zwischen distanz und empathie: die mitleidsfalle · 2016. 2. 25. · marienhaus klinikum im kreis...
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MARIENHAUS KLINIKUM IM KREIS AHRWEILER
St. Josef Krankenhaus ▪ Adenau
Krankenhaus Maria Hilf ▪ Bad Neuenahr-Ahrweiler
Brohltal-Klinik St. Josef ▪ Burgbrohl
Zwischen Distanz und Empathie:
Die Mitleidsfalle Silke Doppelfeld
Gesundheits- und Krankenpflegerin auf IMC/ Stroke-Unit
Diplom-Berufspädagogin (FH)
Lehrerin für Pflege- und Gesundheit M. A.
Agenda
1. Hintergrund
a. persönlich
b. wissenschaftlich
2. Bedeutung von Empathie im Pflege- und
Behandlungsprozess
3. Mitgefühlserschöpfung vs. Cool-out
4. Strategien zur Selbstfürsorge
5. Fazit und Ausblick
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Datum Silke Doppelfeld Marienhaus Klinikum im Kreis Ahrweiler 3
Was macht das
mit uns?
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Persönlicher Hintergrund
• Eigene Erfahrungen als Intensivpflegekraft von 1991 – 2007
• Masterthesis 2012: Sekundäre Traumatisierung – Prävention der Mitgefühlserschöpfung
• Weiterbildung zur Beraterin für Selbstfürsorge
• Berufliche Aktivität in dieser Thematik seit 2012 in Aus- Fort-Weiterbildung
• Diverse Vorträge und Publikationen
• Seit Juli 2015 „Come back“ auf IMC/Stroke-Unit
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Aktuelle Studien
1. Karanikola et al (2015): „Dysfunctional psychological responses
among Intensive Care Unit nurses: a systematic review of the
literature“.
2. Van Mol et al (2015): The Prevalence of Compassion Fatigue and
Burnout among Healthcare Professionals in Intensive Care Units: A
Systematic Review. PloS one, 10(8), e0136955.
3. Mealer et al. (2009): The prevalence and impact of post traumatic
stress disorder and burnout syndrome in nurses. In: Depress
Anxiety. 26 (12).
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Agenda
1. Hintergrund
- persönlich
- wissenschaftlich
2. Bedeutung von Empathie im Pflege- und
Behandlungsprozess
3. Mitgefühlserschöpfung vs. Cool-out
4. Strategien zur Selbstfürsorge
5. Fazit und Ausblick
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Nähe oder Distanz?
• Empathie
- kognitive Perspektivübernahme
- Übertragung bzw. Übernahme von Gefühlen
• Mitgefühl
- „positives moralisches Gefühl“
- Schlüsselfunktionen zum prosozialen Verhalten von Menschen, insbesondere zum Helfen, Unterstützen und Begleiten (Keller 2004)
- Mitgefühl stärkt, anstatt Energie zu rauben (Simon et al. 2005)
• Mitleid
- Identifikation, Gleichsetzen mit „Schmerz und Leid“
- historische, philosophische, ethische und religiöse Aspekte
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Konstitutive Elemente einer Pflegesituation nach
Hundenborn, Kreienbaum, Knigge-Demal, 1996
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Spannungsfeld Intensivstation
• Der Pflege- bzw. Behandlungsprozess ist ein Problemlösungs- und Beziehungsprozess
• Die Emotionsarbeit für Professionelle in diesem Arbeitsfeld ist herausfordernd
- Anpassung an gesellschaftliche Normen: „Rollenerwartung“
- Anpassung der Emotion in beruflichen Begegnungen zur Zielerreichung
- Gefahr: Emotionale Dissonanz
• „Moral Distress“
- ethische Konflikte
- „negative moralische Gefühle“: Schuld, Scham, Ärger, Empörung überwiegen
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Empathie und Trauma
Trauma als seelische Verletzung:
• Die Person erfuhr, beobachtete oder war konfrontiert mit
einem oder mehreren Ereignissen, die tatsächlichen oder
drohenden Tod, tatsächliche oder drohende ernsthafte
Körperverletzung oder eine Bedrohung der körperlichen
Unversehrtheit von einem selbst oder Anderen einschloss.
• Die Reaktion der Person schloss starke Angst, Hilflosigkeit
oder Grauen ein.
DSM-IV-TR
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Sekundäre Traumatisierung
• Belastung, die durch das Wissen über ein traumatisches
Ereignis ausgelöst wird, das einer anderen Person widerfährt
oder widerfahren ist
• Miterleben als Zeuge
• Übertragung der Gefühle der betroffenen Person
(„Ansteckung“)
• Personal auf ICU besonders gefährdet
- Besondere Dynamik der kumulativen Traumatisierung
- Erholungszeiten kurz
- Schleichender Sensibilisierungsprozess
• Entstehung posttraumatischer Symptome
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Mealer et al. 2009
• Studie mit 332 Pflegekräften aus allen Fachbereichen
• 21 % Symptome des PTBS
• 18 % volle diagnostischen Kriterien der PTBS erfüllen.
• Pflegekräfte, die die diagnostischen Kriterien erfüllten waren traumatischen Erlebnissen
– „Patienten sterben sehen“,
– „Patienten massiv bluten sehen“,
– „große offene Wunden sehen“,
– „polytraumatisierte Menschen nach großen Unfällen versorgen“
– Situation der als „nutzlos erlebten Pflege und Behandlung von sterbenden Menschen“
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Mealer et al. 2009
• Symptome der Probanden
• Allgemeine Schwierigkeiten bei der Lebensführung
– „Unfähigkeit den privaten Haushalt zu organisieren“
– „Unfähigkeit Freundschaften und Hobbies zu pflegen“
– „emotionale Unfähigkeit zu Entspannungs- und Spasserleben“
– „Probleme in Familie, Partnerschaft und Sexualität“
– „allgemeinen Lebenszufriedenheit“
– „Albträume nach Körperkontakt mit sterbenden Menschen“
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Mitgefühlserschöpfung
„Compassion fatigue“ (Figley 1995)
• „There is a cost of caring“ (Figley 1995)
• Besondere Form des Ausbrennens bei helfenden Berufen
• Körperliche Schutzreaktion
• Symptome und Kriterien identisch PTBS
• Pflegekräfte stellen reduzierte Empathiefähigkeit fest
• Kein professioneller Beziehungsaufbau mehr möglich
• Kontaktbegrenzung zu Patienten
• Mechanische bzw. instrumentelle Handlung
Professionelle Interaktion scheitert
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Die Mitgefühlserschöpfung scheint im
Pflegeberuf kein Thema zu sein....
Gilt es antiquierte Rollenbilder zu hinterfragen?
• „(...) mit dem Wachstum der Selbstbeherrschung wird die
Pflegerin allmählich eine Eigenschaft erwerben, die ihre
wertvollste ist: Die Kaltblütigkeit. Die Kaltblütigkeit wird
verhindern, dass sie den Kopf verliert, angesichts der Dramen,
die sich im Leben derer abspielen, die sie pflegt;
Tobsuchtsanfälle, unvorhergesehene heftige Blutungen,
Ohnmachten während der Anästhesie und unvorhersehbare
Todesfälle.“ (Dalloni 1945, S.104)
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Agenda
1. Hintergrund
1. persönlich
2. wissenschaftlich
2. Bedeutung von Empathie im Pflege- und
Behandlungsprozess
3. Mitgefühlserschöpfung vs. Cool-out
4. Strategien zur Selbstfürsorge
5. Fazit und Ausblick
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Mitgefühlserschöpfung vs. Cool-out
• Zusammenhang von individueller moralischer Erkaltung und
Mitgefühlserschöpfung
- Huhn oder Ei? = Traumatisierende Sozialisation
- Bedeutung von Kultur am Arbeitsplatz: Rollenerwartung
• Konflikt normativer Anspruch auf eine patientenorientierte
Pflege versus Funktionalität : Traumadynamik „Bilateral“
- Kumulative Ohnmachtsgefühle gegenüber dem System
- Ohnmachtserfahrung gegenüber traumatisierten Patienten
• posttraumatische Verhaltensweisen z. B. Aggression führen zu
weiteren Phänomenen wie z. B. Mobbing
Moralische Erkaltung des Systems
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Agenda
1. Hintergrund
a. persönlich
b. wissenschaftlich
2. Bedeutung von Empathie im Pflege- und
Behandlungsprozess
3. Mitgefühlserschöpfung vs. Cool-out
4. Strategien zur Selbstfürsorge
5. Fazit und Ausblick
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Selbstfürsorge & Prävention
• Ziel Stabilisierung: Erhalt der Resilienz
– „Abprallen“ = Widerstandsfähigkeit
– mit Belastungen der Arbeitswelt in angemessener Weise umgehen und psychische Gesundheit erhalten
• Analyse der persönlichen und institutionellen Schutz- bzw. Risikofaktoren
• Kommunikation von Gelungenem und Guten!
• Cave: Traumamaterial!
• Informations- sowie Beratungs- und Reflexionsangebote
• Zur Förderung der Resilienz ist das ABC der Selbstfürsorge ein „modell of good practice“ in helfenden Berufen (Pearlmann 1999, Haak 2013)
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ABC - der Selbstfürsorge (Pearlmann 1999)
• A = Achtsamkeit: Achte auf Dich selbst, auf Deine Bedürfnisse,
Grenzen und Ressourcen!
• B = Balance: Achte auf Dein Gleichgewicht von Arbeit, Freizeit
und Ruhe!
• C = Connection: Bleibe in Verbindung mit Dir selbst, anderen
Menschen und der Natur!
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Fazit und Ausblick
• Selbstmitgefühl, Empathie und Mitgefühl sind wichtige Gefühle von Pflegekräften und Ärzten die zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung auf der ICU gehören!
• Die Fähigkeit zur Selbstfürsorge ist eine zentrale berufliche Kompetenz in allen helfenden Berufen.
• Im Spital wird der Traumadynamik zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Mehr Aufklärung ist notwendig!
• Berufszufriedenheit und Gesundheit kann durch Humor und positive Kommunikation gefördert werden!
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Literatur
Doppelfeld, S. (2012). Sekundäre Traumatisierung: Konzeptentwicklung zur
Prävention der Mitgefühlserschöpfung bei Intensivpflegekräften.
Unveröffentlichte Masterthesis zur Erlangung des Grades Master of Arts,
Katholische Hochschule NRW, Fachbereich Gesundheitswesen, Köln.
Doppelfeld, S. (2013). Psychische Belastung von Pflegekräften: Supervision
gegen das Ausbrennen auf der Intensivstation?. Kontext, 44(3), 301-318.
Doppelfeld, S. Zwicker-Pelzer, R. (2015):Supervision in Arbeitsfeldern der
Gesundheits-und Krankenpflege-Berufe: neue Herausforderungen, in: Baur,J.;
Nemann, M.; Berker, P. (Hg.): Beobachtungen der Supervision,
Beobachtungsfelder in Forschung und Praxis, Budrich-Verlag , Opladen.
Doppelfeld, S. (2016): Moralischer Stress-Risikofaktor für die
Mitgefühlserschöpfung und Ausbrennen? Veröffentlichung in die Schwester
der Pfleger 03/ 2016 im DBFK-Teil online ca. ab 20.2.offen hier:
http://www.dbfk.de/de/veroeffentlichungen/Mitgliederzeitschrift.php
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Literatur
Hausmann, Clemens (2006): Einführung in die Psychotraumatologie. 1. Aufl. Stuttgart: UTB GmbH.
Hundenborn, Gertrud (2007): Fallorientierte Didaktik in der Pflege. Grundlagen und Beispiele für Ausbildung und Prüfung. 1. Aufl. München [u.a.]: Elsevier, Urban & Fischer.
Hooper, C., Craig, J., Janvrin, D. R., Wetsel, M. A., Reimels, E. (2010). Compassionsatisfaction, burnout, and compassion fatigue among emergency nurses compared with nurses in other selected inpatient specialties. Journal of Emergency Nursing, 36(5), 420 – 427.
Karanikola, M., Giannakopoulou, M., Mpouzika, M., Kaite, C. P., Tsiaousis, G. Z., & Papathanassoglou, E. D. (2015). Dysfunctional psychological responses among Intensive Care Unit nurses: a systematic review of the literature. Revista da Escola de Enfermagem da USP, 49(5), 847-857.
Kersting, K. (2011). „Coolout “in der Pflege. Eine Studie zur moralischen Desensibilisierung. Frankfurt am Main: Mabuse
Lemke, Jürgen (2006): Sekundäre Traumatisierung. Klärung von Begriffen und Konzepten der Mittraumatisierung. Kröning: Asanger.
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Literatur
Mealer et al. (2009): The prevalence and impact of post traumatic stress disorder and burnout syndrome in nurses. In: Depress Anxiety. 26 (12), S. 1118-26. Online verfügbar unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2919801/pdf/nihms211783.pdf, zuletzt geprüft am 24.01.2012.
Simon, C. E., Pryce, J. G., Roff, L. L., Klemmack, D. (2005). Secondary traumatic stress and oncology social work: Protecting compassion from fatigue and compromising the workers worldview. Journal of Psychosocial Oncology, 23 (4), 1 – 14.
Pearlman, L. A. (1999). Self-care for trauma therapists: Ameliorating vicarious traumatization. In B. H. Stamm (Ed.), Secondary traumatic stress: Self care issues for clinicians, researchersand educators (2nd ed., pp. 51-64). Lutherville, MD: SidranPress
van Mol, M. M., Kompanje, E. J., Benoit, D. D., Bakker, J., & Nijkamp, M. D. (2015). The Prevalence of Compassion Fatigue and Burnout among Healthcare Professionals in Intensive Care Units: A Systematic Review. PloS one, 10(8), e0136955.