die schwarze Fahne des «Islamischen Staates» und die häufig schwarze
Kleidung seiner Kämpfer, die ebenfalls auf diese Rückeroberung anspielen. Mehr noch,
schwarze Uniformen und Flaggen gehörten zur höfischen Etikette der Abbasiden im
achten Jahrhundert und erinnern somit an das goldene Zeitalter des Islam. Rosiny weiter:
«Selbst seine wertvolle Armbanduhr, die in Internetforen großen Spott hervorgerufen hatte,
könnte als islamrechtlich legitime ‹Kriegsbeute› auf die materiellen Vorzüge des Dschihad
verweisen. Insgesamt präsentierte er sich aber demütig als ein ‹Gleicher unter Gleichen›,
der die schwere Bürde des Kalifats auf sich genommen habe. ‹Gehorcht mir, so wie ich
Gott und seinem Gesandten gehorche. Wenn ich Gott und seinem Gesandten nicht
gehorche, so müsst auch ihr mir nicht gehorchen.› Mit dieser rhetorischen Floskel, die er
der Amtseinführung Abu Bakrs als Kalif im Jahr 632 entnahm, grenzte er sich von den
herrschsüchtigen Despoten der Region ab. Zugleich folgt er dem salafistischen Habitus,
der jegliche Verehrung eines Menschen als Heiligen verbietet.» (…)
Verbrannte Erde
Wie kann der Bedrohung durch den «Islamischen Staat» begegnet werden? Diese Frage
ist nicht einfach zu beantworten, Patentlösungen gibt es nicht. Der IS ist die Quittung für
den ebenso völkerrechtswidrigen wie sinnlosen, US-geführten Einmarsch im Irak 2003
und die nachfolgende Zerstörung irakischer Zentralstaatlichkeit sowie den Krieg in Syrien,
der gleichermaßen Bürger- und Stellvertreterkrieg ausländischer Interessen ist. Der
gescheiterte Versuch, Baschar-al-Assad zu stürzen, vor allem mit Hilfe «guter»
Dschihadisten, hat erst die Grundlage für den Siegeszug des IS in Syrien geschaffen.
Umfassende Militäreinsätze können den «Islamischen Staat» möglicherweise schwächen,
aber nicht besiegen. Sein Erfolg erklärt sich durch das politische Vakuum im Irak und in
Syrien, das er selbst jedoch nicht erschaffen hat. Zudem weist alles darauf hin, dass
Washington und die Europäer ihre fragwürdige Politik fortsetzen werden. Das bedeutet:
Sie halten, zumindest offiziell, an ihrem Ziel eines Regimewechsels in Damaskus fest und
hoffen, dass die Regierung in Bagdad den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten
irgendwie entschärfen möge, obwohl die von ihr betriebene Politik gegenüber den
Sunniten selbst Teil des Problems ist. Darüber hinaus gelten «Luftschläge» als Gebot der
Stunde, Luftangriffe auf gut Deutsch.
Westliche Politik hat in Syrien und im Irak verbrannte Erde hinterlassen. Der Schaden ist
so gewaltig, dass er wahrscheinlich irreparabel ist und sich Lösungen heute noch nicht
einmal ansatzweise abzeichnen. Möglicherweise muss erst die ganze Region in Flammen
aufgehen, bis die Verantwortlichen in Washington und anderswo begreifen, dass es keine
Tabus mehr geben darf. (…)
Quelle: Michael Lüders: „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet.“ München 2015.
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„Die allermeisten Menschen sind nicht an Recht und
Sittlichkeit interessiert, sondern an der Abwehr
tödlicher Gefahren. In ihren Augen taugt ein Gesetzeskodex nichts, wenn er nicht ihr Leben
schützt. Sicherheit geht ihnen vor Recht. Vor die Wahl
gestellt zwischen Überleben und Unfreiheit, verzichtet die Mehrzahl lieber auf ihre verbrieften Freiheiten.
Daher neigen Demokratien im Ernstfall zu
Überreaktionen. Die Bevölkerung ist erbost, dass die Angreifer die Freiheit für ihr Terrorwerk
missbrauchen. Ohne weiteres ist sie bereit,
Verdächtigen die Freiheit zu entziehen, ob sie schuldig sind oder nicht. Sie fordert strengere
Gesetze, die auch umgehend erlassen werden. Neue
Behörden werden gegründet, die Sicherheitsorgane aufgerüstet. Der Elite erscheinen die politischen
Kosten einer Unterlassung weit höher als die Kosten
einer Überreaktion. Wer auch nur eine Maßnahme unterlässt, trägt im Ernstfall zwangsläufig eine
Mitschuld. In Fragen der nationalen Sicherheit
bedeutet die kleinste Unterlassung den sicheren politischen Tod. So fördert die Demokratie den
inneren Imperialismus des Maßnahmenstaates.“
Auszug aus Wolfgang Sofsky: „Das Prinzip Sicherheit.“ Frankfurt am Main 2005.
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Auszug aus „IS-Rekrutierung im Internet. Bloggerin aus Syrien wirbt im Netz für den Dschihad“
Die Terrormilitz „Islamischer Staat“ wirbt im Internet systematisch junge Frauen an.
Mittlerweile ist ein regelrechtes Schneeballsystem entstanden. Aus Angeworbenen
werden Anwerberinnen: Dschihadistinnen aktivieren von Syrien aus alte Freundschaften
oder suchen gezielt auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken nach Profilen junger
Mädchen. Manche der Anwerberinnen haben sogar eigene Blogs, wie das folgende
Beispiel zeigt:
„Sie nennt sich „Bird of Jannah“, Paradiesvogel. Ihr Symbol im Netz sind zwei weiße
Tauben, die die schwarze Flagge des Islamischen Staats (IS) in ihren Schnäbeln halten.
In ihrem alten Leben in Malaysia war die 26-Jährige Ärztin. Jetzt ist sie mit einem IS-
Kämpfer verheiratet, den sie nie zuvor gesehen hatte, und lebt in der Nähe der syrischen
IS-Hochburg Rakka.
In ihrem Blog „Diary of a Traveler“, Tagebuch einer Reisenden, der ein Mix aus
Lebenshilfe, sehr persönlichen Berichten und vor allem Rekrutierungsinstrument ist,
ermuntert sie junge Frauen aus dem Westen, wie sie die Hidschra zu machen, das ist der
arabische Begriff für Auswandern. Das Bild, das die junge Frau von ihrem neuen Leben
unter der Herrschaft der Islamisten zeichnet, ist ein verführerisches. Sie verschweigt nicht,
dass es Probleme gibt. Aber diese seien nichts im Vergleich zu dem, was sie in der
Gemeinschaft gewonnen habe.
Begeistert beschreibt sie diese schöne neue Welt, in der alle nach den Gesetzen Allahs
leben. Gräueltaten? Westliche Propaganda. Frauen werden zur Heirat mit Dschihadisten
gezwungen? Alles gelogen. Wer nicht heiraten wolle, könne in einem Hotel für Frauen
wohnen. Ein Leser will von ihr wissen, wie die Rolle der Frauen im Kalifat ist: «Das hängt
von deinem Talent oder deinem Beruf ab», antwortet Bird of Jannah oder Sham, wie sie
sich auch nennt. (…)
Das Kalifat wie es die junge Frau beschreibt, ist ein Staat, in dem Muslime keine Miete,
Steuern oder Strom- und Wasserrechnungen zahlen müssen. In dem die Dschihadisten
einmal im Monat kostenlos Lebensmittel aus dem Supermarkt bekommen, Arztbesuche
umsonst sind und es außer Kontaktlinsen fast alles gibt. Ein Staat, der sich nicht nur
unglaublich großzügig gegenüber seinen Einwohnern zeigt, sondern auch noch ein Muster
an Toleranz ist, wie man an den vielen gemischten Paaren sehen könne. Eine
Gemeinschaft ohne Rassismus, schwärmt Sham. Eine kleine heile multikulturelle Welt.
Kein Wort darüber, dass der IS Frauen, denen Ehebruch vorgeworfen wird, steinigen
lässt. Stattdessen heißt es verständnisvoll an einer Stelle, dass niemand perfekt sei, auch
nicht die Mudschaheddin. Kein Wort über die Gesinnungswächter, die mit
Sturmgewehren in den Straßen der eroberten Städte patrouillieren und Angst und
Schrecken verbreiten. (…)
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Diese Bloggerin, die für alles eine Erklärung hat und so warmherzig und einfühlsam sein
kann, dürfte der Alptraum vieler Eltern sein. Allein aus Deutschland sind bereits 40
Mädchen nach Syrien gegangen, etliche britische, französische oder österreichische
Teenager haben ebenfalls mit ihrem westlichen Leben gebrochen und sich dem IS
angeschlossen.
Manche der Mädchen kannten ihre Schicksalsgefährtinnen nur über Facebook oder
andere soziale Netzwerke, bevor sie sich gemeinsam auf den Weg nach Syrien gemacht
haben. „Diese Beziehungen in den Netzwerken können so stark sein, dass die Mädchen
das Gefühl haben, ihre Freunde in der virtuellen Welt sind ihnen näher als die in der echten
Welt“, erläutert Géraldine Casutt, eine Schweizer Wissenschaftlerin, die über westliche
Frauen im Dschihad forscht und an einer Dissertation zum Thema arbeitet.
Für den IS ist eine Bloggerin wie „Paradiesvogel“ deshalb wertvoller als ein Dutzend
Kämpfer. Die Miliz mit den Großmachtzielen braucht viele neue Anhänger, um weiter
wachsen zu können. «Je mehr Familien von Dschihadisten in den eroberten Gebieten
gegründet werden, desto dauerhafter ist die Macht des IS» erklärt Casutt. Deshalb werben
sie über die sozialen Netzwerke so massiv um die westlichen Mädchen. (…)
Doch was bringt einen jungen Teenager aus Glasgow, Wien oder Dinslaken dazu, nach
Syrien zu gehen? Die Erklärung, dass die Mädchen in ihrem Schlafzimmer vor dem
Computer einer Dschihad-Romantik und Träumereien über den tugendhaften
Märchenprinzen erliegen, greift nach Ansicht von Experten zu kurz. Géraldine Casutt sagt:
«Die dschihadistische Ideologie bietet auch einen Rahmen, um eine komplizierte Welt zu
erklären. Sie erlaubt, viele zersplitterte Identitäten unter einer – Muslimin sein – zu
vereinigen.»
So kann die Entscheidung zu gehen, auch die Antwort auf die Suche nach einem
alternativen Gesellschaftsmodell sein. Manche Frauen wollen schlicht das Gefühl haben,
nützlich zu sein und anderen helfen, andere treibt die Abenteuerlust und die Rebellion
gegen die Eltern. Es ist ein Mix aus vielen Motiven. Die Propaganda über die große
Wertschätzung der Frauen im IS als treue Gefährtin ihres kämpfenden Mannes und Mutter
künftiger Dschihadisten tut dann ein Übriges.
Dass sie dafür mit ihrem alten Leben, ihrer Familie brechen müssen, hält die jungen Frauen
offenbar nicht vor diesem radikalen Schritt ab. «Aus ihrer Sicht ist der Kontrast zu ihrem
bisherigen Leben gerade attraktiv. Sie haben das Gefühl, dass der Rest der Gesellschaft
verdorben ist und verachten ihre Freundinnen, die nur ihre Nägel, Haare oder Partys im
Kopf haben.
Sie fühlen sich auserwählt und anders», erklärt Jennifer Eggert. (…) Den verzweifelten
Eltern bleibt nicht viel mehr, als zu hoffen, dass es ihren Töchtern bei der Terrormiliz
tatsächlich gut geht. Denn als Frau haben sie ohne männliche Begleitung keine Chance,
durch das Kriegsgebiet zurückzukehren in ihre alte Heimat. (…)“
Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-
fuer-den-dschihad-1233346
http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346
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„Früher versuchten Terroristen zu entkommen. Der
moderne Selbstmordattentäter bricht mit diesem
Prinzip der Selbsterhaltung. Sein Auftritt ist der kürzeste in der Geschichte der Gewalt. Während die
Tapferkeit des Soldaten so weit reicht, wie seine
Hoffnung aufs Überleben, geht der Selbstmordattentäter von vornherein bis zum Letzten.
Er ist stark, weil er keine Grenzen kennt.“
Auszug aus Wolfgang Sofsky: „Elemente des Terrors.“ In: „Wendepunkt 11. September 2001. Terror, Islam und Demokratie.“ von Hilmar Hoffmann (Hg.) u. Wilfried F. Schoeller (Hg.), Köln 2002.
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ZWANG DES MATERIALS – theateraktiv, für Schulklassen / Gruppen ab 16 Jahren
In unserem theateraktiv-Bereich der Materialmappe haben wir Aufgaben und Übungen entworfen,
um den Theatertext mit den Mitteln der Theaterpädagogik erlebbar zu machen. Diese Übungen
richten sich an Gruppen oder ganze Klassen. Die Anmerkungen unter den Überschriften erläutern
wichtige Rund-Um-Faktoren und Charakteristika, die für die jeweilige Übung wichtig sind.
Als Einstieg für theaterpädagogische Spiele und Übungen empfehlen wir Ihnen, mit Ihren
Schüler*innen ein „Warm-Up“ zu machen. Das Internet hält eine Vielzahl kleiner, auflockernder
Wahrnehmungsübungen zu Körper und Stimme bereit. Wenn Sie dennoch Fragen dazu haben,
sprechen Sie uns einfach an.
Zugänge zum Stücktext
für eine ganze Klasse
Dauer: ca. 30 Minuten
Die Klasse liest gemeinsam den Text „Ein Märchen“ und recherchiert anschließend in Gruppen die
Deutungsmöglichkeiten des Märchens in Bezug auf historische Ereignisse im Nahen Osten. Die
Gruppen werden folgendermaßen thematisch unterteilt:
Die „Länder“-Gruppe beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, wo und wann die
Geschichte spielen könnte und in welcher Situation sich das Land oder die Region befand
bzw. befindet.
Die „Schäfer“-Gruppe macht sich Gedanken über eine mögliche Zuordnung der fiktiven
Schäfer zum realen Pendant.
Die „Touristen“-Gruppe analysiert den Einfluss des Touristen auf den Verlauf der
Geschichte und bemüht sich um eine oder mehrere Deutungsmöglichkeiten.
Die „Bauern“-Gruppe sucht nach dem historischen Kontext und der Position der Bauern
in der Geschichte.
Die „Priester“-Gruppe beschäftigt sich mit der Frage, für wen der Priester symbolisch steht
und wie der Werdegang von diesem „unwichtigen Mann“ zum Priester zu erklären ist.
Nach der Recherche werden die Ergebnisse diskutiert und zu einem Gesamtbild zusammengefügt.
Das Märchen wird abschließend noch einmal gelesen.
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Ein Märchen
Es war einmal ein armes Land. Der Boden war trocken, die Ernte mäßig, die Herden kümmerlich
und das Leben hart. Eines Tages entdeckte ein Schäfer, dass das Wasser seines Brunnens durch
eine schwarze, zähflüssige Masse verunreinigt war. Der Brunnen stank bestialisch. Kein Schaf
wollte trinken. Frustriert zündete der Schäfer eine Zigarette an, warf das noch brennende
Streichholz in den verunreinigten Schacht – und erschrak, als der Brunnen in Flammen aufging.
Ein Tourist beobachtete den Vorgang, kaufte dem armen Schäfer für ein paar Münzen die
Nutzungsrechte an dieser seltsamen Quelle ab, füllte die schwarze Masse in Behälter und nahm
sie mit nach Hause, wo der neue Brennstoff reißenden Absatz fand. Der Tourist wurde schnell ein
reicher Mann.
Der Schäfer jedoch blieb arm. Die Nutzungsrechte hatte er verkauft, alle Gewinne flossen an ihm
vorbei direkt ins Ausland. Nicht lange, und der Schäfer wurde zornig. Er sammelte andere Schäfer
um sich, um den Touristen vom Brunnen zu vertreiben. Der Tourist wehrte sich nach Kräften: Er
steckte einem verarmten Bauern Geld zu, damit der sich und die Seinen gut bewaffnet. Im Auftrag
des Touristen schlug dann der Bauer die Schäfer in die Flucht und stieg zum offiziellen Herrscher
der Region auf. Der Tourist versorgte den Bauern und seine kleine Armee regelmäßig mit neuen
Waffen, förderte weiter große Mengen des neuen Brennstoffs, wurde reich und reicher – und
dabei auch etwas schwerfällig. So entging ihm, dass die Schäfer sich inzwischen um einen ihrer
Priester gescharrt hatten und auf Rache sannen. Der Priester war lange Zeit ein ganz unwichtiger
Mann gewesen. Die Schäfer kümmerten sich um ihre Schafe, Religion interessierte sie nicht. Jetzt
aber wurde die Religion zum Sammelbecken der Unzufriedenen. Gestärkt durch ihren neuen
Glauben und in der Gewissheit, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie im Kampf gegen die
Ungläubigen fallen, zog ein Heer von Schäfern gegen die Bauern und den Touristen ins Feld – und
gewann.
Doch der Friede kehrte trotzdem nicht ein in der Region. Kaum dass der Tourist das Land verlassen
hatte, erschlugen die Schäfer nachts alle Bauern, derer sie habhaft werden konnten - und wenig
später auch die Schäfer, die im Glauben nicht so fest schienen, wie es jetzt Pflicht war. Und der
Tourist, geprellt um seine satten Gewinne, schickte Spione ins Land, bewaffnete die Fischer der
nahen Küstenregion und unternahm alles, um erneut an Einfluss zu gewinnen. So wogte der
Konflikt hin und her, riss Nachbarländer in den Ruin, spülte neue Machthaber nach oben und wurde
immer unübersichtlicher.
Die Menschen, zermürbt durch jahrelange, nicht enden wollende Schlachten, verließen das Land
in Scharen, zu Fuß, mit Booten, in Lastwagen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fliehen
sie noch heute.
Quelle: Auszug aus: Katharina Kreuzhage: „Zwang des Materials“.
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Übung zur Inszenierung
für eine Klasse
Dauer: ca. 45 Minuten
Material: eine aktuelle Tageszeitung
ZWANG DES MATERIALS beschäftigt sich mit aktuellen politischen Ereignissen und besitzt
gegenwärtige Relevanz. Des Weiteren wird in dem Stück keine fortlaufende Handlung erzählt.
Stattdessen wurde mit Szenen und Texten gearbeitet, die unterschiedliche Aspekte des komplexen
Themas beleuchten. Die folgende Übung dient der Nachempfindung einer solchen Arbeit.
Nachdem die Schüler*innen gleichmäßig auf 6 Gruppen verteilt worden sind, bekommt jede
Gruppe eine willkürlich ausgewählte Seite aus der Rubrik ‚Politik‘ der aktuellen Tageszeitung
zugeteilt. Von dieser Seite sollen sich die Schüler*innen fünf Sätze aussuchen, die als Grundlage
für eine kleine Szene dienen. Aus der Weiterverarbeitung der Sätze und der spontanen
Improvisation soll nun eine kurze Szene von maximal vier Minuten entstehen. Dafür haben die
jeweiligen Gruppen eine Viertelstunde Zeit.
Wenn alle Gruppen ihre Szenen erarbeitet haben, spielen sie diese in der Reihenfolge von 1 bis 6
nacheinander vor und erhalten so eine maximal 24 Minuten lange Szenencollage.
Danach kann über die Themen der Szenencollage diskutiert werden.
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Diskussion zum Thema des Stücks
Warm-Up vor der Diskussion
Die Klasse wird in zwei gleich große Gruppen geteilt und steht sich mit gewissem Abstand
gegenüber. Dann beschimpfen sich die Gruppen, indem sie sich verbal Obst- und Gemüsesorten
an den Kopf schmeißen. Das geht so lange, bis einer Gruppe nichts mehr einfällt, die dann verloren
hat. Wichtig bei dem Spiel ist der Spaßfaktor. Die Übung kann mehrfach wiederholt werden. Es
geht darum, durch einen spielerischen Umgang mit Aggression und Wettkampf Hemmungen und
Ängste zu lösen, die oft auftreten, wenn es um Gewinnen oder Verlieren geht. Bei der folgenden
Übung ist es deswegen auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht darum geht, wer Recht
hat oder gewinnt, sondern um den Spaß, sich auszuprobieren und auf diese Weise neue
Perspektiven zu entdecken.
Diskussionsspiel
für eine Schulklasse
Dauer: ca. 30 min
benötigt wird ein großer Raum
Zuerst wird die Klasse in drei Gruppen aufgeteilt, die je eine Aufgabe bekommen.
Die erste Gruppe ist Marketing Gruppe des IS und befasst sich mit den Argumenten, mit denen
der IS um neue Mitglieder werben könnte.
Die zweite Gruppe ist eine Marketingagentur und entwickelt eine Marketingstrategie, die sich
eindeutig gegen einen Beitritt zum IS ausspricht und diesen mit Gegenargumenten verhindern will.
Die dritte Gruppe ist neutral und überlegt sich Fragen, die nicht zwingend mit dem Thema zu tun
haben müssen, allerdings nur mit ‚Ja‘ beantwortet werden können. Sie sollen die Diskussion
auflockern und als ‚icebreaker‘ fungieren.
Anschließend bekommt jede Gruppe ca. 10 Minuten Zeit, um ihre Aufgaben zu bearbeiten. Danach
setzen sich die ersten beiden Gruppen in zwei langen Reihen mit einigem Abstand gegenüber, die
dritte Gruppe nimmt an den Seiten Platz. Sie fordert die beiden Gruppen nun auf, laut ihr
Hauptargument vorzutragen, worauf die andere Gruppe mit ihren Argumenten reagieren kann. Ziel
der beiden konkurrierenden Gruppen ist es, die andere von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Die
dritte Gruppe stellt zwischenzeitlich ihre Fragen, die immer mit ‚Ja, aber…‘ beantwortet werden
müssen. Die Gruppe, die am schnellsten antwortet, darf das nächste Argument einbringen.
(Beispiel: Frage: Seid ihr 100 Jahre alt? Antwort: Ja, aber nicht mehr lange.)
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Sekundärmedienpool: Literatur / Filme
Literatur:
Mike Loos (Hg.): Geschichten aus dem Grand Hotel. Comic-Reportagen von Augsburger Design-
Studierenden. Augsburg, 2016.
Michael Lüders: „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet.“ München, 2015.
Jürgen Todenhöfer: „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘.“ München, 2015.
Filme:
https://www.youtube.com/watch?v=EzoHf_LhzuM Irak-Konflikt und IS in 3 Minuten
erklärt: Wie ist der IS bzw. damals noch ISIS im Irak entstanden? 2014
https://www.youtube.com/watch?v=e_n4twVNov0 Syrien-Konflikt einfach erklärt: Wie
kam es zum syrischen Bürgerkrieg? Was sind die ausländischen Interessen? 2012
http://www.zeit.de/2016/02/sunniten-schiiten-krieg-nachfolge-propheten-mohammed-
rueckblick In diesem Artikel gibt es ein Video, das den Konflikt zwischen Sunniten und
Schiiten kurz erklärt. Die beiden wichtigsten Glaubensrichtungen im Islam gehen zurück
auf einen Streit um die Führung der Religion.
Impressum
Herausgeber Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH Intendanz und Geschäftsführung Katharina Kreuzhage Vorsitzender des Aufsichtsrates Michael Dreier
Redaktion Dramaturgie & Theaterpädagogik Gestaltung Theaterpädagogik Fotos Theater Paderborn / Christoph Meinschäfer
Förderer der Theater Paderborn Westfälische Kammerspiele GmbH Stadt Paderborn / Kreis Paderborn / Ministerium für Familie, Kinder, Jugend und Sport des Landes NRW / Theaterfreunde e.V.
Quellen Mike Loos (Hg.): „Geschichten aus dem Grand Hotel. Comic-Reportagen von Augsburger Design-Studierenden“. Augsburg 2016.
Wolfgang Sofsky: „Elemente des Terrors.“ In: „Wendepunkt 11. September 2001. Terror, Islam und Demokratie.“ von Hilmar Hoffmann (Hg.) u. Wilfried F. Schoeller (Hg.), Köln 2002. Wolfgang Sofsky: „Traktat über die Gewalt“, Frankfurt am Main 1996. http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346
https://www.youtube.com/watch?v=EzoHf_LhzuMhttps://www.youtube.com/watch?v=e_n4twVNov0http://www.zeit.de/2016/02/sunniten-schiiten-krieg-nachfolge-propheten-mohammed-rueckblickhttp://www.zeit.de/2016/02/sunniten-schiiten-krieg-nachfolge-propheten-mohammed-rueckblickhttp://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346